1999 | ||
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1998 2000 | [ ] |
99.001 | Telekommunikationslinie |
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LB 1) Die Regelung einer unentgeltlichen Nutzungsberechtigung an öffentlichen Verkehrswegen in § 50 Abs.1 Satz 1 TKG berührt den Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie aus Art.28 Abs.2 GG nicht. | |
LB 2) § 50 Abs.1 Satz 1 TKG entzieht den Gemeinden, keine Aufgabe mit relevantem örtlichen Charakter auf dem Gebiet der Darseinsvorsorge. Da durch die Verfassung (Art.87f Abs.2 Satz 2 GG) hoheitliche Aufgaben im Bereich der Telekommunikation der bundeseigenen Verwaltung zugewiesen wurde, scheiden sie als Angelegeneheiten der örtlichen Verwaltung nach Art.28 Abs.2 Satz 1 GG aus. | |
LB 3) § 50 Abs.1 Satz 1 TKG greift auch nicht in die Finanzhoheit der Gemeinde ein, er hindert die Gemeinde nur daran, durch eine bestimmte Nutzung aus einzelnen Vermögensgegenständen Einnahmen zu erzielen. | |
LB 4) Soweit Gemeinden ein Mitspracherecht zur Einflußnahme auf die Telekommunikations-Infrastruktur beanspruchen, können sie schon deshalb nicht gehört werden, weil Art.87f Abs.2 Satz 1 GG solche Entscheidungen dem hoheitlichen Zugriff entzogen und allein auf Private übertragen hat. | |
LB 5) Die Anhörung der Gemeinden ist durch einfaches Verfahrensrecht ausreichend gesichert. Soweit die Gemeinden als Eigentümer der betroffenen Verkehrswege nicht bereits nach §§ 13 Abs.2, 28 Abs.1 VwVfG anzuhören sind, steht ihnen nach der Rechtsprechung der Fachgerichte bei Beeinträchtigung der Planungshoheit auch im Verwaltungsverfahren ein Anhörungsanspruch unmittelbar aus Art.28 Abs.2 GG. | |
§§§ | |
99.002 | Radio Bremen |
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LB 1) Art.5 Abs.1 Satz 2 GG schützt die Rundfunkfreiheit im Interesse der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung (vgl BVerfGE_57,295 <319>; stRspr). | |
LB 2) Dieses Ziel läßt sich nur erreichen, wenn der Rundfunk nach Aufgabe und Struktur so beschaffen ist, daß er seine Funktion unbeeinflußt von außerpublizistischen Interessen erfüllen kann (vgl BVerfGE_57,295 <320>). | |
LB 3) Die Voraussetzungen dafür hat der Gesetzgeber zu sichern. Art.5 Abs.1 Satz 2 GG verlangt daher von ihm eine positive Ordnung des Rundfunks, die geeignet ist, die Zielvorgaben des Grundrechts zu verwirklichen (vgl BVerfGE_57,295 <320>). | |
LB 4) Bei der Ausgestaltung dieser Ordnung genießt der Gesetzgeber aber weitgehende Freiheit. Art.5 Abs.1 Satz 2 GG legt ihn nicht auf bestimmte Modelle oder Vorkehrungen fest (vgl BVerfGE_83,238 <296>). | |
LB 5) Grundsätzlich ist er an einer Änderung auch nicht dadurch gehindert, daß sie in die Amtsperiode individueller Organwalter eingreift und sie vorzeitig beendet. | |
LB 6) Allerdings darf die Organisationsstruktur, die stets auf das materielle Ziel der Rundfunkfreiheit bezogen bleibt, nicht zur Einflußnahme auf die publizistische Tätigkeit des Rundfunks verwendet werden, die nach dem Willen des Grundgesetzes gerade von politischer Bestimmung freigehalten werden soll (vgl BVerfGE_90,60 <87>; stRspr). | |
LB 7) Der Gesetzgeber ist nicht berechtigt, ihre Amtsführung verdeckt zu sanktionieren oder sie wegen ihrer Amtsführung zu ersetzen (vgl BVerfG, Kammerbeschluß, DVBl 1996, S.98). | |
LB 8) Organisatorische Änderungen, die eine vorzeitige Beendigung von Amtsperioden zur Folge haben, sind dem Verdacht versteckten Einflusses auf die Personalpolitik des Rundfunks in besonderem Maß ausgesetzt. Deswegen müssen hier zur Verhütung von Mißbräuchen an den Änderungsbedarf hohe Anforderungen gestellt werden. | |
LB 9) Angesichts der sachlich veranlaßten, tiefgreifenden Änderung der Organisation der Beschwerdeführerin sind die angegriffenen Normen des Art.2 Abs.2 und 3 ÄndG, die das Amtszeitende des bisherigen Direktoriums festlegen und die Besetzung des neu geschaffenen Organs Intendant und des veränderten Organs Direktorium regeln, nicht zu beanstanden. | |
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T-99-01 | Rundfunkfreiheit + Organstruktur |
II. "Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs.2 BVerfGG nicht vorliegen. | |
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Die Beschwerdeführerin sieht einen Verstoß gegen die Rundfunkfreiheit in der in Art.2 Abs. 2 ÄndG festgelegten Beendigung der Amtszeit des bisherigen Direktoriums und der in Art.2 Abs.3 ÄndG vorgesehenen Wahl eines Intendanten sowie anschließend von Direktoren zum 30.April 1999. Diese Rüge läßt sich anhand der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zum Charakter der Rundfunkfreiheit und den daraus abgeleiteten Erfordernissen und Begrenzungen für die Verwirklichung der Rundfunkfreiheit in organisatorischer Hinsicht beantworten (vgl BVerfGE_57,295 <319 f>; BVerfGE_83,238 <296>; BVerfGE_90,60 <88 f>; BVerfG, Kammerbeschluß, DVBl 1996, S.97 ff). | |
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die angegriffenen Normen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art.5 Abs.1 Satz 2 GG. | |
a) Art.5 Abs.1 Satz 2 GG schützt die Rundfunkfreiheit im Interesse der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung (vgl BVerfGE_57,295 <319> ; stRspr). Dieses Ziel läßt sich nur erreichen, wenn der Rundfunk nach Aufgabe und Struktur so beschaffen ist, daß er seine Funktion unbeeinflußt von außerpublizistischen Interessen erfüllen kann (vgl BVerfGE_57,295 <320> ). Die Voraussetzungen dafür hat der Gesetzgeber zu sichern. Art.5 Abs.1 Satz 2 GG verlangt daher von ihm eine positive Ordnung des Rundfunks, die geeignet ist, die Zielvorgaben des Grundrechts zu verwirklichen (vgl BVerfGE_57,295 <320>). Zu den Fragen, die er dabei von Verfassungs wegen regeln muß, gehört insbesondere die Organisationsstruktur des Rundfunks. | |
Bei der Ausgestaltung dieser Ordnung genießt der Gesetzgeber aber weitgehende Freiheit. Art.5 Abs.1 Satz 2 GG legt ihn nicht auf bestimmte Modelle oder Vorkehrungen fest (vgl BVerfGE_83,238 <296>). Es kommt allein darauf an, daß die Freiheit des Rundfunks in dem von Art.5 Abs.1 Satz 2 GG gemeinten Sinn gewahrt bleibt. Innerhalb des ihm zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraums kann der Gesetzgeber die Organisation des Rundfunks daher auch ändern. Mit der einmal gewählten Form bindet er sich nicht für alle Zukunft. Grundsätzlich ist er an einer Änderung auch nicht dadurch gehindert, daß sie in die Amtsperiode individueller Organwalter eingreift und sie vorzeitig beendet. Die Organwalterschaft ist an die Existenz des Organs gebunden, nicht umgekehrt. Andernfalls würde die Aufgabe des Gesetzgebers, wechselnden Anforderungen oder besseren Einsichten Rechnung zu tragen, empfindlich gestört (vgl BVerfG, Kammerbeschluß, DVBl 1996, S.98). | |
Allerdings darf die Organisationsstruktur, die stets auf das materielle Ziel der Rundfunkfreiheit bezogen bleibt, nicht zur Einflußnahme auf die publizistische Tätigkeit des Rundfunks verwendet werden, die nach dem Willen des Grundgesetzes gerade von politischer Bestimmung freigehalten werden soll (vgl BVerfGE_90,60 <87>; stRspr). Dieses Verbot bezieht sich nicht nur auf das Programm, das im Zentrum der Rundfunkfreiheit steht, sondern auch auf die Personen, die das Programm gestalten oder veranworten. Der Gesetzgeber ist nicht berechtigt, ihre Amtsführung verdeckt zu sanktionieren oder sie wegen ihrer Amtsführung zu ersetzen (vgl BVerfG, Kammerbeschluß, DVBl 1996, S.98). Damit verstößt zwar nicht jede organisatorische Vorkehrung, die personelle Konsequenzen hat, gegen Art.5 Abs.1 Satz 2 GG, wohl aber diejenige, welche organisatorische Veränderungen in der Absicht vornimmt, personelle Veränderungen herbeizuführen. | |
Organisatorische Änderungen, die eine vorzeitige Beendigung von Amtsperioden zur Folge haben, sind dem Verdacht versteckten Einflusses auf die Personalpolitik des Rundfunks in besonderem Maß ausgesetzt. Deswegen müssen hier zur Verhütung von Mißbräuchen an den Änderungsbedarf hohe Anforderungen gestellt werden (vgl BVerfG, Kammerbeschluß, DVBl 1996, S.97 ff). Regelmäßig wird ein Mißbrauch dann ausscheiden, wenn die Änderung einen gewichtigen sachlichen Anlaß hat, in die bisherige Organisation intensiv eingreift und so dringlich ist, daß das Ende der Amtsperiode nicht ohne Gefährdung des sachlichen Reformanliegens abgewartet werden kann. Bei unterschiedlich langen Amtsperioden verschiedener Organwalter ist für diese Erwägung die entfernteste Amtsperiode maßgeblich. Dagegen können geringfügige Veränderungen der Organisationsstruktur, wenn sie mit einer vorzeitigen Beendigung von Amtsperioden einhergehen, ein Indiz für eine verkappte Personalentscheidung sein. | |
b) Gemessen hieran bieten die angegriffenen Normen für ein rechtsmißbräuchliches Verhalten des Gesetzgebers, das die Rundfunkfreiheit verletzte, keinen hinreichenden Anhalt. | |
Den in Art.1 ÄndG geregelten Änderungen der Organisationsstruktur lag ein gewichtiger sachlicher Anlaß zugrunde. Mit der Gesetzgebungsinitiative reagierte die Bürgerschaft auf die sich abzeichnende Existenzbedrohung der Beschwerdeführerin, die von dem medienpolitischen Widerstand gegen den Bestand von Radio Bremen im Rahmen der geplanten ARD-Strukturreform sowie von den Bestrebungen zur Abschaffung oder Veränderung des ARD-Finanzausgleichs ausgeht. So bezweckte bereits der dem Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und CDU vorausgegangene Antrag die Überprüfung der Notwendigkeit gesetzlicher Änderungen zur Zukunftssicherung der Beschwerdeführerin (vgl Bremische Bürgerschaft, Drucksache 14/940 vom 29.Januar 1998). Auch der schon Ende 1997 eingebrachte Gesetzentwurf der Fraktion der AFB verwies zur Begründung darauf, daß es für die Zukunft des Senders in schwieriger Zeit notwendig sei, klare Verantwortungen zu schaffen und die Position des Intendanten zu stärken (vgl Bremische Bürgerschaft, Drucksache 14/907 vom 15.Dezember 1997). Schließlich wird auch in der Begründung zum später verabschiedeten Gesetzentwurf die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Änderung der Organverfassung hervorgehoben, damit durch Straffung und Effektivierung der Leitungsstruktur die offenkundige, primär von außen ausgelöste Existenzkrise Radio Bremens besser bewältigt werden könne (vgl Bericht des Ausschusses "Medienpolitik", Bremische Bürgerschaft, Drucksache 14/1145 vom 15.Oktober 1998, S.2 f). | |
Die aus Anlaß der Existenzbedrohung der Beschwerdeführerin vorgenommene Gesetzesänderung führt auch zu einer derart tiefgreifenden Veränderung der Organstruktur, daß insgesamt nicht mehr von einer Organkontinuität ausgegangen werden kann. Zwar hat der Bremische Gesetzgeber mit der Novellierung des RBG weder das Amt des Intendanten noch das Direktorium als Anstaltsorgan abgeschafft. Nach § 7 Nr.4 RBG nF behält das Direktorium weiterhin eine Organstellung. Jedoch ist der Intendant nach dem Vorbild der übrigen Rundfunkanstalten vom bloßen Vorsitzenden des Direktoriums in ein eigenständiges Organ der Anstalt umgewandelt. Damit korrespondierend hat sich auch die Funktion des Direktoriums grundlegend geändert. Seine Leitungsfunktion ist auf das neu geschaffene Organ Intendant übertragen worden. Damit geht nicht nur eine Beschneidung des Aufgabenbereichs des bisherigen Organs Direktorium einher. Vielmehr ändert sich damit auch seine Stellung im Organisationsgefüge tiefgreifend. Zwar ist das Direktorium weiterhin gemäß § 16 Abs.2 RBG nF für Angelegenheiten zuständig, die für die Anstalt von Bedeutung sind. Jedoch ist es nunmehr dem Organ Intendant nachgeordnet und steht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm. Dies kommt zum einen darin zum Ausdruck, daß das Direktorium gemäß § 16 Abs.2 RBG nF im Rahmen seiner Befugnisse zur Beachtung der Gesamtverantwortung des neuen Organs Intendant verpflichtet ist. Zum anderen zeigt sich die hierarchische Struktur in den Regelungen über die Wahl und Abwahl der Mitglieder des Direktoriums. Der Rundfunkrat ist künftig gemäß § 15 Abs.3 RBG n.F. bei der Wahl an die Vorschläge des Intendanten gebunden. Desgleichen wird die Abwahl erleichtert, wenn sie auf seinen Vorschlag zurückgeht. In diesem Fall genügt die einfache Mehrheit, während das Gesetz die Abwahl im übrigen - wie bislang durchgängig - an eine qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Rundfunkrates knüpft. | |
Angesichts der sachlich veranlaßten, tiefgreifenden Änderung der Organisation der Beschwerdeführerin sind die angegriffenen Normen des Art.2 Abs.2 und 3 ÄndG, die das Amtszeitende des bisherigen Direktoriums festlegen und die Besetzung des neu geschaffenen Organs Intendant und des veränderten Organs Direktorium regeln, nicht zu beanstanden. Vielmehr führt bereits die Intensität der Strukturveränderung zur Notwendigkeit der Organneubesetzung. Mangels Organkontinuität erscheint es ausgeschlossen, daß die für das frühere Direktorium gewählten Organwalter nunmehr zu Organwaltern des neu geschaffenen Organs Intendant bzw. des grundlegend veränderten Organs Direktorium werden. Den bisherigen Organwaltern fehlt eine Wahl, die sie für die Organwalterschaft in den neuen Organen legitimiert. Eine Regelung dergestalt, daß der bislang unter der Bezeichnung Intendant gewählte Vorsitzende des Direktoriums in die Stellung des neuen Leitungsorgans Intendant und die bisherigen Direktoren in das grundlegend veränderte Organ Direktorium überwechseln, enthält das ÄndG nicht. Sie hätte im übrigen zu einer Ausschaltung des für die Besetzung der Organe zuständigen Wahlgremiums geführt und wäre deswegen ihrerseits verfassungsrechtlich bedenklich gewesen. Das von der Beschwerdeführerin angeführte Gespräch zwischen dem bisherigen Intendanten und dem Bürgermeister Dr Scherf sowie die verschiedenen Äußerungen der an der Reform beteiligten Politiker geben zu einer anderen Beurteilung keinen Anlaß. | |
Schließlich ergibt sich auch aus der Festlegung des konkreten Zeitpunktes des Inkrafttretens der Novellierung des RBG kein greifbarer Anhaltspunkt für eine insoweit mißbräuchliche Ausübung der gesetzgeberischen Gestaltungsmacht. Der Gesetzgeber wäre an einer zeitnahen Umsetzung seiner tiefgreifenden Organisationsveränderung gehindert, wenn er den Ablauf der Amtszeit sämtlicher bisheriger Direktoriumsmitglieder abwarten müßte. Der sachliche Anlaß der Strukturveränderung rechtfertigt eine zügige Umsetzung. Die Existenzbedrohung der Beschwerdeführerin ist gegenwärtig. Der Gesetzgeber durfte daher davon ausgehen, daß eine bis ins Jahr 2002 aufgeschobene Reform die mit ihr beabsichtigte Wirkung nicht mehr erzielen würde." | |
Auszug aus BVerfG B, 15.01.99, - 1_BvR_1946/98 -, www.BVerfG.de, Abs.30 ff | |
§§§ | |
99.003 | Testierausschluss |
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Der generelle Ausschluß schreib- und sprechunfähiger Personen von der Testiermöglichkeit in den §§ 2232, 2233 BGB, 31 BeurkG verstößt gegen die Erbrechtsgarantie des Art.14 Abs.1 GG sowie gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG und das Benachteiligungsverbot für Behinderte in Art.3 Abs.3 Satz 2 GG. | |
LB 2) Die geltenden Formvorschriften für Testamente verletzen im Hinblick auf schreibunfähige Stumme auch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG. Die Ungleichbehandlung besteht darin, daß ein verheirateter oder verlobter schreibunfähiger Stummer im Rahmen eines Ehe- und Erbvertrags ausnahmsweise letztwillige Verfügungen treffen kann, ein alleinstehender schreibunfähiger Stummer hingegen nicht. | |
LB 3) Die Formvorschriften führen auch zu einer unzulässigen Benachteiligung Behinderter (§ 3 Abs.3 S.2 GG). | |
LB 4) Benachteiligung iSv § 3 Abs,3 S,2 bedeutet nachteilige Ungleichbehandlung. Behinderte werden zB benachteiligt, wenn ihre Lebenssituation im Vergleich zu derjenigen nicht behinderter Menschen durch gesetzliche Regelungen verschlechtert wird, die ihnen Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten vorenthalten, welche anderen Menschen offenstehen. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
99.004 | Bundesgelderveruntreuung |
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Zum Beginn der Frist des § 69 in Verbindung mit § 64 Abs.3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz. | |
LB 2) Die Antragstellerin hat versäumt, den Antrag binnen sechs Monaten zu stellen, nachdem ihr die beanstandete Maßnahme bekanntgeworden ist. | |
LB 3) Eine rechtserhebliche Maßnahme im Sinne des § 69 iVm § 64 Abs.1 BVerfGG ist allenfalls die Klageerhebung gegen die Antragstellerin zum Bundesverwaltungsgericht; denn der Bund berühmt sich hiermit eines auf Art.104a Abs.5 Satz 1, 2.Halbsatz GG gestützten und damit im Verfassungsrecht wurzelnden Anspruchs gegen die Antragstellerin. | |
LB 4) Die Frist des § 69 iVm § 64 Abs.3 BVerfGG ist nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG eine Ausschlußfrist, nach deren Ablauf Rechtsverletzungen nicht mehr geltend gemacht werden können. | |
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T-99-02 | Antragsfrist |
"Die Anträge sind unzulässig; die Antragstellerin hat die in § 69 iVm § 64 Abs.3 BVerfGG bestimmte Frist zur Stellung der Anträge versäumt. Andere Fragen der Zulässigkeit, insbesondere die der Überprüfbarkeit von Gerichtsentscheidungen im Bund-Länder-Streit, bedürfen deshalb nicht der Erörterung. I. | |
1. Die Antragstellerin hat versäumt, den Antrag binnen sechs Monaten zu stellen, nachdem ihr die beanstandete Maßnahme bekanntgeworden ist. Die gesetzliche Frist begann am Tag der Klageerhebung durch die Bundesrepublik Deutschland im Bund-Länder-Streit vor dem Bundesverwaltungsgericht, sonach am 5.Mai 1992, und war deshalb bei Eingang der Antragsschrift vom 30.Juli 1995 beim Bundesverfassungsgericht am 1.August 1995 abgelaufen. | |
2. Eine rechtserhebliche Maßnahme im Sinne des § 69 iVm § 64 Abs.1 BVerfGG ist allenfalls die Klageerhebung gegen die Antragstellerin zum Bundesverwaltungsgericht; denn der Bund berühmt sich hiermit eines auf Art.104a Abs.5 Satz 1, 2.Halbsatz GG gestützten und damit im Verfassungsrecht wurzelnden Anspruchs gegen die Antragstellerin. Schon mit der Klageerhebung zum Bundesverwaltungsgericht ist zwischen Antragstellerin und Antragsgegnerin ein konkretes Prozeßrechtsverhältnis begründet worden. Verfassungsrechtlich hat die Antragstellerin insoweit die Frage aufgeworfen, ob Art.104a Abs.5 Satz 1, 2.Halbsatz GG eine unmittelbare Anspruchsgrundlage für das Begehren des Bundes bietet, obwohl ein Gesetz gemäß Art.104a Abs.5 Satz 2 GG nicht ergangen ist. Eine Verletzung der von der Antragstellerin für sich in Anspruch genommenen Verfassungsrechtsposition wäre deshalb schon mit der Einleitung des Rechtsstreits beim Bundesverwaltungsgericht und nicht erst mit dem jenen Rechtsstreit abschließenden Urteil oder durch weitere nachfolgende Maßnahmen der Antragsgegnerin eingetreten (vgl hierzu BVerfGE_94,351 <364>). | |
Dem Zahlungsbegehren, einer etwaigen Vollstreckung aus dem der Antragsgegnerin günstigen Urteil und diesem selbst kommt keine Bedeutung für einen verfassungsrechtlichen Bund-Länder-Streit zu. Insoweit geht es nur um einen verwaltungsrechtlichen Anspruch auf Schadensersatz und seine Durchsetzung, nicht aber um verfassungsrechtliche Fragen, die zum Gegenstand eines Bund-Länder-Streits im Sinne des Art.93 Abs.1 Nr.3 GG gemacht werden könnten. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch über 122.200,-- DM nebst Zinsen fußt wegen seiner Voraussetzungen im übrigen ausschließlich auf Regelungen des einfachen Rechts, so etwa auf den Vorschriften des Katastrophenschutzgesetzes in Verbindung mit den hierzu erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Mit solchen Fragen hat sich das Bundesverfassungsgericht nicht zu befassen (BVerfGE_18,85 <92 f>). II. | |
Die Frist des § 69 iVm § 64 Abs.3 BVerfGG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Ausschlußfrist, nach deren Ablauf Rechtsverletzungen nicht mehr geltend gemacht werden können (vgl. hierzu BVerfGE_24, 252 <257 ff>; BVerfGE_71,299 <304>; BVerfGE_92,80 <89>)." | |
Auszug aus BVerfG B, 20.01.99, - 2_BvG_2/95 -, www.BVerfG.de, Abs.15 ff | |
§§§ | |
99.005 | Atomwaffen |
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Zur Zulässigkeit von Vorlagen nach Art.100 Abs.2 GG. | |
LB 2) Nach Sinn und Zweck des in Art.100 Abs.2 GG geregelten Verfahrens sind Vorlagen nach dieser Vorschrift nur zulässig, wenn die Regel des Völkerrechts und die Frage, ob sie Bestandteil des Bundesrechts ist, für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich sind (vgl BVerfGE_15,25 <30>; BVerfGE_94,315 <328>) | |
LB 3) Gemäß §§ 84 und 80 Abs.2 BVerfGG muß die Vorlagebegründung auch im Verfahren nach Art.100 Abs.2 GG angeben, inwiefern von der Regel des Völkerrechts die Entscheidung des Gerichts abhängig ist. | |
LB 4) Im Rahmen von § 34 StGB genügt das Gericht den Begründungsanforderungen nicht, wenn es im Vorlagebeschluß lediglich ausführt, daß bei Völkerrechtswidrigkeit der Atomwaffen sich das Merkmal der Gefahrenlage anders beurteile als bei ihrer Völkerrechtsgemäßheit. Hier fehlt es an der Prüfung, ob bei Völkerrechtswidrigkeit der Atomwaffen die Tatbestandsmerkmale des § 34 StGB § 34 StGB erfüllt wären. | |
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T-99-2a | Anforderungen-Vorlageverfahren |
"Die Vorlage ist unzulässig. | |
1. Nach Sinn und Zweck des in Art.100 Abs.2 GG geregelten Verfahrens sind Vorlagen nach dieser Vorschrift nur zulässig, wenn die Regel des Völkerrechts und die Frage, ob sie Bestandteil des Bundesrechts ist, für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich sind (vgl BVerfGE_15,25 <30>; BVerfGE_94,315 <328>). Das Vorlageverfahren dient nicht dazu, abstrakte Rechtsfragen zu klären oder dem vorlegenden Gericht zusätzliche rechtliche Gesichtspunkte für seine Entscheidung an die Hand zu geben. Es ist nur dann statthaft, wenn der bei dem vorlegenden Gericht anhängige Rechtsstreit ohne die Beantwortung der Vorlagefrage nicht entschieden werden kann. | |
2. Ebenso wie im Vorlageverfahren nach Art.100 Abs.1 GG ist im Verfahren nach Art.100 Abs.2 GG für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgeblich, es sei denn, daß sich diese als offensichtlich unhaltbar erweist (vgl BVerfGE_78,1 <5>). Gemäß §§ 84 und 80 Abs.2 BVerfGG muß die Vorlagebegründung auch im Verfahren nach Art.100 Abs.2 GG angeben, inwiefern von der Regel des Völkerrechts die Entscheidung des Gerichts abhängig ist. Das vorlegende Gericht muß sich mit den in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Rechtsansichten auseinandersetzen. Der bloße Hinweis auf einzelne Fundstellen vermag diese Auseinandersetzung nicht zu ersetzen (vgl BVerfGE_65,308 <316>). | |
Diesen Anforderungen genügt die Vorlage des Amtsgerichts nicht. | |
1. Bereits die einleitenden Sätze über eine mögliche Rechtfertigung des Verhaltens des Angeklagten machen deutlich, daß sich das Gericht noch keine abschließende Meinung zu der Frage gebildet hat, ob im Falle einer Völkerrechtswidrigkeit der Stationierung von Nuklearwaffen das Verhalten des Angeklagten tatsächlich als gerechtfertigt angesehen werden muß. Nach dem Vorlagebeschluß ist eine Rechtfertigung des regelverletzenden Verhaltens des Angeklagten "nicht ausgeschlossen". Diese Formulierung läßt die Möglichkeit offen, daß das Gericht auch im Falle der Völkerrechtswidrigkeit von Nuklearwaffen zu dem Ergebnis kommt, daß das regelverletzende Verhalten des Angeklagten nicht gerechtfertigt werden kann. Für die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit reicht dies nicht aus. Entscheidungserheblich ist die Beantwortung der völkerrechtlichen Frage nur dann, wenn das Gericht begründet, daß und warum es im Falle der Völkerrechtswidrigkeit eine Rechtfertigung des Angeklagten annehmen würde, im Falle der Völkerrechtsmäßigkeit hingegen nicht. | |
2. Die Vorlage macht auch nicht verständlich, warum im Falle der Völkerrechtswidrigkeit des Atomwaffenbesitzes die Meinungs- und Versammlungsfreiheit die Rechtswidrigkeit oder Schuld des Angeklagten ausschließen könnte. Das Amtsgericht hätte nicht nur das vom Angeklagten verfolgte Fernziel der nuklearen Abrüstung, welches von vielen gesellschaftlichen Kräften geteilt wird, in den Blick nehmen dürfen, sondern sich auch mit der Zulässigkeit der im politischen Meinungskampf eingesetzten Mittel auseinandersetzen müssen. Der Angeklagte drang in ein fremdes, umfriedetes Besitztum ein und beschädigte dort durch das Aufsprühen von Parolen die Außenfassade eines Gebäudes. Angesichts dieser Tatumstände hätte das Amtsgericht zumindest die Rechtsprechung erörtern müssen, wonach die Meinungs- und Versammlungsfreiheit derartige Rechtsgutverletzungen nicht schützt (vgl etwa BGHZ_59,30 <35 f>; BayObLG NJW 1995,269 <271>). Dabei hätte das Gericht auch ausführen müssen, warum eine Völkerrechtswidrigkeit der Atomwaffen angesichts des Gebots friedlicher Auseinandersetzung im politischen Meinungskampf das Verhalten des Angeklagten rechtfertigen oder seine Schuld ausschließen könnte. | |
Im Rahmen von § 34 StGB genügt das Gericht den Begründungsanforderungen nicht, wenn es im Vorlagebeschluß lediglich ausführt, daß bei Völkerrechtswidrigkeit der Atomwaffen sich das Merkmal der Gefahrenlage anders beurteile als bei ihrer Völkerrechtsgemäßheit. Hier fehlt es an der Prüfung, ob bei Völkerrechtswidrigkeit der Atomwaffen die Tatbestandsmerkmale des § 34 StGB erfüllt wären. Das Gericht hätte dazu darlegen und begründen müssen, daß und warum durch die Stationierung und die Drohung mit dem Einsatz von Nuklearwaffen eine Gefahrenlage im Sinne dieser Vorschrift begründet wird. Außerdem hätte es begründen müssen, daß und warum diese Gefahrenlage nicht anders als durch die dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungen abgewendet werden konnte. | |
3. Auch die Ausführungen des Amtsgerichts zur Strafzumessung können die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht begründen, solange eine Auseinandersetzung mit dem Gebot der Friedlichkeit fehlt und außerdem nicht dargelegt ist, warum der strafrechtliche Schutz von Hausfrieden und Sachgütern und die daraus sich ergebenden Rechtsfolgen durch die völkerrechtliche Qualifikation der von den Atomwaffen geschaffenen allgemeinen Gefahrenlage berührt werden könnten. | |
4. Der Vorlagebeschluß erfüllt im übrigen nicht die gemäß § 84 iVm § 80 BVerfGG an die Auseinandersetzung mit der Literatur und Rechtsprechung zu stellenden Anforderungen. Das vorlegende Gericht hat gerade im Bereich der Rechtsfragen, die für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage maßgeblich sind (Rechtfertigung und Schuld des Angeklagten), Literatur und Rechtsprechung nur in geringem Umfang herangezogen und sich mit dieser nicht inhaltlich auseinandergesetzt (vgl. den verkürzten Hinweis auf Roxin, Strafrechtliche Bemerkungen zum zivilen Ungehorsam, in: Festschrift für Horst Schüler-Springorum zum 65.Geburtstag, Köln 1993, 441 ff). Um den Begründungsanforderungen zu genügen, hätte es die bisherige Behandlung dieses Problemkreises fundiert würdigen und darstellen mssen, inwiefern sich seine Rechtsauffassung mit den in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansichten deckt oder von ihnen abweicht. Dabei wre auch darzulegen gewesen, ob und welche vlker- und strafrechtlichen Folgerungen, insbesondere für das Verhalten von Einzelpersonen, aus dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zu ziehen sind." | |
Auszug aus BVerfG B, 02.02.99, - 2_BvM_1/98 -, www.BVerfG.de, Abs.9 ff | |
§§§ | |
99.006 | Anzurechnendes Vermögen |
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Es ist mit Art.3 Abs.1 GG unvereinbar, daß nach § 28 Abs.1 Satz 1 BAföG bei der Berechnung des auf den Bedarf anzurechnenden Vermögens des Auszubildenden Grundstücke lediglich mit dem Einheitswert berücksichtigt werden, während Wertpapiere und sonstige Vermögensgegenstände mit dem Kurs- oder Zeitwert anzusetzen sind. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
99.007 | Mater of Laws |
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LB 1) Das Genehmigungsverfahren für das Führen ausländischer akademischer Grade nach § 55b UG BW ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt und verstößt insbesondere nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. | |
LB 2) Mit der Einführung des Genehmigungsvorbehalts wird des der Verwaltung ermöglicht, die im Ausland erworbenen Titel und Grade zu prüfen, bevor sie vom Erwerber in Deutschland geführt werden dürfen. Hierdurch dient die Regelung dem Schutz der Öffentlichkeit vor Täuschung. | |
§§§ | |
99.008 | Kandidieren auf alternativer Liste |
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Zur Frage, ob § 20 Abs.2 BetrVG es einer Gewerkschaft verbietet, Mitglieder auszuschließen, die bei Betriebsratswahlen auf einer konkurrierenden Liste kandidieren. | |
LB 2) § 20 Abs.2 BetrVG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. | |
LB 3) Die Gerichte haben jedoch bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift die Ausstrahlungswirkung von Art.9 Abs.3 GG zu beachten. | |
LB 4) Das Prinzip der freien sozialen Gruppenbildung ist, wie das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit Art.9 Abs.1 GG ausgeführt hat, konstituierend für die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung des Grundgesetzes (vgl BVerfGE_50,290 <353>). | |
LB 5) Die Glaubwürdigkeit gewerkschaftlicher Wahlaussagen und das Vertrauen in ihre Durchsetzungsfähigkeit hängen wesentlich von dem Eindruck ihrer Geschlossenheit ab. Konkurrierende Listen eigener Mitglieder wirken dem entgegen. Die abträgliche Wirkung strahlt auf das Gesamtbild der Gewerkschaft ab und berührt damit auch das Vertrauen in ihre Durchsetzungsfähigkeit bei Tarifauseinandersetzungen. | |
LB 6) Das Recht der Beschwerdeführerin aus Art.9 Abs.3 GG steht in Widerstreit mit der individuellen Koalitionsfreiheit ihrer Mitglieder und kann hierbei Beschränkungen erfahren; denn auch das vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht des Art.9 Abs.3 GG kann zum Schutz anderer verfassungsrechtlich begründeter Positionen, insbesondere zum Ausgleich konkurrierender Positionen desselben Grundrechts, eingeschränkt werden (vgl BVerfGE_84,212 <228>). | |
LB 7) Dem Schutz der individuellen Koalitionsfreiheit der Gewerkschaftsmitglieder kommt hier jedoch nur geringes Gewicht zu. | |
LB 8) Die mit § 20 Abs.2 BetrVG verfolgten Ziele sind zwar geeignet, die Position der Kläger zu verstärken. Sie wiegen aber in der vorliegenden Konstellation nicht besonders schwer. | |
LB 9) Das in § 20 Abs.2 BetrVG enthaltene generelle Verbot, die Betriebsratswahlen weder durch die Zufügung oder Androhung von Nachteilen noch durch die Gewährung oder das Versprechen von Vorteilen zu beeinflussen, dient der Integrität der Betriebsratswahl. Diese soll frei und ungehindert durchgeführt werden. | |
LB 10) Das hier streitige Maßregelverbot ist diesem Ziel förderlich, indem es die betriebsangehörigen Mitglieder der Beschwerdeführerin bei der Ausübung ihres passiven Wahlrechts auch von einer Rücksichtnahme auf ihre Verbandssolidarität freistellt. | |
LB 11) Der Gesetzgeber selbst hat den Gewerkschaften eine aktive Rolle bei der Betriebsratswahl eingeräumt. Dieser Rolle entspricht es, daß die Gewerkschaften dabei geschlossen auftreten und diese Geschlossenheit auch mit verbandsinternen Sanktionen zu verteidigen suchen. | |
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T-99-03 | Koalitionsfreiheit |
B. II. | |
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die Beschwerdeführer in wird durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrer Koalitionsfreiheit ( Art.9 Abs.3 GG) verletzt. | |
1. Art.9 Abs.3 GG gewährleistet jedermann das Recht, zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Die individualrechtliche Gewährleistung setzt sich nach feststehender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in einem Freiheitsrecht der Koalitionen selbst fort. Es schützt ihren Bestand und ihre Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte. Geschützt sind ferner die Selbstbestimmung der Koalitionen über ihre innere Ordnung sowie ihre Tätigkeiten zum Zwecke der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder (vgl BVerfGE_50,290 <373>; BVerfGE_84,212 <224>; BVerfGE_93,352 <357>; BVerfGE_94,268 <282 f>). In den Schutzbereich des Art.9 Abs.3 GG fallen damit auch Maßnahmen zur Aufrechterhaltung ihrer Geschlossenheit nach innen und außen. Dieser Schutz ist nicht von vornherein auf einen Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigung beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen (vgl BVerfGE_93,352 <358 ff>). | |
Indem die angegriffenen Entscheidungen die Beschwerdeführerin daran hindern, ihre innere Geschlossenheit durch verbandsinterne Sanktionen zu wahren, wird diese in ihrem Grundrecht aus Art.9 Abs.3 GG beeinträchtigt. | |
2. a) § 20 Abs.2 BetrVG, auf den die Gerichte ihre Entscheidungen gestützt haben, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Gerichte haben jedoch bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift die Ausstrahlungswirkung von Art.9 Abs.3 GG zu beachten. Feststellung und Würdigung des Sachverhalts sowie Auslegung und Anwendung des Rechts bleiben allerdings grundsätzlich Sache der Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht hat auf eine Verfassungsbeschwerde hin nur zu prüfen, ob die angegriffenen Entscheidungen Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen (vgl BVerfGE_18,85 <92 f>). | |
b) Die Gerichte haben Bedeutung und Tragweite des Art.9 Abs.3 GG verkannt. Sie gehen im Anschluß an die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl etwa BGHZ_45,314; NJW 1981, S. 2178) davon aus, daß die Koalitionsfreiheit nur in ihrem Kernbereich durch Art.9 Abs.3 GG geschützt ist, und sehen diesen durch ihre Auslegung des § 20 Abs.2 BetrVG nicht als verletzt an. Das wird weder im Ansatz noch in der fallbezogenen Würdigung der Bedeutung und Tragweite des Art.9 Abs.3 GG gerecht. | |
aa) Die Reduzierung des Schutzes von Art.9 Abs.3 GG auf einen Kernbereich beruht, wie das Bundesverfassungsgericht inzwischen klargestellt hat, auf einem Mißverständnis seiner Rechtsprechung (vgl BVerfGE_93,352 <358 ff>). Vielmehr müssen in jedem Fall die Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung und das Gewicht der entgegenstehenden Rechtsgüter abgewogen werden. Aber selbst von ihrem Standpunkt aus hätten die Gerichte die Koalitionsfreiheit der Beschwerdeführerin wohl anders werten müssen. Das Verbot einer Maßregelung von Mitgliedern, die bei Betriebsratswahlen auf einer konkurrierenden Liste kandidieren, beeinträchtigt dieses Freiheitsrecht der Beschwerdeführerin nachhaltig. | |
bb) Die Beeinträchtigung trifft die Beschwerdeführerin empfindlich. Die Selbstbestimmung der Koalitionen über ihre innere Ordnung ist ein wesentlicher Teil der Koalitionsfreiheit. Das Prinzip der freien sozialen Gruppenbildung ist, wie das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit Art.9 Abs.1 GG ausgeführt hat, konstituierend für die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung des Grundgesetzes (vgl BVerfGE_50,290 <353> ). Für Koalitionen im Sinne von Art.9 Abs.3 GG sind die Solidarität ihrer Mitglieder und ein geschlossenes Auftreten nach außen von besonderer Bedeutung. Vor allem darauf beruht ihre Fähigkeit, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder wirksam zu fördern und zu wahren. Tarifautonomie steht von Verfassungs wegen nur solchen Koalitionen zu, die in der Lage sind, den von der staatlichen Rechtsordnung freigelassenen Raum des Arbeitslebens durch Tarifverträge sinnvoll zu gestalten. Voraussetzungen dafür sind die Geschlossenheit der Organisation und die Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler (vgl BVerfGE_58,233 <248 f> mwN). Gegnerfreiheit gehört zum Wesen der durch Art.9 Abs.3 GG geschützten Koalitionen (BVerfGE_18,18 <28>). Verbandsinterne Regularien, die diese Voraussetzungen sicherstellen sollen, sind daher zentrales Schutzgut des Art.9 Abs.3 GG. | |
Auch im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung fördern die Gewerkschaften die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder und nehmen damit eine verfassungsrechtlich geschützte Funktion wahr. Seit 1989 gibt ihnen das Betriebsverfassungsgesetz ( § 14 Abs.5) das Recht, sich an den Betriebsratswahlen mit eigenen Listen zu beteiligen. Die Glaubwürdigkeit ihrer Wahlaussagen und das Vertrauen in ihre Durchsetzungsfähigkeit hängen wesentlich von dem Eindruck ihrer Geschlossenheit ab. Konkurrierende Listen eigener Mitglieder wirken dem entgegen. Die abträgliche Wirkung strahlt auf das Gesamtbild der Gewerkschaft ab und berührt damit auch das Vertrauen in ihre Durchsetzungsfähigkeit bei Tarifauseinandersetzungen. | |
cc) Allerdings tritt das Recht der Beschwerdeführerin aus Art.9 Abs.3 GG in Widerstreit mit der individuellen Koalitionsfreiheit ihrer Mitglieder und kann hierbei Beschränkungen erfahren; denn auch das vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht des Art.9 Abs.3 GG kann zum Schutz anderer verfassungsrechtlich begründeter Positionen, insbesondere zum Ausgleich konkurrierender Positionen desselben Grundrechts, eingeschränkt werden (vgl BVerfGE_84,212 <228>). | |
Dem Schutz der individuellen Koalitionsfreiheit der Gewerkschaftsmitglieder kommt hier jedoch nur geringes Gewicht zu. Sie haben sich mit ihrem Beitritt zur Gewerkschaft freiwillig deren Satzungsautonomie unterworfen und die Verbindlichkeit ordnungsgemäß zustande gekommener Beschlüsse anerkannt. Im Gegenzug hatten sie die Gelegenheit, sich an der gewerkschaftsinternen Willensbildung zu beteiligen und so selbst auf deren Entscheidungen Einfluß zu nehmen. Der Wahlvorschlag der Beschwerdeführerin wird nach den Richtlinien der Beschwerdeführerin für die Vertrauensleutearbeit vom Vertrauenskörper unter der Leitung der Ortsverwaltung aufgestellt und beschlossen. Der Vertrauenskörper besteht aus den Vertrauensleuten, die auf betrieblicher Ebene von den Mitgliedern der Beschwerdeführerin gewählt werden. Die den Klägern wie allen Mitgliedern obliegende Solidaritätspflicht gegenüber den in satzungsgemäßen Verfahren zustande gekommenen Entscheidungen der Beschwerdeführerin ist vom Zweck der Koalition her sachlich begründet. Sie gilt wie dargelegt auch im Rahmen der Beteiligung der Gewerkschaft an der betrieblichen Mitbestimmung und dient letztlich auch der Förderung der Interessen der Kläger. Verstöße gegen die Solidaritätspflicht dürfen deshalb grundsätzlich zu verbandsinternen Sanktionen führen, ohne daß die individuelle Koalitionsfreiheit der betroffenen Mitglieder dadurch von vornherein verletzt wird. Dies gilt auch für den in § 20 Abs.2 BetrVG gewährten Schutz vor unzulässiger Wahlbeeinflussung. | |
Die mit § 20 Abs.2 BetrVG verfolgten Ziele sind zwar geeignet, die Position der Kläger zu verstärken. Sie wiegen aber in der vorliegenden Konstellation nicht besonders schwer. Das in § 20 Abs.2 BetrVG enthaltene generelle Verbot, die Betriebsratswahlen weder durch die Zufügung oder Androhung von Nachteilen noch durch die Gewährung oder das Versprechen von Vorteilen zu beeinflussen, dient der Integrität der Betriebsratswahl. Diese soll frei und ungehindert durchgeführt werden. Die Ausübung des passiven und des aktiven Wahlrechts soll allein auf der freien Entscheidung der Betriebsangehörigen beruhen und keiner Steuerung von dritter Seite unterliegen (vgl. BTDrucks I/1546, S.43; BTDrucks I/3585, S.5; Schneider, in: Däubler/Kittner/Klebe | |
Das Ziel der Regelung hat für sich genommen erhebliches Gewicht. Der Betriebsrat repräsentiert die gesamte Belegschaft und nimmt die Belange aller Beschäftigten wahr. Freie und unbehinderte Wahlen sind dafür unabdingbare Voraussetzung. | |
Das hier streitige Maßregelverbot ist diesem Ziel förderlich, indem es die betriebsangehörigen Mitglieder der Beschwerdeführerin bei der Ausübung ihres passiven Wahlrechts auch von einer Rücksichtnahme auf ihre Verbandssolidarität freistellt. Für das gesetzgeberische Ziel, die Glaubwürdigkeit und Legitimität der Wahl zu sichern, ist diese Ungebundenheit jedoch weniger bedeutsam. Zwar kann die Drohung mit einem Ausschluß oder einem Funktionsverbot die Entscheidung zur Kandidatur bei den Betriebsratswahlen beeinflussen. Dies nimmt dem Wahlakt aber nicht seine legitimierende Kraft. Denn der Gesetzgeber selbst hat den Gewerkschaften eine aktive Rolle bei der Betriebsratswahl eingeräumt. Dieser Rolle entspricht es, daß die Gewerkschaften dabei geschlossen auftreten und diese Geschlossenheit auch mit verbandsinternen Sanktionen zu verteidigen suchen." | |
Auszug aus BVerfG B, 24.02.99, - 1_BvR_123/93 -, www.BVerfG.de, Abs.22 ff | |
§§§ | |
99.009 | Allg-Verwaltungsvorschriften |
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Allgemeine Verwaltungsvorschriften für den Vollzug der Bundesgesetze durch die Länder im Auftrage des Bundes können gemäß Art.85 Abs.2 Satz 1 GG ausschließlich von der Bundesregierung als Kollegium mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden (Abweichung von BVerfGE_26,338 <399>). | |
* * * | |
Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
99.010 | Denkmalschutz |
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1) Denkmalschutzrechtliche Regelungen, die Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmen, sind mit Art.14 Abs.1 GG unvereinbar, wenn sie unverhältnismäßige Belastungen des Eigentümers nicht ausschließen und keinerlei Vorkehrungen zur Vermeidung derartiger Eigentumsbeschränkungen enthalten. | |
2) Ausgleichsregelungen, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderen Härtefällen wahren sollen, sind unzulänglich, wenn sie sich darauf beschränken, dem Betroffenen einen Entschädigungsanspruch in Geld zuzubilligen. Die Bestandsgarantie des Art.14 I 1 GG verlangt, daß in erster Linie Vorkehrungen getroffen werden, die eine unverhältnismäßige Belastung des Eigentümers real vermeiden und die Privatnützigkeit des Eigentums so weit wie möglich erhalten. | |
3) Wie der Gesetzgeber auf normativer Ebene mit der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums auch Voraussetzungen, Art und Umfang des Ausgleichs sonst unverhältnismäßiger Belastungen zu regeln hat, muß die Verwaltung bei der Aktualisierung der Eigentumsbeschränkung zugleich über den gegebenenfalls erforderlichen Ausgleich zumindest dem Grunde nach entscheiden. Die Voraussetzungen dafür muß der Gesetzgeber schaffen. | |
4) § 13 I 2 RhPfDenkmSchPflG ist mit der Eigentumsgarantie des Art.14 I GG unvereinbar. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
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T-99-04 | Verwaltungsakt: eigentumsbeschränkender |
II. "Nach diesen Grundsätzen steht § 13 Abs.1 Satz 2 DSchPflG mit Art.14 Abs.1 GG nicht im Einklang. | |
1. Die Regelung, die eine Berücksichtigung von Eigentümerbelangen - anders als andere Landesdenkmalschutzgesetze - nicht vorsieht, schränkt die Rechte der von ihr betroffenen Eigentümer in bestimmten Fallgestaltungen unverhältnismäßig stark ein. | |
a) Der Schutz von Kulturdenkmälern ist ein legitimes gesetzgeberisches Anliegen, Denkmalpflege eine Gemeinwohlaufgabe von hohem Rang, die einschränkende Regelungen im Sinne von Art.14 Abs.1 Satz 2 GG rechtfertigt. Die Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18.Mai 1947 (VOBl S.209, zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Oktober 1995 | |
b) Der Genehmigungstatbestand des § 13 Abs.1 Satz 2 DSchPflG ist geeignet und erforderlich, den Zweck des Gesetzes zu erfüllen. Da die Beseitigung eines Kulturdenkmals nur genehmigt werden darf, wenn andere Erfordernisse des Gemeinwohls die Belange des Denkmalschutzes überwiegen, und zu prüfen ist, ob den überwiegenden Erfordernissen des Gemeinwohls nicht auf andere Weise Rechnung getragen werden kann, ist die Bewahrung geschützter Kulturdenkmäler in allen sonstigen Fällen gesichert. Ein anderes, gleich wirksames, aber das Eigentum weniger beeinträchtigendes Mittel ist nicht erkennbar. | |
c) Die Anwendung der Norm führt im Regelfall auch nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Eigentümers im engeren Sinn. Dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung eines geschützten Denkmals kann nur durch Inpflichtnahme des Eigentümers des Grundstücks und Gebäudes Rechnung getragen werden, dessen Eigentum daher einer gesteigerten Sozialbindung unterliegt. Sie ergibt sich aus der Situationsgebundenheit, hier der Lage und Beschaffenheit des Grundstücks (vgl BVerwGE_94,1 <4>; BGHZ_105,15 <18> jeweils mwN; BayObLG, BayVBl 1999, S.251 <252>). | |
Durch das Beseitigungsverbot wird die bestehende Nutzung eines Baudenkmals nicht eingeschränkt. Angesichts des hohen Ranges des Denkmalschutzes und im Blick auf Art.14 Abs.2 Satz 2 GG muß der Eigentümer es grundsätzlich hinnehmen, daß ihm möglicherweise eine rentablere Nutzung des Grundstücks verwehrt wird. Art.14 Abs.1 GG schützt nicht die einträglichste Nutzung des Eigentums (vgl BVerfGE_91,294 <310>). | |
d) Anders liegt es aber, wenn für ein geschütztes Baudenkmal keinerlei sinnvolle Nutzungsmöglichkeit mehr besteht. Dazu kann es kommen, wenn die ursprüngliche Nutzung infolge geänderter Verhältnisse hinfällig wird und eine andere Verwendung, auf die der Eigentümer in zumutbarer Weise verwiesen werden könnte, sich nicht verwirklichen läßt. Wenn selbst ein dem Denkmalschutz aufgeschlossener Eigentümer von einem Baudenkmal keinen vernünftigen Gebrauch machen und es praktisch auch nicht veräußern kann, wird dessen Privatnützigkeit nahezu vollständig beseitigt. Nimmt man die gesetzliche Erhaltungspflicht hinzu, so wird aus dem Recht eine Last, die der Eigentümer allein im öffentlichen Interesse zu tragen hat, ohne dafür die Vorteile einer privaten Nutzung genießen zu können. Die Rechtsposition des Betroffenen nähert sich damit einer Lage, in der sie den Namen "Eigentum" nicht mehr verdient. Die Versagung einer Beseitigungsgenehmigung ist dann nicht mehr zumutbar. Erfordert das Allgemeinwohl nach Auffassung des Gesetzgebers dennoch die Erhaltung des geschützten Kulturdenkmals, wie es bei Bauwerken hoher kulturhistorischer Bedeutung denkbar ist, kann dies nur auf dem Wege der Enteignung (§ 30 Abs.1 Nr.1 DSchPflG) erreicht werden. | |
Wo die Grenze der Zumutbarkeit im einzelnen verläuft und in welchem Umfang Eigentümer von der zur Prüfung gestellten Norm in unzumutbarer Weise getroffen werden, kann offen bleiben. Die Verfassungswidrigkeit von § 13 Abs. 1 Satz 2 DSchPflG folgt bereits daraus, daß die Norm unverhältnismäßige Belastungen des Eigentümers nicht ausschließt und keinerlei Vorkehrungen zur Vermeidung derartiger Eigentumsbeschränkungen enthält. | |
2. An der Unverhältnismäßigkeit des Beseitigungsverbots in bestimmten Fallgruppen ändert sich durch § 31 Abs.1 Satz 2 DSchPflG nichts. Nach dieser sogenannten salvatorischen Klausel hat das Land eine angemessene Entschädigung zu leisten, wenn eine auf das Denkmalschutzgesetz gestützte Maßnahme zwar die bisherige Nutzung unberührt läßt (Satz 1), aber dennoch ("in sonstiger Weise") enteignend wirkt. Zwar kann der Gesetzgeber unzumutbare Auswirkungen einer den Inhalt des Eigentums bestimmenden Regelung grundsätzlich - wenngleich nicht uneingeschränkt - durch Ausgleichsmaßnahmen verhindern (a). § 31 Abs.1 Satz 2 DSchPflG kann diese Funktion aber nicht erfüllen, weil die Vorschrift den Anforderungen, die an eine Ausgleichsregelung zu stellen sind (b), nicht genügt (c). | |
a) Inhalts- und Schrankenbestimmungen, die für sich genommen unzumutbar wären, aber vom Gesetzgeber mit Ausgleichsmaßnahmen verbunden sind, können ausnahmsweise mit Art.14 Abs.1 GG im Einklang stehen. | |
aa) Es ist dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, eigentumsbeschränkende Maßnahmen, die er im öffentlichen Interesse für geboten hält, auch in Härtefällen durchzusetzen, wenn er durch kompensatorische Vorkehrungen unverhältnismäßige oder gleichheitswidrige Belastungen des Eigentümers vermeidet und schutzwürdigem Vertrauen angemessen Rechnung trägt (vgl BVerfGE_58,137 <149 f>; BVerfGE_79,174 <192>; BVerfGE_83,201 <212 f> ). Durch einen solchen Ausgleich kann in bestimmten Fallgruppen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer sonst unverhältnismäßigen oder gleichheitswidrigen Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art.14 Abs.1 Satz 2 GG herbeigeführt werden. | |
bb) Ausgleichsregelungen sind freilich nicht generell ein verfassungsrechtlich zulässiges Mittel, unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkungen mit Art.14 Abs.1 GG in Einklang zu bringen. Normen, die Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmen, müssen grundsätzlich auch ohne Ausgleichsregelungen die Substanz des Eigentums wahren und dem Gleichheitsgebot entsprechen (vgl BVerfGE_79,174 <198> mwN). Wo ausnahmsweise die Anwendung des Gesetzes zu einer unzumutbaren Belastung des Eigentümers führt, können Ausgleichsregelungen aber zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit und zum Ausgleich gleichheitswidriger Sonderopfer in Betracht kommen. | |
cc) Kompensatorische Maßnahmen helfen schließlich in den Fällen nicht weiter, in denen weder mit technischen oder administrativen noch mit finanziellen Mitteln ein Ausgleich gefunden werden kann, der dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht und damit vor Art.14 Abs.1 GG standhält. Eine solche Lage kann im hier einschlägigen Bereich etwa dann vorliegen, wenn der Erhaltung eines Denkmals in der gegebenen Situation verhältnismäßig geringes Gewicht zukommt, die Belange des Eigentümers aber besonders schutzwürdig und nicht rein finanzieller Natur sind. Für solche Härtefälle muß das Gesetz eine Beseitigung des Baudenkmals im Rahmen einer Dispensvorschrift zulassen, um uneingeschränkt mit der Eigentumsgarantie im Einklang zu stehen. | |
b) Ausgleichsregelungen im Anwendungsbereich des Art.14 Abs.1 Satz 2 GG müssen den folgenden Anforderungen entsprechen: | |
aa) Sie bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers. Er ist gehalten, die verfassungsrechtlichen Grenzen inhaltsbestimmender Gesetze zu wahren, und darf, wenn er ein zwingendes Verbot ausspricht, nicht darauf vertrauen, daß die Verwaltung oder die Gerichte Verletzungen der Eigentumsgarantie gegebenenfalls durch ausgleichende Vorkehrungen oder Geldleistungen vermeiden. Soweit kompensatorische Entschädigungsansprüche begründet werden sollen, kann dies ohnehin, auch mit Rücksicht auf das Budgetrecht des Parlaments, nur durch ein Gesetz geschehen. | |
bb) Ausgleichsregelungen, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderen Härtefällen wahren sollen, sind unzulänglich, wenn sie sich darauf beschränken, dem Betroffenen einen Entschädigungsanspruch in Geld zuzubilligen. Die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verlangt, daß in erster Linie Vorkehrungen getroffen werden, die eine unverhältnismäßige Belastung des Eigentümers real vermeiden und die Privatnützigkeit des Eigentums so weit wie möglich erhalten. Als Instrumente stehen dem Gesetzgeber hierfür Übergangsregelungen, Ausnahme- und Befreiungsvorschriften sowie der Einsatz sonstiger administrativer und technischer Vorkehrungen zur Verfügung. Ist ein solcher Ausgleich im Einzelfall nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich, kann für diesen Fall ein finanzieller Ausgleich in Betracht kommen, oder es kann geboten sein, dem Eigentümer einen Anspruch auf Übernahme durch die öffentliche Hand zum Verkehrswert einzuräumen. | |
cc) Wie der Gesetzgeber auf normativer Ebene mit der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums auch Voraussetzungen, Art und Umfang des Ausgleichs sonst unverhältnismäßiger Belastungen zu regeln hat, muß die Verwaltung bei der Aktualisierung der Eigentumsbeschränkung zugleich über den gegebenenfalls erforderlichen Ausgleich zumindest dem Grunde nach entscheiden (ebenso Hermes, NVwZ 1990, S.733 f). | |
Ein Eigentümer, der einen ihn in seinem Grundrecht aus Art.14 Abs.1 S.1 GG beeinträchtigenden Verwaltungsakt für unverhältnismäßig hält, muß ihn im Verwaltungsrechtsweg anfechten. Läßt er ihn bestandskräftig werden, so kann er eine Entschädigung auch als Ausgleich im Rahmen von Art.14 I 2 GG nicht mehr einfordern (vgl BVerfGE_58,300 (324) = NJW_82,745). Der Betroffene muß sich daher entscheiden, ob er den die Eigentumsbeschränkung aktualisierenden Eingriffsakt hinnehmen oder anfechten will. Diese Entscheidung kann er sinnvoll nur treffen, wenn er weiß, ob ihm ein Ausgleich zusteht. Es ist dem Betroffenen nicht zuzumuten, einen Verwaltungsakt, den er für unvereinbar mit der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes hält, in der unsicheren Erwartung eines nachträglich in einem anderen Verfahren zu bewilligenden Ausgleichs bestandskräftig werden zu lassen. Auch die Verwaltungsgerichte müssen, um die Rechtsmäßigkeit eines in Eigentumspositionen eingreifenden Verwaltungsaktes abschließend beurteilen zu können, wissen, ob und in welcher Weise eine anderenfalls unzumutbare Belastung ausgeglichen wird. | |
Der Gesetzgeber hat seine materiellrechtlichen Ausgleichsregelungen deshalb durch verwaltungsverfahrensrechtliche Vorschriften zu ergänzen, die sicherstellen, daß mit einem die Eigentumsbeschränkung aktualisierender Verwaltungsakt zugleich über einen dem belasteten Eigentümer gegebenenfalls zu gewährenden Ausgleich entschieden wird; bei finanzieller Kompensation ist zumindest dem Grunde nach über das Bestehen des Anspruchs zu entscheiden. | |
c) Die salvatorische Klausel des § 31 Abs.1 Satz 2 DSchPflG genügt diesen Anforderungen nicht. Weder sieht sie vor, daß eine verfassungswidrige Inanspruchname des Eigentums in erster Linie durch Ausnahme- und Befreiungsregelungen sowie sonstige administrative und technische Vorkehrungen vermieden werden soll, noch regelt sie das Verwaltungsverfahren so, daß dem Rechtsschutz des Betroffenen in der dargelegten Weise Rechnung getragen wird. Schon deshalb bietet sie keine verfassungsrechtlich ausreichende Grundlage, unverhältnismäßige Eingriffe aufgrund von § 13 Abs.1 Satz 2 DSchPflG auszugleichen. Ob für die Vorschrift, die weder als Grundlage einer Enteigungsentschädigung im Sinne von Art.14 Abs.3 Satz 2 und 3 GG noch als Ausgleichsregelung im Rahmen der gesetzlichen Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von Art.14 Abs.1 Satz 2 GG in Betracht kommt, angesichts ihres Wortlauts, der Gesetzessystematik und des Willens des Gesetzgebers überhaupt noch ein Anwendungsbereich verbleibt, ist von den zuständigen Gerichten zu entscheiden. III. | |
Die Unvereinbarkeit des § 13 Abs.1 Satz 2 DSchPflG mit Art.14 Abs.1 GG führt nicht zur Nichtigkeit der Vorschrift. Das Bundesverfassungsgericht kann von dem Ausspruch dieser Rechtsfolge absehen, wenn der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten hat, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. 107 | |
So liegt es hier. Die Nichtigkeit des § 13 Abs.1 Satz 2 DSchPflG hätte nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auffassung des vorlegenden Gerichts zur Folge, daß die Beseitigung eines geschützten Kulturdenkmals weiterhin genehmigungsbedürftig bliebe, die Denkmalschutzbehörde über einen entsprechenden Antrag aber nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden und dabei auch die Belange des Eigentümers zu berücksichtigen hätte. In Fällen, in denen dem Eigentümer die Erhaltung des Denkmals nicht zumutbar ist, müßte das Ermessen verfassungskonform dahin ausgeübt werden, daß die Genehmigung zum Abbruch des Denkmals erteilt wird. Damit wäre aber die Absicht des Gesetzgebers durchkreuzt, eine Beseitigung von Kulturdenkmälern nur im übergeordneten öffentlichen Interesse hinzunehmen, obwohl er seine Absicht - wie dargelegt - in verfassungskonformer Weise verwirklichen kann. Diese Alternative würde jedenfalls zeitweise versperrt, wenn § 13 Abs.1 Satz 2 DSchPflG für nichtig erklärt würde. | |
Dem Gesetzgeber wird eine Frist bis zum 30.Juni 2001 gesetzt, innerhalb derer er sich entscheiden muß, ob er den Denkmalschutz mit Hilfe von Befreiungs- und Ausgleichsregelungen soweit verfassungsrechtlich möglich aufrechterhalten oder ob er die vom Oberverwaltungsgericht für den Fall der Nichtigkeit des § 13 Abs.1 Satz 2 DSchPflG angenommene Rechtsfolge eintreten lassen und damit eine Beseitigung von Kulturdenkmälern hinnehmen will, wenn ihre Erhaltung dem Eigentümer nicht zugemutet werden kann. | |
Bis der Gesetzgeber eine Neuregelung getroffen hat - längstens bis zum Ablauf der Frist -, kann über Anträge auf Erteilung einer denkmalschutzrechtlichen Beseitigungsgenehmigung nicht abschließend entschieden werden, wenn die Beseitigung nicht im öffentlichen Interesse erlaubt werden soll. Sofern § 13 Abs.1 Satz 2 DSchPflG einer Beseitigung nicht im Wege steht, sind Positionen, die durch Art.14 Abs.1 GG geschützt werden, nicht beeinträchtigt. Das Grundgesetz steht daher einer weiteren Anwendung der Norm in diesem Umfang nicht entgegen. Beseitigungsgenehmigungen aus Rücksichtnahme auf die privaten Belange des Denkmaleigentümers können hingegen nicht erteilt werden, ohne den erkennbaren Zweck des Gesetzes zu vereiteln. Anhängige Genehmigungsverfahren und Verwaltungsrechtsstreitigkeiten sind längstens bis zum 30. Juni 2001 auszusetzen, wenn nicht vorher eine Neuregelung getroffen ist." | |
Auszug aus BVerfG B, 02.03.99, - 1_BvL_7/91 -, www.BVerfG.de, 86 ff | |
§§§ | |
99.011 | Montan-Mitbestimmung |
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1) Die Einbeziehung von Konzernobergesellschaften in die Sonderform der Montan-Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz ist mit Art.3 Abs.1 GG vereinbar, wenn sie einen ausreichenden Montan-Bezug aufweisen. | |
2) Einen solchen Bezug vermittelt zwar die in Nr.1 des § 3 Abs.2 Satz 1 Mitbestimmungsergänzungsgesetz bestimmte Montan-Umsatzquote, nicht aber die in Nr.2 dieser Vorschrift festgelegte Arbeitnehmerzahl. | |
3) Die in § 3 in Verbindung mit § 16 Mitbestimmungsergänzungsgesetz festgelegten unterschiedlichen Umsatzquoten für den Verbleib in der und den Eintritt in die Montan-Mitbestimmung sind mit Art.3 Abs.1 GG vereinbar. | |
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Urteil | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
99.012 | Gegenläufige Kindesentführung |
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Zur Zulässigkeit von nachträglichen Vollstreckungsanordnungen nach § 35 BVerfGG. | |
LB 2) Grundsätzlich kann das Bundesverfassungsgericht auch nachträglich Vollstreckungsanordnungen auf der Grundlage des § 35 BVerfGG treffen (vgl BVerfGE_6,300 <304>; BVerfGE_68,132 <140>). | |
LB 3) Allerdings darf die Vollstreckungsanordnung die Sachentscheidung, deren Vollstreckung sie dient, nicht ändern, modifizieren, ergänzen oder erweitern (vgl BVerfGE aaO). | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
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T-99-05 | Vollstreckungsanordnung |
Grründe " Das Verfahren betrifft den Erlaß einer Vollstreckungsanordung nach § 35 BVerfGG nach erfolgreicher Verfassungsbeschwerde. | |
1. Der Senat hat mit seiner Entscheidung vom 29.Oktober 1998 (2 BvR 1206/98, EuGRZ 1998, S. 612) die Rückführung zweier Kinder nach Frankreich auf der Grundlage des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (BGBl II 1990, S.206) davon abhängig gemacht, daß bei gegenläufigen Rückführungsanträgen das Kindeswohl besonders geprüft wird. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts wurde aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. | |
Das Oberlandesgericht hatte für den 5.Februar 1999 Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt. Der Antragsteller, der Beschwerdeführer zu 1., meldete die beiden Kinder krank und erschien nicht zum Termin. Mit Beschluß vom 5.Februar 1999 entzog das Oberlandesgericht ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die beiden Kinder und übertrug es dem Kreisjugendamt Diepholz. Dieses entschied, daß die Kinder bis auf weiteres beim Antragsteller verbleiben. | |
Das Oberlandesgericht hat für den 12.März 1999 erneut Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und das persönliche Erscheinen beider Eltern und der Kinder angeordnet. | |
2. Mit Schriftsatz vom 10.März 1999 beantragt der Beschwerdeführer zu 1.mit eingehender Begründung den Erlaß einer Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG, derzufolge die im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 29.Oktober 1998 angeordnete Zurückverweisung abgeändert und die Sache an das Oberlandesgericht eines anderen Bundeslandes verwiesen werden soll. | |
Der Antrag wird verworfen, weil er unzulässig ist. | |
1. Grundsätzlich kann das Bundesverfassungsgericht auch nachträglich Vollstreckungsanordnungen auf der Grundlage des § 35 BVerfGG treffen (vgl BVerfGE_6,300 <304>; BVerfGE_68,132 <140>). Allerdings darf die Vollstreckungsanordnung die Sachentscheidung, deren Vollstreckung sie dient, nicht ändern, modifizieren, ergänzen oder erweitern (vgl BVerfGE aaO). | |
2. Die begehrte Vollstreckungsanordnung würde über diese Grenzen hinausgehen. Mit dem Antrag wird das Bundesverfassungsgericht aufgefordert, eine vom Antragsteller prognostizierte, also zukünftige Entscheidung eines noch nicht abgeschlossenen fachgerichtlichen Verfahrens zu überprüfen. Hierdurch würde nicht nur der ursprüngliche Verfahrensgegenstand um den vom Antragsteller behaupteten Inhalt der noch nicht ergangenen fachgerichtlichen Entscheidung erweitert, sondern auch das Verhältnis von fachgerichtlichem und verfassungsgerichtlichem Rechtsschutz verkehrt. Das Bundesverfassungsgericht griffe in unzulässiger Weise in ein laufendes fachgerichtliches Verfahren ein. | |
Diese Entscheidung ist unanfechtbar." | |
Auszug aus BVerfG B, 11.03.99, - 2_BvR_1206/98 -, www.BVerfG.de, Abs.1 ff | |
§§§ | |
99.013 | Kosovo |
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Zur Zulässigkeit von Anträgen im Organstreitverfahren (§ 64 BVerfGG). | |
LB 2) Fraktionen des Deutschen Bundestages sind im Organstreitverfahren gemäß § 13 Nr.5, 63 ff BVerfGG parteifähig. Sie sind befugt, im eigenen Namen auch Rechte geltend zu machen, die dem Bundestag gegenüber einem möglichen Antragsgegner zustehen können (BVerfGE_90,286 <336>; stRspr). LB 2) Das Organstreitverfahren dient dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht einer allgemeinen Verfassungsaufsicht (vgl BVerfGE_68,1 <69 ff>). | |
LB 3) Die Antragstellerin ist auch nicht in ihren eigenen Rechten als Bundestagsfraktion verletzt. Als derartige Rechte kommen nur solche im innerparlamentarischen Raum, nicht aber im Verhältnis zwischen Parlament und Regierung in Betracht (vgl BVerfGE_91,246 <250 f>). | |
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T-99-06 | Organstreitverfahren-Anträge |
B. " Der Antrag zur Hauptsache ist unzulässig. Die Antragstellerin ist nicht antragsbefugt, weil weder ihre eigenen noch die Rechte des Deutschen Bundestages verletzt sein können. | |
1. Fraktionen des Deutschen Bundestages sind im Organstreitverfahren gemäß §§ 13 Nr.5, 63 ff BVerfGG parteifähig. Sie sind befugt, im eigenen Namen auch Rechte geltend zu machen, die dem Bundestag gegenüber einem möglichen Antragsgegner zustehen können (BVerfGE_90,286 <336>; stRspr). | |
2. Die antragstellende Fraktion hat jedoch nicht dargelegt, daß der Bundestag durch die angegriffenen Maßnahmen in Rechten verletzt sein könnte, die ihm durch das Grundgesetz übertragen worden sind (§ 64 Abs.1 BVerfGG). Das Organstreitverfahren dient dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht einer allgemeinen Verfassungsaufsicht (vgl BVerfGE_68,1 <69 ff>). | |
a) Das Grundgesetz ermächtigt den Bund, Streitkräfte zur Verteidigung aufzustellen und sich Systemen kollektiver Selbstverteidigung und gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzuschließen. Darin ist auch die Befugnis eingeschlossen, sich mit eigenen Streitkräften an Einsätzen zu beteiligen, die im Rahmen solcher Systeme vorgesehen sind und nach ihren Regeln stattfinden. Allerdings bedarf der Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages (BVerfGE_90,286 <381 ff>). Diese Zustimmung hat der Bundestag erteilt. | |
aa) Der 13.Bundestag hat am 16.Oktober 1998 militärischen Maßnahmen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo zugestimmt. Dieser Beschluß ermächtigt zu Luftoperationen der NATO, die in Phasen durchzuführen sind. Bei diesem Beschluß war dem Bundestag bewußt, daß der Einsatz aller Voraussicht nach ohne eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durchgeführt werden würde. Die Bundesregierung hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sie dennoch einen Militäreinsatz der NATO für gerechtfertigt hielt (vgl BTDrucks 13/11469, S.2). Der Beschluß vom 16.Oktober 1998 deckt damit die gegenwärtigen Luftangriffe der NATO. | |
bb) Die neueren Beschlüsse des 14.Bundestages haben den ersten Beschluß vom 16.Oktober nicht verdrängt oder modifiziert. Sie beziehen sich auf spezielle Einzelfragen: auf ein Luftüberwachungsverfahren, welches mit Jugoslawien vereinbart worden war (BTDrucks 14/16), auf den Schutz der OSZE-Mission im Kosovo durch NATO-Einheiten in Mazedonien (BTDrucks 14/47) und auf die Umsetzung eines Rambouillet-Abkommens (BTDrucks 14/397 ). | |
Die späteren Beschlüsse nehmen auf den Beschluß vom 16.Oktober 1998 Bezug und machen damit deutlich, daß auch der 14.Deutsche Bundestag an dem Beschluß zu einer militärischen Operation zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe festhält. | |
Damit sind - ungeachtet der Frage, ob Art.25 GG, der das allgemeine Völkerrecht, nicht das Völkervertragsrecht betrifft (Steinberger, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, in: HStR Bd.VII, § 173 Rn.9; Pernice, Art.25 Rn.17, in: Dreier | |
b) Auch Rechte des Deutschen Bundestages in einem Verfahren zur Änderung des Grundgesetzes (Art.79 Abs.2 und 3 GG) sind nicht berührt. Selbst für den Fall eines Verstoßes gegen das Grundgesetz hat kein Mitglied des Bundestages die Einleitung eines Änderungsverfahrens auch nur erwogen. | |
3. Die Antragstellerin ist auch nicht in ihren eigenen Rechten als Bundestagsfraktion verletzt. Als derartige Rechte kommen nur solche im innerparlamentarischen Raum, nicht aber im Verhältnis zwischen Parlament und Regierung in Betracht (vgl BVerfGE_91,246 <250 f>). Zwar trägt die Antragstellerin vor, der Deutsche Bundestag habe selbst ultra vires gehandelt, als er die Beschlüsse zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte gefaßt habe. Eine solche Rechtsverletzung könnte jedoch nicht im Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung, erst recht nicht gegen den Bundesminister der Verteidigung (vgl BVerfGE_90,286 <338>) geltend gemacht werden, sondern allenfalls in einem Verfahren gegen den Deutschen Bundestag. Auch für dieses Verfahren fehlte es jedoch an der Antragsbefugnis, weil die verfassungsrechtliche Ermächtigung des Bundes, Streitkräfte in einem System kollektiver Sicherheit einzusetzen, grundsätzlich geklärt ist (BVerfGE 90, 286) und die Rechte der antragstellenden Fraktion sich insoweit auf eine ordnungsgemäße Beteiligung an dem Verfahren beschränken, in dem der Bundestag dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte seine vorherige konstitutive Zustimmung erteilt hat. | |
4. Mit der Verwerfung des Antrags in der Hauptsache erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung." | |
Auszug aus BVerfG B, 25.03.99, - 2_BvE_5/99 -, www.BVerfG.de, Abs.11 ff | |
§§§ | |
99.014 | Greenpeace-Plakataktion |
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LB 1) Die Plakataktion der Umweltschutzorganisation Greenpeace, bei der unter namentlicher Bezeichnung und Abbildung eines Porträts des Vorstandsvorsitzend eines deutschen FCKW-produzierenden Unternehmens die FCKW-Produktion des Unternehmens kritisiert wird, stellt keinen unzulässigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens dar. | |
LB 2) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfaßt unter anderem das Recht am eigenen Bild (vgl BVerfGE_34,238 <246>) und die Freiheit zu entscheiden, wie man sich in der Öffentlichkeit darstellt (vgl BVerfGE_35,202 <220>). | |
LB 3) Es verleiht seinem Träger aber keinen Anspruch, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder von anderen gesehen werden möchte. Wohl schützt es ihn gegenüber entstellenden und verfälschenden Darstellungen sowie gegenüber Darstellungen, die die Persönlichkeitsentfaltung erheblich beeinträchtigen können (vgl BVerfGE_97,391 <403>). | |
LB 4) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Es findet seine Grenzen nach Art.2 Abs.1 GG in den Rechten anderer, zu denen auch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art.5 Abs.1 Satz 1 GG gehört. | |
LB 5) Bei Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften haben die Zivilgerichte dem Grundrecht der Meinungsfreiheit Rechnung zu tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl BVerfGE_7,198 <208>). Das verlangt regelmäßig eine Abwägung zwischen den beiderseitigen Grundrechtspositionen, die im Rahmen der Tatbestandsmerkmale der einschlägigen zivilrechtlichen Normen vorzunehmen ist und die Umstände des Einzelfalls berücksichtigen muß. | |
LB 6) Beim Ergebnis dieser Abwägung kommt der Meinungsfreiheit kein genereller Vorrang zu. Bei der Erörterung von Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren, spricht aber eine Vermutung für die freie Rede (vgl BVerfGE_93;266 <294 f>). | |
LB 7) Seitens des Persönlichkeitsschutzes kann auch ins Gewicht fallen, ob von Form oder Inhalt der Meinungsäußerung eine Prangerwirkung ausgeht (vgl BVerfGE_97,391 <406>). | |
LB 8) Die Personalisierung eines Sachanliegens in anklagender Weise ist aber in solch unterschiedlicher Form und Intensität möglich, daß es nicht gerechtfertigt wäre, die Meinungsfreiheit hier - wie bei Angriffen auf die Menschenwürde, Formalbeleidigungen oder Schmähungen (vgl BVerfGE_93,266 <293 f>) - stets zurücktreten zu lassen. | |
LB 9) Auch insoweit ist vielmehr eine Abwägung erforderlich, bei der es eine Rolle spielt, ob die Privatsphäre des Betroffenen oder sein öffentliches Wirken mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen von der Äußerung ausgehen können. | |
LB 10) Das Plakat tangiert den Beschwerdeführer nicht in seiner Menschenwürde. Er wird zwar persönlich angegriffen, nicht aber seiner personalen Würde entkleidet. Das ergibt sich schon daraus, daß insgesamt der Sachbezug für das Plakat bestimmend bleibt. | |
LB 11) Es liegt auch keine Schmähung vor. Um Schmähkritik handelt es sich nur dann, wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht (vgl BVerfGE_93,266 <294>). | |
LB 12) Das Bundesverfassungsgericht hält es seit jeher für einen abwägungsrelevanten Gesichtspunkt, wenn sich jemand aus eigenem Entschluß den Bedingungen des Meinungskampfs unterworfen hat (vgl BVerfGE_54,129 <138>). | |
LB 13) Auch gegenüber anprangernden Darstellungen, die mit massiven Persönlichkeitsbeeinträchtigungen verbunden sind muss die Meinungsfreiheit nicht zurücktreten wenn die Sachbezogenheit im Vordergrund steht. | |
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T-99-07 | Anprangern mit Bild |
II. "Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs.2 Buchstabe a BVerfGG). Sie betrifft das Verhältnis von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz. Insoweit sind die verfassungsrechtlichen Maßstäbe geklärt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93a Abs.2 Buchstabe b BVerfGG). Das Urteil des Bundesgerichtshofs verletzt den Beschwerdeführer weder in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht noch in seiner Menschenwürde. | |
1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers aus Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG wird durch die angegriffene Entscheidung allerdings berührt. Es umfaßt unter anderem das Recht am eigenen Bild (vgl BVerfGE_34,238 <246>) und die Freiheit zu entscheiden, wie man sich in der Öffentlichkeit darstellt (vgl BVerfGE_35,202 <220>). Dagegen verleiht es seinem Träger keinen Anspruch, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder von anderen gesehen werden möchte. Wohl aber schützt es ihn gegenüber entstellenden und verfälschenden Darstellungen sowie gegenüber Darstellungen, die die Persönlichkeitsentfaltung erheblich beeinträchtigen können (vgl BVerfGE_97,391 <403>). Die angegriffene Entscheidung, die den Beschwerdeführer zur Duldung der Plakataktion verpflichtet, die ihn unter Verwendung seines Portraits wegen unternehmerischer Entscheidungen kritisiert, beeinträchtigt ihn in diesem Recht. | |
2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Es findet seine Grenzen nach Art.2 Abs.1 GG in den Rechten anderer, zu denen auch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art.5 Abs.1 Satz 1 GG gehört. Dieses Recht ist freilich seinerseits kein schrankenloses. Gemäß Art.5 Abs.2 GG unterliegt es vielmehr den Beschränkungen, die sich aus den allgemeinen Gesetzen ergeben, zu denen die §§ 22 und 23 KUG gehören, die dem verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsrecht zivilrechtlichen Ausdruck verleihen. | |
Die Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften ist Sache der Zivilgerichte. Sie haben dabei jedoch dem Grundrecht der Meinungsfreiheit Rechnung zu tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl BVerfGE_7,198 <208>). Das verlangt regelmäßig eine Abwägung zwischen den beiderseitigen Grundrechtspositionen, die im Rahmen der Tatbestandsmerkmale der einschlägigen zivilrechtlichen Normen vorzunehmen ist und die Umstände des Einzelfalls berücksichtigen muß. | |
Das Ergebnis dieser Abwägung läßt sich wegen des Einzelfallbezugs nicht generell und abstrakt vorwegnehmen. Insbesondere kommt dabei der Meinungsfreiheit kein genereller Vorrang zu. Zwar spricht bei der Erörterung von Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren, eine Vermutung für die freie Rede (vgl BVerfGE_93,266 <294 f>; stRspr). Doch kann diese Vermutung durch hinreichend gewichtige Gründe des Persönlichkeitsschutzes überwunden werden. Im einzelnen kommt es auf die Einbußen an, die einerseits der Meinungsfreiheit durch ein Verbot der Äußerung, andererseits dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht durch die Pflicht zur Duldung der Äußerung drohten. | |
Dabei kann auf seiten des Persönlichkeitsschutzes auch ins Gewicht fallen, ob von Form oder Inhalt der Meinungsäußerung eine Prangerwirkung ausgeht (vgl BVerfGE_97,391 <406>). Die Personalisierung eines Sachanliegens in anklagender Weise ist aber in solch unterschiedlicher Form und Intensität möglich, daß es nicht gerechtfertigt wäre, die Meinungsfreiheit hier - wie bei Angriffen auf die Menschenwürde, Formalbeleidigungen oder Schmähungen (vgl BVerfGE_93,266 <293 f>) - stets zurücktreten zu lassen. Auch insoweit ist vielmehr eine Abwägung erforderlich, bei der es eine Rolle spielt, ob die Privatsphäre des Betroffenen oder sein öffentliches Wirken mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen von der Äußerung ausgehen können. | |
3. Gemessen an diesen Maßstäben begegnet das Urteil des Bundesgerichtshofs keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. | |
a) Die Feststellung des Bundesgerichtshofs, die Plakataktion von Greenpeace sei weder als Angriff auf die Menschenwürde des Beschwerdeführers noch als Schmähung einzustufen, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Das Plakat tangiert den Beschwerdeführer nicht in seiner Menschenwürde. Er wird zwar persönlich angegriffen, nicht aber seiner personalen Würde entkleidet. Das ergibt sich schon daraus, daß insgesamt der Sachbezug für das Plakat bestimmend bleibt. Aus demselben Grund liegt auch keine Schmähung vor. Um Schmähkritik handelt es sich nur dann, wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht (vgl BVerfGE_93,266 <294>). Das ist - wie der Bundesgerichtshof zu Recht festgestellt hat - bei dem umstrittenen Plakat nicht der Fall. Allein die FCKW-Produktion ist das Thema des Plakats. Die Person des Beschwerdeführers spielt nur insoweit eine Rolle, als dieser als verantwortlicher Entscheidungsträger für die FCKW-Produktion hingestellt wird. | |
b) Der Bundesgerichtshof hat bei seiner Abwägung die Bedeutung und Tragweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht verkannt. | |
Allerdings war der von dem Plakat ausgehende Angriff auf den Beschwerdeführer massiv. Er blieb nicht abstrakt. Das Plakat zielte unmittelbar auf die Person des Beschwerdeführers, wenn auch in seiner Eigenschaft als Vorstandsvorsitzender der Hoechst AG. Der Angriff wurde durch das Zusammenspiel von Bild und Wort sowie die satirischen Elemente verstärkt. Das Plakat bezweckte die Personalisierung der Sachproblematik. Der Bundesgerichtshof hat die damit einhergehenden Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers jedoch berücksichtigt. Er hat in seine Abwägung auch eingestellt, daß von der Plakataktion eine Beeinträchtigung der Privatsphäre des Beschwerdeführers ausgehen konnte, eine Kausalität gerade des Plakats für eine Bedrohungslage aber verneint. Dabei handelt es sich um eine Würdigung des Sachverhalts, die vom Bundesverfassungsgericht nicht nachzuprüfen ist. | |
Der Bundesgerichtshof hat andererseits erhebliche Gesichtspunkte angeführt, die für einen Vorrang der Meinungsfreiheit sprechen. Das gilt vor allem für die Erwägung, das Plakat betreffe eine Frage von herausragender umweltpolitischer Bedeutung. Die Problematik eines FCKW-Verbots wurde zu Beginn der 90er Jahre ausgiebig und höchst kontrovers in Politik und Gesellschaft diskutiert. Mit der Plakataktion verfolgte Greenpeace ersichtlich das Ziel, in dieser die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Druck auf Unternehmen auszuüben, welche noch FCKW produzierten. Zu Recht hat der Bundesgerichtshof betont, daß sich eine Person, die sich kraft ihrer Stellung Entscheidungen von solcher Tragweite, wie sie hier zur Debatte stünden, zurechnen lassen müsse, in besonderer Weise der Kritik zu stellen habe. | |
Der Bundesgerichtshof hat ferner darauf abgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht als Privatperson, sondern als verantwortlicher Unternehmensführer angegriffen worden sei. Eine unzulässige "Aufspaltung" der Persönlichkeit des Beschwerdeführers ist darin nicht zu sehen. Grundrechtsschutz kommt dem Beschwerdeführer zwar als Person zu. Die Reichweite des Persönlichkeitsschutzes bleibt von der Funktion, welche eine Person ausübt, aber nicht unberührt. Überdies hat der Bundesgerichtshof betont, daß der Beschwerdeführer sich selbst mit verschiedenen Stellungnahmen zur FCKW-Problematik in die öffentliche Diskussion eingeschaltet habe. Auch diese Erwägung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht hält es seit jeher für einen abwägungsrelevanten Gesichtspunkt, wenn sich jemand aus eigenem Entschluß den Bedingungen des Meinungskampfs unterworfen hat (vgl BVerfGE_54,129 <138>). | |
Schließlich hat der Bundesgerichtshof geprüft, ob in der anprangernden Darstellung des Beschwerdeführers eine derart schwere Persönlichkeitsbeeinträchtigung zu sehen sei, daß die Meinungsfreiheit dahinter zurückzutreten habe, die Frage jedoch im Ergebnis verneint. Auch das läßt sich verfassungsrechtlich nicht beanstanden. Die von dem Plakat ausgehende Persönlichkeitsbeeinträchtigung war zwar massiv, blieb aber sachbezogen. Der Beschwerdeführer wurde nur in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender eines FCKW-produzierenden Unternehmens angegriffen. Die abgedruckte Telefonnummer führte zur Presseabteilung der Hoechst AG, nicht zum Beschwerdeführer persönlich. Bei dieser Sachlage erscheint die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers und der Meinungsfreiheit des Beklagten des Ausgangsverfahrens jedenfalls vertretbar." | |
Auszug aus BVerfG B, 08.04.99, - 1_BvR_2126/93 -, www.BVerfG.de, Abs.26 ff | |
§§§ | |
99.015 | Gericht: Fernsehaufnahmen |
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LB 1) Zur Folgenabwägung im Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, durch die Fernsehaufnahmen während der mündlichen Verhandlung im "Kruzifix-Verfahren" vor dem BVerwG erlaubt werden sollte. | |
LB 2) Der Umstand, daß die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall nicht von einem Strafprozeß, sondern von einer Revisionsverhandlung des Bundesverwaltungsgerichts berichten möchte, ändert nichts daran, daß die Persönlichkeitsbelange der Verfahrensbeteiligten zu schützen sind. | |
LB 3) Auch im Verwaltungsprozeß ist jedenfalls eine Partei häufig eine natürliche Person, und auch die Interessen von öffentlichen Körperschaften werden von natürlichen Personen vertreten, deren Persönlichkeitsrechte zu berücksichtigen sind. Schließlich sind die Persönlichkeitsbelange aller anderen zu beachten. Daß auch vor dem BVerwG Verhandlungen stattfinden, die einen erheblichen Persönlichkeitsbezug aufweisen können, zeigt gerade das "Kruzifix-Verfahren", in dem nicht zuletzt religiöse Überzeugungen, also ein Belang mit besonders intensivem Persönlichkeitsbezug, bei der rechtlichen Argumentation eine Rolle spielen. | |
LB 4) Wägt man die Folgen ab, wiegen die Nachteile, die ntv im Fall der Ablehnung einer eA drohen, weniger schwer als die Nachteile im Fall eines Erlasses. | |
§§§ | |
99.016 | Minderheitenaktionär |
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LB 1) Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich zulässiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums im Aktienrecht sind Sache der Zivilgerichte. Diese müssen dabei aber dem durch die zivilrechtlichen Normen ausgestalteten oder eingeschränkten Grundrecht Rechnung tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt. | |
LB 2) Bei Ausgleich und Abfindung von außenstehenden oder ausgeschiedenen Aktionären verlangt Art.14 Abs.1 GG vor allem, daß in Anwendung der §§ 304, 305, 320b AktG der volle Ausgleich für den von den Minderheitsaktionären hinzunehmenden Verlust nicht verfehlt wird. | |
LB 3) Die von Art.14 Abs.1 GG geforderte "volle" Entschädigung darf jedenfalls nicht unter dem Verkehrswert liegen. Dieser kann bei börsennotierten Unternehmen nicht ohne Rücksicht auf den Börsenkurs festgesetzt werden. | |
LB 4) Dementsprechend gehen Judikatur und Literatur davon aus, daß die Entschädigung nur dann als "volle" bezeichnet werden kann, wenn sie den "wirklichen" oder "wahren" Wert der Unternehmensbeteiligung an dem arbeitenden Unternehmen unter Einschluß der stillen Reserven und des inneren Geschäftswerts widerspiegelt (vgl etwa BGHZ_71,40 <51>; Krieger, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd.4, 1988,70 Rn.80). | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
99.017 | Lohnabstandsklauseln |
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1) Gesetzliche Regelungen, die befristet Zuschüsse für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen an die Vereinbarung von untertariflichen Entgelten knüpfen (Lohnabstandsklauseln), greifen zwar in die Tarifautonomie der Arbeitnehmerkoalitionen ein, können aber zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit gerechtfertigt sein. | |
2) § 275 Abs.2 in Verbindung mit § 265 Abs.1 Satz 1 SGB III ist ebenso wie seine Vorläuferregelungen mit Art.9 Abs.3 GG vereinbar. | |
§§§ | |
99.018 | Rentenüberleistung II |
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1) Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des § 6 Abs.2 und des § 6 Abs.3 Nr.7 AAÜG in der Fassung des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes über die Berücksichtigung von Arbeitsentgelten oder Arbeitseinkommen zusatz- und sonderversorgter Personen in der gesetzlichen Rentenversicherung. | |
2) Dem Gesetzgeber ist es von Verfassungs wegen nicht verwehrt, bei der Berechnung der Rente nach dem SGB VI die in der Deutschen Demokratischen Republik erzielten Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen von Angehörigen bestimmter Versorgungssysteme und von Inhabern bestimmter Funktionen auch unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze unberücksichtigt zu lassen, soweit sie nicht auf Arbeit und Leistung beruhten und deshalb überhöht waren. Die Bestimmung der Erhöhungstatbestände und die daran geknüpften Folgen für die Berücksichtigung der Arbeitsverdienste müssen aber in den tatsächlichen Verhältnissen eine Entsprechung finden, um dem Gleichheitsgebot des Art.3 Abs.1 GG zu genügen. | |
LB 3) § 6 Abs.2 (in Verbindung mit den Anlagen 4, 5 und 8) und § 6 Abs.3 Nr.7 AAÜG in der Fassung des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes waren bis zum 30.Juni 1993 verfassungsmäßig. Danach verstießen sie gegen das Grundgesetz. | |
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Urteil | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
99.019 | Rentenüberleitung I |
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1) Die in der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen und im Einigungsvertrag nach dessen Maßgaben als Rechtspositionen der gesamtdeutschen Rechtsordnung anerkannten Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen genießen den Schutz des Art.14 Abs.1 Satz 1 GG. | |
2) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß die in der Deutschen Demokratischen Republik bestehenden Zusatz- und Sonderversorgungssysteme geschlossen und die darin erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung überführt wurden. Die Vorschrift des Einigungsvertrages über die Zahlbetragsgarantie ist jedoch verfassungskonform dahin auszulegen, daß der hier garantierte Zahlbetrag für Bestandsrentner ab 1.Januar 1992 an die Lohn- und Einkommensentwicklung anzupassen ist. | |
3) Die Regelung des § 10 Abs.1 Satz 2 AAÜG über die vorläufige Zahlbetragsbegrenzung verstößt gegen Art.14 Abs.1 GG und ist nichtig. | |
4) Die bis zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der Deutschen Demokratischen Republik in die gesetzliche Rentenversicherung - als Norm des Bundesrechts weitergeltende - Vorschrift des § 23 Abs.1 RAnglG und die Übergangsbestimmungen des § 6 1.RAV und des § 8 2.RAV sind mit dem Grundgesetz vereinbar. | |
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Urteil | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
99.020 | Rentenüberleistung IV |
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1) Die durch § 7 Abs.1 Satz 1 AAÜG (in Verbindung mit Anlage 6) für Angehörige des Sonderversorgungssystems des Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit vorgenommene Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen auf 70 vom Hundert des jeweiligen Durchschnittsentgelts im Beitrittsgebiet ist mit Art.3 Abs.1 und Art.14 GG nicht vereinbar und nichtig, soweit für die Rentenberechnung das zugrunde zu legende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen unter das jeweilige Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet abgesenkt wird. | |
2) Die Vorschrift des § 10 Abs.2 Satz 1 Nr.1 AAÜG über die Begrenzung von Zahlbeträgen der Leistungen des Sonderversorgungssystems des Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit auf 802 DM monatlich bei Versichertenrenten verstößt gegen Art.14 GG und ist nichtig. | |
3) Die pauschale Kürzung von Versorgungsleistungen aus dem genannten Versorgungssystem nach dem als Bundesrecht fortgeltenden Gesetz der Deutschen Demokratischen Republik über die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit ist mit dem Grundgesetz vereinbar. | |
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Urteil | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
99.021 | Rentenüberleistung III |
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Es ist mit Art.3 Abs.1 GG unvereinbar, daß bei der Neuberechnung von Bestandsrenten aus Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem der Deutschen Demokratischen Republik für die Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte (Ost) die während der gesamten Versicherungszeit bezogenen tatsächlichen Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt werden, während für die sonstigen Bestandsrentner im Beitrittsgebiet nach § 307a Abs.2 Satz 1 SGB VI ein 20-Jahres-Zeitraum maßgeblich ist. | |
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Urteil | |
§§§ | |
99.022 | Heidemörder |
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LB 1) Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen ein zivilgerichtliche Entscheidung, in der ein Presseverlag zur Auskunftserteilung über die Person des Lieferanten mehrer vom Verlag veröffentlichter Fotos verurteilt worden ist. | |
LB 2) Die in Art.5 Abs.1 Satz 2 GG verbürgte Pressefreiheit schützt die Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung ( BVerfGE_66,116 <133>). | |
LB 3) Art.5 Abs.1 Satz 2 GG schützt im Interesse eines breiten Informationsflusses auch die Vertraulichkeit zwischen Presse und ihren Informanten (vgl BVerfGE_77,65 <74 f>; BVerfGE_95,220 <238>). | |
LB 4) Dieser Schutz erstreckt sich auch auf die Bildberichterstattung. | |
LB 5) Die Pressefreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet, vielmehr findet sie nach Art.5 Abs.2 GG ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Hierzu gehört auch § 101a UrhG auf den die Zivilgerichte ihre Verurteilung zur Auskunftserteilung gestützt haben. | |
LB 6) Soweit es um eine Auskunftsverpflichtung der Presse geht, verlangt dies aufgrund der interpretationsleitenden Berücksichtung der Grundrechte eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Pressefreiheit auf der einen und dem Rang des von der privatrechtlichen Norm geschützten Rechtsguts auf der anderen Seite. | |
LB 7) Der Auskunftsanspruch des § 101a UrhG hat das Ziel, dem Urheberrechtsinhaber die Aufdeckung von Quellen und Vertriebswegen von schutzrechtsverletzender Ware zu ermöglichen und damit einer unabhängig von der Handlung des Schädigers fortbestehenden Gefährdung durch das Verhalten anderer begegnen zu können. | |
LB 8) Der Verhältnismäßigkeitsvorbehalt in § 101a UrhG gibt im Rahmen der Anwendung der Norm den Raum für die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen den durch den Schutzzweck der Regelung erfaßten Belangen des Auskunftsberechtigten und den mit einer Auskunftspflicht der Presse einhergehenden Auswirkungen auf die Pressefreiheit. | |
LB 9) Das Ergebnis dieser Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Namentlich ist es von Verfassungs wegen nicht ausgeschlossen, daß im Einzelfall dem Schutzbedürfnis des Urheberrechtsinhabers der Vorrang vor dem Geheimhaltungsinteresse der Presse eingeräumt wird. | |
LB 10) Soweit Presseangehörige damit zu Auskünften gezwungen werden können, deren Preisgabe sie als Zeuge verweigern dürften, bestehen hiergegen verfassungsrechtliche Einwände nicht. | |
LB 11) Während die Zeugnispflicht die Möglichkeit justizförmiger Sachaufklärung sichern soll und Ausnahmen zugunsten der Presse ihren Grund darin haben, daß die Belange der Pressefreiheit aufgrund einer Wertung des Gesetzgebers der Wahrheitserforschung generell vorgehen (vgl BVerfGE_36,193 <203 f>), knüpft der Auskunftsanspruch an eine von der Presse selbst begangene Urheberrechtsverletzung und die dadurch gegebenenfalls zutage getretene Gefahr weiterer Beeinträchtigungen einer durch Art.14 GG geschützten vermögenswerten Position eines anderen an. Aufgrund dieser unterschiedlichen Interessenlage ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, die materiellrechtliche Auskunftspflicht generell in Kongruenz zu den verfahrensrechtlichen Zeugnisverweigerungsrechten zu begrenzen. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
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T-99-08 | Pressefreiheit + Auskunftspflicht |
"Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art.5 Abs.1 Satz 2 GG angezeigt ist ( § 93a Abs.2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor ( § 93c BVerfGG). Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden ( § 93c Abs.1 Satz 1 und 2 BVerfGG). | |
1. Die Verurteilung zur Auskunftserteilung über die Person des Lieferanten der veröffentlichten Fotos verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art.5 Abs.1 Satz 2 GG. | |
a) Die Verpflichtung zur Auskunftserteilung berührt das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf Pressefreiheit. | |
Die in Art.5 Abs.1 Satz 2 GG verbürgte Pressefreiheit schützt die Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung ( BVerfGE_66,116 <133>). Die Presse trägt durch Information und Kritik zur freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung bei. Sie ist dafür auf möglichst ungehinderte Beschaffung von Wissen angewiesen. Art.5 Abs.1 Satz 2 GG schützt deshalb im Interesse eines breiten Informationsflusses auch die Vertraulichkeit zwischen Presse und ihren Informanten (vgl BVerfGE_77,65 <74 f>; BVerfGE_95,220 <238>). Jeder Zwang zur Auskunft hebt die Vertraulichkeit auf und ist damit geeignet, den für die Funktion der Presse unerläßlichen Informationsfluß zu behindern. | |
Dieser Schutz erstreckt sich auch auf die hier in Rede stehende Bildberichterstattung. Dabei kommt es nicht darauf an, welcher Informationsgehalt mit der Veröffentlichung der Fotos verbunden war. Die Pressefreiheit ist für alle Presseveröffentlichungen gewährt und kann nicht von einer Bewertung des Druckerzeugnisses abhängig gemacht werden (vgl BVerfGE_66,116 <134>). Dies gilt unabhängig von der Eigenart des Publikationsorgans und der Ernsthaftigkeit de Informationsvermittlung (vg BVerfGE_97,125 r <154>). Erwägungen dieser Art können allenfalls im Rahmen de Prüfung (zulässiger) rechtlicher Einschränkungen Berücksichtigun finden (vgl BVerfGE_66,116 <134>), aber nicht dazu führen, die Berichterstattung und die ihr vorausgehende Informationsbeschaffung dem Schutzbereich des Grundrechts zu entziehen. | |
b) Die Pressefreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Sie findet nach Art.5 Abs.2 GG ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Hierzu gehört § 101a UrhG, auf den die Zivilgerichte ihre Verurteilung zur Auskunftserteilung gestützt haben und gegen den verfassungsrechtliche Einwände von der Beschwerdeführerin nicht erhoben werden. Auslegung und Anwendung der Vorschrift des § 101a UrhG sind Sache der dafür zuständigen Zivilgerichte. Doch müssen diese die betroffenen Grundrechte interpretationsleitend berücksichtigen, damit deren wertsetzender Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl BVerfGE_7,198 <205 ff>). Soweit es um eine Auskunftsverpflichtung der Presse geht, verlangt dies in der Regel eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Pressefreiheit auf der einen und dem Rang des von der privatrechtlichen Norm geschützten Rechtsgutes auf der anderen Seite. | |
Hierbei fällt im Bereich der Pressefreiheit ins Gewicht, daß grundsätzlich eine intakte und gesicherte Vertraulichkeitssphäre unerläßliche Voraussetzung für die Arbeit der Presse ist (vgl BVerfGE_64,108 <115>). Daraus folgt allerdings nicht von vornherein ein absoluter Schutz der Vertraulichkeit journalistischer Arbeit. Zwar sind diesem Schutz dienende Zeugnisverweigerungsrechte, die in sämtlichen gerichtlichen Verfahrensordnungen enthalten sind, verfassungsrechtlich geboten (vgl BVerfGE_95,220 <238>). Dies schließt es jedoch nicht aus, im Interesse anderer wichtiger Gemeinschaftsgüter den Vertrauensschutz zurücktreten zu lassen. In einem solchen Fall ist eine sorgfältige Abwägung erforderlich, ob und inwieweit die Erfüllung der publizistischen Aufgaben einen Vorrang der Pressefreiheit erfordert oder die Pressefreiheit ihrerseits an diesen Interessen ihre Grenze zu finden hat (vgl BVerfGE_77,65 <77>). Hierbei sind stets die Rückwirkungen zu beachten, die mit einer Durchbrechung des Vertraulichkeitsschutzes für den dahinterstehenden ungehinderten Informationsfluß einhergehen. Demgegenüber fällt das Interesse der konkret beteiligten Personen an einer Geheimhaltung nicht entscheidend ins Gewicht. Denn die vom Schutzbereich des Art.5 Abs.1 Satz 2 GG erfaßte Vertraulichkeit zwischen Informant und Presse bezweckt in erster Linie den Schutz der freien Presse als solcher und dient weniger dem Schutz der beteiligten Personen (vgl BVerfGE_36,193 <204>). | |
Auf seiten des Urheberrechtsinhabers, der den Auskunftsanspruch nach § 101a UrhG geltend macht, steht die Befugnis zur wirtschaftlichen Verwertung der urheberrechtlich geschützten geistigen Leistung im Vordergrund. Dem Schutz dieser Befugnis, die als vermögenswertes Recht von der Eigentumsgarantie des Art.14 GG erfaßt wird (vgl BVerfGE_31,229 <239>; BVerfGE_79,1 <25>), dient § 101a UrhG. Der Auskunftsanspruch ist durch das Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie vom 7.März 1990 (BGBl I S.422) mit Wirkung zum 1.Juli 1990 in das Urheberrechtsgesetz eingefügt worden. Anlaß der gesetzlichen Neuregelung waren die sprunghafte Zunahme rechtswidrigen Nachahmens und Kopierens von Waren und die dadurch verursachten wachsenden Schäden auf seiten der Schutzrechtsinhaber. Das Gesetz bezweckte deshalb, die gesetzlichen Regelungen zur Verfolgung und Ahndung von Schutzrechtsverletzungen im Bereich des geistigen Eigentums zu verbessern (vgl die Begründung des Gesetzentwurfs BTDrucks 11/4792, S.15 f). | |
Da nicht mit jeder Schutzrechtsverletzung eine solche Gefährdungslage verbunden ist, steht die Auskunftspflicht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall. Damit sollen Auskunftsverpflichtungen ausgenommen werden, die von der Absicht des Gesetzes, Schutzrechtsverletzungen zu unterbinden, nicht mehr gedeckt sind. Die Begründung zum Gesetzentwurf verweist in diesem Zusammenhang auf Fälle, in denen der Auskunftsberechtigte kein oder nur ein äußerst geringes Interesse daran haben kann, die Lieferanten oder gewerblichen Abnehmer der Waren zu erfahren, sei es, daß es sich um einen Einzelfall von Schutzrechtsverletzung handelt, sei es, daß - aus welchen Gründen auch immer - sicher davon auszugehen ist, daß keine weiteren Schutzrechtsverletzungen zu befürchten und eingetretene Schäden ausgeglichen sind (vgl die Begründung zum Gesetzentwurf, aaO, S.31 f). | |
Demgemäß fällt bei der Abwägung auf seiten des Auskunftsberechtigten vor allem ins Gewicht, ob weitere Schutzrechtsverletzungen zu besorgen sind und zur Verhinderung solcher Verletzungen die verlangte Auskunft erforderlich ist oder - wenn das nicht der Fall ist - der Verletzte der Auskunft bedarf, um einen Ausgleich für erlittene Schäden zu erreichen. | |
Der Verhältnismäßigkeitsvorbehalt in § 101a UrhG gibt im Rahmen der Anwendung der Norm den Raum für die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen den durch den Schutzzweck der Regelung erfaßten Belangen des Auskunftsberechtigten und den mit einer Auskunftspflicht der Presse einhergehenden Auswirkungen auf die Pressefreiheit. Das Ergebnis dieser Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Namentlich ist es von Verfassungs wegen nicht ausgeschlossen, daß im Einzelfall dem Schutzbedürfnis des Urheberrechtsinhabers der Vorrang vor dem Geheimhaltungsinteresse der Presse eingeräumt wird. | |
Soweit Presseangehörige damit zu Auskünften gezwungen werden können, deren Preisgabe sie als Zeuge verweigern dürften, bestehen hiergegen verfassungsrechtliche Einwände nicht. Die Zeugnispflicht, von der die verfahrensrechtlichen Zeugnisverweigerungsrechte befreien, dient anderen Interessen als die materielle Auskunftspflicht in § 101a UrhG. Während die Zeugnispflicht die Möglichkeit justizförmiger Sachaufklärung sichern soll und Ausnahmen zugunsten der Presse ihren Grund darin haben, daß die Belange der Pressefreiheit aufgrund einer Wertung des Gesetzgebers der Wahrheitserforschung generell vorgehen (vgl BVerfGE_36,193 <203 f>), knüpft der Auskunftsanspruch an eine von der Presse selbst begangene Urheberrechtsverletzung und die dadurch gegebenenfalls zutage getretene Gefahr weiterer Beeinträchtigungen einer durch Art.14 GG geschützten vermögenswerten Position eines anderen an. Aufgrund dieser unterschiedlichen Interessenlage ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, die materiellrechtliche Auskunftspflicht generell in Kongruenz zu den verfahrensrechtlichen Zeugnisverweigerungsrechten zu begrenzen. Vielmehr können im konkreten Einzelfall zwar die Belange der Wahrheitserforschung zurückzutreten haben; gleichwohl kann das Interesse des Verletzten an der Verhinderung weiterer Rechtsverletzungen so gewichtig sein, daß eine Auskunftsverpflichtung des Verletzers unter Berücksichtigung auch seiner Interessen gerechtfertigt erscheint. | |
c) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht. | |
Weder das Landgericht noch das Oberlandesgericht haben eine konkrete Abwägung zwischen dem durch § 101a UrhG geschützten Interesse der Klägerin an einer Auskunft und den von der Auskunftsverpflichtung betroffenen Belangen der Pressefreiheit auf seiten der Beschwerdeführerin vorgenommen. Das Urteil des Landgerichts enthält keine Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der Auskunftsverpflichtung. Das Oberlandesgericht hat sich unter diesem Gesichtspunkt nur mit der Frage des mit einer Auskunftserteilung verbundenen Aufwandes befaßt. Erwägungen dazu, ob die Klägerin ein rechtlich geschütztes Interesse an der verlangten Auskunft hat, die Auskunftserteilung zum Schutz eines solchen Interesses erforderlich ist und dieses Interesse so gewichtig ist, daß eine Durchbrechung der Vertraulichkeitssphäre zwischen Presse und Informant gerechtfertigt ist, sind nicht angestellt worden. | |
Die Gerichte haben die Auskunftsverpflichtung allein deshalb als zulässigen Eingriff in die Pressefreiheit angesehen, weil die Veröffentlichung der Bilder rechtswidrig war und die Urheberrechtsverletzung von der Beschwerdeführerin und dem Lieferanten als Mittäter begangen worden sei. Unabhängig von der Frage, ob der von den Zivilgerichten zugrunde gelegte Sachverhalt die Annahme einer Mittäterschaft in subjektiver Hinsicht im Sinne eines bewußten und gewollten Zusammenwirkens rechtfertigt, führt diese Auffassung dazu, daß der Informantenschutz generell im Fall einer zumindest in Kauf genommenen Urheberrechtsverletzung entfällt. Das trägt den Belangen der Pressefreiheit jedoch nicht hinreichend Rechnung. | |
Denn einerseits würde damit die vertrauliche Weitergabe jeglichen Bildmaterials, an dem fremde Urheberrechte bestehen, unterbleiben, insbesondere auch solchen, das einen Informationswert verkörpert, auf den die Presse zur Aufdeckung oder Verifizierung von Vorgängen im Rahmen der Berichterstattung angewiesen ist. Andererseits kann allein die Rechtswidrigkeit der Veröffentlichung einen Eingriff in die von dem Bereich der Veröffentlichung zu unterscheidende Sphäre der Informationsbeschaffung nicht rechtfertigen. Vielmehr bedarf ein solcher Eingriff eines vom Schutzzweck des § 101a UrhG erfaßten und das Geheimhaltungsbedürfnis der Presse überwiegenden Interesses an der begehrten Auskunft. Hierzu lassen die angegriffenen Entscheidungen jegliche Ausführungen vermissen. | |
2. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die bislang unterbliebene und verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zur Abweisung des Auskunftsanspruchs führt." | |
Auszug aus BVerfG B, 28.05.99, - 1_BvR_77/99 -, www.BVerfG.de, Abs.31 ff | |
§§§ | |
99.023 | Henenhaltungsverordnung |
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1) Eine Verordnung, die auf mehreren Ermächtigungsgrundlagen beruht, muß diese vollständig zitieren. | |
2) Eine Mißachtung des Zitiergebots des Art.80 Abs.1 Satz 3 GG führt zur Nichtigkeit der Verordnung. | |
3) Zur Vereinbarkeit des § 2 Abs.1 und 2 der Verordnung zum Schutz von Legehennen bei Käfighaltung (Hennenhaltungsverordnung) mit § 2a Abs.1 in Verbindung mit § 2 Nr.1 des Tierschutzgesetzes. | |
LB 4) Das Zitiergebot des Art.80 Abs.1 Satz 3 GG soll nicht nur die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage kenntlich und damit auffindbar machen. Es soll auch die Feststellung ermöglichen, ob der Verordnunggeber beim Erlaß der Regelungen von einer gesetzlichen Ermächtigung überhaupt Gebrauch machen wollte: | |
LB 5) Außerdem dient Art.80 Abs.1 Satz 3 GG der Offenlegung des Ermächtigungsrahmens gegenüber dem Adressaten der Verordnung. Das soll ihm die Kontrolle ermöglichen, ob die Verordnung mit dem ermächtigenden Gesetz übereinstimmt. Art.80 Abs.1 Satz 3 GG statuiert insoweit ein rechtsstaatliches Formerfordernis, das die Prüfung erleichtern soll, ob sich der Verordnunggeber beim Erlaß der Verordnung im Rahmen der ihm erteilten Ermächtigung gehalten hat (vgl BVerfGE_24,184 <196>). | |
LB 6) Hiervon ausgehend muß eine Verordnung, die auf mehreren Ermächtigungsgrundlagen beruht, diese vollständig zitieren und bei inhaltlicher Überschneidung mehrerer Ermächtigungsgrundlagen diese gemeinsam angeben. Allerdings muß nicht zu jeder Bestimmung der Verordnung im einzelnen angegeben werden, auf welcher der Ermächtigungen sie beruht (Vgl BVerfGE_20,283 <292>). | |
LB 7) Eine Mißachtung des Zitiergebots verletzt ein "unerläßliches Element des demokratischen Rechtsstaates". Ein solcher Mangel führt deshalb zur Nichtigkeit der Verordnung. | |
LB 8) Art.2 des Gesetzes vom 25.Januar 1978 zum Übereinkommen vom 10.März 1976 zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen (ETÜ) in Verbindung mit der gemäß Art.9 Abs.3 ETÜ für Deutschland wirksam gewordenen und deshalb innerstaatlich durchzusetzenden Empfehlung des Ständigen Ausschusses vom 21.November 1986 für das Halten von Legehennen der Art Gallus Gallus wird nicht erwähnt, obwohl die Verordnung auch hierauf beruht. | |
LB 9) Zu den Rechtsfolgen der festgestellten Nichtigkeit der Hennenhaltungsverordnung, die sich aus § 79 Abs.2 BVerfGG ergeben. | |
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Urteil | Entscheidungsformel: |
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T-99-09 | VO - Mißachtung Zitiergebot |
II. "Prüfungsmaßstab für die Beantwortung dieser Vorfrage ist § 2a in Verbindung mit § 2 TierSchG. Die Hennenhaltungsverordnung soll nach der in ihr genannten Ermächtigungsgrundlage des § 2a Abs.1 TierSchG Anforderungen an die Haltung von Tieren nach § 2 TierSchG für den Bereich des "Haltens von Legehennen in Käfigen" (vgl § 1 Abs.1 HHVO) näher bestimmen. Mit dieser Vorschrift ist im Tierschutzgesetz für den Verordnunggeber ein hinreichend bestimmter Regelungsrahmen abgesteckt, innerhalb dessen er einen Ausgleich zwischen Belangen des Tierschutzes und rechtlich geschützten Interessen von Tierhaltern durch untergesetzliche Bestimmungen erreichen soll. Mit § 2 Abs.1 und 2 der zur Prüfung gestellten Verordnung hat der Verordnunggeber die in der Ermächtigungsgrundlage enthaltenen Vorgaben indes nicht eingehalten. | |
1. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Verordnungsermächtigung des § 2a TierSchG selbst bestehen nicht. | |
a) Nach Art.74 Abs.1 Nr.20 GG steht dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Tierschutzes zu. Das schließt in den Grenzen des Art.80 Abs.1 GG die partielle Übertragung dieser Normsetzungsbefugnis auf den Verordnunggeber ein. | |
b) Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung sind in § 2a TierSchG hinreichend bestimmt (Art.80 Abs.1 Satz 2 GG; vgl dazu ua BVerfGE_1,14 <60>; BVerfGE_58,257 <277 f>; BVerfGE_80,1 <20 f>). | |
aa) Der mögliche Verordnungsinhalt kann aus dem Wortlaut des § 2a Abs.1 TierSchG ermittelt werden. Dies folgt schon aus der allgemeinen Umschreibung "Anforderungen an die Haltung von Tieren"; die in den Nummern 1 bis 4 beispielhaft aufgezählten Einzelmaterien verdeutlichen zusätzlich, daß hierbei neuzeitliche Tierhaltungsformen, insbesondere landwirtschaftliche Massentierhaltung, den Schwerpunkt der Verordnung bilden sollen. | |
bb) Zweck der Verordnungskompetenz ist eine am Maßstab der Gebots- und Verbotstatbestände des § 2 TierSchG ausgerichtete tierschutzgerechte Tierhaltung. Hierauf deutet neben der sprachlichen und der gesetzessystematischen Verknüpfung von § 2a Abs.1 TierSchG mit § 2 TierSchG auch die Entstehungsgeschichte hin. Durch die im Vergleich zu § 13 Abs.1 TierSchG 1972 sprachlich eindeutigere Fassung sollten Bedenken gegen die hinreichende Bestimmtheit der Ermächtigung ausgeräumt werden (vgl Entwurf eines ersten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes vom 10.April 1985, BTDrucks 10/3158, Begründung, Allgemeiner Teil, S.17). Das tierschutzrechtliche Ziel folgt zudem aus der Bezeichnung des Gesetzes selbst sowie aus der Grundsatznorm des § 1 TierSchG. Dabei kann Tierschutz einerseits durch eine primär auf Schadensverhinderung ausgerichtete, "polizeiliche" Tendenz gekennzeichnet sein, andererseits der Pflege des Wohlbefindens der Tiere in einem weit verstandenen Sinn Vorrang einräumen. Daß beide Maximen für die tierhaltungsrechtliche Normierung etwa gleichgewichtig berücksichtigt worden sind, findet in § 2 TierSchG mit seinen die Pflege in Nr.1 und die Schadensverhütung in Nr.2 ansprechenden Haltungsgrundsätzen sinnfälligen Ausdruck (vgl auch Lorz, Tierschutzgesetz, 4.Aufl 1992, § 1 Rn.18, S.85). Im übrigen weisen auch die Straf- und Bußgeldtatbestände in den §§ 17 und 18 TierSchG darauf hin, daß mehr als reine Ordnungsfunktionen erfüllt werden sollen. | |
Die hinreichende Bestimmtheit des Verordnungszwecks wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß § 2a Abs.1 TierSchG mit den ihrerseits durch unbestimmte Rechtsbegriffe gekennzeichneten Tierhaltungsgrundsätzen des § 2 TierSchG verknüpft ist. Diese können durch Auslegung konkretisiert werden. Was eine den Bedürfnissen des Tieres entsprechende angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung ist (§ 2 Nr.1 TierSchG), läßt sich mit Hilfe des einschlägigen tiermedizinischen und verhaltenswissenschaftlichen Schrifttums - trotz aller wissenschaftlichen Kontroversen - zumindest im Umriß festlegen. In gleicher Weise lassen sich verallgemeinerungsfähige Vorstellungen darüber gewinnen, unter welchen Voraussetzungen im Widerspruch zu § 2 Nr.2 TierSchG die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung so eingeschränkt ist, daß diesem Schmerzen, vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. | |
cc) § 2a Abs.1 TierSchG entspricht verfassungsrechtlichen Anforderungen auch in bezug auf das Ausmaß der dem Verordnunggeber erteilten Rechtssetzungsmacht. Die Verordnungsgewalt soll soweit reichen, als dies "zum Schutz der Tiere erforderlich ist". Dieser Klausel, welche bereits in der Verordnungsermächtigung des § 13 TierSchG 1972 enthalten war, wird im Schrifttum im Anschluß an die amtliche Begründung des Regierungsentwurfs zu § 13 TierSchG (vgl BTDrucks VI/2559, S.12) die Bedeutung eines tierschutzrechtlichen Mindestprogramms beigelegt (vgl etwa Bettermann, Rechtsfragen des Tierschutzes, Bd.1, 1980, S.20; Stober, Rechtsfragen zur Massentierhaltung, 1982, S.33). Der Begriff der Mindestanforderungen des Tierschutzes würde jedoch unzulässig verengt, wenn er im Sinne eines tierschutzrechtlichen Minimalprogramms verstanden würde. Dem steht die aus dem "Allgemeinen Teil" der Begründung hervorgehende Intention des Gesetzgebers entgegen, eine Intensivierung des Tierschutzes gerade auch bei den Systemen der Massentierhaltung zu erreichen (vgl BTDrucks VI/2559 vom 7.September 1971, Begründung, Allgemeiner Teil). | |
Eine konkrete Obergrenze für die Verwirklichung tierschützender Grundsätze bestimmt das Gesetz nicht. Für das Verständnis der Erforderlichkeitsklausel folgt hieraus, daß innerhalb eines dem Verordnunggeber hierdurch zuwachsenden Regelungsermessens jede tierschutzrechtliche Normierung zulässig ist, welche die Grundrechte der Tierhalter nicht unverhältnismäßig einschränkt. Bedenken gegen die hinreichende Bestimmtheit der Ermächtigung ergeben sich auch hieraus nicht. | |
c) Eine über die Grenzen des Art.80 Abs.1 Satz 2 GG hinausgehende Verpflichtung zur Normierung der Intensivhaltung von Legehennen durch den parlamentarischen Gesetzgeber besteht nicht. | |
Der im Rechtsstaatsprinzip und im Demokratiegebot wurzelnde Parlamentsvorbehalt gebietet es, in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen dem Gesetzgeber zu überlassen (vgl BVerfGE_49,89 <126>; BVerfGE_61,260 <275>; BVerfGE_80,124 <132>; BVerfGE_83,130 <142, 151 f> ). Dabei betrifft die Normierungspflicht nicht nur die Frage, ob ein bestimmter Gegenstand überhaupt gesetzlich geregelt sein muß, sondern auch, wie weit diese Regelungen im einzelnen zu gehen haben (vgl BVerfGE_34,165 <192>; BVerfGE_49,89 <127 u 129>; BVerfGE_57,295 <327>; BVerfGE_83,130 <142>). | |
Hieran gemessen sind Regelungen über die Käfighaltung von Legehennen wegen ihrer Bedeutung für die Grundrechte der Tierhalter (Art.12 und 14 GG), aber auch wegen der sachlichen Nähe, die diese Haltungsart zum Straftatbestand der Tierquälerei aufweisen kann, der parlamentarischen Entscheidung jedenfalls insoweit vorbehalten, als es um die grundsätzliche Zulässigkeit dieser Art von Tierhaltung geht. Eine solche Entscheidung des Gesetzgebers liegt vor. | |
aa) Der nationale Gesetzgeber ist grundsätzlich bereit, eine Käfighaltung von Legehennen zuzulassen. Dies ergibt sich aus einer Reihe von Anhaltspunkten: | |
Landwirtschaftliche Tierhaltung - die Käfighaltung von Legehennen stellt dazu einen Unterfall dar - ist schon dem Wortlaut nach Gegenstand des Ratifikationsgesetzes zum Europäischen Tierschutzübereinkommen vom 25.Januar 1978 (BGBl II S.113). | |
Des weiteren lassen die Materialien zum Tierschutzgesetz erkennen, daß der Gesetzgeber zustimmend von dieser Tierhaltungsart Kenntnis genommen hat. So heißt es im Allgemeinen Teil der Begründung zum Entwurf eines Tierschutzgesetzes vom 7. September 1971 (BTDrucks VI/2559): | |
Die Entwicklung zur Massentierhaltung ist im letzten Jahrzehnt weltweit erfolgt; sie muß als ökonomisch gegeben angesehen werden. ... | |
Dieses Gesetz gestattet in besonderem Maße die Berücksichtigung der sich aus der Haltung derartiger großer Nutztierbestände auf begrenztem Raum in neuzeitlichen Haltungssystemen (Massentierhaltung) ergebenden zahlreichen tierschutzrelevanten Fragen. ... | |
Im Allgemeinen Teil der Begründung zum Entwurf eines ersten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes (BTDrucks 10/3158, S.17) äußert sich der Gesetzgeber wie folgt: | |
Für den in der Öffentlichkeit vielfach diskutierten Bereich der Nutztierhaltung, in Sonderheit der Intensivtierhaltung, gilt die "Tierhalternorm" des § 2 Abs.1. ... | |
Daß der Gesetzgeber auch die der Intensivtierhaltung zuzuordnende Käfighaltung von Legehennen grundsätzlich zustimmend zur Kenntnis genommen hat, ist ferner der Verordnungsermächtigung des § 2a Abs.1 TierSchG zu entnehmen, nach deren Nr.2 unter anderem Regelungen über Käfige, andere Behältnisse und sonstige Einrichtungen zur Unterbringung von Tieren erlassen werden können. | |
bb) Der Gesetzgeber durfte es bei dieser grundsätzlichen Zulassung der modernen Massentierhaltung bewenden lassen. Zur Normierung des gesamten Sachbereichs wäre er nur verpflichtet gewesen, wenn dessen Eigenart oder berührte grundrechtliche Schutzbereiche eine eingehendere gesetzliche Regelung geboten hätten (vgl BVerfGE_49,89 <134 ff>; BVerfGE_68,1 <98 ff>; BVerfGE_77,170 <232>). Dies ist nicht der Fall. | |
Die Eigenart des zu regelnden Sachbereichs legt es gerade nahe, von einer detaillierten gesetzlichen Regelung abzusehen. Bei der Regelung der Käfighaltung von Hühnern geht es um die Aufstellung komplexer technischer Parameter. Diese entziehen sich zwar nicht schon wegen dieser Eigenart notwendig einer Gestaltung durch den Gesetzgeber. Jedoch kommt hier hinzu, daß viele Aussagen zum Tierschutz, insbesondere im ethologischen Bereich, wegen des insoweit bestehenden ungesicherten Erkenntnisstandes nur vorläufig möglich sind. Mit Rücksicht darauf ist sowohl dem Tierschutz als auch dem Grundrechtsschutz mehr gedient, wenn die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnunggeber überlassen bleibt, der die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermag als der Gesetzgeber. Da die Festlegung von technischen Anforderungen an die Massentierhaltung in ihrer grundrechtsspezifischen Wirkung auf die Berufsausübung zielt, die durch jeden vernünftigen Gemeinwohlgrund unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebotes einschränkbar ist, fordert auch die Schwere des Eingriffs kein Tätigwerden des Gesetzgebers (vgl BVerfGE_58,257 <275 f.>). | |
2. Der vom Gesetzgeber vorgezeichnete Rahmen, an den der Verordnunggeber nach § 2a TierSchG gebunden ist, findet sich in § 2 Nrn.1 und 2 TierSchG. Für die nähere Bestimmung der dort niedergelegten Pflichten der Tierhalter ist daneben auch der allgemeine Zweck des Gesetzes heranzuziehen, "aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen" (§ 1 Satz 1 TierSchG). Der Verordnunggeber muß mithin entsprechend dem in §§ 1, 2 TierSchG vom Gesetzgeber vorgezeichneten Interessenausgleich einen ethisch begründeten Tierschutz befördern, ohne die Rechte der Tierhalter übermäßig einzuschränken. | |
a) Nach § 2 Nr.1 TierSchG muß das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernährt, gepflegt und verhaltensgerecht untergebracht werden. Das Wort "angemessen" bezieht sich dabei in den Fassungen des Tierschutzgesetzes seit 1986 - anders als noch in der Fassung von 1972 (BGBl I S.1277) - auch auf die verhaltensgerechte Unterbringung. | |
b) Nach § 2 Nr.2 TierSchG darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so eingeschränkt werden, daß ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Für Einschränkungen der Bewegung eines Tieres ist dies die speziellere Regelung gegenüber Nr.1. Damit dürfen nach der gesetzgeberischen Wertung zwar die Bewegungsbedürfnisse eines Tieres bis zu der in Nr.2 umschriebenen Grenze eingeschränkt werden, nicht hingegen seine anderen in Nr. 1 angesprochenen Grundbedürfnisse wie insbesondere Schlafen sowie Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Das Schlafbedürfnis eines Tieres wird zwar in Nr.1 nicht ausdrücklich genannt. Es unterfällt aber schon begrifflich nicht der spezielleren Regelung der "Möglichkeit zu artgemäßer Bewegung" in Nr.2, sondern gehört nach der Gesetzessystematik zur Gebotsnorm der Nr.1; dort läßt es sich den Oberbegriffen "pflegen" und "verhaltensgerecht unterbringen" zuordnen. Allerdings umfassen diese beiden Begriffe nach ihrem Wortsinn alle Bedürfnisse eines Tieres, also auch dessen Ernährung und seine Bewegungsmöglichkeit. Während aber die Ernährung lediglich zur Verdeutlichung der wenig aussagekräftigen Begriffe in Nr.1 dort noch einmal besonders herausgestellt wird, hat der Gesetzgeber in Nr.2 die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung als einziges seiner Bedürfnisse weitergehenden Einschränkungsmöglichkeiten unterworfen. | |
c) Generell gilt, daß niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf (§ 1 Satz 2 TierSchG). Hieraus sowie aus dem in § 1 Satz 1 TierSchG niedergelegten Grundsatz des ethisch begründeten Tierschutzes folgt, daß nicht jede Erwägung der Wirtschaftlichkeit der Tierhaltung aus sich heraus ein "vernünftiger Grund" im Sinne des § 1 Satz 2 TierSchG sein kann. Notwendig ist vielmehr auch insoweit ein Ausgleich zwischen den rechtlich geschützten Interessen der Tierhalter einerseits und den Belangen des Tierschutzes andererseits. | |
3. Die in § 2 Abs.1 Nr.2 Satz 1 HHVO getroffene Regelung, wonach für jede Henne eine uneingeschränkt benutzbare Käfigbodenfläche von mindestens 450 qcm vorhanden sein muß, entspricht diesen Vorgaben in der gesetzlichen Ermächtigung nicht. Gleiches gilt für die Vorschrift des § 2 Abs.1 Nr.7 Satz 1, 1.Halbsatz HHVO, wonach die uneingeschränkt nutzbare Länge des Futtertrogs für jede Henne mindestens 10 cm betragen muß. Mit beiden Bestimmungen werden die gemäß § 2a Abs.1 in Verbindung mit § 2 Nr.1 und § 1 TierSchG in eine Rechtsverordnung einzustellenden Belange des ethisch begründeten Tierschutzes über die Grenze eines angemessenen Ausgleichs zurückgedrängt, wie ihn das Tierschutzgesetz dem Verordnunggeber aufgetragen hat. | |
Sind diese beiden für die Gestaltung der Käfige besonders bedeutsamen Vorschriften unwirksam, so verlieren damit auch die übrigen in § 2 Abs.1 und 2 HHVO getroffenen Bestimmungen ihren vollziehbaren Regelungsgehalt. § 2 Abs.1 HHVO - und auch die in § 2 Abs.2 HHVO getroffene Übergangsregelung - stellen ersichtlich ein Gefüge von aufeinander bezogenen Einzelregelungen für die Gestaltung von Käfigen in der Legehennenhaltung dar, die nur gemeinsam gelten und verwirklicht werden sollen. | |
a) Schon ein Vergleich der durchschnittlichen Körpermaße einer ausgewachsenen Legehenne (47,6 x 14,5 x 38 cm) mit der in § 2 Abs.1 Nr.2 Satz 1 HHVO vorgesehenen Käfigbodenfläche von 450 qcm zeigt, daß in mit vier, fünf oder auch sechs Hennen besetzten Käfigen, wie sie in Deutschland derzeit in der Legehennenhaltung üblich sind, ein ungestörtes gleichzeitiges Ruhen der Hennen, d.h. eine Befriedigung ihres Schlafbedürfnisses nicht möglich ist. Aus dem Produkt von Länge und Breite der Tiere ergibt sich nämlich ein Flächenbedarf für jede Henne in der Ruhelage, der die vorgesehene Mindestbodenfläche überschreitet. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, daß es etwa dem artgemäßen Ruhebedürfnis einer Henne entsprechen könnte, gemeinsam mit anderen Artgenossinnen auf- oder übereinander zu schlafen. Ferner zeigt ein Vergleich der Körperbreite von 14,5 cm mit der in § 2 Abs.1 Nr.7 HHVO vorgesehenen Futtertroglänge von 10 cm pro Henne, daß die Hennen nicht - wie es in den gemäß der Hennenhaltungsverordnung gestalteten Käfigen ihrem artgemäßen Bedürfnis entspricht - gleichzeitig ihre Nahrung aufnehmen können. Allein diese Kontrolle anhand numerischer Größen ergibt bereits, daß § 2 Abs.1 Nr.2 Satz 1 und Nr.7 Satz 1, 1.Halbsatz HHVO der Ermächtigung des § 2a Abs.1 in Verbindung mit § 2 Nr.1 TierSchG nicht genügt. Die Frage, ob die in § 2 Abs.1 Nr.2 HHVO geregelten Käfigbodenflächen und die durch sie bewirkte Einschränkung artgemäßer Bewegungsmöglichkeit den Tieren im Sinne des § 2 Nr. 2 TierSchG Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zufügt, kann deshalb hier offen bleiben. Wie unter C.II.2. dargelegt, dürfen zwar nach Maßgabe des § 2 Nr.2 TierSchG die Bewegungsbedürfnisse eines Tieres eingeschränkt werden, nicht hingegen seine Grundbedürfnisse wie Schlafen sowie Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. | |
Ob daneben auch weitere artgemäße Bedürfnisse wie insbesondere das Scharren und Picken, die ungestörte und geschützte Eiablage, die Eigenkörperpflege, zu der auch das Sandbaden gehört, oder das erhöhte Sitzen auf Stangen durch die in § 2 Abs.1 und 2 HHVO getroffenen Regelungen über die Käfighaltung unangemessen zurückgedrängt werden, kann offen bleiben. | |
b) Zur weiteren Bestimmung und Verdeutlichung der Anforderungen des § 2 Nr.1 TierSchG an eine Käfighaltung von Legehennen und damit zugleich zur Bestätigung des unter C. II. 3. a) gefundenen Ergebnisses kann auf normative Texte und amtliche Dokumente zurückgegriffen werden. Im einzelnen handelt es sich hierbei um die Empfehlung für das Halten von Legehennen der Art Gallus Gallus des Ständigen Ausschusses vom 21.November 1986 und die Mitteilung der Europäischen Kommission vom 11.März 1998 über den Schutz von Legehennen in verschiedenen Haltungssystemen. Einer Stellungnahme zu dem Meinungsstreit der Verhaltenswissenschaftler, Veterinärmediziner und Agrarfachleute über Mindestanforderungen an eine Käfighaltung von Legehennen bedarf es deshalb nicht. | |
aa) Die Empfehlung für das Halten von Legehennen der Art Gallus Gallus ist nach Maßgabe des Art.9 ETÜ für Deutschland wirksam geworden. Gemäß Art.16 der Empfehlung findet diese zwar in den einzelnen Vertragsstaaten keine unmittelbare Anwendung, sondern wird nach dem von jeder Vertragspartei für geeignet erachteten Verfahren umgesetzt. Dies ändert jedoch nichts daran, daß die Empfehlung für Deutschland als Vertragspartei gemäß Art.9 ETÜ verbindlich ist. Hiervon ist auch der Verordnunggeber ausgegangen; er wollte mit der Hennenhaltungsverordnung zugleich auch "die wichtigsten Elemente der Empfehlung für das Halten von Legehennen, die der aufgrund des Artikels 8 des Europäischen Übereinkommens zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen vom 10.März 1976 (BGBl 1978 II S.113) eingesetzte Ständige Ausschuß am 21.November 1986 verabschiedet hat", in nationales Recht umsetzen (vgl BRDrucks 219/87, S.9). | |
Nach Nr.2 Satz 2 des Anhangs A "Besondere Bestimmungen für die zum Zweck der Konsumeierproduktion in Batteriekäfigen gehaltenen Legehennen", der gemäß Art.1 Abs.2 der Empfehlung als deren fester Bestandteil gilt, müssen ungeachtet des verwendeten Käfigtyps alle Hennen genügend Raum haben, um sich entweder auf einer Stange niederzulassen oder sich hinsetzen zu können, ohne von anderen Tieren gestört zu werden. Damit wird "im Lichte gewonnener Erfahrungen und wissenschaftlicher Erkenntnisse über die essentiellen Bedürfnisse" (vgl die Präambel der Empfehlung) das ungestörte Einnehmenkönnen der Ruhelage als Mindestvoraussetzung für eine weitere Gestattung der Batteriekäfighaltung von Legehennen postuliert. Dies bestätigt den schon anhand der Körperabmessungen einer ruhenden oder sitzenden Henne festgestellten Verstoß des § 2 Abs.1 Nr.2 Satz 1 HHVO gegen § 2a Abs.1 in Verbindung mit § 2 Nr.1 TierSchG. Auch aufgrund verbindlicher Vorgaben aus dem europäischen Tierschutzrecht durfte der Verordnunggeber das Schlafbedürfnis der Legehennen nicht wie geschehen zu Gunsten wirtschaftlicher Interessen einschränken. | |
Nach Nr.5 des Anhangs A der Empfehlung müssen sämtliche Tiere gleichzeitig fressen können. Bereits ein Vergleich der Körperbreite einer Henne von 14,5 cm mit der in § 2 Abs.1 Nr.7 Satz 1, 1.Halbsatz HHVO bestimmten Futtertroglänge von 10 cm pro Henne zeigt, daß dies in den nach der Hennenhaltungsverordnung gestalteten Käfigen nicht möglich ist. Dies ist im übrigen auch mittels einer zur optischen Unterstützung der Ausführungen der sachverständigen Auskunftspersonen in der mündlichen Verhandlung gezeigten Folie über die in einem Viererkäfig zugrunde gelegte Anordnung der Hennen veranschaulicht worden. Mit Nr.5 des Anhangs A der Empfehlung wird gleichfalls ein Grundbedürfnis der Hennen in der Käfighaltung, nämlich das nach gleichzeitiger Nahrungsaufnahme mit ihren Artgenossinnen, verbindlich zum Ausdruck gebracht. Der Verordnunggeber hat auch ihm nicht hinreichend Rechnung getragen. | |
bb) Wegen der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Grundbedürfnisse von Hennen in der Käfighaltung, die der Verordnunggeber nach Maßgabe des § 2a Abs.1 in Verbindung mit § 2 Abs.1 TierSchG beachten muß, ist schließlich noch auf die Mitteilung der Europäischen Kommission, die sich auf die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Veterinärausschusses vom 30. Oktober 1996 bezieht (vgl BTDrucks 13/11371, S.5 ff) zu verweisen. | |
In der Mitteilung wird, ausgehend von näher beschriebenen Bedürfnissen von Legehennen (vgl BTDrucks 13/11371, S.15), festgestellt, daß ein Käfig mit einem Platzangebot von 450 qcm je Tier diesen Bedürfnissen nicht gerecht werde (vgl aaO, S.16). Bei der Bewertung der Haltungssysteme im Wege einer Vorteils-Nachteilsbetrachtung heißt es in der Mitteilung zusammenfassend: "Es ist klar, daß der Batteriekäfig wegen seiner kleinen Größe und seines sterilen Umfelds das Wohlbefinden der Hennen erheblich beeinträchtigt" (aaO, S.18). In der Schlußfolgerung gibt die Mitteilung die Auffassung der Kommission wieder, wonach Hennen in Käfigbatteriehaltung eindeutig schlecht geschützt seien. Aufgrund ihrer Annahme, daß auch einige alternative Haltungssysteme noch Mängel aufwiesen, die bisher nicht hätten ganz behoben werden können, hält es die Kommission allerdings für verfrüht, die Käfighaltung ganz zu verbieten. Gleichwohl hält sie es für erforderlich, die Mindestfläche, die einer Legehenne im Batteriekäfig zur Verfügung steht, zu vergrößern und die Käfige im Interesse des Wohlbefindens der Tiere besser auszugestalten (vgl aaO, S.30). D. | |
Die Hennenhaltungsverordnung ist - soweit sie nach den Feststellungen zu C. noch Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung sein kann - wegen Verstoßes gegen das Zitiergebot des Art.80 Abs.1 Satz 3 GG insgesamt verfassungswidrig und deshalb gemäß § 78 Satz 1 BVerfGG für nichtig zu erklären. I. | |
Nach Art.80 Abs.1 Satz 3 GG ist in einer bundesrechtlichen Verordnung deren Rechtsgrundlage anzugeben. Das erfordert, daß nicht nur das ermächtigende Gesetz als solches, sondern die ermächtigende Einzelvorschrift aus diesem Gesetz in der Verordnung genannt wird. Will der Verordnunggeber nach seinem erkennbar geäußerten Willen von mehreren Ermächtigungsgrundlagen Gebrauch machen, so muß er diese vollständig in der Verordnung angeben. | |
1. Im gewaltenteilenden System des Grundgesetzes dient das Zitiergebot dem Zweck, die Delegation von Rechtssetzungskompetenz auf die Exekutive in ihren gesetzlichen Grundlagen verständlich und kontrollierbar zu machen. | |
Nach der rechtsstaatlich-demokratischen Verfassungsordnung des Grundgesetzes bedarf die Rechtssetzung durch die Exekutive einer besonderen Ermächtigung durch die Legislative. Art.80 Abs.1 GG legt fest, welchen Anforderungen solche Ermächtigungen und die auf ihrer Grundlage erlassenen Verordnungen genügen müssen. | |
Das Zitiergebot des Art.80 Abs.1 Satz 3 GG soll nicht nur die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage kenntlich und damit auffindbar machen. Es soll auch die Feststellung ermöglichen, ob der Verordnunggeber beim Erlaß der Regelungen von einer gesetzlichen Ermächtigung überhaupt Gebrauch machen wollte (vgl Nierhaus in: Bonner Kommentar | |
Außerdem dient Art.80 Abs.1 Satz 3 GG der Offenlegung des Ermächtigungsrahmens gegenüber dem Adressaten der Verordnung. Das soll ihm die Kontrolle ermöglichen, ob die Verordnung mit dem ermächtigenden Gesetz übereinstimmt. Art.80 Abs.1 Satz 3 GG statuiert insoweit ein rechtsstaatliches Formerfordernis, das die Prüfung erleichtern soll, ob sich der Verordnunggeber beim Erlaß der Verordnung im Rahmen der ihm erteilten Ermächtigung gehalten hat (vgl BVerfGE_24,184 <196>). | |
2. Hiervon ausgehend muß eine Verordnung, die auf mehreren Ermächtigungsgrundlagen beruht, diese vollständig zitieren und bei inhaltlicher Überschneidung mehrerer Ermächtigungsgrundlagen diese gemeinsam angeben. Allerdings muß nicht zu jeder Bestimmung der Verordnung im einzelnen angegeben werden, auf welcher der Ermächtigungen sie beruht (vgl BVerfGE_20,283 <292>). 157 | |
3. Das Zitiergebot erfordert vor allem, daß die einzelne Vorschrift des Gesetzes genannt wird, in welcher die Ermächtigung enthalten ist. Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, daß die Adressaten einer Verordnung deren Rechtsgrundlagen erkennen und ihre Einhaltung durch den Verordnunggeber nachprüfen können (vgl BVerfGE_24,184 <196>). | |
4. Eine Mißachtung des Zitiergebots verletzt ein "unerläßliches Element des demokratischen Rechtsstaates" (vgl Bartlsperger, Zur Konkretisierung verfassungsrechtlicher Strukturprinzipien, VerwArch 58 <1967>, S.249 ff <270>). Ein solcher Mangel führt deshalb zur Nichtigkeit der Verordnung (vgl Wilke in: v. Mangoldt/Klein, Bonner Grundgesetz, 2.Aufl 1969, Art.80 Anm.XI.2d; Nierhaus, aaO, Rn.328 <"formelle Wirksamkeitsvoraussetzung">; Bauer in: Dreier | |
1. Den unter D. I. 1. bis 3. dargestellten Anforderungen wird die Hennenhaltungsverordnung nicht gerecht. Sie ist deshalb nichtig. | |
Die angegriffene Verordnung nennt als Ermächtigungsgrundlage in ihrem Vorspruch lediglich § 2a Abs.1 in Verbindung mit § 16b Abs.1 Satz 2 TierSchG. Art.2 des Gesetzes vom 25.Januar 1978 zum Übereinkommen vom 10.März 1976 zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen (ETÜ) in Verbindung mit der gemäß Art.9 Abs.3 ETÜ für Deutschland wirksam gewordenen und deshalb innerstaatlich durchzusetzenden Empfehlung des Ständigen Ausschusses vom 21.November 1986 für das Halten von Legehennen der Art Gallus Gallus wird nicht erwähnt, obwohl die Verordnung auch hierauf beruht. Zwar schreiben weder Art.2 des Zustimmungsgesetzes noch Art.9 ETÜ zur Umsetzung der Empfehlung den Weg einer Rechtsverordnung vor. Vielmehr stellt Art.16 der Empfehlung jedem Vertragspartner frei, in welchem der ihm geeignet erscheinenden Verfahren er die Empfehlung umsetzen will. Im vorliegenden Fall aber hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit Hilfe der Hennenhaltungsverordnung auch die wichtigsten Elemente der genannten Empfehlung umsetzen wollen. Das ergibt sich zweifelsfrei aus der dem Verordnungsentwurf beigefügten Begründung (vgl BRDrucks 219/87, S.9). Hatte aber die angegriffene Verordnung nach dem zu ihrer Begründung erkennbar geäußerten Willen des Verordnunggebers auch dieses Ziel, dann mußte nach dem dargestellten Sinn und Zweck des Art.80 Abs.1 Satz 3 GG auch die hierfür einschlägige Ermächtigungsgrundlage im Text der Verordnung genannt werden. | |
Der Verordnunggeber ist nicht frei, von mehreren Ermächtigungsgrundlagen, auf denen die Verordnung beruht, nur eine zu benennen. Ohne Angabe der weiteren Ermächtigungsgrundlagen weist der Verordnunggeber seine Rechtssetzungsbefugnis nicht vollständig nach. Er verhindert oder erschwert damit auch die Kontrolle, ob die Grenzen seiner Rechtssetzungsmacht gewahrt sind. Daß die weitere Ermächtigungsgrundlage in der amtlichen Begründung zur Hennenhaltungsverordnung (vgl BRDrucks 219/87, S.9; vgl auch die nachfolgenden Tierschutzberichte der Bundesregierung) genannt worden ist, reicht nicht aus. Die Offenlegung in derartigen nicht unmittelbar der Normsetzung dienenden Schriftstücken schafft nicht die rechtsstaatlich gebotene Publizität (vgl dazu auch BVerfGE_44,322 <350>). | |
2. Dagegen begründet die Nichterwähnung des § 21a TierSchG keinen Verstoß gegen das Zitiergebot des Art.80 Abs.1 Satz 3 GG. § 21a TierSchG ist keine - eigenständige - Ermächtigungsgrundlage, schon weil sie keinen Adressaten nennt (Art.80 Abs.1 Satz 1 GG). Vielmehr stellt sie nur klar, daß anderweit erteilte Ermächtigungen auch der Umsetzung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft dienen können. E.- I. | |
Sonstige verfassungsrechtliche Fragen, insbesondere die, ob die Tierschutzkommission hier im Verfahren zum Erlaß der angegriffenen Verordnung ausreichend angehört worden ist (vgl § 16b Abs.1 Satz 2 TierSchG) und welche Rechtsfolgen eine möglicherweise fehlerhafte Anhörung auf den Bestand der Verordnung haben könnte, sowie die Frage nach einer etwaigen verfassungsrechtlichen Qualität des ethisch begründeten Tierschutzes sind nicht mehr zu erörtern. II. | |
Die Rechtsfolgen der festgestellten Nichtigkeit der Hennenhaltungsverordnung bestimmen sich nach § 79 Abs.2 BVerfGG. | |
Das bedeutet: | |
1. Neue Käfiganlagen sind nicht mehr nach der Hennenhaltungsverordnung vom 10.Dezember 1987 (BGBl I S.2622) genehmigungsfähig; dies gilt entsprechend auch für solche, deren Genehmigung noch nicht unanfechtbar geworden ist. Bis zum Erlaß einer neuen Verordnung richten sich die Genehmigungsanforderungen unmittelbar nach dem Tierschutzgesetz (insbesondere §§ 1 und 2 TierSchG) und den verbindlichen Anforderungen gemäß der Empfehlung des Ständigen Ausschusses vom 28.November 1995 in bezug auf Haushühner der Art Gallus Gallus einschließlich ihres für die Käfigbatteriehaltung geltenden Anhangs I.Abschnitt A. Hieraus ergibt sich ein vollzugsfähiges Genehmigungsprogramm. | |
Ein Verstoß gegen die noch bestehende Richtlinie 88/166/EWG vom 7.März 1988 des Rates der Europäischen Gemeinschaften (ABlEG Nr.L 74/83) könnte sich hieraus schon deshalb nicht ergeben, weil diese nur Mindestanforderungen enthält, die in den Mitgliedstaaten überschritten werden dürfen (vgl. Urteil des EuGH vom 19.Oktober 1995, NJW 1996, S.113). Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu den Wirkungen des Tierschutzübereinkommens einschließlich der Empfehlungen des Ständigen Ausschusses (vgl Urteil vom 19.März 1998 - Rechtssache C-1/96 -, Slg.I, S.1251) stünde der innerstaatlichen Verbindlichkeit der Empfehlung vom 28. November 1995 nicht entgegen; die genannte Entscheidung betrifft allein das Verhältnis dieser Regelungen zu den Bestimmungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum Schutz des freien Warenverkehrs unter den Mitgliedstaaten. | |
2. Vorhandene Käfiganlagen, die auf unanfechtbar gewordenen Genehmigungen beruhen, bleiben in ihrem Bestand geschützt. Freilich gilt dies gemäß § 79 Abs.2 Satz 1 BVerfGG nur vorbehaltlich besonderer, den Bestandsschutz begrenzender gesetzlicher Vorschriften." | |
Auszug aus BVerfG U, 06.07.99, - 2_BvF_3/90 -, www.BVerfG.de, Abs.114 ff | |
§§§ | |
99.024 | Befangenheit Richter Kirchhof |
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LB 1) Entscheidend für die Frage, ob ein Verfassungsrichter befangen ist, ist ausschließlich, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl BVerfGE_88,17 <22 f>). | |
LB 2) Wissenschaftliche Äußerungen zu einer für das Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage können für sich genommen kein Befangenheitsgrund sein. | |
LB 3) Anlaß zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters kann danach bestehen, wenn die Nähe wissenschaftlicher Äußerungen zu der von einem Beteiligten vertretenen Rechtsauffassung bei einer Gesamtbetrachtung nicht zu übersehen ist und überdies die wissenschaftliche Tätigkeit des Richters vom Standpunkt anderer Beteiligter aus die Unterstützung dieses Beteiligten bezweckte. | |
LB 4) Gleiches gilt, wenn ein Richter Äußerungen zu verfassungsrechtlichen Fragen als Bevollmächtigter eines an einem früheren Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Beteiligten abgegeben hat und der in dem früheren Verfahren verfolgte Rechtsstandpunkt auch in anhängigen Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist (BVerfGE_95,189 <191 f>). | |
LB 5) Ein vor 18 Jahren angefertigtes Auftragsgutachten hat schon durch den Zeitablauf einen qualitativen Wandel erfahren; es steht nunmehr gleichrangig neben anderen wissenschaftlichen Meinungen. Diese führen aber für sich allein weder zum Ausschluß eines Richters des Bundesverfassungsgerichts von der Ausübung seines Richteramtes (§ 18 Abs.3 Nr.2 BVerfGG) noch zur Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 19 Abs.1 BVerfGG. | |
B 6) An dieser Rechtslage ändert sich auch dadurch nichts daß in dem neuen Verfahren wiederholt auf das seinerzeitige Gutachten des Richters Bezug genommen wird. | |
* * * | |
Beschluss | Entscheidungsformel: |
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T-99-10 | Befangenheit |
"1. Der Richter Kirchhof hat - mit dem Antrag auf Entscheidung des Senats - Umstände angezeigt, aufgrund derer seine Unbefangenheit in Zweifel gezogen wird. Das läßt es geboten erscheinen, einen Beschluß des Senats gemäß § 19 Abs.3 iVm § 19 Abs.1 BVerfGG herbeizuführen (vgl BVerfGE_88,17 <22>). | |
2. Die von Richter Kirchhof angezeigten Umstände geben keinen Anlaß, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln. | |
a) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters des Bundesverfassungsgerichts nach § 19 BVerfGG setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Es kommt mithin nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich "parteilich" oder "befangen" ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist ausschließlich, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl BVerfGE_88,17 <22 f>). | |
Wissenschaftliche Äußerungen zu einer für das Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage können für sich genommen kein Befangenheitsgrund sein. Es muß etwas Zusätzliches gegeben sein, das über die in § 18 Abs.2 und 3 BVerfGG genannten Ausschließungsgründe hinausgeht, damit eine Besorgnis der Befangenheit als begründet erscheinen kann (vgl BVerfGE_82,30 <38>). Anlaß zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters kann danach bestehen, wenn die Nähe wissenschaftlicher Äußerungen zu der von einem Beteiligten vertretenen Rechtsauffassung bei einer Gesamtbetrachtung nicht zu übersehen ist und überdies die wissenschaftliche Tätigkeit des Richters vom Standpunkt anderer Beteiligter aus die Unterstützung dieses Beteiligten bezweckte. Die Sorge, daß der Richter die streitige Rechtsfrage nicht mehr offen und unbefangen beurteilen werde, ist dann bei lebensnaher Betrachtungsweise verständlich (vgl BVerfGE_98,134 <137 f>). Gleiches gilt, wenn ein Richter Äußerungen zu verfassungsrechtlichen Fragen als Bevollmächtigter eines an einem früheren Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Beteiligten abgegeben hat und der in dem früheren Verfahren verfolgte Rechtsstandpunkt auch in anhängigen Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist (BVerfGE 95,189 <191 f>). | |
b) Bei vernünftiger Würdigung der von Richter Kirchhof mitgeteilten Umstände ist aus der Sicht der an den Verfahren der abstrakten Normenkontrolle Beteiligten und auch der in diesen Verfahren Äußerungsberechtigten (vgl §§ 76 Abs.1 Satz 1, 77 BVerfGG) eine Besorgnis der Befangenheit nicht begründet. | |
Dem Gutachtenauftrag des Landes Baden-Württemberg an den Richter Kirchhof im Jahre 1980 hatte sich die Prozeßvertretung für dieses Land vor dem Bundesverfassungsgericht im Jahre 1983 angeschlossen. Gutachtertätigkeit und Prozeßvertretung hatten dann mit dem Urteil des Zweiten Senats vom 24.Juni 1986 (BVerfGE_72,330) ihren Abschluß gefunden. Eine Besorgnis der Befangenheit des Richters Kirchhof kann nicht daraus hergeleitet werden, daß seine damalige Tätigkeit als Gutachter und Prozeßbevollmächtigter für die Landesregierung Baden-Württemberg bis in die hier anhängigen Verfahren der abstrakten Normenkontrolle gleichsam fortwirke. Im Unterschied zu den in BVerfGE_95,189 und BVerfGE_98,134 vom Ersten Senat beurteilten Sachverhalten fehlt es in bezug auf die nunmehr anhängigen Normenkontrollverfahren zum Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht an einer Beziehung des Richters Kirchhof zur antragstellenden Landesregierung von Baden-Württemberg, die sich als Übernahme einer "Gewährfunktion" (vgl BVerfGE_82,30 <39> ) für den vom antragstellenden Land vertretenen verfassungsrechtlichen Standpunkt verstehen ließe. Gutachtertätigkeit und Prozeßvertretung waren in den vom Ersten Senat entschiedenen Fällen (vgl auch BVerfGE_88,1 ) zeitlich und sachlich durch die Initiative des jeweils betroffenen Richters mit den zur Entscheidung anstehenden Verfahren verklammert. Eine solche zeitliche und sachliche Verklammerung zwischen den Tätigkeiten des Richters Kirchhof in den Jahren 1981 und 1983 und den nunmehr rechtshängigen Normenkontrollanträgen fehlt. Es bestehen insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, daß der Richter Kirchhof allein durch sein Gutachten aus dem Jahre 1981 und mit seiner Prozeßvertretung für das Land Baden-Württemberg im Jahre 1983 dieses jetzt im Jahre 1998 eingeleitete Normenkontrollverfahren zum inzwischen neu geregelten Länderfinanzausgleich veranlaßt haben könnte. Andere "Mitwirkungshandlungen" des Richters, die im nunmehr gestellten Antrag ihren Niederschlag gefunden haben könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich. | |
Die damalige Prozeßvertretung ist mit dem Abschluß jenes Verfahrens beendet worden. Das für die Landesregierung Baden-Württemberg damals erstattete Gutachten sollte nach seinem Zweck die Verständigung im Bundesrat über ein zukünftiges Finanzausgleichsgesetz vorbereiten. Allein schon der zeitliche Abstand von rund 18 Jahren läßt bei verständiger Würdigung nicht den Schluß zu, Richter Kirchhof habe die Landesregierung Baden-Württemberg damit beeinflußt, das nunmehr eingeleitete Normenkontrollverfahren anzustrengen. Das seinerzeit als "Auftragsgutachten" erstellte Werk hat schon durch den Zeitablauf einen qualitativen Wandel erfahren; es steht nunmehr gleichrangig neben anderen wissenschaftlichen Meinungen. Diese führen aber für sich allein weder zum Ausschluß eines Richters des Bundesverfassungsgerichts von der Ausübung seines Richteramtes (§ 18 Abs.3 Nr.2 BVerfGG) noch zur Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 19 Abs.1 BVerfGG. | |
Auch der Umstand, daß die Landesregierung Baden-Württemberg in ihrem Normenkontrollantrag vom 29.Juli 1998 wiederholt auf das seinerzeitige Gutachten des Richters Kirchhof Bezug nimmt, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Dieses Vorgehen läßt bei vernünftiger Würdigung aus dem Blickwinkel der im abstrakten Normenkontrollverfahren beteiligten Staatsorgane ebenfalls keinen Schluß auf eine persönliche und sachliche Nähe des Richters Kirchhof zum Gegenstand der nun zur Entscheidung anstehenden Normenkontrollverfahren zu." | |
Auszug aus BVerfG U, 06.07.99, - 2_BvF_2/98 -, www.BVerfG.de, Abs.15 ff | |
§§§ | |
99.025 | Mietvertrag |
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LB 1) Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist ein Richterspruch willkürlich, wenn er unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt vertretbar ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. | |
LB 2) Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. | |
LB 3) Fehlerhafte Auslegung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. | |
LB 4) Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird. Davon kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl BVerfGE_89,1 <13 f>). | |
LB 5) Will ein Vertragspartner zunächst überprüfen kommt es für die Auslegung der einzelnen Vertragspassagen entscheidend auf den Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung an. | |
LB 6) Es entspricht der herkömmlichen zivilrechtlichen Dogmatik, bei der Auslegung von Willenserklärungen gemäß den §§ 133, 157 BGB zunächst vom Wortlaut der Erklärung auszugehen und in einem zweiten Auslegungsschritt außerhalb des Erklärungsakts liegende Begleitumstände, wie insbesondere die Entstehungsgeschichte eines Vertrags, in die Interpretation einzubeziehen. | |
LB 7) für die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen nach den §§ 133, 157 BGB ist darauf abzustellen ist, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung nach Treu und Glauben und nach der Verkehrsauffassung verstehen mußte (vgl BGHZ_103,275 <280>). | |
LB 8) Ein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts, daß neunzigjährige Personen sich nicht mehr an das erinnern können, was sie zu einem ungefähr zwei Wochen zurückliegenden Zeitpunkt über eine in Aussicht genommene Vereinbarung mit dem anderen Vertragsteil abgesprochen haben, besteht nicht. | |
* * * | |
Beschluss | Entscheidungsformel: |
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T-99-11 | Handschriftliche Ergänzungen |
II. "Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93b BVerfGG zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art.3 Abs.1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot angezeigt ist (§ 93a Abs.2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs.1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. | |
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Richterspruch willkürlich, wenn er unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt vertretbar ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Fehlerhafte Auslegung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird. Davon kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl BVerfGE_89,1 <13 f>). | |
2. Gemessen daran kann die angegriffene Entscheidung keinen Bestand haben. Die tragende Erwägung für die Annahme des Landgerichts, das streitige Mietverhältnis sei nicht auf bestimmte Zeit abgeschlossen worden, eine ordentliche Kündigung wegen Eigenbedarfs der Klägerin gemäß § 564b Abs.2 Satz 1 Nr.2 BGB deshalb möglich, ist unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar. | |
a) Der Ausgangspunkt des Gerichts, es komme für die Auslegung der einzelnen Vertragspassagen entscheidend auf den Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung an, ist angesichts der unstreitigen Tatsache, daß die Vorvermieterin den schriftlich fixierten Mietvertrag zunächst überprüfen wollte, allerdings einleuchtend. Auch die Schlußfolgerung, daß deshalb das vorher Besprochene in den Hintergrund trete und der objektive Inhalt des Vertragstextes an Bedeutung gewinne, ist nachvollziehbar und zumindest vertretbar. Es entspricht der herkömmlichen zivilrechtlichen Dogmatik, bei der Auslegung von Willenserklärungen gemäß den §§ 133, 157 BGB zunächst vom Wortlaut der Erklärung auszugehen und in einem zweiten Auslegungsschritt außerhalb des Erklärungsakts liegende Begleitumstände, wie insbesondere die Entstehungsgeschichte eines Vertrags, in die Interpretation einzubeziehen (vgl BGH, NJW 1998, S.2966; Heinrichs, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 58.Aufl 1999, § 133 Rn.14-19). | |
Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich, daß das Landgericht darauf abgehoben hat, wie der Beschwerdeführer die Unterzeichnung des Mietvertrags durch die Vorvermieterin hat verstehen müssen. Dieser Ansatz stimmt mit der in Rechtsprechung und Literatur allgemein vertretenen Ansicht überein, daß für die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen nach den §§ 133, 157 BGB darauf abzustellen ist, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung nach Treu und Glauben und nach der Verkehrsauffassung verstehen mußte (vgl BGHZ_103,275 <280>; BGH, NJW 1988, S.2878 <2879>; Heinrichs, aaO, § 133 Rn.9 f, jeweils mwN). | |
b) Nicht mehr nachvollzogen werden kann jedoch, wie das Landgericht zu der Auffassung gelangen konnte, der Beschwerdeführer habe nicht davon ausgehen können, daß die Unterschriftsleistung der Vorvermieterin noch einen Bindungswillen bezüglich des handschriftlichen Teils des Mietvertrags umfaßt habe. | |
Das Gericht hat diese Auffassung unter "Berücksichtigung aller Umstände" gewonnen und dabei vor allem auf das Alter der Vorvermieterin verwiesen. Letzteres steht offenbar im Zusammenhang mit seiner Erwägung, daß - insbesondere wegen des hohen Alters von Frau K. - Vorbehalte hinsichtlich deren Fähigkeit, sich an den Inhalt des zwei Wochen zurückliegenden Gesprächs zu erinnern, angebracht seien, weshalb es "durchaus denkbar" sei, daß die Vermieterin beim späteren Durchlesen des Vertragstexts den handschriftlichen Passus in § 2 des Mietvertrags nur als auf die eigene Person bezogene Absichtserklärung gewertet und dem von ihr angekreuzten maschinenschriftlichen Passus die für den endgültigen Vertragsschluß entscheidende Bedeutung beigemessen habe. | |
Aus diesen Ausführungen erschließt sich schon nicht, weshalb der Beschwerdeführer bei Vertragsunterzeichnung davon ausgehen mußte, daß seiner Vertragspartnerin die Fähigkeit gefehlt haben könnte, sich an das etwa zwei Wochen zuvor hinsichtlich des Vertragsinhalts Besprochene zu erinnern. Ein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts, daß neunzigjährige Personen sich nicht mehr an das erinnern können, was sie zu einem ungefähr zwei Wochen zurückliegenden Zeitpunkt über eine in Aussicht genommene Vereinbarung mit dem anderen Vertragsteil abgesprochen haben, besteht nicht. Umstände, aus denen sich - für den Beschwerdeführer erkennbar - eine solche Erinnerungslücke bei der Vorvermieterin ergeben haben könnte, hat das Landgericht nicht angeführt. Es hat sich statt dessen auf bloße "Vorbehalte" gestützt, ohne diese in tatsächlicher Hinsicht zu untermauern. Im Vortrag der Parteien finden diese Vorbehalte keine Grundlage, weil ausweislich der beigezogenen Akten im Ausgangsverfahren weder die Klägerin noch der Beschwerdeführer geltend gemacht hat, bei der Vorvermieterin habe ein Erinnerungsmangel der genannten Art vorgelegen. | |
Soweit das Landgericht auf weitere Umstände verweist, derentwegen der Beschwerdeführer nicht habe davon ausgehen können, die Vorvermieterin habe bei der Vertragsunterzeichnung noch einen Rechtsbindungswillen bezüglich des handschriftlichen Vertragsinhalts zur Mietdauer gehabt, legt es diese Umstände nicht hinreichend offen. Sollte es zu ihnen auch gerechnet haben, daß nach seiner Ansicht Frau K. den maschinenschriftlichen Passus des Mietvertrags selbst angekreuzt hat, wäre diese Annahme schwerlich durch den Akteninhalt gedeckt. Denn nach dem beiderseitigen Parteivorbringen und den damit übereinstimmenden Aussagen der vom Amtsgericht vernommenen Zeugen haben der Vater des Beschwerdeführers das Mietvertragsformular (vollständig) ausgefüllt und die Vorvermieterin nur noch die Unterschrift unter den Vertrag geleistet. | |
Die Begründung des Landgerichts läßt weiter nicht erkennen, daß aus der nach Ansicht des Gerichts relativierenden Wirkung der Formulierung "lt. Aussprache" für die handschriftlichen Einfügungen in § 2 des Mietvertrags hinsichtlich dieses Teils des Vertragstexts auf einen fehlenden Rechtsbindungswillen der Vorvermieterin geschlossen werden könnte. Schließlich enthält auch die Akte des Ausgangsverfahrens keine Anhaltspunkte dafür, daß die ursprüngliche Vermieterin diese Einfügungen und die insoweit nach den Zeugenaussagen vor dem Amtsgericht vorher getroffenen Absprachen nicht mehr hat gelten lassen wollen. Die gegenteilige Annahme des Landgerichts entbehrt damit jeder Grundlage. | |
c) Das angegriffene Urteil beruht auch auf der damit gegebenen Verletzung des Art.3 Abs.1 GG. Es ist nicht auszuschließen, daß das Landgericht bei erneuter, die vorstehenden Ausführungen berücksichtigender Befassung mit der Sache, gegebenenfalls auch nach einer weiteren Beweisaufnahme, zu einem dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gelangt. | |
Die Ausführungen in der Stellungnahme des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz dazu, daß das Landgericht einfachrechtlich zu dem Ergebnis kommen müßte, wegen Nichteinhaltung des Schriftformerfordernisses des § 566 Satz 1 in Verbindung mit § 580 BGB hinsichtlich vom Beschwerdeführer vorgetragener Vereinbarungen zu Renovierungs- und Instandsetzungspflichten gelte der Vertrag gemäß § 566 Satz 2 Halbsatz 1 BGB als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, zwingen zu keiner anderen Beurteilung. Im Ausgangsverfahren ist diese Frage nicht thematisiert worden. Es läßt sich auch nicht sicher vorhersehen, wie das Landgericht sie, ihre Erheblichkeit unterstellt, entscheiden wird. | |
Der Beschwerdeführer hat im Ausgangsverfahren von ihm zu erbringende Instandsetzungs- und Renovierungsarbeiten in den Zusammenhang mit dem Wunsch der Vorvermieterin gestellt, einen Mieter zu finden, der bereit war, ihr Anwesen "in Ordnung zu halten". Im Hinblick auf diesen Wunsch wurde im schriftlichen Mietvertrag in § 2 zur Mietdauer handschriftlich festgehalten, daß der Beschwerdeführer das Anwesen mieten dürfe, solange es ihm gefällt "und er für Ordnung sorgt". Es liegt nahe, diesen Passus als (schriftlich fixierten) Ausdruck des Willens der Parteien über die erwähnten Instandsetzungs- und Renovierungsarbeiten zu verstehen. Jedenfalls ist nicht auszuschließen, daß das Landgericht im weiteren Verfahren zu einem derartigen Auslegungsergebnis gelangt. Dann wäre das Schriftformerfordernis wohl auch insoweit gewahrt (vgl. Emmerich, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 2.Buch, §§ 564 bis 580 a, 13.Bearbeitung 1997, § 566 Rn.32)." | |
Auszug aus BVerfG B, 07.07.99, - 1_BvR_346/99 -, www.BVerfG.de, Abs.10 ff | |
§§§ | |
99.026 | Telekommunikationsüberwachung |
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1) Art.10 GG schützt nicht nur gegenüber der staatlichen Kenntnisnahme von Telekommunikationskontakten. Sein Schutz erstreckt sich auch auf den Informations- und Datenverarbeitungsprozeß, der sich an zulässige Kenntnisnahmen anschließt, und den Gebrauch, der von den erlangten Kenntnissen gemacht wird. | |
2) Der räumliche Schutzumfang des Fernmeldegeheimnisses ist nicht auf das Inland beschränkt. Art.10 GG kann vielmehr auch dann eingreifen, wenn eine im Ausland stattfindende Telekommunikation durch Erfassung und Auswertung im Inland hinreichend mit inländischem staatlichen Handeln verknüpft ist. | |
3) Art.73 Nr.1 GG gibt dem Bund die Kompetenz zur Regelung der Erfassung, Verwertung und Weitergabe von Telekommunikationsdaten durch den BND. Dagegen berechtigt Art.73 Nr.1 GG den Bundesgesetzgeber nicht dazu, dem BND Befugnisse einzuräumen, die auf die Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten als solche gerichtet sind. | |
4) Ermächtigt der Gesetzgeber den BND zu Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis, so verpflichtet ihn Art.10 GG, Vorsorge gegen diejenigen Gefahren zu treffen, die sich aus der Erhebung und Verwertung personenbezogener Daten ergeben. Dazu gehört insbesondere die Bindung der Verwendung erlangter Kenntnisse an den Zweck, der die Erfassung rechtfertigt. | |
5) Die Befugnis des BND aus § 1, § 3 G-10, zur Früherkennung bestimmter aus dem Ausland drohender schwerer Gefahren für die Bundesrepublik Deutschland und zur Unterrichtung der Bundesregierung den Telekommunikationsverkehr zu überwachen, aufzuzeichnen und auszuwerten, ist grundsätzlich mit Art.10 GG vereinbar. | |
6) Die Übermittlung personenbezogener Daten, die der BND für seine Zwecke aus der Telekommunikationsüberwachung erlangt hat, an andere Behörden ist mit Art.10 GG vereinbar, setzt jedoch voraus, daß sie für deren Zwecke erforderlich sind, die Anforderungen an Zweckänderungen (BVerfGE_65,1 (44, 62) = DVBl_84,128) beachtet werden und die gesetzlichen Übermittlungsschwellen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
99.027 | Schuldrechtsanpassungsgesetz |
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LB: Zur Verfassungswidrigkeit einzelner Vorschriften des Schuldrechtsanpassungsgesetzes, durch das Rechtsverhältnisse über die Nutzung fremder Grundstücke, die in der Deutschen Demokratischen Republik begründet wurden, in das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs übergeleitet werden. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
99.028 | Telekommunikationsanlage |
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LB 1) Die in § 57 Abs.1 Nr.2 TKG statuierte Duldungspflicht stellt eine zulässige Inhaltsbestimmung iSv Art.14 Abs.1 S.2 GG dar und ist verfassungsgemäß. | |
LB 2) Die verfassungsrechtliche Gewährleistung fordert die Erhaltung der Substanz des Eigentums. Die Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis bleiben erhalten, wenn der Eigentümer des Grundstücks nach der Inanspruchnahme des Grundstücks durch eine Telekommunikationslinie weiterhin in der Weise nutzen kann, wie dies vor der Inanspruchnahme des Grundstücks der Fall war. | |
LB 3) Die bloße Kreuzung des Luftraums eines Grundstücks durch eine Telekommunikationslinie stellt im Regelfall eine zumutbare Beeinträchtigung dar. Dies gilt aber nicht für die Errichtung oberirdischer, weithin sichtbarer und dauerhafter Anlagen wie ein 6 m hoher Fernmeldmast und einen Kabelverzweigungskasten. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
99.029 | Akteneinsichtsrecht |
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1) § 99 Abs.1 Satz 2 iVm Abs.2 Satz 1 VwGO ist mit Art.19 Abs.4 GG unvereinbar, soweit er die Aktenvorlage auch in denjenigen Fällen ausschließt, in denen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes von der Kenntnis der Verwaltungsvorgänge abhängt. | |
2) Eine Beschränkung des Akteneinsichtsrechts der Verfahrensbeteiligten gemäß § 100 Abs.1 VwGO ist mit Art.103 Abs.1 GG vereinbar, wenn sich erst durch diese Beschränkung der von Art.19 Abs.4 GG gebotene effektive Rechtsschutz ermöglichen läßt. | |
LB 3) Eine Verfassungsbeschwerde gegen Zwischenentscheidungen ist grundsätzlich ausgeschlossen, weil Verfassungsverstöße gewöhnlich noch mit der Anfechtung der Endentscheidung gerügt werden können (vgl BVerfGE_21,139 <143>). | |
LB 4) Der Grund für den Ausschluß fehlt aber, wenn bereits die Zwischenentscheidung einen bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen zur Folge hat, der sich später gar nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr vollständig beheben läßt (vgl BVerfGE_1,322 <324 f>; BVerfGE_58,1 <23>). | |
LB 5) Die Rechtsschutzgarantie des Art.19 Abs.4 GG schließt ein, daß die Verwaltungsvorgänge, welche die für das Verwaltungsverfahren und dessen Ergebnis maßgeblichen Sachverhalte und behördlichen Erwägungen dokumentieren, dem Gericht zur Verfügung stehen, soweit sie für die Beurteilung Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung und der geltend gemachten Rechtsverletzung von Bedeutung sein können. | |
LB 6) Zur Effektivität des Rechtsschutzes gegenüber der öffentlichen Gewalt gehört es, daß das Gericht das Rechtsschutzbegehren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht prüfen kann und genügend Entscheidungsbefugnisse besitzt, um drohende Rechtsverletzungen abzuwenden oder erfolgte Rechtsverletzungen zu beheben (vgl BVerfGE_61,82 <111>; stRspr). | |
LB 7) Das schließt grundsätzlich eine Bindung des Gerichts an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Wertungen aus (vgl BVerfGE_15,275 <282>; BVerfGE_84,34 <49>). | |
LB 8) Das Gericht muß die tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und seine rechtliche Auffassung unabhängig von der Verwaltung, deren Entscheidung angegriffen ist, gewinnen und begründen. | |
LB 9) Die Belange der Geheimhaltung bestimmter Vorgänge und die Rechtsschutzansprüche des Betroffenen können insbesondere dadurch besser in Einklang gebracht werden, daß die Akten dem Gericht vorgelegt werden, das - unter Geheimhaltung - nach Verpflichtung zur prüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Auskunftsverweigerung im konkreten Fall erfüllt sind. Den Geheimhaltungsbedürfnissen wäre dadurch Rechnung getragen, daß die Kenntnisnahme auf das Gericht beschränkt bliebe ("in camera"-Verfahren"). | |
LB 10) Der Anspruch auf rechtliches Gehör, der dem Rechtsschutz des Einzelnen dient, kann diesem nicht entgegengehalten werden, wenn der begrenzte Verzicht darauf seinen Rechtsschutz ausnahmsweise verbessert. Nur unter dieser Voraussetzung, nicht dagegen zur Verminderung der Rechtsschutzposition des Betroffenen ist ein "in camera"-Verfahren mit dem Grundgesetz vereinbar. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
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T-99-12 | Weigerung der Aktenvorlage |
B. "Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Einer Entscheidung in der Sache steht weder der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen noch fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis. | |
1. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß die angegriffenen Entscheidungen einen Zwischenstreit betreffen. | |
Zwar ist eine Verfassungsbeschwerde gegen Zwischenentscheidungen grundsätzlich ausgeschlossen, weil Verfassungsverstöße gewöhnlich noch mit der Anfechtung der Endentscheidung gerügt werden können (vgl BVerfGE_21,139 <143>). Der Grund für den Ausschluß fehlt aber, wenn bereits die Zwischenentscheidung einen bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen zur Folge hat, der sich später gar nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr vollständig beheben läßt (vgl BVerfGE_1,322 <324 f>; BVerfGE_58,1 <23>). Das ist namentlich dann der Fall, wenn in einem selbständigen Zwischenverfahren über eine für das weitere Verfahren wesentliche Rechtsfrage eine abschließende Entscheidung fällt, die im Hauptsacheverfahren keiner Nachprüfung mehr unterliegt (vgl BVerfGE_24,56 <61>; BVerfGE_58,1 <23>). | |
Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Der Beschluß des Gerichts gemäß § 99 Abs.2 Satz 1 VwGO ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für das weitere Verfahren bindend. Seine Entscheidung muß im Verfahren zur Hauptsache wie ein rechtskräftiges Zwischenurteil zugrunde gelegt werden, so daß eine erneute Entscheidung im rechtskräftig abgeschlossenen Zwischenstreit nicht mehr ergehen darf (vgl BVerwGE_29,72 <73>). | |
Es ist auch nicht anzunehmen, daß die Klage trotz des für den Beschwerdeführer ungünstigen Ausgangs des Zwischenstreits Erfolg haben könnte, die behauptete Beeinträchtigung der Rechtsschutzgarantie sich also nicht zu Lasten der materiellen Individualrechtsposition auswirken würde. Denn die Abwägung zwischen dem Interesse des Rechtsschutzsuchenden an der Erteilung der Auskunft einerseits und den öffentlichen Interessen an der Ablehnung der Auskunft andererseits kann nicht losgelöst von den Tatsachen überprüft werden, die sich aus den Akten ergeben. Andere Beweismittel, mit deren Hilfe sich das Gericht Kenntnis von den für die Verwaltungsentscheidung maßgeblichen Tatsachen und Gründen verschaffen könnte, sind nicht ersichtlich. | |
Die Verweigerung der Aktenvorlage wirkt sich auch nicht etwa aus Gründen der Darlegungs- und Beweislastverteilung günstig für den Beschwerdeführer aus. Eine derartige Möglichkeit ist zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Sie besteht aber dann nicht, wenn über ein Auskunftsbegehren zu entscheiden ist. Würde die Behörde zur Auskunftserteilung verurteilt, weil sie die Gründe der Auskunftsablehnung eben wegen der Notwendigkeit einer Geheimhaltung nicht darlegen oder beweisen kann, so wären die Vorschriften, die die Zurückhaltung der Akten erlauben, ihres Sinnes beraubt. Die der Behörde zustehende Rechtsposition liefe leer. | |
2. Durch die inzwischen eingetretene Änderung der Rechtslage ist das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers nicht entfallen. Für die Erteilung der Auskunft ist nunmehr Art.11 Abs.3 des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes vom 24.August 1990 (GVBl S.323) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.April 1997 (GVBl S.70) maßgeblich, wonach weiterhin aus den vom Staatsministerium des Innern genannten Gründen Auskünfte verweigert werden dürfen. Auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes hat die Behörde den vom Beschwerdeführer im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruch nicht erfüllt. Die Beschwer durch die angegriffene Entscheidung im Zwischenstreit nach § 99 VwGO wirkt daher fort. C. | |
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. I. | |
Die angegriffenen Entscheidungen beeinträchtigen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt aus Art.19 Abs.4 GG. | |
1. Nur an diesem Grundrecht, nicht an dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG, auf das sich der Beschwerdeführer ebenfalls berufen hat, sind die angegriffenen Entscheidungen zu messen. 64 | |
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist nicht der materiellrechtliche Auskunftsanspruch des Beschwerdeführers, den er aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ableitet, sondern seine Durchsetzbarkeit im gerichtlichen Verfahren. Diese findet ihre verfassungsrechtliche Absicherung aber in der Rechtsschutzgarantie des Art.19 Abs.4 GG (vgl BVerfGE_65,1 <70>). Zwar können sich auch aus den materiellen Grundrechten unter Umständen Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben (vgl BVerfGE_39,276 <294>; BVerfGE_51,150 <156>; BVerfGE_52,391 <406 ff>). Das ist aber nur dann der Fall, wenn es um besondere oder zusätzliche Maßgaben geht, die gerade im Interesse einer bestimmten verfassungsrechtlichen Freiheitsgarantie erforderlich sind (vgl. etwa BVerfGE_46,325 <335 f>). | |
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die in § 99 Abs.1 Satz 1 VwGO enthaltene Verpflichtung zur Aktenvorlage und die Ausnahmeregelung in Satz 2 sind allgemein geltende Bestimmungen, die bei jedem Klagebegehren und jedem Streitgegenstand von Bedeutung sein können. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern das Recht auf informationelle Selbstbestimmung besondere Anforderungen an die Regelung der Aktenvorlage oder ihre Auslegung stellen könnte, die über den Gewährleistungsinhalt von Art.19 Abs.4 GG hinausgingen oder ihn modifizierten. | |
2. Die Rechtsschutzgarantie des Art.19 Abs.4 GG schließt ein, daß die Verwaltungsvorgänge, welche die für das Verwaltungsverfahren und dessen Ergebnis maßgeblichen Sachverhalte und behördlichen Erwägungen dokumentieren, dem Gericht zur Verfügung stehen, soweit sie für die Beurteilung Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung und der geltend gemachten Rechtsverletzung von Bedeutung sein können. | |
a) Wie das Bundesverfassungsgericht stets betont hat, verlangt der Rechtsschutz, den Art.19 Abs.4 GG dem Einzelnen im Hinblick auf die Wahrung oder die Durchsetzung seiner subjektiven öffentlichen Rechte gewährt, eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl BVerfGE_84,34 <49>; stRspr). Die Gewährleistung schließt einen möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen Verletzungen der Individualrechtssphäre durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt ein (vgl BVerfGE_8,274 <326>; stRspr). Ein solcher Rechtsschutz ist von besonderer Bedeutung, wenn es um die Abwehr von Grundrechtsverletzungen oder um die Durchsetzung verfassungsrechtlicher Gewährleistungen zugunsten des Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gewalt geht (vgl BVerfGE_60,253 <266>). | |
Zur Effektivität des Rechtsschutzes gegenüber der öffentlichen Gewalt gehört es, daß das Gericht das Rechtsschutzbegehren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht prüfen kann und genügend Entscheidungsbefugnisse besitzt, um drohende Rechtsverletzungen abzuwenden oder erfolgte Rechtsverletzungen zu beheben (vgl BVerfGE_61,82 <111>; stRspr). Das schließt grundsätzlich eine Bindung des Gerichts an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Wertungen aus (vgl BVerfGE_15,275 <282>; BVerfGE_84,34 <49>). Das Gericht muß die tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und seine rechtliche Auffassung unabhängig von der Verwaltung, deren Entscheidung angegriffen ist, gewinnen und begründen. | |
Soweit die Effektivität des Rechtsschutzes von der Offenlegung der Verwaltungsvorgänge abhängt, die zu der angegriffenen Entscheidung geführt haben, wird auch die Kenntnisnahme durch das Gericht von dem Grundrecht aus Art.19 Abs.4 GG umschlossen. Andernfalls wäre ihm die Gewährung eines umfassenden Rechtsschutzes unmöglich. Es müßte überall dort, wo keine anderen Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen, von den Darlegungen der Behörden ausgehen und könnte allenfalls prüfen, ob die Entscheidungen auf der Grundlage der als zutreffend zu unterstellenden Behauptungen rechtmäßig sind. | |
b) Der Rechtsweg, den Art.19 Abs.4 GG dem Einzelnen gewährleistet, bedarf allerdings der gesetzlichen Ausgestaltung. Rechtsschutz ist eine staatliche Leistung, deren Voraussetzungen erst geschaffen, deren Art näher bestimmt und deren Umfang im einzelnen festgelegt werden müssen. Art.19 Abs.4 GG gibt dem Gesetzgeber dabei nur die Zielrichtung und die Grundzüge der Regelung vor, läßt ihm im übrigen aber einen beträchtlichen Gestaltungsspielraum. Doch darf er die Notwendigkeit einer umfassenden Nachprüfung des Verwaltungshandelns in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und eine dem Rechtsschutzbegehren angemessene Entscheidungsart und Entscheidungswirkung nicht verfehlen (vgl BVerfGE_60,253 <268 f, 294>). | |
Im Regelungszusammenhang der Verwaltungsgerichtsordnung trägt § 99 Abs.1 Satz 1 VwGO den Anforderungen von Art.19 Abs.4 GG an die umfassende gerichtliche Nachprüfbarkeit des Verwaltungshandelns Rechnung, indem er alle Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften verpflichtet. Die Vorschrift dient dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung (vgl BTDrucks I/4278, S.44, zu § 100 VwGO), der umfassenden Aufklärung des Sachverhalts durch das Gericht sowie der Kenntnis der Beteiligten von den maßgeblichen Vorgängen (vgl BVerwGE_14,31 <32>; BVerfGE_15,132 <132 f.>) und bildet insofern eine Konkretisierung der Rechtsschutzgarantie des Art.19 Abs.4 GG. | |
3. Die angegriffenen Entscheidungen beeinträchtigen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art.19 Abs.4 GG. Die Verweigerung der Aktenvorlage hat zur Folge, daß das Gericht nicht zu beurteilen vermag, auf welchen tatsächlichen Grundlagen die behördliche Entscheidung beruht und ob diese geeignet sind, sie zu tragen. Die dem Gericht obliegende Rechtskontrolle im Interesse des Beschwerdeführers wird dadurch wesentlich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Wirksamer Rechtsschutz kann ihm nicht gewährt werden. Dasselbe gilt für den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs, der die behördliche Weigerung bestätigt hat. II.
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Die angegriffenen Entscheidungen sind mit Art.19 Abs.4 GG unvereinbar. Die Regelung des § 99 Abs.1 Satz 2 in Verbindung mit Abs.2 Satz 1 VwGO, auf die sie sich stützen, schränkt Art.19 Abs.4 GG unverhältnismäßig ein. | |
1. Art.19 Abs.4 GG schließt allerdings, obwohl er vorbehaltlos formuliert ist, Einschränkungen nicht von vornherein aus. Soweit bei der Ausgestaltung der Rechtsschutzgarantie Belange, die dem Gebot umfassenden Rechtsschutzes entgegenstehen, Beachtung verlangen, kann der Gesetzgeber vielmehr Ansprüche, die sich dem Grunde nach aus Art.19 Abs.4 GG ergeben, einschränken. Derartige Einschränkungen unterliegen aber den Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben. Sie müssen mit den Prinzipien einer rechtsstaatlichen Verfahrensordnung vereinbar sein und dürfen den Rechtsschutz nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl BVerfGE_60,253 <268 f>; BVerfGE_88,118 <123 ff>). | |
2. Die Regelung in § 99 Abs.1 Satz 2 in Verbindung mit Abs.2 Satz 1 VwGO führt zu einer Beschränkung des Grundrechts aus Art.19 Abs.4 GG. | |
a) § 99 Abs.1 Satz 2 VwGO behindert die effektive gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der im Hauptsacheverfahren angegriffenen behördlichen Entscheidung. | |
Die Vorschrift läßt Ausnahmen von der Regelung in Satz 1 zu, wenn das Bekanntwerden des Akteninhalts dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheimgehalten werden müssen. Sie hat zur Folge, daß das Gericht seine Kontrollfunktion insoweit nicht in vollem Umfang wahrnehmen kann, als es dazu auf die Akten angewiesen ist. | |
Beruft sich die Behörde gegenüber einem Auskunftsbegehren auf Geheimhaltungsgründe und wird strittig, ob die Voraussetzungen dafür vorliegen, so gewinnen die tatsächlichen Grundlagen der Auskunftsablehnung entscheidende Bedeutung für deren rechtliche Beurteilung. Ihre Rechtmäßigkeit hängt davon ab, ob die Behörde die tatsächlichen Grundlagen sorgfältig zusammengetragen und richtig eingeschätzt, zutreffende Bewertungen und Prognosen im Rahmen der Tatbestandsmerkmale der Norm vorgenommen und die Interessen des Betroffenen an der Auskunftserteilung einerseits und diejenigen der Behörde an der Geheimhaltung andererseits angemessen abgewogen hat. | |
Andere Beweismittel als die Verwaltungsvorgänge, in denen die für das Verwaltungsverfahren und sein Ergebnis relevanten Sachverhalte dokumentiert sind, dürften bei Klagen auf Erteilung von Auskünften aus Akten kaum jemals in Betracht kommen. Insbesondere kann eine Vernehmung der Auskunftspersonen die Lücke nicht schließen, weil es gerade ihre Namen und die von ihnen gemachten Angaben über den Rechtsschutzsuchenden sind, die aus übergeordneten Gründen geheimhalten werden sollen. | |
Das Rechtsschutzdefizit läßt sich auch nicht im Rahmen der Beweiswürdigung ausgleichen. Eine solche Möglichkeit besteht nur dann, wenn die Behörde eine Sachentscheidung trifft, die nicht allein auf einer geheimgehaltenen Tatsachengrundlage beruht. Das Gericht kann die Aufklärungslücke in diesem Fall überbrücken, indem es die übrigen Erkenntnisse verwertet und die nicht aufklärbare Tatsache nur mit minderem Beweiswert berücksichtigt. Diese Möglichkeit entfällt aber dort, wo gerade die Kenntnisgewähr Streitgegenstand ist. | |
b) Das Rechtsschutzdefizit wird auch nicht durch die Vorkehrungen des § 99 Abs.1 Satz 2 und Abs.2 Satz 1 VwGO kompensiert. | |
§ 99 Abs.1 Satz 2 VwGO behält die Verweigerung der Aktenvorlage der obersten Aufsichtsbehörde vor. Diese Regelung vermeidet zwar in der Regel, daß die Entscheidung von derjenigen Behörde gefällt wird, deren Handeln auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden soll und die unter Umständen ein sachwidriges Interesse an der Nichtvorlage der Akten haben kann. Die oberste Aufsichtsbehörde ist allerdings weder an dem Verfahren unbeteiligt noch an seinem Ausgang uninteressiert. Vielmehr wird gerade bei Konflikten um Auskünfte von Sicherheitsbehörden damit zu rechnen sein, daß auch sie besonderen Wert auf Geheimhaltung legt. Insofern vermag diese Prüfung die Kontrolle durch eine unabhängige, in die Sachaufgabe nicht einbezogene Instanz nicht zu ersetzen. | |
§ 99 Abs.2 Satz 1 VwGO, der eine Glaubhaftmachung der Weigerungsgründe verlangt und diese der gerichtlichen Kontrolle unterwirft, kann die Rechtsschutzlücke ebenfalls nicht schließen, weil bei Kenntnisrechten die Glaubhaftmachung der Behörde für die Verweigerung der Aktenvorlage regelmäßig nicht über die Begründung für die Auskunftsablehnung gegenüber dem Betroffenen hinausgehen wird. Die Gründe, die die Behörde dafür vorträgt, daß sie dem Grundrechtsträger keine Auskunft erteilt, fallen vielmehr mit denjenigen zusammen, mit denen sie im anschließenden gerichtlichen Verfahren inhaltlich glaubhaft macht, daß sie die Aktenvorlage verweigern durfte. | |
Im Kern vermag daran auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nichts zu ändern, die die Anforderungen an die Glaubhaftmachung gemäß § 99 Abs.2 Satz 1 VwGO verschärft hat. Danach muß die Behörde die konkreten Gründe ihrer Weigerung so weit darlegen, wie entgegenstehende Gründe dies noch zulassen, damit dem Gericht die Überprüfung der Weigerung mindestens auf offensichtliche Fehler möglich ist. Die Darlegung darf sich nicht auf die bloße Wiedergabe oder Umschreibung der gesetzlichen Weigerungsgründe beschränken. Kann die Behörde die konkreten Gründe ihrer Weigerung nicht offenbaren, muß sie darlegen, aus welchen Gründen ihr dies unmöglich ist (vgl BVerwGE_74,115 <124>; BVerfGE_75,1 <11>; BVerwG, NVwZ-RR 1997, S.133 <134>). | |
Ungeachtet der verschärften Begründungsanforderungen handelt es sich bei der Überprüfung der Glaubhaftmachung weiterhin um eine indirekte Kontrolle, die lediglich diejenigen Fälle erfassen kann, in denen die Aktenvorlage mit erkennbar unzureichender Begründung verweigert worden ist. In den übrigen Fällen bieten auch die verschärften Begründungsanforderungen keinen Ausgleich für den Wegfall der gerichtlichen Kontrolle. Im allgemeinen werden sich diese Anforderungen so erfüllen lassen, daß Unstimmigkeiten zwischen den Tatbestandsmerkmalen von § 99 Abs.1 Satz 2 VwGO und den Weigerungsgründen des Einzelfalls nicht zutage treten. | |
Bei Klagen auf Auskunftserteilung wie der vorliegenden helfen die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze schließlich gar nicht weiter. Denn einer Verpflichtung der Behörde zur Aktenvorlage steht der Umstand entgegen, daß der Kläger auf diese Weise vermittels des Akteneinsichtsrechts aus § 100 Abs.1 VwGO bereits das Rechtsschutzziel des Hauptsacheverfahrens erreichte. Darauf ist auch in den Stellungnahmen übereinstimmend hingewiesen worden. | |
3. Die Beschränkung des Rechtsschutzes durch § 99 Abs.1 Satz 2 in Verbindung mit Abs.2 Satz 1 VwGO hält einer Überprüfung am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht stand. | |
a) Der Zweck der Regelung ist allerdings verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Geheimhaltung von Vorgängen, deren Bekanntwerden dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde, ist ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls. Das gilt auch für die von einem Gesetz angeordnete Geheimhaltung, sofern dieses Gesetz seinerseits mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sowie für diejenigen Vorgänge, die ihrem Wesen nach geheimgehalten werden müssen. Zwar sind die Weigerungsgründe in § 99 Abs.1 Satz 2 VwGO äußerst abstrakt formuliert. Doch erlauben sie, wie die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zeigt (vgl BVerwGE_75,1 <10 f.>), einen solchen Grad an Konkretisierung, daß eine Überprüfung im Einzelfall möglich bleibt. Es bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, daß der Schutz nachrichtendienstlicher Informationen, Informationsquellen und Arbeitsweisen sowie die Vertraulichkeitszusagen an Informanten, um die es im vorliegenden Fall geht, Gründe darstellen können, die eine Geheimhaltung von Informationen grundsätzlich rechtfertigen. | |
b) Die Vorschrift des § 99 Abs.1 Satz 2 VwGO ist auch geeignet, ihren Zweck zu erreichen. Es fehlt ihr aber an der Erforderlichkeit zur Zweckerreichung. Denn es bestehen Möglichkeiten, den legitimen Geheimhaltungsbedürfnissen Rechnung zu tragen, ohne daß der Rechtsschutzanspruch aus Art.19 Abs.4 GG im selben Maß wie derzeit auf der Grundlage von § 99 VwGO verkürzt wird. | |
Die Belange der Geheimhaltung bestimmter Vorgänge und die Rechtsschutzansprüche des Betroffenen können insbesondere dadurch besser in Einklang gebracht werden, daß die Akten dem Gericht vorgelegt werden, das - unter Verpflichtung zur Geheimhaltung - nachprüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Auskunftsverweigerung im konkreten Fall erfüllt sind. Den Geheimhaltungsbedürfnissen wäre dadurch Rechnung getragen, daß die Kenntnisnahme auf das Gericht beschränkt bliebe ("in camera"-Verfahren). Der Rechtsschutzsuchende selber erführe nicht, welche Gründe im einzelnen die Auskunftsverweigerung tragen. Ein Zwischenstreit über die Glaubhaftmachung der Verweigerung der Aktenvorlage würde unter diesen Umständen entbehrlich. Damit erledigte sich zugleich der Einwand, daß bei einer Aktenvorlagepflicht der Behörde gegenüber dem Gericht mittels des Akteneinsichtsrechts aus § 100 VwGO die Hauptsacheentscheidung vorweggenommen würde. | |
Art.103 Abs.1 GG stünde einer solchen Ausgestaltung nicht entgegen. Zwar gibt diese Verfassungsnorm dem Einzelnen ein Recht darauf, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt zu äußern, damit er Einfluß auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen kann (vgl BVerfGE_89,28 <35>; stRspr). Einer gerichtlichen Entscheidung dürfen daher grundsätzlich nur solche Tatsachen zugrunde gelegt werden, zu denen die Beteiligten Stellung nehmen konnten (vgl BVerfGE_89,381 <392>; stRspr). Zu Tatsachen und Beweismitteln, die das Gericht von Amts wegen in den Prozeß einführt und die es bei seiner Entscheidung berücksichtigen will, hat es die Beteiligten zu hören (vgl BVerfGE_70,180 <189>). | |
Indessen dürfen Art.19 Abs.4 und Art.103 Abs.1 GG nicht in Gegensatz zueinander gerückt werden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art.103 Abs.1 GG steht vielmehr in engem Zusammenhang mit der aus Art.19 Abs.4 GG folgenden Rechtsschutzgarantie. Beide dienen dem gleichen Ziel, nämlich der Ermöglichung effektiven Rechtsschutzes (vgl BVerfGE_81,123 <129>). Eine Abwägung zwischen verschiedenen Interessen und eine darauf beruhende Einschränkung des rechtlichen Gehörs schließt Art.103 Abs.1 GG nicht aus (vgl BVerfGE_89,381 <392>). Das rechtliche Gehör kann eingeschränkt werden, wenn dies durch sachliche Gründe hinreichend gerechtfertigt ist (vgl BVerfGE_81,123 <129 f>). Der Gesetzgeber hat dies beispielsweise in § 120 Abs.3 des Sozialgerichtsgesetzes getan. | |
Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, daß die Offenbarung geheimzuhaltender Tatsachen nur gegenüber dem Strafgericht, nicht auch gegenüber dem Angeklagten gegen Art.103 Abs.1 GG verstoße (vgl BVerfGE_57,250 <288> ), folgt nichts anderes. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht diese Auffassung für das verwaltungsgerichtliche Verfahren übernommen. Sie liegt auch der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs zugrunde. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts beziehen sich aber ausdrücklich auf das Strafverfahren. Sie lassen sich nicht unbesehen auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren übertragen. | |
Wie der Vorsitzende des 4.Strafsenats des Bundesgerichtshofs in seiner Stellungnahme dargelegt hat, wirken Geheimhaltungsinteressen der Exekutive im Strafverfahren in dubio pro reo. Ein "in camera"-Vorgehen würde unter diesen Umständen den Rechtsschutz des Angeklagten verschlechtern. Geheimhaltungsbedürftige Tatsachen dürften gegen ihn verwendet werden, ohne daß er Gelegenheit erhielte, sich dazu zu äußern. Demgegenüber führt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gerade ein Absehen von einem "in camera"-Verfahren zu einer Minderung des Individualrechtsschutzes, die erheblich schwerer wiegt als eine Einschränkung des rechtlichen Gehörs. Nicht nur dem Rechtsschutzsuchenden, sondern auch dem Gericht fehlt jede Möglichkeit der Kenntnisnahme. Da der Grundsatz "in dubio pro reo" hier nicht gilt, wirkt sich die Geheimhaltung entscheidungserheblicher Tatsachen regelmäßig nachteilig für den Rechtsschutzsuchenden aus. Das ungeschmälerte rechtliche Gehör würde die Effektivität des Rechtsschutzes im Ergebnis herabsetzen, statt sie zu stützen. | |
Wird der von Art.19 Abs.4 GG gewährleistete effektive Rechtsschutz aber erst - wie in den Fällen der Geheimhaltungsbedürftigkeit von Tatsachen - durch eine Beschränkung des rechtlichen Gehörs möglich, dann liegt in dem damit verbundenen Vorteil, daß jedenfalls das Gericht die vollständigen Akten kennt und aufgrund dieser Kenntnis zu dem Schluß kommen kann, daß die Geheimhaltungsinteressen nicht vorliegen oder nicht überwiegen, ein hinreichender sachlicher Grund im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Der Anspruch auf rechtliches Gehör, der dem Rechtsschutz des Einzelnen dient, kann diesem nicht entgegengehalten werden, wenn der begrenzte Verzicht darauf seinen Rechtsschutz ausnahmsweise verbessert. Nur unter dieser Voraussetzung, nicht dagegen zur Verminderung der Rechtsschutzposition des Betroffenen ist ein "in camera"-Verfahren mit dem Grundgesetz vereinbar. | |
Bei der Ausgestaltung eines solchen Verfahrens genießt der Gesetzgeber weitgehende Freiheit. Insbesondere ist es ihm unbenommen, Vorkehrungen zu treffen, die den Kreis der Geheimnisträger im Spruchkörper klein halten und den Geheimnisschutz sichern. Der Gesetzgeber ist zur Erfüllung der Anforderungen von Art.19 Abs.4 GG freilich nicht auf diesen Weg festgelegt. Soweit andere Möglichkeiten bestehen, das Rechtsschutzdefizit, das § 99 VwGO hinterläßt, auszugleichen, ohne die Geheimhaltungsinteressen zu vernachlässigen, stehen ihm auch diese offen. | |
4. Eine Behebung des Rechtsschutzdefizits durch verfassungskonforme Auslegung von § 99 Abs.1 Satz 2 in Verbindung mit Abs.2 Satz 1 VwGO kommt nicht in Betracht. Ansatzpunkte für eine solche Auslegung sind weder im Gesetzestext noch in der Gesetzgebungsgeschichte sichtbar. Der Gesetzgeber hat die gerichtlichen Befugnisse in § 99 Abs.2 Satz 1 VwGO vielmehr ausdrücklich auf die Überprüfung der Glaubhaftmachung beschränkt. Auch ein Verzicht des Klägers auf seine Rechte aus Art.103 Abs.1 GG eröffnet nicht den Weg zu einer verfassungskonformen Auslegung. Abgesehen davon, daß auch damit noch keine Rechtsgrundlage für die Pflicht der Behörde zur Auskunftserteilung oder Aktenvorlage an das Gericht gegeben wäre, entfällt diese Möglichkeit aber auch deswegen, weil sie nicht das einzige Mittel zur Behebung des Mangels ist und auch, wenn es vom Gesetzgeber gewählt werden sollte, eine Reihe von Ausgestaltungsfragen aufwirft, deren Beantwortung nicht Sache der Gerichte ist. | |
5. Die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Entscheidungen ergibt sich aus der Verfassungswidrigkeit von § 99 Abs.1 Satz 2 in Verbindung mit Abs.2 Satz 1 VwGO, der ihnen zugrunde liegt." | |
III. Die Verfassungswidrigkeit von § 99 Abs.1 Satz 2 in Verbindung mit Abs.2 Satz 1 VwGO führt nicht zur Nichtigkeit der Vorschrift, sondern nur zur Unvereinbarkeit mit Art.19 Abs.4 GG. Die Regelung gibt lediglich in denjenigen Fällen Anlaß zu verfassungsrechtlicher Beanstandung, in denen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes, wie namentlich bei Auskunftsbegehren, von der Kenntnis geheimgehaltener Verwaltungsvorgänge abhängt. Im übrigen behält sie auch in der derzeitigen Form ihren Anwendungsbereich. | |
Da Lösungsmöglichkeiten vorhanden sind, die die grundrechtliche Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes weniger beeinträchtigen als § 99 VwGO, ohne daß dessen legitime Gemeinwohlzwecke dadurch gefährdet würden, ist der Gesetzgeber aus Art.19 Abs.4 GG verpflichtet, eine den Anforderungen dieses Grundrechts Rechnung tragende Regelung zu treffen. Er hat dafür eine Frist bis zum 31. Dezember 2001. | |
Bis zu einer Neuregelung sind in anhängigen Verfahren der vorliegenden Art die Verwaltungsvorgänge zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Vorlageverweigerung dem Gericht vorzulegen, ohne daß dieses den Beteiligten Akteneinsicht gewähren oder den Akteninhalt in sonstiger Weise, etwa in der Entscheidungsbegründung, bekanntgeben darf. Das Verfahren zur Prüfung und zur Entscheidung über die Berechtigung der Vorlageverweigerung wird dem den Vorsitz führenden Richter als Einzelrichtersache zugewiesen." | |
Auszug aus BVerfG B, 27.10.99, - 1_BvR_385/90 -, www.BVerfG.de, Abs.54 | |
§§§ | |
99.030 | Heileurythmist |
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Das Gleichbehandlungsgebot (Art.3 Abs.1 GG) verbietet eine allein nach der Existenz berufsrechtlicher Regelungen unterscheidende Umsatzsteuerbefreiung. | |
LB 2) Soweit das Umsatzsteuerrecht nach Umsatzarten und Unternehmern unterscheidet und daran unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, müssen diese ihre Rechtfertigung in besonderen sachlichen Gründen finden (vgl BVerfGE_84,348 <363 f>; BVerfGE_96,1 <6>; BVerfGE_99,88 <95>). | |
LB 3) Die berufsrechtliche Regelung ist kein eigenständiger Differenzierungsgrund, von dessen Vorliegen die Ähnlichkeit mit einer "heilberuflichen Tätigkeit" im Sinne des § 4 Nr.14 UStG allein abhängig gemacht werden könnte. | |
LB 4) Der Befreiungstatbestand des § 4 Nr.14 UStG zeichnet auch keinen berufsrechtlichen Lenkungszweck vor, der die Steuerbefreiung für Heil- und Heilhilfsberufe von ihrer beruflichen Qualifikation abhängig machen würde. Vielmehr ist erkennbarer Normzweck UStG allein die Entlastung der Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer. | |
* * * | |
T-99-13 | Umsatzsteuerbefreiung - Heileurythmist |
I. "1. Art.3 GG verlangt die Gleichbehandlung "aller Menschen" vor dem Gesetz. Der Gleichheitssatz ist um so strikter, je mehr er den Einzelnen als Person betrifft, und um so mehr für gesetzgeberische Gestaltungen offen, als allgemeine, für rechtliche Gestaltungen zugängliche Lebensverhältnisse geregelt werden (vgl BVerfGE_96,1 <5 f>; BVerfGE_99,88 <94>). 20 | |
2. Im Sachbereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Gestaltungsraum. Nach Regelung dieses Ausgangstatbestandes aber hat er die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen (ständige Rechtsprechung, zuletzt BVerfGE_93,121 <136>; BVerfGE_99,88 <95> ). Das Gebot der folgerichtigen Umsetzung der einmal getroffenen Belastungsentscheidung betrifft auch den Gesetzesvollzug und die Rechtsprechung, wenn für vergleichbare Sachverhalte und künftige Entwicklungen offene steuerliche Tatbestandsmerkmale durch Auslegung zu konkretisieren sind. | |
3. Die Umsatzsteuer erfaßt die Kaufkraft, den Markterfolg des Konsumenten. Nach § 1 Abs.1 Nr.1 UStG belastet die Umsatzsteuer die entgeltliche unternehmerische Leistung im Inland. Sie ist darauf angelegt, auf den Endverbraucher überwälzt zu werden; Umsatzsteuerbelastungen einer Leistung an einen Unternehmer werden durch Vorsteuerabzug zurückgenommen (§ 15 UStG). Dieser umsatzsteuerliche Grundtatbestand stellt alle unternehmerischen Tätigkeiten gleich. Die frühere unterschiedliche Belastung von freiberuflichen und gewerblichen Betätigungen im Steuersatz ist durch das 2.Haushaltsstrukturgesetz vom 22.Dezember 1981 (BGBl I S.1523) aufgehoben worden. Eine Steuerermäßigung für Umsätze freier Berufe widerspricht dem System der Umsatzsteuer, das eine Begünstigung bestimmter Unternehmer nach der Konzeption der Überwälzbarkeit nicht erlaubt. Systemgerecht sind nur Vergünstigungen im Interesse der Verbraucher, nicht einzelner Unternehmergruppen (vgl Begründung zum 2.Haushaltsstrukturgesetz, BTDrucks 9/842, S.74). | |
4. Soweit das Umsatzsteuerrecht nach Umsatzarten und Unternehmern unterscheidet und daran unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, müssen diese ihre Rechtfertigung in besonderen sachlichen Gründen finden (vgl BVerfGE_84,348 <363 f>; BVerfGE_96,1 <6>; BVerfGE_99,88 <95>). II. | |
Nach diesem Maßstab verstößt die angegriffene Entscheidung des Bundesfinanzhofs, die einer beruflichen Tätigkeit als Heileurythmist die Umsatzsteuerbefreiung nur zuspricht, wenn der Gesetzgeber sie entweder in den Katalog des § 4 Nr.14 UStG aufgenommen oder ihre Ähnlichkeit mit einem Katalogberuf durch eine Berufsregelung bestätigt hat, gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art.3 Abs.1 GG. | |
1. Die angegriffene Entscheidung führt im Ergebnis dazu, daß der Beschwerdeführer allein deshalb von der Umsatzsteuerbefreiung für heilberufliche Tätigkeiten im Sinne des § 4 Nr.14 UStG ausgenommen ist, weil keine berufsrechtlichen Regelungen für die Heileurythmie bestehen. | |
a) Die berufsrechtliche Regelung ist kein eigenständiger Differenzierungsgrund, von dessen Vorliegen die Ähnlichkeit mit einer "heilberuflichen Tätigkeit" im Sinne des § 4 Nr.14 UStG allein abhängig gemacht werden könnte. Eine berufsrechtliche Regelung mag geeignet sein, die berufliche Qualifikationshöhe einzuschätzen. Das Fehlen einer berufsrechtlichen Regelung gibt jedoch für sich genommen noch keinen ausreichenden Anhalt dafür, eine Ähnlichkeit mit einem in § 4 Nr.14 UStG genannten Beruf zu verneinen und die Berufstätigkeit von der umsatzsteuerlichen Begünstigung auszunehmen. Der umsatzsteuerliche Belastungsgrund erfaßt die Regelung als ähnliche heilberufliche Tätigkeit im Sinne des § 4 Nr.14 UStG und befreite sie deshalb von der Umsatzsteuer, wenn die Tätigkeit aufgrund einer Zuweisung des Patienten durch einen Arzt und unter dessen Verantwortung ausgeübt wurde (vgl Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 29.November 1980, BStBl I 1981, S.29; Abschnitt 90 Abs.3 Umsatzsteuerrichtlinien 1996); erst mit Gesetz vom 16.Juni 1998 (BGBl I S.1311) wurde die schon seit mehreren Legislaturperioden angekündigte berufsrechtliche Regelung für Psychotherapeuten geschaffen (vgl BTDrucks 12/5890, 13/8035). | |
2. Im Ergebnis ist deshalb kein sachlich rechtfertigender Grund ersichtlich, dem Beschwerdeführer die Steuerbefreiung des 4 Nr.14 UStG zu versagen, wenn Leistungen eines Heileurythmisten in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden. Dies wird im erneuten fachgerichtlichen Verfahren zu prüfen sein." | |
c) Schließlich deutet auch das vom Beschwerdeführer im finanzgerichtlichen Verfahren vorgelegte Schreiben des Gesundheitsministeriums Baden-Württemberg vom 5.Juli 1978 zu den Gründen einer bisher unterbliebenen berufsrechtlichen Regelung weniger auf eine Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine Umsatzsteuerbefreiung für Heileurythmisten als lediglich auf ein mangelndes Bedürfnis zur gesetzlichen Regelung angesichts der relativ geringen Zahl der als Heileurythmisten Tätigen. | |
Auszug aus BVerfG B, 29.10.99, - 2_BvR_1264_90 -, www.BVerfG.de, Abs.19 | |
§§§ | |
99.031 | Ausgleichsfonds |
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Zur Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs.2 Satz 1 des Hessischen Sonderurlaubsgesetzes. | |
LB 2) Die Finanzverfassung des Grundgesetzes geht davon aus, daß Gemeinlasten aus Steuern finanziert werden. | |
LB 3) Wählt der Gesetzgeber als Finanzierungsmittel für eine öffentliche Aufgabe die Sonderabgabe, weicht er von drei grundlegenden Prinzipien der Finanzverfassung ab. | |
LB 4) Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Erhebung von Sonderabgaben an strenge Zulässigkeitsvoraussetzungen geknüpft. Hierauf wird verwiesen (vgl BVerfGE_55,274 <298 ff> - Berufsausbildungsabgabe; BVerfGE_67,256 <274 ff> - Investitionshilfeabgabe 1982; BVerfGE_82,159 <179 ff> - Absatzfondsgesetz; BVerfGE_91,186 <201 ff> - Kohlepfennig). | |
LB 5) Das Bundesverfassungsgericht hat die Grundsätze zur Zulässigkeit von Sonderabgaben bei der Prüfung bundesrechtlich geregelter Abgaben entwickelt. Die Maßstäbe, nach denen Sonderabgaben nur unter engen Voraussetzungen erhoben werden dürfen, gelten aber auch für landesrechtliche Abgaben (vgl BVerfGE_92,91 <115>). | |
LB 6) Bei der Ausgleichsabgabe nach § 7 Abs.2 Satz 1 HSUG handelt es sich um eine Sonderabgabe, die die verfassungsrechtlichen Kriterien an die Zulässigkeit einer Sonderabgabe nicht erfüllt. | |
* * * | |
Beschluss | Entscheidungsformel: |
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T-99-14 | Ausgleichsabgabe nach Sonderurlaubsgesetz |
B. "§ 7 Abs.2 Satz 1 HSUG verstößt gegen Art.105 und Art.110 Abs.1 Satz 1 GG. Bei der Ausgleichsabgabe nach dem Hessischen Sonderurlaubsgesetz handelt es sich um eine Sonderabgabe. Sie erfüllt nicht die verfassungsrechtlichen Kriterien für die Zulässigkeit derartiger Abgaben.I. | |
1. Die Finanzverfassung des Grundgesetzes geht davon aus, daß Gemeinlasten aus Steuern finanziert werden. Um eine Finanzordnung sicherzustellen, die den Gesamtstaat und die Gliedstaaten am Gesamtertrag der Volkswirtschaft sachgerecht beteiligt (vgl BVerfGE_55,274 <300> ), regelt sie die Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungskompetenz im wesentlichen - neben den Zöllen und Finanzmonopolen - nur für das Finanzierungsmittel der Steuer. Sie versagt es dem Gesetzgeber grundsätzlich, unter Inanspruchnahme einer Sachkompetenz Sonderabgaben zur Erzielung von Einnahmen für den allgemeinen Finanzbedarf eines öffentlichen Gemeinwesens zu erheben und das Aufkommen aus derartigen Abgaben zur Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben zu verwenden (vgl BVerfGE_91,186 <201>). | |
Wählt der Gesetzgeber als Finanzierungsmittel für eine öffentliche Aufgabe die Sonderabgabe, weicht er von drei grundlegenden Prinzipien der Finanzverfassung ab. Er beansprucht zur Auferlegung von Abgaben eine Gesetzgebungskompetenz außerhalb der Finanzverfassung und stellt damit einen Eckpfeiler der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes in Frage. Er gefährdet durch den haushaltsflüchtigen Ertrag der Sonderabgabe das Budgetrecht des Parlaments und berührt damit auch die an den Staatshaushalt anknüpfenden Regelungen für den Finanzausgleich, für die Stabilitätspolitik, die Verschuldensgrenze, die Rechnungslegung und Rechnungsprüfung. Schließlich verschiebt er die Belastung der Abgabepflichtigen von der Gemeinlast zu einer die Belastungsgleichheit der Bürger in Frage stellenden besonderen Finanzierungsverantwortlichkeit für eine Sachaufgabe. Zwar führt die Abweichung von den genannten Prinzipien nicht ausnahmslos zur Verfassungswidrigkeit einer Abgabe. Doch muß, um die bundesstaatliche Finanzverfassung wie auch die Budgethoheit des Parlaments vor Störungen zu schützen und den Erfordernissen des Individualschutzes der Steuerpflichtigen im Blick auf die Belastungsgleichheit Rechnung zu tragen, die Sonderabgabe engen Grenzen unterliegen; sie muß deshalb eine seltene Ausnahme bleiben (stRspr; zuletzt BVerfGE_91,186 <202 f>). | |
Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Erhebung von Sonderabgaben an strenge Zulässigkeitsvoraussetzungen geknüpft. Hierauf wird verwiesen (vgl BVerfGE_55,274 <298 ff> - Berufsausbildungsabgabe; BVerfGE_67,256 <274 ff> - Investitionshilfeabgabe 1982; BVerfGE_82,159 <179 ff> - Absatzfondsgesetz; BVerfGE_91,186 <201 ff> - Kohlepfennig). | |
2. Das Bundesverfassungsgericht hat die Grundsätze zur Zulässigkeit von Sonderabgaben bei der Prüfung bundesrechtlich geregelter Abgaben entwickelt. Die Maßstäbe, nach denen Sonderabgaben nur unter engen Voraussetzungen erhoben werden dürfen, gelten aber auch für landesrechtliche Abgaben (vgl BVerfGE_92,91 <115>). II. | |
Bei der Ausgleichsabgabe nach § 7 Abs.2 Satz 1 HSUG handelt es sich um eine Sonderabgabe. Die Ausgleichsabgabe erfüllt die verfassungsrechtlichen Kriterien an die Zulässigkeit einer Sonderabgabe nicht. | |
1. a) Die Ausgleichsabgabe nach § 7 Abs.2 Satz 1 HSUG ist keine Steuer, weil das Aufkommen nicht in den allgemeinen Haushalt fließt, sondern in einem besonderen Fonds verwaltet wird, aus dem die Kosten finanziert werden, die durch den Sonderurlaub für Arbeitnehmer zur Mitarbeit in der Jugendarbeit entstehen. Im übrigen wäre eine Landessteuer nur im Rahmen des Art.105 Abs.2 und Abs.2a GG zulässig. | |
b) Die Ausgleichsabgabe ist weder Gebühr noch Beitrag. Diese beiden Abgabentypen entgelten eine empfangene oder bevorzugt angebotene Leistung des öffentlich-rechtlichen Gemeinwesens. Der Ausgleichsfonds erbringt keine solche Leistung der öffentlichen Hand, sondern erschöpft sich darin, Finanzlasten unter den Einzahlern zu verteilen. | |
c) Die Ausgleichsabgabe ist eine Sonderabgabe, weil sie die Abgabenschuldner über die allgemeine Steuerpflicht hinaus mit Abgaben belastet, ihre Kompetenzgrundlage in einer Sachgesetzgebungszuständigkeit sucht und das Abgabeaufkommen einem Sonderfonds vorbehalten ist. | |
2. Die Ausgleichsabgabe erfüllt die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer Sonderabgabe nicht. | |
a) Die Finanzierung der Jugendarbeit ist eine Gemeinlast, die durch Steuern und damit durch die Allgemeinheit zu finanzieren ist, nicht aber einer einzelnen Gruppe überbürdet werden darf. Die hessischen Arbeitgeber trifft keine besondere Finanzierungsverantwortlichkeit für die Jugendarbeit in Hessen; diese ist vielmehr eine allgemeine Aufgabe der Eltern, Schulen und Verbände und in wesentlichen Teilen auch steuerrechtlich als Tätigkeit von gemeinem Nutzen anerkannt (vgl § 52 Abs.2 Nr.2 AO, § 10b EStG iVm Nr.2 der Anlage 7 zu R 111 Abs.1 EStR). | |
Anders als beim Bildungsurlaub, bei dem die Weiterbildung der Arbeitnehmer auch der Innovationsfähigkeit der Wirtschaft und mithin den Arbeitgebern zugute kommt (vgl BVerfGE_77,308 <334> ), betrifft die allgemeine Jugendarbeit die Arbeitgeber nicht anders als alle übrigen Gruppen der Gesellschaft. Sie dient der Entwicklung und Entfaltung junger Menschen ohne einen konkreten Bezug zu ihren Aufgaben als Arbeitnehmer oder auch nur zu ihrer Berufstätigkeit. Dementsprechend begründet auch die Landesregierung ihren Gesetzesentwurf ausschließlich mit der gesellschaftlichen Bedeutung der Jugendarbeit (vgl. Hessischer Landtag, Drucks 13/3797, S.5) und macht dabei deutlich, daß das Sonderurlaubsgesetz zwar mit dem Anspruch auf Gewährung von Sonderurlaub die Arbeitgeber verpflichten muß, bei der Finanzierung dieses Sonderurlaubs aber eine Gemeinlast begründet, die von der Allgemeinheit zu tragen, also im wesentlichen aus Steuermitteln zu finanzieren ist (vgl BVerfGE_82,159 <180>). | |
b) Die Ausgleichsabgabe nach dem Hessischen Sonderurlaubsgesetz soll die den Arbeitgebern aus der Gewährung des Sonderurlaubs entstehenden Finanzlasten ausgleichen. Sie hat also eine Finanzierungsfunktion und muß deshalb diejenigen belasten, denen der Finanzierungszweck der Jugendarbeit zugute kommt. Wenn die Ausgleichsabgabe einen Fonds finanziert, der die Lasten des Sonderurlaubs auf die Gesamtheit der Arbeitgeber mit mehr als 50 Mitarbeitern verteilt, so verstößt diese Auswahl der Abgabenschuldner gegen den Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG). Die Arbeitgeber stehen der allgemeinen Aufgabe der Jugendarbeit nicht näher als andere Gruppen. Sie trifft eine Organisations- und Finanzierungsverantwortlichkeit für den betrieblichen Bereich, während die Jugendarbeit den Jugendlichen in seiner privaten Lebensführung erreicht. Zwar gewinnen die Leiter einer Jugendgruppe und Helfer in einem Jugendlager Erfahrung im Umgang mit Menschen und Führungsqualitäten, die sich auch bei der Tätigkeit im Betrieb positiv auswirken können. Diese Auswirkungen auf die Berufstätigkeit des Arbeitnehmers können begrenzte finanzielle Belastungen auch der Arbeitgeber rechtfertigen, etwa seine Verpflichtung zur Fortzahlung der Kranken- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge (vgl BVerfGE_85,226 <236>). Die Förderung der Jugendarbeit der Verbände und Vereine, der öffentlichen Jugendpflege und des Jugendsports hingegen ist eine allgemeine Aufgabe der Rechtsgemeinschaft (vgl BVerfG, aaO, S.234), deren Finanzierung durch die gesamte Rechtsgemeinschaft, nicht durch die Arbeitgeber zu sichern ist. | |
c) Außerdem ist kein rechtfertigender Grund ersichtlich, weswegen das Aufkommen aus der Ausgleichsabgabe nicht in den Haushaltsplan einzustellen und damit der Budgethoheit des Parlaments zu unterwerfen sein sollte. Soweit der Staat sich finanzwirtschaftlich an Aufgaben der Jugendarbeit beteiligt, fordert das Verfassungsrecht eine ständige parlamentarische Überprüfung im Rahmen der Haushaltsbewilligung. | |
d) Auch die Gesetzgebungszuständigkeit des Landes für das Arbeitsrecht (vgl BVerfGE_85, 226 <233 f>) begründet keine Zuständigkeit des Gesetzgebers, eine besondere Ausgleichsabgabe außerhalb der Finanzverfassung zu erfinden und insoweit den finanzverfassungsrechtlichen Gesetzgebungszuständigkeiten auszuweichen. | |
e) Die Ausgleichsabgabe nach § 7 Abs.2 Satz 1 HSUG ist auch nicht als sonstige Abgabe zu rechtfertigen. Sie ist eine echte Finanzierungsabgabe. Ihr fehlt der für die Schwerbehindertenabgabe charakteristische Lenkungszweck (vgl BVerfGE_57,139 <167 f>), sie hat keinen sozialversicherungsrechtlichen Charakter (vgl BVerfGE_75,108 <147 f>) und wirkt auch nicht als "Abschöpfungsabgabe" (vgl BVerfGE_78,249 <266>). Von der Ausgleichsabgabe nach § 128 AFG unterscheidet sie sich durch die fehlende Gegenleistung der öffentlichen Hand (vgl BVerfGE_81,156 <186 f>). | |
3. Da bereits die vom Hessischen Sonderurlaubsgesetz statuierte Abgabepflicht als solche mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, kommt es auf ihre gesetzliche Ausgestaltung im einzelnen, ihre Bestimmtheit und die Gültigkeit der Verordnungsermächtigung in § 7 Abs.4 Nr.2 HSUG nicht an." | |
Auszug aus BVerfG B, 09.11.99, - 2_BvL_5/95 -, www.BVerfG.de, Abs.26 ff | |
§§§ | |
99.032 | GmbH & Co KG |
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LB 1) Das Gebot der folgerichtigen Umsetzung der einmal getroffenen Belastungsentscheidung betrifft auch den Gesetzesvollzug und die Rechtsprechung, wenn für vergleichbare Sachverhalte und künftige Entwicklungen offene steuerliche Tatbestandsmerkmale durch Auslegung zu konkretisieren sind. | |
LB 2) Systemgerecht sind nur Vergünstigungen im Interesse der Verbraucher, nicht einzelner Unternehmergruppen. | |
LB 3) Soweit das Umsatzsteuerrecht nach Umsatzarten und Unternehmern unterscheidet und daran unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, müssen diese ihre Rechtfertigung in besonderen sachlichen Gründen finden. | |
LB 4) Nach diesem Maßstab verstoßen die angegriffenen Entscheidungen, den ärztlichen Leistungen die Umsatzsteuerbefreiung gemäß § 4 Nr.14 S.1 UStG nicht zuzusprechen, wenn die ärztlichen Leistungen von einem in der Rechtsform einer gewerblich tätigen GmbH & Co KG tätigen Unternehmer erbracht werden, gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art.3 Abs.1 GG. | |
LB 5) Der umsatzsteuerliche Belastungsgrund zielt auf die umsatzsteuerliche Erfassung jedes Unternehmers, mag dieser in der Rechtsform einer juristischen Person, in der Rechtsform einer Personengesellschaft, die einkommensteuerlich als gewerblich geprägte Gesellschaft iS des § 15 Abs.3 Nr.2 EStG gilt, oder als freiberuflich Tätiger Umsätze erbringen. Die generelle umsatzsteuerliche Verschonung nur der von einem Arzt als natürlicher Person erbrachten umsatzsteuerlichen Leistungen gegenüber der umsatzsteuerlichen Erfassung ärztlicher Leistungen einer Krankenhaus-GmbH findet im umsatzsteuerlichen Belastungsgrund keine ausreichende Grundlage. | |
* * * | |
T-99-15 | Umsatzsteuerbefreiung |
I. "1. Art.3 GG verlangt die Gleichbehandlung "aller Menschen" vor dem Gesetz. Der Gleichheitssatz ist um so strikter, je mehr er den Einzelnen als Person betrifft, und um so mehr für gesetzgeberische Gestaltungen offen, als allgemeine, für rechtliche Gestaltungen zugängliche Lebensverhältnisse geregelt werden (vgl BVerfGE_96,1 <5 f>; BVerfGE_99,88 <94>). | |
2. Im Sachbereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Gestaltungsraum. Nach Regelung dieses Ausgangstatbestandes aber hat er die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen (vgl BVerfGE_93,121 <136>; BVerfGE_99,88 <95>; stRspr; zuletzt Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29.Oktober 1999 - 2 BvR 1264/90 -). Das Gebot der folgerichtigen Umsetzung der einmal getroffenen Belastungsentscheidung betrifft auch den Gesetzesvollzug und die Rechtsprechung, wenn für vergleichbare Sachverhalte und künftige Entwicklungen offene steuerliche Tatbestandsmerkmale durch Auslegung zu konkretisieren sind. | |
3. Die Umsatzsteuer erfaßt die Kaufkraft, den Markterfolg des Konsumenten. Nach § 1 Abs.1 Nr.1 UStG belastet die Umsatzsteuer die entgeltliche unternehmerische Leistung im Inland. Sie ist darauf angelegt, auf den Endverbraucher überwälzt zu werden; Umsatzsteuerbelastungen einer Leistung an einen Unternehmer werden durch Vorsteuerabzug zurückgenommen ( § 15 UStG). Dieser umsatzsteuerliche Grundtatbestand stellt alle unternehmerischen Tätigkeiten gleich. Die frühere unterschiedliche Belastung von freiberuflichen und gewerblichen Betätigungen im Steuersatz ist durch das 2.Haushaltsstrukturgesetz vom 22.Dezember 1981 (BGBl I S.1523) aufgehoben worden. Eine Steuerermäßigung für Umsätze freier Berufe widerspricht dem System der Umsatzsteuer, das eine Begünstigung bestimmter Unternehmer nach der Konzeption der Überwälzbarkeit nicht erlaubt. Systemgerecht sind nur Vergünstigungen im Interesse der Verbraucher, nicht einzelner Unternehmergruppen (vgl. Begründung zum 2.Haushaltsstrukturgesetz, BTDrucks 9/842, S.74). | |
4. Soweit das Umsatzsteuerrecht nach Umsatzarten und Unternehmern unterscheidet und daran unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, müssen diese ihre Rechtfertigung in besonderen sachlichen Gründen finden (vgl Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29.Oktober 1999 - 2_BvR_1264/90 -). II. | |
Nach diesem Maßstab verstoßen die angegriffenen Entscheidungen des Bundesfinanzhofs und des Finanzgerichts, den ärztlichen Leistungen die Umsatzsteuerbefreiung nicht zuzusprechen, wenn die ärztlichen Leistungen von einem in der Rechtsform einer gewerblich tätigen GmbH & Co KG tätigen Unternehmer erbracht werden, gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art.3 Abs.1 GG. | |
1. Die angegriffenen Entscheidungen führen im Ergebnis dazu, daß die Beschwerdeführerin allein deshalb von der Umsatzsteuerbefreiung in bezug auf die von ihr erbrachten ärztlichen Leistungen ausgenommen ist, weil sie diese in der Rechtsform einer GmbH & Co KG erbringt. Eine solche Auslegung ist von Wortlaut, Sinn und Zweck der maßgeblichen Vorschriften nicht zwingend geboten. | |
a) Die Rechtsform, in der eine Leistung von einem Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts erbracht wird, ist kein hinreichender Differenzierungsgrund für eine Umsatzsteuerbefreiung. Der umsatzsteuerliche Belastungsgrund zielt auf die umsatzsteuerliche Erfassung jedes Unternehmers, mag dieser in der Rechtsform einer juristischen Person, in der Rechtsform einer Personengesellschaft, die einkommensteuerlich als gewerblich geprägte Gesellschaft iS des § 15 Abs.3 Nr.2 EStG gilt, oder als freiberuflich Tätiger Umsätze erbringen. Die generelle umsatzsteuerliche Verschonung nur der von einem Arzt als natürlicher Person erbrachten umsatzsteuerlichen Leistungen gegenüber der umsatzsteuerlichen Erfassung ärztlicher Leistungen einer Krankenhaus-GmbH findet im umsatzsteuerlichen Belastungsgrund keine ausreichende Grundlage. | |
b) Für diese Umsatzsteuerbefreiung sind auch keine sonstigen besonderen sachlichen Gründe ersichtlich. Der sachliche Grund der Umsatzsteuerbefreiung für ärztliche Leistungen und sonstige Heilberufe liegt in dem Zweck, die Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer zu entlasten (vgl Weymüller, in: Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, Kommentar | |
2. Im Ergebnis ist damit kein sachlich rechtfertigender Grund ersichtlich, der Beschwerdeführerin mit Hinweis auf die Rechtsform, in der sie unternehmerische Leistungen erbringt, die Steuerbefreiung des § 4 Nr.14 Satz 3 UStG zu versagen. Der Bundesfinanzhof wird in dem wegen nachträglicher Divergenz gemäß § 115 Abs.2 Nr.2 FGO eröffneten Revisionsverfahren (vgl BVerfGE_99, 216 <245> ) zu prüfen haben, ob es andere, außerhalb der Rechtsform einer gewerblich tätigen Gesellschaft liegende, Gründe gibt, die ärztlichen Leistungen der Beschwerdeführerin von der Umsatzsteuerbefreiung auszunehmen." | |
Auszug aus BVerfG B, 10.11.99, - 2_BvR_2861/93 -, www.BVerfG.de, Abs.10 ff | |
§§§ | |
99.033 | Finanzausgleichsgesetz |
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1) Die Finanzverfassung verpflichtet den Gesetzgeber, das verfassungsrechtlich nur in unbestimmten Begriffen festgelegte Steuerverteilungs- und Ausgleichssystem durch anwendbare, allgemeine, ihn selbst bindende Maßstäbe selbst zu konkretisieren und zu ergänzen. | |
2) Mit auf lanfristige Geltung angelegten, fortschreibungsfähigen Maßstäben stellt der Gesetzgeber sicher, daß der Bund und alle Länder die verfassungsrechtlich vorgegebenen Ausgangstatbestände in gleicher Weise interpretieren, ihnen dieselben Indikatoren zugrunde legen, die haushaltswirtschaftliche Planbarkeit und Voraussehbarkeit der finanzwirtschaftlichen Grundlagen gewährleisten und die Mittelverteilung transpartent machen. | |
3) Die Finanzverfassung verlangt eine gesetzliche Maßstabgebung, die den rechtsstaatlichen Auftraqg eines gesetzlichen Vorgriffs in die Zukunft in der Weise erfüllt, daß die Maßstäbe der Steuerzuteilung und des Finanzausgleichs bereits gebildet sind, bevor deren spätere Wirkung konkret bekannt werden. | |
LB 4) Das Finanzausgleichsgesetz bestimmt die in Art.106 und Art.107 GG für die gesetzliche Ausgestaltung der Finanzverfassung vorgegebenen Maßstäbe nicht mit hinreichender Deutlichkeit und ist deshalb nur noch als Übergangsrecht anwendbar. | |
* * * | |
Urteil | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
99.034 | Restitutionsauschluss |
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Der Restitutionsausschluß wegen redlichen Erwerbs und seine Beschränkungen in § 4 Abs.2 des Vermögensgesetzes sind mit dem Grundgesetz vereinbar. | |
LB 2) Das Bundesverfassungsgericht ist bei der abstrakten Normenkontrolle nach Art.93 Abs.1 Nr.2 1.Alternative GG auf eine verfassungsrechtliche Kontrolle beschränkt. Es prüft in diesem Verfahren die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundes- oder Landesrecht mit dem Grundgesetz. | |
LB 3) Die Auslegung des einfachen Rechts ist hingegen grundsätzlich Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle weitgehend entzogen (vgl BVerfGE_18,85 <92 f>). | |
LB 4) Daher hat das Bundesverfassungsgericht auch bei der abstrakten Normenprüfung gemäß Art.93 Abs.1 Nr.2 1.Alternative GG die Auslegung zugrundezulegen, welche die Vorschrift in der fachgerichtlichen Rechtsprechung erfahren hat. Es kann nur dann einschreiten und eine andere Auslegung vorgeben, wenn die fachgerichtliche Interpretation der Norm die Tragweite verfassungsrechtlicher Grundsätze nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung von Verfassungsrechten führt (vgl BVerfGE_85,248 <258>). | |
§§§ | |
99.035 | Lebach-II |
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LB 1) Die Rundfunkfreiheit ist in ihrem Kern Programmfreiheit (vgl BVerfGE_95,220 <234>). | |
LB 2) Die Rundfunkfreiheit findet ihre Schranken nach Art.5 Abs.2 GG unter anderem an den allgemeinen Gesetzen. | |
LB 3) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bezieht sich neben anderem auf Darstellungen der Person durch Dritte (vgl BVerfGE_35,202 <220>). | |
LB 4) Der Schutz, den das Grundrecht insoweit vermittelt, wirkt aber nicht im Sinn eines generellen Verfügungsrechts über sämtliche Informationen oder Bewertungen, die Dritte hinsichtlich einer Person äußern. Das Grundrecht entfaltet seinen Schutz vielmehr gegenüber solchen Darstellungen, die das Persönlichkeitsbild des Einzelnen in der Öffentlichkeit verfälschen oder entstellen oder seine Persönlichkeitsentfaltung, etwa durch die von ihr ausgehenden Stigmatisierungsgefahren, erheblich beeinträchtigen (vgl BVerfGE_97,391 <403 f>). | |
LB 5) Eine derartige Beeinträchtigung liegt auch in Darstellungen, die die Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft nach Verbüßung der Strafe wesentlich zu erschweren drohen (vgl BVerfGE_35,202 <220>). | |
LB 6) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt Straftätern keinen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit der Tat konfrontiert zu werden. | |
LB 7) Auch die Verbüßung der Strafhaft führt nicht dazu, daß ein Täter den Anspruch erwirbt, mit der Tat "allein gelassen zu werden". | |
LB 8) Das ist dann nicht der Fall, wenn ein Film Personen, die den Täter nicht kennen, keine Identifizierungsmöglichkeit gibt. | |
LB 9) Angesichts des Umstandes, daß das Grundrecht in erster Linie die Freiheit der Rundfunkveranstalter bei der Programmgestaltung schützt, ist das Verbot einer Sendung stets ein erheblicher Eingriff in das Grundrecht. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Sendung weniger informierenden als unterhaltenden Charakter besitzt. Auch die Unterhaltung gehört zum klassischen Rundfunkauftrag, wie er aus Art.5 Abs.1 Satz 2 GG folgt (vgl BVerfGE_73,118 <158>). | |
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T-99-16 | Rundfunkfreiheit + Allg-Persönlichkeitsrecht |
II. "Die Verfassungsbeschwerde 1_BvR_755/98 ist begründet. | |
1. Die angegriffenen Entscheidungen beeinträchtigen die Beschwerdeführerin zu 2) in ihrem Grundrecht auf Rundfunkfreiheit aus Art.5 Abs.1 Satz 2 GG. Die Rundfunkfreiheit ist in ihrem Kern Programmfreiheit (vgl BVerfGE_95,220 <234>). Sie gewährleistet, daß die Gestaltung des Programms wie auch der einzelnen Sendungen Sache des Rundfunks bleibt und sich an publizistischen Kriterien ausrichten kann. Diese Freiheit beschränkt sich nicht auf politische Programme, sondern umfaßt ebenso die unterhaltenden (vgl BVerfGE_35,202 <223>). Das Verbot, eine bestimmte Sendung auszustrahlen, berührt daher die Rundfunkfreiheit in ihrem Kern. | |
2. a) Die Rundfunkfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Sie findet ihre Schranken nach Art.5 Abs.2 GG unter anderem an den allgemeinen Gesetzen. Zu diesen gehören auch die Vorschriften, auf die die angegriffenen Entscheidungen gestützt worden sind. Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften ist Sache der Zivilgerichte. Doch müssen sie dabei dem eingeschränkten Grundrecht Rechnung tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene zur Geltung kommt (vgl BVerfGE_7,198 <205 ff>; stRspr). Das verlangt regelmäßig eine Abwägung zwischen dem eingeschränkten Grundrecht und dem Rechtsgut, in dessen Interesse es eingeschränkt worden ist. Sie ist im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Vorschriften vorzunehmen und hat die Umstände des konkreten Falles zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht prüft nur nach, ob die Grundrechte bei Auslegung und Anwendung des Zivilrechts hinreichend Berücksichtigung gefunden haben. Ein verfassungsrechtlicher Fehler, der zur Beanstandung der zivilgerichtlichen Entscheidungen führt, liegt vor, wenn Grundrechte gänzlich übersehen oder in ihrer Bedeutung und Tragweite, insbesondere im Umfang ihres Schutzbereichs, verkannt worden sind und die Entscheidung auf diesem Fehler beruht. | |
b) Die Abwägung, die die rheinland-pfälzischen Zivilgerichte im vorliegenden Fall vorgenommen haben, hält der verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. | |
Bei der Abwägung fällt neben der Rundfunkfreiheit des Art.5 Abs.1 Satz 2 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG ins Gewicht, dessen Schutz die von den Zivilgerichten herangezogenen Vorschriften bezwecken. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bezieht sich neben anderem auf Darstellungen der Person durch Dritte (vgl BVerfGE_35,202 <220>). Der Schutz, den das Grundrecht insoweit vermittelt, wirkt aber nicht im Sinn eines generellen Verfügungsrechts über sämtliche Informationen oder Bewertungen, die Dritte hinsichtlich einer Person äußern. Das Grundrecht entfaltet seinen Schutz vielmehr gegenüber solchen Darstellungen, die das Persönlichkeitsbild des Einzelnen in der Öffentlichkeit verfälschen oder entstellen oder seine Persönlichkeitsentfaltung, etwa durch die von ihr ausgehenden Stigmatisierungsgefahren, erheblich beeinträchtigen (vgl BVerfGE_97,391 <403 f>). | |
Eine derartige Beeinträchtigung liegt auch in Darstellungen, die die Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft nach Verbüßung der Strafe wesentlich zu erschweren drohen (vgl BVerfGE_35,202 <220>). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt Straftätern aber keinen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit der Tat konfrontiert zu werden. Ein solches Recht läßt sich weder dem Lebach-Urteil von 1973 noch anderen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entnehmen. Im Lebach-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht lediglich festgestellt, daß das Persönlichkeitsrecht vor einer zeitlich unbeschränkten Befassung der Medien mit der "Person eines Straftäters und seiner Privatsphäre" Schutz bietet (vgl BVerfGE_35,202 <233>). Eine vollständige Immunisierung vor der ungewollten Darstellung persönlichkeitsrelevanter Geschehnisse war damit nicht gemeint. Entscheidend ist vielmehr stets, in welchem Maß eine Berichterstattung die Persönlichkeitsentfaltung beeinträchtigen kann (vgl BVerfGE_97,391 <403>). | |
Auch die Verbüßung der Strafhaft führt nicht dazu, daß ein Täter den Anspruch erwirbt, mit der Tat "allein gelassen zu werden". Mit der Strafverbüßung ist dem Strafanspruch des Staates Genüge getan. Das Verhältnis des Täters zu sonstigen Dritten, insbesondere den Medien, bleibt davon unberührt. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht im Lebach-Urteil 1973 auch nicht auf den Umstand abgestellt, daß der damalige Beschwerdeführer seine Strafe weitgehend verbüßt hatte. Maßgeblich für die Beurteilung war vielmehr die Gefährdung der Resozialisierung, falls das ZDF-Dokumentar-Fernsehspiel ausgestrahlt worden wäre. Die Resozialisierung eines Straftäters ist ein genuin persönlichkeitsrelevantes Anliegen von hohem Rang, das selbst dann zu beachten wäre, wenn ein Täter keine oder nur eine sehr kurze Freiheitsstrafe verbüßt hätte. | |
c) Die Umstände, die im Lebach-Urteil dazu führten, daß die Folgen der Darstellung der Straftat im Fernsehen als so schwerwiegend für den Beschwerdeführer angesehen wurden, daß sein Schutzbedürfnis das Interesse der Rundfunkanstalt an der Berichterstattung überwog, sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. | |
Im Lebach-Fall ergab sich die besondere Schwere der Beeinträchtigung der Person daraus, daß die Fernsehberichterstattung über eine aufsehenerregende Straftat in Form eines Dokumentarspiels unter Namensnennung und Abbildung des Täters vorgesehen war (vgl BVerfGE_35,202 <230> ). Unter den damaligen Fernsehbedingungen war gerade für eine solche Sendung mit einer besonders hohen Einschaltquote zu rechnen (vgl BVerfG, aaO, S.227 f.). In engem zeitlichen Zusammenhang mit der Haftentlassung ausgestrahlt, hätte das Dokumentarspiel wegen der Breitenwirkung und Suggestivkraft des Fernsehens die Resozialisierung des Betroffenen erheblich erschwert, wenn nicht gar verhindert (vgl BVerfG, aaO, S.238 ff). Aber auch ohne zeitliche Nähe zur Haftentlassung können die möglichen Folgen eines Berichts über eine schwere Straftat für die freie Entfaltung der Persönlichkeit gravierend sein und zu Stigmatisierung, sozialer Isolierung und einer darauf beruhenden grundlegenden Verunsicherung des Betroffenen führen (vgl BVerfGE_97,391 <404>). Diese Folgen sind auch dann noch möglich, wenn die Tat bereits lange Zeit zurückliegt. Gerade ein Mord ist derart persönlichkeitsbestimmend, daß der Mörder mit der Tat praktisch lebenslang identifiziert wird. | |
Im vorliegenden Fall läßt sich allerdings nicht feststellen, daß eine "den Täter identifizierende Sendung" geplant ist, von der die befürchteten negativen Auswirkungen ausgehen könnten. Das Oberlandesgericht Koblenz hat zwar - anders als die saarländischen Gerichte - festgestellt, daß der Verfügungskläger durch die SAT 1-Sendung identifizierbar sei. Es hat eine Identifikationsmöglichkeit aber ausdrücklich nur in bezug auf Personen bejaht, denen der Verfügungskläger ohnehin schon als Tatbeteiligter der Lebach-Morde bekannt ist. Hinsichtlich dieser Personen führt der Film indes nicht zu einer "erheblichen Beeinträchtigung" der Persönlichkeitsbelange. Denn auch für diese Personen, die den Verfügungskläger als "Lebach-Mörder" kennen, ist diese Kenntnis für das Verhältnis zu dem Verfügungskläger bestimmend. Die nochmalige Auseinandersetzung mit seiner Tat mag zwar deren Einstellung kurzfristig beeinflussen. Es ist aber nicht wahrscheinlich, daß die Ausstrahlung des Films zu einer erstmaligen oder erneuten Stigmatisierung oder Isolierung des Verfügungsklägers führt. | |
Auch die Resozialisierung des Verfügungsklägers erscheint durch die Ausstrahlung des Films nicht gefährdet, weil der Film nach den Feststellungen der Zivilgerichte Personen, die den Verfügungskläger nicht als Täter kennen, keine Identifizierungsmöglichkeit gibt. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, mittels entsprechender Recherchen die Namen der Täter herauszufinden. Angesichts des Zeitabstands der Tat von nunmehr 30 Jahren liegt diese Gefahr aber äußerst fern. Auch mit Blick auf Personen, die den Verfügungskläger kennen und ihn deshalb als Täter der Lebach-Morde identifizieren können, gehen für die Resozialierung keine beeinträchtigenden Wirkungen aus. Diese Personen mögen zwar in ihren (Vor-)Urteilen über den Verfügungskläger bestärkt werden. Daß der Film aber eine bisher nicht vorhandene Ablehnung gegenüber dem Verfügungskläger hervorrufen könnte, ist aufgrund der Darstellungsweise nicht ersichtlich. Dabei ist ebenfalls der Zeitablauf seit der Tat zu berücksichtigen. Mit dem zeitlichen Abstand zu einer Tat verblaßt in aller Regel die Empörung über das Handeln der Täter, welches zu Ablehnung und belastender Identifikation des Täters mit der Tat führen kann. | |
d) Zugleich haben die Gerichte die Bedeutung der Rundfunkfreiheit nicht hinreichend berücksichtigt. Sie sind davon ausgegangen, es gebe - abgesehen davon, daß jede Art der Berichterstattung Art.5 Abs.1 Satz 2 GG unterfalle - im konkreten Fall kaum weitere Gesichtspunkte, die für einen Vorrang der Rundfunkfreiheit stritten. Das ist nicht zutreffend. | |
Angesichts des Umstandes, daß das Grundrecht in erster Linie die Freiheit der Rundfunkveranstalter bei der Programmgestaltung schützt, ist das Verbot einer Sendung stets ein erheblicher Eingriff in das Grundrecht. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Sendung weniger informierenden als unterhaltenden Charakter besitzt. Auch die Unterhaltung gehört zum klassischen Rundfunkauftrag, wie er aus Art.5 Abs.1 Satz 2 GG folgt (vgl BVerfGE_73,118 <158>). Im übrigen erschöpft sich die untersagte Sendung nicht in Unterhaltung. Sie gibt vielmehr in unterhaltender Form zeitgeschichtliche Aspekte wieder. In der Tat und den Motiven der Täter, vor allem aber in der Reaktion der Strafverfolgungsbehörden und der Öffentlichkeit, liegt auch eine Aussage über den Zustand der Gesellschaft im Jahr 1969. Mit dem Verbot wird daher nicht nur die Ausstrahlung einer bestimmten Unterhaltungssendung verhindert, sondern zugleich generell die Möglichkeit unterbunden, anhand der filmischen Darstellung eines Verbrechens eine bestimmte, zeitgeschichtlich interessante Phase zu thematisieren. | |
e) Die unzutreffende Bestimmung des Schutzbereichs der einschlägigen Grundrechte und die Verkennung der Unterschiede zwischen den konkreten Umständen, die dem Lebach-Urteil und den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegen, haben sich auch entscheidungserheblich ausgewirkt. Es läßt sich nicht ausschließen, daß die Gerichte zu einem anderen Ergebnis gelangt wären, wenn sie Bedeutung und Tragweite der Grundrechte richtig eingeschätzt hätten. III. | |
Die Verfassungsbeschwerde 1_BvR_348/98 hat demgegenüber keine Aussicht auf Erfolg (vgl BVerfGE_90,22 <26>). Das folgt im wesentlichen aus den soeben dargelegten Erwägungen. Die saarländischen Gerichte haben in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, daß der Film eine Identifizierung des Beschwerdeführers zu 1) nicht ermögliche und von daher nicht geeignet sei, dessen Resozialisierung zu gefährden. Sie haben dabei insbesondere darauf abgestellt, daß der Beschwerdeführer zu 1) seit sieben Jahren unter seinem echten Namen in Freiheit lebt und keinen Vorbehalten seiner Umgebung ausgesetzt sei. Aufgrund der verfremdeten Darstellung des Beschwerdeführers zu 1) gehe von dem Film keine Prangerwirkung aus. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß die Gerichte aufgrund dieser Feststellungen der Rundfunkfreiheit den Vorrang vor den Persönlichkeitsbelangen des Beschwerdeführers zu 1) eingeräumt haben." | |
Auszug aus BVerfG B, 25.11.99, - 1_BvR_348/98 -, www.BVerfG.de, Abs.30 ff | |
§§§ | |
99.036 | Häusliches Arbeitszimmer |
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1) Der Vermittlungsausschuß darf eine Änderung, Ergänzung oder Streichung der vom Bundestag beschlossenen Vorschriften nur vorschlagen, wenn und soweit dieser Einigungsvorschlag im Rahmen des Anrufungsbegehrens und des ihm zugrundeliegenden Gesetzgebungsverfahrens verbleibt. | |
2) Die beschränkte Absetzbarkeit von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nach § 4 Abs.5 Nr.6b EStG ist mit dem Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG) vereinbar. | |
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T-99-00 | Vermittlungsausschuss |
I. "1.a) Nach Art.77 Abs.1 Satz 1 GG werden die Bundesgesetze vom Bundestag beschlossen. Danach sind sie unverzüglich dem Bundesrat zuzuleiten (Art.77 Abs.1 Satz 2 GG). Gesetze, die - wie vorliegend ( Art.106 Abs.3 Sätze 1 und 2 GG) - das Steueraufkommen der Länder betreffen, sind nach Art.105 Abs.3 GG zustimmungspflichtig. Verweigert der Bundesrat die Zustimmung, so kommt das Gesetz - vorerst - nicht zustande ( Art.78 GG). In diesem Falle können Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung die Einberufung des Ausschusses nach Art.77 Abs.2 GG (im folgenden: Vermittlungsausschuß) verlangen. Sofern der grundsätzlich nichtöffentlich tagende Vermittlungsausschuß (vgl § 5 f der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Art.77 des Grundgesetzes | |
b) Für die Behandlung des Vorschlages des Vermittlungsausschusses im Bundestag gelten besondere, vom üblichen Gesetzgebungsverfahren zum Teil abweichende Regelungen. Nach § 10 Abs.2 GO VA stimmt der Bundestag nur über den Einigungsvorschlag ab, wobei zu dem Vorschlag vor der Abstimmung Erklärungen abgegeben werden können. Ein Antrag zur Sache ist indes nicht zulässig, eine Debatte über den Einigungsvorschlag somit grundsätzlich ausgeschlossen. | |
c) Die Grenzen für Beschlußempfehlungen des Vermittlungsausschusses sind gesetzlich nicht geregelt, ergeben sich aber aus Stellung und Funktion des Ausschusses (vgl zum Folgenden auch BVerfGE_72,175 <187 ff.>; BVerfGE_78,249 <271>). | |
aa) Der Vermittlungsausschuß ist kein Entscheidungsorgan, sondern gibt Empfehlungen für die Entscheidungen der Gesetzgebungsorgane Bundestag und Bundesrat. Er hat kein eigenes Gesetzesinitiativrecht ( Art.76 Abs.1 GG), sondern vermittelt zwischen den zuvor parlamentarisch beratenen Regelungsalternativen. Er verantwortet seine Beratungen und Empfehlungen nicht vor einer parlamentarischen Öffentlichkeit, sondern tagt nichtöffentlich. Der Vermittlungsausschuß empfängt seinen Auftrag deshalb im Rahmen des Legitimationsgrundes und der Grenzen des Anrufungsbegehrens. Da dieses aber in der Regel nur das zur Entscheidung anstehende Gesetz insgesamt benennt und nicht begründet zu werden braucht, wird der Entscheidungsraum des Vermittlungsausschusses für Änderungsvorschläge durch die Aufgabe begrenzt, das Gesetzgebungsziel auf der Grundlage des bisherigen Gesetzgebungsverfahrens zu verwirklichen und mit dieser Zielsetzung die Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat in einer gemeinsamen Lösung auszugleichen. Der Beschlußvorschlag des Vermittlungsausschusses muß insbesondere die Rechte der Abgeordneten im Gesetzgebungsverfahren wahren und die Gesetzgebungsentscheidungen der parlamentarischen Öffentlichkeit vorbehalten, um einer weiteren Verlagerung der Entscheidungen in Ausschüsse und Fraktionen und der damit verbundenen Entparlamentarisierung der Gesetzgebung entgegenzuwirken. Zudem darf der Bundesrat nicht durch Beteiligung des Vermittlungsausschusses Einfluß auf die Gesetzgebung gewinnen, ohne daß dieses - wie bei seinen Gesetzesinitiativen und Stellungnahmen - zu einer Debatte im Bundestag führen müßte. | |
bb) Der Vermittlungsausschuß darf deshalb eine Änderung, Ergänzung oder Streichung der vom Bundestag beschlossenen Vorschriften nur vorschlagen, wenn und soweit dieser Einigungsvorschlag im Rahmen des Anrufungsbegehrens und des ihm zugrundeliegenden Gesetzgebungsverfahrens verbleibt. Das zum Anrufungsbegehren führende Gesetzgebungsverfahren wird durch die in dieses eingeführten Anträge und Stellungnahmen bestimmt. Stellungnahmen des Bundesrates sind auch dann in den Vermittlungsvorschlag zum Ausgleich der Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat einzubeziehen, wenn diese vom Bundestag in seinem Gesetzesbeschluß nicht berücksichtigt worden sind. | |
cc) Der Beschlußvorschlag des Vermittlungsausschusses soll somit eine Brücke zwischen schon in den Gesetzgebungsorganen erörterten Alternativen schlagen, ohne eine - dem Vermittlungsausschuß nicht zustehende - Gesetzesvorlage einzubringen (Art.76 Abs.1 GG), das Gesetzgebungsverfahren in der parlamentarischen Demokratie zu verkürzen oder die Gesetzgebungszuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu verfälschen. Der Bundestag muß den Vermittlungsvorschlag auf der Grundlage seiner Debatte über ihm vorliegende Anträge und Stellungnahmen als ein ihm zuzurechnendes und von ihm zu verantwortendes Ergebnis seines parlamentarischen Verfahrens erkennen und anerkennen können. Der Vermittlungsvorschlag ist deshalb in dem Rahmen gebunden, der nach den bisherigen Beratungen im Bundestag inhaltlich und formal vorgezeichnet ist. | |
d) Soweit ein Anrufungsbegehren allein durch die Benennung des vom Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetzes gekennzeichnet ist und dieses Gesetz - wie beim Artikelgesetz - die Änderung mehrerer Gesetze zum Gegenstand hat oder aber in einem Einzelgesetz eine Fülle von Neuregelungen vorsieht, bedarf der in dem Anrufungsbegehren enthaltene Vermittlungsauftrag deutlicher Umgrenzung. Diese sollte sich in der Regel aus einer präzisen Fassung des Anrufungsauftrages ergeben, kann aber auch aus den Kontroversen in der parlamentarischen Debatte und zwischen Bundestag und Bundesrat erschlossen werden. Der Vermittlungsausschuß darf hingegen keinen Vorschlag unterbreiten, der außerhalb der bisherigen Auffassungsunterschiede im Parlament oder der bisherigen Gegenläufigkeit zwischen Bundestag und Bundesrat bleibt. | |
2. Nach diesen Maßstäben ist die Rüge der formellen Verfassungswidrigkeit unbegründet. Der Vermittlungsausschuß hat die ihm von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen seines Vermittlungsauftrages nicht überschritten. | |
a) Das Vermittlungsverfahren wurde aufgrund eines allgemein gefaßten, lediglich das Jahressteuergesetz 1996 als Artikelgesetz benennenden Anrufungsbegehrens ohne konkrete Fragestellung eingeleitet. Die gegenständliche Begrenzung des Vermittlungsauftrages ergibt sich jedoch aus dem parlamentarischen Verfahren, in dem bereits die Absetzbarkeit des Aufwandes für ein Arbeitszimmer kontrovers behandelt worden ist. Die begrenzte Abzugsfähigkeit dieses Aufwandes und die Einführung einer Höchstgrenze war bereits Bestandteil einer Anlage, die den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erläuterte. Mit diesem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Reform des Einkommensteuerrechts vorzulegen. Zu den dort exemplarisch genannten konkreten Vorschlägen gehörte auch die Beschränkung der Abzugsfähigkeit von Kosten für das häusliche Arbeitszimmer auf höchstens 2.000 DM. Dieser Entwurf wurde als Zusatztagesordnungspunkt bei der ersten Beratung des Jahressteuergesetzes 1996 mitberaten, an den Finanzausschuß überwiesen, dort als Änderungsantrag behandelt und zur Abstimmung gestellt. Die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses unterbreitete dem Bundestag den Vorschlag, bei der Änderung des Einkommensteuerrechts eine besondere Regelung für das häusliche Arbeitszimmer nicht vorzusehen und den Antrag der Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abzulehnen. | |
b) Schließlich sind die in den Ausschüssen des Bundesrates beschlossenen Empfehlungen der Länder, die eine beschränkte Absetzbarkeit der Aufwendungen für das Arbeitszimmer vorsahen, bei dem am 2.Juni 1995 in zweiter und dritter Lesung beratenen und beschlossenen Gesetzentwurf bereits berücksichtigt worden (vgl oben A.I.4.c). Die beschränkte Abziehbarkeit von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer ist damit im Bundestag als Gegenstand gegenläufiger Initiativen von Bundestag und Bundesrat bewußt gewesen, so daß das Parlament deshalb auch eine Vermittlung in dieser Frage erwarten durfte." II. | |
1.a) Art.3 GG verlangt die Gleichbehandlung "aller Menschen" vor dem Gesetz ( Abs.1) und verbietet jede Benachteiligung oder Bevorzugung wegen persönlichkeitsbedingter Eigenheiten ( Abs.2 und Abs.3). Der Gleichheitssatz ist umso strikter, je mehr eine Regelung den Einzelnen als Person betrifft, und umso offener für gesetzgeberische Gestaltungen, je mehr allgemeine, für rechtliche Einwirkungen zugängliche Lebensverhältnisse geregelt werden (stRspr, vgl BVerfGE_96,1 <6> mwN). | |
Jede gesetzliche Regelung muß verallgemeinern. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Diese gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings auf eine möglichst weite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen. Der Gesetzgeber hat vor allem bei der Ordnung von Massenerscheinungen und deren Abwicklung einen - freilich nicht unbegrenzten - Raum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen (stRspr, vgl BVerfGE_96,1 <6> mwN). | |
b) Steuerrechtliche Regelungen sind so auszugestalten, daß Gleichheit im Belastungserfolg für alle Steuerpflichtigen hergestellt werden kann. Der Gleichheitssatz fordert nicht eine immer mehr individualisierende und spezialisierende Gesetzgebung, die letztlich die Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzuges gefährdet, sondern die Regelung eines allgemein verständlichen und möglichst unausweichlichen Belastungsgrundes. Deshalb darf der Gesetzgeber, wie etwa bei der einkommensteuerlichen Verschonung des Existenzminimums, einen steuererheblichen Vorgang um der materiellen Gleichheit willen im typischen Lebensvorgang erfassen und individuell gestaltbare Besonderheiten unberücksichtigt lassen (stRspr, zuletzt BVerfGE_96,1 <6 f.>). | |
c) Der Gesetzgeber legt der Einkommensteuer das sog. Nettoprinzip zugrunde, nach dem nur das Nettoeinkommen, die Erwerbseinnahmen abzüglich der Erwerbsaufwendungen und der existenzsichernden Aufwendungen, besteuert wird ( BVerfGE_99,280 <290 f>). Der Gleichheitssatz fordert allerdings nicht, daß der Gesetzgeber stets den gewillkürten tatsächlichen Aufwand berücksichtigt, vielmehr kann es auch genügen, daß er für bestimmte Arten von Aufwendungen nur den Abzug eines in realitätsgerechter Höhe typisierten Betrages gestattet (vgl BVerfGE_96,1 <9>). Dies gilt insbesondere, wenn die Erwerbsaufwendungen die Kosten der allgemeinen Lebensführung iS des § 12 EStG berühren und deshalb zur Klarstellung wie zur Vereinfachung in einem unwiderleglichen Regeltatbestand erfaßt werden. Dadurch können zugleich Ermittlungen im Privatbereich eingegrenzt werden. | |
2. Gemessen an diesem Maßstab ist § 4 Abs.5 Nr.6b EStG idF des Jahressteuergesetzes 1996 in seinen den Beschwerdeführer betreffenden Aussagen mit Art.3 Abs.1 GG vereinbar. | |
a) § 4 Abs.5 Nr.6b EStG unterscheidet drei Fallgruppen. Bei der ersten Gruppe sind die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer einkommensteuerlich der Höhe nach auf 2.400 DM pro Jahr begrenzt zu berücksichtigen; dies setzt voraus, daß die betriebliche oder berufliche Nutzung mehr als 50 v.H. der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit beträgt oder für diese Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht (§ 4 Abs.5 Nr.6b Satz 2 EStG). Bei der zweiten Gruppe, bei der diese Voraussetzungen nicht vorliegen, sind die Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer gemäß § 4 Abs.5 Nr.6b Satz 1 EStG nicht abziehbare Erwerbsaufwendungen. Bei der dritten Personengruppe sind die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in vollem Umfang einkommensteuerlich berücksichtigungsfähig; Voraussetzung hierfür ist, daß das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit gemäß § 4 Abs.5 Nr.6b Satz 3, 2.Hs EStG bildet. | |
b) Die Begrenzung der abziehbaren Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in den Fällen des § 4 Abs.5 Nr.6b Satz 2, 1.Alternative EStG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die angegriffene Entscheidung ordnet in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die Tätigkeit des Beschwerdeführers - eines Gymnasiallehrers - dieser Gruppe des § 4 Abs.5 Nr.6b EStG zu. Das Arbeitszimmer eines Lehrers bildet nicht den Mittelpunkt seiner gesamten beruflichen Betätigung; dieser ist die Schule. Andererseits verfügt ein Lehrer regelmäßig für einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit nicht über einen anderen Arbeitsplatz, so daß nach § 4 Abs.5 Nr.6b Satz 2 letzte Alternative EStG die Abziehbarkeit auf 2.400 DM begrenzt ist. | |
aa) Die Fachgerichte haben zutreffend darauf hingewiesen, daß die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer die private Lebensführung berühren. Aufwendungen für die Lebensführung mindern die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage jedoch auch dann nicht, wenn sie der Förderung der Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen dienen ( § 12 Nr.1 Satz 2 EStG). Zwar unterliegen die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht dem Abzugsverbot des § 12 Nr.1 Satz 2 EStG, soweit das Zimmer ausschließlich beruflich oder betrieblich genutzt wird. Eine Nachprüfung dieser Nutzung durch die Finanzbehörden ist aber wegen des engen Zusammenhangs zur Sphäre der privaten Lebensführung und des Schutzes durch Art.13 GG wesentlich eingeschränkt oder gar unmöglich; einzig der regelmäßige Augenschein in den Wohnräumen ( § 98 f AO) ohne vorherige Benachrichtigung (vgl § 197 Abs.1 S.1 AO) könnte im Einzelfall zur Aufklärung verhelfen. Deshalb ist die Begrenzung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer sachlich gerechtfertigt. | |
bb) Auch die Höhe des zulässigen Abzugs begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Festlegung dieser Höchstgrenze auf 2.400 DM hält sich im Rahmen des Gestaltungsraums des Gesetzgebers und ist realitätsgerecht. Das Einkommensteuergesetz darf durch die Festlegung einer typisierenden Höchstgrenze individuell gestaltbare Besonderheiten unberücksichtigt lassen (vgl BVerfGE_96,1 <7>). Zudem bezieht sich der Höchstbetrag allein auf die Raumkosten und gestattet daneben ohne die Begrenzung des § 4 Abs.5 Nr.6b EStG den Abzug der Aufwendungen für Einrichtungsgegenstände, soweit diese gleichzeitig Arbeitsmittel sind (vgl die hier angegriffene Entscheidung des BFH, BStBl II 1998 S.351 <354 f.>). | |
c) Das Entfallen der Höchstgrenze für Steuerpflichtige, bei denen das häusliche Arbeitszimmer den "Mittelpunkt der betrieblichen und beruflichen Tätigkeit" bildet, hat vor der Verfassung ebenfalls Bestand. Der Gesetzgeber bemißt hier unterschiedliche Rechtsfolgen nach der Erforderlichkeit der Aufwendungen. Auch wenn diese Erforderlichkeit, worauf bereits der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 27. September 1996 (BStBl II 1997, S.68) hinweist, in der Regel nicht Voraussetzung der Werbungskosten ist, kann sie zur typisierenden Abgrenzung von Erwerbs- und Privatsphäre herangezogen werden, wenn diese Lebensbereiche - wie beim häuslichen Arbeitszimmer - weniger räumlich-gegenständlich und mehr funktionsbestimmt voneinander getrennt werden müssen. Insoweit ist die Differenzierung nach dem "Mittelpunkt" erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit sachgerecht." | |
Auszug aus BVerfG U, 07.12.99, - 2_BvR_301/98 -, www.dfr/BVerfGE, Abs. ff | |
§§§ | |
99.037 | Fahnenflucht |
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1) Die Vorschrift des § 1 Abs.1 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes, nach der eine Verurteilung durch ein DDR-Gericht wegen Fahnenflucht in der Regel keinen Anspruch auf strafrechtliche Rehabilitierung begründet, verletzt den Verurteilten nicht in seinen Grundrechten aus Art.1 Abs.1 und Art.3 Abs.1 GG. | |
2) Das Rehabilitierungsgericht verletzt den Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes), wenn es die Tatsachenfeststellungen des DDR-Gerichts schlicht übernimmt, obwohl der Vortrag politischer Verfolgung Anlaß zur Prüfung gegeben hätte. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
99.038 | Versäumnisurteil |
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Die Bundesrechtsanwaltsordnung (§ 59b BRAO) ermächtigt nicht zum Erlaß von Satzungsrecht (§ 13 BORA), das die Erwirkung eines Versäumnisurteils von einer vorherigen Ankündigung gegenüber dem gegnerischen Anwalt abhängig macht. | |
LB 2) Die Vorschrift des § 13 BORA überschreitet jedoch die der Satzungsversammlung gezogenen Grenzen, weil sich der Bundesrechtsanwaltsordnung nicht entnehmen läßt, daß die Handlungsspielräume der Prozeßparteien durch Satzungsrecht eingeengt werden dürfen; insoweit verstößt die Regelung gegen den Vorbehalt des Gesetzes. Sie mißachtet zugleich den Vorrang, der den zivilprozessualen Regelungen des Versäumnisverfahrens zukommt. | |
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Urteil | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
99.039 | Berufsbetreuer |
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1) Die Regelung der Vergütung von Berufsbetreuern, die in der Zeit von 1990 bis 1998 galt, stand im Grundsatz mit Art.12 Abs.1 GG in Einklang. | |
2) Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, die Vergütung einer in freier Entschließung übernommenen Betreuung an der Vergütung im Hauptberuf auszurichten. | |
3) Bei der eigenständigen Festsetzung der Vergütung für entgeltliche Betreuung hatten die Gerichte auch die Umsatzsteuerpflicht eines Anspruchsberechtigten zu berücksichtigen. | |
LB 4) Durch die in § 1908i Abs.1 Satz 1, § 1836 Abs.2 BGB ergänzend geregelte Erhöhungsmöglichkeit wird erkennbar, daß es sich um eine eigenständige Vergütungsregelung handelt, die Raum läßt für die Berücksichtigung von Besonderheiten des Einzelfalles. | |
LB 5) Eine durchsetzbare Verpflichtung zur Übernahme von Betreuungen kennt das Gesetz nicht (§ 1898 Abs.2 BGB). | |
LB 6) Für die Angemessenheit der Regelung spricht überdies, daß sie für Ergänzungen offen ist. § 1835 Abs.3 BGB erlaubt es nach Auffassung des Schrifttums, die Dienste des Betreuers, die zu seinem sonstigen Gewerbe oder Beruf gehören, als Aufwendungen nach der für diese Leistungen geltenden Gebührenordnung oder Taxe abzurechnen (vgl Engler, in: Staudinger, BGB, 13. Bearbeitung, Bd.IV, §§ 1773 bis 1895, 1999, § 1835 Rn.37 f mwN). Dies kommt insbesondere Rechtsanwälten oder Steuerberatern zugute. | |
LB 7) Diese Prüfung, deren Notwendigkeit der Gesetzgeber inzwischen in § 1 Abs.1 Satz 3 des Gesetzes über die Vergütung von Berufsvormündern vom 25.Juni 1998 (BGBl I S.1586) klargestellt hat, haben die Gerichte in den von den Beschwerdeführern zu I. bis IV. angegriffenen Entscheidungen verabsäumt und damit die angemessene Vergütung um die Umsatzsteuer gekürzt. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß sie bei ihrer Betrachtung die Umsatzsteuer jeweils in Ansehung der individuell festgesetzten Vergütung mitberücksichtigt hätten. Hierfür geben die Begründungen nichts her. Die Gerichte waren jeweils grundsätzlich der Auffassung, daß die Entrichtung der Umsatzsteuer Sache der Betreuer sei. Die Frage der Umsatzsteuerpflicht oder der möglichen Befreiung nach § 19 Abs.1 UStG war nicht Gegenstand der gerichtlichen Erwägungen. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
99.040 | Caroline von Monaco II |
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1) Die von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG geschützte Privatsphäre ist nicht auf den häuslichen Bereich beschränkt. Der Einzelne muß grundsätzlich die Möglichkeit haben, sich auch an anderen, erkennbar abgeschiedenen Orten von Bildberichterstattung unbehelligt zu bewegen. | |
2) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person gewährleistet. Der Schutz der Privatsphäre vor Abbildungen tritt zurück, soweit sich jemand selbst damit einverstanden zeigt, daß bestimmte, gewöhnlich als privat angesehene Angelegenheiten öffentlich gemacht werden. | |
3) Der Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Eltern oder Elternteilen erfährt eine Verstärkung durch Art.6 Abs.1 und 2 GG, soweit es um die Veröffentlichung von Abbildungen geht, die die spezifisch elterliche Hinwendung zu den Kindern zum Gegenstand haben. | |
4) Die in Art.5 Abs.1 Satz 2 GG enthaltene Gewährleistung der Pressefreiheit umfaßt auch unterhaltende Publikationen und Beiträge sowie deren Bebilderung. Das gilt grundsätzlich auch für die Veröffentlichung von Bildern, die Personen des öffentlichen Lebens in alltäglichen oder privaten Zusammenhängen zeigen. | |
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Urteil | Entscheidungsformel: |
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T-99-17 | Persönlichkeitsrecht + Privatsphäre |
I. "Die angegriffenen Urteile berühren das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin aus Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG. | |
1. Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erstreckt sich auch auf Abbildungen einer Person durch Dritte. | |
a) Dem Grundrecht kommt die Aufgabe zu, Elemente der Persönlichkeit zu gewährleisten, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen (vgl BVerfGE_54,148 <153>; BVerfGE_99,185 <193>). Die Notwendigkeit einer solchen lückenschließenden Gewährleistung besteht insbesondere im Blick auf neuartige Gefährdungen der Persönlichkeitsentfaltung, die meist in Begleitung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts auftreten (vgl BVerfGE_54,148 <153>; BVerfGE_65,1 <41>). Die Zuordnung eines konkreten Rechtsschutzbegehrens zu den verschiedenen Aspekten des Persönlichkeitsrechts muß daher vor allem im Blick auf die Persönlichkeitsgefährdung erfolgen, die den konkreten Umständen des Anlaßfalls zu entnehmen ist. | |
b) Die Befugnis zur Veröffentlichung von Fotografien, die Personen in privaten oder alltäglichen Zusammenhängen abbilden, bemißt sich nach dem Recht am eigenen Bild und der Garantie der Privatsphäre, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht konkretisieren. | |
aa) Ein allgemeines und umfassendes Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person enthält Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht. Soweit sie ein derartiges Recht aus früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entnehmen möchte (vgl BVerfGE_35,202 <220>; BVerfGE_54,148 <155 f>; BVerfGE_63,131 <142>), liegt darin eine unzutreffende Verallgemeinerung des in Ansehung der konkreten Fälle formulierten Schutzgehalts der grundrechtlichen Gewährleistung. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach betont hat, gibt das allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Einzelnen nicht den Anspruch, nur so von anderen dargestellt zu werden, wie er sich selber sieht oder gesehen werden möchte (vgl BVerfGE_82,236 <269>; BVerfGE_97,125 <149>; BVerfGE_97,391 <403>; BVerfGE_99,185 <194>). Ein derart weiter Schutz würde nicht nur das Schutzziel, Gefährdungen der Persönlichkeitsentfaltung zu vermeiden, übersteigen, sondern auch weit in die Freiheitssphäre Dritter hineinreichen. | |
Die Beschwerdeführerin bemängelt auch gar nicht die Darstellungsweise ihrer Person auf den umstrittenen Fotos, die die Zivilgerichte durchweg als vorteilhaft angesehen haben. Ihr geht es vielmehr um die Frage, ob überhaupt Bilder von ihr gemacht und veröffentlicht werden dürfen, wenn sie sich nicht in offizieller Funktion, sondern in privater Eigenschaft oder alltäglichen Zusammenhängen in der Öffentlichkeit bewegt. Die Antwort auf diese Frage ist denjenigen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu entnehmen, die das Recht am eigenen Bild und die Privatsphäre schützen. | |
bb) Das Recht am eigenen Bild (vgl BVerfGE_34,238 <246>; BVerfGE_35,202 <220>; BVerfGE_87,334 <340>; BVerfGE_97,228 <268 f>) gewährleistet dem Einzelnen Einfluß- und Entscheidungsmöglichkeiten, soweit es um die Anfertigung und Verwendung von Fotografien oder Aufzeichnungen seiner Person durch andere geht. Ob diese den Einzelnen in privaten oder öffentlichen Zusammenhängen zeigen, spielt dabei grundsätzlich keine Rolle. Das Schutzbedürfnis ergibt sich vielmehr - ähnlich wie beim Recht am eigenen Wort, in dessen Gefolge das Recht am eigenen Bild Eingang in die Verfassungsrechtsprechung gefunden hat (vgl BVerfGE_34,238 <246>) - vor allem aus der Möglichkeit, das Erscheinungsbild eines Menschen in einer bestimmten Situation von diesem abzulösen, datenmäßig zu fixieren und jederzeit vor einem unüberschaubaren Personenkreis zu reproduzieren. Diese Möglichkeit ist durch den Fortschritt der Aufnahmetechnik, der Abbildungen auch aus weiter Entfernung, jüngst sogar aus Satellitendistanz, und unter schlechten Lichtverhältnissen erlaubt, noch weiter gewachsen. | |
Mit Hilfe der Reproduktionstechnik lassen sich die Formen der Öffentlichkeit ändern, in denen der Einzelne erscheint. Insbesondere kann die überschaubare Öffentlichkeit, in der man sich bei normalem Auftreten bewegt, durch die Medienöffentlichkeit ersetzt werden. So unterscheidet sich etwa die Gerichtsöffentlichkeit durch das im Saal anwesende Publikum von der durch das Fernsehen hergestellten Medienöffentlichkeit, weil das Publikum selbst die Geschehnisse erlebt und seinerseits von den Verfahrensbeteiligten wahrgenommen und eingeschätzt werden kann (vgl BVerfG, 3.Kammer des Ersten Senats, NJW 1996, S.581 <583>). Überdies kann sich mit dem Wechsel des Kontextes, in dem eine Abbildung reproduziert wird, auch der Sinngehalt der Bildaussagen ändern oder sogar absichtlich ändern lassen. | |
Unter den verschiedenen Schutzaspekten des Rechts am eigenen Bild erlangt hier allerdings nur derjenige Bedeutung, der die Herstellung bestimmter Fotos und ihre Überführung in eine größere Öffentlichkeit betrifft. Um manipulierte Fotos oder Verfälschungen durch eine Kontextveränderung, auf die der Schutz vor allem zielt, geht es nicht. Die Beschwerdeführerin legt im Gegenteil zugrunde, daß die streitgegenständlichen Fotos und der für ihren Aussagegehalt ebenfalls relevante Begleitartikel in zutreffender Weise Situationen aus ihrem Leben wiedergeben, und zwar so, wie sie auch anwesende Beobachter hätten wahrnehmen können. Sie möchte nur nicht, daß diese Situationen im Bild festgehalten und einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden, weil sie ihrer Meinung nach zu ihrer Privatsphäre gehören. | |
cc) Im Unterschied zum Recht am eigenen Bild bezieht sich der Schutz der Privatsphäre, der ebenfalls im allgemeinen Persönlichkeitsrecht wurzelt, nicht speziell auf Abbildungen, sondern ist thematisch und räumlich bestimmt. Er umfaßt zum einen Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als "privat" eingestuft werden, weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst, wie es etwa bei Auseinandersetzungen mit sich selbst in Tagebüchern (BVerfGE_80,367), bei vertraulicher Kommunikation unter Eheleuten (BVerfGE_27,344), im Bereich der Sexualität (BVerfGE_47,46; BVerfGE_49,286), bei sozial abweichendem Verhalten (BVerfGE_44,353) oder bei Krankheiten (BVerfGE_32,373) der Fall ist. Fehlte es hier an einem Schutz vor der Kenntniserlangung anderer, wären die Auseinandersetzung mit sich selbst, die unbefangene Kommunikation unter Nahestehenden, die sexuelle Entfaltung oder die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe beeinträchtigt oder e unmöglich, obwohl es sich um grundrechtlich geschützt Verhaltensweisen handelt. 7 Zum anderen erstreckt sich der Schutz auf einen räumlichen Bereich, in dem der Einzelne zu sich kommen, sich entspannen oder auch gehen lassen kann (vgl BVerfGE_27,1 <6>). Zwar bietet auch dieser Bereich Gelegenheit, sich in einer Weise zu verhalten, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist und deren Beobachtung oder Darstellung durch Außenstehende für den Betroffenen peinlich oder nachteilig wäre. Im Kern geht es aber um einen Raum, in dem er die Möglichkeit hat, frei von öffentlicher Beobachtung und damit der von ihr erzwungenen Selbstkontrolle zu sein, auch ohne daß er sich dort notwendig anders verhielte als in der Öffentlichkeit. Bestünden solche Rückzugsbereiche nicht mehr, könnte der Einzelne psychisch überfordert sein, weil er unausgesetzt darauf achten müßte, wie er auf andere wirkt und ob er sich richtig verhält. Ihm fehlten die Phasen des Alleinseins und Ausgleichs, die für die Persönlichkeitsentfaltung notwendig sind und ohne die sie nachhaltig beeinträchtigt würde. | |
Ein derartiges Schutzbedürfnis besteht auch bei Personen, die aufgrund ihres Ranges oder Ansehens, ihres Amtes oder Einflusses, ihrer Fähigkeiten oder Taten besondere öffentliche Beachtung finden. Wer, ob gewollt oder ungewollt, zur Person des öffentlichen Lebens geworden ist, verliert damit nicht sein Anrecht auf eine Privatsphäre, die den Blicken der Öffentlichkeit entzogen bleibt. Das gilt auch für demokratisch gewählte Amtsträger, die zwar für ihre Amtsführung öffentlich rechenschaftspflichtig sind und sich in diesem Umfang öffentliche Aufmerksamkeit gefallen lassen müssen, nicht aber für ihr Privatleben, sofern dieses die Amtsführung nicht berührt. | |
Der häusliche Bereich stellt anerkanntermaßen eine solche geschützte Sphäre dar. Wegen des Bezugs auf die Entfaltung der Persönlichkeit darf der Rückzugsbereich jedoch nicht von vornherein auf ihn begrenzt werden. Das gilt schon deshalb, weil die Funktionen, denen er dient, nur erfüllt werden, wenn er nicht an den Hausmauern oder Grundstücksgrenzen endet. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit wäre erheblich behindert, wenn der Einzelne nur im eigenen Haus der öffentlichen Neugier entgehen könnte. Die notwendige Erholung von einer durch Funktionszwänge und Medienpräsenz geprägten Öffentlichkeit ist vielfach nur in der Abgeschiedenheit einer natürlichen Umgebung, etwa an einem Ferienort, zu gewinnen. Deswegen muß der Einzelne grundsätzlich die Möglichkeit haben, sich auch in der freien, gleichwohl abgeschiedenen Natur oder an Örtlichkeiten, die von der breiten Öffentlichkeit deutlich abgeschieden sind, in einer von öffentlicher Beobachtung freien Weise zu bewegen. Das gilt gerade gegenüber solchen Aufnahmetechniken, die die räumliche Abgeschiedenheit überwinden, ohne daß der Betroffene dies bemerken kann. | |
Wo die Grenzen der geschützten Privatsphäre außerhalb des Hauses verlaufen, läßt sich nicht generell und abstrakt festlegen. Sie können vielmehr nur aufgrund der jeweiligen Beschaffenheit des Ortes bestimmt werden, den der Betroffene aufsucht. Ausschlaggebend ist, ob der Einzelne eine Situation vorfindet oder schafft, in der er begründetermaßen und somit auch für Dritte erkennbar davon ausgehen darf, den Blicken der Öffentlichkeit nicht ausgesetzt zu sein. | |
Ob die Voraussetzungen der Abgeschiedenheit erfüllt sind, läßt sich nur situativ beurteilen. Der Einzelne kann sich an ein und demselben Ort zu Zeiten mit gutem Grund unbeobachtet fühlen, zu anderen Zeiten nicht. Auch ist der Aufenthalt in umschlossenen Räumen keineswegs immer mit Abgeschiedenheit gleichzusetzen. Da es um die Frage geht, ob der Einzelne begründetermaßen erwarten darf, unbeobachtet zu sein, oder aber Plätze aufgesucht hat, wo er sich unter den Augen der Öffentlichkeit bewegt, kann es auch in umschlossenen Räumen an der Abgeschiedenheit fehlen, die Voraussetzung für den Privatsphärenschutz außerhalb der eigenen Häuslichkeit ist. | |
Plätzen, an denen sich der Einzelne unter vielen Menschen befindet, fehlt es von vornherein an den Voraussetzungen des Privatsphärenschutzes im Sinn von Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG. Sie können das Rückzugsbedürfnis nicht erfüllen und rechtfertigen deswegen auch nicht den grundrechtlichen Schutz, den dieses Bedürfnis aus Gründen der Persönlichkeitsentfaltung verdient. Der Einzelne kann solche Orte auch nicht etwa durch ein Verhalten, das typischerweise nicht öffentlich zur Schau gestellt würde, in seine Privatsphäre umdefinieren. Nicht sein Verhalten, ob allein oder mit anderen, konstituiert die Privatsphäre, sondern die objektive Gegebenheit der Örtlichkeit zur fraglichen Zeit. Verhält er sich daher an Orten, die nicht die Merkmale der Abgeschiedenheit aufweisen, so, als stünde er nicht unter Beobachtung, hebt er das Schutzbedürfnis für Verhaltensweisen, die an sich die Öffentlichkeit nichts angehen, selbst auf. | |
Der Schutz der Privatsphäre vor öffentlicher Kenntnisnahme entfällt ferner, wenn sich jemand selbst damit einverstanden zeigt, daß bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden, etwa indem er Exklusivverträge über die Berichterstattung aus seiner Privatsphäre abschließt. Der verfassungsrechtliche Privatsphärenschutz aus Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG ist nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person gewährleistet. Zwar ist niemand an einer solchen Öffnung privater Bereiche gehindert. Er kann sich dann aber nicht gleichzeitig auf den öffentlichkeitsabgewandten Privatsphärenschutz berufen. Die Erwartung, daß die Umwelt die Angelegenheiten oder Verhaltensweisen in einem Bereich mit Rückzugsfunktion nur begrenzt oder nicht zur Kenntnis nimmt, muß daher situationsübergreifend und konsistent zum Ausdruck gebracht werden. Das gilt auch für den Fall, daß der Entschluß, die Berichterstattung über bestimmte Vorgänge der eigenen Privatsphäre zu gestatten oder hinzunehmen, rückgängig gemacht wird. | |
dd) Was der Privatsphärenschutz für den familiären Umgang zwischen Eltern und Kindern bedeutet, hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden. Es ist aber anerkannt, daß Kinder eines besonderen Schutzes bedürfen, weil sie sich zu eigenverantwortlichen Personen erst entwickeln müssen (vgl BVerfGE_24,119 <144>; BVerfGE_57,361 <383> ). Dieses Schutzbedürfnis besteht auch hinsichtlich der Gefahren, die von dem Interesse der Medien und ihrer Nutzer an Abbildungen von Kindern ausgehen. Deren Persönlichkeitsentfaltung kann dadurch empfindlicher gestört werden als diejenige von Erwachsenen. Der Bereich, in dem Kinder sich frei von öffentlicher Beobachtung fühlen und entfalten dürfen, muß deswegen umfassender geschützt sein als derjenige erwachsener Personen. | |
Für die kindliche Persönlichkeitsentwicklung sind in erster Linie die Eltern verantwortlich. Soweit die Erziehung von ungestörten Beziehungen zu den Kindern abhängt, wirkt sich der besondere Grundrechtsschutz der Kinder nicht lediglich reflexartig zugunsten des Vaters und der Mutter aus (vgl auch BVerfGE_76,1 <44 ff>; BVerfGE_80,81 <91 f>). Vielmehr fällt auch die spezifisch elterliche Hinwendung zu den Kindern grundsätzlich in den Schutzbereich von Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG. Der Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfährt dann eine Verstärkung durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, der den Staat verpflichtet, die Lebensbedingungen des Kindes zu sichern, die für sein gesundes Aufwachsen erforderlich sind und zu denen insbesondere die elterliche Fürsorge gehört (vgl BVerfGE_56,363 <384>; BVerfGE_57,361 <382 f>; BVerfGE_80,81 <90 ff>). | |
Wie sich die Verstärkung des Persönlichkeitsschutzes durch Art.6 GG im einzelnen auswirkt, läßt sich nicht generell und abstrakt bestimmen. Zwar wird es regelmäßig an einem Schutzbedürfnis fehlen, wenn sich Eltern mit ihren Kindern bewußt der Öffentlichkeit zuwenden, etwa gemeinsam an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen oder gar in deren Mittelpunkt stehen. Insoweit liefern sie sich den Bedingungen öffentlicher Auftritte aus. Im übrigen kann der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugunsten spezifischer Eltern-Kind-Beziehungen grundsätzlich aber auch dort eingreifen, wo es an den Voraussetzungen der örtlichen Abgeschiedenheit fehlt. | |
2. Die Beschwerdeführerin wird durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Da die Abbildungen den Schutz dieses Grundrechts genießen, beschneidet die gerichtliche Feststellung, daß sie gegen ihren Willen veröffentlicht werden dürfen, den Schutz, auf dessen Beachtung durch die Gerichte sie auch in privatrechtlichen Streitigkeiten Anspruch hat (vgl BVerfGE_7,198 <207>). II. | |
Die angegriffenen Urteile werden den Anforderungen von Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG nicht in vollem Umfang gerecht. | |
1. Die Vorschriften der §§ 22 und 23 KUG, auf die die Zivilgerichte ihre Entscheidungen gestützt haben, sind allerdings mit dem Grundgesetz vereinbar. | |
Gemäß Art.2 Abs.1 GG ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet. Dazu zählen auch die Vorschriften über die Veröffentlichung fotografischer Abbildungen von Personen in §§ 22 und 23 KUG. Die Regelung geht auf einen anstoßerregenden Vorfall (Aufnahmen Bismarcks auf dem Totenbett, vgl RGZ_45,170) und die daran anschließende rechtspolitische Diskussion (vgl. Verhandlungen des 27. DJT, 1904, 4.Band, S.27 ff) zurück und sucht einen angemessenen Ausgleich zwischen der Achtung der Persönlichkeit und den Informationsinteressen der Allgemeinheit herzustellen (vgl. Verhandlungen des Reichstages, 11.Legislaturperiode, II.Session, 1.Sessionsabschnitt 1905/1906, Nr.30, S.1526 <1540 f>). | |
Nach § 22 Satz 1 KUG dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Von diesem Grundsatz nimmt § 23 Abs.1 KUG unter anderem Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte aus (Nr.1). Dies gilt gemäß § 23 Abs.2 KUG jedoch nicht für eine Verbreitung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird. Mit diesem abgestuften Schutzkonzept trägt die Regelung sowohl dem Schutzbedürfnis der abgebildeten Person als auch den Informationswünschen der Öffentlichkeit und den Interessen der Medien, die diese Wünsche befriedigen, ausreichend Rechnung. Das hat das Bundesverfassungsgericht bereits früher festgestellt (vgl BVerfGE_35,202 <224 f>). | |
Die Auffassung der Beklagten, die Regelung verstoße gegen die Pressefreiheit, weil sie auf ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt hinauslaufe, gibt keinen Anlaß zu einer abweichenden Beurteilung. An einem solchen Verbot fehlt es schon deswegen, weil die Normen lediglich unterschiedliche rechtlich geschützte Interessen Privater ausgleichen. Dabei bevorzugt die Regelung den Persönlichkeitsschutz auch nicht einseitig. Zwar trägt sie auf der ersten und der dritten Stufe (§ 22 Satz 1 und § 23 Abs.2 KUG) vor allem dem Schutzbedürfnis der abgebildeten Person Rechnung. Doch kommen auf der zweiten Stufe (§ 23 Abs.1 KUG) die Belange der Pressefreiheit und der hinter dieser stehenden Meinungsbildungsfreiheit ausreichend zur Geltung. Desgleichen bietet sie mit ihren offenen Formulierungen für eine grundrechtskonforme Auslegung und Anwendung ausreichend Raum. | |
2. Auslegung und Anwendung der Vorschriften genügen dagegen nicht durchweg den grundrechtlichen Anforderungen. | |
a) Die Auslegung und Anwendung verfassungsmäßiger Vorschriften des Zivilrechts ist Sache der Zivilgerichte. Sie müssen dabei aber Bedeutung und Tragweite der von ihren Entscheidungen berührten Grundrechte beachten, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl BVerfGE_7,198 <205 ff>; stRspr). Dazu bedarf es einer Abwägung zwischen den widerstreitenden grundrechtlichen Schutzgütern, die im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften vorzunehmen ist und die besonderen Umstände des Falles zu berücksichtigen hat (vgl BVerfGE_99,185 <196>; stRspr). Da der Rechtsstreit aber ungeachtet des grundrechtlichen Einflusses ein privatrechtlicher bleibt und seine Lösung in dem - grundrechtsgeleitet interpretierten - Privatrecht findet, ist das Bundesverfassungsgericht darauf beschränkt nachzuprüfen, ob die Zivilgerichte den Grundrechtseinfluß ausreichend beachtet haben (vgl BVerfGE_18,85 <92 f>). Dagegen ist es nicht seine Sache, den Zivilgerichten vorzugeben, wie sie den Streitfall im Ergebnis zu entscheiden haben (vgl BVerfGE_94,1 <9 f>). | |
Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung der angegriffenen Entscheidungen führt, liegt nur dann vor, wenn übersehen worden ist, daß bei Auslegung und Anwendung der verfassungsmäßigen Vorschriften des Privatrechts Grundrechte zu beachten waren; wenn der Schutzbereich der zu beachtenden Grundrechte unrichtig oder unvollkommen bestimmt oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist, so daß darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelung leidet (vgl BVerfGE_95,28 <37>; BVerfGE_97,391 <401>), und die Entscheidung auf diesem Fehler beruht. | |
b) Im vorliegenden Fall ist bei der Auslegung und Anwendung von §§ 22, 23 KUG nicht nur das allgemeine Persönlichkeitsrecht, sondern auch die in Art.5 Abs.1 Satz 2 GG garantierte Pressefreiheit zu berücksichtigen, die ebenfalls von diesen Vorschriften berührt wird. | |
Im Zentrum der grundrechtlichen Gewährleistung der Pressefreiheit steht das Recht, Art und Ausrichtung, Inhalt und Form eines Publikationsorgans frei zu bestimmen (vgl BVerfGE_20,162 <174 ff>; BVerfGE_52,283 <296>; BVerfGE_66,116 <133>; BVerfGE_80,124 <133 f>; BVerfGE_95,28 <35>). Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird. Auf bestimmte Illustrationsgegenstände beschränkt sich der Schutz nicht. Er umfaßt auch die Abbildung von Personen. Von der Eigenart oder dem Niveau des Presseerzeugnisses oder der Berichterstattung im einzelnen hängt der Schutz nicht ab (vgl BVerfGE_34,269 <283>; BVerfGE_50,234 <240>). Jede Unterscheidung dieser Art liefe am Ende auf eine Bewertung und Lenkung durch staatliche Stellen hinaus, die dem Wesen dieses Grundrechts gerade widersprechen würde (BVerfGE_35,202 <222>). | |
Die Pressefreiheit dient der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung (vgl BVerfGE_57,295 <319>). Diese kann nur unter den Bedingungen einer freien Berichterstattung gelingen, der bestimmte Gegenstände oder Darbietungsweisen weder vorgegeben noch entzogen sind. Insbesondere ist die Meinungsbildung nicht auf den politischen Bereich beschränkt. Zwar kommt ihr dort im Interesse einer funktionierenden Demokratie besondere Bedeutung zu. Doch ist die politische Meinungsbildung in einen umfassenden, vielfach verflochtenen Kommunikationsprozeß eingebettet, der weder unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Entfaltung noch dem der demokratischen Herrschaft in relevante und irrelevante Zonen aufgespalten werden kann (vgl BVerfGE_97,228 <257>). Die Presse muß nach publizistischen Kriterien entscheiden dürfen, was sie des öffentlichen Interesses für wert hält und was nicht. | |
Daß die Presse eine meinungsbildende Funktion zu erfüllen hat, schließt die Unterhaltung nicht aus der verfassungsrechtlichen Funktionsgewährleistung aus. Meinungsbildung und Unterhaltung sind keine Gegensätze. Auch in unterhaltenden Beiträgen findet Meinungsbildung statt. Sie können die Meinungsbildung unter Umständen sogar nachhaltiger anregen oder beeinflussen als ausschließlich sachbezogene Informationen. Zudem läßt sich im Medienwesen eine wachsende Tendenz beobachten, die Trennung von Information und Unterhaltung sowohl hinsichtlich eines Presseerzeugnisses insgesamt als auch in den einzelnen Beiträgen aufzuheben und Information in unterhaltender Form zu verbreiten oder mit Unterhaltung zu vermengen ("Infotainment"). Viele Leser beziehen folglich die ihnen wichtig oder interessant erscheinenden Informationen gerade aus unterhaltenden Beiträgen (vgl Berg/Kiefer | |
Aber auch der bloßen Unterhaltung kann der Bezug zur Meinungsbildung nicht von vornherein abgesprochen werden. Es wäre einseitig anzunehmen, Unterhaltung befriedige lediglich Wünsche nach Zerstreuung und Entspannung, nach Wirklichkeitsflucht und Ablenkung. Sie kann auch Realitätsbilder vermitteln und stellt Gesprächsgegenstände zur Verfügung, an die sich Diskussionsprozesse und Integrationsvorgänge anschließen können, die sich auf Lebenseinstellungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster beziehen, und erfüllt insofern wichtige gesellschaftliche Funktionen (vgl BVerfGE_97,228 <257> , ferner Pürer/Raabe, Medien in Deutschland, Band 1, 2.Aufl 1996, S.309 f). Unterhaltung in der Presse ist aus diesem Grund, gemessen an dem Schutzziel der Pressefreiheit, nicht unbeachtlich oder gar wertlos und deswegen ebenfalls in den Grundrechtsschutz einbezogen (vgl BVerfGE_35,202 <222>). | |
Das gilt auch für die Berichterstattung über Personen. Personalisierung bildet ein wichtiges publizistisches Mittel zur Erregung von Aufmerksamkeit. Sie weckt vielfach erst das Interesse an Problemen und begründet den Wunsch nach Sachinformationen. Auch Anteilnahme an Ereignissen und Zuständen wird meist durch Personalisierung vermittelt. Prominente Personen stehen überdies für bestimmte Wertvorstellungen und Lebenshaltungen. Vielen bieten sie deshalb Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen. Sie werden zu Kristallisationspunkten für Zustimmung oder Ablehnung und erfüllen Leitbild- oder Kontrastfunktionen. Darin hat das öffentliche Interesse an den verschiedensten Lebensbezügen solcher Personen seinen Grund. | |
Für Personen des politischen Lebens ist ein derartiges Interesse des Publikums unter dem Gesichtspunkt demokratischer Transparenz und Kontrolle stets als legitim anerkannt worden. Es läßt sich aber auch für andere Personen des öffentlichen Lebens nicht grundsätzlich bestreiten. Insofern entspricht die nicht auf bestimmte Funktionen oder Ereignisse begrenzte Darstellung von Personen den Aufgaben der Presse und fällt daher ebenfalls in den Schutzbereich der Pressefreiheit. Erst bei der Abwägung mit kollidierenden Persönlichkeitsrechten kann es darauf ankommen, ob Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich angehen, ernsthaft und sachbezogen erörtert oder lediglich private Angelegenheiten, die nur die Neugier befriedigen, ausgebreitet werden (vgl BVerfGE_34,269 <283>). | |
c) Das Urteil des Bundesgerichtshofs hält der verfassungsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis überwiegend stand. | |
aa) Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, daß der Bundesgerichtshof die Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs.1 Nr.1 KUG nach dem Maßstab des Informationsinteresses der Allgemeinheit bestimmt und aufgrund dessen Veröffentlichungen von Abbildungen der Beschwerdeführerin auch außerhalb ihrer repräsentativen Funktion im Fürstentum Monaco als zulässig angesehen hat. | |
§ 23 Abs.1 Nr.1 KUG stellt die Veröffentlichung von Bildnissen aus dem Bereich der Zeitgeschichte von dem Einwilligungserfordernis des § 22 KUG frei. Die Vorschrift nimmt nach der gesetzgeberischen Intention (vgl Verhandlungen des Reichstages, aaO, S.1540 f.) und nach Sinn und Zweck der Regelung auf das Informationsinteresse der Allgemeinheit und auf die Pressefreiheit Rücksicht. Die Belange der Öffentlichkeit sind daher gerade bei der Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals zu beachten. Denn Abbildungen von Personen, denen die zeitgeschichtliche Bedeutung abgesprochen wird, dürfen der Öffentlichkeit nicht frei, sondern nur mit Einwilligung der Betroffenen zugänglich gemacht werden. Das weitere dem Grundrechtseinfluß offen stehende Tatbestandsmerkmal des "berechtigten Interesses" in § 23 Abs.2 KUG bezieht sich von vornherein nur auf Personen von zeitgeschichtlicher Bedeutung und kann folglich die Belange der Pressefreiheit nicht mehr ausreichend aufnehmen, wenn diese zuvor bei der Abgrenzung des Personenkreises außer acht gelassen worden sind. | |
Es trägt der Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit Rechnung, ohne den Persönlichkeitsschutz unverhältnismäßig zu beschneiden, daß der Begriff der Zeitgeschichte in § 23 Abs.1 Nr.1 KUG nicht nach Maßgabe einer richterlichen Inhaltsbestimmung etwa allein Vorgänge von historischer oder politischer Bedeutung erfaßt, sondern vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit her bestimmt wird (vgl bereits RGZ_125,80 <82>). Zum Kern der Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit gehört es, daß die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht, und daß sich im Meinungsbildungsprozeß herausstellt, was eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist. Unterhaltende Beiträge sind davon, wie dargelegt, nicht ausgenommen. | |
Nicht zu beanstanden ist ferner, daß der Bundesgerichtshof dem "Bereich der Zeitgeschichte" gemäß § 23 Abs.1 Nr.1 KUG auch Bildnisse von Personen zuordnet, die das öffentliche Interesse nicht punktuell durch ein bestimmtes zeitgeschichtliches Ereignis auf sich gezogen haben, sondern unabhängig von einzelnen Ereignissen aufgrund ihres Status und ihrer Bedeutung allgemeine öffentliche Aufmerksamkeit finden. Dabei fällt auch die gesteigerte Bedeutung ins Gewicht, die der Bildberichterstattung im Vergleich zur Entstehungszeit des Kunsturhebergesetzes heute zukommt. Der in diesem Zusammenhang in Judikatur und Literatur regelmäßig verwandte Begriff einer "absoluten Person der Zeitgeschichte" ergibt sich zwar weder zwingend aus dem Gesetz noch aus der Verfassung. Mit dem Oberlandesgericht und dem Bundesgerichtshof als abgekürzte Ausdrucksweise für Personen verstanden, deren Bild die Öffentlichkeit um der dargestellten Person willen der Beachtung wert findet, ist er aber verfassungsrechtlich unbedenklich, solange die einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den berechtigten Interessen des Abgebildeten nicht unterbleibt. | |
Eine Beschränkung der einwilligungsfreien Veröffentlichung auf Bilder, die Personen von zeitgeschichtlicher Bedeutung bei der Ausübung der Funktion zeigen, die sie in der Gesellschaft wahrnehmen, verlangt das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht. Es kennzeichnet häufig gerade das öffentliche Interesse, welches solche Personen beanspruchen, daß es nicht nur der Funktionsausübung im engeren Sinn gilt. Vielmehr kann es sich wegen der herausgehobenen Funktion und der damit verbundenen Wirkung auch auf Informationen darüber erstrecken, wie sich diese Personen generell, also außerhalb ihrer jeweiligen Funktion, in der Öffentlichkeit bewegen. Diese hat ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, ob solche Personen, die oft als Idol oder Vorbild gelten, funktionales und persönliches Verhalten überzeugend in Übereinstimmung bringen. | |
Eine Begrenzung der Bildveröffentlichungen auf die Funktion einer Person von zeitgeschichtlicher Bedeutung würde demgegenüber das öffentliche Interesse, welches solche Personen berechtigterweise wecken, unzureichend berücksichtigen und zudem eine selektive Darstellung begünstigen, die dem Publikum Beurteilungsmöglichkeiten vorenthielte, die es für Personen des gesellschaftlich-politischen Lebens wegen ihrer Leitbildfunktion und ihres Einflusses benötigt. Ein schrankenloser Zugriff auf Bilder von Personen der Zeitgeschichte wird der Presse dadurch nicht eröffnet. Vielmehr gibt § 23 Abs.2 KUG den Gerichten ausreichend Möglichkeit, die Schutzanforderungen von Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG zur Geltung zu bringen (vgl BVerfGE_35,202 <225>). | |
bb) Im Grundsatz sind auch die Kriterien, die der Bundesgerichtshof in Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "berechtigten Interesses" in § 23 Abs.2 KUG entwickelt hat, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. | |
Nach dem angegriffenen Urteil setzt die schützenswerte Privatsphäre, die auch den sogenannten absoluten Personen der Zeitgeschichte zusteht, eine örtliche Abgeschiedenheit voraus, in die sich jemand zurückgezogen hat, um dort objektiv erkennbar für sich allein zu sein, und in der er sich im Vertrauen auf die Abgeschiedenheit so verhält, wie er es in der breiten Öffentlichkeit nicht tun würde. Einen Verstoß gegen §§ 22, 23 KUG nimmt der Bundesgerichtshof an, wenn Bilder veröffentlicht werden, die von dem Betroffenen in einer solchen Situation heimlich oder unter Ausnutzung einer Überrumpelung aufgenommen worden sind. | |
Das Kriterium der örtlichen Abgeschiedenheit trägt einerseits dem Sinn des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Rechnung, dem Einzelnen auch eine Sphäre außerhalb seiner eigenen Häuslichkeit zu sichern, in der er sich nicht unter ständiger öffentlicher Beobachtung weiß und sein Verhalten deswegen nicht im Hinblick auf diese Beobachtung kontrollieren muß, sondern die Möglichkeit der Entspannung und des Zu-sich- selbst-Kommens findet. Andererseits engt es die Pressefreiheit nicht übermäßig ein, weil es das Alltags- und Privatleben von Personen der Zeitgeschichte der Bildberichterstattung nicht völlig entzieht, sondern dort, wo es sich in der Öffentlichkeit abspielt, auch der Abbildung zugänglich macht. Bei überragendem öffentlichen Informationsinteresse kann die Pressefreiheit nach dieser Rechtsprechung sogar dem Schutz der Privatsphäre vorgehen (vgl BGH, JZ 1965, S.411 <413>; OLG Hamburg, UFITA 1977, S.252 <257>; OLG München, UFITA 1964, S.322 <324>). | |
Der Bundesgerichtshof durfte auch dem Verhalten des Einzelnen in einer bestimmten Situation Indizwirkung dafür beimessen, daß er sich erkennbar in einer Sphäre der Abgeschiedenheit befindet. Allerdings setzt der Schutz vor Abbildungen in dieser Sphäre nicht erst dann ein, wenn der Betroffene dort ein Verhalten an den Tag legt, das er unter den Augen der Öffentlichkeit vermeiden würde. Die örtliche Abgeschiedenheit vermag ihre Schutzfunktion für die Persönlichkeitsentfaltung vielmehr nur dann zu erfüllen, wenn sie dem Einzelnen ohne Rücksicht auf sein jeweiliges Verhalten einen Raum der Entspannung sichert, in dem er nicht ständig die Anwesenheit von Fotografen oder Kameraleuten zu gewärtigen hat. Doch kommt es darauf im vorliegenden Fall nicht an, weil es nach den Feststellungen, von denen der Bundesgerichtshof ausgegangen ist, schon an der ersten Bedingung für den Privatsphärenschutz fehlt. | |
Schließlich läßt es sich verfassungsrechtlich nicht beanstanden, daß bei der Abwägung zwischen öffentlichem Informationsinteresse und Privatsphärenschutz der Methode der Informationsgewinnung Bedeutung beigemessen wird (vgl BVerfGE_66,116 <136>). Ob allein durch heimliche oder überrumpelnde Aufnahmen die außerhäusliche Privatsphäre verletzt werden kann, begegnet indes Zweifeln. Angesichts der Funktion, die diese Sphäre von Verfassungs wegen erfüllen soll, und angesichts des Umstands, daß einem Bild oft nicht angesehen werden kann, ob es heimlich oder überrumpelnd aufgenommen worden ist, kann ein unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre jedenfalls nicht nur beim Vorliegen dieser Merkmale angenommen werden. Da der Bundesgerichtshof für die umstrittenen Fotografien aber bereits das Vorhandensein einer Sphäre der Abgeschiedenheit verneint hat, berühren die Zweifel das Ergebnis seiner Entscheidung insoweit nicht. | |
cc) Die verfassungsrechtlichen Anforderungen sind dagegen nicht erfüllt, soweit die angegriffenen Entscheidungen dem Umstand keine Beachtung geschenkt haben, daß die persönlichkeitsrechtliche Schutzposition der Beschwerdeführerin im Fall des familiären Umgangs mit ihren Kindern durch Art.6 GG verstärkt wird. | |
dd) Im einzelnen ergibt sich daraus für die verschiedenen Abbildungen folgendes: | |
Keinen Anlaß zur verfassungsgerichtlichen Beanstandung gibt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich derjenigen Abbildungen, die die Beschwerdeführerin beim Gang zum Markt, mit einer Leibwächterin auf dem Markt und mit einem Begleiter in einem gut besuchten Lokal zeigen. In den ersten beiden Fällen handelt es sich um unabgeschlossene, von der breiten Öffentlichkeit aufgesuchte Plätze. Im dritten Fall handelt es sich zwar um einen räumlich umgrenzten Bereich, in dem die Beschwerdeführerin aber unter den Augen der anwesenden Öffentlichkeit steht. Aus diesem Grund setzt sich der Bundesgerichtshof auch nicht in Widerspruch zu der Untersagung der Verbreitung von Fotos aus dem Gartenlokal, die zwar Gegenstand der angegriffenen Entscheidungen, nicht aber der Verfassungsbeschwerde ist. Der Platz, den die Beschwerdeführerin dort mit ihrem Begleiter einnahm, wies alle Merkmale der Abgeschiedenheit auf. Der Umstand, daß die Fotografien offensichtlich aus weiter Ferne aufgenommen worden sind, deutet zusätzlich darauf hin, daß die Beschwerdeführerin davon ausgehen durfte, den Blicken der Öffentlichkeit nicht ausgesetzt zu sein. | |
Die Entscheidung ist auch nicht zu beanstanden, soweit es um die Fotos geht, auf denen die Beschwerdeführerin allein gezeigt wird, wie sie reitet und Fahrrad fährt. Der Bundesgerichtshof hat sie ebenfalls auf der Grundlage seiner Anschauung nicht der Sphäre örtlicher Abgeschiedenheit, sondern der Öffentlichkeitssphäre zugerechnet. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Beschwerdeführerin selbst zählt die Bilder nur deswegen zur abgeschiedenen Privatsphäre, weil sie ihren Wunsch erkennen ließen, allein zu bleiben. Auf den bloßen Willen kommt es aber nach den dargelegten Kriterien nicht an. | |
Die drei Fotos, auf denen die Beschwerdeführerin zusammen mit ihren Kindern abgebildet ist, verlangen dagegen eine erneute Überprüfung unter den verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, die oben aufgezeigt worden sind. Es läßt sich nicht ausschließen, daß die Überprüfung anhand dieser Maßgaben bezüglich einzelner oder aller Bilder zu einem anderen Ergebnis führt. Insoweit ist das Urteil des Bundesgerichtshofs daher aufzuheben und der Fall zur erneuten Entscheidung an ihn zurückzuverweisen. | |
d) Für die angegriffenen Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts folgt der Grundrechtsverstoß bereits daraus, daß diese die von Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG geschützte Privatsphäre - allerdings im Einklang mit der seinerzeitigen Rechtsprechung - auf den häuslichen Bereich beschränkt haben. Einer Aufhebung der Entscheidungen bedarf es gleichwohl nicht, weil der Verstoß insoweit vom Bundesgerichtshof geheilt worden ist und die Sache im übrigen an ihn zurückverwiesen wird." | |
Auszug aus BVerfG U, 15.12.99, - 1_BvR_653/96 -, www.BVerfG.de, Abs.66 ff | |
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1998 | RS-BVerfG - 1999 | 200 [ ] |
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