1980 | ||
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[ 1979 ] [ ] [ ] [ 1981 ] | [ ] |
80.001 | Schokoladenosterhasen | |
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Zu den Anforderungen an eine Regelung der Berufsausübung gemäß Art.12 Abs.1 Satz 2 GG auf dem Gebiet des Lebensmittelrechts. | ||
§§§ |
80.002 | Ehescheidung | |
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1) Es verstößt nicht gegen Art.6 Abs.1 GG, daß Ehen gemäß § 1565 Abs.1 BGB seit dem 1.Juli 1977 geschieden werden können, wenn sie gescheitert sind (Übergang vom Verschuldens- zum Zerrüttungsprinzip). | ||
2) Die unwiderlegbare Vermutung des Scheiterns der Ehe nach dreijährigem Getrenntleben der Ehegatten ( § 1566 Abs.2 BGB) ist mit Art.6 Abs.1 GG vereinbar. | ||
3) Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der zeitlichen Begrenzung der immateriellen Härteklausel (§ 1568 Abs.2 BGB). | ||
4) Der Gesetzgeber war verfassungsrechtlich nicht gehindert, das neue Scheidungsrecht auch für Ehen einzuführen, die vor dem 1.Juli 1977 geschlossen wurden. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
80.003 | Versorgungsausgleich | |
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1) Versicherungsrenten und Rentenanwartschaften aus den gesetzlichen Rentenversicherungen unterliegen dem Schutz des Art 14 GG. | ||
2) Der Versorgungsausgleich zwischen geschiedenen Ehegatten ( § 1587 Abs.1 Satz 1 iVm § 1587a Abs.1 BGB) ist als Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne des Art.14 Abs.1 Satz 2 GG durch Art.6 Abs.1 GG und Art.3 Abs.2 GG gerechtfertigt. Der Versorgungsausgleich ist auch mit Art.33 Abs.5 GG vereinbar. | ||
3) Der Versorgungsausgleich verletzt im Grundsatz auch bei Scheidungen von Ehen, die vor dem 1.Juli 1977 geschlossen wurden ("Altehen" - Art.12 Nr.3 Abs.1 EheRG -) nicht das Grundgesetz. | ||
4) Es ist von Verfassungs wegen geboten, daß der Gesetzgeber die Bestimmungen über die Übertragung und Begründung von Rentenanwartschaften in einer der gesetzlichen Rentenversicherungen (§ 1587b Abs.1 BGB und § 1587b Abs.2 BGB iVm § 1587a Abs.2 Nr.1 BGB und § 1587a Abs.2 Nr.2 BGB) durch Regelungen ergänzt, die es ermöglichen, nachträglich eintretenden grundrechtswidrigen Auswirkungen des Versorgungsausgleichs zu begegnen. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
80.004 | Vergleichsmiete III | |
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Zu den Anforderungen an Mieterhöhungsverlangen nach § 2 des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe (Art.3 des Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes) vom 18.Dezember 1974 (vgl BVerfGE_49,244). | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ |
80.005 | Konfessionelle Krankenhäuser | |
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1) Der Gesetzgeber ist auch dann, wenn er auf den Gebieten gemeinsamer Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben durch Staat und Kirche mit seinen Reformvorstellungen den unantastbaren Kern des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nicht berührt, gehalten, Sinn und Geist der grundgesetzlichen Wertordnung zu beachten. Die inkorporierten Kirchenartikel der Weimarer Verfassung bilden mit dem Grundgesetz ein organisches Ganzes (vgl BVerfGE_19,226 (236)). | ||
2) Art.137 Abs.3 Satz 1 WRV gewährleistet in Rücksicht auf das zwingende Erfordernis friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirche (vgl BVerfGE_42,312 (330ff, 340)) sowohl das selbständige Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten durch die Kirchen als auch den staatlichen Schutz anderer für das Gemeinwesen bedeutsamer Rechtsgüter. Dieser Wechselwirkung ist durch entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen. Dabei ist jedoch dem Einverständnis der Kirchen, soweit es in dem Bereich der durch Art.4 Abs.1 GG als unverletzlich gewährleisteten Glaubensfreiheit und Bekenntnisfreiheit wurzelt und sich in der durch Art.4 Abs.2 GG geschützten Religionsausübung verwirklicht (vgl BVerfGE_24,236 (246); BVerfGE_44,37 (49f.)), ein besonderes Gewicht beizumessen. | ||
3) Die Garantie freier Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten (Art.137 Abs.3 WRV) erweist sich als notwendige, wenngleich rechtlich selbständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerläßliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt. | ||
LB 4) Zur abweichenden Meinung des Richters Dr Rottmann, siehe BVerfGE_53,408 ff = ww.dfr/BVerfGE, Abs.132 ff. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
80.006 | Ausbürgerung | |
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LB 1) Hatte eine Ausbürgerung ihren Grund in der jüdischen Abstammung des Betroffenen war sie nichtig. | ||
LB 2) Trotz der Nichtigkeit, kann der Betroffene sich nicht auf die deutsche Staatsangehörigkeit berufen, solange er seinen Willen, deutschere Staatsangehöriger zu sein nicht in der in Art.116 Abs.2 GG bestimmten Weise bekundigt hat. | ||
LB 3) Zum Sinn und Zweck des Art.116 Abs.2 GG. | ||
LB 4) Zur abweichenden Meinung des Richters Hirsch, siehe BVerfGE_54,75 ff. | ||
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T-80-01 | Art.116 Abs.2 GG | |
"Die angegriffenen Entscheidungen stehen mit Art.116 Abs.2 GG in Einklang. Nach dieser Vorschrift sind "frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30.Januar 1933 und dem 8.Mai 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, ... auf Antrag wieder einzubürgern. Sie gelten als nicht ausgebürgert, sofern sie nach dem 8.Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben". | ||
a) Die Verfasser des Grundgesetzes gingen bei der Abfassung des Art.116 Abs.2 GG von der Überzeugung aus, daß der durch Akte des nationalsozialistischen Staates aus rassenideologischen Gründen angeordnete Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit krasses Unrecht darstellte. Das beruht auf der Einsicht, daß Geltungsanordnungen, sollen sie als Recht gelten, diese Qualität nicht lediglich dadurch erlangen, daß sie von der staatlichen Macht im jeweils vorgesehenen Verfahren gesetzt sind, sondern daß sie darüber hinaus inhaltlich nicht fundamentalen Prinzipien der Idee der Gerechtigkeit widersprechen dürfen. In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht erkannt, daß Geltungsanordnungen des nationalsozialistischen Regimes der Gültigkeit als Recht entbehren, wenn sie fundamentalen Erfordernissen der Gerechtigkeit so offensichtlich widersprachen, daß der Richter, der sie als Rechtens beachten wollte, Unrecht statt Recht spräche (vgl BVerfGE_3,58 <119>; BVerfGE_6,132 <198>; BVerfGE_23,98 <106>). So hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß die Elfte Verordnung zum Reichsbürgerge setz vom 25.November 1941 (RGBl.I S 722), mit der im Ausland lebenden Juden die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen wurde, in krassem Widerspruch zu fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit stand (BVerfGE_23,98 <105 ff>). | ||
b) Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung vom 14.Februar 1968 (BVerfGE_23,98 <106>) aus der Erkenntnis, daß Geltungsanordnungen des nationalsozialistischen Regimes der Gültigkeit als Recht entbehren können, für die dort in Rede stehende Verordnung die Folgerung gezogen, daß sie als von Anfang an nichtig zu erachten sei. Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß eine an der Idee der Gerechtigkeit sich ausrichtende Rechtsordnung solche Akte nicht schlechthin als rechtmäßige Akte behandeln darf und daß die Nichtigkeit als eine der möglichen Sanktionen für solche Art Unrecht geeignet ist, das Recht wiederherzustellen. | ||
An dieser Auffassung hält das Bundesverfassungsgericht fest. Auch die auf Grund des § 2 des Gesetzes über Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14.Juli 1933 (RGBl.I S.480) aus rassenideologischen Gründen ausgesprochene Einzelausbürgerung in Fällen, wie dem des Beschwerdeführers, ist unter dem Grundgesetz als nichtig, das heißt als von Anfang an unheilbar unwirksam, anzusehen. Auch sie ist im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Rassengesetzgebung und dem politischen Ziel des damaligen Regimes zu sehen, das deut sche und europäische Judentum zu verfolgen (BVerfGE_23,98 <105 ff>). | ||
c) Art.116 Abs.2 GG dient der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts (BVerfGE_8,81 <86, 88>). | ||
Die Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland können die Tatsachen nicht ungeschehen machen, die durch die Unrechtsmaßnahmen der Nationalsozialisten geschaffen worden sind. Die Ausbürgerung von Juden im Sinne der ationalsozialistischen Gesetzgebung bleibt ein historisches Geschehen, das als solches nicht nachträglich beseitigt werden kann. Art.116 Abs.2 GG will das Unrecht, das den ausgebürgerten Verfolgten angetan worden ist, im Rahmen des Möglichen ausgleichen. Die Diskriminierung, die in der willkürlichen Ausbürgerung jüdischer Mitbürger lag, sollte indes nicht dadurch wiedergutgemacht werden, daß sich der deutsche Staat neuerlich über den Willen der Betroffenen hinwegsetzte, sondern allein dadurch, daß er ihren Willen nunmehr respektierte (vgl BVerfGE_23,98 <107>). Es ist der Sinn des Art.116 Abs.2 GG, die politisch, rassisch und religiös Verfolgten nicht gegen ihren Willen an der deutschen Staatsangehörigkeit festzuhalten (vgl BVerfGE_23,98 [108 ff | ||
d) Art 116 Abs 2 GG unterscheidet nicht zwischen solchen Verfolgten, die in der Folge der nationalsozialistischen Ausbürgerungen die deutsche Staatsangehörigkeit aus einem anderen Rechtsgrund, insbesondere durch den Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit (§§ 17 Nr.2, 25 RuStAG) verloren haben, und solchen Verfolgten, bei denen dies nicht der Fall ist. Für diejenigen Verfolgten, die die deutsche Staatsangehörigkeit aus anderem Rechtsgrund verloren haben, liegt die Bedeutung des Art.116 Abs.2 GG darin, daß sie unter den (erleichterten) Voraussetzungen dieser Bestimmung die Wiedereinbürgerung herbeiführen können. Für diejenigen Verfolgten, die eine fremde Staatsangehörigkeit nicht erworben haben, liegt die Bedeutung des Art.116 Abs.2 GG darin, daß die Bundesrepublik Deutschland sie nicht als Deutsche betrachtet, solange sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Wohnsitzbegründung oder Antragstellung geltend machen (BVerfGE_23,98 [108 | ||
Solange ein Verfolgter von der Möglichkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit geltend zu machen, keinen Gebrauch macht, wird er von der Bundesrepublik Deutschland nicht als Deutscher betrachtet. Das bedeutet, daß seine deutsche Staatsangehörigkeit für den Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Rechtsverkehr nicht geltend gemacht werden kann. Die Bundesrepublik Deutschland darf den Verfolgten nicht als deutschen Staatsangehörigen behandeln. Allerdings kann in diesem Fall auch der Betroffene sich gegenüber der Bundesrepublik Deutschland auf die deutsche Staatsangehörigkeit nicht berufen. Art.116 Abs.2 GG versteht die deutsche Staatsangehörigkeit als ein umfassendes Rechtsverhältnis, aus dem Rechte und Pflichten erwachsen. Die Bestimmung unterscheidet nicht zwischen diesen Rechten und Pflichten. Sie kann deshalb nicht dahin ausgelegt werden, daß ohne eine Wohnsitzbegründung oder ohne eine Antragstellung die Bundesrepublik Deutschland zwar die aus der Staatsangehörigkeit folgenden Pflichten noch nicht geltend machen, der Betroffene aber seine daraus herzuleitenden Rechte bereits wahrnehmen könnte. | ||
e) Seinen Willen, deutscher Staatsangehöriger zu sein, bringt der Verfolgte durch Wohnsitzbegründung (Art.116 Abs.2 Satz 2 GG) oder durch Antragstellung (Art.116 Abs.1 Satz 1 GG) zum Ausdruck. Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, der Frage im einzelnen nachzugehen, wann diese Voraussetzungen erfüllt sind. Allerdings ist dem Erfordernis der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen, der bei Staatsangehörigkeitsverhältnissen im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die der Besitz oder Nichtbesitz der Staatsangehörigkeit nach sich ziehen, besonderes Gewicht zukommt. Der Betroffene muß deshalb seinen Willen Deutscher zu sein, hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen. | ||
Bei Erklärungen eines Verfolgten zu seiner deutschen Staatsangehörigkeit müssen die Behörden und Gerichte freilich auch berücksichtigen, daß sie möglicherweise aus Gründen, die in der Beziehung des Verfolgten zu dem Land liegen, in dem er nach der Ausbürgerung Aufnahme gefunden hat, zurückhaltend formuliert und nicht als "förmlicher" Antrag gefaßt sind. An einen Antrag im Sinne des Art.116 Abs.2 Satz 1 GG sind deshalb keine übermäßig strengen Anforderungen zu stellen. Die Auslegung einer Erklärung als Antrag verbietet sich allerdings dann, wenn der Verfolgte ausdrücklich bekundet, er wolle einen Antrag nicht stellen. | ||
f) Daß sich die durch Art.116 Abs.2 GG getroffene Regelung zur Wiedergutmachung des durch nationalsozialistische Ausbürgerungen zugefügten Unrechts im Einzelfall für den Verfolgten nachteilig auswirken kann, ist nicht zu verkennen. Es ist die Folge der grundsätzlichen Entscheidung des Verfassungsgebers, die deutsche Staatsangehörigkeit nicht automatisch wiederaufleben zu lassen, daß dem Verfolgten die Last zufällt, sich entscheiden und seinen Willen bekunden zu müssen. | ||
Die deutsche Rechtsordnung kann die Nachteile, die durch die Entscheidung eines Verfolgten für die deutsche Staatsangehörigkeit in seiner Beziehung zu dem Land eintreten können, in dem er nach der Ausbürgerung Aufnahme gefunden hat, nicht verhindern. Der Verfassungsgeber hat es als zumutbar erachtet, daß der Betroffene sie in Kauf nimmt. Die Entscheidungsfreiheit wurde ihm gerade auch wegen solcher möglicher Nachteile eingeräumt. Er kann sie nur dadurch vermeiden, daß er sich auf die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr beruft. | ||
g) Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß Art.116 Abs.2 GG nur in den Fällen anzuwenden ist, in denen der Verfolgte nach dem 8.Mai 1945 die Möglichkeit hat oder hatte, seinen Willen zu bekunden und damit den einen oder den anderen der in Art.116 Abs.2 GG genannten Tatbestände zu erfüllen (BVerfGE_23,98 [111 f | ||
Willensbekundung inzwischen fortgefallen ist. Im übrigen kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Ausnahmefall vorliegt. | ||
h) Die durch die Bekanntmachung des Reichsministers des Innern vom 29.April 1940 erklärte Ausbürgerung des Beschwerdeführers hatte ihren Grund in seiner jüdischen Abstammung. Sie war von Anfang an nichtig. Der Beschwerdeführer hat dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren. | ||
Gleichwohl war die von ihm begehrte behördliche Feststellung des Fortbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit bis zum 3.Dezember 1951 abzulehnen. Der Beschwerdeführer kann sich auf die deutsche Staatsangehörigkeit derzeit nicht berufen. Denn er hat seinen Willen, deutscher Staatsangehöriger zu sein, bislang nicht in der durch Art.116 Abs.2 GG bestimmten Weise bekundigt. Solange dies nicht geschehen ist, ist die bürgerliche Feststellung verwehrt. | ||
Der Beschwerdeführer hat nach dem 8.Mai 1945 seinen Wohnsitz nicht wieder in Deutschland genommen (Art.116 Abs.2 Satz 2 GG). Er hat sich auch nicht durch einen Antrag auf die deutsche Staatsangehörigkeit berufen (Art.116 Abs.2 Satz 1 GG). Sein 1970 bei der Stadt K gestellter Feststellungsantrag und seine weiteren in den behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie in dem vorliegenden Verfahren abgegebenen Erklärungen können schon deshalb nicht als Antrag gemäß Art.116 Abs.2 Satz 1 GG verstanden werden, weil er stets ausdrücklich erklärt hat, er wolle einen solchen Antrag nicht stellen, um seine amerikanischen Staatsangehörigkeit nicht zu gefährden. | ||
Es fehlt an Anhaltspunkten dafür, daß dem Beschwerdeführer nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes die Möglichkeit verwehrt war, die Voraussetzungen des Art 116 Abs 2 GG zu erfüllen. Zwar kam wegen seiner gesundheitlichen Behinderung eine Aufenthaltsnahme in Deutschland möglicherweise nicht in Betracht. Der Beschwerdeführer war aber nicht gehindert, einen Antrag gemäß Art.116 Abs.2 Satz 1 GG zu stellen. Daß er dies mit Rücksicht auf seine amerikanische Staatsangehörigkeit nicht getan hat, beruht auf seiner freien Entscheidung. Art 116 Abs 2 GG will gerade diese Freiheit respektieren. Wenn fremde Rechtsordnungen nachteilige Folgen an die Stellung eines Antrags nach Art 116 Abs 2 GG knüpfen, ist das dem Einfluß der deutschen Rechtsordnung entzogen. Das allein läßt die Erfüllung des Antragserfordernisses in Art.116 Abs.2 GG nicht als unzumutbar oder gar die Regelung selbst als Verstoß gegen ein überverfassungsrechtliches Willkürverbot erscheinen." | ||
Auszug aus BVerfG B, 15.04.80, - 2_BvR_842/77 -, Abs.47 ff | ||
§§§ |
80.007 | Kunstritik | |
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Zur Zulässigkeit wertender Äußerungen im öffentlichen Meinungskampf. | ||
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T-80-02 | Zu den Grenzen | |
"1. Die Äußerungen, an die es die Verurteilung der Beschwerdeführer geknüpft hat, fallen grundsätzlich in den Schutzbereich des Art.5 Abs.1 GG. Die Frage ist allein, ob sie die Schranken dieses Grundrechts überschreiten. Das "Recht der persönlichen Ehre" und die "allgemeinen Gesetze" müssen im Lichte der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit gesehen werden; sie sind ihrerseits aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und so in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung selbst wieder einzuschränken (BVerfGE_7,198 <208 f> - Lüth, stRspr). | ||
2. Das Oberlandesgericht hat zwar auf diese Rechtslage hingewiesen. Es hat indessen von der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze verkannt oder nicht berücksichtigt, die für die Rückwirkung des Art.5 Abs 1 GG auf die hier in Betracht kommenden "allgemeinen Gesetze" des § 823 Abs.1 und des § 847 BGB von Bedeutung sind. | ||
a) Die Äußerungen, die das Oberlandesgericht zu beurteilen hatte, waren Bestandteile von Beiträgen zur öffentlichen geistigen Auseinandersetzung auf einem Gebiet, das nicht minder von der Freiheit der Gedanken lebt als die Politik (vgl Art.5 Abs.3 GG). Anders als bei Gegenständen ohne allgemeines Interesse und bei Auseinandersetzungen im privaten Bereich (vgl BVerfGE_7,198 <212>) ist in einem solchen Fall eine Auslegung der die Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetze, die an die Zulässigkeit öffentlicher Kritik überhöhte Anforderungen stellt, mit Art.5 GG nicht vereinbar (BVerfGE_42,163 <170> mwN). | ||
Das Oberlandesgericht hat zwar gesehen, daß die Beiträge der Beschwerdeführer öffentliche Kritik enthielten. Es hat jedoch die beanstandeten Äußerungen aus ihrem Zusammenhang gelöst; auf diese Weise ist es zu der Annahme gelangt, daß die Angriffe der Beschwerdeführer den einzigen Zweck gehabt hätten, den Kläger des Ausgangsverfahrens persönlich in der interessierten Öffentlichkeit herabzusetzen, ihn zu diffamieren und seine während der "Römerberg-Gespräche" gehaltenen Vorträge abzuwerten. Damit hat das Gericht den Zweck der Beiträge verkannt: Auch wenn sich mit diesen übersteigerte Polemik unterschiedlichen Gehalts und Niveaus verband und die Äußerungen des Klägers von der Kritik mitumfaßt wurden, ging es nicht in erster Linie um die Wirkung auf dessen Rechtskreis und damit die private oder zumindest persönliche Herabsetzung des Klägers, sondern um die öffentliche Kritik der "Römerberg-Gespräche" und die Auseinandersetzung über eine bestimmte geistige Richtung. Bei dieser Sachlage gewinnt aber die Freiheit der Meinungsäußerung im öffentlichen Meinungskampf ihr volles Gewicht für die Notwendigkeit, die "allgemeinen Gesetze" ihrerseits aus der Erkenntnis der Bedeutung der Meinungsfreiheit auszulegen und so in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung selbst wieder einzuschränken. | ||
b) Das Oberlandesgericht hat ferner außer Betracht gelassen, daß derjenige, der im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlaß gegeben hat, eine scharfe Reaktion grundsätzlich auch dann hinnehmen muß, wenn sie sein Ansehen mindert (BVerfGE_12,113 <131> - Schmid-Spiegel; BVerfGE_24,278 <286> - Tonjäger); dem angegriffenen Urteil läßt sich allenfalls entnehmen, daß das Oberlandesgericht diesen Gesichtspunkt in Erwägung gezogen hätte, wenn der Kläger die Beschwerdeführer oder andere am Kunstleben Beteiligte persönlich diffamierend angegriffen hätte. Das steht nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der die Verknüpfung von Anlaß und Reaktion in einem schwebenden Meinungskampf nicht auf gegenseitige Beleidigungen beschränkt ist. Vielmehr ist maßgeblich darauf abzustellen, ob und in welchem Ausmaß der von herabsetzenden Äußerungen Betroffene seinerseits an dem von Art.5 Abs.1 GG geschützten Prozeß öffentlicher öffentlicher Meinungsbildung teilgenommen, sich damit aus eigenem Entschluß den Bedingungen des Meinungskampfes unterworfen und sich durch dieses Verhalten eines Teils seiner schützenswerten Privatsphäre begeben hat. | ||
Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Es kommt nicht darauf an, ob die Vorträge des Klägers, wie das Oberlandesgericht angenommen hat, "sachlich gehalten" waren und "jegliche persönlich diffamierenden Angriffe" vermieden. Auch die ihrer Grundtendenz nach wissenschaftlichen Vorträge konnten Anlaß zu scharfer und abwertender Kritik geben, wenn sie - zulässigerweise - massive Kritik an der heutigen Kunstkritik und damit auch am Berufsstand der Beschwerdeführer enthielten; dies um so mehr, als sie auch persönliche Angriffe gegen bekannte, namentlich aufgeführte Kunstkritiker und Galeristen umfaßten. | ||
c) Schließlich ist in dem angegriffenen Urteil unberücksichtigt geblieben, daß grundsätzlich auch die Form einer Meinungsäußerung der durch Art.5 Abs.1 GG geschützten Selbstbestimmung des Äußernden unterliegt. Dies gilt namentlich für das gesprochene Wort. Die Spontanität freier Rede, für deren Zulässigkeit die Vermutung spricht (BVerfGE_7,198 <212>), ist Voraussetzung der Kraft und der Vielfalt der öffentlichen Diskussion, die ihrerseits Grundbedingung eines freiheitlichen Gemeinwesens ist. Soll diese Kraft und Vielfalt generell erhalten bleiben, dann müssen im Einzelfall Schärfen und Übersteigerungen des öffentlichen Meinungskampfes oder ein Gebrauch der Meinungsfreiheit in Kauf genommen werden, der zu sachgemäßer Meinungsbildung nichts beitragen kann (vgl BVerfGE_30,336 <347>; BVerfGE_34,269 <283> - Soraya). Die Befürchtung, wegen einer wertenden Äußerung einschneidenden gerichtlichen Sanktionen ausgesetzt zu werden, trägt die Gefahr in sich, jene Diskussion zu lähmen oder einzuengen und damit Wirkungen herbeizuführen, die der Funktion der Freiheit der Meinungsäußerung in der durch das Grundgesetz konstituierten Ordnung zuwiderlaufen (vgl BVerfGE_42,163 <170> mwN)." | ||
§§§ |
80.008 | Taubenfütterungsverbot | |
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Zur Verfassungsmäßigkeit eines ortsrechtlichen Taubenfütterungsverbotes. | ||
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T-80-03 | Verfassungsmäßigkeit | |
"1. Die Verwerfung des Antrages der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Rechtsbeschwerde läßt keinen Verfassungsverstoß erkennen. Da weder die Art.19 Abs.4, 103 Abs.1 GG noch das Rechtsstaatsprinzip einen Instanzenzug gewährleisten (BVerfGE_28,21 <36>), ist die Regelung der §§ 79 Abs.1, 80 Abs.1 OWiG verfassungsrechtlich unbedenklich und die Entscheidung des Oberlandesgerichts nur daraufhin überprüfbar, ob das Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 80 Abs.1 OWiG willkürlich verneint worden ist. Das ist nicht der Fall. Aus der Tatsache, daß bereits vor der Entscheidung des Oberlandesgerichts das von der Beschwerdeführerin näher bezeichnete Verfahren beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof anhängig war, ergab sich weder ein Zulassungsgrund im Sinne des § 80 Abs.1 OWiG, noch die Verpflichtung des Oberlandesgerichts, das Bußgeldverfahren bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofsauszusetzen. Dessen Entscheidung war für die Anwendung und Auslegung der ortsrechtlichen Vorschriften der Stadt M., die auf nordrhein-westfälischem Landesrecht beruhen, weder vorgreiflich noch rechtlich bindend. | ||
2. Die Bestimmung des § 3 Abs.4 der Straßenverordnung und Anlagenverordnung der Stadt M verstößt nicht gegen Art.2 Abs.1 GG oder sonstiges Verfassungsrecht. | ||
Das Grundrecht des Art.2 Abs.1 GG gewährt zwar die allgemeine Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinne (vgl BVerfGE_6,32 <36>), jedoch ist dieses Grundrecht von vornherein nur unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet (BVerfGE_34,384 <395>). Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit aufgrund von formell und materiell der Verfassung gemäßen Vorschriften verletzen daher Art.2 Abs.1 GG nicht (BVerfGE_34,369 <378, 379>). Das gilt auch für Landesrecht (vgl BVerfGE_7,111 <119>; BVerfGE_41,88 <116>) und ebenso für Vorschriften ortsrechtlicher Verordnungen, denen die angegriffene Bestimmung zuzurechnen ist. | ||
Die Regelung des § 3 Abs.4 der Straßenverordnung und Anlagenverordnung der Stadt M (im folgenden kurz: Verordnung) steht formell wie materiell mit dem Grundgesetz in Einklang. | ||
a) Sie beruht auf einer hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage. Die Vorschrift des § 29 des Gesetzes über Aufgaben und Befugnisse der Ordnungsbehörden (OBG) des Landes Nordrhein-Westfalen, die als landesgesetzliche Bestimmung nicht unmittelbar an Art.80 Abs.1 GG zu messen ist, entspricht den Anforderungen, die nach rechtsstaatlich-demokratischen Grundsätzen, insbesondere nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung, an gesetzliche Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen zu stellen sind. Die Verwendung der polizeirechtlichen Generalklausel ist unter diesem verfassungsrechtlichen Aspekt unbedenklich, weil sie in jahrzehntelanger Entwicklung durch Rechtsprechung und Lehre nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend präzisiert, in ihrer Bedeutung geklärt und im juristischen Sprachgebrauch verfestigt ist (vgl BVerfGE_14,245 <253>; OVG Lüneburg, OVGE 11,292 <294>). | ||
b) § 3 Abs.4 der Verordnung hält sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung. Während die Verordnung insgesamt zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung "auf den Straßen und in den Anlagen" und auf den diesen angrenzenden Grundstücken erlassen wurde (vgl Überschrift), regelt der § 3 der Verordnung nach seiner Überschrift einen besonderen Teil der Gefahrenabwehr durch Verunreinigungsverbote. Diese Verunreinigungsverbote zielen darauf ab, die Reinlichkeit von Straßen und Anlagen zu schützen, sind aber auch darauf gerichtet, Gefahren für das Eigentum zu verhüten. Das folgt deutlich aus einer Gegenüberstellung von § 3 Abs.1 und § 3 Abs.3 der Verordnung. In diesem Zusammenhang ist auch das in § 3 Abs 4 der Verordnung geregelte Taubenfütterungsverbot einzuordnen. Auch durch dieses Verbot soll mithin die öffentliche Reinlichkeit geschützt und sollen Schäden am Eigentum verhindert werden. Die öffentliche Reinlichkeit ist als Schutzgut im Sinne des § 29 OBG anzusehen. Ihre Gewährleistung dient der Verhinderung von Gefährdungen sowohl für die Verkehrssicherheit -- etwa auf Gehsteigen -- als auch für die Gesundheit. Auch die Gefahr für öffentliches oder privates Eigentum stellt zugleich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, soweit die Abwehr dieser Gefahr im öffentlichen Interesse liegt. Der Erlaß einer auf § 29 OBG gestützten Verordnung setzt voraus, daß für die darin geschützten Rechtsgüter eine potentielle Gefahr besteht, deren Verwirklichung durch Eintritt des Schadens als hinreichend wahrscheinlich angesehen werden kann (vgl Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 8.Aufl, S 272 f). Bei dem in § 3 Abs 4 der Verordnung geregelten Taubenfütterungsverbot ist dabei nicht nur auf die durch die Fütterungshandlung selbst und unmittelbar hervorgerufene Verunreinigung abzustellen. Die nach § 3 der Verordnung zu verhindernde Verunreinigung ist vielmehr in der Verunreinigung durch die Tauben selbst zu sehen. Dies verdeutlicht auch die Stellungnahme der Stadt M, nach der die starken Verunreinigungen von Straßen, Gehwegen, Hausfassaden, parkenden Fahrzeugen usw durch die Tauben selbst den Anlaß für den Erlaß des Fütterungsverbotes gegeben haben. Eine solche Verunreinigung bildet, soweit sie nicht als völlig unerheblich anzusehen ist, eine Gefahr für die öffentliche Reinlichkeit und das Eigentum an den von der Verschmutzung betroffenen Grundstücken und Sachen. Auch soweit der Verordnungsgeber zur Verhinderung der Verunreinigung durch Tauben an das Füttern der Tiere angeknüpft hat, ist die Ermächtigungsgrundlage des § 29 OBG nicht überschritten. Eine ursächliche Verknüpfung zwischen der Fütterung der Tauben und der Gefahr einer nicht unerheblichen Verschmutzung durch die Tauben gerade bei Fütterungen auf Straßen und Anlagen ist nicht auszuschließen, sondern naheliegend. | ||
c) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kollidiert § 3 Abs 4 der Verordnung auch nicht mit sonstigem Landesrecht oder Bundesrecht. Ob etwas anderes im Hinblick auf evtl Vergiftungen von Tauben und Wildtauben gilt, ist hier nicht zu entscheiden. | ||
d) Die Vorschrift des § 3 Abs 4 der Verordnung verstößt auch nicht gegen sonstige Verfassungsbestimmungen, noch gegen allgemeine Verfassungsgrundsätze. Die in Art 2 Abs 1 GG gewährleistete Handlungsfreiheit schließt auch das Füttern der Tauben auf Straßen und Anlagen als Äußerungsform von Tierliebe mit ein. Allerdings ist diese Ausformung der Handlungsfreiheit nicht zum absolut geschützten Kern privater Lebensgestaltung zu rechnen, welche der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist (vgl BVerfGE_6,32 <41>; BVerfGE_32,373 <378 f>; BVerfGE_35,35 <39>; BVerfGE_38,312 <320>). Ist aber der unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung nicht beeinträchtigt, muß jedermann als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebotes erfolgen (BVerfGE_32,373 <379>; BVerfGE_35,35 <39>; BVerfGE_38,312 <321>). | ||
Die Vorschrift des § 3 Abs 4 der Verordnung wahrt diesen Rahmen. Verwilderte Tauben können, wo sie in großen Scharen auftreten, nicht nur Schäden an Gebäuden verursachen, sondern auch durch Verunreinigungen zu persönlichen Beeinträchtigungen von Menschen führen (vgl Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Urteil vom 10.Oktober 1979 -- Vf 33-VII-78 mit weiteren Nachweisen). Nach der Stellungnahme der Stadt M haben verwilderte Haustauben und Wildtauben starke Verschmutzungen der Gehwege und Straßen, sowie Schäden an Hausfassaden, Dachabdeckungen und Dachrinnen, an parkenden Fahrzeugen, Grabmalen und anderen Gegenständen herbeigeführt. In Anbetracht solcher durch Tauben ausgelöster Beeinträchtigungen ist von einem erheblichen Interesse der Allgemeinheit an der Verhinderung dieser Beeinträchtigungen auszugehen. Das zur Erreichung dieses Zwecks in § 3 Abs.4 der Verordnung gewählte Mittel des Fütterungsverbots auf Straßen und Anlagen im Stadtgebiet M stellt demgegenüber einen nur sehr begrenzten Eingriff in die Freiheit der Ausübung von Tierliebe dar. Das insoweit überwiegende Interesse der Allgemeinheit rechtfertigt diesen Eingriff, der sich überdies als das mildeste Mittel zur Verminderung der durch Tauben ausgelösten Beeinträchtigungen darstellt. Auf das von der Beschwerdeführerin vorgetragene Problem der Vergiftung von Tauben kommt es insoweit nicht an, da die Vergiftungen nicht notwendige und zwingende Folge eines Fütterungsverbotes sind. Die Untauglichkeit eines Fütterungsverbotes für den erstrebten Zweck der Verminderung der durch Tauben verursachten Beeinträchtigungen ist nicht evident. Das Mittel des Fütterungsverbotes erscheint nicht schlechthin ungeeignet. Vielmehr kann nicht ausgeschlossen werden, daß bereits das Fütterungsverbot zu einer Abwanderung der Tauben oder aber einer Verminderung der Taubenzahl und damit zu einer Verringerung der Verunreinigungen von Straßen und Anlagen durch Tauben führt. | ||
3. Gegen die Bestimmung des § 24 der Verordnung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken." | ||
Auszug aus BVerfG B, 23.05.80, - 2_BvR_854/79 -, www.dfr/BVerfGE, Abs.1 ff | ||
§§§ |
80.009 | Eppler | |
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1) Das durch Art.2 Abs.1 iVm Art.1 Abs.1 GG verfassungsrechtlich gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt auch dagegen, daß jemandem Äußerungen in den Mund gelegt werden, die er nicht getan hat und die seinen von ihm selbst definierten sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigen. | ||
2) Unter der Voraussetzung einer Mitwirkungspflicht des Beklagten ist es in Fällen dieser Art verfassungsrechtlich nicht geboten, von der allgemeinen Regel des Zivilprozeßrechts abzugehen, daß dem Kläger der Beweis der seinen Anspruch begründenden Umstände obliegt. | ||
§§§ |
80.010 | Böll | |
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1) Zur Bedeutung des durch Art.2 Abs.1 iVm Art.1 Abs.1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. | ||
2) Das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art.5 Abs.1 GG) schützt nicht das unrichtige Zitat. | ||
3) Art.5 Abs.1 GG rechtfertigt es auch nicht, eine nach dem Verständnis eines Durchschnittslesers oder Durchschnittshörers vertretbare Interpretation einer mehrdeutigen Äußerung des Kritisierten als Zitat auszugeben, ohne kenntlich zu machen, daß es sich um eine Interpretation des Kritikers handelt. | ||
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T-80-04 | Unrichtige Zitate | |
"2. Diesem Grundrecht entnimmt der Bundesgerichtshof die tragenden Gründe seiner Entscheidung. Er hält die Angriffe gegen den Beschwerdeführer, auch soweit sie die streitigen Zitate betreffen, für durch Art.5 Abs.1 GG gedeckt. Soweit sich diese Beurteilung auf die in dem Kommentar vertretenen Ansichten des Beklagten zu 1) bezieht, ist das verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Wenn der Bundesgerichtshof die Auffassung vertritt, auch die Wiedergabe der Äußerungen des Beschwerdeführers durch den Beklagten halte sich in dem Freiheitsbereich, der durch Art.5 Abs.1 GG gewährleistet sei, kann dem nicht gefolgt werden. | ||
a) Unrichtige Zitate sind durch Art.5 Abs.1 GG nicht geschützt. Es ist nicht ersichtlich, daß die verfassungsrechtlich gewährleistete Meinungsfreiheit einen solchen Schutz fordert. Soweit Werturteile im öffentlichen Meinungskampf in Frage stehen, muß im Interesse des öffentlichen Meinungsbildungsprozesses ohne Rücksicht auf den Inhalt des Urteils die Vermutung für die Zulässigkeit freier Rede sprechen (BVerfGE_7,198 <212> - Lüth, stRspr). Für unwahre Tatsachenbehauptungen gilt das nicht in gleicher Weise. Unrichtige Information ist unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Gut, weil sie der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Aufgabe zutreffender Meinungsbildung nicht dienen kann (vgl BVerfGE_12,113 <130> - Schmid-Spiegel); es kann nur darum gehen, daß die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, daß dadurch die Funktion der Meinungsfreiheit in Gefahr gerät oder leidet: Eine Übersteigerung der Wahrheitspflicht und die daran anknüpfenden, unter Umständen schwerwiegenden Sanktionen könnten zu einer Einschränkung und Lähmung namentlich der Medien führen; diese könnten ihre Aufgaben, insbesondere diejenige öffentlicher Kontrolle, nicht mehr erfüllen, wenn ihnen ein unverhältnismäßiges Risiko auferlegt würde (vgl BGH,NJW_1977,S.1288 [1289 | ||
b) Allerdings kann es für die Gerichte im Einzelfall schwierig sein zu erkennen, ob eine Äußerung richtig wiedergegeben worden ist oder nicht. Wenn der Bundesgerichtshof es hierfür als maßgebend ansieht, wie der Durchschnittsleser oder Durchschnittshörer einerseits das vom Kritisierten Geäußerte, andererseits das Zitat versteht, und wenn er auch ein Zitat als "richtig" beurteilt, das einer anderen nach dem bezeichneten Maßstab vertretbaren Bedeutung des Geäußerten folgt, so kann das verfassungsrechtlich bedenklich erscheinen: Auf diese Weise muß ein breites Spektrum zulässiger Deutungen entstehen, die nicht mehr dem entsprechen, was der Zitierte zum Ausdruck bringen wollte, die auch nach den üblichen Regeln korrekten Zitierens nicht mehr als einwandfreie Wiedergabe des Geäußerten anzusehen sind, die aber dem Leser oder Hörer als Äußerung des Kritisierten unterbreitet werden und damit den Anschein des Wahren und Objektiven erwecken. Ob der Maßstab des Bundesgerichtshofs, der den Anforderungen des Art.2 Abs.1 GG nicht genügt, - etwa im Hinblick auf die Schwierigkeiten einer Abgrenzung - in Art.5 Abs.1 GG eine hinreichende Stütze findet, kann indessen dahinstehen. Jedenfalls rechtfertigt das Grundrecht der Meinungsfreiheit es nicht, eine bei Anlegung dieses Maßstabs vertretbare Interpretation einer mehrdeutigen Äußerung des Kritisierten als Zitat auszugeben, ohne kenntlich zu machen, daß es sich um eine Interpretation des Kritikers handelt. | ||
Das Zitat als Beleg für eine kritische Wertung ist, wie dargelegt, eine besonders scharfe Waffe des Meinungskampfes, die geeignet ist, nachhaltig in das Persönlichkeitsrecht des Kritisierten einzugreifen. In verstärktem Maße gilt dies, wenn die Kritik in der Presse, im Rundfunk, namentlich aber im Fernsehen mit seiner erheblichen Breitenwirkung geäußert wird. Sollen bei dieser Sachlage Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Möglichkeit ausgeschlossen werden, so verpflichtet dies den Zitierenden dazu, die eigene Deutung einer Äußerung, die mehrere Interpretationen zuläßt, als solche kenntlich zu machen. Damit wird die Wiedergabe der Äußerung dorthin gerückt, so wie hingehört: aus dem Bereich des Tatsächlichen in den des Meinungsmäßigen. Eine Verletzung des Rechts am eigenen Wort wird in jedem Fall vermieden. Der Hörer oder Leser kann erkennen, daß es sich um die Äußerung einer Meinung, nicht um die Mitteilung eines Faktums handelt. Er wird genau informiert und erhält eine zuverlässige Grundlage, auf der er sich sein Urteil bilden kann. | ||
An dieser um des Schutzes der Persönlichkeit willen bestehenden Pflicht ändert Art.5 Abs.1 GG nichts. Es ist nicht ersichtlich, daß umfassende Information und freie Meinungsbildung eingeschränkt oder daß öffentliche Kritik unzumutbaren Risiken unterworfen würde, wenn derjenige, der eine Äußerung wiedergeben möchte, erkennbar zu machen hat, ob es sich um die genaue Wiedergabe oder um seine Deutung des Geäußerten handelt. | ||
Im vorliegenden Fall ist der Bundesgerichtshof in Anwendung des von ihm zugrunde gelegten Maßstabs davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer sich in der "Dritten Wuppertaler Rede" und in dem "Spiegel"-Artikel von 1972 mehrdeutig ausgedrückt habe und daß seine Äußerungen deshalb mehrere Deutungen zugelassen hätten. Jede Wiedergabe dieser Äußerungen mußte mithin auf einer Interpretation beruhen. Insoweit hätte deshalb kenntlich gemacht werden müssen, daß es sich um eine Deutung des Kommentators handele, was ohne Aufwand und Zeitverlust möglich gewesen wäre. Statt dessen konnte der Kommentar nur den Eindruck erwecken, es würden eindeutige Aussagen des Beschwerdeführers wiedergegeben. Diese Art und Weise der Wiedergabe war durch Art.5 Abs.1 GG nicht gedeckt. Entfällt aber insoweit der Schutz des Grundrechts der Meinungsfreiheit, dann konnte auch nicht eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers ausgeschlossen werden. Mit dieser Rechtslage hat sich der Bundesgerichtshof nicht auseinandergesetzt. Sie bedeutet zugleich, daß die nach seinen Feststellungen unrichtige Behauptung, der Beschwerdeführer habe den Rechtsstaat als "Misthaufen" bezeichnet, als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts selbständige Bedeutung erhält (vgl oben a)." | ||
Auszug aus BVerfG B, 03.06.80, - 1_BvR_797/78 -, www.dfr/BVerfGE, Abs.26 ff | ||
§§§ |
80.011 | Ablehnung der Revision | |
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* * * | ||
Beschluss | Entscheidungsformel: | |
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T-80-05 | Zu hohe Arbeitslast | |
"3. In Übereinstimmung mit beiden Senaten ist das Plenum des Bundesverfassungsgerichts der Auffassung, daß von Verfassungs wegen die Annahme einer Revision der hier in Rede stehenden Art, die nach der in diesem Stadium gebotenen Prüfung Aussicht auf Erfolg im Endergebnis besitzt, nicht aus Gründen der Selbststeuerung seiner Arbeitslast durch das Revisionsgericht abgelehnt werden darf. Zur Steuerung der Arbeitslast auch gegenüber erfolgversprechenden Revisionen eingesetzt, beschwörte die Ablehnungsregelung die Gefahr einer so unterschiedlichen Handhabung herauf, daß dies nicht mehr als ein auf die einzelne Rechtssache bezogener, sondern von ihr nahezu völlig unabhängiger, mehr oder minder dem Zufall überlassener und mithin willkürlicher Maßstab erschiene. Dies verstieße gegen das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit, Art.3 Abs.1 GG. Da sich eine dahingehende Auslegung des § 554b Abs.1 ZPO schon aus diesem Grunde verbietet, mag dahinstehen, ob eine solche Auslegung auch im Hinblick auf rechtsstaatliche Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit der Ausgestaltung von Rechtsmitteln verwehrt wäre. Nicht zu befinden ist hier ferner darüber, welche verfassungsrechtlichen Erfordernisse sich für ein vom Gesetzgeber eingeführtes echtes Annahmeverfahren im Hinblick auf Zugangsbegehren stellten, die in der Sache selbst Aussicht auf Erfolg besitzen; ein derartiges Regelungssystem steht hier nicht zur Prüfung. | ||
4. Die in §§ 546, 554b Abs.1 ZPO für Divergenzfälle und Grundsatzfälle getroffene Regelung macht deutlich, daß der Gesetzgeber bei der normativen Ausgestaltung des Revisionszugangs den allgemeinen Zwecken der Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung ein vorrangiges Gewicht beigemessen hat. Die in § 554b ZPO für Rechtssachen ohne grundsätzliche Bedeutung getroffene Regelung hat demgegenüber in erster Linie den Sinn, eine verstärkte Gewähr der Einzelfallgerechtigkeit zu erzielen. Denn allgemeine Revisionszwecke sind im Bereich der nichtgrundsätzlichen Fälle erst mittelbar angesprochen, nämlich über die durch die Ablehnungsmöglichkeit eröffnete Selbststeuerung seiner Arbeitslast durch das Revisionsgericht, die einen Spielraum für die gebotene Sachbehandlung von Divergenzfällen und Grundsatzfällen offenhalten soll. | ||
Die Erkenntnis, daß es im Rahmen der von § 554b ZPO für Rechtssachen ohne grundsätzliche Bedeutung getroffenen Regelung verfassungswidrig wäre, die Annahme einer im Endergebnis erfolgversprechenden Revision aus Gründen der Selbststeuerung der Arbeitslast abzulehnen, bedeutet, daß insoweit dem Gesetzeszweck der Gewährleistung der Einzelfallgerechtigkeit ausschlaggebende Bedeutung für die Auslegung der Vorschrift zukommt. Die Beseitigung von Fehlurteilen liegt immer im Sinne des Gesetzeszwecks der Gewährleistung möglichst richtiger Einzelfallentscheidung; im Rahmen der übrigen Zugangsgrenzen und Verfahrensvoraussetzungen sind auch solche Revisionen nach § 554b ZPO an sich statthaft und zulässig. Das Gesetz fordert nicht Gründe für die Annahme, sondern für die Ablehnung des Rechtsmittels. Diese Gründe müssen sich im Rahmen des Gesetzeszwecks halten. Gegenüber erfolgversprechenden Revisionen im dargelegten Sinn könnte sich angesichts des Gesetzeszwecks, in den die Ablehnungsmöglichkeit eingebettet ist, ein solcher Grund allenfalls aus dem Gesichtspunkt einer Entlastung des Revisionsgerichts ergeben, damit hinreichende Arbeitskapazität für Grundsatzfälle verbleibe. Eine solche, vom Revisionsgericht anhand des Einzelfalls gesteuerte und über seine Nichtannahme bewirkte Entlastung stellte indes nichts anderes dar als die Selbststeuerung seiner Arbeitslast durch das Revisionsgericht; diese Auslegung aber wäre verfassungswidrig." | ||
Auszug aus BVerfG PB, 11.06.80, - 1_PBvU_1/79 -, www.dfr/BVerfGE, Abs.47 ff | ||
§§§ |
80.012 | Wirtschaftsasyl | |
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Einem Asylbewerber, der in der Vergangenheit bereits politisch verfolgt worden ist, kann bei Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatstaat der Schutz des Art.16 Abs.2 Satz 2 GG nur dann versagt werden, wenn bei Rückkehr in diesen Staat eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist. | ||
§§§ |
80.013 | Allgemeinverbindlicherklärung II | |
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Die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen welche gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vorseh und regeln, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie verletzt die Außenseiter insbesondere nicht in ihrem Grundrecht auf positive und negative Koalitionsfreiheit (Art.9 Abs.3 GG). | ||
* * * | ||
T-80-06 | Tarifverträge | |
"Die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen ist im Verhältnis zu den ohne sie nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein Rechtsetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtsetzung, der seine eigenständige Rechtsgrundlage in Art.9 Abs.3 GG findet (vgl BVerfGE_34,307 <316 ff>; BVerfGE_44,322 <340>) und nicht an Art.80 Abs.1 GG zu messen ist (BVerfGE_44,322 <349>). Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu 1) geben keinen Anlaß, diese Rechtsprechung zu ändern. | ||
Auch die Rüge des Beschwerdeführers zu 1), die Allgemeinverbindlicherklärung der Sozialtarife des Baugewerbes verstoße gegen Art.72 GG, ist nicht begründet. Die in Art.70 bis 75 GG enthaltenen Kompetenzvorschriften betreffen die Befugnis zum Erlaß von förmlichen Gesetzen. Da die allgemeinverbindlichen tariflichen Rechtsnormen nicht als förmliche Gesetze erlassen werden, sondern auf einem Rechtsetzungsakt eigener Art beruhen, wird der Regelungsbereich der Art.70 bis 75 GG nicht berührt. | ||
1. Die für allgemeinverbindlich erklärten Tarifnormen unterliegen der Bindung an die Grundrechte nach Art.1 Abs.3 GG. Bei der Normsetzung durch die Tarifvertragsparteien handelt es sich um Gesetzgebung im materiellen Sinn (BVerfGE_44,322 <341>). Nach der Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags gelten dessen Rechtsnormen auch für die nichtorganisierten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, soweit sie unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. | ||
2. Das Begehren der Beschwerdeführer, den Normsetzungen der Tarifvertragsparteien über die gemeinsamen Einrichtungen nicht unterworfen zu werden, ist in erster Linie an Art.9 Abs.3 GG zu messen. Dieses Grundrecht schützt für jedermann und für alle Berufe das Recht, sich zu Koalitionen zusammenzuschließen, sowie auch die Koalition als solche und ihr Recht, durch spezifisch koalitionsmäßige Betätigung die in der Vorschrift genannten Zwecke zu verfolgen (BVerfGE_19,303 <312>). Die Koalitionsfreiheit als individuelles Freiheitsrecht umfaßt auch das Recht des Einzelnen, einer Koalition fernzubleiben (vgl BVerfGE_50,290 <367>). | ||
a) Die für allgemeinverbindlich erklärten Sozialtarife des Baugewerbes oder des Malerhandwerks und Lackiererhandwerks begründen für die Beschwerdeführer weder eine Mitgliedschaft in den jeweils beteiligten Arbeitgeberverbänden noch in den gemeinsamen Einrichtungen. Mitglieder der gemeinsamen Einrichtungen werden nur die Berufsverbände selbst (Wiedemann/Stumpf, aaO, § 5 Rdnr.77; § 4 der Satzung der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG; § 3 der Satzung der Urlaubskasse und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft; § 4 der Satzung der Zusatzversorgungskasse des Malerhandwerks und Lackiererhandwerks VVaG). Die Beitragspflicht für die Zwecke der gemeinsamen Einrichtungen führt allein nicht zu einem Personenverband der beitragspflichtigen Arbeitgeber (vgl für die Beitragspflicht zur Bayerischen Ärzteversorgung BVerfGE_10,354 <362>). Es handelt sich insoweit nicht um Mitgliedsbeiträge, sondern um Leistungen für die branchenzugehörigen Arbeitnehmer, die entsprechend den Zielsetzungen der gemeinsamen Einrichtungen über diese als überbetriebliche Verrechnungsstellen den Anspruchsberechtigten zugeleitet werden. Ein gemeinsames ständiges Zusammenwirken irgendwelcher Art, das zum Wesen eines Personenverbandes gehört, ist in den Tarifnormen nicht vorgesehen. | ||
Das Fehlen eines Mitgliedschaftsverhältnisses hat für die Beschwerdeführer allerdings den Nachteil, daß sie die ordnungsgemäße Wahrnehmung ihrer Interessen durch die gemeinsamen Einrichtungen nicht wie organisierte Arbeitge ber mittelbar über die Berufsverbände, die Mitglieder der gemeinsamen Einrichtungen sind, kontrollieren können. Eine Teilhabe an den verbandsinternen, sich unmittelbar aus der Mitgliedschaft ergebenden Mitwirkungsrechten steht den Beschwerdeführern nicht zu, wenn sie nicht zugleich auch die Mitgliedspflichten erfüllen wollen. Dies könnte für die Beschwerdeführer ein Anlaß sein, ihrer an den gemeinsamen Einrichtungen beteiligten Berufsorganisation beizutreten. Soweit sich daraus ein gewisser Druck, Mitglied einer Koalition zu werden, ergibt, ist dieser nicht so erheblich, daß die negative Koalitionsfreiheit verletzt würde (vgl BVerfGE_20,312 <321 f>). Es kann überdies angenommen werden, daß zumindest die gegenseitige Kontrolle der Sozialpartner, die Mitglieder der gemeinsamen Einrichtungen sind, im Ergebnis auch Außenseitern - wie den Beschwerdeführern - zugute kommt (vgl Zöllner, Gutachten für den 48.DJT, Bd.I, Teil G, S.96f; ferner Ballerstedt | ||
b) Die Tarifvertragsparteien haben mit der Vereinbarung der Tarifnormen über die gemeinsamen Einrichtungen ihre aus Art.9 Abs.3 GG abgeleitete Normsetzungsbefugnis nicht überschritten. Die Koalitionen sind im Rahmen ihres durch Art.9 Abs.3 GG gewährleisteten Status insbesondere berechtigt, zur Erreichung der verfassungsmäßig geschützten Zwecke in Tarifverträgen Rechtsnormen mit bindender Wirkung für ihre Mitglieder zu vereinbaren (vgl BVerfGE_28,295 <304f>). Diese Autonomie erfaßt nicht von vornherein alle Angehörigen des jeweiligen Berufskreises (vgl BVerfGE_44,322 <344>). Es kann hier davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien von vornherein die Tarifnormen über die gemeinsamen Einrichtungen der in Rede stehenden Art. über den Kreis ihrer Mitglieder hinaus auf die Einbeziehung der Außenseiter angelegt haben. Der wesentliche Grund für die Schaffung der Sozialkassen als gemeinsame Einrichtungen besteht darin, dem Arbeitnehmer tarifliche Ansprüche zu verschaffen, die von dem einzelnen Arbeitgeber nicht erfüllt werden können (vgl Zöllner, aaO, S.22). Dazu ist es erforderlich, zur Tragung der finanziellen Lasten alle Arbeitgeber eines Berufszweigs heranzuziehen, um die Gefahr einer zufällig überhöhten Belastung des einzelnen zu verhindern. | ||
Eine solche Gestaltung der Tarifnormen enthält aber keine unzulässige Überschreitung der verfassungsrechtlichen Befugnisse der Koalitionen. Zum einen erfüllen die Koalitionen mit der Schaffung von Tarifnormen, die der Allgemeinverbindlicherklärung zugänglich sind und deren allgemeine Geltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint (§ 5 Abs.1 Satz 1 Nr.2 TVG), in besonderem Maße die ihnen durch Art.9 Abs.3 GG zugewiesene öffentliche Aufgabe (vgl BVerfGE_28,295 [304 | ||
c) Die Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifnormen über die gemeinsamen Einrichtungen läßt die positive Koalitionsfreiheit der Beschwerdeführer, also ihr Recht, unberührt, zur Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden oder anderen als den vertragschließenden Koalitionen beizutreten. Es besteht kein Vorrang allgemeinverbindlicher Tarifverträge gegenüber solchen, die nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden sind. Soweit eine Koalition einen Tarifvertrag für ihre Mitglieder abgeschlossen hat, deren Arbeitsverhältnisse gleichzeitig unter den räumlichen, betrieblichen, fachlichen, persönlichen und zeitlichen Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags fallen, ist die Frage, welcher Tarifvertrag maßgebend ist, ohne Rücksicht auf die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Lösungsgrundsätzen für die Tarifkonkurrenz zu entscheiden (vgl Wiedemann/Stumpf, aaO, § 4 Rdnr.159; zu den Grundsätzen im einzelnen vgl Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7.Aufl, 1967, Bd. II 1, S 648 ff; Wiedemann/Stumpf, aaO, § 4 Rdnr.161 - 166). Durch die tatsächlichen Schwierigkeiten, die sich aus der Existenz der bestehenden für die Gründung neuer Koalitionen ergeben, wird die Koalitionsfreiheit nicht beeinträchtigt; ob eine Koalition sich im Arbeitsleben bilden und behaupten kann, wird durch den Wettbewerb unter den verschiedenen Gruppen bestimmt (vgl BVerfGE_18,18 <33>; Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art.9 Rdnr.253). | ||
3. Es verstößt nicht gegen Art.3 Abs.1 GG, daß die Geltung der allgemeinverbindlichen Tarifnormen über die gemeinsamen Einrichtungen in den vorliegenden Fällen auf die Berufsbereiche des Baugewerbes oder des Malerhandwerks und Lackiererhandwerks beschränkt ist. Diese Beschränkung des Geltungsbereic hs hat nach den Feststellungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren einen ausreichenden sachlichen Grund darin, daß in den von den Regelungen erfaßten Berufszweigen hinsichtlich der Fluktuation der Arbeitnehmer besondere Verhältnisse gegeben sind. Daraus erklärt sich die im Verhältnis zu anderen Gewerbezweigen große Bedeutung der gemeinsamen Einrichtungen im Baugewerbe (vgl Zöllner, aaO, S.22), die für andere Berufszweige beispielhaft gewirkt haben (vgl Bötticher, aaO, S.12), auch für das mit dem Bauhauptgewerbe eng verwandte Malerhandwerk und Lackiererhandwerk. | ||
Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich auch nicht daraus, daß die Abgrenzung des Geltungsbereichs der Tarifnormen sich nach der Tarifzuständigkeit der vertragschließenden Parteien richtet. Die Tarifzuständigkeit erstreckt sich hier auf Berufszweige, in denen der Anlaß für die tarifvertragliche Regelung, die erhöhte Fluktuation der Arbeitnehmer, vorhanden ist. Ob in anderen Berufsbereichen ein entsprechendes Bedürfnis besteht, haben die insoweit zuständigen Koalitionen in eigener Verantwortung zu klären. Im Einzelfall auftretende Zweifel über die Zugehörigkeit eines Arbeitgebers zum Geltungsbereich eines Tarifvertrags, wie im Fall des Beschwerdeführers zu 1), sind allein nicht geeignet, die mit der Tarifzuständigkeit verbundene Abgrenzung des Geltungsbereichs der Tarifnormen als willkürlich erscheinen zu lassen. Im Randbereich der Geltung einer Norm lassen sich Unschärfen nicht immer vermeiden. Dadurch wird jedoch die Sachgerechtigkeit der hier gewählten Abgrenzungsregelung nicht in Frage gestellt. Den berechtigten Interessen der Betroffenen kann durch eine gerichtliche Feststellung der Tarifgeltung im Einzelfall ausreichend Rechnung getragen werden." | ||
Auszug aus BVerfG B, 15.07.80, - 1_BvR_24/74 -, www.dfr/BVerfGE, Abs.34 f | ||
§§§ |
80.014 | Amtsbezeichnung | |
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§§§ |
80.015 | Bremer Modell | |
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1) Der gemäß Art.5 Abs.3 Satz 1 GG gebotene besondere Einfluß der Hochschullehrer in Kollegialorganen der Gruppenuniversität kann auch mit Hilfe eines Mehrfachstimmrechts der Professorenvertreter sichergestellt werden; es muß jedoch gewährleistet sein, daß die Hochschullehrer nach der Zahl der ihnen zugewiesenen Sitze in den Gremien angemessen repräsentiert und bei den Beratungen in der Lage sind, ihre möglicherweise unterschiedlichen fachlichen Auffassungen hinreichend zu vertreten. | ||
2) Zur Ausgestaltung des durch Art.5 Abs.3 Satz 1 GG dem Gesetzgeber aufgegebenen Schutzes der Lehrfreiheit der Professoren gegen Störungen. | ||
§§§ |
80.016 | Präklusion | |
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Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, daß in zivilrechtlichen Streitigkeiten Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen worden sind, im Berufungsverfahren ausgeschlossen bleiben (§ 528 Abs.3 ZPO). | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
80.017 | Flugplatz Memmingen | |
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1) Art.28 Abs.2 S.1 GG erlaubt dem Staat eine gesetzliche Einschränkung der Planungshoheit einzelner Gemeinden nur, wenn und soweit sich bei der vorzunehmenden Güterabwägung ergibt, daß schutzwürdige überörtliche Interessen diese Einschränkung erfordern. | ||
2) Die Regelungen der §§ 1 - 5 des Gesetzes zum Schutz gege Fluglärm sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. | ||
3) Bei der Festsetzung der Lärmschutzbereiche nach § 4 des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm hat der Verordnungsgeber den für seine Entscheidung erheblichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln und der Verordnung zugrundezulegen. Dabei steht den in ihrer Planungshoheit betroffenen Gemeinden ein Anhörungsrecht zu. Die Stellungnahmen der Gemeinden hat das jeweils zuständige Land einzuholen und in das Rechtsetzungsverfahren des Bundes einzubringen. | ||
LB 4) Zur abweichenden Meinung der Richter Wand und Niebler, siehe BVerfGE_56,324 = www.dfr/BVerfGE, Abs.67 ff. | ||
LB 5) Zur abweichenden Meinung des Richters Hirsch, siehe BVerfGE_56,347 = www.dfr/BVerfGE, Abs.126 ff. | ||
* * * | ||
Beschluss | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
80.018 | Kinderzuschuss-Enkel | |
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Stellt das Bundesverfassungsgericht fest, daß eine gesetzliche Regelung wegen eines Verstoßes gegen Art.3 Abs.1 GG mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, so ist der Gesetzgeber bei einer Neuregelung gehalten, auch für die Vergangenheit eine den Grundsätzen des allgemeinen Gleichheitssatzes entsprechende Regelung zu erlassen. | ||
* * * | ||
Beschluss | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
80.019 | Heiratsabfindung | |
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1) Die Auslegung des § 1302 Abs.1 RVO, nach der eine Frau im Falle ihrer dritten Eheschließung keine Heiratsabfindung für ihre vordem bezogene Witwenrente erhält, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. | ||
2) Das gleiche gilt insoweit, als § 1291 Abs.2 RVO dahin ausgelegt wird, daß eine Witwenrente nach Auflösung einer dritten Ehe nicht wieder auflebt. | ||
§§§ |
80.020 | Härteklausel | |
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§ 1568 Abs.2 BGB ist mit Art.6 Abs.1 GG nicht vereinbar, soweit danach eine Ehescheidung nach fünfjährigem Getrenntleben der Ehegatten aus nahmslos auszusprechen ist, ohne daß außergewöhnliche Härten mindestens durch eine Aussetzung des Verfahrens begegnet werden kann (Anschluß an BVerfGE_53,224). | ||
* * * | ||
Beschluss | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
80.021 | Falknerjagdschein | |
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Die Regelung des Bundesjagdgesetzes ( § 15 Abs.7 Satz 1 BJagdG in Verbindung mit § 15 Abs.5 Satz 1 BJagdG), wonach Bewerber um den Falknerjagdschein waffentechnische und waffenrechtliche Kenntnisse nachweisen und eine Schießprüfung ablegen müssen, verletzt das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit). | ||
* * * | ||
Beschluss | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
80.022 | Öffentlicher Dienst | |
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1) Art.80 Abs.1 GG ist auf Landesgesetze zwar nicht unmittelbar anzuwenden. Die in dieser Verfassungsvorschrift ausgeprägten, aus dem rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungssystem des Grundgesetzes folgenden Grundsätzen sind aber auch für die Landesgesetzgebung verbindlich. | ||
2) Der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber ging zutreffend davon aus, daß die gesetzliche Ausgestaltung des Nebentätigkeitsrechts, die Kontinuität seiner geschichtlichen Entwicklung, die überkommene Zielsetzung der Vorschriften und deren Zusammenhang mit den die Institution des Berufsbeamtentums prägenden hergebrachten Grundsätzen genügend Vorgaben für die Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß seiner Ermächtigungsnorm (§ 75 Satz 2 Nr.1 LBG und § 75 Satz 2 Nr.2 LBG) enthalten. | ||
3) Dem Gesetzgeber ist es im Blick auf Art.33 Abs.5 GG unbenommen, dem Anreiz zur Übernahme von Nebenbeschäftigungen durch Vorschriften entgegenzuwirken, die die Nebentätigkeitsvergütungen einschränken. | ||
* * * | ||
Beschluss | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
80.023 | Berufsausbildungsabgabe | |
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1) Als außersteuerliche Geldleistungspflicht der Angehörigen einzelner Gruppen stößt die Sonderabgabe auf enge kompetenzrechtliche Grenzen. Sie kann als zusätzliche Belastung einzelner nur erhoben werden, wenn sie sich auf einen besonderen Zurechnungsgrund stützen läßt, der vor den Grundsätzen der bundesstaatlichen Finanzverfassung und vor dem Gebot der Gleichheit aller Bürger vor den öffentlichen Lasten Bestand hat. | ||
2) Die Bewahrung der bundesstaatlichen Ordnungsfunktion und Ausgleichsfunktion der Art.104a bis Art.108 GG macht es unabdingbar, Steuern und außersteuerliche Abgaben eindeutig voneinander abzugrenzen. | ||
3) a) Eine gesellschaftliche Gruppe kann nur dann mit einer Sonderabgabe in Anspruch genommen werden, wenn sie durch eine gemeinsame, in der Rechtsordnung oder in der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorgegebene Interessenlage oder durch besondere gemeinsame Gegebenheiten von der Allgemeinheit und anderen Gruppen abgrenzbar ist, wenn es sich also um eine in diesem Sinne homogene Gruppe handelt. | ||
4) Die Sonderabgabe hat gegenüber der Steuer die seltene Ausnahme zu sein; daraus folgt, daß die Zulässigkeitskriterien strikt auszulegen und anzuwenden sind. | ||
5) Der Gesetzgeber ist bei einer auf längere Zeit angelegten Finanzierung einer in die spezifische Verantwortung einer Gruppe fallenden Aufgabe durch Erhebung einer Sonderabgabe von Verfassungs wegen gehalten, stets zu überprüfen, ob seine ursprüngliche Entscheidung für den Einsatz des gesetzgeberischen Mittels "Sonderabgabe" aufrecht zu erhalten oder ob sie wegen veränderter Umstände, insbesondere wegen Wegfalls des Finanzierungszwecks oder Zielerreichung zu ändern oder aufzuheben ist. | ||
6) Die Berufsausbildungsabgabe nach § 3 Abs.1 Satz 1 Ausbildungsplatzförderungsgesetz stellt sich - gemessen an den dargelegten Kriterien - nicht als Steuer, sondern als zulässige Sonderabgabe dar. Als solche unterfällt sie nicht den für Steuern geltenden Art.104a ff GG. Eine Zustimmung des Bundesrates zum Ausbildungsplatzförderungsgesetz war deshalb nach Art.105 Abs.3 GG nicht erforderlich. | ||
7) Vorschriften über das Verwaltungsverfahren im Sinne von Art.84 Abs.1 GG sind jedenfalls gesetzliche Bestimmungen, die die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden im Blick auf die Art und Weise der Ausführung des Gesetzes einschließlich ihrer Handlungsformen, die Form der behördlichen Willensbildung, die Art der Prüfung und Vorbereitung der Entscheidung, deren Zustandekommen und Durchsetzung sowie verwaltungsinterne Mitwirkungsvorgänge und Kontrollvorgänge in ihrem Ablauf regeln. | ||
8) Das Ausbildungsplatzförderungsgesetz hätte nach Art.84 Abs.1 GG der Zustimmung des Bundesrates bedurft, weil es jedenfalls in § 3 Abs.6 und Abs.8 Nr.3 Vorschriften über das Verwaltungsverfahren enthält. | ||
LB 9) Zur abweichenden Meinung der Richter Rinck, Steinberger und Träger, siehe BVerfGE_55,274 = www.dfr/BVerfGE,Abs.137 ff. | ||
LB 10) Zur abweichenden Meinung des Richters Dr Rottmann, siehe BVerfGE_55,274 = www.dfr/BVerfGE,Abs.141 ff. | ||
LB 11) Zur abweichenden Meinung des Richters Hirsch, siehe BVerfGE_55,274 = www.dfr/BVerfGE,Abs.163 ff. | ||
LB 12) Zur abweichenden Meinung des Richters Dr Niebler siehe BVerfGE_55,274 = www.dfr/BVerfGE,Abs.172 ff. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
80.024 | Hess-Entscheidung | |
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Zum Ermessen der Bundesregierung bei der Schutzgewährung gegenüber fremden Staaten. | ||
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T-80-07 | Schutz deutscher Staatsbürger | |
"Das Oberverwaltungsgericht hat nicht verkannt, daß den Organen der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere der Bundesregierung, von Verfassungs wegen die Pflicht zum Schutz deutscher Staatsangehöriger und ihrer Interessen gegenüber fremden Staaten obliegt (vgl BVerfGE_6,290 <299>; BVerfGE_40,141 <177 f>; BVerfGE_41,126 <182>; OVG Münster, OVGE_17,106; vgl zur Schutzpflicht: Geck, ZaöRV 17 <1956/57>, S.476 ff; Doehring, Die Pflicht des Staates zur Gewährung diplomatischen Schutzes, 1959; Klein, DÖV . 1977, S.704 ff mwN). Es ist ferner zutreffend davon ausgegangen, daß der Bundesregierung hinsichtlich der Frage, ob und in welcher Weise sie Auslandsschutz gewährt, ein weites Ermessen zusteht und daß die Verwaltungsgerichte folglich darauf beschränkt sind, die Handlungen und Unterlassungen der Bundesregierung auf Ermessensfehler hin nachzuprüfen. Diese Auffassung entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach namentlich im außenpolitischen Bereich der Bundesregierung wie allen anderen insoweit zum politischen Handeln berufenen staatlichen Organen allgemein ein breiter Raum politischen Ermessens eingeräumt ist (vgl BVerfGE_40,141 <178>). | ||
Die Weite des Ermessens im auswärtigen Bereich hat ihren Grund darin, daß die Gestaltung auswärtiger Verhältnisse und Geschehensabläufe nicht allein vom Willen der Bundesrepublik Deutschland bestimmt werden kann, sondern vielfach von Umständen abhängig ist, die sich ihrer Bestimmung entziehen. Um es zu ermöglichen, die jeweiligen politischen Ziele der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des völkerrechtlich und verfassungsrechtlich Zulässigen durchzusetzen, gewährt das Grundgesetz den Organen der auswärtigen Gewalt einen sehr weiten Spielraum in der Einschätzung außenpolitisch erheblicher Sachverhalte wie der Zweckmäßigkeit möglichen Verhaltens. | ||
Das Oberverwaltungsgericht hat bei seiner Entscheidung, derzufolge die Bundesregierung das ihr zustehende Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt habe, die Tragweite der Grundrechte des Beschwerdeführers nicht verkannt. Von Verfassungs wegen ist es nicht geboten, daß die Bundesregierung gerade die vom Beschwerdeführer beantragten Maßnahmen zu seinem Schutz ergreift. Die im Berufungsurteil hierzu im einzelnen angestellten Erwägungen begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. | ||
Die Bundesregierung hat in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren und in dem Verfahren der Verfassungsbeschwerde dargelegt, daß sie bereits wesentliche Schritte unternommen hat, um die Freilassung des Beschwerdeführers, dessen Inhaftierung ihrem Machtbereich entzogen ist, zu erwirken; sie will auch weiterhin entsprechende Vorstöße gegenüber den Gewahrsamsmächten unternehmen. Dabei ist sie sich der persönlichen Lage des Beschwerdeführers und der Bedeutung der in bezug auf seine Person auf dem Spiel stehenden Verfassungsgüter offensichtlich bewußt; wegen seines hohen Alters und seines Gesundheitszustands hält sie die weitere Inhaftierung nicht für richtig (vgl ihre Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr W ua vom 30.März 1979, BTDrucks.8/ 2719). Allein aus dem Umstand, daß die bisherigen Schritte der Bundesregierung die Freilassung des Beschwerdeführers nicht haben bewirken können, ergibt sich freilich noch nicht ohne weiteres die verfassungsrechtliche Pflicht der Bundesregierung, nunmehr bestimmte andere Maßnahmen von möglicherweise größerer Tragweite zu ergreifen. Es muß ihrer außenpolitischen Einschätzung und Abwägung überlassen bleiben, inwieweit sie andere Maßnahmen für geeignet und -- gerade auch mit Rücksicht auf die Interessen des Beschwerdeführers selbst wie auf die Belange der Allgemeinheit -- für angebracht hält. Auch von Verfassungs wegen kann es im übrigen nicht beanstandet werden, daß sich die Bundesregierung gegenüber den Gewahrsamsmächten allein auf humanitäre und nicht auch auf rechtliche Gründe für die Freilassung des Beschwerdeführers beruft. Sie geht dabei offensichtlich davon aus, daß die Gewahrsamsmächte und zwar auch die drei westlichen Mächte, nur humanitären Erwägungen zugänglich sind und grundsätzliche Einwände dagegen haben, daß die Frage der Rechtmäßigkeit der Verurteilung und der Inhaftierung des Beschwerdeführers aufgeworfen wird (vgl insbesondere das Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen an den Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers vom 9.März 1979). Es mag deshalb in der Tat auch dahinstehen, wie diese Frage rechtlich zu beurteilen ist und ob sie von der Bundesregierung zutreffend beurteilt wird. Daß die Haltung der Bundesregierung auf einem offensichtlichen Rechtsirrtum oder willkürlicher Einschätzung der politischen Wirkung rechtlicher Argumente auf die Gewahrsamsmächte oder die Weltöffentlichkeit beruht, läßt sich nicht feststellen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß sich die Bundesregierung aufgrund besatzungsrechtlicher Vorbehalte grundsätzlich gehindert sähe, sich für die Freilassung des Beschwerdeführers zu verwenden. Das Oberverwaltungsgericht hat in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, daß die Bundesregierung die politische Tragweite der von ihr zu treffenden Entscheidung für wesentlich gewichtiger hält als die Wirkung rechtlicher Argumente auf die Haltung der Gewahrsamsmächte. Im Hinblick auf das ihr eingeräumte weite Ermessen begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß die Bundesregierung die vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren beantragten Schritte bei der Organisation der Vereinten Nationen zu unternehmen nicht für ratsam hält. Ihre Einschätzung, daß solche Schritte nicht erfolgversprechend wären, kann -- gerade auch bei Berücksichtigung der Haltung der Vereinten Nationen selbst -- nicht als ermessensfehlerhaft angesehen werden. | ||
Dabei mag dahinstehen, ob die Rechtsauffassung der Bundesregierung zur Anwendbarkeit des Art.107 SVN auf den vorliegenden Sachverhalt zutreffend ist. Selbst eine nach Auffassung eines deutschen Gerichts völkerrechtlich unzutreffende Rechtsauffassung, von der die Bundesregierung bei Prüfung der Ermessensvoraussetzungen und der Ausübung ihres Ermessens im Bereich des Auslandsschutzes im Einzelfall ausginge, vermöchte nicht schon die Fehlerhaftigkeit der Ermessensausübung zu begründen. Der gegenwärtigen Völkerrechtsordnung gebricht es weithin an institutionellen Vorkehrungen, etwa einer obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit (vgl Art.36 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs; Waldock, Decline of the optional clause, The British Year Book of International Law, Vol.32, 1955-56, p.244 ff.), vermittels deren die Richtigkeit von Rechtsauffassungen im Streitfall verbindlich festgestellt werden könnte. Der Behauptung des eigenen Rechtsstandpunktes durch einen Staat kommt daher auf internationaler Ebene eine sehr viel größere Tragweite zu als in einer innerstaatlichen Rechtsordnung, in der Gerichte das Recht auch für den Staat verbindlich feststellen. Angesichts dieser Sachlage ist es für die Wahrung der Interessen der Bundesrepublik Deutschland von erheblicher Bedeutung, daß sie auf internationaler Ebene mit einer einheitlichen Stimme auftritt, wahrgenommen von den zuständigen Organen der auswärtigen Gewalt. Im Hinblick darauf obliegt den Gerichten größte Zurückhaltung, etwaige völkerrechtlich fehlerhafte Rechtsauffassungen dieser Organe als Ermessensfehler zu bewerten. Dies wäre allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn sich die Einnahme der fraglichen Rechtsauffassung als Willkür gegenüber dem Bürger darstellte, also unter keinem -- auch außenpolitischen -- vernünftigen Gesichtspunkt mehr zu verstehen wäre. Dies ist hier nicht der Fall. Selbst wenn die Rechtsauffassung, die in dem Schreiben des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts vom 30.Juni 1980 insoweit vertreten wird, nicht zuträfe, führte das im vorliegenden Fall nicht dazu, daß das Verhalten der Bundesregierung, die vom Beschwerdeführer begehrten Schritte bei den Vereinten Nationen nicht einzuleiten, als Willkür im Sinne des Art.3 Abs.1 GG erschiene. Die Bundesregierung hat erwogen, ob rechtliche Argumente insoweit überhaupt eine Erfolgsaussicht im vorliegenden Fall versprechen, und welche Auswirkungen sich daraus für die Belange des Beschwerdeführers wie der Bundesrepublik Deutschland ergeben könnten. Es ist nicht Sache der Gerichte, ihre Einschätzung möglicher Wirkungen solcher Schritte auf internationaler Ebene an die Stelle der Einschätzung durch die Organe der auswärtigen Gewalt zu setzen. Daß die Einschätzung seitens der Bundesregierung auch im Hinblick auf die für den Beschwerdeführer auf dem Spiel stehenden Verfassungsgüter unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt mehr verständlich erschiene, läßt sich nicht feststellen." | ||
Auszug aus BVerfG U, 16.12.80, - 2_BvR_419/80 -, www.dfr/BVerfGE, Abs.39 ff | ||
§§§ |
[ 1979 ] | RS-BVerfG - 1980 | [ 1981 ] [ ] |
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