1993 | ||
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[ 1992 ] [ ] [ ] [ 1994 ] | [ ] |
93.001 | Transsexuelle II | |
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Es ist mit Art.3 Abs.1 GG nicht vereinbar, Transsexuellen unter 25 Jahren die Vornamensänderung nach § 1 des Transsexuellengesetzes zu versagen, die älteren Transsexuellen gewährt wird. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ |
93.002 | Wiedereinsetzungsgesuch | |
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Es verletzt den Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art.2 Abs.1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), wenn ein Wiedereinsetzungsgesuch bei Versäumung der Einspruchsfrist nach einem Versäumnisurteil nicht zugleich als Einspruch aufgefaßt und deshalb als unzulässig angesehen wird, obwohl nach der Verfahrens- und Interessenlage zweifelsfrei ersichtlich ist, daß sich der Antragstgeller gegen das Versäumnisurteil zur Wehr setzen und das Verfahren weiterbetreiben will. | ||
§§§ |
93.003 | Streikeinsatz | |
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Bei einem rechtmäßigen Streik darf die Deutsche Bundespost nicht den Einsatz von Beamten auf bestreikten Arbeitsplätzen anordnen, solange dafür keine gesetzliche Regelung vorhanden ist. | ||
LB 2) Der Gesetzgeber ist verpflichtet, in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen (vgl BVerfGE_49,89 <126 f>; BVerfGE_53,30 <56>). | ||
LB 3) Fehlen gesetzliche Regelungen, muß die Rechtsprechung sachgerechte Lösungen entwickeln, soweit es um das Verhältnis gleichgeordneter Grundrechtsträger geht (BVerfGE_84,212 <226 f>). Beim Beamteneinsatz auf bestreikten Arbeitsplätzen, bei dem es - zumindest auch - um das Verhältnis von Staat und Privatrechtssubjekten geht, ist jedoch eine gesetzliche Regelung unentbehrlich. | ||
LB 4) Soll mit Hilfe des Beamtenrechts auch der Staat in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber mit besonderen Kampfmitteln gegenüber den Gewerkschaften ausgestattet werden, so muß dies in einem offenen, durch entsprechende Verfahrensgarantien flankierten Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich geregelt werden. | ||
LB 5) Welche Regelungen Art.9 Abs.3 GG im einzelnen zuläßt, bedarf hier keiner Entscheidung. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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T-93-01 | Beamte | |
"Die Verfassungsbeschwerde ist nicht in vollem Umfang zulässig. | ||
Die Verfassungsbeschwerde ist dahin auszulegen, daß sie sich nur gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts richtet. Zwar wird im einleitenden Satz der Beschwerdeschrift das Urteil des Landesarbeitsgerichts ebenfalls erwähnt. Beantragt wird aber nur die Aufhebung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts und die Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht. Auf das Urteil des Landesarbeitsgerichts geht die Beschwerdeführerin sachlich nicht ein. Auch die Anordnung des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen ist nicht Angriffsziel der Verfassungsbeschwerde. | ||
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit die Beschwerdeführerin die Zurückweisung ihres Hauptantrages durch das Bundesarbeitsgericht beanstandet. Hierzu läßt die Beschwerdeschrift die Möglichkeit einer Verfassungsverletzung nicht erkennen (§ 23 Abs.1, § 92 BVerfGG). Die Ausführungen in dem nachgereichten Schriftsatz können nicht mehr berücksichtigt werden, weil dieser nicht innerhalb der Beschwerdefrist beim Bundesverfassungsgericht eingegangen ist (§ 93 Abs.1 BVerfGG). | ||
2. Ferner sind einzelne Rügen unzulässig. | ||
a) Die Möglichkeit einer Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art.103 Abs.1 GG) läßt das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht erkennen. Welche Tatsachenbehauptungen sie zur Einschränkung der Wirksamkeit von Streiks bei einem Einsatz von Beamten auf bestreikten Arbeitsplätzen aufgestellt und welche Beweise sie dazu angeboten haben will, trägt sie nicht vor. | ||
b) Auch die Möglichkeit einer Verletzung von Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip läßt sich der Beschwerdeschrift nicht entnehmen. Das Bundesverfassungsgericht kann im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht prüfen, ob das Urteil eines Fachgerichts mit den Normen der Europäischen Sozialcharta, die keinen Verfassungsrang hat, vereinbar ist. Auf die Frage, ob dieses Abkommen für die Auslegung des Art.9 Abs.3 GG heranzuziehen ist (vgl BVerfGE_74,358 <370> zur Heranziehung der Europäischen Menschenrechtskonvention), käme es nur an, wenn die Gewährleistungen der Europäischen Sozialcharta über die des Art.9 Abs.3 GG hinausgehen könnten (vgl BVerfGE_58,233 <253>). Hierfür ist jedoch nichts dargetan (verneinend zu Art.5 der Europäischen Sozialcharta: BVerfGE_58,233 <254>). | ||
c) Ebensowenig legt die Beschwerdeführerin die Möglichkeit eines Verfassungsverstoßes dar, soweit sie eine Verletzung von Art.117 und 92 EWG-Vertrag rügt. Im Verfassungsbeschwerdeverfahren können Gerichtsentscheidungen nicht auf ihre Vereinbarkeit mit Regelungen des Gemeinschaftsrechts überprüft werden (vgl BVerfGE_37,271 <283 ff>). Damit ist der Antrag, gegebenen falls gemäß Art.177 Abs.3 EWG-Vertrag den Europäischen Gerichtshof anzurufen, gegenstandslos. C. | ||
Im Rahmen ihrer Zulässigkeit ist die Verfassungsbeschwerde begründet. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrer Koalitionsfreiheit aus Art.9 Abs.3 Satz 1 GG. | ||
Mit ihrem Hilfsantrag, dessen Bescheidung durch das Bundesarbeitsgericht allein Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung ist, erstrebte die Beschwerdeführerin eine Unterlassung von Beamteneinsätzen bei einem Streik nur insoweit, als die Deutsche Bundespost diesen selbst als rechtmäßig ansieht. Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens war danach nicht, welche Maßnahmen die Bundespost treffen darf, wenn sie den Streik als rechtswidrig ansieht; die Parteien gingen allerdings erkennbar davon aus, daß die Bundespost ihre Einschätzung auf der Grundlage der für den Arbeitskampf allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze trifft. | ||
Der Gegenstand des Ausgangsverfahrens begrenzt zugleich den Prüfungsgegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb nicht zu prüfen, inwieweit der grundrechtliche Schutz des Streikrechts durch die Rechtsgrundsätze eingeschränkt wird, die für die Rechtmäßigkeit von Streiks gelten. Das gilt insbesondere auch für die Frage, inwieweit und in welchem Verfahren bei Arbeitskämpfen sicherzustellen ist, daß Notdienst- und Erhaltungsarbeiten ungestört durchgeführt werden, und ob die Bundespost einseitig solche Maßnahmen treffen kann. | ||
Das Bundesarbeitsgericht verletzt das Grundrecht der Koalitionsfreiheit, indem es den Beamteneinsatz als eine Arbeitskampfmaßnahme betrachtet, die nur am Paritätsgebot zu messen sei. Diese Betrachtung wird dem besonderen Charakter des Einsatzes hoheitlicher Mittel durch die Bundespost nicht gerecht. Die Zulässigkeit eines solchen Einsatzes setzt eine gesetzliche Regelung voraus. Daran fehlt es. | ||
1. Art.9 Abs.3 GG gewährleistet das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Er schützt auch die Koalitionen selbst in ihrem Bestand, ihrer Organisation und ihrer Tätigkeit, soweit diese gerade in der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen besteht. Hierzu gehört insbesondere der Abschluß von Tarifverträgen. Die Koalitionen sollen beim Abschluß von Tarifverträgen frei sein und die Mittel, die sie zur Erreichung dieses Zwecks für geeignet halten, selbst wählen können. Zu den geschützten Mitteln zählen jedenfalls die Arbeitskampfmaßnahmen, die erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen (BVerfGE_84,212 <225>). Ein solches Mittel ist auch der Streik. | ||
Die Koalitionsfreiheit ist auch den Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst gewährleistet, und zwar unabhängig davon, ob sie hoheitliche oder andere Aufgaben erfüllen. Art.33 Abs.4 GG steht dem nicht entgegen. Er sichert die Kontinuität hoheitlicher Funktionen des Staates, indem er als Regel vorsieht, daß ihre Ausübung Beamten übertragen wird, verbietet jedoch nicht generell, dafür auch Arbeitnehmer einzusetzen. Da diesen die besonderen Rechte der Beamten nicht zustehen, bleiben sie darauf angewiesen, ihre Arbeitsbedingungen auf der Ebene von Tarifverträgen auszuhandeln. Wegen ihrer Unterlegenheit sind sie dabei auch auf das Druckmittel des Arbeitskampfes angewiesen. Soweit der Staat von der Möglichkeit Gebrauch macht, Arbeitskräfte auf privatrechtlicher Basis als Arbeitnehmer zu beschäftigen, unterliegt er dem Arbeitsrecht, dessen notwendiger Bestandteil eine kollektive Interessenwahrnehmung ist. | ||
Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifautonomie wird ein Freiraum gewährleistet, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessengegensätze in eigener Verantwortung austragen können. Diese Freiheit findet ihren Grund in der historischen Erfahrung, daß auf diese Weise eher Ergebnisse erzielt werden, die den Interessen der widerstreitenden Gruppen und dem Gemeinwohl gerecht werden, als bei einer staatlichen Schlichtung. | ||
Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit kann sich unter diesen Umständen aber nicht darauf beschränken, den einzelnen Grundrechtsträger vor staatlichen Eingriffen in individuelle Handlungsmöglichkeiten zu schützen; es hat vielmehr darüber hinaus die Beziehung zwischen Trägern widerstreitender Interessen zum Gegenstand und schützt diese auch insoweit vor staatlicher Einflußnahme, als sie zum Austrag ihrer Interessengegensätze Kampfmittel mit beträchtlichen Auswirkungen auf den Gegner und die Allgemeinheit verwenden. | ||
2. Gerade wegen dieser Eigenart bedarf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung (vgl BVerfGE_84,212 <228>). Zum einen erfordert der Umstand, daß beide Tarifvertragsparteien den Schutz von Art.9 Abs.3 GG prinzipiell gleichermaßen genießen, bei seiner Ausübung aber in scharfem Gegensatz zueinander stehen, koordinierende Regelungen, die gewährleisten, daß die aufeinander bezogenen Grundrechtspositionen trotz ihres Gegensatzes nebeneinander bestehen können. Zum anderen macht die Möglichkeit des Einsatzes von Kampfmitteln rechtliche Rahmenbedingungen erforderlich, die sichern, daß Sinn und Zweck dieses Freiheitsrechts sowie seine Einbettung in die verfassungsrechtliche Ordnung gewahrt bleiben. | ||
a) Soweit es um das Verhältnis der Kampfparteien als gleichgeordneter Grundrechtsträger geht, muß diese Ausformung nicht zwingend durch gesetzliche Regelungen erfolgen. So ist das Arbeitskampfrecht gesetzlich weitgehend ungeregelt geblieben. Insoweit sind die Arbeitsgerichte berufen, Streitigkeiten zwischen den Tarifvertragsparteien über die Rechtmäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen zu entscheiden. Sie müssen bei unzureichenden gesetzlichen Vorgaben das materielle Recht mit den anerkannten Methoden der Rechtsfindung aus den allgemeinen, zwischen Bürgern oder auch zwischen privaten Verbänden geltenden Rechtsgrundlagen ableiten, die für das betreffende Rechtsverhältnis maßgeblich sind. Das gilt auch dort, wo eine gesetzliche Regelung, etwa wegen einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht, notwendig wäre (BVerfGE_84,212 <226 f>). | ||
b) Für die Zulässigkeit des Einsatzes von Beamten auf bestreikten Arbeitsplätzen ist eine gesetzliche Regelung hingegen zwingend erforderlich. | ||
Der Gesetzgeber ist verpflichtet, in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen (vgl BVerfGE_49,89 <126 f>; BVerfGE_53,30 <56>). Fehlen gesetzliche Regelungen, muß die Rechtsprechung sachgerechte Lösungen entwickeln, soweit es um das Verhältnis gleichgeordneter Grundrechtsträger geht (BVerfGE_84,212 <226 f>). Beim Beamteneinsatz auf bestreikten Arbeitsplätzen, bei dem es - zumindest auch - um das Verhältnis von Staat und Privatrechtssubjekten geht, ist jedoch eine gesetzliche Regelung unentbehrlich. | ||
Der Staat befindet sich bei der Reaktion auf Streikmaßnahmen in einer Doppelrolle. So ist die Bundespost einerseits Trägerin öffentlicher Verwaltung und nimmt als solche hoheitliche Aufgaben wahr. Andererseits ist sie aber auch tariffähige Arbeitgeberin. Soweit sie Arbeitnehmer auf arbeitsrechtlicher Grundlage beschäftigt, betätigt sie sich als Privatrechtssubjekt. Hingegen bedient sie sich mit einem zwangsweise angeordneten Einsatz von Beamten auf bestreikten Arbeitsplätzen eines Mittels, das ihr nur als Hoheitsträgerin zu Gebote steht und über das der Staat durch sein Beamtenrecht verfügt. Soll mit Hilfe des Beamtenrechts auch der Staat in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber mit besonderen Kampfmitteln gegenüber den Gewerkschaften ausgestattet werden, so muß dies in einem offenen, durch entsprechende Verfahrensgarantien flankierten Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich geregelt werden. Welche Regelungen Art.9 Abs.3 GG im einzelnen zuläßt, bedarf hier keiner Entscheidung. | ||
3. Die allgemeinen Rechtsgrundlagen des Arbeitskampfrechts stellen keine gesetzliche Regelung in diesem Sinne dar. Die vom Bundesarbeitsgericht aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entwickelten Grundsätze zur Parität der Tarifvertragsparteien führen zu einer inhaltlichen Beurteilung der eingesetzten Kampfmittel unter dem Gesichtspunkt der Parität und dem Kriterium einer Beschränkung übermäßigen Kampfmitteleinsatzes (vgl. BVerfGE 84, 212). Hier geht es jedoch zunächst um die Frage, ob und inwieweit der Staat sich überhaupt eines besonderen Mittels bedienen darf, das ihm allein wegen seiner hoheitlichen Befugnisse zu Gebote steht; denn der private Arbeitgeber kann seine Arbeitnehmer nicht anweisen, auf bestreikten Arbeitsplätzen zu arbeiten (BAG, AP Nr.3 zu § 615 BGB Betriebsrisiko). | ||
Auch das geltende Beamtenrecht beantwortet die Frage nach der Zulässigkeit eines Beamteneinsatzes bei Arbeitskämpfen nicht. Es enthält keine Anhaltspunkte für die rechtliche Beurteilung der Folgewirkungen beamtenrechtlicher Weisungen in anderen Rechtsbereichen. | ||
4. Da die erforderliche gesetzliche Regelung bisher fehlt, ist der Beamteneinsatz auf bestreikten Arbeitsplätzen rechtswidrig. Daß dadurch ein noch verfassungsfernerer Zustand einträte (vgl BVerfGE_33,1 <12>; BVerfGE_41,251 <267>; BVerfGE_83,130 <154>), ist nicht ersichtlich. Die in diesem Zusammenhang allenfalls bedenkenswerte Frage nach einer Gewährleistung der Notdienst- und Erhaltungsarbeiten ist nicht Entscheidungsgegenstand (siehe oben I)." | ||
Auszug aus BVerfG B, 02.03.93, - 1_BvR_1213/85 -, www.BVerfG.de, Abs.32 ff | ||
§§§ |
93.004 | Promotionsverfahren | |
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1) Die gemäß § 49 Abs.1 Nr.4 Buchstabe b des Gesetzes über die wissenschaftlichen Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (WissHG) eingewiesenen, an Gesamthochschulen Recht lehrenden Professoren sind "Lehrer des Rechts an einer deutschen Hochschule" im Sinne von § 22 Abs.1 Satz 1 BVerfGG. | ||
2) Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß Professoren, die aufgrund von § 49 Abs.1 Nr.4 Buchstabe b WissHG eingestellt worden sind, erst nach Feststellung besonderer Forschungsleistungen an Promotionsverfahren mitwirken dürfen. | ||
§§§ |
93.005 | Parabolantenne | |
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LF 1) Im Regelfall ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte bei bestehendem Anschluß der Mietwohnung an das Kabelnetz der Deutschen Bundespost ein überwiegendes Interesse des Vermieters bejahen, Störungen des äußeren Erscheinungsbildes des Hauses durch Parabolantennen zu vermeiden (Bestätigung von OLG Frankfurt, NJW_92,2490 ). | ||
LF 2) Im konkreten Fall kann allerdings geboten sein, besondere Eigentümer- oder Mieterinteressen, die bei einer typisierenden Betrachtungsweise nicht miterfaßt werden (zB eine ausländische Staatsangehörigkeit des Mieters) in die Güter- und Interessenabwägung einzubeziehen und zu gewichten. (Leitsatz der Redaktion) | ||
§§§ |
93.006 | Falsches Zitat | |
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LF: Zur Verfassungsrechtlichen Beurteilung eines bürgerlichen Unterlassungsanspruchs, den der Betroffene mit der Behauptung geltend gemacht hat, ihm seinen Äußerungen in den Mund gelegt worden, die er nicht getan habe. | ||
LB 2) Bei dem in einer Fachzeitschrift veröffentlichte Satz "Dabei haben die Polizeibehörden und allen voraus das Bundeskriminalamt (BKA) mit Recht jenen Vorstellungen seines einstigen Präsidenten H die Gefolgschaft verweigert, die auf eine totale 'Verdatung' des Bürgers zielten", der mit einem Fundstellenzitat belegt ist, handelt es sich nicht um ein wörtliches Zitat noch um eine falsche Aussage des Beschwerdeführers sondern um ein Werturteil. | ||
LB 3) Herabsetzende Werturteile, die die Grenze zur Schmähung nicht überschreiteten bedürfen einer Abwägung, ob im konkreten Einzefall die Meinungsfreiheit nicht hinter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zurückzutreten hat. In Angelegenheiten, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren besteht dabei eine Vermutung zugunsten der Meinungsfreiheit. | ||
LB 4) Ausführungszeichen dienen im Deutschen nicht nur dazu ein Zitat zu kennzeichnen. Bei einem Einzelwort haben Ausführungszeichen vielmehr die Aufgabe das Wort zu verfremden und den Leser zu hindern es einfach so wie es darsteht hinzunehmen. | ||
LB 5) Befindet sich ein Hinweis auf eine Anmerkung am Ende eines Satzes so ist vernünftigerweise davon auszugehen, daß die Anmerkung sich auf den gesamten Satz bezieht. | ||
§§§ |
93.007 | Tierzuchtgesetz | |
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1) Der Bund besaß gemäß Art.74 Nr.17 GG die Gesetzgebungsko mpetenz zum Erlaß des Tierzuchtgesetzes vom 20.April 1976 - TierZG 1976 - (BGBl.I S.1045). | ||
2) Private Regelungen können jedenfalls dann nicht Grundlage staatlicher Maßnahmen mit grundrechtsbeschränkender Wirkung sein, wenn sie den r echtsstaatlichen Anforderungen, die an staatliche Normen zu stellen sind, nicht entsprechen. | ||
§§§ |
93.008 | Besitzrecht des Mieters | |
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1) Das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung ist Eigentum im Sinne von Art.14 Abs.1 Satz 1 GG. | ||
2) Art.13 Abs.1 GG ist ebenso wie andere Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften zu beachten. Sein Schutzbereich wird jedoch in Räumungsprozessen des Vermieters gegen den Mieter nicht berührt. | ||
§§§ |
93.009 | Schwangerschaftsabbruch II | |
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1) Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen. Diese Schutzpflicht hat ihren Grund in Art.1 Abs.1 GG; ihr Gegenstand und - von ihm her - ihr Maß werden durch Art.2 Abs.2 GG näher bestimmt. Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu. Die Rechtsordnung muß die rechtlichen Voraussetzungen seiner Entfaltung im Sinne eines eigenen Lebensrechts des Ungeborenen gewährleisten. Dieses Lebensrecht wird nicht erst durch die Annahme seitens der Mutter begründet. | ||
2) Die Schutzpflicht für das ungeborene Leben ist bezogen auf das einzelne Leben, nicht nur auf menschliches Leben allgemein. | ||
3) Rechtlicher Schutz gebührt dem Ungeborenen auch gegenüber seiner Mutter. Ein solcher Schutz ist nur möglich, wenn der Gesetzgeber ihr einen Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verbietet und ihr damit die grundsätzliche Rechtspflicht auferlegt, das Kind auszutragen. Das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und die grundsätzliche Pflicht zum Austragen des Kindes sind zwei untrennbar verbundene Elemente des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes. | ||
4) Der Schwangerschaftsabbruch muß für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein (Bestätigung von BVerfGE_39,1 <44>). Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlichn icht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden. | ||
5) Die Reichweite der Schutzpflicht für das ungeborene menschliche Leben ist im Blick auf die Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden Rechtsguts einerseits und damit kollidierender Rechtsgüter andererseits zu bestimmen. Als vom Lebensrecht des Ungeborenen berührte Rechtsgüter kommen dabei - ausgehend vom Anspruch der schwangeren Frau auf Schutz und Achtung ihrer Menschenwürde (Art.1 Abs.1 GG) - vor allem ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art.2 Abs.2 GG) sowie ihr Persönlichkeitsrecht (Art.2 Abs.1 GG) in Betracht. Dagegen kann die Frau für die mit dem n Schwangerschaftsabbruch einhergehende Tötung des Ungeborene nicht eine grundrechtlich in < > href='../GSBT_GG_001_019.html#Pa4A1'>Art.4 Abs.1 GG | ||
6) Der Staat muß zur Erfüllung seiner Schutzpflicht ausreichende Maßnahmen normativer und tatsächlicher Art ergreifen, die dazu führen, daß ein - unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter - angemessener und als solcher wirksamer Schutz erreicht wird (Untermaßverbot). Dazu bedarf es eines Schutzkonzepts, das Elemente des präventiven wie des repressiven Schutzes miteinander verbindet. | ||
7) Grundrechte der Frau tragen nicht so weit, daß die Rechtspflicht zum Austragen des Kindes - auch nur für eine bestimmte Zeit - generell aufgehoben wäre. Die Grundrechtspositionen der Frau führen allerdings dazu, daß es in Ausnahmelagen zulässig, in manchen dieser Fälle womöglich geboten ist, eine solche Rechtspflicht nicht aufzuerlegen. Es ist Sache des Gesetzgebers, solche Ausnahmetatbestände im einzelnen nach dem Kriterium der Unzumutbarkeit zu bestimmen. Dafür müssen Belastungen gegeben sein, die ein solches Maß an Aufopferung eigener Lebenswerte verlangen, daß dies von der Frau nicht erwartet werden kann (Bestätigung von BVerfGE_39,1 <48 ff>). | ||
8) Das Untermaßverbot läßt es nicht zu, auf den Einsatz auch des Strafrechts und die davon ausgehende Schutzwirkung für das menschliche Leben frei zu verzichten. | ||
9) Die staatliche Schutzpflicht umfaßt auch den Schutz vor Gefahren, die für das ungeborene menschliche Leben von Einflüssen aus dem familiären oder weiteren sozialen Umfeld der Schwangeren oder von gegenwärtigen und absehbaren realen Lebensverhältnissend er Frau und der Familie ausgehen und der Bereitschaft zum Austragen des Kindes entgegenwirken. | ||
10) Der Schutzauftrag verpflichtet den Staat ferner, den rechtlichen Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewußtsein zu erhalten und zu beleben. | ||
11) Dem Gesetzgeber ist es verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht verwehrt, zu einem Konzept für den Schutz des ungeborenen Lebens überzugehen, das in der Frühphase der Schwangerschaft in Schwangerschaftskonflikten den Schwerpunkt auf die Beratung der schwangeren Frau legt, um sie für das Austragen des Kindes zu gewinnen, und dabei auf eine indikationsbestimmte Strafdrohung und die Feststellung von Indikationstatbeständen durch einen Dritten verzichtet. | ||
12) Ein solches Beratungskonzept erfordert Rahmenbedingungen, die positive Voraussetzungen für ein Handeln der Frau zugunsten des ungeborenen Lebens schaffen. Der Staat trägt für die Durchführung des Beratungsverfahrens die volle Verantwortung. | ||
13) Die staatliche Schutzpflicht erfordert es, daß die im Interesse der Frau notwendige Beteiligung des Arztes zugleich Schutz für das ungeborene Leben bewirkt. | ||
14) Eine rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schadensquelle kommt von Verfassungs wegen (Art.1 Abs.1 GG) nicht in Betracht. Deshalb verbietet es sich, die Unterhaltspflicht für ein Kind als Schaden zu begreifen. | ||
15) Schwangerschaftsabbrüche, die ohne Feststellung einer Indikation nach der Beratungsregelung vorgenommen werden, dürfen nicht für gerechtfertigt (nicht rechtswidrig) erklärt werden. Es entspricht unverzichtbaren rechtsstaatlichen Grundsätzen, daß einem Ausnahmetatbestand rechtfertigende Wirkung nur dann zukommen kann, wenn das Vorliegen seiner Voraussetzungen unter staatlicher Verantwortung festgestelltw erden muß. | ||
16) Das Grundgesetz läßt es nicht zu, für die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs, dessen Rechtmäßigkeit nicht festgestellt wird, einen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren. Die Gewährung von Sozialhilfe für nicht mit Strafe bedrohte Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung in Fällen wirtschaftlicher Bedürftigkeit ist demgegenüber ebensowenig verfassungsrechtlich zu beanstanden wie die Fortzahlung des Arbeitsentgelts. | ||
17) Der Grundsatz der Organisationsgewalt der Länder gilt uneingeschränkt, wenn eine bundesgesetzliche Regelung lediglich eine von den Ländern zu erfüllende Staatsaufgabe vorsieht, nicht jedoch Einzelregelungen trifft, die behördlich-administrativ vollzogen werden könnten. | ||
LB 18) Zur Abweichenden Meinung der Richter Vizepräsidenten Mahrenholz und Sommer siehe BVerfGE_88,338 = www.dfr/BVerfGE, Abs.389 ff. | ||
LB 19) Zur Abweichenden Meinung des Richters Böckenförde siehe BVerfGE_88,359 = www.dfr/BVerfGE, Abs.424 ff. | ||
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Urteil | Entscheidungsformel:
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§§§ |
93.010 | Poststreik | |
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Sieben Tage nach Beendigung von Streikmaßnahmen bei der Postzustellung darf der Anwalt auf normale Postlaufzeiten vertrauen, es sei denn, die Postbenutzer sind darauf hingewiesen worden, daß es bei der Zustellung noch zu Verzögerungen kommen könnte. | ||
§§§ |
93.011 | Somalia | |
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LB: Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung der Rechte des Bundestages. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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T-93-02 | Einstweilige Anordnung | |
"Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. I. | ||
1. Nach § 32 Abs.1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen, wenn eine Maßnahme mit völkerrechtlichen oder außenpolitischen Auswirkungen betroffen ist (vgl Urteil vom 8.April 1993 -- 2 BvE 5/93, 2 BvQ 11/93, Umdruck S.10; vgl auch BVerfGE_83,162 <171 f>). | ||
Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, das für die Hauptsache angekündigte Feststellungsbegehren erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Das Bundesverfassungsgericht wägt die Nachteile, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Maßnahme aber später für verfassungswidrig erklärt würde, gegen diejenigen ab, die entstünden, wenn die Maßnahme nicht in Kraft träte, sie sich aber im Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß erwiese (vgl BVerfGE_86,390 <395>; stRspr). | ||
2. Der angekündigte Hauptsacheantrag ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Er wirft die gewichtige und schwierige Frage auf, ob und unter welchen Voraussetzungen die Bundesregierung Rechte des Bundestages verletzt, wenn sie entscheidet, sich mit deutschen Soldaten an einer vom Sicherheitsrat beschlossenen Aktion der Vereinten Nationen zu beteiligen. | ||
3. In dem Organstreitverfahren wird es um die von der Antragstellerin für den Bundestag geltend gemachten Entscheidungskompetenzen bei der Beteiligung der Bundeswehr an Aktionen aufgrund der Charta der Vereinten Nationen gehen. Eine einstweilige Anordnung im Rahmen eines solchen Streits kann allein der vorläufigen Sicherung des strittigen organschaftlichen Rechts des Bundestages dienen, damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache durch Schaffung vollendeter Tatsachen überspielt wird. Diese Sicherung hat hier davon auszugehen, daß ungeklärt ist, ob die Verwendung deutscher Soldaten im Rahmen der UNO-Maßnahme aufgrund eines Gesetzes, gegebenenfalls eines verfassungsändernden Gesetzes zulässig ist oder ob der Bundesregierung insoweit -- nach dem geltenden Verfassungsrecht -- die beanspruchte ausschließliche Entscheidungskompetenz in außen- und verteidigungspolitischen Angelegenheiten zusteht. Um in diesem Kompetenzkonflikt zwischen Parlament und Regierung mögliche Ansprüche des Bundestages zu sichern, ohne die Rechtsposition der Bundesregierung preiszugeben, kann das Bundesverfassungsgericht eine vorläufige Regelung lediglich darüber treffen, welches Organ bis zur Entscheidung über die Hauptsache befugt sein soll, über die Verwendung der Bundeswehr zu bestimmen; diese Regelung hat -- soweit dies die einstweilige Sicherung des geltend gemachten Rechts nicht hindert -- im Zwischenbereich der einander widerstreitenden Kompetenzansprüche zu verbleiben. Im Vorfeld eines solchen Organstreits zwischen Parlament und Regierung über bestehende Entscheidungskompetenzen ist es grundsätzlich nicht Aufgabe des zu aktivem politisch gestaltendem Handeln nicht berufenen Gerichts, anstelle dieser Organe eine einstweilige Sachentscheidung aufgrund einer Folgenabwägung zu treffen, für die es hinreichender rechtlicher Anhaltspunkte ermangelt. | ||
4. Die einstweilige Anordnung mußte in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang ergehen, weil die Antragstellerin anderenfalls bei einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren schwerwiegende Nachteile hinzunehmen hätte, die größer wären, als diejenigen Nachteile, die die Antragsgegner träfen, wenn die einstweilige Anordnung erlassen wird und sie im Hauptsacheverfahren obsiegten. | ||
a) Erginge eine einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich später aber die Mitwirkung deutscher Soldaten am UNO-Einsatz in Somalia ohne die beanspruchte Beteiligung des Bundestages als verfassungswidrig, so hätte der Bundestag sein Recht auf Mitwirkung bei der Entscheidung über die Entsendung deutscher Soldaten nach Somalia größtenteils oder -- je nach Dauer des Somalia-Auftrags -- schlechthin nicht wahrnehmen können. Eine solche Kompetenzverletzung wöge besonders schwer, weil die beanspruchte Entscheidung die Stellung Deutschlands in der UNO und in der Völkerrechtsgemeinschaft bestimmt und sich der Bundeswehr nach der Erklärung des Bundesverteidigungsministers vom 12.Mai 1993 (Bulletin S.347) im Rahmen ihres Auftrages neuartige Aufgaben stellen. Hinzu kommt, daß hier -- insoweit abweichend von dem der Entscheidung des Senats vom 8.April 1993 (AWACS) zugrunde liegenden Sachverhalt -- nicht unerhebliche Gefahren einzuschätzen und zu bewerten sind, die den Soldaten bei der Erfüllung des UNO-Mandats in Somalia an Leib und Leben drohen. Auch stünde eine später sich als notwendig erweisende parlamentarische Beschlußfassung unvermeidlich unter dem Druck inzwischen geschaffener tatsächlicher Verhältnisse und etwa eingetretener Entwicklungen. | ||
b) Demgegenüber wögen die Nachteile der hier getroffenen einstweiligen Anordnung weniger schwer, wenn es sich später im Hauptsacheverfahren erwiese, daß die Mitwirkung deutscher Soldaten bei der Erfüllung des UNO-Mandats in Somalia von der Bundesregierung beschlossen wurde, ohne Rechte des Bundestages zu verletzen. Dann hätte zwar der Bundestag an einer Entscheidung mitgewirkt, die in die Kompetenz der Bundesregierung fällt -- dies allerdings in der Eigenschaft eines Verfassungsorgans, dem die Bundesregierung für ihre Entscheidungen auch im außen- und sicherheitspolitischen Bereich parlamentarisch verantwortlich ist. Verweigert der Bundestag die Zustimmung, so wird deutlich, daß der Bundesregierung für ein Engagement in Somalia die Unterstützung des Parlaments fehlt. Stimmt der Bundestag dem Kabinettsbeschluß vom 21.April 1993 zu, wird dem gemeinsamen Interesse sowohl der Bundesregierung als auch des Parlaments Rechnung getragen, der Entscheidung für die Dauer der verbleibenden Unsicherheit der verfassungsrechtlichen Lage eine den Kompetenzstreit überbrückende Grundlage zu geben. | ||
5. Das Zusammenwirken von Bundesregierung und Bundestag ist mithin bis zur Entscheidung in der Hauptsache dahin zu bestimmen, daß die Initiative der Bundesregierung und die Zustimmung des Bundestages als konstitutiver Akt die UNO-Mission des deutschen Kontingents nur gemeinsam tragen. Die Überbrückung des Kompetenzstreits für die Zeit bis zur Entscheidung der Hauptsache hat zur Folge, daß eine Beschlußfassung des Bundestages über die Zustimmung zu der Entsendung deutscher Soldaten zu UNOSOM II nicht dem Einwand ausgesetzt ist, den die Antragstellerin aus Art.87a GG herleitet; die umfassende Abwägung aller für und gegen diese Entsendung sprechenden Gründe bleibt dabei gewährleistet. Die einstweilige Anordnung sichert somit nicht das von der Antragstellerin geltend gemachte Recht, vor der Entsendung deutscher Soldaten nach Somalia ein Verfassungsänderungsverfahren durchzuführen; sie sichert jedoch insoweit etwaige Mitwirkungsrechte des Parlaments, indem sie die Bundesregierung an die konstitutive Zustimmung des Bundestages bindet. | ||
Der hiernach erforderliche Beschluß des Bundestages unterscheidet sich von den Entschließungen des Bundestages vom 21.April 1993 (BT-Drucks.12/4759) und vom 17.Juni 1993 (BT-Drucks.12/5140). Während der Bundestag in seinen früheren Entschließungen die Bundesregierung in ihrer bereits getroffenen Entscheidung bestärkte und diese politisch bekräftigte, ohne selbst eine Entscheidungskompetenz zu beanspruchen, ist dem Bundestag nunmehr aufgegeben, in eigener Verantwortlichkeit zu bestimmen, ob und in welchem Umfang der Beschluß der Bundesregierung vom 21. April 1993 unter Nr. l bis zur Entscheidung der Hauptsache verwirklicht werden darf. Auch weitere Beschlüsse der Bundesregierung, die von diesem Beschluß abweichen oder ihn erneuern, bedürfen vor ihrer Ausführung parlamentarischer Zustimmung. | ||
Der Bedeutung der jetzt zu treffenden Entscheidung entspräche es, wenn der vom Bundestag zu fassende Beschluß in den zuständigen Ausschüssen vorbereitet und im Plenum des Bundestages erörtert würde. | ||
Um dem Bundestag die Wahrnehmung der ihm in der Zeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache zufallenden Befugnisse und die parlamentarische Kontrolle der von ihm mitzuverantwortenden Vorgänge zu ermöglichen, ist die Bundesregierung gehalten, das Parlament laufend über den Fortgang der Maßnahme der Vereinten Nationen in Somalia sowie über die Einsatzbedingungen des deutschen UNOSOM II-Kontingents und die Erfüllung seines Auftrages zu unterrichten." | ||
Auszug aus BVerfG B, 23.06.93, - 2_BvQ_17/93 -, www.BVerfG.de, Abs.14 | ||
§§§ |
93.012 | Haschischkonsum | |
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Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen Haschischkonsum es rechtfertigen kann, ein medizinisch-prsychologisches Gutachten über die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu fordern | ||
§§§ |
93.013 | Rundfunkanstalten-Konkurs | |
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Über das Vermögen öffentlichrechtlicher Rundfunkanstalten ist ein Konkursverfahren jedenfalls unter den gegenwärtigen Bedingungen der dualen Rundfunkordnung und des geltenden Konkursrechts nach Art.5 Abs.1 Satz 2 GG unzulässig. | ||
§§§ |
93.014 | Maastrich | |
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1) Im Anwendungsbereich des Art.23 GG schließt Art.38 GG aus, die durch die Wahl bewirkte Legitimation und Einflußnahme auf die Ausübung von Staatsgewalt durch die Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Bundestages so zu entleeren, daß das demokratische Prinzip, soweit es Art.79 Abs.3 in Verbindung mit Art.20 Abs.1 und 2 GG für unantastbar erklärt, verletzt wird. | ||
2) Das Demokratieprinzip hindert die Bundesrepublik Deutschland nicht an einer Mitgliedschaft in einer - supranational organisierten - zwischenstaatlichen Gemeinschaft. Voraussetzung der Mitgliedschaft ist aber, daß eine vom Volk ausgehende Legitimation und Einflußnahme auch innerhalb des Staatenverbundes gesichert ist. | ||
3) a) Nimmt ein Verbund demokratischer Staaten hoheitliche Aufgaben wahr und übt dazu hoheitliche Befugnisse aus, sind es zuvörderst die Staatsvölker der Mitgliedstaaten, die dies über die nationalen Parlamente demokratisch zu legitimieren haben. Mithin erfolgt demokratische Legitimation durch die Rückkopplung des Handelns europäischer Organe an die Parlamente der Mitgliedstaaten; hinzu tritt - im Maße des Zusammenwachsens der europäischen Nationen zunehmend - innerhalb des institutionellen Gefüges der Europäischen Union die Vermittlung demokratischer Legitimation durch das von den Bürgern der Mitgliedstaaten gewählte Europäische Parlament. | ||
4) Vermitteln - wie gegenwärtig - die Staatsvölker über die nationalen Parlamente demokratische Legitimation, sind der Ausdehnung der Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Gemeinschaften vom demokratischen Prinzip her Grenzen gesetzt. Dem Deutschen Bundestag müssen Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben. | ||
5) Art.38 GG wird verletzt, wenn ein Gesetz, das die deutsche Rechtsordnung für die unmittelbare Geltung und Anwendung von Recht der - supranationalen - Europäischen Gemeinschaften öffnet, die zur Wahrnehmung übertragenen Rechte und das beabsichtigte Integrationsprogramm nicht hinreichend bestimmbar festlegt (vgl BVerfGE_58,1 <37>). Das bedeutet zugleich, daß spätere wesentliche Änderungen des im Unions-Vertrag angelegten Integrationsprogramms und seiner Handlungsermächtigungen nicht mehr vom Zustimmungsgesetz zu diesem Vertrag gedeckt sind. Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob Rechtsakte der europäischen Einrichtungen und Organe sich in den Grenzen der ihnen eingeräumten Hoheitsrechte halten oder aus ihnen ausbrechen (vgl BVerfGE_75,223). | ||
6) Bei der Auslegung von Befugnisnormen durch Einrichtungen und Organe der Gemeinschaften ist zu beachten, daß der Unions-Vertrag grundsätzlich zwischen der Wahrnehmung einer begrenzt eingeräumten Hoheitsbefugnis und der Vertragsänderung unterscheidet, seine Auslegung deshalb in ihrem Ergebnis nicht einer Vertragserweiterung gleichkommen darf; eine solche Auslegung von Befugnisnormen würde für Deutschland keine Bindungswirkung entfalten. 7. Auch Akte einer besonderen, von der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt einer supranationalen Organisation betreffen die Grundrechtsberechtigten in Deutschland. Sie berühren damit die Gewährleistungen des Grundgesetzes und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, die den Grundrechtsschutz in Deutschland und insoweit nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zum Gegenstand haben (Abweichung von BVerfGE_58,1 <27>). Allerdings übt das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht in Deutschland in einem "Kooperationsverhältnis" zum Europäischen Gerichtshof aus. | ||
8) Der Unionsvertrag begründet einen Staatenverbund zur Verwirklichung einer immer engeren Union der - staatlich organisierten - Völker Europas, keinen sich auf ein europäisches Staatsvolk stützenden Staat. | ||
9. a) Art.F Abs.3 EUV ermächtigt die Union nicht, sich aus eigener Macht die Finanzmittel oder sonstige Handlungsmittel zu verschaffen, die sie zur Erfüllung ihrer Zwecke für erforderlich erachtet. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ |
93.015 | Bürgschaftsverträge | |
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Die Zivilgerichte müssen - insbesondere bei der Konkretisierung und Anwendung von Generalklauseln wie § 138 und § 242 BGB - die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie in Art.2 Abs.1 GG beachten. Daraus ergibt sich ihre Pflicht zur Inhaltskontrolle von Verträgen, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel: | |
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T-93-03 | Privatautonomie | |
"Soweit die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) zulässig ist, hat sie auch Erfolg. Hingegen ist die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) unbegründet. I. | ||
Beide Verfassungsbeschwerden richten sich gegen zivilgerichtliche Zahlungsurteile. Angegriffen werden nicht die normativen Grundlagen, auf die sich die Entscheidungen stützen; die maßgebenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs bleiben unbeanstandet. Die Rügen der Beschwerdeführerinnen betreffen vielmehr die Auslegung und Anwendung derjenigen Generalklauseln, die den Zivilgerichten eine Inhaltskontrolle schuldrechtlicher Verträge gebieten, vor allem der §§ 138 und 242 BGB. Bei deren Konkretisierung seien die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie und das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu berücksichtigen, was die Zivilgerichte in den Ausgangsverfahren verkannt hätten. Diese Begründung erfaßt die Bedeutung der Grundrechte für die Konkretisierung zivilrechtlicher Generalklauseln zutreffend. | ||
Das Grundgesetz enthält in seinem Grundrechtsabschnitt verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts. Diese Grundentscheidungen entfalten sich durch das Medium derjenigen Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen, und haben vor allem auch Bedeutung bei der Interpretation zivilrechtlicher Generalklauseln (vgl BVerfGE_7,198 <205 f>; BVerfGE_42,143 <148>). Indem § 138 und§ 242 BGB ganz allgemein auf die guten Sitten, die Verkehrssitte sowie Treu und Glauben verweisen, verlangen sie von den Gerichten eine Konkretisierung am Maßstab von Wertvorstellungen, die in erster Linie von den Grundsatzentscheidungen der Verfassung bestimmt werden. Deshalb sind die Zivilgerichte von Verfassungs wegen verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln die Grundrechte als "Richtlinien" zu beachten. Verkennen sie das und entscheiden sie deshalb zum Nachteil einer Prozeßpartei, so verletzen sie diese in ihren Grundrechten (vgl BVerfGE_7,198 <206 f>; stRspr). | ||
Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts grundsätzlich nicht nachzuprüfen. Ihm obliegt es lediglich, die Beachtung der grundrechtlichen Normen und Maßstäbe durch die ordentlichen Gerichte sicherzustellen. Daher kann es einer rechtskräftigen zivilgerichtlichen Entscheidung nicht schon dann entgegentreten, wenn es selbst bei der Beurteilung widerstreitender Grundrechtspositionen die Akzente anders gesetzt und daher anders entschieden hätte. Die Schwelle eines Verfassungsverstoßes, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist erst erreicht, wenn die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (BVerfGE_18,85 <93>; BVerfGE_42,143 <149>; stRspr). Daran gemessen, kann im Falle der Beschwerdeführerin zu 1) das Urteil des Bundesgerichtshofs keinen Bestand haben (II). Hingegen läßt sich im Falle der Beschwerdeführerin zu 2) nicht erkennen, daß die Zivilgerichte in den angegriffenen Entscheidungen die Bedeutung von Grundrechten grundsätzlich verkannt hätten (III). II. | ||
2. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen ein Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit (vgl BVerfGE_8,274 [328 | ||
Die Privatautonomie ist notwendigerweise begrenzt und bedarf der rechtlichen Ausgestaltung. Privatrechtsordnungen bestehen deshalb aus einem differenzierten System aufeinander abgestimmter Regelungen und Gestaltungsmittel, die sich in die verfassungsmäßige Ordnung einfügen müssen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Privatautonomie zur beliebigen Disposition des Gesetzgebers stünde und ihre grundrechtliche Gewährleistung infolgedessen leerliefe. Vielmehr ist der Gesetzgeber bei der gebotenen Ausgestaltung an die objektiv-rechtlichen Vorgaben der Grundrechte gebunden. Er muß der Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben einen angemessenen Betätigungsraum eröffnen. Nach ihrem Regelungsgegenstand ist die Privatautonomie notwendigerweise auf staatliche Durchsetzung angewiesen. Ihre Gewährleistung denkt die justitielle Realisierung gleichsam mit und begründet daher die Pflicht des Gesetzgebers, rechtsgeschäftliche Gestaltungsmittel zur Verfügung zu stellen, die als rechtsverbindlich zu behandeln sind und auch im Streitfall durchsetzbare Rechtspositionen begründen. | ||
Mit der Pflicht zur Ausgestaltung der Privatrechtsordnungs tellt sich dem Gesetzgeber ein Problem praktischer Konkordanz. Am Zivilrechtsverkehr nehmen gleichrangige Grundrechtsträger teil, die unterschiedliche Interessen und vielfach gegenläufige Ziele verfolgen. Da alle Beteiligten des Zivilrechtsverkehrs den Schutz des Art.2 Abs.1 GG genießen und sich gleichermaßen auf die grundrechtliche Gewährleistung ihrer Privatautonomie berufen können, darf nicht nur das Recht des Stärkeren gelten. Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, daß sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. | ||
Im Vertragsrecht ergibt sich der sachgerechte Interessenausgleich aus dem übereinstimmenden Willen der Vertragspartner. Beide binden sich und nehmen damit zugleich ihre individuelle Handlungsfreiheit wahr. Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, daß er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung (vgl BVerfGE_81,242 <255>). Allerdings kann die Rechtsordnung nicht für alle Situationen Vorsorge treffen, in denen das Verhandlungsgleichgewicht mehr oder weniger beeinträchtigt ist. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit darf ein Vertrag nicht bei jeder Störung des Verhandlungsgleichgewichts nachträglich in Frage gestellt oder korrigiert werden. Handelt es sich jedoch um eine typisierbare Fallgestaltung, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen läßt, und sind die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend, so muß die Zivilrechtsordnung darauf reagieren und Korrekturen ermöglichen. Das folgt aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie (Art.2 Abs.1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art.20 Abs.1, Art.28 Abs.1 GG). | ||
Das geltende Vertragsrecht genügt diesen Anforderungen. Die Schöpfer des Bürgerlichen Gesetzbuchs gingen zwar, auch wenn sie verschiedene Schutznormen für den im Rechtsverkehr Schwächeren geschaffen haben, von einem Modell formal gleicher Teilnehmer am Privatrechtsverkehr aus, aber schon das Reichsgericht hat diese Betrachtungsweise aufgegeben und "in eine materiale Ethik sozialer Verantwortung zurückverwandelt" (Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 1974, S.24). Heute besteht weitgehende Einigkeit darüber, daß die Vertragsfreiheit nur im Falle eines annähernd ausgewogenen Kräfteverhältnisses der Partner als Mittel eines angemessenen Interessenausgleichs taugt und daß der Ausgleich gestörter Vertragsparität zu den Hauptaufgaben des geltenden Zivilrechts gehört (vgl die Übersicht bei Limbach, Das Rechtsverständnis in der Vertragslehre, JuS 1985, S.10 ff mit zahlrNachw; zuletzt Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, 1993, S.216 ff). Im Sinne dieser Aufgabe lassen sich große Teile des Bürgerlichen Gesetzbuchs deuten (Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982). | ||
In diesem Zusammenhang haben die Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuchs zentrale Bedeutung. Der Wortlaut des § 138 Abs.2 BGB bringt das besonders deutlich zum Ausdruck. Darin werden typische Umstände bezeichnet, die zwangsläufig zur Verhandlungsunterlegenheit des einen Vertragsteils führen und zu denen auch dessen Unerfahrenheit gerechnet wird. Nutzt der überlegene Vertragsteil diese Schwäche aus, um seine Interessen in auffälliger Weise einseitig durchzusetzen, so führt das zur Nichtigkeit des Vertrages. § 138 Abs.1 BGB knüpft ganz allgemein die Nichtigkeitsfolge an einen Verstoß gegen die guten Sitten. Differenziertere Rechtsfolgen ergeben sich aus § 242 BGB. Die Zivilrechtswissenschaft ist im Ergebnis darüber einig, daß der Grundsatz von Treu und Glauben eine immanente Grenze vertraglicher Gestaltungsmacht bezeichnet und die Befugnis zu einer richterlichen Inhaltskontrolle des Vertrages begründet (vgl zuletzt Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992, S.70 ff; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, 1993, S.2 49 f). Über die Voraussetzungen und die Intensität dieser Inhaltskontrolle besteht zwar im juristischen Schrifttum Streit. Für die verfassungsrechtliche Würdigung genügt jedoch die Feststellung, daß das geltende Recht jedenfalls Instrumente bereit hält, die es möglich machen, auf strukturelle Störungen der Vertragsparität angemessen zu reagieren. | ||
Für die Zivilgerichte folgt daraus die Pflicht, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln darauf zu achten, daß Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienen. Haben die Vertragspartner eine an sich zulässige Regelung vereinbart,so wird sich regelmäßig eine weitergehende Inhaltskontrolle erübrigen. Ist aber der Inhalt des Vertrages für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen, so dürfen sich die Gerichte nicht mit der Feststellung begnügen: "Vertrag ist Vertrag". Sie müssen vielmehr klären, ob die Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke ist, und gegebenenfalls im Rahmen der Generalklauseln des geltenden Zivilrechts korrigierend eingreifen. Wie sie dabei zu verfahren haben und zu welchem Ergebnis sie gelangen müssen, ist in erster Linie eine Frage des einfachen Rechts, dem die Verfassung einen weiten Spielraum läßt. Ein Verstoß gegen die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie kommt aber dann in Betracht, wenn das Problem gestörter Vertragsparität gar nicht gesehen oder seine Lösung mit untauglichen Mitteln versucht wird. | ||
3. Die angegriffene Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist durch einen solchen Verstoß gekennzeichnet. Die umstrittene Bürgschaftserklärung wurde so gewürdigt, als wäre ein normaler Vertrag mit korrespondierenden Interessen und überschaubaren Risiken geschlossen worden. Alle Argumente, mit denen die Beschwerdeführerin zu 1) ihre Verhandlungsschwäche belegen wollte, wurden mit dem Hinweis zurückgewiesen, sie sei volljährig gewesen und habe sich über die entstehenden Risiken selbst vergewissern müssen. Das reicht nicht aus. | ||
Das Haftungsrisiko, das die Beschwerdeführerin mit dem umstrittenen Bürgschaftsvertrag ohne eigenes wirtschaftliches Interesse übernahm, war - wie bereits ausgeführt wurde - ungewöhnlich hoch. Es war darüber hinaus außerordentlich schwer abschätzbar. Der festgelegte Bürgschaftsbetrag bezeichnete nur für die Hauptforderung eine Höchstgrenze; die beachtlichen Kosten und Zinsen des Kredits sollten hinzugerechnet werden, ohne daß deren Berechnungsgrundlage im Bürgschaftsvertrag ausgewiesen wurde. Vor allem aber fehlte jede Begrenzung der gesicherten Geschäftsverbindlichkeiten. Berücksichtigt man ferner die Abdingung bürgschaftsrechtlicher Schutzvorschriften, so wird deutlich, daß die Beschwerdeführerin praktisch wie eine Teilhaberin ihres Vaters haften sollte. Bedeutung und Ausmaß dieses Risikos hätten selbst geschäftlich erfahrene Personen kaum abschätzen können; für die erst 21jährige Beschwerdeführerin, die über keine qualifizierte Berufsausbildung verfügte, waren sie praktisch undurchschaubar. | ||
Bei so ausgeprägter Unterlegenheit eines Vertragspartners kommt es entscheidend darauf an, auf welche Weise der Vertrag zustandegekommen ist und wie sich insbesondere der überlegene Vertragspartner verhalten hat. Dennoch verneint der Bundesgerichtshof jegliche Aufklärungs- und Hinweispflicht des Kreditinstituts. Sogar das Drängen des Bankangestellten mit dem Zusatz "Sie gehen keine große Verpflichtung ein", hält der Bundesgerichtshof für unerheblich. Er sieht darin lediglich - entgegen den Feststellungen des Oberlandesgerichts - eine vorläufige Bonitätsauskunft, die auf die Verhandlungsposition der Beschwerdeführerin keinen Einfluß haben konnte. Das wird der Problematik des Ausgangsfalls nicht gerecht und verfehlt die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie so prinzipiell, daß die Entscheidung keinen Bestand haben kann. Ob auch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht kommt, kann danach offenbleiben. III. | ||
Im Falle der Beschwerdeführerin zu 2) ging es nicht um die Übernahme eines hohen und schwer abschätzbaren Unternehmerrisikos. Die Bürgschaft betraf einen Konsumkredit, dessen Höhe nicht ungewöhnlich war, wenn man die Anschaffungskosten bei der Gründung eines Hausstandes berücksichtigt. Kreditnehmer war der Ehemann der Beschwerdeführerin, so daß davon ausgegangen werden durfte, diese sei selbst an der Kreditgewährung unmittelbar interessiert. Auch die Begleitumstände des Vertragsschlusses gaben nach den Feststellungen der angegriffenen Urteile keinen Anlaß zu dem Verdacht, die Beschwerdeführerin sei zu ihrer Bürgschaftserklärung gedrängt oder auf andere Weise in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt worden. Für ein etwaiges Beratungsverschulden des Kreditinstituts fehlen ebenfalls Anhaltspunkte. Die Bank hat zwar die Kreditgewährung von der Sicherung durch eine Bürgschaft abhängig gemacht, dabei aber nach den Feststellungen des Landgerichts keine Auskunftspflichten verletzt, insbesondere das Haftungsrisiko nicht beschönigt. | ||
Bei der Beurteilung dieses Sachverhalts hat sich das Landgericht mit den Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB eingehend befaßt. Daß es die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie verkannt hätte, ist nicht ersichtlich. Landgericht und Oberlandesgericht haben es zwar abgelehnt, den Bürgschaftsvertrag allein deshalb für nichtig zu erklären, weil die Beschwerdeführerin nicht über eigenes Einkommen oder Vermögen verfügt. Das ist jedoch im Hinblick auf die Art und Höhe des Kredits von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. | ||
Ebenso geht die Rüge einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fehl. Es kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit dieses von der Rechtsprechung entwickelte unbenannte Freiheitsrecht berührt ist, wenn schon beim Abschluß eines Kredit- oder Bürgschaftsvertrags mit einer ausweglosen Überschuldung gerechnet werden muß. Daß eine solche Gefahr bestanden hätte, ist den tatrichterlichen Feststellungen im Ausgangsverfahren nicht zu entnehmen und wird auch in der Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend dargetan." | ||
Auszug aus BVerfG B, 19.10.93, - 1_BvR_567/89 -, www.dfr/BVerfGE, Abs.48 ff | ||
§§§ |
93.016 | Kandidatenaufstellung | |
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1) Wahlfehler können nicht nur von amtlichen Wahlorganen begangen werden, sondern auch von Dritten, soweit sie unter Bindung an wahlgesetzliche Anforderungen kraft Gesetzes Aufgaben bei der Organisation einer Wahl erfüllen. | ||
2) a) Zu den in §§ 21 Abs.1 bis 4 und 6, 27 BWahlG normierten Anforderungen an die Kandidatenaufstellung durch politische Parteien gehört auch die Einhaltung eines Kernbestandes an Verfahrensgrundsätzen, ohne den ein Kandidatenvorschlag schlechterdings nicht Grundlage eines demokratischen Wahlvorgangs sein kann. | ||
3) a) Teilnahme- und stimmberechtigt bei einer Mitgliederversammlung im Sinne des § 21 Abs.1 Satz 2 BWahlG sind alle im jeweiligen Wahlkreis mit erstem Wohnsitz gemeldeten wahlberechtigten Parteimitglieder; wo die Parteimitgliedschaft geführt wird, ist nicht entscheidend. | ||
4) Die Wahl eines Wahlkreiskandidaten durch die Mitglieder- oder die Vertreterversammlung einer Partei hat zur Voraussetzung, daß sich bei mehreren Bewerbern eine Auswahl an den Kriterien der Persönlichkeit und des politischen Programms des Kandidaten orientieren kann. Aus diesem Grund wird es regelmäßig notwendig sein, daß die Kandidaten sich persönlich in gebotener Zusammenfassung vorstellen und programmatische Aussagen machen können. | ||
5) Eine Gesamtwahl, bei der verschiedene Einzelwahlen für gleichrangige Funktionen in einem Wahlgang zusammengefaßt werden, die es aber erlaubt, in beliebiger Anzahl aus den Wahlvorschlägen Namen zu streichen, verstößt nicht gegen elementare Verfahrensgrundsätze einer demokratischen Wahl. | ||
§§§ |
93.017 | Unabhängige Arbeiterpartei - UAP | |
---|---|---|
| ||
Zum Maßstab der Entscheidung über die Feststellung der Parteieigenschaft gemäß § 18 Abs.4 Nr.2 BWahlG. | ||
§§§ |
93.018 | § 611a BGB | |
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1) Bei Vorschriften, die grundrechtliche Schutzpflichten erfüllen sollen, ist das maßgebende Grundrecht dann verletzt, wenn ihre Auslegung und Anwendung den vom Grundrecht vorbezeichneten Schutzzweck grundlegend verfehlt. | ||
2) § 611a BGB ist danach im Lichte des Art.3 Abs.2 GG so auszulegen und anzuwenden, daß Arbeitsuchende bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses wirksam vor Benachteiligung wegen des Geschlechts geschützt werden. | ||
* * * | ||
Beschluss | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
93.019 | Wahlprüfungsverfahren | |
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1) Wird eine Wahlprüfungsbeschwerde zurückgenommen, entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob das öffentliche Interesse einer Beendigung des Verfahrens ohne Entscheidung zur Sache entgegensteht. | ||
2) Im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens nach Art.41 Abs.2 GG, § 48 BVerfGG überprüft das Bundesverfassungsgericht den angegriffenen Beschluß des Deutschen Bundestages in formeller und materieller Hinsicht. Mängel im Verfahren des Bundestages können für die Beschwerde allerdings nur dann beachtlich sein, wenn sie der Entscheidung des Deutschen Bundestages die Grundlage entziehen. | ||
3. a) Der Bundeswahlausschuß hat in seine gemäß § 18 Abs.4 Nr.2 BWahlG zu treffende Entscheidung über die Feststellung der Parteieigenschaft auch die formellen Voraussetzungen einer Beteiligungsanzeige nach § 18 Abs.2 BWahlG miteinzubeziehen. | ||
§§§ |
93.020 | Trennscheibe | |
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Zum Einsatz einer sogenannten Trennscheibe bei Ehegattenbesuchen eines Strafgefangenen. | ||
§§§ |
93.021 | Atomgesetz |
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LB: Entscheidung über den Fortgang des Verfahrens gegen die Zulassung der Erzeugung und energiewirtschaftlichen Verwendung von Plutonium. | |
* * * | |
Beschluss | Entscheidungsformel:
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* * * | |
T-93-04 | Ruhen des Verfahrens |
" Die Antragsteller, 180 der SPD angehörende Abgeordnete des 11. Deutschen Bundestages, haben sich im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle gegen die Zulassung der Erzeugung und energiewirtschaftlichen Verwendung von Plutonium im Atomgesetz (in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.Juli 1985, BGBl.I S.1565) gewandt und ferner geltend gemacht, daß dieses Gesetz dem Erfordernis inhaltlicher und verfahrensrechtlicher Konkretisierung der staatlichen Schutzpflicht nicht hinreichend gerecht werde. Sie betreiben inzwischen seit längerer Zeit das Verfahren nicht weiter und haben dessen Ruhen beantragt. Zur Begründung haben sie ausgeführt: Mit den Entscheidungen über die Aufgabe des sogenannten Schnellen Brüters in Kalkar und der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf seien wesentliche Eckpunkte des befürchteten Einstiegs in die Plutoniumwirtschaft entfallen. Durch die grundlegende Novellierung des Atomgesetzes, deren Entwurf das Bundesumweltministerium vorgelegt habe, werde auch der Vorrang der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente zugunsten der Gleichrangigkeit der direkten Endlagerung aufgegeben. Die angekündigte Novelle des Atomgesetzes nehme darüber hinaus weitere Ziele des zweiten Antrages auf, so daß der Fortgang der Gesetzgebungsarbeit abgewartet werden sollte. | |
Das Verfahren müßte trotz des Antrags, es ruhen zu lassen, von Amts wegen fortgeführt werden, wenn dies im öffentlichen Interesse geboten wäre. Die Grundsätze, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zurücknahme des Antrags im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle entwickelt worden sind (vgl BVerfGE_8,183 <184>; BVerfGE_25,308 f; BVerfGE_87,152 f), gelten für das Ruhen des Verfahrens entsprechend. Im Hinblick auf die von den Antragstellern angeführten Gründe besteht jedoch kein öffentliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens von Amts wegen." | |
Auszug aus BVerfG B, 14.12.93, - 1_BvF_3/88 -, www.BVerfG.de, Abs.1 ff | |
§§§ |
[ 1992 ] | RS-BVerfG - 1993 | [ 1994 ] [ ] |
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§§§