2003 (1) | ||
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03.001 | Beitragssatzsicherungsgesetz I | |
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LB 1) Die drei Antragsteller sind Inhaber gewerblicher zahntechnischer Labore, die ihre wirtschaftliche Existenz durch das In-Kraft-Treten von Art.6 des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom 23.Dezember 2002 (BGBl I S.4637) für tiefgreifend gefährdet halten. Sie beantragen, die sie betreffende Regelung vorerst nicht in Kraft treten zu lassen, hilfsweise, sie vorläufig außer Vollzug zu setzen. | ||
LB 2) Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung des Art.6 BSSichG eintreten würden, schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen, welche die Antragsteller treffen, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. o b U H ; . ! Ý÷·÷Ó÷Ë÷ƒ÷?÷¼÷ã÷Æ÷à÷k÷x÷^÷Q÷D÷ }m qg Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung des Art.6 BSSichG eintreten würden, schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen, welche die Antragsteller treffen, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. | ||
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T-03-01 | Zahntechnische Labore | |
"1. Die inzwischen eingelegte Verfassungsbeschwerde (1 BvR 24/03) ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Zustandekommen des Gesetzes ohne Zustimmung des Bundesrates und die Frage, ob das Gesetz mit Art.3 Abs.1 und Art.12 Abs.1 GG im Übrigen in Einklang steht, bedürfen der Klärung im Hauptsacheverfahren. | ||
2. Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung des Art.6 BSSichG eintreten würden, schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen, welche die Antragsteller treffen, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. | ||
a) Ergeht die einstweilige Anordnung, erweist sich aber das Gesetz zur Absenkung der Höchstpreise für abrechnungsfähige zahntechnische Leistungen und zur Festlegung einer Rate von Null vom Hundert für die Vereinbarungen der Vergütungen für solche Leistungen später als verfassungsgemäß, drohen dem Gemeinwohl schwere Nachteile. | ||
Die zu erwartenden Einsparungen sind zwar - gemessen an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung - nicht hoch, jedoch für das System der gesetzlichen Krankenversicherung wichtig, solange der Fehlbetrag nicht anderweit kompensiert werden kann. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass jeder Teilbetrag im Beitragssatzsicherungsgesetz erforderlich ist, um insgesamt die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes - zumindest vorläufig bis zu einer Strukturreform - zu erhalten. Deshalb wird diese finanzielle Stabilität in dem Ausmaß gefährdet, in dem die vorgesehenen Preisabsenkungen nicht realisiert werden können. Nach dem Bericht des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages (BTDrucks 15/75, S.1) werden die Minderausgaben durch Einsparungen im zahntechnischen Bereich genauso groß sein wie die Minderausgaben im zahnärztlichen Bereich durch die dort verordnete Nullrunde. Das Beitragssatzsicherungsgesetz sieht ein Paket von Maßnahmen zur Bekämpfung des Defizits im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Das Beitragsaufkommen wird durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze erhöht, das Sterbegeld wird abgesenkt, Ärzten, Zahnärzten und Krankenhäusern werden Nullrunden vorgeschrieben und bei den Arzneimitteln tragen Pharmaunternehmen, Großhandel und Apotheken durch Rabatte zu den Minderausgaben bei. Erst die Summe aller Sparmaßnahmen ergibt eine spürbare Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen. Allen Maßnahmen kommt im Hinblick auf das Gemeinwohl gleich großes Gewicht zu. Infolge der einstweiligen Anordnung träte ein Teil der finanziellen Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2003 nicht ein. Die Krankenkassen müssten sich auf Mehrausgaben einstellen und hierauf gegebenenfalls mit Beitragserhöhungen, mit der Belastung sonstiger Gruppen oder gar mit Einsparungen bei den Leistungen reagieren. | ||
b) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich das Gesetz aber später im Hauptsacheverfahren als verfassungswidrig, drohen den Antragstellern, wie auch den anderen zahntechnischen Betrieben, jedenfalls bis zur Entscheidung in der Hauptsache wirtschaftliche Nachteile. Ein endgültiger und auf Dauer nicht kompensierbarer Schaden ist allerdings nicht anzunehmen. Die von den Antragstellern für den ganzen Berufsstand geltend gemachte Existenzbedrohung ist anhand der vorgelegten Daten nicht nachvollziehbar. Dasselbe gilt auch für die Antragsteller selbst, bei denen zwar das Unternehmerentgelt möglicherweise nicht den durchschnittstypischen Berechnungen entspricht, aber durchaus noch eine existenzsichernde Höhe haben wird. Aus den übersandten Unterlagen ergibt sich, dass viele Betriebe schon in den letzten Jahren mit geringeren Gewinnen oder niedrigeren Geschäftsführergehältern gewirtschaftet haben, als sie von den Antragstellern für das Jahr 2003 erwartet werden. | ||
Die eingereichten Betriebsbögen belegen zugleich, dass Durchschnittsberechnungen nicht aussagekräftig sind, weil zwischen den erzielten Umsätzen und den erzielten Gewinnen keine signifikante Beziehung besteht. Sie machen lediglich deutlich, dass viele Unternehmen über Jahre fortgeführt werden, auch wenn die Betriebsbögen negative Jahresergebnisse ausweisen. Solange nicht nur vereinzelt in einer Branche für die Betriebsinhaber sehr hohe Einkünfte (beispielsweise 150.000 bis 250.000 im Jahr) erwirtschaftet werden, beruhen unterdurchschnittliche Einkünfte (beispielsweise von nur 23.000 im Jahr) nicht notwendig auf den Vergütungsregelungen, sondern können vielfältige Ursachen haben. Nach der aus den Unterlagen sichtbar gewordenen Streubreite der Betriebsergebnisse und der Unternehmereinkünfte ist eine Existenzgefährdung der Branche nicht anzunehmen. | ||
c) Die Abwägung ergibt, dass die Nachteile für das gemeine Wohl bei Erlass der einstweiligen Anordnung diejenigen überwiegen, die den Antragstellern und den gewerblichen zahntechnischen Laboren insgesamt bei der Ablehnung des Antrags drohen. | ||
Die Nachteile für die gewerblichen zahntechnischen Labore sind für den Fall, dass dem Antrag der Erfolg versagt bleibt, zwar nicht unerheblich. Sie haben aber nicht das Gewicht, das erforderlich ist, um ein Gesetz vorläufig außer Vollzug zu setzen oder sein In-Kraft-Treten zu verhindern (vgl BVerfGE_104,23 <27 f>). Das Anliegen des Gesetzgebers, bis zu einer größeren Reform die gesetzliche Krankenversicherung unter Einbeziehung zahlreicher Gruppen sofort finanziell zu entlasten, wiegt schwerer. Denn die negativen Folgen für die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung treten bei einer vorläufigen Aussetzung des Gesetzes sofort ein, können später kaum oder nur unzureichend ausgeglichen werden und beeinflussen die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Dem Gemeinwohlbelang der finanziellen Sicherung der gesetzlichen Krankenversicherung kann nicht entgegengehalten werden, dass die zahntechnischen Leistungen nur einen geringen Anteil an den Gesamtausgaben ausmachen. Bei einem Spargesetz, das viele Gruppen in Anspruch nimmt, ist jeder Teilbeitrag von Bedeutung. Das gesetzgeberische Konzept würde zu Lasten anderer unterlaufen, wenn einzelne Gruppen sich darauf berufen dürften, dass ihr Anteil am Gesamtvolumen eines Spargesetzes für das gesamtwirtschaftliche Interesse minder bedeutsam sei. | ||
Angesichts des Versorgungsauftrags der gesetzlichen Krankenversicherung ist im Rahmen der Folgenabwägung allerdings auch zu berücksichtigen, dass das gemeine Wohl gefährdet wäre, wenn infolge von Art.6 BSSichG das Angebot an zahntechnischen Leistungen die Nachfrage nicht mehr befriedigen könnte. Das ist jedoch nicht anzunehmen. Selbst wenn die Zahl gewerblicher zahntechnischer Labore zurückgehen sollte, ist nach gegenwärtigem Erkenntnisstand eine ausreichende und qualitativ hochstehende Versorgung der Versicherten nicht gefährdet. Dass zur Versorgung der Bevölkerung die derzeit bestehende Anzahl an Laboren erforderlich wäre, lässt sich den verfügbaren Daten nicht entnehmen, nachdem in den letzten Jahren die Zahl der gewerblichen Labore und auch der Praxislabore erheblich gestiegen ist." | ||
Auszug aus BVerfG B, 14.01.03, - 1_BvQ_51/02 -, www.BVerfG.de, Abs.17 ff | ||
§§§ | ||
03.002 | Beitragssatzsicherungsgesetz II | |
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LB 1) Die Antragsteller sind Apotheker. Sie beantragen, die sie betreffenden Regelungen des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom 23.Dezember 2002 (BGBl I S.4637) vorerst nicht in Kraft treten zu lassen, hilfsweise, sie vorläufig außer Vollzug zu setzen. | ||
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T-03-02 | Apotheken | |
"1. Die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Zustandekommen des Gesetzes ohne Zustimmung des Bundesrates und die Frage, ob das Gesetz mit Art.12 Abs.1 GG im Übrigen in Einklang steht, bedürfen der Klärung im Hauptsacheverfahren. | ||
2. Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung des mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Gesetzes eintreten würden, schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen, welche die Antragsteller treffen, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. | ||
a) Wird das Gesetz einstweilen außer Kraft gesetzt, erweist es sich aber später als verfassungsgemäß, entstehen schwere Nachteile für das gemeine Wohl. Der gesetzlichen Krankenversicherung werden ausweislich der Gesetzesmaterialien 0,35 Mrd fehlen, die mit den bisher vorgenommenen oder beabsichtigten Beitragserhöhungen nicht aufgefangen werden (vgl BTDrucks 15/75, S.1). | ||
Die zu erwartenden Einsparungen sind zwar - gemessen an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung - nicht besonders hoch, jedoch für das System der gesetzlichen Krankenversicherung wichtig, solange der Fehlbetrag nicht anderweit kompensiert werden kann. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass jeder Teilbetrag im Beitragssatzsicherungsgesetz erforderlich ist, um insgesamt die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes - zumindest vorläufig bis zu einer Strukturreform - zu erhalten. Deshalb wird diese finanzielle Stabilität in dem Ausmaß gefährdet, in dem die vorgesehenen Preisabsenkungen nicht realisiert werden können. Nach dem Bericht des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages (BTDrucks 15/75, S.1) werden die Minderausgaben der gesetzlichen Krankenkassen durch die die Apotheker belastenden Rabatte in Höhe von 0,35 Mrd. in etwa so hoch sein wie die jeweiligen Einsparungen durch Minderausgaben beim Sterbegeld oder im Krankenhausbereich. Das Beitragssatzsicherungsgesetz sieht ein Paket von Maßnahmen zur Bekämpfung des Defizits im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Erst die Summe aller Sparmaßnahmen ergibt eine spürbare Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen. Allen Einzelmaßnahmen kommt im Hinblick auf das Gemeinwohl gleich großes Gewicht zu. Auch die Hinweise der Antragsteller auf sonstige Einsparpotentiale im System der gesetzlichen Krankenversicherung sind nicht geeignet, die eintretenden Folgen abzumildern, weil diese Maßnahmen nicht bereits am 1.Januar 2003 wirksam werden. | ||
b) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich aber das Beitragssatzsicherungsgesetz im Hauptsacheverfahren als verfassungswidrig, so drohen jedenfalls bis zur Entscheidung in der Hauptsache weder dem gemeinen Wohl noch den Antragstellern und den Apotheken insgesamt schwere Nachteile. | ||
Die vorgelegten Zahlen über die Umsatz- und Gewinnerwartungen sprechen dagegen, dass der bereits geltende 6%ige Apothekenabschlag im abgelaufenen Jahr nicht zu verkraften gewesen wäre. Die hinzugetretene neue Belastung, die hochpreisige Medikamente ab einem Packungspreis von 54,81 betrifft, für die der Abschlag auf 10 vom Hundert oder geringfügig darunter angehoben worden ist, betrifft Medikamente, für die der Festzuschlag der Apotheker bis 543,91 bei 30 vom Hundert und von da an bis 820,22 abnehmend bei bis zu 22 vom Hundert liegt. Hierdurch gehen bei hochpreisigen Medikamenten die Erlöse um ein Drittel bis ein Halb zurück. Zum Anteil dieser Arzneimittel am hier allein interessierenden GKV-Gesamtumsatz der Apotheken enthalten die beigefügten Anlagen allerdings keine Angaben, so dass über das Gewicht der durch das angegriffene Gesetz veranlassten finanziellen Einbußen keine aussagekräftigen Unterlagen vorliegen. | ||
Pauschale Durchschnittsberechnungen lassen insoweit keine Rückschlüsse zu. Das belegen schon die von den Antragstellern mit Schriftsatz vom 13.Januar 2003 mitgeteilten Einzelheiten zu ihren jeweiligen Apotheken. Der Antragsteller zu 1) erzielt danach 80 vom Hundert seines Umsatzes durch Abrechnung mit der gesetzlichen Krankenversicherung. Beim Antragsteller zu 2) vermindert sich dieser Anteil auf 67 vom Hundert, beim Antragsteller zu 3) sogar auf 50 vom Hundert. Ebenso wie für die Höhe der Umsätze mit der gesetzlichen Krankenversicherung sind Lage und Kundenkreis der jeweiligen Apotheke ein bestimmender Faktor für das Geschäftsergebnis aus dem Verkauf hochpreisiger Medikamente. Im Übrigen sind die Zuschläge der Arzneimittelpreisverordnung bei den teureren Medikamenten so bemessen, dass dem Apotheker - auch unter Abzug der Rabatte an die gesetzliche Krankenversicherung - eine nicht unerhebliche Handelsspanne verbleibt. Angesichts des hohen Ausgangspreises ergeben sich auch absolut und pro Packung noch nennenswerte Einnahmen. | ||
Nach der Auffassung des Gesetzgebers ist das Beitragssatzsicherungsgesetz nicht darauf angelegt, dass die Großhändler die sie betreffenden Belastungen auf die Apotheken abwälzen (vgl BTDrucks 15/28, S.20; BT-Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung, Protokoll der 3. Sitzung am 12.November 2002, S.27). Einsparpotentiale wurden auch beim Großhandel gesehen, weil dieser ebenso wie die pharmazeutischen Unternehmen und die Apotheken von der Ausweitung der Arzneimittelausgaben besonders profitiert hätten (vgl BTDrucks 15/28, S.12). Allerdings haben die deutschen Großhändler den Apotheken gegenüber im Wesentlichen gleichlautend angekündigt, dass sie den sie treffenden Zwangsrabatt mit den bisher gewährten Großhandelsrabatten verrechnen werden. Wie stark sich das auswirken wird, hängt wiederum davon ab, zu welchem Anteil ein Apotheker Umsätze mit der gesetzlichen Krankenversicherung tätigt. Die Großhandelsrabatte im Allgemeinen beziehen sich auf alle Lieferungen, so dass sie sich um so weniger vermindern, je weniger der Großhändler einer Apotheke Medikamente liefert, die unter die Regelung des Art.11 BSSichG fallen. | ||
Weitere erhebliche Belastungen treten nicht hinzu. Denn nach den der Verfassungsbeschwerde beigefügten Unterlagen beabsichtigen die Großhändler, anstelle der Apotheken weitgehend die mit dem neuen Gesetz verbundenen Berechnungs- und Vorfinanzierungsaufgaben zu übernehmen. | ||
c) Die Abwägung ergibt, dass die Nachteile für das gemeine Wohl bei Erlass der einstweiligen Anordnung diejenigen überwiegen, die den Antragstellern und den Apotheken insgesamt bei der Ablehnung des Antrags drohen. | ||
Dies gilt, obwohl nicht von der Hand zu weisen ist, dass die geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Auswirkungen auf einzelne Apotheken haben werden. Wie sich allerdings die Belastungen des Beitragssatzsicherungsgesetzes verteilen und welchen Anteil des die Großhändler treffenden 3%igen Abschlags letztlich die Apotheken tragen werden, ist noch nicht zuverlässig vorherzusagen. Voraussichtlich wird sich das Gesamtgefüge des Pharmahandels verändern. Selbst wenn die Apothekendichte (vgl Statistiken der ABDA zur Apothekendichte in den Ländern, http://www.abda.de; die Gesundheitsberichterstattung des Bundes, http://www.gbe-bund.de vom 30.Dezember 2002) infolge der gesetzlichen Neuregelung zurückgehen sollte, ist damit keine Gefährdung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zu befürchten. Die durchschnittliche Apothekendichte liegt gegenwärtig bei 27 Apotheken auf 100.000 Einwohner. Im Saarland kommen 33 Apotheken auf 100.000 Einwohner und in Brandenburg, dem Land mit der geringsten Apothekendichte, immerhin noch 20. 1970 kamen in Westdeutschland 18 Apotheken auf 100.000 Einwohner, und die Versorgung der Bevölkerung war nicht gefährdet. | ||
Nach den verfügbaren Daten durfte der Gesetzgeber gerade bei den Arzneimitteln von erheblichen Einsparpotentialen ausgehen, denn diese belasteten in den letzten sechs Jahren die gesetzliche Krankenversicherung durch einen überproportionalen Kostenanstieg. Allein zwischen 1995 und 2001 sind die Ausgaben für Medikamente um etwa 30 vom Hundert gestiegen. Ihr Anteil an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung ist von 14 vom Hundert auf 17,1 vom Hundert gewachsen. Durchschnittlich stiegen während dieser Zeit die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung aber nur um etwa 10 vom Hundert. In diesem Rahmen hielten sich auch die Steigerungen bei den Ausgaben für ärztliche und zahnärztliche Behandlung; für Zahnersatz und Krankengeld sanken sie sogar. Die Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung haben sich in diesem Zeitraum um 13,6 Mrd erhöht; dabei entfielen 5,9 Mrd auf Arzneimittel (vgl Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Statistik über Ausgaben der GKV, http://www.bmgesundheit.de). Hiervon haben auch die Apotheken profitiert; sie blieben trotz der Erhöhung des Rabatts von 5 vom Hundert auf 6 vom Hundert von Rückgängen verschont, die andere Leistungserbringer im Gesundheitswesen bereits zu verkraften hatten. | ||
Die von den Antragstellern vorgelegten Zahlen und die pauschal berechneten Umsatzrenditen belegen lediglich, dass es infolge des Gesetzes zu einer verschärften Konkurrenzsituation kommen wird. Möglicherweise werden Apotheken auch geschlossen. Solche Marktveränderungen lassen aber keine Gefährdungen für den Berufsstand als solchen und für das gemeine Wohl erwarten, das von der Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ebenso abhängt wie von einer leistungsfähigen und leistungsbereiten Apothekerschaft. | ||
Die den Anträgen beigefügten Unterlagen machen vor allem deutlich, dass es keine signifikanten Beziehungen zwischen dem Umsatz mit den gesetzlichen Krankenversicherungen und den Rohgewinnen gibt. Zu viele Faktoren bestimmen den wirtschaftlichen Erfolg einer Apotheke. Die Antragstellerin zu 4) erwirtschaftete 2001 einen Rohgewinn von etwa 50.000 bei einem Umsatz von gut 520.000 . Die Antragsteller zu 1) und 3) benötigen für etwa dasselbe Geschäftsergebnis mehr als 1,1 Mio Umsatz. Andererseits musste auch die Antragstellerin zu 4) im Jahr 2000, in dem ihr Umsatz noch knapp über 500.000 lag, eine deutliche Gewinnabsenkung auf 38.000 hinnehmen. | ||
Nach allem sind die Nachteile für die Apotheken für den Fall, dass dem Antrag der Erfolg versagt bleibt, zwar nicht unerheblich. Sie haben aber nicht das Gewicht, das erforderlich ist, um ein Gesetz vorläufig außer Vollzug zu setzen oder sein In-Kraft-Treten zu verhindern (vgl BVerfGE_104, 23 <27 f>)." | ||
Auszug aus BVerfG B, 15.01.03, - 1_BvQ_53/02 -, www.BVerfG.de, Abs.13 ff | ||
§§§ | ||
03.003 | Beitragssatzsicherungsgesetz III | |
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LB 1) Die Antragstellerin betreibt europaweit einen Großhandel für Arzneimittel. In Deutschland erzielt sie mit etwa 18 vom Hundert des Gesamtumsatzes des pharmazeutischen Großhandels den zweithöchsten Anteil. Sie beantragt, die sie beschwerenden Regelungen in Art.11 des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom 23. Dezember 2002 (BGBl I S.4637) vorerst nicht In-Kraft-Treten zu lassen, hilfsweise, sie außer Vollzug zu setzen. | ||
LB 2) Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung von Art.11 BSSichG eintreten würden, schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen, welche die Antragstellerin und den pharmazeutischen Großhandel insgesamt treffen, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. ¢ ú ? û ë | o b U H ; . ! Ý÷·÷Ó÷Ë÷ƒ÷?÷¼÷ã÷Æ÷à÷k÷x÷^÷Q÷D÷ = ¨6 die bei einer vorläufigen Aussetzung von Art.11 BSSichG eintreten würden, schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen, welche die Antragstellerin und den pharmazeutischen Großhandel insgesamt treffen, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. | ||
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T-03-03 | Großhandel | |
"1. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Zustandekommen des Gesetzes ohne Zustimmung des Bundesrates und die Frage, ob das Gesetz mit Art.12 Abs.1 GG im Übrigen in Einklang steht, bedürfen der Klärung im Hauptsacheverfahren. | ||
2. Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung von Art.11 BSSichG eintreten würden, schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen, welche die Antragstellerin und den pharmazeutischen Großhandel insgesamt treffen, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. | ||
a) Ergeht die einstweilige Anordnung, erweist sich aber das Gesetz zur Einführung von Abschlägen der pharmazeutischen Großhändler später als verfassungsgemäß, drohen dem gemeinen Wohl schwere Nachteile. | ||
aa) Bei der Folgenabwägung ist von einer vorübergehenden Außerkraftsetzung des Art.11 BSSichG im Ganzen auszugehen. Die von der Antragstellerin angedeutete Möglichkeit, die Apotheker mit Abschlägen zu belasten, die vom Großhandel wegen der einstweiligen Anordnung zunächst nicht eingefordert werden, unterliefe die gesetzliche Regelung. Der Gesetzgeber hat mit Art.11 BSSichG eine Belastung der pharmazeutischen Großhändler angeordnet, deren finanzielle Auswirkungen von den Apothekern an die gesetzliche Krankenversicherung weiterzuleiten sind. Von Gesetzes wegen ist eine eigenständige finanzielle Belastung der Apotheken über die hiermit eventuell verbundene Verwaltungslast hinaus nicht beabsichtigt. Nicht erhaltene Abschläge können die Apotheken aber nicht weiterleiten. | ||
bb) Die infolge einer einstweiligen Anordnung zu erwartenden Mehrausgaben in Höhe von 0,6 Mrd. sind absolut und relativ von erheblicher Bedeutung für das System der gesetzlichen Krankenversicherung, solange der Fehlbetrag nicht anderweit kompensiert wird. Geht man mit dem Gesetzgeber davon aus, dass jeder Teilbeitrag im Beitragssatzsicherungsgesetz erforderlich ist, um die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes - zumindest vorläufig bis zu einer Strukturreform - zu erhalten, wird diese in dem Ausmaß gefährdet, in dem die Rabatte nicht realisiert werden können. Nach dem Bericht des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages (BTDrucks 15/75, S.1) werden die Minderausgaben durch die den pharmazeutischen Großhandel treffenden Abschläge größer sein als die bei Ärzten und Krankenhäusern zusammen. Das Beitragssatzsicherungsgesetz sieht ein Paket von Maßnahmen zur Bekämpfung des Defizits im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Das Beitragsaufkommen wird durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze erhöht, das Sterbegeld wird abgesenkt, Ärzten, Zahnärzten und Krankenhäusern werden Nullrunden vorgeschrieben und bei den Arzneimitteln tragen neben den Großhändlern auch die Pharmaunternehmen und die Apotheken durch Rabatte zu den Minderausgaben bei. Erst die Summe aller Sparmaßnahmen ergibt eine spürbare Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen. Allen Maßnahmen kommt im Hinblick auf das Gemeinwohl gleiches Gewicht zu. | ||
Träte infolge der einstweiligen Anordnung ein Teil der finanziellen Entlastung nicht ein, müssten sich die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Gesetzgeber sofort auf höhere Ausgaben einstellen und hierauf gegebenenfalls mit Beitragserhöhungen, mit der Belastung sonstiger Gruppen oder mit Einsparungen bei den Leistungen reagieren. | ||
b) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich das Gesetz aber später im Hauptsacheverfahren als verfassungswidrig, drohen allerdings der Antragstellerin und sonstigen pharmazeutischen Großhändlern jedenfalls bis zur Entscheidung in der Hauptsache wirtschaftliche Nachteile. Ein endgültiger und auf Dauer nicht kompensierbarer Schaden ist aber nicht anzunehmen. Die vorübergehend zu erwartenden Nachteile sind auch nicht sehr schwerwiegend. | ||
Die Antragstellerin und ihre Konkurrenten auf dem deutschen Markt haben gegenüber den Apotheken angekündigt, dass sie den sie treffenden 3%igen Abschlag mit den bisher gewährten Großhandelsrabatten verrechnen werden. Deshalb werden die pharmazeutischen Großhändler lediglich geringfügige finanzielle Einbußen erleiden. Zum einen geht ein Teil des Arzneimittelumsatzes nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung und ist von der hier angegriffenen Regelung gar nicht betroffen. Insoweit reduzieren sich die von der Antragstellerin geschilderten Nachteile bei der Verrechnung mit früher ausgehandelten Rabatten, soweit der einzelnen Apothekern eingeräumte Rabatt niedriger als der Zwangsabschlag nach Art.11 BSSichG ist. Dieser Niedrigrabattbereich hat nach den Ausführungen der Antragstellerin einen Anteil an ihrem Gesamtumsatz von 13 vom Hundert, betrifft aber nur zum Teil Produkte, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden. Das vergrößert den Spielraum zur Verrechnung mit den dort bisher maßgeblichen Rabatten von durchschnittlich 1,7 vom Hundert. Bei 87 vom Hundert ihres Umsatzes kann die Antragstellerin nach eigenem Vortrag die Belastung voll an die Apotheker weitergeben und diesen dennoch Einkaufsrabatte zwischen 2 und 4 vom Hundert einräumen. Damit liegt auf der Hand, dass die verbleibenden Einbußen nicht von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sind. | ||
Die von der Antragstellerin befürchteten weiteren Nacheile, wie Wanderbewegungen der Kunden und eine Verminderung der Anzahl der Apotheken im Zuge von Insolvenzen, betreffen wirtschaftliche Risiken, die aus dem Marktgeschehen resultieren, an dem die Antragstellerin teilnimmt, wobei der Zusammenhang dieser Folgen mit der vorliegend angegriffenen gesetzlichen Regelung in Art.11 BSSichG nur schwer nachvollziehbar ist. Die Differenzen in der Höhe der Rabattgewährung entsprechen den Effizienzgewinnen beim Großhandel infolge unterschiedlichen Bestellverhaltens der Apotheken; Wanderbewegungen mögen zwar zu Änderungen der für den jeweiligen Kunden maßgebenden Rabatthöhe führen, nicht aber zu Gewinneinbußen des Großhändlers, sofern er seine Rabatte nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten staffelt. Die Antragstellerin hat in diesem Zusammenhang auch nicht dargelegt, dass die Geschäfte, bei denen sie mit 8,9 vom Hundert den höchsten Rabatt auf Arzneimittelbestellungen gewährt, ihre Rendite mehr belasten als die Handelsgeschäfte im Niedrigrabattbereich. | ||
c) Schon wenn die jeweiligen Nachteile der abzuwägenden Folgenkonstellationen einander in etwa gleichgewichtig gegenüber stehen, gebietet es die gegenüber der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers notwendige Zurückhaltung des Gerichts, das angegriffene Gesetz nicht am In-Kraft-Treten zu hindern, bevor geklärt ist, ob es vor der Verfassung Bestand hat (vgl BVerfGE_104,51 <60>). Vorliegend ergibt die Abwägung, dass die Nachteile für das gemeine Wohl bei Erlass der einstweiligen Anordnung diejenigen sogar überwiegen, die der Antragstellerin und dem pharmazeutischen Großhandel insgesamt bei Ablehnung des Antrags drohen. | ||
Eine generelle Gefährdung der Arzneimitteldistribution und eine Minderversorgung der Kranken kann vorliegend ausgeschlossen werden. Die geringfügigen Einbußen, die den Großhändlern verbleiben, sofern es ihnen nicht gelingt, mit den Pharmaherstellern und den Apothekern veränderte Konditionen auszuhandeln, fallen kaum ins Gewicht. Das Gesetz verändert die Rahmenbedingungen, unter denen die Großhändler mit den Pharmaunternehmen auf der einen Seite und den Apotheken auf der anderen Seite die Preise aushandeln. Verkleinert hat sich der Spielraum, den die Arzneimittelpreisverordnung dem Großhandel belässt und der bisher den Apotheken und dem Großhandel, an dem etwa zur Hälfte die Apotheker auch genossenschaftlich beteiligt sind, zugute kam. Voraussichtlich wird sich das Gesamtgefüge des Pharmahandels verändern. Wie letztlich die Belastungen des Beitragssatzsicherungsgesetzes verteilt werden und welchen Anteil des sie treffenden 3%igen Abschlags schließlich die Großhändler tragen, welchen sie an die Pharmaunternehmen weitergeben und inwiefern sie sich bei den Apotheken entlasten können, ist nicht sicher vorherzusagen. | ||
Demgegenüber wiegt das Anliegen des Gesetzgebers, bis zu einer größeren Reform die gesetzliche Krankenversicherung unter Einbeziehung zahlreicher Gruppen sofort finanziell zu entlasten, schwerer. Denn die negativen Folgen für die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung treten bei einer vorläufigen Aussetzung des Gesetzes sofort ein, können später kaum oder nur unzureichend ausgeglichen werden und beeinflussen die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Dem Gemeinwohlbelang der finanziellen Sicherung der gesetzlichen Krankenversicherung kann nicht entgegengehalten werden, dass die Abschläge für den pharmazeutischen Großhandel nur einen geringen Anteil an den Gesamtausgaben darstellt. Bei einem Spargesetz, das viele Gruppen in Anspruch nimmt, ist jeder Teilbeitrag von Bedeutung. Das gesetzgeberische Konzept würde zu Lasten anderer unterlaufen, wenn einzelne Gruppen sich darauf berufen dürften, dass ihr Anteil am Gesamtvolumen eines Spargesetzes für das gesamtwirtschaftliche Interesse minder bedeutsam sei. | ||
Würde das Gesetz außer Kraft gesetzt und verhielten sich die Marktteilnehmer weiter wie bisher, wäre es letztlich unmöglich, nachträglich die an die Kunden weitergereichten Gewinne noch abzuschöpfen. Jedenfalls ist ein Wirtschaftszweig, der seinen Kunden auf einem teilregulierten Markt durchschnittlich in Höhe von 6 bis 7 vom Hundert des Umsatzes Rabatte einräumen kann, wirtschaftlich nicht gefährdet, wenn ihm ein 3%iger Rabatt zugunsten des größten, aber nicht einzigen Endabnehmers auferlegt wird, ohne dass in die Preisgestaltung im Übrigen eingegriffen wird. Diese Aussage bleibt richtig, auch wenn sich der 3%ige Abschlag auf eine andere Ausgangsgröße bezieht und gemessen am Einkaufsumsatz der Apotheker 4,2 vom Hundert - wie in einem der Anschreiben an die Apotheker angekündigt - oder 4,9 vom Hundert - wie von der Antragstellerin behauptet - ausmacht." | ||
Auszug aus BVerfG B, 15.01.03, - 1_BvQ_54/02 -, www.BVerfG.de, Abs.20 ff | ||
§§§ | ||
03.004 | Jugendstrafverfahren | |
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1) Es gehört zu dem von Art.6 Abs.2 Satz 1 GG geschützten Verantwortungsbereich der Eltern, die Rechte ihrer Kinder dem Staat oder Dritten gegenüber zu schützen. Daraus folgt von Verfassungs wegen die Notwendigkeit einer frühzeitigen Beteiligung von Eltern im Jugendstrafverfahren. Vorschriften, die Eltern Beteiligungsrechte entziehen oder sie aus der Hauptverhandlung ausschließen, sind Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Elternrechte. | ||
2) Die Sicherung des Rechtsfriedens durch Strafrecht und die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs in einem justizförmigen Verfahren sind Verfassungsaufgaben, die mit dem elterlichen Erziehungsrecht in Konflikt geraten können. Eine Kollision zwischen dem Elternrecht und dem Verfassungsgebot des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes führt nicht zwangsläufig zu einem Zurückdrängen elterlicher Rechte; sie ist vielmehr durch Abwägung aufzulösen, wobei das betroffene Elternrecht und der strafrechtliche Rechtsgüterschutz zum Ausgleich gebracht werden müssen. | ||
3) Das Recht zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs kann zwar einen Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht erlauben, macht es aber nicht entbehrlich, dass auch dieser Eingriff ein hinreichend bestimmtes Gesetz zur Grundlage hat. | ||
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Urteil | Entscheidungsformel:
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§§§ | ||
03.005 | Rechtsanwaltsgebühren-Ost | |
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Es ist im Hinblick auf die veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Rechtsanwälte mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG nicht mehr vereinbar, dass die gesetzlichen Gebühren von Rechtsanwälten, die ihre Kanzlei in den neuen Ländern eingerichtet haben, um 10 vom Hundert ermäßigt werden (Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr.26 Buchstabe a Satz 1 des Einigungsvertrags iVm § 1 der Ermäßigungssatz-Anpassungsverordnung). | ||
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Urteil | Entscheidungsformel:
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§§§ | ||
03.006 | Elterliche Sorge | |
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1) Das Kindeswohl verlangt, dass das Kind ab seiner Geburt eine Person hat, die für das Kind rechtsverbindlich handeln kann. Angesichts der Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse, in die nichteheliche Kinder hineingeboren werden, ist es verfassungsgemäß, das nichteheliche Kind bei seiner Geburt sorgerechtlich grundsätzlich der Mutter zuzuordnen. | ||
2) Die durch § 1626a Abs.1 Nr.1 BGB den Eltern eines nichtehelichen Kindes eröffnete Möglichkeit zur gemeinsamen Sorgetragung beruht auf einem Regelungskonzept für die elterliche Sorge, das unter Kindeswohlgesichtspunkten den Konsens der Eltern über die gemeinsame Sorgetragung zu deren Voraussetzung macht. Es liegen derzeit keine Anhaltspunkte dafür vor, dass damit dem Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes aus Art.6 Abs.2 GG nicht ausreichend Rechnung getragen wird. | ||
3) In Fällen, in denen die Eltern mit dem Kind zusammenleben und beide ihre Kooperationsbereitschaft schon durch gemeinsame tatsächliche Sorge für das Kind zum Ausdruck gebracht haben, durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass die Eltern die nunmehr bestehende gesetzliche Möglichkeit einer gemeinsamen Sorgetragung in der Regel nutzen und ihre tatsächliche Sorge durch Sorgeerklärungen auch rechtlich absichern. | ||
4) Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die tatsächliche Entwicklung zu beobachten und zu prüfen, ob seine Annahme auch vor der Wirklichkeit Bestand hat. Stellt sich heraus, dass dies regelmäßig nicht der Fall ist, wird er dafür sorgen müssen, dass Vätern nichtehelicher Kinder, die mit der Mutter und dem Kind als Familie zusammenleben, ein Zugang zur gemeinsamen Sorge eröffnet wird, der ihrem Elternrecht aus Art.6 Abs.2 GG unter Berücksichtigung des Kindeswohls ausreichend Rechnung trägt. | ||
5) Eltern, die mit ihrem nichtehelichen Kind zusammengelebt, sich aber noch vor In-Kraft-Treten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 1.Juli 1998 getrennt haben, ist die Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung einzuräumen, ob trotz entgegenstehendem Willen eines Elternteils eine gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht entgegensteht. | ||
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Urteil | Entscheidungsformel:
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§§§ | ||
03.007 | Verfahrensdauer | |
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LB 1) Das Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes fordert - nicht zuletzt im Interesse des Beschuldigten - die angemessene Beschleunigung des Strafverfahrens. Eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens verletzt den Beschuldigten in seinem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren (vgl BVerfGE_63,45 <69>; | ||
LB 2) Ob eine mit dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes nicht im Einklang stehende Verfahrensverzögerung vorliegt, bestimmt sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls (vgl BVerfGE_55,349 <369> zur Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Revisionsverfahrens), die in einer umfassenden Gesamtwürdigung gegeneinander abgewogen werden müssen. | ||
LB 3) Die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zwingt die Strafverfolgungsbehörden dazu, dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs zu berücksichtigen. | ||
LB 4) Die verfassungsrechtlich gebotenen Folgen aus einer Verfahrensverzögerung ziehen Gerichte und Anklagebehörden in Anwendung des Straf- und Strafverfahrensrechts unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls. | ||
LB 5) Ihre Möglichkeiten reichen von einer Einstellung des Verfahrens nach den §§ 153, 153a StPO, einer Beschränkung der Strafverfolgung nach §§ 154, 154a StPO über eine Beendigung des Verfahrens durch das Absehen von Strafe oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt bis hin zu einer Berücksichtigung bei der Strafzumessung. | ||
LB 6) Die erheblichen Verzögerungen, mit denen das Verfahren von den Ermittlungsbehörden und dem Amtsgericht betrieben worden ist und die dadurch bedingte Gesamtdauer des Verfahrens von fast sechs Jahren seit Kenntnis der Beschwerdeführer von der Einleitung des Ermittlungsverfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss sind mit rechtsstaatlichen Anforderungen an die Durchführung eines Strafverfahrens in Jugendsachen nicht vereinbar. | ||
§§§ | ||
03.008 | Impfstoffversand | |
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Das gesetzliche Verbot, Impfstoffe an Ärzte zu versenden und hierfür zu werben, verletzt die Apotheker in ihrem Grundrecht aus Art.12 Abs.1 GG. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ | ||
03.009 | Familienversicherung | |
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§ 10 Abs.3 SGB V verstößt nicht gegen Art.3 Abs.1 in Verbindung mit Art.6 Abs.1 GG, soweit er Ehen und nichteheliche Lebensgemeinschaften in Bezug auf den Ausschluss von Kindern aus der Familienversicherung unterschiedlich behandelt. | ||
§§§ | ||
03.010 | Abgesenkte Ostbesoldung | |
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1) Art.143 Abs.1 und 2 GG ist nicht als spezieller Gleichheitssatz zu verstehen, der die Zulässigkeit einer auf den besonderen Verhältnissen im Beitrittsgebiet beruhenden Differenzierung abschließend regelt. | ||
2) Es besteht kein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne des Art.33 Abs.5 GG, der es dem Besoldungsgesetzgeber verwehrt, die Höhe der dem Beamten gezahlten Bezüge aus sachlich vertretbaren Gründen regional zu differenzieren. | ||
3) Die niedrigere Besoldung für Beamte, Richter und Soldaten in den neuen Ländern gemäß § 73 BBesG und § 2 der 2.BesÜV ist im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz derzeit noch gerechtfertigt. | ||
4) § 73 BBesG stellt für eine dauerhafte Aufrechterhaltung zweier unterschiedlich bemessener Besoldungen in Ost und West keine geeignete Grundlage dar. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ | ||
03.011 | Ostbesoldung-Zuschuss | |
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LB 1) Der Ausschluss von Richtern, die nicht alle laufbahnrechtlichen Vor- und Ausbildungsvoraussetzungen im bisherigen Bundesgebiet erworben haben, von der Gewährung eines Zuschusses gemäß § 4 der 2.BesÜV ist mit Art.3 Abs.1 GG vereinbar. Das mit Erfolg absolvierte rechtswissenschaftliche Studium vermittelt grundlegende fachbezogene Inhalte, die im späteren Amt fortwirken; ihm kommt deshalb laufbahnrechtlich ein bedeutendes Gewicht zu. | ||
LB 2) Eine Besoldungsdifferenzierung, die der Bewältigung von Transformationsproblemen im Zuge der Wiedervereinigung dient, verstößt nicht deshalb gegen das Verbot der Diskriminierung wegen der Heimat (Art.3 Abs.3 Satz 1 GG), weil Personen davon je nach Ausbildung im früheren Bundesgebiet oder im Beitrittsgebiet in unterschiedlicher Weise betroffen sind. | ||
§§§ | ||
03.012 | HIV | |
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Zur Reichweite der Menschenwürdegarantie (Art.1 Abs.1 GG) als Schranke kommerzieller Aufmerksamkeitswerbung (Fortführung von BVerfGE_102,347 - Benetton-Werbung). | ||
LB 2) Die "H.I.V. POSITIVE"-Anzeige unterfällt dem Schutzbereich der Pressefreiheit der Beschwerdeführerin, der auch in Werbeanzeigen enthaltene fremde Meinungsäußerungen umfasst. | ||
LB 3) Berührt eine zivilgerichtliche Entscheidung die Meinungsfreiheit, so fordert Art.5 Abs.1 Satz 1 GG, dass die Gerichte der Bedeutung dieses Grundrechts bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts Rechnung tragen (vgl BVerfGE_7,198 <206 ff>; BVerfGE_86,122 <128 f>; stRspr). | ||
LB 4) Einschränkungen des für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung unverzichtbaren Rechts der freien Meinungsäußerung (vgl BVerfGE_7,198 <208>; stRspr) bedürfen einer Rechtfertigung durch hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange oder schutzwürdige Rechte und Interessen Dritter. | ||
LB 5) Grundlage für die Bewertung jeder Meinungsäußerung ist die Ermittlung ihres Sinns. Dabei kommt es nicht auf nach außen nicht erkennbare Absichten des Urhebers der Äußerung an, sondern auf die Sichtweise eines verständigen Empfängers unter Berücksichtigung der für ihn wahrnehmbaren, den Sinn der Äußerung mitbestimmenden Umstände (vgl BVerfGE_93,266 <295>). | ||
LB 6) Die Menschenwürde setzt der Meinungsfreiheit auch im Wettbewerbsrecht eine absolute Grenze (vgl BVerfGE_102,347 <366 f>). Art.1 Abs.1 GG verpflichtet die staatliche Gewalt, alle Menschen gegen Angriffe auf die Menschenwürde zu schützen. Solche Angriffe können in Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und anderen Verhaltensweisen bestehen, die dem Betroffenen seinen Achtungsanspruch als Mensch absprechen (vgl BVerfGE_1,97 <104>). | ||
LB 7) Die Menschenwürde als Fundament aller Grundrechte ist mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig. Da aber die Grundrechte insgesamt Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde sind, bedarf es stets einer sorgfältigen Begründung, wenn angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts die unantastbare Menschenwürde verletzt (vgl BVerfGE_93,266 <293>). | ||
LB 8) Bei der Auslegung des § 1 UWG gilt das insbesondere auch deshalb, weil bei Annahme eines Verstoßes gegen die Menschenwürde die sonst notwendige Rechtfertigung des Eingriffs in die Meinungsfreiheit durch einen hinreichend wichtigen Belang, insbesondere durch eine Gefährdung des an der Leistung orientierten Wettbewerbs, entfällt. | ||
LB 9) Bei Anwendung dieses Maßstabs trägt der Aufmerksamkeitswerbezweck der Anzeige nicht die Bewertung, die Anzeige sei menschenwürdeverletzend. | ||
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T-03-04 | Menschenwürdegarantie | |
"Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrer durch Art.5 Abs.1 Satz 2 GG gewährleisteten Pressefreiheit. | ||
Die "H.I.V. POSITIVE"-Anzeige unterfällt dem Schutzbereich der Pressefreiheit der Beschwerdeführerin, der auch in Werbeanzeigen enthaltene fremde Meinungsäußerungen umfasst. Eine Meinungsäußerung im Sinne des Art.5 Abs.1 Satz 1 GG ist die Anzeige als sprechendes Bild mit meinungsbildendem, einen gesellschaftlichen Missstand veranschaulichendem Inhalt. Dies gilt trotz des Werbekontextes und obwohl Benetton auf einen Kommentar verzichtet hat. Auf eine bloße Absicht, sich als Unternehmen ins Gespräch zu bringen, kann die Anzeige nicht reduziert werden (vgl BVerfGE_102,347 <359 f>). | ||
Mit dem durch das angegriffene Urteil bestätigten Abdruckverbot wird die Beschwerdeführerin in ihrer Pressefreiheit eingeschränkt. Diese Einschränkung ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Der Bundesgerichtshof verkennt bei seiner wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Anzeige Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit, auf die sich die Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Pressefreiheit berufen kann (vgl BVerfGE_102,347 <359 f>). | ||
1. Berührt eine zivilgerichtliche Entscheidung die Meinungsfreiheit, so fordert Art.5 Abs.1 Satz 1 GG, dass die Gerichte der Bedeutung dieses Grundrechts bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts Rechnung tragen (vgl BVerfGE_7,198 <206 ff>; BVerfGE_86,122 <128 f>; stRspr). Die Auslegung und Anwendung des § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (im Folgenden: UWG), auf den das angegriffene Urteil gestützt ist, ist im Einzelnen Sache der Zivilgerichte. Das Bundesverfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn Fehler erkennbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl BVerfGE_18,85 <92 f>; stRspr). Das ist hier der Fall. | ||
2. Einschränkungen des für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung unverzichtbaren Rechts der freien Meinungsäußerung (vgl BVerfGE_7,198 <208>; stRspr) bedürfen einer Rechtfertigung durch hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange oder schutzwürdige Rechte und Interessen Dritter. Das gilt für kritische Meinungsäußerungen zu gesellschaftlichen oder politischen Fragen in besonderem Maße (vgl BVerfGE_102,347 <363>). Bei einer Einschränkung auf der Grundlage des § 1 UWG muss die Verletzung eines hinreichend wichtigen durch diese Norm geschützten Belangs dargetan werden (vgl BVerfG, 1.Kammer des Ersten Senats, Beschlüsse vom 1.August 2001 - 1 BvR 1188/92 -, NJW 2001, S.3403 <3404 f> und vom 6.Februar 2002 - 1 BvR 952/90, 1 BvR 2151/96 -, NJW 2002, S.1187 <1188 f>). Dass hier solche Belange verletzt wären, bejaht der Bundesgerichtshof zu Unrecht. Er geht zwar zutreffend davon aus, dass die Menschenwürde der Meinungsfreiheit auch im Wettbewerbsrecht eine absolute Grenze setzt (vgl BVerfGE_102,347 <366 f>). Entgegen seiner Annahme ist diese Grenze aber nicht verletzt. | ||
a) Grundlage für die Bewertung jeder Meinungsäußerung ist die Ermittlung ihres Sinns. Dabei kommt es nicht auf nach außen nicht erkennbare Absichten des Urhebers der Äußerung an, sondern auf die Sichtweise eines verständigen Empfängers unter Berücksichtigung der für ihn wahrnehmbaren, den Sinn der Äußerung mitbestimmenden Umstände (vgl BVerfGE_93,266 <295> ). Wie bestimmte Minder- oder Mehrheiten von Rezipienten die Äußerung tatsächlich verstehen, kann ein Argument, muss aber nicht entscheidend sein. Ist der Sinn einer Äußerung umstritten, so ist es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, eine von den Fachgerichten unter Beachtung der grundrechtlichen Anforderungen ermittelte Deutung durch eine andere zu ersetzen (vgl BVerfGE_102,347 <367> ). Zu diesen Anforderungen gehört indessen, dass der Kontext berücksichtigt und der Äußerung kein zur Verurteilung führender Sinn zugeschrieben wird, den sie objektiv nicht haben kann. Umgekehrt dürfen ihr keine entlastenden Aussagegehalte abgesprochen werden, die sie objektiv hat. Bei mehrdeutigen Äußerungen müssen sich die Gerichte im Bewusstsein der Mehrdeutigkeit mit den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten auseinander setzen und für die gefundene Lösung nachvollziehbare Gründe angeben (vgl BVerfGE_93,266 <295 f>; BVerfGE_94,1 <10 f>). | ||
Nach diesem Maßstab ist die Auslegung des Aussagegehalts der Anzeige durch den Bundesgerichtshof im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Bundesgerichtshof meint, die Anzeige treffe überhaupt keine eigene Aussage, diskutiert aber unterschiedliche Verständnisvarianten, welche die Anzeige bei den Rezipienten auslösen könne, und rechnet einzelne Varianten der Anzeige zu. Vom sonst üblichen Vorgang der Ermittlung des Sinns von Äußerungen unterscheidet sich dieses Vorgehen nur terminologisch; was einer Meinungsäußerung als Verständnis der Rezipienten zugerechnet werden kann, ist auch ihr durch Deutung aus dem Empfängerhorizont ermittelter Sinn. | ||
Der Bundesgerichtshof geht unter dieser Annahme davon aus, die Anzeige könne als sozialkritische Botschaft verstanden werden. Nach diesem Verständnis soll der Öffentlichkeit mit der Anzeige die Stigmatisierung H.I.V.-Infizierter als gesellschaftlicher Missstand vor Augen geführt werden. Die Alternative, dass der Anzeige eine die Stigmatisierung H.I.V.-Infizierter befürwortende Botschaft entnommen werden könne, schließt der Bundesgerichtshof mit guten Gründen als unplausibel aus. | ||
Neben den Aussagegehalt hat der Bundesgerichtshof bei seiner Auslegung den Aussagezweck gestellt. Er legt dar, die Anzeige diene ungeachtet ihres sozialkritischen Aussagegehalts dazu, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit absatzfördernd auf das werbende Unternehmen zu lenken. Dabei handelt es sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht um eine alternative Deutung der Anzeige als Meinungsäußerung. Der Aufmerksamkeitswerbezweck als solcher ist keine Meinungsäußerung im Sinne des Art.5 Abs.1 Satz 1 GG. Es liegt eine sozialkritische Meinungsäußerung vor, die zugleich einen eigennützigen Werbezweck verfolgt. | ||
Da der Werbezweck zum Kontext der sozialkritischen Botschaft gehört, kann er deren Deutung beeinflussen. Insoweit ist dem Bundesgerichtshof zu folgen. Sozialkritik und Werbezweck schließen einander hier nicht aus. Der sozialkritische Gehalt der Anzeige und der auf Aufmerksamkeit für das Unternehmen abzielende Aspekt bestehen nebeneinander, ohne einander zu widersprechen. Die Annahme, es sei eigentlich nur das eine oder das andere gewollt, findet in der Anzeige und ihrem Kontext keine Stütze. Dem steht nicht entgegen, dass die Anzeige von Teilen der Bevölkerung möglicherweise nur mit ihrem Aufmerksamkeitswerbeaspekt wahrgenommen wird oder dass andere den Werbehinweis übersehen. Der zugleich fremd- und eigennützige Zweck der Anzeige ist ungewohnt und kann als irritierend empfunden werden. Das mag dazu verleiten, den sozialkritischen Gehalt zu ignorieren oder als pseudokritisch abzutun. Die Meinungsfreiheit gebietet indessen, eine Sichtweise einzunehmen, die so differenziert ist wie die zu bewertende Aussage selbst. Das hat der Bundesgerichtshof getan, indem er festgestellt hat, dass die Anzeige ungeachtet ihres Werbezwecks als Sozialkritik verstanden werden kann. | ||
b) Ausgehend von dieser Analyse kommt der Bundesgerichtshof in seiner Bewertung zu dem Ergebnis, die Anzeige verletze wegen ihres Zwecks die Menschenwürde. Aufmerksamkeitswerbung, die das Elend der Betroffenen zum eigenen kommerziellen Vorteil als Reizobjekt ausbeute, sei mit Art.1 Abs.1 GG unvereinbar. Ein Aufruf zur Solidarität mit Menschen in Not sei zynisch und verletze ihren Anspruch auf Achtung und mitmenschliche Solidarität um ihrer selbst willen, wenn er mit dem Geschäftsinteresse verbunden werde, die eigenen Unternehmensumsätze in einem ganz anderen Bereich zu steigern. | ||
Diese Beurteilung verkennt die Reichweite der Menschenwürde als Schranke der Meinungsfreiheit im Wettbewerbsrecht. Die Menschenwürde setzt der Meinungsfreiheit auch im Wettbewerbsrecht eine absolute Grenze (vgl BVerfGE_102,347 <366 f>). Art.1 Abs.1 GG verpflichtet die staatliche Gewalt, alle Menschen gegen Angriffe auf die Menschenwürde zu schützen. Solche Angriffe können in Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und anderen Verhaltensweisen bestehen, die dem Betroffenen seinen Achtungsanspruch als Mensch absprechen (vgl BVerfGE_1,97 <104> ). Die Menschenwürde als Fundament aller Grundrechte ist mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig. Da aber die Grundrechte insgesamt Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde sind, bedarf es stets einer sorgfältigen Begründung, wenn angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts die unantastbare Menschenwürde verletzt (vgl BVerfGE_93,266 <293>). Bei der Auslegung des § 1 UWG gilt das insbesondere auch deshalb, weil bei Annahme eines Verstoßes gegen die Menschenwürde die sonst notwendige Rechtfertigung des Eingriffs in die Meinungsfreiheit durch einen hinreichend wichtigen Belang, insbesondere durch eine Gefährdung des an der Leistung orientierten Wettbewerbs (vgl. BVerfG, 1.Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 6.Februar 2002 - 1 BvR 952/90, 1 BvR 2151/96 -, NJW 2002, S.1187 <1188>), entfällt. | ||
Bei Anwendung dieses Maßstabs trägt der Aufmerksamkeitswerbezweck der Anzeige nicht die Bewertung, die Anzeige sei menschenwürdeverletzend. Die Anzeige benennt das Elend der Aidskranken und überlässt dem Betrachter die Interpretation. In eine Botschaft, die den gebotenen Respekt vermissen ließe, indem sie etwa die Betroffenen verspottet, verhöhnt oder erniedrigt oder das dargestellte Leid verharmlost, befürwortet oder in einen lächerlichen oder makabren Kontext stellt, wird sie durch den Werbezweck nicht verwandelt. Allein der Umstand, dass das werbende Unternehmen von der durch die Darstellung erregten öffentlichen Aufmerksamkeit auch selbst zu profitieren versucht, rechtfertigt den schweren Vorwurf einer Menschenwürdeverletzung nicht. Der Schutz der Menschenwürde rechtfertigt im Rahmen des § 1 UWG unabhängig vom Nachweis einer Gefährdung des Leistungswettbewerbs ein Werbeverbot, wenn die Werbung wegen ihres Inhalts auf die absolute Grenze der Menschenwürde stößt. Wird diese Grenze beachtet, kann nicht allein der Werbekontext dazu führen, dass eine ansonsten zulässige Meinungsäußerung die Menschenwürde verletzt. Wohl kann die Anzeige, indem sie Leid nicht im sonst üblichen politischen, karitativen oder berichterstattenden, sondern in einem kommerziellen Kontext thematisiert, als befremdlich empfunden oder für ungehörig gehalten werden (vgl BVerfGE_102,347 <363>). Ein ausschließlich oder vorrangig auf das Leid selbst bezogener Umgang mit derartigen Themen mag moralisch vorzugswürdig sein, durch Art.1 Abs.1 GG geboten ist er nicht. | ||
c) Der Bundesgerichtshof hält die Anzeige auch deshalb für sittenwidrig, weil sie bei einem nicht unerheblichen Teil der Betrachter Gefühle von Angst und Bedrohung durch Aids auslösen könne und die von Aids Betroffenen und ihre Angehörigen in unzumutbarer Weise in Form der Werbung mit ihrer Not konfrontiere. Auch diese ergänzenden Erwägungen schließen die Annahme eines Verfassungsverstoßes nicht aus. Hinsichtlich der vom dargestellten Leid Betroffenen gilt das selbst dann, wenn ein Teil von ihnen angesichts der kommerziellen Motivation der Anzeige auf deren aufrüttelnde Wirkung lieber verzichten würde. Eine solche Haltung wäre verständlich, auch wenn es anderen Betroffenen wichtiger sein mag, die Öffentlichkeit mit dem Thema in Kontakt zu halten. Jedenfalls solange die Werbeanzeige wie hier die Not H.I.V.-Infizierter unter Achtung der Menschenwürde thematisiert, ist damit jedoch die Verletzung eines hinreichend schützenswerten Interesses der Betroffenen nicht dargetan. Dass schließlich auch der Gesichtspunkt des Schutzes der Bevölkerung vor unzumutbaren Belästigungen durch Werbemaßnahmen das Verbot der Anzeige nicht zu rechtfertigen vermag, hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl BVerfGE_102,347 <363 f>). | ||
Wollte man kommerziellen Werbeanzeigen wegen des mit ihnen stets verbundenen Eigennutzes die Thematisierung von Leid verbieten, hätte ein wesentlicher Teil der Realität in der allgegenwärtigen, Sichtweisen, Werte und Einstellungen der Menschen nicht unerheblich beeinflussenden Werbewelt von vornherein keinen Platz. Das kann angesichts des besonders schützenswerten Interesses an der Thematisierung gesellschaftlicher Probleme (vgl BVerfGE_28,191 <202>) kein mit der Meinungs- und der Pressefreiheit vereinbares Ergebnis sein." | ||
Auszug aus BVerfG B, 11.03.03, - 1_BvR_426/02 -, www.BVerfG.de, Abs.15 ff | ||
§§§ | ||
03.013 | 5%-Sperrklausel | |
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LB 1) Das Landesorganstreitverfahren ( Art.99 GG, § 13 Nr.10 BVerfGG) betrifft die Frage, ob der Antragsgegner dadurch die Rechte der Antragstellerin verletzt hat, dass er anlässlich der Änderung des Gesetzes über die Wahlen in den Gemeinden und Kreisen in Schleswig-Holstein (Gemeinde- und Kreiswahlgesetz in der Fassung vom 19.März 1997, GVOBl S.152 - GKWG -) durch Gesetz vom 10.Oktober 2001 (GVOBl S.180) die 5 v.H.-Sperrklausel bei Kommunalwahlen beibehalten hat. | ||
LB 2) Aus dem Sinn des prozessualen Begehrens und der Begründung der Anträge (vgl BVerfGE_1,14 <39>; BVerfGE_68,1 <68>) ergibt sich, dass die Antragstellerin auch mit dem Hauptantrag ein gesetzgeberisches Unterlassen, nicht aber eine Maßnahme im Sinne des § 64 Abs.1 BVerfGG (vgl BVerfGE_4,144 <147 f>; BVerfGE_60,53 <63>) angreift. Damit wird der Verfahrensgegenstand nicht ausgetauscht, sondern der Sinn des Begehrens der Antragstellerin klargestellt (vgl BVerfGE_68,1 <69>). | ||
LB 3) Die damit aufgeworfene, bislang vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschiedene Frage, unter welchen Voraussetzungen eine bloße Untätigkeit des Gesetzgebers im Wege des Organstreitverfahrens angreifbar ist (vgl BVerfGE_92,80 <87>; BVerfGE_103,164 <168 f> ; zustimmend VerfGH Rheinland-Pfalz, DVBl 1972, S.783 <784 f>; VerfGH Nordrhein-Westfalen, DVBl 1999, S.1271; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, NordÖR 2001, S.64 <65>), bedarf auch hier keiner abschließenden Antwort. Die Organklage bliebe in jedem Fall unzulässig, weil die Antragstellerin zwar antragsbefugt wäre (a), sie aber jedenfalls die Frist des § 73 Abs.2 BVerfGG iVm § 64 Abs.3 BVerfGG nicht eingehalten hat (b). | ||
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T-03-05 | Organklage | |
"Die Organklage ist jedenfalls wegen Fristversäumung unzulässig (§ 73 Abs.2 BVerfGG iVm § 64 Abs.3 BVerfGG). | ||
1. Die Antragstellerin wendet sich nach dem Wortlaut ihres Hauptantrags dagegen, dass der Antragsgegner bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 10.Oktober 2001 beschlossen habe, die 5 v.H.-Sperrklausel in § 10 Abs.1 GKWG beizubehalten. Ihre Hilfsanträge richten sich dagegen, dass der Antragsgegner es unterlassen habe, bei der Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes durch das Gesetz vom 10.Oktober 2001 die 5 vH-Sperrklausel des § 10 Abs.1 GKWG aufzuheben, abzumildern oder zu überprüfen. | ||
Aus dem Sinn des prozessualen Begehrens und der Begründung der Anträge (vgl BVerfGE_1,14 <39>; BVerfGE_68,1 <68>) ergibt sich, dass die Antragstellerin auch mit dem Hauptantrag ein gesetzgeberisches Unterlassen, nicht aber eine Maßnahme im Sinne des § 64 Abs.1 BVerfGG (vgl BVerfGE_4,144 <147 f>; BVerfGE_60,53 <63>) angreift. Damit wird der Verfahrensgegenstand nicht ausgetauscht, sondern der Sinn des Begehrens der Antragstellerin klargestellt (vgl BVerfGE_68,1 <69>). | ||
a) Der Erlass des Änderungsgesetzes vom 10.Oktober 2001 kommt als Maßnahme im Sinne des § 64 Abs.1 BVerfGG nicht in Betracht. In dem Erlass des Gesetzes unter Beibehaltung der Sperrklausel liegt kein unvollständiges Handeln des Gesetzgebers (vgl BVerfGE_92,80 <87>; BVerfGE_103,164 <169>), denn es fehlt an einem sachlichen Zusammenhang zwischen dem Änderungsgesetz vom 10.Oktober 2001 und der Sperrklausel, auf Grund dessen der Gesetzgeber verpflichtet gewesen sein könnte, bei der Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes zugleich auch die Regelung über die Sperrklausel zu novellieren. Mit der Gesetzesänderung ist keine Veränderung der normativen Grundlagen der Sperrklausel, die der Begründung ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dienten, einhergegangen. | ||
Das Änderungsgesetz vom 10.Oktober 2001 regelt ausschließlich die einmalige Verlängerung der Wahlperiode und die Verschiebung des Wahltermins auf den Monat Mai. Die Sperrklausel wird von diesen Änderungen nicht berührt. Dementsprechend wurde auch weder im Gesetzentwurf vom 28.Juni 2001 noch im anschließenden Gesetzgebungsverfahren die Überprüfung oder Änderung der Sperrklausel erwogen. Die Sperrklausel war allein Gegenstand des mit diesem Gesetzgebungsvorhaben in keinem Zusammenhang stehenden Entschließungsantrags der FDP-Fraktion, der sich während der Dauer des Gesetzgebungsverfahrens im Sonderausschuss "Fortschreibung des kommunalen Verfassungsrechts" zur weiteren Beratung befand. Es kann deshalb auch nicht angenommen werden, der Antragsgegner habe mit der Beschlussfassung am 28.September 2001 konkludent zum Ausdruck gebracht, die Sperrklausel aufrechterhalten zu wollen. Die Ablehnung des Antrags der FDP-Fraktion durch Beschluss des Landtags vom 19.Juni 2002 hat die Antragstellerin nicht mit der Organklage angegriffen. 27 | ||
b) Angriffsgegenstand des auf Nachbesserung und Überprüfung gerichteten Klagebegehrens der Antragstellerin kann auch nicht die angeblich nachbesserungsbedürftige Norm (§ 10 Abs. 1 Satz 1 GKWG) selbst sein. Als Gegenstand eines Organstreitverfahrens kommt allenfalls der Erlass der Norm in Betracht (vgl BVerfGE_2,143 <177>; BVerfGE_20,119 <129>; BVerfGE_20,134 <141>; BVerfGE_99,332 <337>). Der Erlass der Norm wird indes nicht angegriffen, wenn die Antragstellerin rügt, der Antragsgegner habe es versäumt, die Sperrklausel des § 10 Abs.1 Satz 1 GKWG den sich im Laufe der Zeit gewandelten Umständen anzupassen oder sie zumindest zu überprüfen. Damit macht sie vielmehr geltend, der Gesetzgeber habe eine Pflicht nicht befolgt, die nach Erlass der Norm neu entstanden sei. Sie rügt mithin ein erst nach Erlass der Norm zu Tage getretenes gesetzgeberisches Unterlassen. | ||
2. Die damit aufgeworfene, bislang vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschiedene Frage, unter welchen Voraussetzungen eine bloße Untätigkeit des Gesetzgebers im Wege des Organstreitverfahrens angreifbar ist (vgl BVerfGE_92,80 <87>; BVerfGE_103,164 <168 f> ; zustimmend VerfGH Rheinland-Pfalz, DVBl 1972, S.783 <784 f>; VerfGH Nordrhein-Westfalen, DVBl 1999, S. 1271; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, NordÖR 2001, S.64 <65>), bedarf auch hier keiner abschließenden Antwort. Die Organklage bliebe in jedem Fall unzulässig, weil die Antragstellerin zwar antragsbefugt wäre (a), sie aber jedenfalls die Frist des § 73 Abs.2 BVerfGG iVm § 64 Abs.3 BVerfGG nicht eingehalten hat (b). | ||
a) Die Antragsbefugnis ist entsprechend § 64 Abs.1 BVerfGG (vgl BVerfGE_27,44 <51>; BVerfGE_60,53 <63>) gegeben, wenn nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass der Antragsgegner Rechte der Antragstellerin, die aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten erwachsen, durch das beanstandete gesetzgeberische Unterlassen verletzt oder unmittelbar gefährdet hat (vgl BVerfGE_94,351 <362 f>; BVerfGE_99,19 <28>). Dies setzt voraus, dass sich die Antragstellerin auf eine Verfassungsnorm berufen kann, aus der sich eine Pflicht zum Tätigwerden des Gesetzgebers und damit korrespondierend ein ihr zustehendes Recht ergeben kann. | ||
aa) Aus dem in Art.21 Abs.1 GG, Art.3 Abs.1 iVm Art.2 Abs.1 und 2 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein gewährleisteten Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien kann sich eine Pflicht des Gesetzgebers und ein entsprechender Anspruch der politischen Parteien ergeben, eine die Chancengleichheit berührende Norm des Wahlrechts zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern, wenn die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Norm durch eine Entwicklung in Frage gestellt wird, die bei ihrem Erlass nicht abzusehen war. Es kann sich die vom Wahlgesetzgeber vorausgesetzte tatsächliche oder normative Grundlage geändert oder die bei Erlass der Bestimmung getroffene Prognose als irrig erwiesen haben (vgl BVerfGE_73,40 <94>; BVerfGE_82,322 <338 f>). | ||
bb) Die Antragstellerin hat solche Umstände, die im Zeitpunkt der Novellierung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes durch das Gesetz vom 10.Oktober 2001 eine Rechtspflicht des Antragsgegners zur Aufhebung, Änderung oder Überprüfung der Sperrklauselregelung in § 10 Abs.1 Satz 1 GKWG hätten begründen können, nicht dargelegt (§§ 75, 23 Abs.1 Satz 2 BVerfGG). Ihrem Vorbringen lässt sich nicht entnehmen, inwiefern sich die für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Sperrklausel maßgeblichen Grundlagen verändert haben sollen. | ||
Die Antragstellerin trägt nur vor, der Antragsgegner sei auf Grund des Entschließungsantrags der FDP-Fraktion und der hierüber geführten Plenardebatte am 1.Juni 2001 verpflichtet gewesen, die Sperrklausel in § 10 Abs.1 Satz 1 GKWG aufzuheben, abzumildern oder zumindest zu überprüfen. Es sei Grundtenor der Debatte gewesen, an der Sperrklausel müsse nicht zwingend festgehalten werden; einige Fraktionen hätten sogar die Ansicht vertreten, die Sperrklausel sei verfassungswidrig. Damit beruft sich die Antragstellerin lediglich auf allgemein-politische Anliegen einzelner Fraktionen, die eine möglicherweise aus veränderten tatsächlichen oder rechtlichen Rahmenbedingungen folgende Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht jedoch nicht zum Gegenstand hatten. | ||
Soweit in der Plenardebatte pauschal darauf hingewiesen wurde, die Erfahrungen anderer Länder, zB Baden-Württembergs, machten deutlich, dass die für die Sperrklausel angeführte Begründung - Sicherung der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen - nicht oder nicht mehr trage, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Allein damit wird ein für den Normbereich des § 10 Abs.1 Satz 1 GKWG bedeutsamer tatsächlicher Umstand, der zu einer neuen verfassungsrechtlichen Bewertung führen könnte, nicht aufgezeigt. Denn für die Einschätzung des Antragsgegners, ob die Sperrklausel aufrechtzuerhalten sei, ist grundsätzlich nicht von Bedeutung, wie andere Länder die Funktionsfähigkeit ihrer Kommunalvertretungen beurteilen und welche rechtlichen Vorkehrungen sie diesbezüglich für erforderlich halten. | ||
Der Antragsgegner ist nicht schon deshalb verpflichtet, die Einführung einer Sperrklausel zu unterlassen oder diese aufzuheben, weil andere Länder ohne sie auskommen (vgl BVerfGE_1,208 <259>; BVerfGE_6,104 <119 f>; BVerfGE_12,139 <143>; BVerfGE_82,322 <338>); bei der Beurteilung der Sperrklausel sind die Verhältnisse im Lande Schleswig-Holstein maßgebend (vgl. BVerfGE_1,208 <259>; BVerfGE_82,322 <338>). Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn mit einem anderen Land, dessen Kommunalwahlrecht keine Sperrklausel kennt, wesentliche Übereinstimmungen in den Kommunalverfassungen (Aufgabenverteilung zwischen der Kommunalvertretung, dem Hauptverwaltungsbeamten und den Ausschüssen), in den Kommunalwahlgesetzen, in der Struktur der Kommunen, in der Parteienlandschaft und im bürgerschaftlichen Engagement in Wählergruppen oder als Einzelbewerber bestünden. Derartige Umstände sind jedoch von der Antragstellerin weder dargelegt worden noch sind solche ersichtlich. | ||
Gleichwohl ist die Antragstellerin antragsbefugt, weil sich der normative Rahmen der Sperrklausel offenkundig durch das Gesetz zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechts 1995 vom 22.Dezember 1995 (GVOBl 1996, S.33) verändert hat, mit dem die Direktwahl der hauptamtlichen Bürgermeister und der Landräte eingeführt wurde. Durch diese Veränderung könnte der Sperrklausel die verfassungsrechtliche Rechtfertigung entzogen und eine Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht des Antragsgegners begründet worden sein, die im Zeitpunkt der Novellierung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes durch das Gesetz vom 10.Oktober 2001 fortbestand. | ||
b) aa) Der Geltendmachung einer derartigen Rechtsverletzung im vorliegenden Organstreitverfahren steht jedoch der Fristablauf entgegen (§ 73 Abs.2 BVerfGG iVm § 64 Abs.3 BVerfGG). Die Ausschlussfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG gilt auch dann, wenn der Gesetzgeber die angeblich unerfüllte gesetzgeberische Handlungspflicht nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern fortdauernd nicht befolgt hat (fortdauerndes Unterlassen, vgl BVerfGE_92,80 <89>; BVerfGE_103,164 <170>). Sie bezweckt, im Organstreitverfahren angreifbare Rechtsverletzungen im Interesse der Rechtssicherheit nach einer bestimmten Zeitspanne außer Streit zu stellen (vgl BVerfGE_80,188 <210>). Dieses Interesse besteht auch bei fortdauerndem gesetzgeberischen Unterlassen. Wann in einem solchen Fall die Antragsfrist zu laufen beginnt, lässt sich nicht generell und für alle Fallgestaltungen festlegen. Die Frist wird allerdings spätestens dadurch in Lauf gesetzt, dass sich der Gesetzgeber erkennbar und eindeutig weigert, in der Weise tätig zu werden, die der Antragsteller zur Wahrung der Rechte aus seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält (vgl BVerfGE_92,80 <89> mwN BVerfGE_103,164 <171>; stRspr) | ||
bb) Der Antragsgegner hat das Gesetz zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechts 1995 vom 22.Dezember 1995 am 11.Januar 1996 verkündet. Dadurch hat er es für die Antragstellerin, die sich zu diesem Zeitpunkt als politische Partei am Verfassungsleben in Schleswig-Holstein beteiligt hatte, erkennbar abgelehnt, die Regelung über die 5 vH-Sperrklausel aufzuheben, abzumildern oder zu überprüfen (vgl BVerfGE_103,164 <171>). Ändert der Gesetzgeber Vorschriften, die bisher zur Begründung der Sperrklausel dienten, so bringt er damit zum Ausdruck, dass er die Rechtslage, die er durch die Rechtsänderung herbeiführt, nicht für verfassungswidrig hält und sich zu weiteren Rechtsänderungen nicht veranlasst sieht. Dies macht er mit der Verkündung des Änderungsgesetzes deutlich (vgl BVerfGE_103,164 <171>); zu diesem Zeitpunkt gilt das Gesetz als allgemein bekannt geworden (vgl BVerfGE_16,6 <18 f>; BVerfGE_24,252 <258>; BVerfGE_103,164 <171 f>). Die demnach mit Verkündung des Gesetzes vom 22.Dezember 1995 in Lauf gesetzte Frist des § 64 Abs.3 BVerfGG war bei Eingang des Antrags im vorliegenden Verfahren am 25.März 2002 verstrichen. | ||
cc) Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus der Entscheidung des Senats vom 13.Juni 1989 (BVerfGE_80,188 <210 ff>). Danach ist eine Vorschrift der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages erst von dem Zeitpunkt an als Maßnahme im Sinne von § 64 Abs.3 BVerfGG zu beurteilen, zu dem sie beim Antragsteller eine aktuelle rechtliche Betroffenheit auslöst. Wahlgesetze und wahlrechtlich bedeutsame Maßnahmen oder Unterlassungen führen unmittelbar zur rechtlichen Betroffenheit einer politischen Partei, ohne Rücksicht auf ihren Willen zur Beteiligung an der nächsten Wahl (vgl BVerfGE_92,80 <91>; BVerfGE_103,164 <170 ff>). Zum Begriff der politischen Partei im Sinne des Art.21 Abs.1 GG gehört ihr grundsätzlicher Wille, an Wahlen im Bund oder in den Ländern teilzunehmen (vgl BVerfGE_6,367 <372 f>; BVerfGE_24,260 <263 f>; BVerfGE_79,379 <384>; BVerfGE_92,80 <88, 91>; BVerfGE_103,164 <170>). Wahlgesetze und wahlrechtlich bedeutsame Maßnahmen oder Unterlassungen des Gesetzgebers betreffen daher unmittelbar den verfassungsrechtlichen Status der Parteien (vgl BVerfGE_92,80 <88, 91>; BVerfGE_103,164 <170>). | ||
3. Sämtliche anderen zwischen dem Erlass des Gesetzes zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechts 1995 vom 22.Dezember 1995 und dem Erlass des Gesetzes zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 10.Oktober 2001 verabschiedeten Änderungen des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalverfassung hatten - wie das Gesetz zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 10.Oktober 2001 selbst - keine Auswirkungen auf die Sperrklauselregelung. Sowohl das Änderungsgesetz vom 27.Februar 1997 (Herabsetzung des aktiven Wahlalters) als auch das Änderungsgesetz vom 18.März 1997 (Verlängerung der Frist für die Stichwahl der hauptamtlichen Bürgermeister - vgl BVerfGE_103,164 <170>) sowie das Änderungsgesetz vom 16.Dezember 1997 (Unvereinbarkeit von Amt und Mandat) stehen mit der Sperrklauselregelung in keinem Zusammenhang. Ob das Gleiche für nach dem 10.Oktober 2001 vorgenommene Änderungen des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalverfassung gilt, bedarf keiner Erörterung. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, ob es der Antragsgegner im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsgesetzes vom 10.Oktober 2001 pflichtwidrig unterlassen hat, die Sperrklausel in § 10 Abs.1 Satz 1 GKWG zu korrigieren oder zumindest zu überprüfen (vgl BVerfGE_68,1 <63, 68 f>; BVerfGE_73,1 <28>)." | ||
Auszug aus BVerfG B, 11.03.03, - 2_BvK_1/02 -, www.BVerfG.de, Abs.22 ff | ||
§§§ | ||
03.014 | Handy-Überwachung | |
| ||
1) Die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten können sich zum Schutz der Vertraulichkeit der Informationsbeschaffung und der Redaktionsarbeit auf das Fernmeldegeheimnis aus Art.10 GG und insoweit auch auf die Rechtsschutzgarantie des Art.19 Abs.4 GG berufen. | ||
2) Richterliche Anordnungen gegenüber Telekommunikationsunternehmen, im Rahmen der Strafverfolgung Auskunft über die für Abrechnungszwecke bereits vorhandenen oder in Durchführung einer Zielwahlsuche zu ermittelnden Verbindungsdaten zu erteilen, greifen in das Fernmeldegeheimnis des von der Auskunft Betroffenen ein. | ||
3) Derartige Eingriffe sind nur gerechtfertigt, wenn sie zur Verfolgung einer Straftat von erheblicher Bedeutung erforderlich sind, hinsichtlich der ein konkreter Tatverdacht besteht und wenn eine hinreichend sichere Tatsachenbasis für die Annahme vorliegt, dass der durch die Anordnung Betroffene mit dem Beschuldigten über Telekommunikationsanlagen in Verbindung steht. | ||
* * * | ||
T-03-06 | Zur Auslegung des § 100g StPO | |
"(2) Die schwerwiegenden Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis sind nur verhältnismäßig im engeren Sinne, wenn die Gegenbelange entsprechend gewichtig sind. Das Gewicht des Strafverfolgungsinteresses ist insbesondere von der Schwere und der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat abhängig (vgl BVerfGE_100,313 <375 f, 392> ). Insofern genügt es verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, dass die Erfassung der Verbindungsdaten allgemein der Strafverfolgung dient (siehe oben aa). Vorausgesetzt sind vielmehr eine Straftat von erheblicher Bedeutung, ein konkreter Tatverdacht und eine hinreichend sichere Tatsachenbasis für die Annahme, dass der durch die Anordnung Betroffene als Nachrichtenmittler tätig wird. | ||
(a) Hinsichtlich der Schwere der Straftat hat der Gesetzgeber nunmehr in § 100g StPO eine Konkretisierung vorgenommen, die dem rechtsstaatlichen Anliegen einer Begrenzung der Erhebung von Verbindungsdaten dient. Das Vorliegen einer Katalogtat im Sinne von § 100a Satz 1 StPO ist danach zwar nicht unbedingte Voraussetzung der Anordnung, aber als bedeutsamer Anwendungsfall für eine Straftat von erheblicher Bedeutung hervorgehoben worden und gibt deshalb einen Anhaltspunkt für die rechtliche Bewertung. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Offenlegung von Verbindungsdaten ein detailliertes Bild über Kommunikationsvorgänge und Aufenthaltsorte ermöglicht. Das Gewicht des Eingriffs bleibt zwar hinter dem der auf die Kommunikationsinhalte bezogenen Telefonüberwachung zurück, ist aber dennoch groß. Die Orientierung an dem Begriff der Straftat von erheblicher Bedeutung und die Angabe von Regelbeispielen werden auch sonst in der Rechtsordnung als Begrenzungsmerkmal für Ermittlungsmethoden eingesetzt (vgl BVerfGE_103,21 <33 f>; BGHSt_42,139 <157>). Damit wird verdeutlicht, dass derartige Eingriffe nur bei Straftaten gerechtfertigt sind, denen der Gesetzgeber allgemein ein besonderes Gewicht beimisst. Ferner muss die Straftat im konkreten Fall erhebliche Bedeutung haben (vgl BVerfG, 3.Kammer des Zweiten Senats, NJW 2001, S.2320 <2321>; VerfG des Landes Brandenburg, StV 2002, S.57 <58>), etwa auf Grund des angerichteten Schadens und des Grads der Bedrohungd er Allgemeinheit (vgl Welp, GA 2002, S.535 <539>). Dieser Maßstab verweist auf eine Vergleichsmöglichkeit, die auch im Rahmen des § 12 FAG zur Beurteilung herangezogen werden kann, ob eine Straftat von solchem Gewicht ist, dass die Übermittlung von Verbindungsdaten gerechtfertigt sein kann. | ||
Entscheidend für das Gewicht des verfolgten Anliegens ist auch die Intensität des gegen den Beschuldigten bestehenden Verdachts (vgl BVerfGE_100,313 <392>). Voraussetzung der Erhebung von Verbindungsdaten ist ein konkreter Tatverdacht. Auf Grund bestimmter Tatsachen muss anzunehmen sein, dass der Beschuldigte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen hat (vgl auch BVerfGE_100,313 <394>). | ||
(c) Eine gesicherte Tatsachenbasis ist ebenfalls unerlässlich zur Beurteilung, ob diejenige Person, gegen die eine Anordnung erfolgt, als Nachrichtenmittler angesehen werden kann. Insofern verlangen die §§ 100a, 100b Abs.1 Satz 2 StPO, dass gegen andere Personen als den Beschuldigten Maßnahmen nur erfolgen dürfen, wenn auf Grund von bestimmten Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass der Beschuldigte den Anschluss nutzt. Entsprechend muss § 12 FAG einengend ausgelegt werden. Bloße Vermutungen genügen für die Nachrichtenmittlereigenschaft nicht. | ||
(d) Derartige restriktive Anforderungen tragen zugleich dem Umstand Rechnung, dass die technologischen Entwicklungen und ihre Nutzung bei der Errichtung der Telekommunikationsinfrastruktur dazu führen, dass erheblich schwerere Eingriffe möglich sind als noch im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens von § 12 FAG (siehe oben <1> ). Die Anwendbarkeit des § 12 FAG scheitert daher nicht grundsätzlich daran, dass die im Zeitpunkt der Entstehung der Norm möglichen Maßnahmen ein erheblich geringeres Gewicht hatten. | ||
(3) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Gerichte vorliegend das Verhältnis zwischen dem Eingriff in das Fernmeldegeheimnis und den Belangen der Strafrechtspflege als angemessen beurteilt haben. | ||
(a) Die Anlasstaten waren in beiden Fällen so gewichtig, dass eine Auskunft über Telekommunikationsdaten gerechtfertigt war. Ansatzpunkt der Maßnahmen im Ausgangsverfahren der Verfassungsbeschwerde 1_BvR_348/99 war der Verdacht des dreifachen Mordes. Mord ist eine Katalogtat im Sinne des § 100a Satz 1 StPO, deren Vorliegen auch den Anforderungen, die an § 12 FAG zu stellen sind, gerecht wird. In dem dem Verfahren 1_BvR_330/96 zu Grunde liegenden Fall konnten die Gerichte ebenfalls von einer ein Auskunftsverlangen rechtfertigenden Anlasstat ausgehen. Die Straftaten, derentwegen nach dem Beschuldigten Schneider gefahndet wurde, waren zwar nicht Katalogtaten im Sinne des § 100a StPO, aber von ganz erheblichem Gewicht. Anlass der Anordnung waren Insolvenzstraftaten nach den §§ 283 ff. StGB, die mit Kreditbetrug und Steuerhinterziehung verbunden waren. Die angenommenen Schäden beliefen sich auf eine Höhe von 2 bis 3 Mrd DM. Auch gab es eine große Zahl Geschädigter. Es ging um eines der größten Wirtschaftsstrafverfahren der Bundesrepublik Deutschland. Auch Wirtschaftsstraftaten können von erheblicher Bedeutung sein. Für die Gewichtung einer Straftat sind nicht allein das betroffene Rechtsgut, sondern ebenfalls die Tatbegehung und das Ausmaß der Schäden maßgebend. Die dem Beschuldigten Schneider angelasteten Straftaten hatten nicht zuletzt hinsichtlich der Art ihrer Begehung, der Anzahl der Geschädigten und wegen des Ausmaßes des Schadens ein hinreichendes strafrechtliches Gewicht. 82 | ||
Soweit die Beschwerdeführer gegen die Angemessenheit der Anordnungen einwenden, dass es in den zu Grunde liegenden Ermittlungsverfahren nur um Strafverfolgung ging, nicht aber um die Abwehr von Gefahren für überragende Rechtsgüter oder Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland, kann ihnen nicht gefolgt werden. Das Interesse an der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten hat neben dem Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten eine eigenständige verfassungsrechtliche Bedeutung. 83 | ||
(b) An dem für Auskunftsverlangen erforderlichen Verdachtsgrad gegen die Beschuldigten bestand vorliegend kein Zweifel. In beiden Verfahren war gegen die Beschuldigten auf Grund dringenden Tatverdachts Haftbefehl erlassen worden und eine Ausschreibung zur Festnahme erfolgt. 84 | ||
(c) Es unterliegt auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen eine hinreichende Tatsachenbasis dafür angenommen haben, dass die Beschwerdeführer Nachrichtenmittler der Beschuldigten gewesen sind. Im Hinblick auf die Auskunftsanordnung im Fall der Beschwerdeführer zu 1 wurde es als maßgeblich angesehen, dass sich der Beschwerdeführer zu 1c im Besitz eines Tonbands befand, das eine authentische Aufnahme einer Stellungnahme des Beschuldigten zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen enthielt. Unter diesen Umständen lag eine hinreichende Tatsachengrundlage dafür vor, dass der Beschwerdeführer zu 1c in Kontakt zu dem Beschuldigten stand. Es ist verfassungsrechtlich insbesondere nicht zu beanstanden, dass die Strafverfolgungsbehörden davon ausgingen, die Tonbandaufnahmen seien den Beschwerdeführern zu 1 mit Willen des Beschuldigten zugespielt worden. | ||
Auch die gerichtliche Auskunftsanordnung gegen die Beschwerdeführerin zu 2 hält hinsichtlich der für die Eigenschaft als Nachrichtenmittler angeführten Tatsachengrundlage einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand. Das Landgericht hat in den Gründen seiner Entscheidung darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin zu 2 wiederholt unmittelbaren Kontakt zu dem Beschuldigten Klein unterhielt. Die Beschwerdeführerin zu 2 ist diesen tatsächlichen Feststellungen in den angegriffenen Entscheidungen nicht entgegengetreten. 86 | ||
ee) Der in § 12 FAG und § 100b StPO vorgesehene Richtervorbehalt ist beachtet worden. | ||
Der Vorbehalt richterlicher Entscheidung zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz. Richter können auf Grund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer ausschließlichen Bindung an das Gesetz die Rechte des Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren (vgl BVerfGE_103,142 <151> mwN). Das gilt auch mit Blick auf die durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebotene Abwägung der sich bei Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis gegenüberstehenden Rechtspositionen. | ||
Die Abwägung hängt entscheidend von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Es ist die Aufgabe und Pflicht des Ermittlungsrichters, sich eigenverantwortlich ein Urteil zu bilden und nicht etwa die Anträge der Staatsanwaltschaft auf Übermittlung der Verbindungsdaten nach einer nur pauschalen Überprüfung einfach gegenzuzeichnen. Zur richterlichen Einzelentscheidung gehören eine sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Angemessenheit des Eingriffs im konkreten Fall. Schematisch vorgenommene Anordnungen vertragen sich mit dieser Aufgabe nicht. Die richterliche Anordnung des Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis muss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen sich der Eingriff halten muss (vgl - zu Art.13 Abs.1 GG - BVerfGE_103,142 <151 f>). Dem wurden die angegriffenen Maßnahmen noch in ausreichendem Maße gerecht. | ||
Das Amtsgericht hat seine Anordnungen allerdings nur unter Hinweis auf die erlassenen Haftbefehle und das Ziel der Aufenthaltsbestimmung begründet sowie im Übrigen den Wortlaut des § 12 FAG teilweise wiederholt. Ausführungen zur Tätigkeit der Beschwerdeführer als Nachrichtenmittler sowie zur Erforderlichkeit und Angemessenheit der Eingriffe in die Rechte der Beschwerdeführer fehlen. | ||
Das Landgericht hat diese Begründungen zwar nicht formell beanstandet, jedoch seinerseits eingehendere Begründungen vorgenommen. Dabei hat es das Handeln der Beschwerdeführer als Nachrichtenmittler dargelegt und weitere Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit gemacht. Die entsprechenden Überlegungen gelten zwar vornehmlich der Frage, ob Medienunternehmen und Journalisten einen besonderen Schutz vor solchen Maßnahmen genießen, enthalten aber in diesem Rahmen auch Ausführungen zur Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme im konkreten Fall. Es besteht deshalb kein Anlass, sie aus verfassungsrechtlichen Gründen zu beanstanden. | ||
4. Verfassungsrechtlich gerechtfertigt sind die Auskunftsanordnungen im Ausgangsverfahren zu der Verfassungsbeschwerde 1_BvR_348/99 auch insoweit, als sie sich auf die im Rahmen der so genannten Zielwahlsuche speziell erhobenen Verbindungsdaten der eingehenden Telefongespräche erstreckten. | ||
Die Anordnung der Auskunft über eingehende Telefongespräche, die nunmehr von § 100g Abs.2 StPO erfasst wird, ist auf § 12 FAG und zusätzlich auf die §§ 100a, 100b StPO gestützt worden. Die Überprüfung beschränkt sich auf die Klärung, ob die Maßstäbe des Art.10 GG bei der Rechtsanwendung beachtet worden sind. Dies ist zu bejahen. | ||
a) Verbindungsdaten eingehender Telefongespräche sind üblicherweise bei der Abwicklung des Telekommunikationsverkehrs nicht verfügbar. Sie werden für die Entgeltabrechnung bei dem angerufenen Teilnehmer im Allgemeinen nicht benötigt, da der anrufende Teilnehmer die Entgelte für die Verbindungen regelmäßig allein zu tragen hat. Damit kann das Strafverfolgungsinteresse an Daten über eingehende Telefongespräche nicht durch Übermittlung der oben (3) behandelten allgemeinen Verbindungsdaten befriedigt werden. | ||
Die Zielwahlsuche soll dieses Defizit beheben. Es sollen diejenigen unbekannten Anschlussnummern ermittelt werden, von denen Telekommunikationsverbindungen zu einem bestimmten Anschluss hergestellt worden sind. Wird ein Diensteanbieter durch die Strafverfolgungsbehörden aufgefordert, Auskunft über die für einen Anschluss eingegangenen Verbindungen zu geben, sind die im EDV-System für den Rechnungsdienst vorgesehenen Abfrageroutinen nicht verwendbar. Da jeder andere Netzteilnehmer die vorgegebene Anschlussnummer angewählt haben kann, setzt die Durchführung einer Zielwahlsuche voraus, dass die Kommunikationsdatensätze aller übrigen von dem Diensteanbieter eingerichteten Anschlüsse sowie der im Übrigen gespeicherten Verbindungsdaten mit der fraglichen Anschlussnummer abgeglichen werden (vgl Welp, Überwachung und Kontrolle, 2000, S.20 ff, 33 ff). Im Jahre 2002 wurde laut Auskunft der Deutschen Telekom jede der 216 Mio. täglich hergestellten Telefonverbindungen innerhalb der dreitägigen Dauer der Speicherung der jeweiligen Verbindungsdatensätze durchschnittlich zweimal in eine Zielwahlsuche einbezogen. | ||
b) Hinsichtlich der Eignung und Erforderlichkeit der Erfassung von Verbindungsdaten eingehender Gespräche ergeben sich keine Besonderheiten gegenüber der Erfassung der sonstigen Verbindungsdaten. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ime ngeren Sinne ist aber ergänzend zu berücksichtigen, dass eine besonders große Zahl von Personen betroffen wird. Denn für die Beurteilung der Angemessenheit einer das Fernmeldegeheimnis beschränkenden Maßnahme ist auf der Ebene des Gesetzes und seiner Auslegung mitentscheidend, wie viele Personen wie intensiven Beeinträchtigungen ausgesetzt sind (vgl BVerfGE_100,313 <376>). | ||
aa) In ihrem Grundrecht aus Art.10 Abs.1 GG betroffen sind diejenigen Anschlussinhaber, die nach Durchführung einer Zielwahlsuche auf Grundd er Herstellung einer Verbindung zu dem fraglichen Anschluss aus dem Datenbestand ermittelt und als "Treffer" den Strafverfolgungsbehörden mitgeteilt werden. Sie sind der Ausgangspunkt für weitere Maßnahmen, etwa zur Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten. Die betroffenen Personen sind in grundrechtlicher Hinsicht in vergleichbarer Weise belastet wie die von der Erhebung der ohnehin vorhandenen Verbindungsdaten erfassten Personen. | ||
bb) Der Informationswert einer im Rahmen der Zielwahlsuche erfolgenden Auskunft erschöpft sich nicht in seinem positiven, die weitere Strafverfolgung ermöglichenden Gehalt. Da sich der Datenabgleich der Zielwahlsuche auf den Gesamtbestand der bei einem Diensteanbieter gespeicherten Verbindungsdaten bezieht, enthält die Auskunft zugleich die negative Aussage, dass während des Auskunftszeitraums von keinen anderen als den genannten Anschlüssen Verbindungen zu dem fraglichen Anschluss hergestellt worden sind. Dieser Aussagegehalt betrifft einen viele Millionen umfassenden Personenkreis. Der Zugriff erfolgt allerdings maschinell und bleibt im Fall des erfolglosen Abgleichs anonym, spurenlos und ohne Erkenntnisinteresse für die Strafverfolgungsbehörden. Eine Beeinträchtigung subjektiver Rechte erfolgt insoweit nicht. | ||
cc) Auch wenn die meisten der von der Zielwahlsuche erfassten Telekommunikationsteilnehmer daher nicht in einer einen Grundrechtseingriff auslösenden Qualität betroffen werden (vgl BVerfGE_100,313 <366>), ist für die Beurteilung der Angemessenheit einer gesetzlichen Ermächtigung und ihrer Auslegung der große Kreis Betroffener bedeutsam. Art.10 GG schützt den Einzelnen vor staatlichen Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis und gewährleistet in seinem objektivrechtlichen Gehalt die Vertraulichkeit der Telekommunikation auch in ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung. Es gefährdet die Unbefangenheit der Nutzung der Telekommunikation und in der Folge die Qualität der Kommunikation einer Gesellschaft, wenn die Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens entstehen. Die zum Schutze der Grundrechtsträger geschaffenen gesetzlichen Vorkehrungen kommen auch dem Vertrauen der Allgemeinheit zugute. Schutzmöglichkeiten können darüber hinaus durch verfahrensrechtliche Vorkehrungen geschaffen werden (vgl BVerfGE_65,1 <44>; 67,157 <183>; 100,313 <359 ff>). | ||
dd) Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, ob die Angemessenheit der Zielwahlsuche allein durch Beachtung der Subsidiarität der Maßnahme, wie sie jetzt § 100g Abs.2 StPO ausdrücklich vorsieht, gewahrt werden konnte. Angesichts der Schwere des Tatvorwurfs des dreifachen Mordes, der konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte für den Tatverdacht und für die Eigenschaft der Beschwerdeführerin zu 2 als Nachrichtenmittlerin sowie der mehr als zwanzig Jahre dauernden vergeblichen Versuche, den Aufenthaltsort des Beschuldigten Klein zu ermitteln, sind die materiellen Anforderungen an die Angemessenheit eines Eingriffs jedenfalls im vorliegenden Fall auch für die Zielwahlsuche erfüllt. Ebenfalls ist der Richtervorbehalt beachtet worden ( siehe oben 3 ee). Angesichts der besonderen Schwere der Straftat bedarf im vorliegenden Fall auch keiner Klärung, ob eine Zielwahlsuche grundsätzlich nur in Verbindung mit Sicherungen auch ihrer nachträglichen Kontrolle, etwa durch Datenschutzbeauftragte oder parlamentarische Gremien, in Betracht kommt. | ||
Auszug aus BVerfG U, 12.03.03, - 1_BvR_330/96 -, www.BVerfG.de, Abs.75 ff | ||
§§§ | ||
03.015 | Genetischer Fingerabdruck | |
| ||
LB 1) Die Feststellung, Speicherung und (künftige) Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters greift in das durch Art.2 Abs.1 iVm Art.1 Abs.1 GG verbürgte Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Diese Verbürgung darf nur in überwiegendem Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weiter gehen als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerlässlich ist. | ||
LB 2) Dem Schrankenvorbehalt für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trägt die gesetzliche Regelung in § 2 DNA-IfG iVm § 81g StPO ausreichend Rechung. Sie bezweckt die Erleichterung der Aufklärung künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung und dient damit einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Rechtspflege, der ein hoher Rang zukommt ( BVerfGE_77,65 <76>; BVerfGE_80,367 <375>). | ||
LB 3) Die Gerichte sind allerdings bei der Anwendung und Auslegung des § 2 DNA-IfG gehalten, bei ihrer Entscheidung die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, in das die Feststellung, Speicherung und Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters eingreifen, hinreichend zu berücksichtigen. Notwendig für die Anordnung der Maßnahme nach § 2 DNA-IfG ist, dass wegen der Art oder Ausführung der bereits abgeurteilten Straftat, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Vorausgesetzt ist als Anlass für die Maßnahme im Vorfeld eines konkreten Strafverfahrens eine Straftat von erheblicher Bedeutung, wobei das Vorliegen eines Regelbeispiels im Sinne von § 81g Abs.1 StPO nicht in jedem Fall einer einzelfallbezogenen Prüfung der Erheblichkeit der Straftat entbindet. Gibt es etwa mit Blick auf milde Strafen oder eine Strafaussetzung zur Bewährung Hinweise aus den zu Grunde liegenden Strafverfahren auf das Vorliegen einer von der Regel abweichenden Ausnahme, muss die Entscheidung sich damit im Einzelnen auseinander setzen. | ||
LB 4) Soweit das Gericht bei der Annahme einer Straftat von erheblicher Bedeutung auf eine "Katalogtat nach § 2c DNA-IfG" abstellt, verkennt es schon im Ansatz, dass es für diese Prüfung nicht auf den für den Suchlauf der Staatsanwaltschaften im Bundeszentralregister geschaffenen Katalog in der Anlage zu § 2c DNA-IfG, sondern auf denjenigen nach § 81g Abs.1 StPO ankommt. Darüber hinaus lässt es außer Acht, dass das Vorliegen einer Katalogtat nicht zwingend eine Straftat von erheblicher Bedeutung belegt. Im Hinblick auf die im unteren Bereich des Strafrahmens liegende Strafe gegen den Beschwerdeführer und die ihm gewährte Strafaussetzung zur Bewährung hätte Anlass bestanden, die Annahme einer Ausnahme zu prüfen. | ||
LB 5) Der alleinige Hinweis auf einschlägige Vorverurteilungen des Beschwerdeführers genügt insoweit nicht den an eine Gefahrenprognose von Verfassungs wegen zu stellenden Anforderungen. Insoweit ist eine auf den Einzelfall bezogenen individuellen Prüfung erforderlich, die nicht durch allgemeinen Ausführungen des Gerichts zu den Anforderungen an eine Prognoseentscheidung ersetzt werden kann. Im Rahmen der Abwägung wäre zum einen darauf einzugehen gewesen, dass die Anlasstat lange zurückliegt, die damals verhängte Strafe zur Bewährung ausgesetzt war und inzwischen erlassen ist. Zum anderen wäre eine ins Einzelne gehende Würdigung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers erforderlich gewesen, um nachvollziehbar darzutun, warum auch heute, mehr als zehn Jahre nach der letzten Verurteilung, noch Grund zu der Annahme bestehen soll, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden. | ||
§§§ | ||
03.016 | NPD-Verbot | |
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LB 1) "Nachteilig" im Sinne des § 15 Abs.4 Satz 1 BVerfGG ist grundsätzlich jede Entscheidung, die die Rechtsposition des Antragsgegners verschlechtern oder sonst negativ beeinflussen kann. | ||
LB 2) Dies ist in einem Verfahren nach Art.21 Abs.2 GG dann der Fall, wenn der Parteiverbotsantrag zum Erfolg führt und das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei feststellt ( Art.21 Abs.2 Satz 2 GG iVm § 46 Abs.1 BVerfGG). Ebenfalls dem Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit unterliegt vor allem auch die im Vorverfahren gemäß § 45 BVerfGG zu treffende Entscheidung, dass der Verbotsantrag zulässig sowie hinreichend begründet und deshalb die Verhandlung durchzuführen ist. Schon die Durchführung der mündlichen Verhandlung beeinträchtigt den Antragsgegner in seiner Rechtsstellung. | ||
LB 3) Eine Beschränkung des Abstimmungsquorums auf die abschließende Entscheidung über den Parteiverbotsantrag ergibt sich aus § 15 Abs.4 Satz 1 BVerfGG nicht (vgl Brox, in: Ritterspach/Geiger | ||
LB 4) Aus der durch Art.21 Abs.1 GG verfassungsrechtlich anerkannten Rolle der Parteien folgt in formeller und materieller Hinsicht eine erhöhte Schutz- und Bestandsgarantie. Da Parteien durch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit ( Art.21 Abs.2 GG iVm § 46 Abs.1 BVerfGG) und die Auflösung ihrer Organisation ( § 46 Abs.3 Satz 1 BVerfGG) insgesamt von der freien Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes und damit von ihrer durch Art.21 Abs.1 GG verfassungsrechtlich garantierten Aufgabe ausgeschlossen werden, bedürfen gerichtliche Entscheidungen zum Nachteil einer Partei in einem Verbotsverfahren einer besonderen Legitimation. Dementsprechend soll § 15 Abs.4 Satz 1 BVerfGG verhindern, dass die besonders einschneidenden Folgen eines Parteiverbots sowie der übrigen nachteiligen Entscheidungen gegenüber der betroffenen Partei ohne hinreichend qualifizierte Mehrheit eintreten. | ||
LB 5) Das Verfahren kann nicht fortgeführt werden, weil der von der Antragsgegnerin sinngemäß gestellte Antrag auf Einstellung des Verfahrens nicht die nach § 15 Abs.4 BVerfGG für eine Ablehnung erforderliche Mehrheit gefunden hat. Eine Mehrheit von vier Richtern ist der Auffassung, dass ein Verfahrenshindernis nicht besteht. Drei Richter sind der Auffassung, dass ein nicht behebbares Verfahrenshindernis vorliegt. | ||
LB 6) Dass eine Minderheit von drei Richtern der Auffassung ist, in Folge mangelnder Staatsfreiheit der Antragsgegnerin auf der Führungsebene sowie mangelnder Staatsfreiheit des zur Antragsbegründung ausgebreiteten Bildes der Partei bestehe ein nicht behebbares Hindernis für die Fortführung des mit den Anträgen vom 30.Januar und 30.März 2001 eingeleiteten Verfahrens, wirkt sich gemäß § 15 Abs.4 Satz 1 BVerfGG bei der von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens vorzunehmenden Prüfung und Entscheidung über das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen aus. Danach steht fest, dass die Parteiverbotsanträge nicht zum Erfolg geführt werden können. | ||
§§§ | ||
03.017 | Rückmeldegebühr | |
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1) Die Begrenzungs- und Schutzfunktion der Finanzverfassung begründet verbindliche Vorgaben auch für die Gebühren als Erscheinungsform der nichtsteuerlichen Abgaben. Die grundgesetzliche Finanzverfassung verlöre ihren Sinn und ihre Funktion, wenn unter Rückgriff auf die Sachgesetzgebungskompetenzen beliebig hohe Gebühren erhoben werden könnten; die Bemessung bedarf kompetenzrechtlich im Verhältnis zur Steuer einer besonderen, unterscheidungskräftigen Legitimation (Anschluss an BVerfGE_93,319 ff). | ||
2) Nur dann, wenn legitime Gebührenzwecke nach der tatbestandlichen Ausgestaltung der Gebührenregelung von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen werden, sind sie auch geeignet, sachlich rechtfertigende Gründe für die Gebührenbemessung zu liefern. Wählt der Gesetzgeber einen im Wortlaut eng begrenzten Gebührentatbestand, kann nicht geltend gemacht werden, er habe auch noch weitere, ungenannte Gebührenzwecke verfolgt. | ||
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Urteil | Entscheidungsformel:
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§§§ | ||
03.018 | AWACS | |
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LB 1) Gemäß Art.93 Abs.1 Nr.1 GG, § 63 BVerfGG können im Organstreitverfahren neben den obersten Bundesorganen auch Teile dieser Organe Anträge stellen, sofern sie im Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Die Antragstellerin ist als Fraktion des Deutschen Bundestages im Organstreitverfahren gemäß §§ 13 Nr.5, 63 ff BVerfGG parteifähig. Sie kann im eigenen Namen Rechte geltend machen, die dem Bundestag gegenüber der Bundesregierung zustehen (vgl BVerfGE_1,351 <359>; BVerfGE_2,143 <165>; BVerfGE_90,286 <336>; BVerfGE_104,151 <193>; stRspr). | ||
LB 2) Der konstitutive Parlamentsvorbehalt ist in der Begründung auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten (vgl BVerfGE_90,286 <383>). Unter den heutigen politischen Bedingungen, in denen Kriege nicht mehr förmlich erklärt werden, steht eine sukzessive Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen dem offiziellen Kriegseintritt gleich. Deshalb unterliegt grundsätzlich jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der konstitutiven parlamentarischen Mitwirkung. | ||
LB 3) Bei einer Folgenabwägung sind gegeneinander abzuwägen die Nachteile, die für den Bundestag - dessen Rechte die Antragstellerin wahrnimmt - einträten, wenn die begehrte einstweilige Anordnung abgelehnt wird, in der Hauptsache später aber sich herausstellt, dass der konkrete Einsatz deutscher Soldaten ohne Zustimmung des Bundestages dessen wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt verletzt, mit denjenigen Nachteilen, die sich ergäben, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen wird, sich später im Organstreitverfahren aber herausstellt, dass der Einsatz dem konstitutiven Parlamentsvorbehalt nicht unterlag. | ||
LB 4) Der konstitutive Parlamentsvorbehalt hat ein hohes Gewicht, weil die Bundeswehr ein Parlamentsheer ist. Die Bundeswehr ist dadurch in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung eingefügt (vgl BVerfGE_90,286 <382> ). Die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen ohne Zustimmung des Bundestages greift deshalb prinzipiell tief in die Rechte des Parlaments ein. | ||
LB 5) Auf der anderen Seite steht die außenpolitische Verantwortung der Exekutive mit ihrem Kernbereich eigener Entscheidungsfreiheit. Soweit der Parlamentsvorbehalt nicht eingreift, steht allein der Bundesregierung die Entscheidung zu, in welchem Umfang die Bundesrepublik Deutschland sich an der Ausführung des Beschlusses des Verteidigungsplanungsausschusses der NATO vom 19.Februar 2003 beteiligt. Die Bundesregierung müsste sich bei Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung in einer aktuellen außenpolitischen Krisensituation entweder um eine - in Wahrheit nicht erforderliche - politische Zustimmung des Bundestages bemühen, oder aber - wenn dies vermieden werden soll - die deutschen Soldaten aus den betreffenden integrierten NATO-Verbänden abziehen. Ein solcher Zwang griffe tief in den Kernbereich der außen- und sicherheitspolitischen Verantwortung der Bundesregierung ein. | ||
LB 6) Es lässt sich nicht feststellen, dass bei dem anzulegenden strengen Prüfungsmaßstab die Rechte des Bundestages deutlich überwiegen. Die Abwägung dieser Positionen ist im Ergebnis offen. Die ungeschmälerte außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung in dem ihr durch die Verfassung zugewiesenen Kompetenzbereich hat auch im gesamtstaatlichen Interesse an der außen- und sicherheitspolitischen Verlässlichkeit Deutschlands bei der Abwägung ein besonderes Gewicht (vgl BVerfGE_33,195 <197>; BVerfGE_83,162 <173 f>. | ||
§§§ | ||
03.019 | Beitragssatzsicherungsgesetz IV | |
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Die Beschwerdeführer betreiben pharmazeutische Unternehmen. Sie beantragen, die Regelungen in Art.1 Nr.8 sowie in Art.11 § 2 des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom 23.Dezember 2002 (BGBl I S.4637) vorläufig außer Vollzug zu setzen. | ||
LB 2) Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung von Art.1 Nr.8 und Art.11 § 2 BSSichG eintreten würden, schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen, welche die beiden Regelungen für die Beschwerdeführer haben, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. | ||
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T-03-07 | Pharmatzeutische Unternehmen | |
"1. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Zustandekommen des Gesetzes ohne Zustimmung des Bundesrats und die Frage, ob das Gesetz mit Art.12 Abs.1 GG im Übrigen in Einklang steht, bedürfen der Klärung im Hauptsacheverfahren. | ||
2. Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung von Art.1 Nr.8 und Art.11 § 2 BSSichG eintreten würden, schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen, welche die beiden Regelungen für die Beschwerdeführer haben, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. | ||
a) Ergeht die einstweilige Anordnung, erweisen sich aber Art.1 Nr.8 und Art.11 § 2 BSSichG später als verfassungsgemäß, drohen dem gemeinen Wohl schwere Nachteile. | ||
Die im Falle des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu erwartenden Mehrausgaben in Höhe von jährlich 420 Mio Euro sind absolut und relativ von erheblicher Bedeutung für das System der gesetzlichen Krankenversicherung, solange der Fehlbetrag nicht anderweitig kompensiert wird. Geht man mit dem Gesetzgeber davon aus, dass jeder Teilbeitrag im Beitragssatzsicherungsgesetz erforderlich ist, um die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes - zumindest vorläufig bis zu einer Strukturreform - zu erhalten, wird die Erreichung dieses Ziels in dem Ausmaß gefährdet, in dem die Rabatte nicht realisiert werden können. Das Beitragssatzsicherungsgesetz sieht ein Paket von Maßnahmen zur Bekämpfung des Defizits im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Das Beitragsaufkommen wird durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze erhöht, das Sterbegeld wird abgesenkt, Ärzten, Zahnärzten und Krankenhäusern werden so genannte Nullrunden vorgeschrieben und bei den Arzneimitteln haben neben den Pharmaunternehmen auch die Großhändler und die Apotheken durch Rabatte zu den Minderausgaben beizutragen. Erst die Summe aller Sparmaßnahmen ergibt eine spürbare Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen. Allen Maßnahmen kommt im Hinblick auf das Gemeinwohl gleiches Gewicht zu. | ||
Träte infolge der einstweiligen Anordnung ein Teil der finanziellen Entlastung nicht ein, müssten sich die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Gesetzgeber sofort auf höhere Ausgaben einstellen und hierauf gegebenenfalls mit Beitragserhöhungen, mit der Belastung sonstiger Gruppen oder mit Einsparungen bei den Leistungen reagieren. | ||
b) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweisen sich die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Regelungen aber später im Hauptsacheverfahren als verfassungswidrig, drohen allerdings den Beschwerdeführern und sonstigen pharmazeutischen Unternehmen jedenfalls bis zur Entscheidung in der Hauptsache wirtschaftliche Nachteile. Ein endgültiger und auf Dauer nicht kompensierbarer Schaden ist nicht anzunehmen. Die vorübergehend zu erwartenden Nachteile aber sind nicht sehr schwerwiegend. | ||
Gemessen an ihrem Umsatz im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung werden die pharmazeutischen Unternehmen lediglich geringfügige finanzielle Einbußen erleiden. Ein Teil des Arzneimittelumsatzes geht nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung und ist von den angegriffenen Regelungen gar nicht betroffen. Insoweit reduzieren sich noch die von den Beschwerdeführern geschilderten Nachteile. | ||
Die von den Beschwerdeführern befürchteten weiteren nachteiligen Folgen, wie eine Verminderung der Anzahl der Apotheken im Zuge von Insolvenzen, betreffen wirtschaftliche Risiken, die aus dem Marktgeschehen resultieren, an dem die Beschwerdeführer teilnehmen, wobei ein unmittelbarer Zusammenhang dieser Folgen mit der gesetzlichen Regelung in Art.1 Nr.8 und Art.11 § 2 BSSichG nicht besteht. | ||
c) Schon wenn die jeweiligen Nachteile der abzuwägenden Folgenkonstellationen einander in etwa gleichgewichtig gegenüber stehen, gebietet es die gegenüber der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers notwendige Zurückhaltung des Gerichts, das angegriffene Gesetz nicht auszusetzen, bevor geklärt ist, ob es vor der Verfassung Bestand hat (vgl BVerfGE_104,51 <60>). Vorliegend ergibt die Abwägung, dass die Nachteile für das gemeine Wohl bei Erlass der einstweiligen Anordnung diejenigen sogar überwiegen, die den Beschwerdeführern bei Ablehnung des Antrags drohen. | ||
Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführer können eine generelle Gefährdung der Arzneimittelversorgung und eine Minderversorgung der Kranken hier ausgeschlossen werden. Denn aus dem Vortrag der Beschwerdeführer, die lediglich Gewinneinbußen geltend machen, lässt sich eine Gefährdung der Existenz ihrer Unternehmen nicht ableiten. So belegen die für die Beschwerdeführerin zu 1) vorgelegten Zahlen, dass bei einem prognostizierten Jahresgewinn vor Steuern von 8 Mio Euro und einem unterstellten Gewinneinbruch von 38,8 vom Hundert noch eine nennenswerte Rendite erzielt werden kann. Auch für die Pharmaindustrie insgesamt ist eine solche Gefährdung nicht ersichtlich. Im Übrigen ist die Behauptung nicht nachvollziehbar, dass die Forschung der deutschen Pharmaindustrie durch Abschläge in Höhe von 0,4 Mrd. Euro insgesamt bei einem Gesamtvolumen ihrer Forschungsausgaben von 4,1 Mrd. Euro (Pharma-Daten 2002 Kompakt des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie eV) gefährdet wäre. Denn die Abschläge verteilen sich auf alle Pharmaunternehmen ohne Rücksicht darauf, ob sie selbst Forschung betreiben. Die Unternehmen haben außerdem unterschiedliche Möglichkeiten, auf die Preisabschläge zu reagieren. | ||
Unter diesen Umständen überwiegt das Anliegen des Gesetzgebers, bis zu einer größeren Reform die gesetzliche Krankenversicherung unter Einbeziehung zahlreicher Gruppen sofort finanziell zu entlasten. Denn die negativen Folgen für die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung treten bei einer vorläufigen Aussetzung des Gesetzes sofort ein, können später kaum oder nur unzureichend ausgeglichen werden und beeinflussen die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Dem Gemeinwohlbelang der finanziellen Sicherung der gesetzlichen Krankenversicherung kann nicht entgegengehalten werden, dass die von den pharmazeutischen Unternehmen zu gewährenden Abschläge nur einen geringen Anteil an den Gesamtausgaben darstellen. Bei einem Spargesetz, das viele Gruppen in Anspruch nimmt, ist jeder Teilbeitrag von Bedeutung. Das gesetzgeberische Konzept würde zu Lasten anderer unterlaufen, wenn einzelne Gruppen sich darauf berufen dürften, dass ihr Anteil am Gesamtvolumen eines Spargesetzes für das gesamtwirtschaftliche Interesse minder bedeutsam sei." | ||
Auszug aus BVerfG B, 26.03.03, - 1_BvR_112/03 -, www.BVerfG.de, Abs.21 ff | ||
§§§ | ||
03.020 | Schießordnungen | |
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LB 1) Die Vereinigungsfreiheit gewährt nicht nur Einzelpersonen, sondern auch den Vereinigungen selbst Schutz (vgl BVerfGE_30,227 <241>; BVerfGE_84,372 <378>). Geschützt sind neben dem Recht auf Entstehen und Bestehen die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren der Willensbildung und die Führung der Geschäfte (vgl BVerfGE_50,290 <354>; BVerfGE_80,244 <253>). Auch die spezifisch vereinsmäßige Tätigkeit ist geschützt (vgl BVerfGE_30,227 <241>; BVerfGE_80,244 <253>). | ||
LB 2) Allerdings sind der Vereinigungsfreiheit in dem nicht durch Art.9 Abs.2 GG erfassten Bereich Grenzen gesetzt. Dem Gesetzgeber darf es nicht verwehrt sein, der Betätigung des Vereins Schranken zu ziehen, die zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sind (vgl BVerfGE_30,227 <243> ). Auch die Vereinigungsfreiheit lediglich ausgestaltende Regelungen müssen sich jedoch am Schutzgut des Art.9 Abs.1 GG orientieren und einen Ausgleich zwischen diesem Gut und schutzbedürftigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit finden, der die zwingenden Voraussetzungen und Bedürfnisse freier Assoziation grundsätzlich wahrt (vgl BVerfGE_50,290 <355>; BVerfGE_84,372 <378 f>). | ||
LB 3) Das gilt zunächst für § 15 Abs.1 bis 4 WaffG. Erklärtes Ziel des Gesetzgebers ist es, einer festgestellten missbräuchlichen Ausnutzung des bisher Mitgliedern beliebiger Schießsportvereine gewährten Bedürfnisnachweisprivilegs und damit einhergehenden erheblichen Defiziten für die öffentliche Sicherheit zu begegnen. Dazu soll das Privileg auf Mitglieder solcher Verbände beschränkt werden, die nach Größe und Organisation Gewähr für eine ordnungsgemäße Ausübung des Schießsports in ihren Mitgliedsvereinen bieten. Der Schusswaffenumgang soll auf ernsthafte und verantwortungsvolle Sportschützen beschränkt werden. Gruppierungen, die den Schießsport als Vorwand für Waffenbeschaffung missbrauchen, sollen zurückgedrängt werden (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung, BRDrucks 596/01, S.90, 107, 120 f). Diese Zielsetzung des Gesetzgebers ist legitim und wird in § 15 Abs.1 bis 4 WaffG im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz umgesetzt. | ||
LB 4) Die Anerkennungsregelung ist zur Verfolgung dieses Zwecks geeignet und erforderlich. Eine bloße Meldepflicht mit Verbotstatbeständen wäre ein Kontrollinstrument, das für Vollzugsdefizite wesentlich anfälliger und insofern nicht gleich geeignet wäre. Wenn der Gesetzgeber hier eine Regelungstechnik für erforderlich gehalten hat, welche die Verbände angesichts sonst drohender faktischer Nachteile veranlasst, sich von sich aus um eine Anerkennung und um die Erfüllung der Anerkennungsvoraussetzungen zu bemühen, so hat er damit seinen Gestaltungsspielraum (vgl BVerfGE_30,250 <262 f>; BVerfGE_39,1 <44>; BVerfGE_88,203 <262>) nicht überschritten. | ||
LB 5) Der Umstand, dass es sich im Fall des § 15 Abs.2 WaffG nicht um eine gebundene, sondern um eine Ermessensentscheidung handelt, macht die Regelung nicht verfassungswidrig. Im Rahmen der Ermessensausübung kann und muss die Vereinigungsfreiheit der Beschwerdeführerin hinreichend berücksichtigt werden. | ||
LB 6) Mit der Regelung über die Genehmigung von Sportordnungen und deren Verknüpfung mit der Anerkennungsfähigkeit eines Verbandes verschafft sich der Staat eine Kontrolle darüber, ob die Verbände in ihren Sportordnungen die vom Waffengesetz und dessen Verordnungen gesetzten Grenzen einhalten. Auch hier gilt, dass der Gesetzgeber angesichts der erheblichen, von Schusswaffen ausgehenden Missbrauchsgefahren und der unter dem bisherigen Waffenrecht festgestellten Missbrauchstendenzen eine für Vollzugsdefizite unanfällige Regelungstechnik für erforderlich halten durfte. Es ist ferner nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit dem Kontrollinstrument des § 15 Abs.7 Satz 1 WaffG die Grenzen eines verhältnismäßigen Ausgleichs zwischen dem durch Art.9 Abs.1 GG geschützten Interesse der Beschwerdeführerin an einer autonomen Willensbildung über die Ausgestaltung der Ausübung des Vereinszwecks einerseits und dem Anspruch der Allgemeinheit auf Schutz vor den von Schusswaffen ausgehenden Gefahren andererseits überschritten hätte. Die Regelung respektiert die Verbandsautonomie, indem sie die Genehmigung auf die waffenrechtsrelevanten Teile der Sportordnungen beschränkt. Hinsichtlich dieser Teile können die Verbände einer behördlichen Präventivkontrolle unterworfen werden, ohne dass damit unangemessen in den Gewährleistungsbereich ihrer Vereinigungsfreiheit eingegriffen würde. | ||
§§§ | ||
03.021 | Kindergeldanrechnung | |
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1) § 1612b Abs.5 BGB verstößt nicht gegen Art.3 Abs.1 GG, soweit er zur Sicherung des Existenzminimums des unterhaltsberechtigten Kindes die Anrechnung des Kindergeldes auf den Kindesunterhalt von der Leistungsfähigkeit des barunterhaltspflichtigen Elternteils abhängig macht und diesen vor dem betreuenden Elternteil verpflichtet, seinen Kindergeldanteil zur Deckung eines Defizits beim Kindesunterhalt einzusetzen. | ||
2) Das Rechtsstaatsprinzip des Art.20 Abs.3 GG gebietet dem Gesetzgeber, bei der von ihm gewählten Ausgestaltung eines Familienleistungsausgleichs Normen zu schaffen, die auch in ihrem Zusammenwirken dem Grundsatz der Normenklarheit entsprechen. Dem genügen die das Kindergeld betreffenden Regelungen in ihrer sozial-, steuer- und familienrechtlichen Verflechtung immer weniger. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ | ||
03.022 | Biologischer Vater | |
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1) Art.6 Abs.2 Satz 1 GG schützt den leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater (so genannter biologischer Vater) in seinem Interesse, die rechtliche Stellung als Vater einzunehmen. Ihm ist verfahrensrechtlich die Möglichkeit zu eröffnen, die rechtliche Vaterposition zu erlangen, wenn dem der Schutz einer familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinen rechtlichen Eltern nicht entgegensteht. | ||
2) Auch der biologische Vater bildet mit seinem Kind eine von Art.6 Abs.1 GG geschützte Familie, wenn zwischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Der Grundrechtsschutz umfasst auch das Interesse am Erhalt dieser Beziehung. Es verstößt gegen Art.6 Abs.1 GG, den so mit seinem Kind verbundenen biologischen Vater auch dann vom Umgang mit dem Kind auszuschließen, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient. | ||
3) Zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 1600, 1685 BGB, § 1711 Abs.2 BGB | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ | ||
03.023 | Rechtliches Gehör | |
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Zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung fachgerichtlichen Rechtsschutzes bei Verstößen gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.103 Abs.1 GG). | ||
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Plenumsbeschluss | Entscheidungsformel:
I. | |
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T-03-08 | Rechtswegegarantie + Justizgewährungsanspruch | |
Der Rechtsweg steht im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs auch zur Überprüfung einer behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch ein Gericht offen. Dies folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art.103 Abs.1 GG. Das Plenum gibt die vom Bundesverfassungsgericht bisher vertretene gegenteilige Auffassung auf. I. | ||
Die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes ist nicht auf Rechtsschutz gegen Akte der vollziehenden Gewalt im Sinne von Art.19 Abs.4 GG beschränkt, sondern umfassend angelegt. Sie sichert allerdings keinen Rechtsmittelzug. | ||
1. Die Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaates (vgl BVerfGE_88,118 <123>; BVerfGE_96,27 <39 f.>). Das Grundgesetz garantiert Rechtsschutz vor den Gerichten nicht nur gemäß Art.19 Abs.4 GG, sondern darüber hinaus im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs. Dieser ist Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips in Verbindung mit den Grundrechten, insbesondere Art.2 Abs.1 GG (vgl BVerfGE_93,99 <107> ). Die grundgesetzliche Garantie des Rechtsschutzes umfasst den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung. | ||
2. Das Grundgesetz sichert im Bereich des Art.19 Abs.4 GG wie auch in dem des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs das Offenstehen des Rechtswegs. Die Garantie einer gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeit gegen behauptete Rechtsverletzungen eröffnet jedoch keinen unbegrenzten Rechtsweg. | ||
a) Das Rechtsstaatsprinzip fordert, dass jeder Rechtsstreit um der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens willen irgendwann ein Ende findet (vgl bereits BVerfGE_1,433 <437> ). Wann dies der Fall ist, entscheidet das Gesetz. Das Risiko eines immerwährenden Rechtswegs besteht nach dem Grundgesetz nicht, weil es sowohl in Art.19 Abs.4 GG als auch im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs nur das Offenstehen des Rechtswegs garantiert, also die Öffnung des Zugangs zum Gericht. Der Rechtsweg steht für Streitigkeiten zwischen Trägern öffentlicher Gewalt und Privatpersonen oder zwischen Privatpersonen offen. Dies ermöglicht die Entscheidung eines unabhängigen Gerichts über Rechte und Pflichten. Insofern reicht es grundsätzlich aus, ist in einem Rechtsstaat aber auch als Minimum zu sichern, dass die Rechtsordnung eine einmalige Möglichkeit zur Einholung einer gerichtlichen Entscheidung eröffnet. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung und Ausgleich der verschiedenen betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können (vgl BVerfGE_54,277 <291> ). Ein Instanzenzug ist von Verfassungs wegen nicht garantiert. Ob es Streitigkeiten gibt, für die aus rechtsstaatlichen Gründen die Überprüfung durch eine weitere gerichtliche Instanz vorzusehen ist, bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung. Das Risiko eines Rechtswegs ohne Ende besteht auch in einem solchen Fall nicht. | ||
b) Die Garantie einer einmaligen gerichtlichen Entscheidung über ein behauptetes Recht zielt darauf ab, Konflikte um eine mögliche Rechtsverletzung einer Prüfung und einer bestandskräftigen Entscheidung zuzuführen. Weiter reicht diese Garantie nicht. Verfassungsrechtlich ist es nicht geboten, auch den Akt der gerichtlichen Überprüfung selbst daraufhin kontrollieren zu können, ob in ihm die für den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Rechtsnormen nunmehr vom Gericht verletzt wurden. Im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens nimmt das verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtsschutzsystem bei der Überprüfung eines Verhaltens ein verbleibendes Risiko falscher Rechtsanwendung durch das Gericht in Kauf. | ||
c) Dies ist im Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht zuletzt deshalb hinnehmbar, weil durch institutionelle Vorkehrungen und entsprechende Verfahrensvorgaben Sorge dafür getragen worden ist, dass Rechtsanwendungsfehler möglichst unterbleiben. Die Unabhängigkeit der Richter (Art.97 Abs.1 GG) soll sichern, dass die Gerichte ihre Entscheidung allein an Gesetz und Recht ausrichten. Die Verfahrensgrundrechte, insbesondere Art.101 Abs.1 Satz 2 und Art.103 Abs.1 GG, sollen gewährleisten, dass die richterliche Entscheidung willkürfrei durch eine nach objektiven Kriterien bestimmte Instanz auf einer hinreichend gesicherten Tatsachengrundlage und auf Grund einer unvoreingenommenen rechtlichen Würdigung unter Einbeziehung des Vortrags der Parteien ergeht. Überprüfen die unabhängigen Gerichte in diesem Rahmen einen Vorgang auf rechtliche Fehler und begehen sie dabei keinen neuen eigenständigen Verstoß gegen die grundgesetzlichen Verfahrensgarantien, ist es verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, wenn die gerichtliche Entscheidung nicht mehr durch eine weitere Instanz auf Fehler hin überprüft werden kann. | ||
3. Im rechtsstaatlichen Kerngehalt unterscheiden sich der allgemeine Justizgewährungsanspruch und als dessen Spezialregelung die Rechtsweggarantie des Art.19 Abs.4 GG nicht. Unterschiede bestehen hinsichtlich der Anwendungsbereiche. | ||
a) Art.19 Abs.4 GG wird in der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur dahingehend verstanden, dass der dort benutzte Begriff der öffentlichen Gewalt einengend auszulegen und nur auf die vollziehende Gewalt anzuwenden sei. Dies wird regelmäßig in die Formel gefasst, das Grundgesetz gewährleiste Rechtsschutz durch den Richter, nicht aber gegen den Richter (vgl BVerfGE_15,275 <280>; BVerfGE_49,329 <340>; BVerfGE_65,76 <90> sowie aus der Literatur Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art.19 IV Rn.96 | ||
Die Anrufung des Plenums durch den Ersten Senat gibt keinen Anlass zur Abweichung von der bisherigen Auslegung des Art.19 Abs.4 GG. Die vom Ersten Senat angestrebte Aufgabe der bisherigen Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts zum Rechtsschutz bei entscheidungserheblichen Verletzungen des Verfahrensgrundrechts aus Art.103 Abs.1 GG setzt nicht voraus, dass der Anwendungsbereich des Art.19 Abs.4 GG neub estimmt wird. Denn diese Norm steht der Annahme nicht entgegen, dass der allgemeine Justizgewährungsanspruch Rechtsschutz unter zum Teil anderen tatbestandlichen Voraussetzungen garantiert (cc). Die einengende Auslegung des Begriffs der öffentlichen Gewalt in Art.19 Abs.4 GG (aa) unterliegt unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit jedenfalls dann keinen Bedenken, wenn der allgemeine Justizgewährungsanspruch Rechtsschutz auch ind en von Art.19 Abs.4 GG nicht erfassten Fällen ermöglicht, soweit dies rechtsstaatlich geboten ist (bb). | ||
Ziel der Normierung der Rechtsschutzgarantie in Art.19 Abs.4 GG war auf Grund historischer Erfahrungen der Schutz vor dem Risiko der Missachtung des Rechts durch ein Handeln der Exekutive. Daran knüpft die Auslegung des hier verwendeten Begriffs der öffentlichen Gewalt im überwiegenden Teil der Lehre und in der Rechtsprechung an. | ||
Im Anschluss an die Vorgängervorschriften des § 182 der Paulskirchen-Verfassung und des Art.107 der Weimarer Reichsverfassung sah der Herrenchiemseer Entwurf zum Grundgesetz in Art.138 zunächst vor, dass gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen könne, "wer sich durch eine Anordnung oder durch die Untätigkeit einer Verwaltungsbehörde in seinen Rechten verletzt oder mit einer ihm nicht obliegenden Pflicht beschwert glaubt". Dieser Entwurf verfolgte das Ziel, nicht der Exekutive allein die Kontrolle der Verwaltung zu überlassen. Vielmehr sollte gesichert werden, dass es gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Verwaltung gibt. In den Beratungen z um Grundgesetz wurde diese Einengung allerdings kritisiert. So wurde die Forderung formuliert, wirklich oder vermeintlich rechtswidrige Eingriffe des Staates in die Rechts- und Freiheitssphäre müssten umfassend einer gerichtlichen Prüfung zugeführt werden (vgl die Nachweise bei Voßkuhle, aaO, S.151 ff; siehe ferner JöR NF, Bd.1, 1951, S.183 ff). | ||
Art.19 Abs.4 GG hat dies so nicht aufgenommen, ist aber doch weiter formuliert als der Herrenchiemseer Entwurf. Die ausdrückliche Bezugnahme auf die Verwaltung ist entfallen. Ob die offenere Formulierung dahingehend zu verstehen ist, dass in Art.19 Abs.4 GG keine Einschränkung auf die vollziehende Gewalt erfolgen sollte, ist den Materialien zum Grundgesetz allerdings nicht zweifelsfrei zu entnehmen. Insofern lässt die Entstehungsgeschichte Raum für unterschiedliche Auslegungen. Die Rechtsprechung und die herrschende Meinung im Schrifttum haben die Norm im Anschluss an die historische Stoßrichtung der Rechtsschutzgewährung stets in der einengenden Weise der Beschränkung auf die vollziehende Gewalt ausgelegt. Dem ist das Bundesverfassungsgericht gefolgt und hat betont, die Bedeutung der Gewährleistung bestehe vornehmlich darin, die "Selbstherrlichkeit" der vollziehenden Gewalt im Verhältnis z um Bürger zu beseitigen (vgl BVerfGE_10,264 <267>; 35,263 <274> ). Durch Art.19 Abs.4 GG in dieser Auslegung wird gesichert, dass gegenüber Akten der Exekutive stets ein unabhängiges Gericht zur Prüfung einer geltend gemachten Rechtsverletzung einzuschalten ist. Sehen die Prozessordnungen allerdings eine weitere gerichtliche Instanz vor, so sichert Art.19 Abs.4 GG die Effektivität des Rechtsschutzes auch insoweit (vgl BVerfGE_96,27 <39>; stRspr). | ||
Das Bundesverfassungsgericht hat den Begriff der öffentlichen Gewalt allerdings nicht auf die Exekutive im organisatorischen Sinne begrenzt. Es hat den Rechtsschutz auch für den Fall eröffnet, dass das Handeln einer nicht zurE xekutive gehörenden, aber auch nicht in richterlicher Unabhängigkeit handelndenI nstanz als rechtswidrig angegriffen wird. So zählt das BundesverfassungsgerichtA kte des Rechtspflegers ebenso zur öffentlichen Gewalt gemäß Art.19 Abs.4 GG (vgl.BVerfGE 101, 397 <407>) wie die Justizverwaltungsakte der Kostenbeamten in den Geschäftsstellen der Gerichte (vgl BVerfGE_28,10 <14 f>). Zur Ausübung öffentlicher Gewalt gehören ebenfalls Anordnungen der Staatsanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde (vgl BVerfGE_103,142 <156>). | ||
Als öffentliche Gewalt im Verständnis des Art.19 Abs.4 GG werden auch die Gerichte eingeordnet, wenn sie außerhalb ihrer spruchrichterlichen Tätigkeit auf Grund eines ausdrücklich normierten Richtervorbehalts tätig werden (vgl BVerfGE_96,27 <39 ff>; 104,220 <231 ff>). In diesen Fällen handeln die Gerichte zwar in voller richterlicher Unabhängigkeit, aber nicht in ihrer typischen Funktion als Instanzen der unbeteiligten Streitentscheidung. Vielmehr nehmen sie auf Antrag eigenständig einen Eingriff vor, der aber, auch soweit er funktional Ausübung vollziehender Gewalt ist, im Interesse eines besonderen rechtsstaatlichen Schutzes nicht der Exekutive oder jedenfalls nicht ihr allein überlassen wird (vgl BVerfGE_103,142 <151> ). Die Besonderheit gegenüber der spruchrichterlichen Tätigkeit wirkt sich in der Möglichkeit spezifischer verfahrensrechtlicher Regeln für solche Entscheidungen aus, so häufig im Ausschluss rechtlichen Gehörs. Umso wichtiger ist die Garantie einer anschließenden gerichtlichen Kontrolle der Maßnahme unter Gewährung rechtlichen Gehörs. Dies garantiert Art.19 Abs.4 GG. | ||
Die Ausweitung der Anwendung des Art.19 Abs.4 GG sichert aber nicht auch Rechtsschutz gegenüber behaupteten Verletzungen der Verfahrensgrundrechte des Grundgesetzes durch ein Gericht. Kann dieser über den allgemeinen Justizgewährungsanspruch in Fällen verwirklicht werden, in denen Rechtsschutz rechtsstaatlich geboten ist, besteht insoweit von Verfassungs wegen keine Notwendigkeit, die engeA uslegung des Art.19 Abs.4 GG aufzugeben. | ||
Das Bundesverfassungsgericht hat den aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechten folgenden allgemeinen Justizgewährungsanspruch zunächst als Grundlage des Rechtsschutzes in zivilrechtlichen Streitigkeiten anerkannt, für die Art.19 Abs.4 GG nicht anwendbar ist (vgl BVerfGE_88,118 <123>; 93,99 <107>; 97,169 <185> ). Auf diesem Wege wird gesichert, dass ein Gericht verbindlich über das Bestehen von Rechten und Pflichten in einer zivilrechtlichenA ngelegenheit entscheidet. | ||
Der Justizgewährungsanspruch ermöglicht Rechtsschutz aber auch in weiteren Fällen, in denen dies rechtsstaatlich geboten ist. So liegt es bei der erstmaligen Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch ein Gericht. | ||
Die Verfahrensgrundrechte, insbesondere die des Art.101 Abs.1 und des Art.103 Abs.1 GG, sichern in Form eines grundrechtsgleichen Rechts die Einhaltung rechtsstaatlicher Mindeststandards. In einem Rechtsstaat gehört zu einer grundrechtlichen Garantie die Möglichkeit einer zumindest einmaligen gerichtlichen Kontrolle ihrer Einhaltung. Allenfalls im Interesse des Schutzes besonders hochrangiger Rechtsgüter kann die Verfassung Ausnahmen vorsehen, wie es in Art.10 Abs.2 Satz 2 GG geschehen ist (vgl BVerfGE_30,1). | ||
Die das gerichtliche Verfahren betreffenden Verfahrensgrundrechte können nicht durch einen Träger der vollziehenden Gewalt verletzt werden, denn sie sind ausschließlich an die Gerichte adressiert (vgl BVerfGE_101,3 97 <404 f>). Wird Art.19 Abs.4 GG einengend dahin ausgelegt, dass er den Rechtsschutz gegen richterliche Akte nicht umfasst, verbleibt dort ein Rechtsschutzdefizit, das aber durch den allgemeinen Justizgewährungsanspruch behoben wird. Er ermöglicht Rechtsschutz hinsichtlich der gerichtlichen Verfahrensdurchführung, soweit durch sie die Verfahrensgrundrechte verletzt sein können. Andernfalls bliebe eine Verletzung dieser Grundrechte ohne verfassungsrechtlich gesicherte Möglichkeit fachgerichtlicher Abhilfe. | ||
Art.19 Abs.4 GG steht nicht entgegen, denn es heißt dort nicht, dass Rechtsschutz "nur" in seinem Rahmen garantiert sei. Auch die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes ergibt nichts für einen Ausschluss weiter gehenden Rechtsschutzes (siehe oben aa). Die Verfolgung des mit der einengenden Auslegung des Art.19 Abs.4 GG von der Rechtsprechung und herrschenden Meinung im Schrifttum verbundenen rechtsstaatlichen Ziels, den endlosen Rechtsweg auszuschließen, darf nicht dazu führen, dass rechtlicher Schutz auch insoweit verweigert wird, als gar kein unendlicher Rechtsweg droht. Dieses Risiko besteht bei der Anwendung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs nicht, weil er - ebenso wie Art.19 Abs.4 GG - nur das Offenstehen des Rechtswegs garantiert, also die Öffnung des Zugangs zum Gericht (siehe oben 2a). | ||
4. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, das Rechtsschutzsystem näher auszuformen und insbesondere die prozessualen Voraussetzungen für Rechtsmittel und Rechtsbehelfe festzulegen. Die Verfahrensordnung ist so auszugestalten, dass effektiver Rechtsschutz für den einzelnen Rechtsuchenden besteht, aber auch Rechtssicherheit hergestellt wird (vgl BVerfGE_88,118 <123 f>; BVerfGE_93,99 <107 f>). | ||
Abwägung und Ausgleich der einander widerstreitenden Interessen können bei der vorläufigen Rechtsschutzgewährung anders erfolgen als bei der endgültigen. Auch darf der Gesetzgeber differenzierend berücksichtigen, ob die angegriffene Maßnahme von der Exekutive oder der Judikative ausgeht. So muss Rechtsschutz gegen Akte eines Richters nicht zwingend zur Befassung einer höheren Instanz führen, sofern die rechtsstaatlich notwendige Kontrolle des behaupteten Verfahrensfehlers anderweitig in hinreichender Weise gesichert werden kann. II. | ||
Der Vorlagebeschluss des Ersten Senats ist auf Rechtsschutz gegen die behauptete Verletzung des Art.103 Abs.1 GG beschränkt. Die Besonderheiten dieses Verfahrensgrundrechts wirken sich auf die Rechtsschutzgarantie aus. | ||
1. Das Grundgesetz sichert rechtliches Gehör im gerichtlichen Verfahren durch das Verfahrensgrundrecht des Art.103 Abs.1 GG. Rechtliches Gehör ist nicht nur ein "prozessuales Urrecht" des Menschen, sondern auch ein objektivrechtliches Verfahrensprinzip, das für ein rechtsstaatliches Verfahren im Sinne des Grundgesetzes schlechthin konstitutiv ist (vgl BVerfGE_55,1 <6> ). Seine rechtsstaatliche Bedeutung ist auch in dem Anspruch auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs.1 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie in Art.47 Abs.2 der Europäischen Grundrechte-Charta anerkannt. Der Einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl BVerfGE_9,89 <95> ). Rechtliches Gehör sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im Prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Insbesondere sichert es, dass sie mit Ausführungen und Anträgen gehört werden. | ||
Dementsprechend bedeutsam für den Rechtsschutz ist die Möglichkeit der Korrektur einer fehlerhaften Verweigerung rechtlichen Gehörs. Erst die Beseitigung eines solchen Fehlers eröffnet das Gehörtwerden im Verfahren. Dann steht der Weg zum Gericht nicht nur formal offen. Dies schafft einen wesentlichen Teil der Rechtfertigung dafür, dass der Gesetzgeber es den Beteiligten zumutet, die Entscheidung gegebenenfalls ohne weitere Korrekturmöglichkeit hinzunehmen (siehe oben I 2 b). Nicht nur die individualrechtssichernde, sondern auch die über den Einzelfall hinausreichende objektivrechtliche Bedeutung der Gehörsgarantie ist eine wesentliche Grundlage der Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats und der Erwartung an die Bürger, sich zur Streitbeilegung auf das Gerichtsverfahren einzulassen. | ||
Art.103 Abs.1 GG steht daher in einem funktionalen Zusammenhang mit der Rechtsschutzgarantie (vgl BVerfGE_81,123 <129>). Diese sichert den Zugang zum Verfahren, während Art.103 Abs.1 GG auf einen angemessenen Ablauf des Verfahrens zielt: Wer bei Gericht formell ankommt, soll auch substantiell ankommen, also wirklich gehört werden. Wenn ein Gericht im Verfahren einen Gehörsverstoß begeht, vereitelt es die Möglichkeit, eine Rechtsverletzung vor Gericht effektiv geltend zu machen. | ||
2. Wird das Verfahrensgrundrecht aus Art.103 Abs.1 GG verletzt, so geschieht dieser Fehler unabhängig von dem Anlass, der zur Einleitung des Gerichtsverfahrens geführt hat, und damit von den für den Ausgangskonflikt maßgebenden Rechtsnormen. Die Anrufung des Gerichts zielt auf die Kontrolle der Beachtung dieser Normen. Das Verfahrensgrundrecht enthält nicht etwa dafür einen Maßstab, wohl aber für die Rechtmäßigkeit des richterlichen Verhaltens bei der Verfahrensdurchführung. | ||
3. Es entspricht dem Rechtsstaatsprinzip, wenn die Prüfung von gerichtlichen Gehörsverstößen und ihre Beseitigung in erster Linie durch die Fachgerichte erfolgen. Das Rechtsstaatsprinzip zielt auf die Effektivität des Rechtsschutzes. Dieses Ziel wird am wirkungsvollsten durch eine möglichst sach- und zeitnahe Behebung von Gehörsverstößen erreicht, die von den Fachgerichten ohne weitere Umwege geleistet werden kann. | ||
4. Der Justizgewährungsanspruch sichert Rechtsschutz gegen die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in jeder gerichtlichen Instanz, also auch dann, wenn das Verfahrensgrundrecht erstmalig in einem Rechtsmittelverfahren verletzt wird. | ||
Die Maßgeblichkeit der Rechtsschutzgarantie entfällt nicht allein deshalb, weil eine Partei schon in der vorangegangenen Instanz die Möglichkeit gehabt hat, sich zur Sache zu äußern. Art.103 Abs.1 GG enthält weiter gehende Garantien als die, sich irgendwie zur Sache einlassen zu können, so beispielsweise den Schutz vor einer Überraschungsentscheidung (vgl BVerfGE_84,188 <190>; BVerfGE_86,133 <144 f> ). Hat die Partei sich in einer Instanz zur Sache geäußert und dabei alles vortragen können, was mit Blick auf diese Instanz erheblich schien, können sich in einer weiteren Instanz auf Grund neuer tatsächlicher Gegebenheiten oder anderer rechtlicher Auffassungen der nun entscheidenden Richter neue oder veränderte relevante Gesichtspunkte ergeben; deshalb muss die Partei in der Lage sein, ihren Sachvortrag auch darauf auszurichten. Wird ihr dies verwehrt, wird die Garantie rechtlichen Gehörs verletzt. Gäbe es gegen diese neue und eigenständige Verletzung keinen Rechtsschutz, bliebe die Beachtung des Grundrechts aus Art.103 Abs.1 GG kontrollfrei. | ||
Ist noch ein Rechtsmittel gegen die gerichtliche Entscheidung gegeben, das auch zur Überprüfung der behaupteten Verletzung des Verfahrensgrundrechts führen kann, ist dem Anliegen der Justizgewährung hinreichend Rechnung getragen. Erfolgt die behauptete Verletzung des Verfahrensgrundrechts in der letzten in der Prozessordnung vorgesehenen Instanz und ist der Fehler entscheidungserheblich, muss die Verfahrensordnung eine eigenständige gerichtliche Abhilfemöglichkeit vorsehen. | ||
5. Stets aber genügt die Möglichkeit, eine behauptete Rechtsverletzung bei einem gerichtlichen Verfahrenshandeln einer einmaligen gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Begeht das Rechtsbehelfsgericht einen Fehler im Zuge der Überprüfung, ob Art.103 Abs.1 GG bei der vorangegangenen gerichtlichen Verfahrensdurchführung beachtet worden ist, führt dies nicht zur erneuten Eröffnung des Rechtswegs. Auch hier gilt, dass ein Risiko fehlerhafter Überprüfung hinzunehmen ist. Das gebotene Mindestmaß an Rechtsschutz ist jedenfalls gewahrt. Nunmehr darf das Gebot der Rechtssicherheit Vorrang haben, das ebenso wie der Justizgewährungsanspruch seine Grundlage im Rechtsstaatsprinzip hat (vgl BVerfGE_60,253 <267> ). Daher ist ein endloser Rechtsweg auch dann nicht zu erwarten, wenn Rechtsschutz gegen die Verletzung des Verfahrensgrundrechts in einer Rechtsbehelfsinstanz eingeräumt wird." | ||
Auszug aus BVerfG B, 30.04.03, - 1_PBvU_1/02 -, www.BVerfG.de, Abs.14 ff | ||
§§§ | ||
03.024 | Versorgungausgleich | |
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LB 1) Der Versorgungsausgleich verwirklicht für den Fall der Scheidung die grundsätzlich gleiche Berechtigung der Eheleute am in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen. Er ist dabei grundsätzlich auch nicht dadurch bedingt, dass der ausgleichsberechtigte Ehegatte auf die Übertragung der Anwartschaften angewiesen ist (vgl BTDrucks 7/650, S.162). | ||
LB 2) Umgekehrt unterliegt die Durchführung des Versorgungsausgleichs auch dann keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn er dazu führt, dass der Verpflichtete aufgrund der Kürzung seiner Anwartschaften auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sein wird (vgl BVerfGE_53,257 <298 f> ). | ||
LB 3) Erst wenn die Durchführung des Versorgungsausgleichs unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände, wozu bei atypischen Vermögenslagen auch eine anderweitige Sicherung des Ausgleichberechtigten bei besonderer Bedürftigkeit des Verpflichteten gehören kann, zu einem insgesamt nicht mehr dem Grundsatz der hälftigen Berechtigung der Eheleute am gemeinsam in der Ehezeit erwirtschafteten Vermögen entsprechenden Ergebnis führt, kann die Härtefallklausel zur Vermeidung grundrechtswidriger Ergebnisse herangezogen werden. Dies setzt jedoch zwingend auch eine Prüfung der Situation des Ausgleichsverpflichteten unter Berücksichtigung der Folgen voraus, die die Durchführung des Versorgungsausgleichs für ihn hat. | ||
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T-03-09 | Schutz der Ehe als Lebensgemeinschaft | |
"Art.6 Abs.1 in Verbindung mit Art.3 Abs.2 GG schützt die Ehe als eine Lebensgemeinschaft gleichberechtigter Partner (vgl BVerfGE_10,59 <66 f>; BVerfGE_35,382 <408>). Die Ehegatten können ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung in gemeinsamer Verantwortung bestimmen und dabei insbesondere selbstverantwortlich darüber entscheiden, wie sie untereinander die Familien- und Erwerbsarbeit aufteilen wollen (vgl BVerfGE_57,361 <390>; BVerfGE_61,319 <347>; BVerfGE_66,84 <94>; BVerfGE_68,256 <268> ). Dabei sind die jeweiligen Leistungen, die die Ehegatten im Rahmen ihrer innerfamiliären Arbeitsteilung erbringen, als grundsätzlich gleichwertig anzusehen. Haushaltsführung und Kinderbetreuung haben für das gemeinsame Leben der Ehepartner keinen geringeren Wert als das Erwerbseinkommen des berufstätigen Ehegatten (vgl BVerfGE_66,324 <330>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 5.Februar 2002, 1 BvR 105/95 ua, amtlicher Umdruck, S.18). Aus Art. 6 Abs.1 in Verbindung mit Art.3 Abs.2 GG folgt in diesem Zusammenhang, dass beide Eheleute gleichermaßen an dem in der Ehe erworbenen Vermögen berechtigt sind (vgl BVerfGE_53,257 <296> ). Deshalb dürfen die während der Ehe nach Maßgabe der von den E hegatten vereinbarten Arbeitsteilung erwirtschafteten Versorgungsanrechte nach der Scheidung gleichmäßig auf beide Partner verteilt werden (vgl BVerfGE_53,257 <296>). Der Versorgungsausgleich dient ebenso wie der Zugewinnausgleich der Aufteilung von gemeinsam erwirtschafteten Vermögen der Eheleute, welches nur wegen der in der Ehe gewählten Aufgabenverteilung einem der Ehegatten rechtlich zugeordnet war (vgl BGH, NJW 1990, S.2746). Dabei korrespondiert mit der Rechtfertigung des Eingriffs in die durch Art.14 Abs.1 GG geschützten Rechtspositionen des ausgleichsverpflichteten Ehegatten durch Art.6 Abs.1 in Verbindung mit Art.3 Abs.2 GG ein verfassungsrechtlicher Anspruch aus eben diesen Grundrechten auf gleiche Teilhabe am in der Ehe erworbenen Vermögen (vgl BVerfG, Beschluss vom 5.Februar 2002, 1 BvR 105/95 ua, aaO, S.19). | ||
In diesem Zusammenhang hat die Härtefallklausel des § 1587c Nr.1 BGB die Funktion eines Gerechtigkeitskorrektivs. Sie soll als Ausnahmeregelung eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Entscheidung in solchen Fällen ermöglichen, in denen die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs zur "Prämierung" einer groben Verletzung der aus der ehelichen Gemeinschaft folgenden Pflichten führen (vgl BVerfGE_53,257 <298>) oder gegen die tragenden Prinzipien des Versorgungsausgleichs verstoßen würde (vgl BVerfGE_66,324 <331>). Bei der Auslegung des Merkmales der "groben Unbilligkeit" in § 1587c Nr.1 BGB ist daher zu beachten, dass es Zweck dieser Vorschrift ist, solche mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs verbundenen Eingriffe in die durch Art.14 Abs.1 GG bzw 33 Abs.5 GG geschützten Rechte des Ausgleichsverpflichteten zu vermeiden, die nicht mehr durch Art.6 Abs.1 in Verbindung mit Art.3 Abs.2 GG gerechtfertigt sind. Die Vorschrift kann daher nicht dazu herhalten, jegliches eheliches Fehlverhalten durch einen Ausschluss oder eine Beschränkung des Versorgungsausgleichs zu sanktionieren. Ihre Auslegung hat sich vielmehr an der gesetzgeberischen Zielsetzung des Versorgungsausgleichs insgesamt zu orientieren. Soll die Norm die gleichberechtigte Teilhabe der Eheleute an dem in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen verwirklichen und dem Ehegatten, der insbesondere wegen der Aufteilung der Erwerbs- und Familienarbeit in der Familie keine eigenen Versorgungsanwartschaften hat aufbauen können, eine eigene Versorgung verschaffen (vgl BTDrucks 7/4361, S.43), muss sich das Vorliegen einer groben Unbilligkeit, wie auch der Wortlaut von § 1587c Nr.1 BGB zeigt, aus den beiderseitigen Verhältnissen der Eheleute ergeben. Es bedarf daher einer Würdigung aller Umstände, die die Verhältnisse der Eheleute in Ansehung des Versorgungsausgleichs prägen. | ||
Auszug aus BVerfG B, 20.05.03, - 1_BvR_237/97 -, www.BVerfG.de, Abs.17 | ||
§§§ | ||
03.025 | Umgangskontakt | |
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LB 1) Art.2 Abs.1 GG gewährleistet in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dieses Recht schützt grundsätzlich vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter (vgl BVerfGE_32,373 <378 ff>; BVerfGE_44,353 <372 f>; BVerfGE_65,1 <41 f>; BVerfGE_78,77 <84>; BVerfGE_84,192 <194 f>; BVerfGE_89,69 <82>; vgl auch Fehnemann, FamRZ 1979, S.661, 662 f). | ||
LB 2) Der Schutz ist umso intensiver, je näher die Daten der Intimsphäre des Betroffenen stehen, die als unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beansprucht (vgl BVerfGE_32,373 <378 f>; BVerfGE_65,1 <45 f>; BVerfGE_89,69 <82>). | ||
LB 3) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht absolut geschützt. Vielmehr muss jeder Bürger staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit auf gesetzlicher Grundlage unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden, soweit sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen (vgl BVerfGE_32,373 <379>; BVerfGE_65,1 <44>; BVerfGE_89,69 <84>). Aus der gesetzlichen Grundlage müssen sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben (vgl BVerfGE_65,1 <44>). In grundlegenden normativen Bereichen hat der Gesetzgeber dabei alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen (vgl BVerfGE_61,260 <275>; BVerfGE_88,103 <116>). | ||
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T-03-10 | Eingriffsermächtigung | |
"An einer solchen verfassungsrechtlich gebotenen klaren und unmissverständlichen gesetzlichen Grundlage fehlt es für den hier vorliegenden weitreichenden Eingriff. Die Anordnung, die den Betroffenen zwingt, sich im Rahmen eines sorge- bzw umgangsrechtlichen Verfahrens psychologisch untersuchen zu lassen und zu diesem Zweck bei einem Sachverständigen zu erscheinen, kann sich auf keine sie legitimierende Gesetzesnorm stützen (vgl hierzu auch OLG Koblenz, FamRZ 2000, S. 1233; OLG Karlsruhe, FamRZ 1993, S.1479 <1480>; OLG Hamm, 1.FamS, FamRZ 1982, S.94 <95>; 4.FamS, FamRZ 1981, S.706 <707>; BayObLG, FamRZ 1979, S.737 <739>; OLG Stuttgart, OLGZ 1975, 132 ff; Schmidt, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14.Aufl, § 15 Rz.49; Bassenge/Herbst, FGG/RPflG, 8.Aufl, § 15 Rz.31; Jansen, FGG I.Bd, 2.Aufl, § 12 Rz.68; Weychardt, ZfJ 1999, S.326 <332>; Säcker, FamRZ 1971, S.81 <83, 84>). Als Ermächtigungsgrundlagen können weder § 33 FGG noch § 1684 Abs.1 BGB bzw §§ 12, 15 Abs.1 FGG herangezogen werden. | ||
§ 33 FGG, der die Verhängung von Zwangsmitteln regelt, setzt voraus, dass die durch eine gerichtliche Verfügung einem Verfahrensbeteiligten aufgegebene Handlung, Unterlassung bzw Duldung ihrerseits eine gesetzliche Grundlage hat; aus § 33 FGG selbst kann diese nicht hergeleitet werden (vgl OLG Karlsruhe, FamRZ 1993, S.1479 <1480>; BayObLG, FamRZ 1979, S.737 <739>; OLG Stuttgart, OLGZ 1975,132 ff.; vgl auch OLG Koblenz, FamRZ 2000, S.1233; OLG Hamm, 1.FamS, FamRZ 1982, S.94; 4.FamS, FamRZ 1981, S.706; Zimmermann, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14.Aufl, § 33 Rz.1; Fehnemann, FamRZ 1979, S.661 <662 f>; Säcker, FamRZ 1971, S.81). | ||
Als gesetzliche Grundlage für die dem Beschwerdeführer mit der Anordnung auferlegte Handlung und Duldung scheidet § 1 684 Abs.1 BGB aus. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die in dieser Norm statuierte Umgangsverpflichtung die zwangsweise Durchführunge ines Umgangskontaktes gegen den Willen des betroffenen Elternteils legitimieren kann. Denn der durch das Oberlandesgericht angeordnete "Umgang" in den Räumen des Sachverständigen sollte zugleich, wenn nicht sogar vorrangig der weiteren Sachverhaltsermittlung und -aufklärung als Grundlage einer Begutachtung auch des Beschwerdeführers und seines Verhaltens dienen. Die zwangsweise Beobachtung und Begutachtung des Umgangs durch einen Sachverständigen wird aber von § 1684 Abs.1 BGB nicht erfasst. | ||
Auch § 12 und § 15 Abs.1 FGG können nicht als Rechtsgrundlage für die gerichtliche Anordnung herangezogen werden. | ||
Gemäß § 12 FGG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen anzustellen und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen. Im Gegensatz zu §§ 68b Abs.3, Abs.4, 70e Abs.2 FGG, die die Gutachtenerstellung im Betreuungs- bzw. Unterbringungsverfahren regeln, räumt § 12 FGG dem Gericht keine Befugnis ein, die Untersuchung des Betroffenen zur Vorbereitung eines Gutachtens zu erzwingen (vgl OLG Karlsruhe, FamRZ 1993, S.1 479 <1480>; OLG Hamm, 4.FamS, FamRZ 1981, S.706; BayObLG, FamRZ 1979, S.737 < 739>; OLG Stuttgart, OLGZ 1975,132 <133>; Fehnemann, FamRZ 1979, S.661 <662 f>; Säcker, FamRZ 1971, S.81; Jansen, FGG I.Bd, 2.Aufl, § 12 Rz.68). | ||
§ 15 FGG erklärt die Vorschriften der Zivilprozessordnung für die Beweisaufnahme im FGG-Verfahren im Wesentlichen für entsprechend anwendbar. Zwar enthält § 372a ZPO für Fälle, in denen die Abstammung einer Person gerichtlicher Klärung bedarf, die Verpflichtung der Beteiligten, Untersuchungen, insbesondere die Entnahme von Blut, zu dulden. Bei dieser Norm handelt es sich indes um eine spezielle Ausnahmevorschrift, der eine allgemeine Verpflichtung, gerichtliche Anordnungen vergleichbarer Art hinzunehmen und ihre Vollziehung bei Vermeidung von Zwangsmaßnahmen zu dulden, nicht entnommen werden kann (OLG Hamm, 4.FamS, FamRZ 1981, S.706 <707>; OLG Stuttgart, OLGZ 1975, 132 <133>; im Ergebnis ebenso: OLG Koblenz, FamRZ 2000, S.1233; OLG Karlsruhe, FamRZ 1993, S.1479 <1480>; OLG Hamm, 1.FamS, FamRZ 1982, S.94 <95>; BayObLG, FamRZ 1979, S.737 <739>; Schmidt, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14.Aufl, § 15 Rz.49; Bassenge/Herbst, FGG/RPflG, 8.Aufl, § 15 Rz.31; iE wohl auch Säcker, FamRZ 1971, S.81 <82 f>)." | ||
Auszug aus BVerfG B, 20.05.03, - 1_BvR_2222/01 -, www.BVerfG.de, Abs.12 ff | ||
§§§ | ||
03.026 | Kinderumgang | |
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LB 1) Das Umgangsrecht des nichtsorgeberechtigten Elternteils steht ebenso wie die elterliche Sorge des anderen Elternteils unter dem Schutz des Art.6 Abs.2 Satz 1 GG. Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts nicht einigen, haben die Gerichte eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt (vgl BVerfGE_31,194 <206 f>; 64,180 <187 f>). Ein Verstoß gegen das Kindeswohl begründet zudem zugleich einen Verstoß gegen das Elternrecht (vgl BVerfGE_99,145 <164>). | ||
LB 2) Zwar gilt für abgeschobene Ausländer - wie den Beschwerdeführer - ein generelles Verbot der Wiedereinreise nach Deutschland (§ 8 Abs.2 AuslG). Daran ändert auch die Elternschaft zu einem deutschen Kind nichts. Denn Art.6 Abs.2 Satz 1 GG vermittelt einem ausländischen Familienangehörigen keinen Anspruch auf Einreise nach Deutschland (vgl BVerfGE_76,1 <48>). | ||
LB 3) Ausnahmsweise kann aber auch einem abgeschobenen Ausländer das kurzfristige Betreten des Bundesgebiets erlaubt werden, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde (vgl § 9 Abs.3 AuslG). Dem Interesse eines Ausländers an der Ausübung eines ihm eingeräumten Umgangsrechts mit seinem hier lebenden deutschen Kind kommt als Aufenthaltszweck eine Bedeutung zu, die von der Ausländerbehörde im Rahmen der nach § 9 Abs.3 AuslG vorzunehmenden Abwägung mit den gegen eine Gestattung der Wiedereinreise des zuvor abgeschobenen Ausländers sprechenden Belangen zu beachten ist. Denn Art.6 Abs.1 in Verbindung mit Abs.2 GG als wertentscheidende Grundsatznorm verpflichtet die Ausländerbehörden, familiäre Bindungen eines Ausländers an Personen, die sich berechtigter Weise im Bundesgebiet aufhalten, bei der Entscheidung über ausländerrechtliche Maßnahmen im Einzelfall zu beachten (vgl BVerfGE_76,1 <49 f>; BVerfG, Beschluss der 2.Kammer des Zweiten Senats vom 30.Januar 2002 - 2_BvR_231/00 -, FamRZ 2002, S.601 <602>). | ||
§§§ | ||
03.027 | Selbstablehnung | |
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LB 1) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters des Bundesverfassungsgerichts nach § 19 BVerfGG setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. | ||
LB 2) Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl BVerfGE_88,17 <22 f>; BVerfGE_99,51 <56>; BVerfGE_101,46 <50 f>; BVerfGE_102,192 <195>). | ||
LB 3) Eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 19 BVerfGG kann nicht aus den allgemeinen Gründen hergeleitet werden, die nach der ausdrücklichen Regelung des § 18 Abs.2 und 3 BVerfGG nicht zum Ausschluss von der Ausübung des Richteramts führen. | ||
LB 4) Es wäre ein Wertungswiderspruch, könnte gerade auf diese Gründe dennoch ohne Weiteres eine Besorgnis der Befangenheit gestützt werden. Daher können erst Umstände, die über die in § 18 Abs.2 und 3 BVerfGG genannten hinausgehen, eine Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl BVerfGE_88,17 <23>; BVerfGE_102,192 <195>). | ||
LB 5) Die Tatsache, dass Herr Kanther in der von Richter Jentsch begründeten Rechtsanwaltskanzlei mit dessen Einverständnis unter den in der dienstlichen Äußerung mitgeteilten Bedingungen seinen Beruf als Rechtsanwalt ausübt, ist geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters Jentsch in dem zur Entscheidung anstehenden Verfahren zu begründen. | ||
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T-03-11 | Richter Jentsch | |
"1. Bei der dienstlichen Äußerung des Richters Jentsch handelt es sich um eine Erklärung im Sinne des § 19 Abs.3 BVerfGG. Diese Regelung setzt nicht voraus, dass der Richter sich selbst für befangen hält. Es genügt, dass er Umstände anzeigt, die Anlass geben, eine Entscheidung über die Besorgnis | ||
der Befangenheit zu treffen (vgl BVerfGE_88,1 <3>; BVerfGE_88,17 <22>; BVerfGE_98,134 <137>; BVerfGE_101,46 <50>; BVerfGE_102,192 <194>). Die mitgeteilten Umstände geben zu einer Senatsentscheidung gemäß § 19 Abs.3 in Verbindung mit § 19 Abs.1 BVerfGG über die Besorgnis der Befangenheit des Richters Jentsch Anlass. | ||
2. Der von dem Richter Jentsch mit dienstlicher Äußerung vom 19.März 2003 angezeigte Sachverhalt begründet die Besorgnis der Befangenheit. Er enthält hinreichende Gründe, die geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters Jentsch auszulösen. | ||
a) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters des Bundesverfassungsgerichts nach § 19 BVerfGG setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl BVerfGE_88,17 <22 f>; BVerfGE_99,51 <56>; BVerfGE_101,46 <50 f>; BVerfGE_102,192 <195>). | ||
Eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 19 BVerfGG kann nicht aus den allgemeinen Gründen hergeleitet werden, die nach der ausdrücklichen Regelung des § 18 Abs.2 und 3 BVerfGG nicht zum Ausschluss von der Ausübung des Richteramts führen. Es wäre ein Wertungswiderspruch, könnte gerade auf diese Gründe dennoch ohne Weiteres eine Besorgnis der Befangenheit gestützt werden. Daher können erst Umstände, die über die in § 18 Abs.2 und 3 BVerfGG genannten hinausgehen, eine Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl BVerfGE_88,17 <23>; BVerfGE_102,192 <195>). | ||
b) Die Tatsache, dass Herr Kanther in der von Richter Jentsch begründeten Rechtsanwaltskanzlei mit dessen Einverständnis unter den in der dienstlichen Äußerung mitgeteilten Bedingungen seinen Beruf als Rechtsanwalt ausübt, ist geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters Jentsch in dem zur Entscheidung anstehenden Verfahren zu begründen. | ||
Zwar ist nach § 18 Abs.2 BVerfGG ein Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht mit der Folge eines Ausschlusses von der Ausübung seines Richteramts am Verfahren im Sinne des § 18 Abs.1 Nr.1 BVerfGG "beteiligt", wenn er "aufgrund ... seines Berufs ... oder aus einem ähnlich allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist". Die Beziehung des Richters Jentsch zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde geht jedoch über eine solche allgemeine, in der Regel keine Besorgnis der Befangenheit auslösende "Beteiligung" hinaus. | ||
Die Verfassungsbeschwerde hat zwar nicht unmittelbar die Rechtmäßigkeit des Finanzgebarens der hessischen CDU zum Gegenstand; vielmehr geht es um die Anforderungen an einen Rechenschaftsbericht, der die Voraussetzungen für die Festsetzung der staatlichen Parteienfinanzierung erfüllt. Die dabei in Rede stehende Fehlerhaftigkeit des Rechenschaftsberichts der CDU für das Jahr 1998 beruht aber auf den umstrittenen finanziellen Transaktionen der CDU des Landes Hessen in einem Zeitraum, in dem Herr Kanther Generalsekretär und später Landesvorsitzender der hessischen CDU war; während seiner Amtszeit soll das nicht deklarierte Vermögen der CDU ins Ausland transferiert worden sein. Hinzu kommt, dass er selbst hieran sogar beteiligt gewesen sein soll. Die behauptete Verstrickung von Herrn Kanther in die Vorgänge um die "Schwarzen Kassen" der hessischen CDU steht deshalb in einem wesentlich engeren Zusammenhang zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens als seinerzeit zum abstrakten Normenkontrollverfahren betreffend die Wahlprüfung in Hessen (vgl BVerfGE_102,192 und BVerfGE_103,111): Dort ging es allein um die Verfassungsgemäßheit der personellen Zusammensetzung des hessischen Wahlprüfungsgerichts sowie um die Verfassungsmäßigkeit von Teilen des ihm vorgegebenen Prüfungsmaßstabs und der sofortigen Rechtskraft seiner Urteile (vgl BVerfGE_102,192 <196>); das Finanzgebaren der CDU Hessens war als Sachverhalt nicht einmal mittelbar Gegenstand des Verfahrens. Für die im vorliegenden Fall von der Beschwerdeführerin mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Rechte hat es hingegen maßgebliche Bedeutung, weil es den entscheidungserheblichen Rechenschaftsbericht für das Jahr 1998 unstreitig inhaltlich beeinflusst hat. | ||
Dieser Unterschied führt auch zu einem größeren Gewicht des möglichen Interesses von Richter Jentsch am Ausgang des vorliegenden Verfahrens aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten. Der Senat hat im Fall der Wahlprüfung in Hessen ausgeführt, dass Herr Kanther der Sache nach als rehabilitiert erscheinen könnte, wenn der zur Prüfung gestellte Grund für eine Ungültigkeit der Wahl und die Zusammensetzung des Wahlprüfungsgerichts für verfassungswidrig erklärt würden; ein derartiger Ausgang des Verfahrens wäre geeignet, das Ansehen sowie den wirtschaftlichen Wert der Rechtsanwaltskanzlei zu steigern und daher die ökonomischen Interessen des Richters Jentsch vornehmlich für die Zeit nach seinem Ausscheiden als Bundesverfassungsrichter zu berühren; solche möglichen mittelbaren Folgewirkungen einer anstehenden Entscheidung rechtfertigten aber - bei einer vernünftigen Würdigung aus dem maßgeblichen Blickwinkel der in einem abstrakten Normenkontrollverfahren beteiligten Staatsorgane - nicht die Besorgnis, der Richter Jentsch sei in Bezug auf den Gegenstand des Verfahrens befangen (vgl BVerfGE_102,192 <196>). | ||
Dies ist nunmehr im Hinblick auf die Nähe von Herrn Kanther zu den umstrittenen Finanzaktionen der hessischen CDU, dem hieraus resultierenden Fehler im Rechenschaftsbericht für das Jahr 1998 und der nachfolgenden, auf diesen Fehler gestützten und mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Versagung von staatlichen Geldern der Parteienfinanzierung anders zu bewerten. Der Ausgang des Verfahrens über die Gewährung dieser finanziellen Mittel könnte möglicherweise für Herrn Kanther weitere Verfahren nach sich ziehen, in denen es um die rechtliche Beurteilung seines Verhaltens beim Umgang mit dem Parteivermögen und eine mögliche Haftung hierfür geht. Dies könnte Auswirkungen auf die von Richter Jentsch begründete Anwaltskanzlei haben. | ||
Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Richter des Bundesverfassungsgerichts über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigen, in Unvoreingenommenheit und Objektivität zu entscheiden (vgl BVerfGE_35,171 <173 f> und abweichende Meinung S.175 ff; BVerfGE_73,330 <335 f>). Bei den Vorschriften über die Besorgnis der Befangenheit geht es aber auch darum, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu vermeiden. Bei vernünftiger Würdigung aller Umstände besteht hinreichender Anlass, wegen der Verbindung mit Herrn Kanther in einer gemeinsamen Anwaltskanzlei an der Unvoreingenommenheit des Richters Jentsch zu zweifeln." | ||
Auszug aus BVerfG B, 18.06.03, - 2_BvR_383/03 -, www.BVerfG.de, Abs.16 ff | ||
§§§ | ||
03.028 | Auslieferung | |
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LB 1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben deutsche Gerichte in Auslieferungsverfahren zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrunde liegenden Akte mit dem nach Art.25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind (vgl BVerfGE_63,332 <337 f>; BVerfGE_75,1 <19>). | ||
LB 2) Den zuständigen Organen der Bundesrepublik Deutschland ist es danach verwehrt, einen Verfolgten auszuliefern, wenn die Strafe, die ihm im ersuchenden Staat droht, unerträglich hart, mithin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erschiene. | ||
LB 3) Anderes gilt hingegen dann, wenn die zu vollstreckende Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. | ||
LB 4) Das Grundgesetz geht nämlich von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus (vgl Präambel, Art.1 Abs.2, Art.9 Abs.2, Art.23 bis 26 GG). Es gebietet damit zugleich, fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten (vgl BVerfGE_75,1 <16 f>), auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen. | ||
LB 5) Zur abweichenden Meinung des Richters Sommer und der Richterin Lübbe-Wolff siehe BVerfGE_108,145 = www.BverfG.de Abs.61 ff. | ||
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T-03-12 | Auslieferung nach Indien | |
"1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben deutsche Gerichte in Auslieferungsverfahren zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrunde liegenden Akte mit dem nach Art.25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind (vgl BVerfGE_63,332 <337 f>; BVerfGE_75,1 <19>). | ||
Die Grenzen, die einer Auslieferung hierdurch gezogen werden, hat das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Ausgestaltung des Straf- und Vollstreckungsverfahrens, das den Auszuliefernden in dem ersuchenden Staat erwartet, konkretisiert. Danach zählt zu den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Kernbereich des aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Gebots der Verhältnismäßigkeit. Den zuständigen Organen der Bundesrepublik Deutschland ist es danach verwehrt, einen Verfolgten auszuliefern, wenn die Strafe, die ihm im ersuchenden Staat droht, unerträglich hart, mithin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erschiene. Ebenso zählt es zu den unabdingbaren Grundsätzen der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung, dass eine angedrohte oder verhängte Strafe nicht grausam, unmenschlich oder erniedrigend sein darf. Die zuständigen Organe der Bundesrepublik Deutschland sind deshalb gehindert, an der Auslieferung eines Verfolgten mitzuwirken, wenn dieser eine solche Strafe zu gewärtigen oder zu verbüßen hat. | ||
Anderes gilt hingegen dann, wenn die zu vollstreckende Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. Das Grundgesetz geht nämlich von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus (vgl Präambel, Art.1 Abs.2, Art.9 Abs.2, Art.23 bis 26 GG). Es gebietet damit zugleich, fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten (vgl BVerfGE_75,1 <16 f>), auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen. Soll der in gegenseitigem Interesse bestehende zwischenstaatliche Auslieferungsverkehr erhalten und auch die außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung unangetastet bleiben, so dürfen die Gerichte als unüberwindbares Hindernis für eine Auslieferung nur die Verletzung der unabdingbaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung zu Grunde legen. | ||
2. Nach diesem verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab ist der Verfassungsbeschwerde ein Verfassungsverstoß durch die angefochtenen Entscheidungen nicht zu entnehmen. | ||
a) Soweit der Beschwerdeführer unter Hinweis auf Berichte von amnesty international und Auswärtigem Amt geltend macht, ihm drohten als strafverdächtiger Person in Indien Folter und Misshandlungen, so rügt er im Kern die aus seiner Sicht falsche Einschätzung der tatsächlichen Verhältnisse seitens des Gerichts. | ||
Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür zuständigen Fachgerichte (vgl BVerfGE_18,85 <93>; BVerfGE_30,173 <196 f>; BVerfGE_57,250 <272>; BVerfGE_74,102 <127> stRspr). Auch in Auslieferungsverfahren prüft das Bundesverfassungsgericht insoweit nur, ob die Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl Beschluss der 1.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11.Dezember 2000 - 2_BvR_2184/00 -; vgl auch BVerfGE_80,48 <51>). Diese Grenzen sind in dem hier zu entscheidenden Fall nicht überschritten. | ||
aa) (1) Das Oberlandesgericht München stellt in seinem Beschluss vom 30.April 2003 bezüglich der behaupteten Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bei einer Auslieferung ausdrücklich darauf ab, dass begründete Anhaltspunkte für die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung vorliegen müssen. Dieser Prüfungsmaßstab entspricht sowohl der vom Oberlandesgericht zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl Beschluss der 3.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 31.Mai 1994 - 2_BvR_1193/93 -, NJW 1994, S.2883 = NStZ 1994, S.492) als auch der des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl EGMR, Urteil vom 7.Juli 1989, Series A No.161, S.35 Ziff.91 = NJW 1990, S.2183, 2185 - Soering; Reports of Judgments and Decisions 1996-V, 1853, Ziff.73 f - Chahal), der inhaltlich gleichbedeutend von "begründeten Tatsachen" (substantial grounds) für ein "tatsächliches Risiko" (real risk) von Folter spricht. Daher hat das Oberlandesgericht entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers keinen überzogenen Maßstab angewendet. Insbesondere kann allein aus der Formulierung des Beschlusses vom 30.April 2003, wonach für eine "konkrete Gefahr <...> als unmittelbar bevorstehend" keine Erkenntnisse vorlägen, nicht geschlossen werden, dass das Oberlandesgericht nunmehr einen anderen Maßstab anlegen wollte. | ||
(2) Eine Gefahr in dem beschriebenen Sinne kann angenommen werden, wenn stichhaltige Gründe vorgetragen sind, nach denen gerade in dem konkreten Fall eine "beachtliche Wahrscheinlichkeit" (vgl Beschluss der 3.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22.Juni 1992 - 2 BvR 1901/91 -, abgedruckt in: Eser/Lagodny/Willkitzki, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtsprechungssammlung, 2.Aufl 1993, Nr.U 202) besteht, in dem ersuchenden Staat das Opfer von Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung zu werden. | ||
Auf konkrete Anhaltspunkte gerade im Fall des Auszuliefernden kommt es in der Regel nur dann nicht an, wenn in dem ersuchenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht (vgl dazu den Wortlaut von Art.3 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.Dezember 1984 - UN-Antifolterkonvention,BGBl 1990 II S.246 <248>). Die Auslieferung in Staaten, die eine ständige Praxis umfassender und systematischer Menschrechtsrechtsverletzungen aufweisen, wird regelmäßig die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der elementaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung begründen. | ||
b) Es ist nicht ersichtlich, dass die Feststellungen in den angegriffenen Entscheidungen, mit denen eine entsprechende Gefahr von Folter für den Beschwerdeführer verneint wurde, willkürlich sind. | ||
Für eine solche Annahme reicht der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Berichte von amnesty international und des Auswärtigen Amtes, wonach Folterungen und Misshandlungen von strafverdächtigen Personen in Indien weit verbreitet sowie Folter eine "häufig von der Polizei angewandte Vernehmungsmethode" und ein Erpressungsmittel seien, nicht aus. | ||
(1) Das Oberlandesgericht hat in seinem Beschluss vom 30. April 2003 nicht in Zweifel gezogen, dass in Indien Folter zum Teil als Vernehmungsmethode oder als Erpressungsmittel angewendet wird. Für seine Einschätzung, dass dem Beschwerdeführer gleichwohl keine konkrete Gefahr von Folter drohe, hat es sich darauf gestützt, dass Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Organe zwar vorkämen, jedoch verstärkt rechtlich geahndet würden. Dies entspricht der Einschätzung des Auswärtigen Amtes in seinem Lagebericht "Indien". Ferner hat das Gericht darauf hingewiesen, dass Folter in Indien durch Gesetz verboten sei und nicht durch den Staat zielgerichtet gefördert werde, der indische Staat vielmehr Folterer bestrafe und in letzter Zeit auch eine Kampagne zur Bewusstseinserhöhung unter seinen Sicherheitskräften in die Wege geleitet habe. Auch dies findet seine Grundlage in dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes. | ||
Bereits diese Gesichtspunkte lassen die Einschätzung des Oberlandesgerichts nachvollziehbar erscheinen, allein auf Grund des Umstandes, dass Folter in Indien eine häufig von der Polizei angewandte Vernehmungsmethode oder ein Erpressungsmittel sei, drohe dem Beschwerdeführer keine konkrete Gefahr von Folter mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, insgesamt sei Indien demnach kein Staat, in dem eine ständige Praxis umfassender oder systematischer Menschrechtsrechtsverletzungen herrsche. | ||
(2) (a) Diese Einschätzung des Oberlandesgerichts wird auch von seiner Erwägung getragen, dass der zwischen Deutschland und Indien am 27.Juni 2001 geschlossene Auslieferungsvertrag zu berücksichtigen sei. Der Vertrag sei zwar noch nicht ratifiziert, der Umstand des Vertragsschlusses spreche jedoch dafür, dass die im Asyllagebericht des Auswärtigen Amtes erwähnten Methoden gerade nicht der Normalfall seien, sondern Ausnahmecharakter hätten, andernfalls es nicht zu einem solchen Abkommen gekommen wäre. Dem kann der Beschwerdeführer nicht mit Erfolg entgegenhalten, dies sei eine willkürliche "hypothetische" Erwägung, da man angesichts der entgegenstehenden Erkenntnisse nicht vom Soll- auf den Ist-Zustand schließen könne. | ||
(b) Die Tatsache des Vertragsschlusses unterstützt ein Verständnis des in seinen Aussagen heterogenen und auf die Situation politisch Verfolgter konzentrierten Asyllageberichts, wonach eine systematische menschenrechtswidrige Praxis gerade auch im Strafvollzug nicht bestehe, weil ansonsten unter Federführung des Auswärtigen Amtes ein Auslieferungsvertrag jedenfalls im Jahr 2001 gar nicht erst geschlossen worden wäre. Darüber hinaus mindert auch die Tatsache des Vertragsschlusses selbst eine etwaige Gefahr für den Beschwerdeführer, weil aus ihm heraus Rechtspflichten für die Republik Indien in Bezug auf die Achtung des menschenrechtlichen Mindeststandards im konkreten Fall der Auslieferung erwachsen. Schon aus der Tatsache des Vertragsschlusses folgt ein völkerrechtliches Frustrationsverbot, wonach die Vertragsparteien verpflichtet sind, nach der Unterzeichnung und vor der Ratifikation des Abkommens alles zu unterlassen, was den Zielen des Vertrags zuwiderläuft (siehe Art.18 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.Mai 1969,BGBl 1985 II S.926 ; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3.Aufl 1984, §§ 705, 719 mwN). Die menschenunwürdige Behandlung von Personen, die von Deutschland nach Indien auf noch vertragsloser Grundlage ausgeliefert werden, würde dem Vertrag widersprechen, da eine solche Praxis die Schaffung einer stabilen bilateralen Beziehung in Rechtshilfe- und Auslieferungssachen - die durch den Abschluss des Abkommens angestrebt wird - verhindern würde. Art.5 des Auslieferungsvertrags enthält einen ordre-public-Vorbehalt, der die Ablehnung eines Auslieferungsersuchens im Fall des § 73 IRG gestatten würde (vgl Denkschrift der Bundesregierung zu dem Vertrag, zu Artikel 5, BRDrucks 241/03, S.17). Funktionell betrachtet treten damit die Rechtsbindungen des Auslieferungsvertrags an die Stelle der Zusicherung im vertragslosen Zustand. Eine solche Zusicherung der Einhaltung menschenrechtlicher Mindeststandards im Strafverfahren oder menschenwürdiger Haftbedingungen kann im Vertragszustand regelmäßig nicht verlangt werden, weil damit der anderen Seite ein Vertragsbruch unterstellt wird; dies gilt gerade im aktuellen Zeitpunkt des Inkraftsetzens des Vertrags. | ||
Hierbei handelt es sich um Erwägungen, die einen Rückschluss auf die tatsächliche Lage in Indien für den Beschwerdeführer erlauben. In dem konkreten Fall hat die Bundesregierung die Auslieferung des Beschwerdeführers mit Verbalnote vom 23. April 2003 "nach Maßgabe der Grundsätze des deutsch-indischen Auslieferungsvertrages" bewilligt. Daraus folgt, dass das deutsch-indische Auslieferungsabkommen, obwohl nicht formell in Kraft getreten, auf Grund des völkerrechtlichen Frustrationsverbotes und der Ausgestaltung der Bewilligung materiell zur Grundlage der Auslieferung des Beschwerdeführers geworden ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Indien den Ratifikationsprozess bereits abgeschlossen und damit nochmals seinen Willen bekundet hat, die mit dem Abkommen begründeten völkerrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten. | ||
Hielte sich Indien nicht an die materiellen Regelungen des Abkommens, läge darin ein Verstoß gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen. Die Bewilligung steht demnach unter der Bedingung, dass Indien den Beschwerdeführer nach der Übergabe entsprechend den völkerrechtlichen Mindeststandards behandelt. | ||
Außerdem findet die Einschätzung des Oberlandesgerichts auch in der im vorliegenden Verfahren der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht München gegebenen Mitteilung des Auswärtigen Amtes vom 25.März 2003 eine Stütze. Danach habe bereits der bisherige vertragslose Auslieferungsverkehr mit Indien auf der Grundlage stattgefunden, dass menschenrechtliche Mindeststandards im indischen Strafverfahren und Strafvollzug eingehalten würden; im Einzelfall sei jeweils auf den deutsch-indischen Auslieferungsvertrag Bezug genommen worden, der am 27.Juni 2001 unterzeichnet worden sei und voraussichtlich im Laufe dieses Jahres in Kraft treten werde. Dies kann nichts anderes bedeuten als dass, auch wenn in Indien generell Folter und Misshandlungen weit verbreitet sind, jedenfalls für von der Bundesrepublik Deutschland unter Bezugnahme auf den deutsch-indischen Auslieferungsvertrag ausgelieferte Personen nach Einschätzung der Bundesregierung die menschenrechtlichen Mindeststandards im indischen Strafverfahren und Strafvollzug eingehalten worden sind. | ||
Es kann im Übrigen angenommen werden, dass die Bundesregierung über ihre diplomatischen Vertretungen das weitere Verfahren in Indien von sich aus beobachtet. | ||
(3) Der Beschwerdeführer hat auch keine Gründe vorgetragen, die gerade in seinem Fall eine menschenunwürdige Behandlung bei der Rückkehr nach Indien beachtlich wahrscheinlich machen. Das Oberlandesgericht weist nachvollziehbar darauf hin, es sei nicht bekannt, dass die Mitangeklagten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit gefoltert worden seien. Der Beschwerdeführer, der von einem indischen Rechtsbeistand vertreten wird, hat nichts vorgetragen, was diese Feststellung in Frage stellen könnte. | ||
c) Im Hinblick auf menschenunwürdige Haftbedingungen gelten weitgehend die Ausführungen zur Gefahr der menschenrechtswidrigen Behandlung durch Folter (vgl III.2. a und b). Der Beschwerdeführer rügt auch insoweit im Kern die aus seiner Sicht unzureichende Auseinandersetzung des Gerichts mit den tatsächlichen Verhältnissen im indischen Strafvollzug. | ||
aa) Diese Rüge wird vom Bundesverfassungsgericht am Maßstab des Willkürverbots des Art.3 Abs.1 GG nur daraufhin überprüft, ob die Rechtsanwendung und das dazu eingeschlagene Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, die Entscheidung beruhe auf sachfremden und daher willkürlichen Erwägungen (vgl oben III.2.a). | ||
bb) Dies vermag die Beschwerdebegründung nicht darzutun. Der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Berichte von amnesty international und den Asyllagebericht des Auswärtigen Amtes reicht hierfür nicht aus. | ||
Das Oberlandesgericht hat in der Begründung seines Beschlusses vom 30.April 2003 zu diesem Vorbringen zwar nur knapp im Anschluss an seine Ausführungen zu der geltend gemachten Foltergefahr erklärt, gleiches gelte für die vorgetragenen Haftbedingungen; Erkenntnisse für eine konkrete Gefahr für den Beschwerdeführer lägen nicht vor. | ||
Damit hat das Gericht aber - jedenfalls auch - Bezug genommen auf seine tragende Erwägung zur Foltergefahr, bei der der Abschluss des deutsch-indischen Auslieferungsvertrags zu berücksichtigen sei. Aus den oben genannten Gründen kann für die Haftbedingungen im Strafverfahren und im Strafvollzug nichts anderes gelten als für die vom Beschwerdeführer angeführte Foltergefahr: Unabhängig von den Haftbedingungen für einen Großteil der Inhaftierten sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass speziell bei den von der Bundesrepublik Deutschland nach Indien ausgelieferten Personen dort die menschenrechtlichen Mindeststandards nicht eingehalten würden. | ||
cc) Dass im Fall des Beschwerdeführers Besonderheiten vorliegen, die eine andere - wenn auch ansonsten weit verbreitete - Behandlung in der Haft besorgen lassen, hat er nicht dargelegt. | ||
d) Es ist schließlich auch nicht ersichtlich, dass das Oberlandesgericht München den bei einer Auslieferung zu beachtenden Kernbereich der Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips berührt hat, indem es die Auslieferung des Beschwerdeführers nach Indien ungeachtet der ihm dort maximal drohenden lebenslangen Freiheitsstrafe für zulässig erklärt hat. | ||
aa) Der Beschwerdeführer wird beschuldigt, in erheblichem Umfang Vermögensdelikte im Wege einer kriminellen Verschwörung begangen zu haben. Durch die Straftaten ist ein Schaden von rund 2.140.000,-- eingetreten, sodass sie einen insgesamt hohen Unrechtsgehalt aufweisen. Es ist daher nicht unerträglich hart im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl oben unter III.1. und BVerfGE_75,1 <16 ff> , Beschluss der 3.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4.März 1994 - 2_BvR_2037/93 -, NJW 1994, S.2884), wenn der indische demokratische Gesetzgeber den Strafrahmen für diese Straftaten bis zur lebenslänglichen Freiheitsstrafe festgesetzt hat. | ||
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Staaten generell und speziell im Bereich der Vermögensdelikte unterschiedliche Auffassungen über die Strafwürdigkeit von kriminellem Verhalten haben können. Das Bundesverfassungsgericht kann deshalb nur prüfen, ob eine im ersuchenden Staat drohende Strafe "schlechthin unangemessen" ist, selbst wenn im Einzelfall die konkret angedrohte Strafe für den Beschwerdeführer eine Härte bedeutet. | ||
bb) Das Oberlandesgericht hat in seinem Beschluss vom 30. April 2003 schließlich darauf hingewiesen, dass auch nach der deutschen Rechtslage für die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten, in der konkreten Begehungsform der Mittäterschaft, ein Strafhöchstmaß von 15 Jahren Gesamtfreiheitsstrafe in Betracht käme. | ||
3. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung." | ||
Auszug aus BVerfG B, 24.06.03, - 2_BvR_685/03 -, www.BVerfG.de, Abs.29 ff | ||
§§§ | ||
03.029 | Sozietätswechsel | |
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Zur Bedeutung der Berufsfreiheit beim Sozietätswechsel von Rechtsanwälten. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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T-03-13 | Berufsfreiheit bei Sozietätswechsel | |
"Die angegriffene Entscheidung bestätigt eine gegen die Beschwerdeführer gerichtete Verfügung der Rechtsanwaltskammer. Ob eine solche Verfügung schon deshalb rechtswidrig sein könnte, weil es der Rechtsanwaltskammer an einer Rechtsgrundlage fehlt, Berufspflichtverletzungen mit dem Erlass von Ge- und Verboten zu begegnen (vgl BGH, MDR 2003, S.418 mit ablehnender Anmerkung von Hartung), bedarf vorliegend keiner Vertiefung. Denn die an die Beschwerdeführer gerichtete Aufforderung der Rechtsanwaltskammer, die Mandate niederzulegen, findet der Sache nach im Gesetz keine der Verfassung entsprechende Grundlage. Die dem § 43a Abs.4 BRAO durch den Bundesgerichtshof gegebene Auslegung verletzt die Beschwerdeführer in ihrer Berufsausübungsfreiheit aus Art.12 Abs.1 GG (I.). Die vom Bundesgerichtshof bestätigend herangezogene Vorschrift des § 3 Abs.2 BORA ist aus diesem Grund nichtig (II.); hingegen ermöglicht § 43a Abs.4 BRAO eine der Verfassung entsprechende Auslegung und Anwendung. | ||
1. Die Vertretung von Mandanten ist ein wesentlicher Teil der durch Art.12 Abs.1 GG geschützten anwaltlichen Berufsausübung. | ||
Anwälte streiten berufsmäßig für die Interessen ihrer Mandanten, die ihrerseits frei sind, den ihnen zusagenden Rechtsvertreter zu wählen und zu mandatieren. Das personale Vertrags- und Vertrauensverhältnis betrifft einen Beruf, der staatliche Kontrolle und Bevormundung prinzipiell ausschließt (vgl BVerfGE_34,293 <302>) und unter der Herrschaft des Grundgesetzes der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des Einzelnen überantwortet ist, soweit sie nicht durch verfassungsgemäße Regelungen beschränkt ist (vgl BVerfGE_50,16 <29>). Ihre eigenständige und unabhängige Funktion in der Durchsetzung des Rechts nehmen die Rechtsanwälte gerade in Bezug auf ihre jeweiligen Mandanten wahr. | ||
Das in erster Linie durch persönliche und eigenverantwortliche Dienstleistung charakterisierte Verhältnis zum Mandanten wird durch berufliche Zusammenschlüsse nicht aufgehoben oder wesentlich verändert (so für den Strafverteidiger BVerfGE_43,79 <91 f>). Gesetzliche Einschränkungen der beruflichen Betätigung treffen den einzelnen Anwalt persönlich und sind in erster Linie den Interessen der Mandanten geschuldet. Diesem Mandatsverhältnis dienen die in § 43a BRAO normierten Grundpflichten des Rechtsanwalts. Dazu zählen insbesondere die strafbewehrte (§ 203 Abs.1 Nr.3 StGB) und durch ein Zeugnisverweigerungsrecht geschützte (§ 383 Abs.1 Nr.6 ZPO, § 53 StPO, § 84 Abs.1 FGO iVm § 102 AO) Pflicht zur Verschwiegenheit nach § 43a Abs.2 Satz 1 BRAO sowie das ebenfalls in bestimmten Begehungsformen strafbewehrte (vgl § 356 StGB) Verbot in § 43a Abs.4 BRAO, widerstreitende Interessen zu vertreten. In Verbindung mit dem in § 43a Abs.1 BRAO enthaltenen Gebot, dass der Rechtsanwalt keine Bindungen eingehen darf, die seine berufliche Unabhängigkeit gefährden, garantieren diese Grundpflichten dem Mandanten, dass ihm als Rechtsuchendem unabhängige Anwälte als berufene Berater und Vertreter gegenüber dem Staat oder gegenüber Dritten zur Seite stehen (vgl §§ 1, 3 BRAO). | ||
2. Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführer in Gestalt der Verpflichtung zur Beendigung eines Mandats darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen (vgl § 3 Abs.2 BRAO), das den Anforderungen von Art.12 Abs.1 GG genügt. | ||
a) An einer ausdrücklichen gesetzlichen Normierung der Pflicht zur Mandatsbeendigung für Sozietäten fehlt es. § 43a Abs.4 BRAO bezieht sich auf den Einzelanwalt, der in derselben Sache nicht Parteien mit gegenläufigem Interesse vertreten darf. Die Wortfassung ist von besonderer Bedeutung, weil dasselbe Gesetz an anderer Stelle die Erstreckung von Verboten auf die mit dem Rechtsanwalt in Sozietät oder sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbundenen Rechtsanwälte im Wortlaut vorsieht (§ 45 Abs.3 und § 46 Abs.3 BRAO). | ||
b) Das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung bedeutet allerdings nicht notwendig, dass eine die Berufsausübung einschränkende Verfügung und eine sie bestätigende Gerichtsentscheidung den Anforderungen des Art.12 Abs.1 Satz 2 GG widersprechen. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, die Grenzen richterlicher Rechtsauslegung und -fortbildung bei Einschränkungen der freien Berufsausübung allgemein und abschließend festzulegen. Die Auslegung des einfachen Gesetzesrechts einschließlich der Wahl der hierbei anzuwendenden Methode ist Sache der Fachgerichte. Auch aus dem in Art.20 Abs.3 GG angeordneten Vorrang des Gesetzes folgt kein Verbot für den Richter, gegebenenfalls vorhandene gesetzliche Lücken im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu schließen. | ||
Die Fachgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des Gesetzes jedoch die Bedeutung des betroffenen Grundrechts und den Umfang seines Schutzbereichs zu beachten. Sie müssen eine unverhältnismäßige Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit vermeiden. Die Gerichte sind, wenn sie Einschränkungen der grundsätzlich freien Berufsausübung für geboten erachten, an dieselben Maßstäbe gebunden, die nach Art.12 Abs.1 GG den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einschränken (vgl BVerfGE_54,224 <235>; BVerfGE_97,12 <27>). | ||
3. Dem wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht, die Rechtsanwälte oder Anwaltssozietäten zur Beendigung eines Mandats verpflichtet, obwohl diese zuvor selbst die widerstreitenden Interessen auf der Gegenseite nicht vertreten haben und sie auch nicht zu vertreten beabsichtigen. Eine solche Berufsausübungseinschränkung, die damit begründet wird, dass sich die Rechtsanwälte zur Berufsausübung mit einem Anwalt verbinden, der zuvor auf der Gegenseite angestellt war, kann vor Art.12 Abs.1 GG nur Bestand haben, wenn das Verbot durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und der Eingriff nicht weiter geht, als es die rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern (vgl BVerfGE_54,301 <313>). Eingriffszweck und Eingriffsintensität müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen (vgl BVerfGE_101,331 <347>). | ||
a) Ersichtlich dient § 43a Abs.4 BRAO der Wahrung des Vertrauensverhältnisses zum eigenen Mandanten und der Sicherung der Unabhängigkeit insoweit, als ein Anwalt, der sich zum Diener gegenläufiger Interessen macht, jegliche unabhängige Sachwalterstellung im Dienste des Rechtsuchenden verliert. | ||
aa) Es ist hier nicht darüber zu entscheiden, welche Folgerungen zu ziehen wären, wenn der die Sozietät wechselnde Rechtsanwalt das "widerstreitende" Mandat selbst betreut, es gar in die aufnehmende Kanzlei einbringt. Nicht zu behandeln sind auch Fälle, in denen der bekannt gewordene Sozietätswechsel die Mandanten in ihrem Vertrauen tatsächlich erschüttert, so dass sie das Mandatsverhältnis zur abgebenden oder zur aufnehmenden Kanzlei von sich aus beenden. Des Weiteren steht hier nicht zur Entscheidung, wie zu verfahren ist, wenn durch den Sozietätswechsel die Verschwiegenheitspflicht des § 43a Abs.2 BRAO gefährdet oder verletzt würde. Dafür bieten die Ausgangsverfahren keine Anhaltspunkte. | ||
bb) Wenn die vom Sozietätswechsel betroffenen Mandanten beider Seiten das Vertrauensverhältnis zu ihren jeweiligen Rechtsanwälten nicht als gestört ansehen und mit einer Fortführung der eigenen ebenso wie der gegnerischen Mandate einverstanden sind, können der Schutz anwaltlicher Unabhängigkeit und der Erhalt des konkreten Vertrauensverhältnisses zum Mandanten nicht als Gemeinwohlgründe angeführt werden. | ||
b) § 43a Abs.4 BRAO dient aber nicht nur dem Schutz des individuellen Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant und der Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts, sondern darüber hinaus dem Gemeinwohl in Gestalt der Rechtspflege, die auf eine Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung angewiesen ist (vgl BTDrucks 12/4993, S.27), also darauf, dass ein Anwalt nur einer Seite dient. Alle diese Belange treten nebeneinander und bedingen einander. | ||
aa) Als unabhängige Organe der Rechtspflege und als berufene Berater und Vertreter der Rechtsuchenden haben Anwälte die Aufgabe, sachgerechte Konfliktlösungen herbeizuführen, vor Gericht zugunsten ihrer Mandanten den Kampf um das Recht zu führen und dabei zugleich staatliche Stellen möglichst vor Fehlentscheidungen zu Lasten ihrer Mandanten zu bewahren (vgl BVerfGE_76,171 <192> ). Die Wahrnehmung anwaltlicher Aufgaben setzt den unabhängigen, verschwiegenen und nur den Interessen des eigenen Mandanten verpflichteten Rechtsanwalt voraus. Diese Eigenschaften stehen nicht zur Disposition der Mandanten. Der Rechtsverkehr muss sich darauf verlassen können, dass der Pflichtenkanon des § 43a BRAO befolgt wird, damit die angestrebte Chancen- und Waffengleichheit der Bürger untereinander und gegenüber dem Staat gewahrt wird und die Rechtspflege funktionsfähig bleibt (vgl BVerfGE_63,266 <284>; BVerfGE_93,213 <236>). | ||
Dies bedeutet indessen nicht, dass die Definition, was den Interessen des eigenen Mandanten und damit zugleich der Rechtspflege dient, abstrakt und verbindlich von Rechtsanwaltskammern oder Gerichten ohne Rücksicht auf die konkrete Einschätzung der hiervon betroffenen Mandanten vorgenommen werden darf. Kann sich durch einen Sozietätswechsel bei generalisierender Betrachtung eine Gefahr für die Verschwiegenheit und die geradlinige Interessenvertretung ergeben, kommt die Einschätzung, ob eine Rechtsbeeinträchtigung konkret droht, in erster Linie den Mandanten beider Kanzleien zu, die deshalb wahrheitsgemäß und umfassend zu informieren sind. Daneben liegt es in der gesetzesgeleiteten verantwortlichen Einschätzung der betroffenen Rechtsanwälte, ob die Konfliktsituation oder doch jedenfalls das Ziel der Vermeidung zukünftiger Störungen des Vertrauensverhältnisses eine Mandatsniederlegung gebietet (vgl. das in der Stellungnahme der Deutschen Delegation beim Rat der Anwaltschaften der Europäischen Gemeinschaft erwähnte Institut der délicatesse im französischen Recht, das den Grad an eigenverantwortlicher Selbsteinschätzung des Rechtsanwalts umschreibt). Ein verantwortlicher Umgang mit einer solchen Situation kann von einem Rechtsanwalt ebenso erwartet werden wie von einem Richter bei der Offenlegung von Gründen zur Selbstablehnung (vgl § 19 Abs.3 BVerfGG und hierzu BVerfGE_46,34 <41 f). | ||
Soweit die Bundesnotarkammer in ihrer Stellungnahme davon ausgeht, das wirtschaftliche Interesse eines Rechtsanwalts, ein Mandat fortzuführen, nehme ihm die nötige Unabhängigkeit und Unparteilichkeit für ein am Maßstab des § 43a Abs.4 BRAO ausgerichtetes gesetzeskonformes Handeln, entspricht dies nicht der gesetzgeberischen Einschätzung. Der Gesetzgeber bezeichnet die Rechtsanwälte als unabhängige Organe der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Auf deren Integrität, Professionalität und Zuverlässigkeit ist die Rechtspflege angewiesen (vgl BVerfGE_87,287 <320>). Das Gesetz geht nicht davon aus, dass ein berufswürdiges und gesetzeskonformes Handeln der Rechtsanwälte nur im Wege der Einzelkontrolle oder mit Mitteln des Strafrechts gewährleistet werden kann. Das anwaltliche Berufsrecht beruht auch nicht auf der Annahme, dass eine situationsgebundene Gelegenheit zur Pflichtverletzung im Regelfall pflichtwidriges Handeln zur Folge hat. | ||
bb) In tatsächlicher Hinsicht können die Fallgestaltungen, auf die sich die Verbotsnorm des § 43a Abs.4 BRAO bezieht, sehr vielseitig sein (vgl hierzu Zuck, NJW 1999, S.263 <265>; Henssler, NJW 2001, S.1521 <1525 f>; Müller, AnwBl 2001, S.491 <493>; Schlosser, NJW 2002, S.1376 <1379 f.>). So kann die Arbeitsteilung in der abgebenden Kanzlei durch räumliche Trennung (bei überörtlichen Sozietäten und bei Bürogemeinschaften), durch organisatorische Vorkehrungen (chinese wall), durch Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses (Sozius, Angestellter oder freier Mitarbeiter), durch die schiere Größe oder die fachliche Abschottung der verschiedenen Bereiche einer Kanzlei (beispielsweise Baurecht, Familienrecht, Patentrecht) gewährleisten, dass die Verschwiegenheitspflicht schon deshalb nicht gefährdet ist, weil es für den wechselnden Anwalt nichts zu verschweigen gibt. | ||
Die gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit und das Vertrauen der Mandanten in die Verschwiegenheit des einzelnen Anwalts kommen erst zur Geltung, wenn der Rechtsanwalt über geheimhaltungsbedürftige Informationen verfügt. Diese können dem Rechtsanwalt die innere Unabhängigkeit nehmen oder den Mandanten verunsichern und deshalb zur Beendigung des Mandats durch Auftragnehmer oder Auftraggeber führen. Möglicherweise hält aber ein Mandant der abgebenden Kanzlei solche Kenntnisse über Sachverhalt und Rahmenbedingungen oder von Einzelproblemen im konkreten Fall für unschädlich, sofern der wechselnde Rechtsanwalt in der aufnehmenden Kanzlei von jeder Rechtsbesorgung (im Sinne von beraten, unterstützen, vertreten) fern gehalten wird. Auf die Verschwiegenheit ihrer Anwälte sind Mandanten bei einem Sozietätswechsel in derselben Weise angewiesen wie in den Fällen, in denen der eigene Anwalt bei späteren und anderen Auseinandersetzungen von der Gegenseite mandatiert wird. | ||
cc) Im Interesse der Rechtspflege sowie eindeutiger und geradliniger Rechtsbesorgung verlangt § 43a Abs.4 BRAO lediglich, dass im konkreten Fall die Vertretung widerstreitender Interessen vermieden wird. Soweit die vom Kanzleiwechsel unterrichteten und beiderseits betroffenen Mandanten einen solchen Widerstreit nicht befürchten und Vertrauen in die getroffenen Vorkehrungen sowie die Verschwiegenheit ihrer Anwälte zeigen, besteht im Interesse der Rechtspflege nur Anlass zum Eingreifen, wenn hierfür sonstige Indizien sprechen, die den Mandanten verborgen geblieben oder von ihnen unzutreffend eingeschätzt worden sind. Die Rechtsanwaltskammern sind insoweit berechtigt und verpflichtet, allen Hinweisen nachzugehen. Eine Vermutung oder einen Anschein pflichtwidrigen Verhaltens dürfen sie indessen ihren Maßnahmen nicht zugrunde legen. Die Bundesrechtsanwaltsordnung knüpft an solche abstrakten Gefährdungen der Rechtspflege nur in Ausnahmefällen an (vgl § 7 Nr.9 und 10). Dem entspricht die Fassung von § 43a Abs.4 BRAO nicht. | ||
c) Diesen Grundsätzen wird die an § 3 Abs.2 BORA ausgerichtete Auslegung von § 43a Abs.4 BRAO durch den Bundesgerichtshof nicht gerecht. Sie beschränkt die Freiheit der Berufsausübung in der aufnehmenden Kanzlei über das zum Schutz der betroffenen Rechtsgüter erforderliche Maß hinaus, weil sie die Möglichkeit verstellt, den Besonderheiten des jeweiligen Falles Rechnung zu tragen. § 43a Abs.4 BRAO gebietet eine dem Einzelfall gerecht werdende Abwägung aller Belange unter besonderer Berücksichtigung der konkreten Mandanteninteressen. | ||
§ 3 Abs.2 BORA, der keinen Raum für eine Einzelabwägung lässt, ist aus diesem Grund in der ursprünglichen wie in der Fassung späterer Bekanntmachungen mit Art.12 Abs.1 GG unvereinbar und nichtig. Die Vorschrift vernachlässigt nicht nur die Interessen der Mandanten; sie berücksichtigt - soweit die Befugnis zur Ausgestaltung nach § 59b Abs.2 Nr.1 Buchstabe e BRAO reicht - auch weder die Berufsausübungsfreiheit des die Sozietät wechselnden Rechtsanwalts noch die der Mitglieder der aufnehmenden Sozietät in hinreichendem Maße. | ||
1. a) Art.12 Abs.1 GG schützt jede berufliche Tätigkeit, gleichgültig ob sie selbständig oder unselbständig ausgeübt wird (vgl BVerfGE_7,377 <398 f>; BVerfGE_54,301 <322>). Zur Berufsausübung gehört das Recht, sich beruflich zusammenzuschließen (vgl BVerfGE_80,269 <278>), aber auch das Recht, einen Arbeitsplatz nach eigener Wahl anzunehmen, beizubehalten oder aufzugeben (vgl BVerfGE_85,360 <372 f>; BVerfGE_97,169 <175>). Ein Eingriff liegt auch vor, wenn die wirtschaftlichen Folgen von Rechtsnormen die Eingehung von Arbeitsverhältnissen wesentlich erschweren. | ||
b) Die Möglichkeit des Sozietätswechsels ist für die Anwaltschaft zunehmend von Bedeutung. | ||
Der Beruf des Rechtsanwalts wird nicht mehr fast ausschließlich allein in eigener Kanzlei oder gemeinsam mit nur wenigen selbständigen Partnern ausgeübt (vgl Busse, NJW 1999, S.3017). Etwa 7.000 Rechtsanwälte arbeiten in großen Sozietäten mit 30 bis 500 Rechtsanwälten zusammen; fast 20.000 Rechtsanwälte gehen in Sozietäten mit 4 bis 30 Rechtsanwälten ihrem Beruf nach (vgl Heussen, Anwalt 2003, Heft 5, S.16 f). Viele von ihnen arbeiten im Angestelltenverhältnis oder sie sind freie Mitarbeiter (vgl Huff, Anwalt 2002, Heft 11, S.8 ff). Mittlere Kanzleien gehen überörtliche Sozietäten ein oder benennen feste Kooperationspartner in anderen Regionen oder im europäischen Ausland. In welchem Maße einem jungen Berufseinsteiger Gelegenheit zur Spezialisierung in einer größeren Kanzlei geboten wird und in welchem Umfang er mit sonstigen Mandaten in der Kanzlei in Berührung kommt, hängt von der jeweiligen Kanzleiorganisation ab. | ||
Zugleich hat die Spezialisierung unter den Rechtsanwälten zugenommen. Etwa 14 vom Hundert führen eine Fachanwaltsbezeichnung; andere zeigen durch die Wahl von Tätigkeitsschwerpunkten an, welche Ausschnitte des Rechts sie mit Vorzug bearbeiten (vgl BRAK-Mitt 2002, S.122). Selbst für hochspezialisierte Rechtsanwälte etwa im Recht der Gentechnologie, im Kartell- und Vergaberecht oder im Börsenrecht kommt noch ein Kanzleiwechsel in Betracht; er beschränkt sich indessen auf einen kleinen Kreis von Kanzleien, die nicht selten in früheren oder noch anhängigen Verfahren die Gegenseite vertreten haben oder vertreten. Solchen Beschränkungen unterliegen, worauf der Deutsche AnwaltVerein und die Beklagte des Ausgangsverfahrens hingewiesen haben, auch junge Anwälte mit örtlicher Bindung in Kleinstädten und im ländlichen Raum. | ||
Ein Kanzleiwechsel ist keine Seltenheit mehr. Das Bild der ein Berufsleben lang andauernden Zusammenarbeit weniger Rechtsanwälte ist stark von Verhältnissen geprägt, die der Vergangenheit angehören. Nicht nur angestellte Rechtsanwälte, sondern auch Sozien suchen inzwischen vermehrt durch Kanzleiwechsel ihre Einkommens- oder Karrierechancen zu verbessern (vgl Huff, Anwalt 2002, Heft 11, S.8 <9>; vgl. auch K Westerwelle, Rechtsanwaltssozietäten und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, 1997, S.130). Die Möglichkeit der Mobilität hat demnach für den Einzelnen an Gewicht gewonnen. | ||
2. Schon wenn sich durch den Vertragsschluss die Partner selbst wechselseitig in ihrer beruflichen Handlungsfreiheit beschränken, indem sie einem der Vertragschließenden den Arbeitsplatzwechsel erheblich erschweren (Konkurrenzklauseln), sind die Rechtsfolgen anhand des Maßstabs des Art.12 Abs.1 GG zu prüfen (vgl BVerfGE_81,242 ). Von vergleichbarem Gewicht ist eine Satzungsregelung wie § 3 Abs.2 BORA, die unabhängig von eigener Einflussnahme durch die Handelnden den Berufswechsel erschwert, weil der aufnehmenden Kanzlei grundsätzlich die Mandatsniederlegung und damit der Verzicht auf Einnahmen zugemutet wird. Die hiermit verbundenen Beeinträchtigungen der Berufsausübungsfreiheit dürfen nicht weiter gehen als vom Eingriffszweck her unumgänglich. | ||
3. § 3 Abs.2 BORA beschränkt die Nachteile für die aufnehmende Sozietät nicht auf das zum Schutz von Gemeinwohlinteressen erforderliche Minimum. Die Vorschrift enthält keine Regeln, die eine Prüfung im Einzelfall ermöglichen, ob Sicherungen zur Wahrung des Vertrauens in die Beachtung der Verschwiegenheitspflicht bestehen. | ||
In der ursprünglichen Fassung kannte § 3 Abs.2 BORA überhaupt keine Ausnahmen zugunsten bestimmter Kooperationsformen; das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen aus § 43 a BRAO wurde einschränkungslos auf alle Anwälte erstreckt, sofern sie zu der abgebenden Kanzlei in irgendeiner Rechtsbeziehung gestanden hatten. Sozien, Angestellte, freie Mitarbeiter oder in Bürogemeinschaft verbundene Personen wurden gleich behandelt. Inzwischen mildert § 3 Abs.3 BORA in der Fassung von 1999 die Rechtsfolgen für Angestellte im Innenverhältnis ab, sofern sie mit der Rechtssache tatsächlich nicht befasst waren. Aber auch nach dieser Änderung bleibt § 3 Abs.2 BORA unverhältnismäßig. | ||
Wie oben dargelegt ist das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, geeignet und erforderlich, im Interesse von Mandanten und Rechtspflege die mit dem Gesetz bezweckten Ziele zu erreichen. In welchem Ausmaß das Verbot aber auf Dritte zu erstrecken ist, mit denen der tatsächlich mandatierte Rechtsanwalt zusammenarbeitet oder zusammengearbeitet hat, muss unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit austariert werden. Die für die Außenhaftung und für die Außenvollmacht entwickelten Grundsätze der zivilgerichtlichen Rechtsprechung, die Mandanten und Rechtsverkehr eine erleichterte Zurechnung ermöglichen (vgl BGHZ_56,355), können insofern nicht maßgeblich sein. Denn der Schutzzweck des § 43a Abs.4 BRAO ist - wie unter I. dargelegt - ein anderer. Auch aus der Berufsordnung, die es in § 8 gestattet, freie Mitarbeiter durch Aufnahme in den Briefkopf zu Außensozien zu machen, lassen sich keine Abwägungskriterien gewinnen. Diese Regelung dient der Selbstdarstellung der abgebenden Kanzlei und hat nicht den Interessenwiderstreit nach einem Sozietätswechsel im Blick. Für die hier zu beurteilende Frage ist demgegenüber entscheidend, welcher Informationsfluss zwischen Rechtsanwälten stattfindet, die lediglich in Bürogemeinschaft verbunden sind. Das hängt aber von der Organisation und der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Anwälten ab. | ||
Undifferenziert an diese formalen Außenbeziehungen ein Mobilitätshindernis zu knüpfen, weil beim Wechsel in eine andere Kanzlei die gegnerischen Mandate auch dann niederzulegen sind, wenn der freie Mitarbeiter nur eng umgrenzte Einzelaufgaben, möglicherweise sogar am heimischen Arbeitsplatz wahrgenommen oder in der Bürogemeinschaft kein Wissenstransfer stattgefunden hat, ist unangemessen. Die Norm des § 3 Abs.2 BORA trägt den typischen Merkmalen überörtlicher Sozietäten und europaweiten Kooperationen, insbesondere den Vertragsgestaltungen bei Bürogemeinschaften, sowie den theoretischen und praktischen Möglichkeiten der Abschottung in der aufnehmenden Kanzlei nicht ausreichend Rechnung. Der Sozietätswechsel darf nicht erschwert werden, wenn hinreichend gesichert ist, dass Pflichtverletzungen nicht zu besorgen sind. Diese Prüfung im Einzelfall aber sieht § 3 Abs.2 BORA nicht vor. | ||
Im Ergebnis folgt daraus eine unverhältnismäßige Erschwerung des Kanzleiwechsels, weil die aufnehmende Kanzlei finanzielle Einbußen nur dann in Kauf nehmen wird, wenn sie ein ganz besonderes Interesse an der Hinzugewinnung der neuen Arbeitskraft hat. Noch gravierender sind die Auswirkungen, wenn der Sozietätswechsel nicht freiwillig und langfristig geplant erfolgt, weil es unvorhergesehen zu einer Trennung der Sozien, zu einer Auflösung oder Abspaltung von Kanzleien oder zu wirtschaftlichen Engpässen bei der abgebenden Kanzlei kommt. In derartigen Fällen kann die Berufsausübungsregelung eine Zeit lang Folgen haben, die einer Berufswahlregelung nahe kommen. Bis zur Abwicklung der Altmandate wird sich insbesondere dann selten eine aufnehmende Kanzlei finden, wenn der Kreis der denkbaren Sozien oder Arbeitgeber durch einen hohen Spezialisierungsgrad eng gezogen ist. Solche einschneidenden Folgen für die Berufsausübung verlangen ausreichend gewichtige Interessen auf Seiten der Mandanten oder der Rechtspflege, die nach den Ausführungen oben unter B.I. nicht ausnahmslos und ohne Rücksicht auf typisierbare Fallvarianten unterstellt werden dürfen." | ||
Auszug aus BVerfG B, 03.07.03, - 1_BvR_238/01 -, www.BVerfG.de, Abs.31 ff | ||
§§§ | ||
03.030 | Telekommunikationslinie | |
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Der Gesetzgeber muss bei Regelungen zur Bestimmung von Verwaltungszuständigkeiten nach Art.30 und Art.83 ff GG die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit beachten, um die Länder vor einem Eindringen des Bundes in den ihnen vorbehaltenen Bereich der Verwaltung zu schützen. | ||
LB 2) § 50 Abs.4 TKG ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig. Die Regelung über die Zuständigkeit für die Erteilung der Zustimmung in § 50 Abs.4 TKG verstößt gegen Art.30 in Verbindung mit Art.86, Art.87f Abs.2 Satz 2 GG. | ||
LB 3) In § 50 Abs.3 TKG geht der Gesetzgeber von einem eher engen Verständnis des Begriffs "Hoheitsaufgaben im Bereich der Telekommunikation" aus. Entsprechend dem Grundsatz, dass die Verwaltung jedenfalls der Landes- und Gemeindestraßen grundsätzlich Sache der Länder und Kommunen ist, überträgt er die Entscheidungen über die Zustimmung zur Verlegung neuer oder die Änderung vorhandener Telekommunikationslinien den jeweiligen Wegebaulastträgern. Im Einklang auch mit Art.30 GG erklärt der Gesetzgeber die Länder und Kommunen ganz überwiegend für zuständig für solche Entscheidungen und ordnet diese prinzipiell dem Bereich der Straßenverwaltung zu. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ | ||
03.001 | Beitragssatzsicherungsgesetz I | |
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LB 1) Die drei Antragsteller sind Inhaber gewerblicher zahntechnischer Labore, die ihre wirtschaftliche Existenz durch das In-Kraft-Treten von Art.6 des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom 23.Dezember 2002 (BGBl I S. 4637) für tiefgreifend gefährdet halten. Sie beantragen, die sie betreffende Regelung vorerst nicht in Kraft treten zu lassen, hilfsweise, sie vorläufig außer Vollzug zu setzen. | ||
LB 2) Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung des Art.6 BSSichG eintreten würden, schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen, welche die Antragsteller treffen, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. | ||
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T-03-01 | Zahntechnische Labore | |
"1. Die inzwischen eingelegte Verfassungsbeschwerde (1 BvR 24/03) ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Zustandekommen des Gesetzes ohne Zustimmung des Bundesrates und die Frage, ob das Gesetz mit Art.3 Abs.1 und Art.12 Abs.1 GG im Übrigen in Einklang steht, bedürfen der Klärung im Hauptsacheverfahren. | ||
2. Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung des Art.6 BSSichG eintreten würden, schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen, welche die Antragsteller treffen, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. | ||
a) Ergeht die einstweilige Anordnung, erweist sich aber das Gesetz zur Absenkung der Höchstpreise für abrechnungsfähige zahntechnische Leistungen und zur Festlegung einer Rate von Null vom Hundert für die Vereinbarungen der Vergütungen für solche Leistungen später als verfassungsgemäß, drohen dem Gemeinwohl schwere Nachteile. | ||
Die zu erwartenden Einsparungen sind zwar - gemessen an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung - nicht hoch, jedoch für das System der gesetzlichen Krankenversicherung wichtig, solange der Fehlbetrag nicht anderweit kompensiert werden kann. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass jeder Teilbetrag im Beitragssatzsicherungsgesetz erforderlich ist, um insgesamt die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes - zumindest vorläufig bis zu einer Strukturreform - zu erhalten. Deshalb wird diese finanzielle Stabilität in dem Ausmaß gefährdet, in dem die vorgesehenen Preisabsenkungen nicht realisiert werden können. Nach dem Bericht des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages (BTDrucks 15/75, S.1) werden die Minderausgaben durch Einsparungen im zahntechnischen Bereich genauso groß sein wie die Minderausgaben im zahnärztlichen Bereich durch die dort verordnete Nullrunde. Das Beitragssatzsicherungsgesetz sieht ein Paket von Maßnahmen zur Bekämpfung des Defizits im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Das Beitragsaufkommen wird durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze erhöht, das Sterbegeld wird abgesenkt, Ärzten, Zahnärzten und Krankenhäusern werden Nullrunden vorgeschrieben und bei den Arzneimitteln tragen Pharmaunternehmen, Großhandel und Apotheken durch Rabatte zu den Minderausgaben bei. Erst die Summe aller Sparmaßnahmen ergibt eine spürbare Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen. Allen Maßnahmen kommt im Hinblick auf das Gemeinwohl gleich großes Gewicht zu. Infolge der einstweiligen Anordnung träte ein Teil der finanziellen Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2003 nicht ein. Die Krankenkassen müssten sich auf Mehrausgaben einstellen und hierauf gegebenenfalls mit Beitragserhöhungen, mit der Belastung sonstiger Gruppen oder gar mit Einsparungen bei den Leistungen reagieren. | ||
b) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich das Gesetz aber später im Hauptsacheverfahren als verfassungswidrig, drohen den Antragstellern, wie auch den anderen zahntechnischen Betrieben, jedenfalls bis zur Entscheidung in der Hauptsache wirtschaftliche Nachteile. Ein endgültiger und auf Dauer nicht kompensierbarer Schaden ist allerdings nicht anzunehmen. Die von den Antragstellern für den ganzen Berufsstand geltend gemachte Existenzbedrohung ist anhand der vorgelegten Daten nicht nachvollziehbar. Dasselbe gilt auch für die Antragsteller selbst, bei denen zwar das Unternehmerentgelt möglicherweise nicht den durchschnittstypischen Berechnungen entspricht, aber durchaus noch eine existenzsichernde Höhe haben wird. Aus den übersandten Unterlagen ergibt sich, dass viele Betriebe schon in den letzten Jahren mit geringeren Gewinnen oder niedrigeren Geschäftsführergehältern gewirtschaftet haben, als sie von den Antragstellern für das Jahr 2003 erwartet werden. | ||
Die eingereichten Betriebsbögen belegen zugleich, dass Durchschnittsberechnungen nicht aussagekräftig sind, weil zwischen den erzielten Umsätzen und den erzielten Gewinnen keine signifikante Beziehung besteht. Sie machen lediglich deutlich, dass viele Unternehmen über Jahre fortgeführt werden, auch wenn die Betriebsbögen negative Jahresergebnisse ausweisen. Solange nicht nur vereinzelt in einer Branche für die Betriebsinhaber sehr hohe Einkünfte (beispielsweise 150.000 bis 250.000 im Jahr) erwirtschaftet werden, beruhen unterdurchschnittliche Einkünfte (beispielsweise von nur 23.000 im Jahr) nicht notwendig auf den Vergütungsregelungen, sondern können vielfältige Ursachen haben. Nach der aus den Unterlagen sichtbar gewordenen Streubreite der Betriebsergebnisse und der Unternehmereinkünfte ist eine Existenzgefährdung der Branche nicht anzunehmen. | ||
c) Die Abwägung ergibt, dass die Nachteile für das gemeine Wohl bei Erlass der einstweiligen Anordnung diejenigen überwiegen, die den Antragstellern und den gewerblichen zahntechnischen Laboren insgesamt bei der Ablehnung des Antrags drohen. | ||
Die Nachteile für die gewerblichen zahntechnischen Labore sind für den Fall, dass dem Antrag der Erfolg versagt bleibt, zwar nicht unerheblich. Sie haben aber nicht das Gewicht, das erforderlich ist, um ein Gesetz vorläufig außer Vollzug zu setzen oder sein In-Kraft-Treten zu verhindern (vgl BVerfGE_104,23 <27 f>). Das Anliegen des Gesetzgebers, bis zu einer größeren Reform die gesetzliche Krankenversicherung unter Einbeziehung zahlreicher Gruppen sofort finanziell zu entlasten, wiegt schwerer. Denn die negativen Folgen für die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung treten bei einer vorläufigen Aussetzung des Gesetzes sofort ein, können später kaum oder nur unzureichend ausgeglichen werden und beeinflussen die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Dem Gemeinwohlbelang der finanziellen Sicherung der gesetzlichen Krankenversicherung kann nicht entgegengehalten werden, dass die zahntechnischen Leistungen nur einen geringen Anteil an den Gesamtausgaben ausmachen. Bei einem Spargesetz, das viele Gruppen in Anspruch nimmt, ist jeder Teilbeitrag von Bedeutung. Das gesetzgeberische Konzept würde zu Lasten anderer unterlaufen, wenn einzelne Gruppen sich darauf berufen dürften, dass ihr Anteil am Gesamtvolumen eines Spargesetzes für das gesamtwirtschaftliche Interesse minder bedeutsam sei. | ||
Angesichts des Versorgungsauftrags der gesetzlichen Krankenversicherung ist im Rahmen der Folgenabwägung allerdings auch zu berücksichtigen, dass das gemeine Wohl gefährdet wäre, wenn infolge von Art.6 BSSichG das Angebot an zahntechnischen Leistungen die Nachfrage nicht mehr befriedigen könnte. Das ist jedoch nicht anzunehmen. Selbst wenn die Zahl gewerblicher zahntechnischer Labore zurückgehen sollte, ist nach gegenwärtigem Erkenntnisstand eine ausreichende und qualitativ hochstehende Versorgung der Versicherten nicht gefährdet. Dass zur Versorgung der Bevölkerung die derzeit bestehende Anzahl an Laboren erforderlich wäre, lässt sich den verfügbaren Daten nicht entnehmen, nachdem in den letzten Jahren die Zahl der gewerblichen Labore und auch der Praxislabore erheblich gestiegen ist." | ||
Auszug aus BVerfG B, 14.01.03, - 1_BvQ_51/02 -, www.BVerfG.de, Abs.17 ff | ||
§§§ |
03.002 | Beitragssatzsicherungsgesetz II | |
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LB 1) Die Antragsteller sind Apotheker. Sie beantragen, die sie betreffenden Regelungen des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom 23.Dezember 2002 (BGBl I S.4637) vorerst nicht in Kraft treten zu lassen, hilfsweise, sie vorläufig außer Vollzug zu setzen. | ||
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T-03-02 | Apotheken | |
"1. Die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Zustandekommen des Gesetzes ohne Zustimmung des Bundesrates und die Frage, ob das Gesetz mit Art.12 Abs.1 GG im Übrigen in Einklang steht, bedürfen der Klärung im Hauptsacheverfahren. | ||
2. Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung des mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Gesetzes eintreten würden, schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen, welche die Antragsteller treffen, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. | ||
a) Wird das Gesetz einstweilen außer Kraft gesetzt, erweist es sich aber später als verfassungsgemäß, entstehen schwere Nachteile für das gemeine Wohl. Der gesetzlichen Krankenversicherung werden ausweislich der Gesetzesmaterialien 0,35 Mrd fehlen, die mit den bisher vorgenommenen oder beabsichtigten Beitragserhöhungen nicht aufgefangen werden (vgl BTDrucks 15/75, S.1). | ||
Die zu erwartenden Einsparungen sind zwar - gemessen an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung - nicht besonders hoch, jedoch für das System der gesetzlichen Krankenversicherung wichtig, solange der Fehlbetrag nicht anderweit kompensiert werden kann. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass jeder Teilbetrag im Beitragssatzsicherungsgesetz erforderlich ist, um insgesamt die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes - zumindest vorläufig bis zu einer Strukturreform - zu erhalten. Deshalb wird diese finanzielle Stabilität in dem Ausmaß gefährdet, in dem die vorgesehenen Preisabsenkungen nicht realisiert werden können. Nach dem Bericht des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages (BTDrucks 15/75, S.1) werden die Minderausgaben der gesetzlichen Krankenkassen durch die die Apotheker belastenden Rabatte in Höhe von 0,35 Mrd. in etwa so hoch sein wie die jeweiligen Einsparungen durch Minderausgaben beim Sterbegeld oder im Krankenhausbereich. Das Beitragssatzsicherungsgesetz sieht ein Paket von Maßnahmen zur Bekämpfung des Defizits im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Erst die Summe aller Sparmaßnahmen ergibt eine spürbare Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen. Allen Einzelmaßnahmen kommt im Hinblick auf das Gemeinwohl gleich großes Gewicht zu. Auch die Hinweise der Antragsteller auf sonstige Einsparpotentiale im System der gesetzlichen Krankenversicherung sind nicht geeignet, die eintretenden Folgen abzumildern, weil diese Maßnahmen nicht bereits am 1.Januar 2003 wirksam werden. | ||
b) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich aber das Beitragssatzsicherungsgesetz im Hauptsacheverfahren als verfassungswidrig, so drohen jedenfalls bis zur Entscheidung in der Hauptsache weder dem gemeinen Wohl noch den Antragstellern und den Apotheken insgesamt schwere Nachteile. | ||
Die vorgelegten Zahlen über die Umsatz- und Gewinnerwartungen sprechen dagegen, dass der bereits geltende 6%ige Apothekenabschlag im abgelaufenen Jahr nicht zu verkraften gewesen wäre. Die hinzugetretene neue Belastung, die hochpreisige Medikamente ab einem Packungspreis von 54,81 betrifft, für die der Abschlag auf 10 vom Hundert oder geringfügig darunter angehoben worden ist, betrifft Medikamente, für die der Festzuschlag der Apotheker bis 543,91 bei 30 vom Hundert und von da an bis 820,22 abnehmend bei bis zu 22 vom Hundert liegt. Hierdurch gehen bei hochpreisigen Medikamenten die Erlöse um ein Drittel bis ein Halb zurück. Zum Anteil dieser Arzneimittel am hier allein interessierenden GKV-Gesamtumsatz der Apotheken enthalten die beigefügten Anlagen allerdings keine Angaben, so dass über das Gewicht der durch das angegriffene Gesetz veranlassten finanziellen Einbußen keine aussagekräftigen Unterlagen vorliegen. | ||
Pauschale Durchschnittsberechnungen lassen insoweit keine Rückschlüsse zu. Das belegen schon die von den Antragstellern mit Schriftsatz vom 13.Januar 2003 mitgeteilten Einzelheiten zu ihren jeweiligen Apotheken. Der Antragsteller zu 1) erzielt danach 80 vom Hundert seines Umsatzes durch Abrechnung mit der gesetzlichen Krankenversicherung. Beim Antragsteller zu 2) vermindert sich dieser Anteil auf 67 vom Hundert, beim Antragsteller zu 3) sogar auf 50 vom Hundert. Ebenso wie für die Höhe der Umsätze mit der gesetzlichen Krankenversicherung sind Lage und Kundenkreis der jeweiligen Apotheke ein bestimmender Faktor für das Geschäftsergebnis aus dem Verkauf hochpreisiger Medikamente. Im Übrigen sind die Zuschläge der Arzneimittelpreisverordnung bei den teureren Medikamenten so bemessen, dass dem Apotheker - auch unter Abzug der Rabatte an die gesetzliche Krankenversicherung - eine nicht unerhebliche Handelsspanne verbleibt. Angesichts des hohen Ausgangspreises ergeben sich auch absolut und pro Packung noch nennenswerte Einnahmen. | ||
Nach der Auffassung des Gesetzgebers ist das Beitragssatzsicherungsgesetz nicht darauf angelegt, dass die Großhändler die sie betreffenden Belastungen auf die Apotheken abwälzen (vgl BTDrucks 15/28, S.20; BT-Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung, Protokoll der 3. Sitzung am 12.November 2002, S.27). Einsparpotentiale wurden auch beim Großhandel gesehen, weil dieser ebenso wie die pharmazeutischen Unternehmen und die Apotheken von der Ausweitung der Arzneimittelausgaben besonders profitiert hätten (vgl BTDrucks 15/28, S.12). Allerdings haben die deutschen Großhändler den Apotheken gegenüber im Wesentlichen gleichlautend angekündigt, dass sie den sie treffenden Zwangsrabatt mit den bisher gewährten Großhandelsrabatten verrechnen werden. Wie stark sich das auswirken wird, hängt wiederum davon ab, zu welchem Anteil ein Apotheker Umsätze mit der gesetzlichen Krankenversicherung tätigt. Die Großhandelsrabatte im Allgemeinen beziehen sich auf alle Lieferungen, so dass sie sich um so weniger vermindern, je weniger der Großhändler einer Apotheke Medikamente liefert, die unter die Regelung des Art.11 BSSichG fallen. | ||
Weitere erhebliche Belastungen treten nicht hinzu. Denn nach den der Verfassungsbeschwerde beigefügten Unterlagen beabsichtigen die Großhändler, anstelle der Apotheken weitgehend die mit dem neuen Gesetz verbundenen Berechnungs- und Vorfinanzierungsaufgaben zu übernehmen. | ||
c) Die Abwägung ergibt, dass die Nachteile für das gemeine Wohl bei Erlass der einstweiligen Anordnung diejenigen überwiegen, die den Antragstellern und den Apotheken insgesamt bei der Ablehnung des Antrags drohen. | ||
Dies gilt, obwohl nicht von der Hand zu weisen ist, dass die geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Auswirkungen auf einzelne Apotheken haben werden. Wie sich allerdings die Belastungen des Beitragssatzsicherungsgesetzes verteilen und welchen Anteil des die Großhändler treffenden 3%igen Abschlags letztlich die Apotheken tragen werden, ist noch nicht zuverlässig vorherzusagen. Voraussichtlich wird sich das Gesamtgefüge des Pharmahandels verändern. Selbst wenn die Apothekendichte (vgl Statistiken der ABDA zur Apothekendichte in den Ländern, http://www.abda.de; die Gesundheitsberichterstattung des Bundes, http://www.gbe-bund.de vom 30.Dezember 2002) infolge der gesetzlichen Neuregelung zurückgehen sollte, ist damit keine Gefährdung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zu befürchten. Die durchschnittliche Apothekendichte liegt gegenwärtig bei 27 Apotheken auf 100.000 Einwohner. Im Saarland kommen 33 Apotheken auf 100.000 Einwohner und in Brandenburg, dem Land mit der geringsten Apothekendichte, immerhin noch 20. 1970 kamen in Westdeutschland 18 Apotheken auf 100.000 Einwohner, und die Versorgung der Bevölkerung war nicht gefährdet. | ||
Nach den verfügbaren Daten durfte der Gesetzgeber gerade bei den Arzneimitteln von erheblichen Einsparpotentialen ausgehen, denn diese belasteten in den letzten sechs Jahren die gesetzliche Krankenversicherung durch einen überproportionalen Kostenanstieg. Allein zwischen 1995 und 2001 sind die Ausgaben für Medikamente um etwa 30 vom Hundert gestiegen. Ihr Anteil an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung ist von 14 vom Hundert auf 17,1 vom Hundert gewachsen. Durchschnittlich stiegen während dieser Zeit die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung aber nur um etwa 10 vom Hundert. In diesem Rahmen hielten sich auch die Steigerungen bei den Ausgaben für ärztliche und zahnärztliche Behandlung; für Zahnersatz und Krankengeld sanken sie sogar. Die Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung haben sich in diesem Zeitraum um 13,6 Mrd erhöht; dabei entfielen 5,9 Mrd auf Arzneimittel (vgl Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Statistik über Ausgaben der GKV, http://www.bmgesundheit.de). Hiervon haben auch die Apotheken profitiert; sie blieben trotz der Erhöhung des Rabatts von 5 vom Hundert auf 6 vom Hundert von Rückgängen verschont, die andere Leistungserbringer im Gesundheitswesen bereits zu verkraften hatten. | ||
Die von den Antragstellern vorgelegten Zahlen und die pauschal berechneten Umsatzrenditen belegen lediglich, dass es infolge des Gesetzes zu einer verschärften Konkurrenzsituation kommen wird. Möglicherweise werden Apotheken auch geschlossen. Solche Marktveränderungen lassen aber keine Gefährdungen für den Berufsstand als solchen und für das gemeine Wohl erwarten, das von der Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ebenso abhängt wie von einer leistungsfähigen und leistungsbereiten Apothekerschaft. | ||
Die den Anträgen beigefügten Unterlagen machen vor allem deutlich, dass es keine signifikanten Beziehungen zwischen dem Umsatz mit den gesetzlichen Krankenversicherungen und den Rohgewinnen gibt. Zu viele Faktoren bestimmen den wirtschaftlichen Erfolg einer Apotheke. Die Antragstellerin zu 4) erwirtschaftete 2001 einen Rohgewinn von etwa 50.000 bei einem Umsatz von gut 520.000 . Die Antragsteller zu 1) und 3) benötigen für etwa dasselbe Geschäftsergebnis mehr als 1,1 Mio Umsatz. Andererseits musste auch die Antragstellerin zu 4) im Jahr 2000, in dem ihr Umsatz noch knapp über 500.000 lag, eine deutliche Gewinnabsenkung auf 38.000 hinnehmen. | ||
Nach allem sind die Nachteile für die Apotheken für den Fall, dass dem Antrag der Erfolg versagt bleibt, zwar nicht unerheblich. Sie haben aber nicht das Gewicht, das erforderlich ist, um ein Gesetz vorläufig außer Vollzug zu setzen oder sein In-Kraft-Treten zu verhindern (vgl BVerfGE_104, 23 <27 f>)." | ||
Auszug aus BVerfG B, 15.01.03, - 1_BvQ_53/02 -, www.BVerfG.de, Abs.13 ff | ||
§§§ |
03.003 | Beitragssatzsicherungsgesetz III | |
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LB 1) Die Antragstellerin betreibt europaweit einen Großhandel für Arzneimittel. In Deutschland erzielt sie mit etwa 18 vom Hundert des Gesamtumsatzes des pharmazeutischen Großhandels den zweithöchsten Anteil. Sie beantragt, die sie beschwerenden Regelungen in Art.11 des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom 23. Dezember 2002 (BGBl I S.4637) vorerst nicht In-Kraft-Treten zu lassen, hilfsweise, sie außer Vollzug zu setzen. | ||
LB 2) Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung von Art.11 BSSichG eintreten würden, schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen, welche die Antragstellerin und den pharmazeutischen Großhandel insgesamt treffen, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. | ||
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T-03-03 | Großhandel | |
"1. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Zustandekommen des Gesetzes ohne Zustimmung des Bundesrates und die Frage, ob das Gesetz mit Art.12 Abs.1 GG im Übrigen in Einklang steht, bedürfen der Klärung im Hauptsacheverfahren. | ||
2. Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung von Art.11 BSSichG eintreten würden, schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen, welche die Antragstellerin und den pharmazeutischen Großhandel insgesamt treffen, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. | ||
a) Ergeht die einstweilige Anordnung, erweist sich aber das Gesetz zur Einführung von Abschlägen der pharmazeutischen Großhändler später als verfassungsgemäß, drohen dem gemeinen Wohl schwere Nachteile. | ||
aa) Bei der Folgenabwägung ist von einer vorübergehenden Außerkraftsetzung des Art.11 BSSichG im Ganzen auszugehen. Die von der Antragstellerin angedeutete Möglichkeit, die Apotheker mit Abschlägen zu belasten, die vom Großhandel wegen der einstweiligen Anordnung zunächst nicht eingefordert werden, unterliefe die gesetzliche Regelung. Der Gesetzgeber hat mit Art.11 BSSichG eine Belastung der pharmazeutischen Großhändler angeordnet, deren finanzielle Auswirkungen von den Apothekern an die gesetzliche Krankenversicherung weiterzuleiten sind. Von Gesetzes wegen ist eine eigenständige finanzielle Belastung der Apotheken über die hiermit eventuell verbundene Verwaltungslast hinaus nicht beabsichtigt. Nicht erhaltene Abschläge können die Apotheken aber nicht weiterleiten. | ||
bb) Die infolge einer einstweiligen Anordnung zu erwartenden Mehrausgaben in Höhe von 0,6 Mrd. sind absolut und relativ von erheblicher Bedeutung für das System der gesetzlichen Krankenversicherung, solange der Fehlbetrag nicht anderweit kompensiert wird. Geht man mit dem Gesetzgeber davon aus, dass jeder Teilbeitrag im Beitragssatzsicherungsgesetz erforderlich ist, um die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes - zumindest vorläufig bis zu einer Strukturreform - zu erhalten, wird diese in dem Ausmaß gefährdet, in dem die Rabatte nicht realisiert werden können. Nach dem Bericht des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages (BTDrucks 15/75, S.1) werden die Minderausgaben durch die den pharmazeutischen Großhandel treffenden Abschläge größer sein als die bei Ärzten und Krankenhäusern zusammen. Das Beitragssatzsicherungsgesetz sieht ein Paket von Maßnahmen zur Bekämpfung des Defizits im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Das Beitragsaufkommen wird durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze erhöht, das Sterbegeld wird abgesenkt, Ärzten, Zahnärzten und Krankenhäusern werden Nullrunden vorgeschrieben und bei den Arzneimitteln tragen neben den Großhändlern auch die Pharmaunternehmen und die Apotheken durch Rabatte zu den Minderausgaben bei. Erst die Summe aller Sparmaßnahmen ergibt eine spürbare Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen. Allen Maßnahmen kommt im Hinblick auf das Gemeinwohl gleiches Gewicht zu. | ||
Träte infolge der einstweiligen Anordnung ein Teil der finanziellen Entlastung nicht ein, müssten sich die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Gesetzgeber sofort auf höhere Ausgaben einstellen und hierauf gegebenenfalls mit Beitragserhöhungen, mit der Belastung sonstiger Gruppen oder mit Einsparungen bei den Leistungen reagieren. | ||
b) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich das Gesetz aber später im Hauptsacheverfahren als verfassungswidrig, drohen allerdings der Antragstellerin und sonstigen pharmazeutischen Großhändlern jedenfalls bis zur Entscheidung in der Hauptsache wirtschaftliche Nachteile. Ein endgültiger und auf Dauer nicht kompensierbarer Schaden ist aber nicht anzunehmen. Die vorübergehend zu erwartenden Nachteile sind auch nicht sehr schwerwiegend. | ||
Die Antragstellerin und ihre Konkurrenten auf dem deutschen Markt haben gegenüber den Apotheken angekündigt, dass sie den sie treffenden 3%igen Abschlag mit den bisher gewährten Großhandelsrabatten verrechnen werden. Deshalb werden die pharmazeutischen Großhändler lediglich geringfügige finanzielle Einbußen erleiden. Zum einen geht ein Teil des Arzneimittelumsatzes nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung und ist von der hier angegriffenen Regelung gar nicht betroffen. Insoweit reduzieren sich die von der Antragstellerin geschilderten Nachteile bei der Verrechnung mit früher ausgehandelten Rabatten, soweit der einzelnen Apothekern eingeräumte Rabatt niedriger als der Zwangsabschlag nach Art.11 BSSichG ist. Dieser Niedrigrabattbereich hat nach den Ausführungen der Antragstellerin einen Anteil an ihrem Gesamtumsatz von 13 vom Hundert, betrifft aber nur zum Teil Produkte, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden. Das vergrößert den Spielraum zur Verrechnung mit den dort bisher maßgeblichen Rabatten von durchschnittlich 1,7 vom Hundert. Bei 87 vom Hundert ihres Umsatzes kann die Antragstellerin nach eigenem Vortrag die Belastung voll an die Apotheker weitergeben und diesen dennoch Einkaufsrabatte zwischen 2 und 4 vom Hundert einräumen. Damit liegt auf der Hand, dass die verbleibenden Einbußen nicht von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sind. | ||
Die von der Antragstellerin befürchteten weiteren Nacheile, wie Wanderbewegungen der Kunden und eine Verminderung der Anzahl der Apotheken im Zuge von Insolvenzen, betreffen wirtschaftliche Risiken, die aus dem Marktgeschehen resultieren, an dem die Antragstellerin teilnimmt, wobei der Zusammenhang dieser Folgen mit der vorliegend angegriffenen gesetzlichen Regelung in Art.11 BSSichG nur schwer nachvollziehbar ist. Die Differenzen in der Höhe der Rabattgewährung entsprechen den Effizienzgewinnen beim Großhandel infolge unterschiedlichen Bestellverhaltens der Apotheken; Wanderbewegungen mögen zwar zu Änderungen der für den jeweiligen Kunden maßgebenden Rabatthöhe führen, nicht aber zu Gewinneinbußen des Großhändlers, sofern er seine Rabatte nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten staffelt. Die Antragstellerin hat in diesem Zusammenhang auch nicht dargelegt, dass die Geschäfte, bei denen sie mit 8,9 vom Hundert den höchsten Rabatt auf Arzneimittelbestellungen gewährt, ihre Rendite mehr belasten als die Handelsgeschäfte im Niedrigrabattbereich. | ||
c) Schon wenn die jeweiligen Nachteile der abzuwägenden Folgenkonstellationen einander in etwa gleichgewichtig gegenüber stehen, gebietet es die gegenüber der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers notwendige Zurückhaltung des Gerichts, das angegriffene Gesetz nicht am In-Kraft-Treten zu hindern, bevor geklärt ist, ob es vor der Verfassung Bestand hat (vgl BVerfGE_104,51 <60>). Vorliegend ergibt die Abwägung, dass die Nachteile für das gemeine Wohl bei Erlass der einstweiligen Anordnung diejenigen sogar überwiegen, die der Antragstellerin und dem pharmazeutischen Großhandel insgesamt bei Ablehnung des Antrags drohen. | ||
Eine generelle Gefährdung der Arzneimitteldistribution und eine Minderversorgung der Kranken kann vorliegend ausgeschlossen werden. Die geringfügigen Einbußen, die den Großhändlern verbleiben, sofern es ihnen nicht gelingt, mit den Pharmaherstellern und den Apothekern veränderte Konditionen auszuhandeln, fallen kaum ins Gewicht. Das Gesetz verändert die Rahmenbedingungen, unter denen die Großhändler mit den Pharmaunternehmen auf der einen Seite und den Apotheken auf der anderen Seite die Preise aushandeln. Verkleinert hat sich der Spielraum, den die Arzneimittelpreisverordnung dem Großhandel belässt und der bisher den Apotheken und dem Großhandel, an dem etwa zur Hälfte die Apotheker auch genossenschaftlich beteiligt sind, zugute kam. Voraussichtlich wird sich das Gesamtgefüge des Pharmahandels verändern. Wie letztlich die Belastungen des Beitragssatzsicherungsgesetzes verteilt werden und welchen Anteil des sie treffenden 3%igen Abschlags schließlich die Großhändler tragen, welchen sie an die Pharmaunternehmen weitergeben und inwiefern sie sich bei den Apotheken entlasten können, ist nicht sicher vorherzusagen. | ||
Demgegenüber wiegt das Anliegen des Gesetzgebers, bis zu einer größeren Reform die gesetzliche Krankenversicherung unter Einbeziehung zahlreicher Gruppen sofort finanziell zu entlasten, schwerer. Denn die negativen Folgen für die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung treten bei einer vorläufigen Aussetzung des Gesetzes sofort ein, können später kaum oder nur unzureichend ausgeglichen werden und beeinflussen die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Dem Gemeinwohlbelang der finanziellen Sicherung der gesetzlichen Krankenversicherung kann nicht entgegengehalten werden, dass die Abschläge für den pharmazeutischen Großhandel nur einen geringen Anteil an den Gesamtausgaben darstellt. Bei einem Spargesetz, das viele Gruppen in Anspruch nimmt, ist jeder Teilbeitrag von Bedeutung. Das gesetzgeberische Konzept würde zu Lasten anderer unterlaufen, wenn einzelne Gruppen sich darauf berufen dürften, dass ihr Anteil am Gesamtvolumen eines Spargesetzes für das gesamtwirtschaftliche Interesse minder bedeutsam sei. | ||
Würde das Gesetz außer Kraft gesetzt und verhielten sich die Marktteilnehmer weiter wie bisher, wäre es letztlich unmöglich, nachträglich die an die Kunden weitergereichten Gewinne noch abzuschöpfen. Jedenfalls ist ein Wirtschaftszweig, der seinen Kunden auf einem teilregulierten Markt durchschnittlich in Höhe von 6 bis 7 vom Hundert des Umsatzes Rabatte einräumen kann, wirtschaftlich nicht gefährdet, wenn ihm ein 3%iger Rabatt zugunsten des größten, aber nicht einzigen Endabnehmers auferlegt wird, ohne dass in die Preisgestaltung im Übrigen eingegriffen wird. Diese Aussage bleibt richtig, auch wenn sich der 3%ige Abschlag auf eine andere Ausgangsgröße bezieht und gemessen am Einkaufsumsatz der Apotheker 4,2 vom Hundert - wie in einem der Anschreiben an die Apotheker angekündigt - oder 4,9 vom Hundert - wie von der Antragstellerin behauptet - ausmacht." | ||
Auszug aus BVerfG B, 15.01.03, - 1_BvQ_54/02 -, www.BVerfG.de, Abs.20 ff | ||
§§§ |
03.004 | Jugendstrafverfahren | |
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1) Es gehört zu dem von Art.6 Abs.2 Satz 1 GG geschützten Verantwortungsbereich der Eltern, die Rechte ihrer Kinder dem Staat oder Dritten gegenüber zu schützen. Daraus folgt von Verfassungs wegen die Notwendigkeit einer frühzeitigen Beteiligung von Eltern im Jugendstrafverfahren. Vorschriften, die Eltern Beteiligungsrechte entziehen oder sie aus der Hauptverhandlung ausschließen, sind Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Elternrechte. | ||
2) Die Sicherung des Rechtsfriedens durch Strafrecht und die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs in einem justizförmigen Verfahren sind Verfassungsaufgaben, die mit dem elterlichen Erziehungsrecht in Konflikt geraten können. Eine Kollision zwischen dem Elternrecht und dem Verfassungsgebot des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes führt nicht zwangsläufig zu einem Zurückdrängen elterlicher Rechte; sie ist vielmehr durch Abwägung aufzulösen, wobei das betroffene Elternrecht und der strafrechtliche Rechtsgüterschutz zum Ausgleich gebracht werden müssen. | ||
3) Das Recht zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs kann zwar einen Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht erlauben, macht es aber nicht entbehrlich, dass auch dieser Eingriff ein hinreichend bestimmtes Gesetz zur Grundlage hat. | ||
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Urteil | Entscheidungsformel:
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§§§ |
03.005 | Rechtsanwaltsgebühren-Ost | |
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Es ist im Hinblick auf die veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Rechtsanwälte mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG nicht mehr vereinbar, dass die gesetzlichen Gebühren von Rechtsanwälten, die ihre Kanzlei in den neuen Ländern eingerichtet haben, um 10 vom Hundert ermäßigt werden (Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr.26 Buchstabe a Satz 1 des Einigungsvertrags iVm § 1 der Ermäßigungssatz-Anpassungsverordnung). | ||
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Urteil | Entscheidungsformel:
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§§§ |
03.006 | Elterliche Sorge | |
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1) Das Kindeswohl verlangt, dass das Kind ab seiner Geburt eine Person hat, die für das Kind rechtsverbindlich handeln kann. Angesichts der Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse, in die nichteheliche Kinder hineingeboren werden, ist es verfassungsgemäß, das nichteheliche Kind bei seiner Geburt sorgerechtlich grundsätzlich der Mutter zuzuordnen. | ||
2) Die durch § 1626a Abs.1 Nr.1 BGB den Eltern eines nichtehelichen Kindes eröffnete Möglichkeit zur gemeinsamen Sorgetragung beruht auf einem Regelungskonzept für die elterliche Sorge, das unter Kindeswohlgesichtspunkten den Konsens der Eltern über die gemeinsame Sorgetragung zu deren Voraussetzung macht. Es liegen derzeit keine Anhaltspunkte dafür vor, dass damit dem Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes aus Art.6 Abs.2 GG nicht ausreichend Rechnung getragen wird. | ||
3) In Fällen, in denen die Eltern mit dem Kind zusammenleben und beide ihre Kooperationsbereitschaft schon durch gemeinsame tatsächliche Sorge für das Kind zum Ausdruck gebracht haben, durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass die Eltern die nunmehr bestehende gesetzliche Möglichkeit einer gemeinsamen Sorgetragung in der Regel nutzen und ihre tatsächliche Sorge durch Sorgeerklärungen auch rechtlich absichern. | ||
4) Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die tatsächliche Entwicklung zu beobachten und zu prüfen, ob seine Annahme auch vor der Wirklichkeit Bestand hat. Stellt sich heraus, dass dies regelmäßig nicht der Fall ist, wird er dafür sorgen müssen, dass Vätern nichtehelicher Kinder, die mit der Mutter und dem Kind als Familie zusammenleben, ein Zugang zur gemeinsamen Sorge eröffnet wird, der ihrem Elternrecht aus Art.6 Abs.2 GG unter Berücksichtigung des Kindeswohls ausreichend Rechnung trägt. | ||
5) Eltern, die mit ihrem nichtehelichen Kind zusammengelebt, sich aber noch vor In-Kraft-Treten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 1.Juli 1998 getrennt haben, ist die Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung einzuräumen, ob trotz entgegenstehendem Willen eines Elternteils eine gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht entgegensteht. | ||
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Urteil | Entscheidungsformel:
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§§§ |
03.007 | Verfahrensdauer | |
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LB 1) Das Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes fordert - nicht zuletzt im Interesse des Beschuldigten - die angemessene Beschleunigung des Strafverfahrens. Eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens verletzt den Beschuldigten in seinem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren (vgl BVerfGE_63,45 <69>; | ||
LB 2) Ob eine mit dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes nicht im Einklang stehende Verfahrensverzögerung vorliegt, bestimmt sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls (vgl BVerfGE_55,349 <369> zur Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Revisionsverfahrens), die in einer umfassenden Gesamtwürdigung gegeneinander abgewogen werden müssen. | ||
LB 3) Die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zwingt die Strafverfolgungsbehörden dazu, dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs zu berücksichtigen. | ||
LB 4) Die verfassungsrechtlich gebotenen Folgen aus einer Verfahrensverzögerung ziehen Gerichte und Anklagebehörden in Anwendung des Straf- und Strafverfahrensrechts unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls. | ||
LB 5) Ihre Möglichkeiten reichen von einer Einstellung des Verfahrens nach den §§ 153, 153a StPO, einer Beschränkung der Strafverfolgung nach §§ 154, 154a StPO über eine Beendigung des Verfahrens durch das Absehen von Strafe oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt bis hin zu einer Berücksichtigung bei der Strafzumessung. | ||
LB 6) Die erheblichen Verzögerungen, mit denen das Verfahren von den Ermittlungsbehörden und dem Amtsgericht betrieben worden ist und die dadurch bedingte Gesamtdauer des Verfahrens von fast sechs Jahren seit Kenntnis der Beschwerdeführer von der Einleitung des Ermittlungsverfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss sind mit rechtsstaatlichen Anforderungen an die Durchführung eines Strafverfahrens in Jugendsachen nicht vereinbar. | ||
§§§ |
03.008 | Impfstoffversand | |
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Das gesetzliche Verbot, Impfstoffe an Ärzte zu versenden und hierfür zu werben, verletzt die Apotheker in ihrem Grundrecht aus Art.12 Abs.1 GG.
]EF1> Beschluss ]EF1[ Entscheidungsformel:
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ |
03.009 | Familienversicherung | |
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§ 10 Abs.3 SGB V verstößt nicht gegen Art.3 Abs.1 in Verbindung mit Art.6 Abs.1 GG, soweit er Ehen und nichteheliche Lebensgemeinschaften in Bezug auf den Ausschluss von Kindern aus der Familienversicherung unterschiedlich behandelt. | ||
§§§ |
03.010 | Abgesenkte Ostbesoldung | |
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1) Art.143 Abs.1 und 2 GG ist nicht als spezieller Gleichheitssatz zu verstehen, der die Zulässigkeit einer auf den besonderen Verhältnissen im Beitrittsgebiet beruhenden Differenzierung abschließend regelt. | ||
2) Es besteht kein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne des Art.33 Abs.5 GG, der es dem Besoldungsgesetzgeber verwehrt, die Höhe der dem Beamten gezahlten Bezüge aus sachlich vertretbaren Gründen regional zu differenzieren. | ||
3) Die niedrigere Besoldung für Beamte, Richter und Soldaten in den neuen Ländern gemäß § 73 BBesG und § 2 der 2.BesÜV ist im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz derzeit noch gerechtfertigt. | ||
4) § 73 BBesG stellt für eine dauerhafte Aufrechterhaltung zweier unterschiedlich bemessener Besoldungen in Ost und West keine geeignete Grundlage dar. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ |
03.011 | Ostbesoldung-Zuschuss | |
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LB 1) Der Ausschluss von Richtern, die nicht alle laufbahnrechtlichen Vor- und Ausbildungsvoraussetzungen im bisherigen Bundesgebiet erworben haben, von der Gewährung eines Zuschusses gemäß § 4 der 2.BesÜV ist mit Art.3 Abs.1 GG vereinbar. Das mit Erfolg absolvierte rechtswissenschaftliche Studium vermittelt grundlegende fachbezogene Inhalte, die im späteren Amt fortwirken; ihm kommt deshalb laufbahnrechtlich ein bedeutendes Gewicht zu. | ||
LB 2) Eine Besoldungsdifferenzierung, die der Bewältigung von Transformationsproblemen im Zuge der Wiedervereinigung dient, verstößt nicht deshalb gegen das Verbot der Diskriminierung wegen der Heimat (Art.3 Abs.3 Satz 1 GG), weil Personen davon je nach Ausbildung im früheren Bundesgebiet oder im Beitrittsgebiet in unterschiedlicher Weise betroffen sind. | ||
§§§ |
03.012 | HIV | |
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Zur Reichweite der Menschenwürdegarantie (Art.1 Abs.1 GG) als Schranke kommerzieller Aufmerksamkeitswerbung (Fortführung von BVerfGE_102,347 - Benetton-Werbung). | ||
LB 2) Die "H.I.V. POSITIVE"-Anzeige unterfällt dem Schutzbereich der Pressefreiheit der Beschwerdeführerin, der auch in Werbeanzeigen enthaltene fremde Meinungsäußerungen umfasst. | ||
LB 3) Berührt eine zivilgerichtliche Entscheidung die Meinungsfreiheit, so fordert Art.5 Abs.1 Satz 1 GG, dass die Gerichte der Bedeutung dieses Grundrechts bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts Rechnung tragen (vgl BVerfGE_7,198 <206 ff>; BVerfGE_86,122 <128 f>; stRspr). | ||
LB 4) Einschränkungen des für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung unverzichtbaren Rechts der freien Meinungsäußerung (vgl BVerfGE_7,198 <208>; stRspr) bedürfen einer Rechtfertigung durch hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange oder schutzwürdige Rechte und Interessen Dritter. | ||
LB 5) Grundlage für die Bewertung jeder Meinungsäußerung ist die Ermittlung ihres Sinns. Dabei kommt es nicht auf nach außen nicht erkennbare Absichten des Urhebers der Äußerung an, sondern auf die Sichtweise eines verständigen Empfängers unter Berücksichtigung der für ihn wahrnehmbaren, den Sinn der Äußerung mitbestimmenden Umstände (vgl BVerfGE_93,266 <295>). | ||
LB 6) Die Menschenwürde setzt der Meinungsfreiheit auch im Wettbewerbsrecht eine absolute Grenze (vgl BVerfGE_102,347 <366 f>). Art.1 Abs.1 GG verpflichtet die staatliche Gewalt, alle Menschen gegen Angriffe auf die Menschenwürde zu schützen. Solche Angriffe können in Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und anderen Verhaltensweisen bestehen, die dem Betroffenen seinen Achtungsanspruch als Mensch absprechen (vgl BVerfGE_1,97 <104>). | ||
LB 7) Die Menschenwürde als Fundament aller Grundrechte ist mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig. Da aber die Grundrechte insgesamt Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde sind, bedarf es stets einer sorgfältigen Begründung, wenn angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts die unantastbare Menschenwürde verletzt (vgl BVerfGE_93,266 <293>). | ||
LB 8) Bei der Auslegung des § 1 UWG gilt das insbesondere auch deshalb, weil bei Annahme eines Verstoßes gegen die Menschenwürde die sonst notwendige Rechtfertigung des Eingriffs in die Meinungsfreiheit durch einen hinreichend wichtigen Belang, insbesondere durch eine Gefährdung des an der Leistung orientierten Wettbewerbs, entfällt. | ||
LB 9) Bei Anwendung dieses Maßstabs trägt der Aufmerksamkeitswerbezweck der Anzeige nicht die Bewertung, die Anzeige sei menschenwürdeverletzend. | ||
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T-03-04 | Menschenwürdegarantie | |
"Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrer durch Art.5 Abs.1 Satz 2 GG gewährleisteten Pressefreiheit. | ||
Die "H.I.V. POSITIVE"-Anzeige unterfällt dem Schutzbereich der Pressefreiheit der Beschwerdeführerin, der auch in Werbeanzeigen enthaltene fremde Meinungsäußerungen umfasst. Eine Meinungsäußerung im Sinne des Art.5 Abs.1 Satz 1 GG ist die Anzeige als sprechendes Bild mit meinungsbildendem, einen gesellschaftlichen Missstand veranschaulichendem Inhalt. Dies gilt trotz des Werbekontextes und obwohl Benetton auf einen Kommentar verzichtet hat. Auf eine bloße Absicht, sich als Unternehmen ins Gespräch zu bringen, kann die Anzeige nicht reduziert werden (vgl BVerfGE_102,347 <359 f>).
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Mit dem durch das angegriffene Urteil bestätigten Abdruckverbot wird die Beschwerdeführerin in ihrer Pressefreiheit eingeschränkt. Diese Einschränkung ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Der Bundesgerichtshof verkennt bei seiner wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Anzeige Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit, auf die sich die Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Pressefreiheit berufen kann (vgl BVerfGE_102,347 <359 f>). | ||
1. Berührt eine zivilgerichtliche Entscheidung die Meinungsfreiheit, so fordert Art.5 Abs.1 Satz 1 GG, dass die Gerichte der Bedeutung dieses Grundrechts bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts Rechnung tragen (vgl BVerfGE_7,198 <206 ff>; BVerfGE_86,122 <128 f>; stRspr). Die Auslegung und Anwendung des § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (im Folgenden: UWG), auf den das angegriffene Urteil gestützt ist, ist im Einzelnen Sache der Zivilgerichte. Das Bundesverfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn Fehler erkennbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl BVerfGE_18,85 <92 f>; stRspr). Das ist hier der Fall. | ||
2. Einschränkungen des für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung unverzichtbaren Rechts der freien Meinungsäußerung (vgl BVerfGE_7,198 <208>; stRspr) bedürfen einer Rechtfertigung durch hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange oder schutzwürdige Rechte und Interessen Dritter. Das gilt für kritische Meinungsäußerungen zu gesellschaftlichen oder politischen Fragen in besonderem Maße (vgl BVerfGE_102,347 <363>). Bei einer Einschränkung auf der Grundlage des § 1 UWG muss die Verletzung eines hinreichend wichtigen durch diese Norm geschützten Belangs dargetan werden (vgl BVerfG, 1.Kammer des Ersten Senats, Beschlüsse vom 1.August 2001 - 1 BvR 1188/92 -, NJW 2001, S.3403 <3404 f> und vom 6.Februar 2002 - 1 BvR 952/90, 1 BvR 2151/96 -, NJW 2002, S.1187 <1188 f>). Dass hier solche Belange verletzt wären, bejaht der Bundesgerichtshof zu Unrecht. Er geht zwar zutreffend davon aus, dass die Menschenwürde der Meinungsfreiheit auch im Wettbewerbsrecht eine absolute Grenze setzt (vgl BVerfGE_102,347 <366 f>). Entgegen seiner Annahme ist diese Grenze aber nicht verletzt. | ||
a) Grundlage für die Bewertung jeder Meinungsäußerung ist die Ermittlung ihres Sinns. Dabei kommt es nicht auf nach außen nicht erkennbare Absichten des Urhebers der Äußerung an, sondern auf die Sichtweise eines verständigen Empfängers unter Berücksichtigung der für ihn wahrnehmbaren, den Sinn der Äußerung mitbestimmenden Umstände (vgl BVerfGE_93,266 <295> ). Wie bestimmte Minder- oder Mehrheiten von Rezipienten die Äußerung tatsächlich verstehen, kann ein Argument, muss aber nicht entscheidend sein. Ist der Sinn einer Äußerung umstritten, so ist es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, eine von den Fachgerichten unter Beachtung der grundrechtlichen Anforderungen ermittelte Deutung durch eine andere zu ersetzen (vgl BVerfGE_102,347 <367> ). Zu diesen Anforderungen gehört indessen, dass der Kontext berücksichtigt und der Äußerung kein zur Verurteilung führender Sinn zugeschrieben wird, den sie objektiv nicht haben kann. Umgekehrt dürfen ihr keine entlastenden Aussagegehalte abgesprochen werden, die sie objektiv hat. Bei mehrdeutigen Äußerungen müssen sich die Gerichte im Bewusstsein der Mehrdeutigkeit mit den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten auseinander setzen und für die gefundene Lösung nachvollziehbare Gründe angeben (vgl BVerfGE_93,266 <295 f>; BVerfGE_94,1 <10 f>). | ||
Nach diesem Maßstab ist die Auslegung des Aussagegehalts der Anzeige durch den Bundesgerichtshof im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Bundesgerichtshof meint, die Anzeige treffe überhaupt keine eigene Aussage, diskutiert aber unterschiedliche Verständnisvarianten, welche die Anzeige bei den Rezipienten auslösen könne, und rechnet einzelne Varianten der Anzeige zu. Vom sonst üblichen Vorgang der Ermittlung des Sinns von Äußerungen unterscheidet sich dieses Vorgehen nur terminologisch; was einer Meinungsäußerung als Verständnis der Rezipienten zugerechnet werden kann, ist auch ihr durch Deutung aus dem Empfängerhorizont ermittelter Sinn. | ||
Der Bundesgerichtshof geht unter dieser Annahme davon aus, die Anzeige könne als sozialkritische Botschaft verstanden werden. Nach diesem Verständnis soll der Öffentlichkeit mit der Anzeige die Stigmatisierung H.I.V.-Infizierter als gesellschaftlicher Missstand vor Augen geführt werden. Die Alternative, dass der Anzeige eine die Stigmatisierung H.I.V.-Infizierter befürwortende Botschaft entnommen werden könne, schließt der Bundesgerichtshof mit guten Gründen als unplausibel aus. | ||
Neben den Aussagegehalt hat der Bundesgerichtshof bei seiner Auslegung den Aussagezweck gestellt. Er legt dar, die Anzeige diene ungeachtet ihres sozialkritischen Aussagegehalts dazu, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit absatzfördernd auf das werbende Unternehmen zu lenken. Dabei handelt es sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht um eine alternative Deutung der Anzeige als Meinungsäußerung. Der Aufmerksamkeitswerbezweck als solcher ist keine Meinungsäußerung im Sinne des Art.5 Abs.1 Satz 1 GG. Es liegt eine sozialkritische Meinungsäußerung vor, die zugleich einen eigennützigen Werbezweck verfolgt. | ||
Da der Werbezweck zum Kontext der sozialkritischen Botschaft gehört, kann er deren Deutung beeinflussen. Insoweit ist dem Bundesgerichtshof zu folgen. Sozialkritik und Werbezweck schließen einander hier nicht aus. Der sozialkritische Gehalt der Anzeige und der auf Aufmerksamkeit für das Unternehmen abzielende Aspekt bestehen nebeneinander, ohne einander zu widersprechen. Die Annahme, es sei eigentlich nur das eine oder das andere gewollt, findet in der Anzeige und ihrem Kontext keine Stütze. Dem steht nicht entgegen, dass die Anzeige von Teilen der Bevölkerung möglicherweise nur mit ihrem Aufmerksamkeitswerbeaspekt wahrgenommen wird oder dass andere den Werbehinweis übersehen. Der zugleich fremd- und eigennützige Zweck der Anzeige ist ungewohnt und kann als irritierend empfunden werden. Das mag dazu verleiten, den sozialkritischen Gehalt zu ignorieren oder als pseudokritisch abzutun. Die Meinungsfreiheit gebietet indessen, eine Sichtweise einzunehmen, die so differenziert ist wie die zu bewertende Aussage selbst. Das hat der Bundesgerichtshof getan, indem er festgestellt hat, dass die Anzeige ungeachtet ihres Werbezwecks als Sozialkritik verstanden werden kann. | ||
b) Ausgehend von dieser Analyse kommt der Bundesgerichtshof in seiner Bewertung zu dem Ergebnis, die Anzeige verletze wegen ihres Zwecks die Menschenwürde. Aufmerksamkeitswerbung, die das Elend der Betroffenen zum eigenen kommerziellen Vorteil als Reizobjekt ausbeute, sei mit Art.1 Abs.1 GG unvereinbar. Ein Aufruf zur Solidarität mit Menschen in Not sei zynisch und verletze ihren Anspruch auf Achtung und mitmenschliche Solidarität um ihrer selbst willen, wenn er mit dem Geschäftsinteresse verbunden werde, die eigenen Unternehmensumsätze in einem ganz anderen Bereich zu steigern. | ||
Diese Beurteilung verkennt die Reichweite der Menschenwürde als Schranke der Meinungsfreiheit im Wettbewerbsrecht. Die Menschenwürde setzt der Meinungsfreiheit auch im Wettbewerbsrecht eine absolute Grenze (vgl BVerfGE_102,347 <366 f>). Art.1 Abs.1 GG verpflichtet die staatliche Gewalt, alle Menschen gegen Angriffe auf die Menschenwürde zu schützen. Solche Angriffe können in Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und anderen Verhaltensweisen bestehen, die dem Betroffenen seinen Achtungsanspruch als Mensch absprechen (vgl BVerfGE_1,97 <104> ). Die Menschenwürde als Fundament aller Grundrechte ist mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig. Da aber die Grundrechte insgesamt Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde sind, bedarf es stets einer sorgfältigen Begründung, wenn angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts die unantastbare Menschenwürde verletzt (vgl BVerfGE_93,266 <293>). Bei der Auslegung des § 1 UWG gilt das insbesondere auch deshalb, weil bei Annahme eines Verstoßes gegen die Menschenwürde die sonst notwendige Rechtfertigung des Eingriffs in die Meinungsfreiheit durch einen hinreichend wichtigen Belang, insbesondere durch eine Gefährdung des an der Leistung orientierten Wettbewerbs (vgl. BVerfG, 1.Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 6.Februar 2002 - 1 BvR 952/90, 1 BvR 2151/96 -, NJW 2002, S.1187 <1188>), entfällt. | ||
Bei Anwendung dieses Maßstabs trägt der Aufmerksamkeitswerbezweck der Anzeige nicht die Bewertung, die Anzeige sei menschenwürdeverletzend. Die Anzeige benennt das Elend der Aidskranken und überlässt dem Betrachter die Interpretation. In eine Botschaft, die den gebotenen Respekt vermissen ließe, indem sie etwa die Betroffenen verspottet, verhöhnt oder erniedrigt oder das dargestellte Leid verharmlost, befürwortet oder in einen lächerlichen oder makabren Kontext stellt, wird sie durch den Werbezweck nicht verwandelt. Allein der Umstand, dass das werbende Unternehmen von der durch die Darstellung erregten öffentlichen Aufmerksamkeit auch selbst zu profitieren versucht, rechtfertigt den schweren Vorwurf einer Menschenwürdeverletzung nicht. Der Schutz der Menschenwürde rechtfertigt im Rahmen des § 1 UWG unabhängig vom Nachweis einer Gefährdung des Leistungswettbewerbs ein Werbeverbot, wenn die Werbung wegen ihres Inhalts auf die absolute Grenze der Menschenwürde stößt. Wird diese Grenze beachtet, kann nicht allein der Werbekontext dazu führen, dass eine ansonsten zulässige Meinungsäußerung die Menschenwürde verletzt. Wohl kann die Anzeige, indem sie Leid nicht im sonst üblichen politischen, karitativen oder berichterstattenden, sondern in einem kommerziellen Kontext thematisiert, als befremdlich empfunden oder für ungehörig gehalten werden (vgl BVerfGE_102,347 <363>). Ein ausschließlich oder vorrangig auf das Leid selbst bezogener Umgang mit derartigen Themen mag moralisch vorzugswürdig sein, durch Art.1 Abs.1 GG geboten ist er nicht. | ||
c) Der Bundesgerichtshof hält die Anzeige auch deshalb für sittenwidrig, weil sie bei einem nicht unerheblichen Teil der Betrachter Gefühle von Angst und Bedrohung durch Aids auslösen könne und die von Aids Betroffenen und ihre Angehörigen in unzumutbarer Weise in Form der Werbung mit ihrer Not konfrontiere. Auch diese ergänzenden Erwägungen schließen die Annahme eines Verfassungsverstoßes nicht aus. Hinsichtlich der vom dargestellten Leid Betroffenen gilt das selbst dann, wenn ein Teil von ihnen angesichts der kommerziellen Motivation der Anzeige auf deren aufrüttelnde Wirkung lieber verzichten würde. Eine solche Haltung wäre verständlich, auch wenn es anderen Betroffenen wichtiger sein mag, die Öffentlichkeit mit dem Thema in Kontakt zu halten. Jedenfalls solange die Werbeanzeige wie hier die Not H.I.V.-Infizierter unter Achtung der Menschenwürde thematisiert, ist damit jedoch die Verletzung eines hinreichend schützenswerten Interesses der Betroffenen nicht dargetan. Dass schließlich auch der Gesichtspunkt des Schutzes der Bevölkerung vor unzumutbaren Belästigungen durch Werbemaßnahmen das Verbot der Anzeige nicht zu rechtfertigen vermag, hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl BVerfGE_102,347 <363 f>). | ||
Wollte man kommerziellen Werbeanzeigen wegen des mit ihnen stets verbundenen Eigennutzes die Thematisierung von Leid verbieten, hätte ein wesentlicher Teil der Realität in der allgegenwärtigen, Sichtweisen, Werte und Einstellungen der Menschen nicht unerheblich beeinflussenden Werbewelt von vornherein keinen Platz. Das kann angesichts des besonders schützenswerten Interesses an der Thematisierung gesellschaftlicher Probleme (vgl BVerfGE_28,191 <202>) kein mit der Meinungs- und der Pressefreiheit vereinbares Ergebnis sein." | ||
Auszug aus BVerfG B, 11.03.03, - 1_BvR_426/02 -, www.BVerfG.de, Abs.15 ff | ||
§§§ |
03.013 | 5%-Sperrklausel | |
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LB 1) Das Landesorganstreitverfahren ( Art.99 GG, § 13 Nr.10 BVerfGG) betrifft die Frage, ob der Antragsgegner dadurch die Rechte der Antragstellerin verletzt hat, dass er anlässlich der Änderung des Gesetzes über die Wahlen in den Gemeinden und Kreisen in Schleswig-Holstein (Gemeinde- und Kreiswahlgesetz in der Fassung vom 19.März 1997, GVOBl S.152 - GKWG -) durch Gesetz vom 10.Oktober 2001 (GVOBl S.180) die 5 v.H.-Sperrklausel bei Kommunalwahlen beibehalten hat. | ||
LB 2) Aus dem Sinn des prozessualen Begehrens und der Begründung der Anträge (vgl BVerfGE_1,14 <39>; BVerfGE_68,1 <68>) ergibt sich, dass die Antragstellerin auch mit dem Hauptantrag ein gesetzgeberisches Unterlassen, nicht aber eine Maßnahme im Sinne des § 64 Abs.1 BVerfGG (vgl BVerfGE_4,144 <147 f>; BVerfGE_60,53 <63>) angreift. Damit wird der Verfahrensgegenstand nicht ausgetauscht, sondern der Sinn des Begehrens der Antragstellerin klargestellt (vgl BVerfGE_68,1 <69>). | ||
LB 3) Die damit aufgeworfene, bislang vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschiedene Frage, unter welchen Voraussetzungen eine bloße Untätigkeit des Gesetzgebers im Wege des Organstreitverfahrens angreifbar ist (vgl BVerfGE_92,80 <87>; BVerfGE_103,164 <168 f> ; zustimmend VerfGH Rheinland-Pfalz, DVBl 1972, S.783 <784 f>; VerfGH Nordrhein-Westfalen, DVBl 1999, S.1271; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, NordÖR 2001, S.64 <65>), bedarf auch hier keiner abschließenden Antwort. Die Organklage bliebe in jedem Fall unzulässig, weil die Antragstellerin zwar antragsbefugt wäre (a), sie aber jedenfalls die Frist des § 73 Abs.2 BVerfGG iVm § 64 Abs.3 BVerfGG nicht eingehalten hat (b). | ||
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T-03-05 | Organklage | |
"Die Organklage ist jedenfalls wegen Fristversäumung unzulässig (§ 73 Abs.2 BVerfGG iVm § 64 Abs.3 BVerfGG). | ||
1. Die Antragstellerin wendet sich nach dem Wortlaut ihres Hauptantrags dagegen, dass der Antragsgegner bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 10.Oktober 2001 beschlossen habe, die 5 v.H.-Sperrklausel in § 10 Abs.1 GKWG beizubehalten. Ihre Hilfsanträge richten sich dagegen, dass der Antragsgegner es unterlassen habe, bei der Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes durch das Gesetz vom 10.Oktober 2001 die 5 vH-Sperrklausel des § 10 Abs.1 GKWG aufzuheben, abzumildern oder zu überprüfen. | ||
Aus dem Sinn des prozessualen Begehrens und der Begründung der Anträge (vgl BVerfGE_1,14 <39>; BVerfGE_68,1 <68>) ergibt sich, dass die Antragstellerin auch mit dem Hauptantrag ein gesetzgeberisches Unterlassen, nicht aber eine Maßnahme im Sinne des § 64 Abs.1 BVerfGG (vgl BVerfGE_4,144 <147 f>; BVerfGE_60,53 <63>) angreift. Damit wird der Verfahrensgegenstand nicht ausgetauscht, sondern der Sinn des Begehrens der Antragstellerin klargestellt (vgl BVerfGE_68,1 <69>). | ||
a) Der Erlass des Änderungsgesetzes vom 10.Oktober 2001 kommt als Maßnahme im Sinne des § 64 Abs.1 BVerfGG nicht in Betracht. In dem Erlass des Gesetzes unter Beibehaltung der Sperrklausel liegt kein unvollständiges Handeln des Gesetzgebers (vgl BVerfGE_92,80 <87>; BVerfGE_103,164 <169>), denn es fehlt an einem sachlichen Zusammenhang zwischen dem Änderungsgesetz vom 10.Oktober 2001 und der Sperrklausel, auf Grund dessen der Gesetzgeber verpflichtet gewesen sein könnte, bei der Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes zugleich auch die Regelung über die Sperrklausel zu novellieren. Mit der Gesetzesänderung ist keine Veränderung der normativen Grundlagen der Sperrklausel, die der Begründung ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dienten, einhergegangen. | ||
Das Änderungsgesetz vom 10.Oktober 2001 regelt ausschließlich die einmalige Verlängerung der Wahlperiode und die Verschiebung des Wahltermins auf den Monat Mai. Die Sperrklausel wird von diesen Änderungen nicht berührt. Dementsprechend wurde auch weder im Gesetzentwurf vom 28.Juni 2001 noch im anschließenden Gesetzgebungsverfahren die Überprüfung oder Änderung der Sperrklausel erwogen. Die Sperrklausel war allein Gegenstand des mit diesem Gesetzgebungsvorhaben in keinem Zusammenhang stehenden Entschließungsantrags der FDP-Fraktion, der sich während der Dauer des Gesetzgebungsverfahrens im Sonderausschuss "Fortschreibung des kommunalen Verfassungsrechts" zur weiteren Beratung befand. Es kann deshalb auch nicht angenommen werden, der Antragsgegner habe mit der Beschlussfassung am 28.September 2001 konkludent zum Ausdruck gebracht, die Sperrklausel aufrechterhalten zu wollen. Die Ablehnung des Antrags der FDP-Fraktion durch Beschluss des Landtags vom 19.Juni 2002 hat die Antragstellerin nicht mit der Organklage angegriffen. 27 | ||
b) Angriffsgegenstand des auf Nachbesserung und Überprüfung gerichteten Klagebegehrens der Antragstellerin kann auch nicht die angeblich nachbesserungsbedürftige Norm (§ 10 Abs. 1 Satz 1 GKWG) selbst sein. Als Gegenstand eines Organstreitverfahrens kommt allenfalls der Erlass der Norm in Betracht (vgl BVerfGE_2,143 <177>; BVerfGE_20,119 <129>; BVerfGE_20,134 <141>; BVerfGE_99,332 <337>). Der Erlass der Norm wird indes nicht angegriffen, wenn die Antragstellerin rügt, der Antragsgegner habe es versäumt, die Sperrklausel des § 10 Abs.1 Satz 1 GKWG den sich im Laufe der Zeit gewandelten Umständen anzupassen oder sie zumindest zu überprüfen. Damit macht sie vielmehr geltend, der Gesetzgeber habe eine Pflicht nicht befolgt, die nach Erlass der Norm neu entstanden sei. Sie rügt mithin ein erst nach Erlass der Norm zu Tage getretenes gesetzgeberisches Unterlassen. | ||
2. Die damit aufgeworfene, bislang vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschiedene Frage, unter welchen Voraussetzungen eine bloße Untätigkeit des Gesetzgebers im Wege des Organstreitverfahrens angreifbar ist (vgl BVerfGE_92,80 <87>; BVerfGE_103,164 <168 f> ; zustimmend VerfGH Rheinland-Pfalz, DVBl 1972, S.783 <784 f>; VerfGH Nordrhein-Westfalen, DVBl 1999, S. 1271; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, NordÖR 2001, S.64 <65>), bedarf auch hier keiner abschließenden Antwort. Die Organklage bliebe in jedem Fall unzulässig, weil die Antragstellerin zwar antragsbefugt wäre (a), sie aber jedenfalls die Frist des § 73 Abs.2 BVerfGG iVm § 64 Abs.3 BVerfGG nicht eingehalten hat (b). | ||
a) Die Antragsbefugnis ist entsprechend § 64 Abs.1 BVerfGG (vgl BVerfGE_27,44 <51>; BVerfGE_60,53 <63>) gegeben, wenn nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass der Antragsgegner Rechte der Antragstellerin, die aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten erwachsen, durch das beanstandete gesetzgeberische Unterlassen verletzt oder unmittelbar gefährdet hat (vgl BVerfGE_94,351 <362 f>; BVerfGE_99,19 <28>). Dies setzt voraus, dass sich die Antragstellerin auf eine Verfassungsnorm berufen kann, aus der sich eine Pflicht zum Tätigwerden des Gesetzgebers und damit korrespondierend ein ihr zustehendes Recht ergeben kann. | ||
aa) Aus dem in Art.21 Abs.1 GG, Art.3 Abs.1 iVm Art.2 Abs.1 und 2 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein gewährleisteten Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien kann sich eine Pflicht des Gesetzgebers und ein entsprechender Anspruch der politischen Parteien ergeben, eine die Chancengleichheit berührende Norm des Wahlrechts zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern, wenn die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Norm durch eine Entwicklung in Frage gestellt wird, die bei ihrem Erlass nicht abzusehen war. Es kann sich die vom Wahlgesetzgeber vorausgesetzte tatsächliche oder normative Grundlage geändert oder die bei Erlass der Bestimmung getroffene Prognose als irrig erwiesen haben (vgl BVerfGE_73,40 <94>; BVerfGE_82,322 <338 f>). | ||
bb) Die Antragstellerin hat solche Umstände, die im Zeitpunkt der Novellierung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes durch das Gesetz vom 10.Oktober 2001 eine Rechtspflicht des Antragsgegners zur Aufhebung, Änderung oder Überprüfung der Sperrklauselregelung in § 10 Abs.1 Satz 1 GKWG hätten begründen können, nicht dargelegt (§§ 75, 23 Abs.1 Satz 2 BVerfGG). Ihrem Vorbringen lässt sich nicht entnehmen, inwiefern sich die für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Sperrklausel maßgeblichen Grundlagen verändert haben sollen. | ||
Die Antragstellerin trägt nur vor, der Antragsgegner sei auf Grund des Entschließungsantrags der FDP-Fraktion und der hierüber geführten Plenardebatte am 1.Juni 2001 verpflichtet gewesen, die Sperrklausel in § 10 Abs.1 Satz 1 GKWG aufzuheben, abzumildern oder zumindest zu überprüfen. Es sei Grundtenor der Debatte gewesen, an der Sperrklausel müsse nicht zwingend festgehalten werden; einige Fraktionen hätten sogar die Ansicht vertreten, die Sperrklausel sei verfassungswidrig. Damit beruft sich die Antragstellerin lediglich auf allgemein-politische Anliegen einzelner Fraktionen, die eine möglicherweise aus veränderten tatsächlichen oder rechtlichen Rahmenbedingungen folgende Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht jedoch nicht zum Gegenstand hatten. | ||
Soweit in der Plenardebatte pauschal darauf hingewiesen wurde, die Erfahrungen anderer Länder, zB Baden-Württembergs, machten deutlich, dass die für die Sperrklausel angeführte Begründung - Sicherung der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen - nicht oder nicht mehr trage, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Allein damit wird ein für den Normbereich des § 10 Abs.1 Satz 1 GKWG bedeutsamer tatsächlicher Umstand, der zu einer neuen verfassungsrechtlichen Bewertung führen könnte, nicht aufgezeigt. Denn für die Einschätzung des Antragsgegners, ob die Sperrklausel aufrechtzuerhalten sei, ist grundsätzlich nicht von Bedeutung, wie andere Länder die Funktionsfähigkeit ihrer Kommunalvertretungen beurteilen und welche rechtlichen Vorkehrungen sie diesbezüglich für erforderlich halten. | ||
Der Antragsgegner ist nicht schon deshalb verpflichtet, die Einführung einer Sperrklausel zu unterlassen oder diese aufzuheben, weil andere Länder ohne sie auskommen (vgl BVerfGE_1,208 <259>; BVerfGE_6,104 <119 f>; BVerfGE_12,139 <143>; BVerfGE_82,322 <338>); bei der Beurteilung der Sperrklausel sind die Verhältnisse im Lande Schleswig-Holstein maßgebend (vgl. BVerfGE_1,208 <259>; BVerfGE_82,322 <338>). Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn mit einem anderen Land, dessen Kommunalwahlrecht keine Sperrklausel kennt, wesentliche Übereinstimmungen in den Kommunalverfassungen (Aufgabenverteilung zwischen der Kommunalvertretung, dem Hauptverwaltungsbeamten und den Ausschüssen), in den Kommunalwahlgesetzen, in der Struktur der Kommunen, in der Parteienlandschaft und im bürgerschaftlichen Engagement in Wählergruppen oder als Einzelbewerber bestünden. Derartige Umstände sind jedoch von der Antragstellerin weder dargelegt worden noch sind solche ersichtlich. | ||
Gleichwohl ist die Antragstellerin antragsbefugt, weil sich der normative Rahmen der Sperrklausel offenkundig durch das Gesetz zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechts 1995 vom 22.Dezember 1995 (GVOBl 1996, S.33) verändert hat, mit dem die Direktwahl der hauptamtlichen Bürgermeister und der Landräte eingeführt wurde. Durch diese Veränderung könnte der Sperrklausel die verfassungsrechtliche Rechtfertigung entzogen und eine Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht des Antragsgegners begründet worden sein, die im Zeitpunkt der Novellierung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes durch das Gesetz vom 10.Oktober 2001 fortbestand. | ||
b) aa) Der Geltendmachung einer derartigen Rechtsverletzung im vorliegenden Organstreitverfahren steht jedoch der Fristablauf entgegen (§ 73 Abs.2 BVerfGG iVm § 64 Abs.3 BVerfGG). Die Ausschlussfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG gilt auch dann, wenn der Gesetzgeber die angeblich unerfüllte gesetzgeberische Handlungspflicht nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern fortdauernd nicht befolgt hat (fortdauerndes Unterlassen, vgl BVerfGE_92,80 <89>; BVerfGE_103,164 <170>). Sie bezweckt, im Organstreitverfahren angreifbare Rechtsverletzungen im Interesse der Rechtssicherheit nach einer bestimmten Zeitspanne außer Streit zu stellen (vgl BVerfGE_80,188 <210>). Dieses Interesse besteht auch bei fortdauerndem gesetzgeberischen Unterlassen. Wann in einem solchen Fall die Antragsfrist zu laufen beginnt, lässt sich nicht generell und für alle Fallgestaltungen festlegen. Die Frist wird allerdings spätestens dadurch in Lauf gesetzt, dass sich der Gesetzgeber erkennbar und eindeutig weigert, in der Weise tätig zu werden, die der Antragsteller zur Wahrung der Rechte aus seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält (vgl BVerfGE_92,80 <89> mwN BVerfGE_103,164 <171>; stRspr) | ||
bb) Der Antragsgegner hat das Gesetz zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechts 1995 vom 22.Dezember 1995 am 11.Januar 1996 verkündet. Dadurch hat er es für die Antragstellerin, die sich zu diesem Zeitpunkt als politische Partei am Verfassungsleben in Schleswig-Holstein beteiligt hatte, erkennbar abgelehnt, die Regelung über die 5 vH-Sperrklausel aufzuheben, abzumildern oder zu überprüfen (vgl BVerfGE_103,164 <171>). Ändert der Gesetzgeber Vorschriften, die bisher zur Begründung der Sperrklausel dienten, so bringt er damit zum Ausdruck, dass er die Rechtslage, die er durch die Rechtsänderung herbeiführt, nicht für verfassungswidrig hält und sich zu weiteren Rechtsänderungen nicht veranlasst sieht. Dies macht er mit der Verkündung des Änderungsgesetzes deutlich (vgl BVerfGE_103,164 <171>); zu diesem Zeitpunkt gilt das Gesetz als allgemein bekannt geworden (vgl BVerfGE_16,6 <18 f>; BVerfGE_24,252 <258>; BVerfGE_103,164 <171 f>). Die demnach mit Verkündung des Gesetzes vom 22.Dezember 1995 in Lauf gesetzte Frist des § 64 Abs.3 BVerfGG war bei Eingang des Antrags im vorliegenden Verfahren am 25.März 2002 verstrichen. | ||
cc) Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus der Entscheidung des Senats vom 13.Juni 1989 (BVerfGE_80,188 <210 ff>). Danach ist eine Vorschrift der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages erst von dem Zeitpunkt an als Maßnahme im Sinne von § 64 Abs.3 BVerfGG zu beurteilen, zu dem sie beim Antragsteller eine aktuelle rechtliche Betroffenheit auslöst. Wahlgesetze und wahlrechtlich bedeutsame Maßnahmen oder Unterlassungen führen unmittelbar zur rechtlichen Betroffenheit einer politischen Partei, ohne Rücksicht auf ihren Willen zur Beteiligung an der nächsten Wahl (vgl BVerfGE_92,80 <91>; BVerfGE_103,164 <170 ff>). Zum Begriff der politischen Partei im Sinne des Art.21 Abs.1 GG gehört ihr grundsätzlicher Wille, an Wahlen im Bund oder in den Ländern teilzunehmen (vgl BVerfGE_6,367 <372 f>; BVerfGE_24,260 <263 f>; BVerfGE_79,379 <384>; BVerfGE_92,80 <88, 91>; BVerfGE_103,164 <170>). Wahlgesetze und wahlrechtlich bedeutsame Maßnahmen oder Unterlassungen des Gesetzgebers betreffen daher unmittelbar den verfassungsrechtlichen Status der Parteien (vgl BVerfGE_92,80 <88, 91>; BVerfGE_103,164 <170>). | ||
3. Sämtliche anderen zwischen dem Erlass des Gesetzes zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechts 1995 vom 22.Dezember 1995 und dem Erlass des Gesetzes zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 10.Oktober 2001 verabschiedeten Änderungen des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalverfassung hatten - wie das Gesetz zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 10.Oktober 2001 selbst - keine Auswirkungen auf die Sperrklauselregelung. Sowohl das Änderungsgesetz vom 27.Februar 1997 (Herabsetzung des aktiven Wahlalters) als auch das Änderungsgesetz vom 18.März 1997 (Verlängerung der Frist für die Stichwahl der hauptamtlichen Bürgermeister - vgl BVerfGE_103,164 <170>) sowie das Änderungsgesetz vom 16.Dezember 1997 (Unvereinbarkeit von Amt und Mandat) stehen mit der Sperrklauselregelung in keinem Zusammenhang. Ob das Gleiche für nach dem 10.Oktober 2001 vorgenommene Änderungen des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalverfassung gilt, bedarf keiner Erörterung. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, ob es der Antragsgegner im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsgesetzes vom 10.Oktober 2001 pflichtwidrig unterlassen hat, die Sperrklausel in § 10 Abs.1 Satz 1 GKWG zu korrigieren oder zumindest zu überprüfen (vgl BVerfGE_68,1 <63, 68 f>; BVerfGE_73,1 <28>)." | ||
Auszug aus BVerfG B, 11.03.03, - 2_BvK_1/02 -, www.BVerfG.de, Abs.22 ff | ||
§§§ |
03.014 | Handy-Überwachung | |
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1) Die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten können sich zum Schutz der Vertraulichkeit der Informationsbeschaffung und der Redaktionsarbeit auf das Fernmeldegeheimnis aus Art.10 GG und insoweit auch auf die Rechtsschutzgarantie des Art.19 Abs.4 GG berufen. | ||
2) Richterliche Anordnungen gegenüber Telekommunikationsunternehmen, im Rahmen der Strafverfolgung Auskunft über die für Abrechnungszwecke bereits vorhandenen oder in Durchführung einer Zielwahlsuche zu ermittelnden Verbindungsdaten zu erteilen, greifen in das Fernmeldegeheimnis des von der Auskunft Betroffenen ein. | ||
3) Derartige Eingriffe sind nur gerechtfertigt, wenn sie zur Verfolgung einer Straftat von erheblicher Bedeutung erforderlich sind, hinsichtlich der ein konkreter Tatverdacht besteht und wenn eine hinreichend sichere Tatsachenbasis für die Annahme vorliegt, dass der durch die Anordnung Betroffene mit dem Beschuldigten über Telekommunikationsanlagen in Verbindung steht. | ||
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T-03-06 | Zur Auslegung des § 100g StPO | |
"(2) Die schwerwiegenden Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis sind nur verhältnismäßig im engeren Sinne, wenn die Gegenbelange entsprechend gewichtig sind. Das Gewicht des Strafverfolgungsinteresses ist insbesondere von der Schwere und der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat abhängig (vgl BVerfGE_100,313 <375 f, 392> ). Insofern genügt es verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, dass die Erfassung der Verbindungsdaten allgemein der Strafverfolgung dient (siehe oben aa). Vorausgesetzt sind vielmehr eine Straftat von erheblicher Bedeutung, ein konkreter Tatverdacht und eine hinreichend sichere Tatsachenbasis für die Annahme, dass der durch die Anordnung Betroffene als Nachrichtenmittler tätig wird. | ||
(a) Hinsichtlich der Schwere der Straftat hat der Gesetzgeber nunmehr in § 100g StPO eine Konkretisierung vorgenommen, die dem rechtsstaatlichen Anliegen einer Begrenzung der Erhebung von Verbindungsdaten dient. Das Vorliegen einer Katalogtat im Sinne von § 100a Satz 1 StPO ist danach zwar nicht unbedingte Voraussetzung der Anordnung, aber als bedeutsamer Anwendungsfall für eine Straftat von erheblicher Bedeutung hervorgehoben worden und gibt deshalb einen Anhaltspunkt für die rechtliche Bewertung. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Offenlegung von Verbindungsdaten ein detailliertes Bild über Kommunikationsvorgänge und Aufenthaltsorte ermöglicht. Das Gewicht des Eingriffs bleibt zwar hinter dem der auf die Kommunikationsinhalte bezogenen Telefonüberwachung zurück, ist aber dennoch groß. Die Orientierung an dem Begriff der Straftat von erheblicher Bedeutung und die Angabe von Regelbeispielen werden auch sonst in der Rechtsordnung als Begrenzungsmerkmal für Ermittlungsmethoden eingesetzt (vgl BVerfGE_103,21 <33 f>; BGHSt_42,139 <157>). Damit wird verdeutlicht, dass derartige Eingriffe nur bei Straftaten gerechtfertigt sind, denen der Gesetzgeber allgemein ein besonderes Gewicht beimisst. Ferner muss die Straftat im konkreten Fall erhebliche Bedeutung haben (vgl BVerfG, 3.Kammer des Zweiten Senats, NJW 2001, S.2320 <2321>; VerfG des Landes Brandenburg, StV 2002, S.57 <58>), etwa auf Grund des angerichteten Schadens und des Grads der Bedrohungd er Allgemeinheit (vgl Welp, GA 2002, S.535 <539>). Dieser Maßstab verweist auf eine Vergleichsmöglichkeit, die auch im Rahmen des § 12 FAG zur Beurteilung herangezogen werden kann, ob eine Straftat von solchem Gewicht ist, dass die Übermittlung von Verbindungsdaten gerechtfertigt sein kann. | ||
Entscheidend für das Gewicht des verfolgten Anliegens ist auch die Intensität des gegen den Beschuldigten bestehenden Verdachts (vgl BVerfGE_100,313 <392>). Voraussetzung der Erhebung von Verbindungsdaten ist ein konkreter Tatverdacht. Auf Grund bestimmter Tatsachen muss anzunehmen sein, dass der Beschuldigte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen hat (vgl auch BVerfGE_100,313 <394>). | ||
(c) Eine gesicherte Tatsachenbasis ist ebenfalls unerlässlich zur Beurteilung, ob diejenige Person, gegen die eine Anordnung erfolgt, als Nachrichtenmittler angesehen werden kann. Insofern verlangen die §§ 100a, 100b Abs.1 Satz 2 StPO, dass gegen andere Personen als den Beschuldigten Maßnahmen nur erfolgen dürfen, wenn auf Grund von bestimmten Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass der Beschuldigte den Anschluss nutzt. Entsprechend muss § 12 FAG einengend ausgelegt werden. Bloße Vermutungen genügen für die Nachrichtenmittlereigenschaft nicht. | ||
(d) Derartige restriktive Anforderungen tragen zugleich dem Umstand Rechnung, dass die technologischen Entwicklungen und ihre Nutzung bei der Errichtung der Telekommunikationsinfrastruktur dazu führen, dass erheblich schwerere Eingriffe möglich sind als noch im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens von § 12 FAG (siehe oben <1> ). Die Anwendbarkeit des § 12 FAG scheitert daher nicht grundsätzlich daran, dass die im Zeitpunkt der Entstehung der Norm möglichen Maßnahmen ein erheblich geringeres Gewicht hatten. | ||
(3) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Gerichte vorliegend das Verhältnis zwischen dem Eingriff in das Fernmeldegeheimnis und den Belangen der Strafrechtspflege als angemessen beurteilt haben. | ||
(a) Die Anlasstaten waren in beiden Fällen so gewichtig, dass eine Auskunft über Telekommunikationsdaten gerechtfertigt war. Ansatzpunkt der Maßnahmen im Ausgangsverfahren der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 348/99 war der Verdacht des dreifachen Mordes. Mord ist eine Katalogtat im Sinne des § 100 a Satz 1 StPO, deren Vorliegen auch den Anforderungen, die an § 12 FAG zu stellen sind, gerecht wird. In dem dem Verfahren 1 BvR 330/96 zu Grunde liegenden Fall konnten die Gerichte ebenfalls von einer ein Auskunftsverlangen rechtfertigenden Anlasstat ausgehen. Die Straftaten, derentwegen nach dem Beschuldigten Schneider gefahndet wurde, waren zwar nicht Katalogtaten im Sinne des § 100 a StPO, aber von ganz erheblichem Gewicht. Anlass der Anordnung waren Insolvenzstraftaten nach den §§ 283 ff. StGB, die mit Kreditbetrug und Steuerhinterziehung verbunden waren. Die angenommenen Schäden beliefen sich auf eine Höhe von 2 bis 3 Mrd DM. Auch gab es eine große Zahl Geschädigter. Es ging um eines der größten Wirtschaftsstrafverfahren der Bundesrepublik Deutschland. Auch Wirtschaftsstraftaten können von erheblicher Bedeutung sein. Für die Gewichtung einer Straftat sind nicht allein das betroffene Rechtsgut, sondern ebenfalls die Tatbegehung und das Ausmaß der Schäden maßgebend. Die dem Beschuldigten Schneider angelasteten Straftaten hatten nicht zuletzt hinsichtlich der Art ihrer Begehung, der Anzahl der Geschädigten und wegen des Ausmaßes des Schadens ein hinreichendes strafrechtliches Gewicht. 82 | ||
Soweit die Beschwerdeführer gegen die Angemessenheit der Anordnungen einwenden, dass es in den zu Grunde liegenden Ermittlungsverfahren nur um Strafverfolgung ging, nicht aber um die Abwehr von Gefahren für überragende Rechtsgüter oder Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland, kann ihnen nicht gefolgt werden. Das Interesse an der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten hat neben dem Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten eine eigenständige verfassungsrechtliche Bedeutung. 83 | ||
(b) An dem für Auskunftsverlangen erforderlichen Verdachtsgrad gegen die Beschuldigten bestand vorliegend kein Zweifel. In beiden Verfahren war gegen die Beschuldigten auf Grund dringenden Tatverdachts Haftbefehl erlassen worden und eine Ausschreibung zur Festnahme erfolgt. 84 | ||
(c) Es unterliegt auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen eine hinreichende Tatsachenbasis dafür angenommen haben, dass die Beschwerdeführer Nachrichtenmittler der Beschuldigten gewesen sind. Im Hinblick auf die Auskunftsanordnung im Fall der Beschwerdeführer zu 1 wurde es als maßgeblich angesehen, dass sich der Beschwerdeführer zu 1c im Besitz eines Tonbands befand, das eine authentische Aufnahme einer Stellungnahme des Beschuldigten zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen enthielt. Unter diesen Umständen lag eine hinreichende Tatsachengrundlage dafür vor, dass der Beschwerdeführer zu 1c in Kontakt zu dem Beschuldigten stand. Es ist verfassungsrechtlich insbesondere nicht zu beanstanden, dass die Strafverfolgungsbehörden davon ausgingen, die Tonbandaufnahmen seien den Beschwerdeführern zu 1 mit Willen des Beschuldigten zugespielt worden. | ||
Auch die gerichtliche Auskunftsanordnung gegen die Beschwerdeführerin zu 2 hält hinsichtlich der für die Eigenschaft als Nachrichtenmittler angeführten Tatsachengrundlage einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand. Das Landgericht hat in den Gründen seiner Entscheidung darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin zu 2 wiederholt unmittelbaren Kontakt zu dem Beschuldigten Klein unterhielt. Die Beschwerdeführerin zu 2 ist diesen tatsächlichen Feststellungen in den angegriffenen Entscheidungen nicht entgegengetreten. 86 | ||
ee) Der in § 12 FAG und § 100b StPO vorgesehene Richtervorbehalt ist beachtet worden. | ||
Der Vorbehalt richterlicher Entscheidung zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz. Richter können auf Grund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer ausschließlichen Bindung an das Gesetz die Rechte des Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren (vgl BVerfGE_103,142 <151> mwN). Das gilt auch mit Blick auf die durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebotene Abwägung der sich bei Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis gegenüberstehenden Rechtspositionen. | ||
Die Abwägung hängt entscheidend von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Es ist die Aufgabe und Pflicht des Ermittlungsrichters, sich eigenverantwortlich ein Urteil zu bilden und nicht etwa die Anträge der Staatsanwaltschaft auf Übermittlung der Verbindungsdaten nach einer nur pauschalen Überprüfung einfach gegenzuzeichnen. Zur richterlichen Einzelentscheidung gehören eine sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Angemessenheit des Eingriffs im konkreten Fall. Schematisch vorgenommene Anordnungen vertragen sich mit dieser Aufgabe nicht. Die richterliche Anordnung des Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis muss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen sich der Eingriff halten muss (vgl - zu Art.13 Abs.1 GG - BVerfGE_103,142 <151 f>). Dem wurden die angegriffenen Maßnahmen noch in ausreichendem Maße gerecht. | ||
Das Amtsgericht hat seine Anordnungen allerdings nur unter Hinweis auf die erlassenen Haftbefehle und das Ziel der Aufenthaltsbestimmung begründet sowie im Übrigen den Wortlaut des § 12 FAG teilweise wiederholt. Ausführungen zur Tätigkeit der Beschwerdeführer als Nachrichtenmittler sowie zur Erforderlichkeit und Angemessenheit der Eingriffe in die Rechte der Beschwerdeführer fehlen. 90 | ||
Das Landgericht hat diese Begründungen zwar nicht formell beanstandet, jedoch seinerseits eingehendere Begründungen vorgenommen. Dabei hat es das Handeln der Beschwerdeführer als Nachrichtenmittler dargelegt und weitere Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit gemacht. Die entsprechenden Überlegungen gelten zwar vornehmlich der Frage, ob Medienunternehmen und Journalisten einen besonderen Schutz vor solchen Maßnahmen genießen, enthalten aber in diesem Rahmen auch Ausführungen zur Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme im konkreten Fall. Es besteht deshalb kein Anlass, sie aus verfassungsrechtlichen Gründen zu beanstanden. | ||
4. Verfassungsrechtlich gerechtfertigt sind die Auskunftsanordnungen im Ausgangsverfahren zu der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 348/99 auch insoweit, als sie sich auf die im Rahmen der so genannten Zielwahlsuche speziell erhobenen Verbindungsdaten der eingehenden Telefongespräche erstreckten. | ||
Die Anordnung der Auskunft über eingehende Telefongespräche, die nunmehr von § 100g Abs.2 StPO erfasst wird, ist auf § 12 FAG und zusätzlich auf die §§ 100 a, 100 b StPO gestützt worden. Die Überprüfung beschränkt sich auf die Klärung, ob die Maßstäbe des Art.10 GG bei der Rechtsanwendung beachtet worden sind. Dies ist zu bejahen. | ||
a) Verbindungsdaten eingehender Telefongespräche sind üblicherweise bei der Abwicklung des Telekommunikationsverkehrs nicht verfügbar. Sie werden für die Entgeltabrechnung bei dem angerufenen Teilnehmer im Allgemeinen nicht benötigt, da der anrufende Teilnehmer die Entgelte für die Verbindungen regelmäßig allein zu tragen hat. Damit kann das Strafverfolgungsinteresse an Daten über eingehende Telefongespräche nicht durch Übermittlung der oben (3) behandelten allgemeinen Verbindungsdaten befriedigt werden. | ||
Die Zielwahlsuche soll dieses Defizit beheben. Es sollen diejenigen unbekannten Anschlussnummern ermittelt werden, von denen Telekommunikationsverbindungen zu einem bestimmten Anschluss hergestellt worden sind. Wird ein Diensteanbieter durch die Strafverfolgungsbehörden aufgefordert, Auskunft über die für einen Anschluss eingegangenen Verbindungen zu geben, sind die im EDV-System für den Rechnungsdienst vorgesehenen Abfrageroutinen nicht verwendbar. Da jeder andere Netzteilnehmer die vorgegebene Anschlussnummer angewählt haben kann, setzt die Durchführung einer Zielwahlsuche voraus, dass die Kommunikationsdatensätze aller übrigen von dem Diensteanbieter eingerichteten Anschlüsse sowie der im Übrigen gespeicherten Verbindungsdaten mit der fraglichen Anschlussnummer abgeglichen werden (vgl Welp, Überwachung und Kontrolle, 2000, S.20 ff, 33 ff). Im Jahre 2002 wurde laut Auskunft der Deutschen Telekom jede der 216 Mio. täglich hergestellten Telefonverbindungen innerhalb der dreitägigen Dauer der Speicherung der jeweiligen Verbindungsdatensätze durchschnittlich zweimal in eine Zielwahlsuche einbezogen. | ||
b) Hinsichtlich der Eignung und Erforderlichkeit der Erfassung von Verbindungsdaten eingehender Gespräche ergebens ich keine Besonderheiten gegenüber der Erfassung der sonstigen Verbindungsdaten. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ime ngeren Sinne ist aber ergänzend zu berücksichtigen, dass eine besonders große Zahl von Personen betroffen wird. Denn für die Beurteilung der Angemessenheit einer das Fernmeldegeheimnis beschränkenden Maßnahme ist auf der Ebene des Gesetzes und seiner Auslegung mitentscheidend, wie viele Personen wie intensiven Beeinträchtigungen ausgesetzt sind (vgl BVerfGE_100,313 <376>). | ||
aa) In ihrem Grundrecht aus Art.10 Abs.1 GG betroffen sindd iejenigen Anschlussinhaber, die nach Durchführung einer Zielwahlsuche auf Grundd er Herstellung einer Verbindung zu dem fraglichen Anschluss aus dem Datenbestand ermittelt und als "Treffer" den Strafverfolgungsbehörden mitgeteilt werden. Sie sind der Ausgangspunkt für weitere Maßnahmen, etwa zur Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten. Die betroffenen Personen sind in grundrechtlicher Hinsicht in vergleichbarer Weise belastet wie die von der Erhebung der ohnehin vorhandenen Verbindungsdaten erfassten Personen. | ||
bb) Der Informationswert einer im Rahmen der Zielwahlsuche erfolgenden Auskunft erschöpft sich nicht in seinem positiven, die weitere Strafverfolgung ermöglichenden Gehalt. Da sich der Datenabgleich der Zielwahlsuche auf den Gesamtbestand der bei einem Diensteanbieter gespeicherten Verbindungsdaten bezieht, enthält die Auskunft zugleich die negative Aussage, dass während des Auskunftszeitraums von keinen anderen als den genannten Anschlüssen Verbindungen zu dem fraglichen Anschluss hergestellt worden sind. Dieser Aussagegehalt betrifft einen viele Millionen umfassenden Personenkreis. Der Zugriff erfolgt allerdings maschinell und bleibt im Fall des erfolglosen Abgleichs anonym, spurenlos und ohne Erkenntnisinteresse für die Strafverfolgungsbehörden. Eine Beeinträchtigung subjektiver Rechte erfolgt insoweit nicht. | ||
cc) Auch wenn die meisten der von der Zielwahlsuche erfassten Telekommunikationsteilnehmer daher nicht in einer einen Grundrechtseingriff auslösenden Qualität betroffen werden (vgl BVerfGE_100,313 <366>), ist für die Beurteilung der Angemessenheit einer gesetzlichen Ermächtigung und ihrer Auslegung der große Kreis Betroffener bedeutsam. Art.10 GG schützt den Einzelnen vor staatlichen Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis und gewährleistet in seinem objektivrechtlichen Gehalt die Vertraulichkeit der Telekommunikation auch in ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung. Es gefährdet die Unbefangenheit der Nutzung der Telekommunikation und in der Folge die Qualität der Kommunikation einer Gesellschaft, wenn die Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens entstehen. Die zum Schutze der Grundrechtsträger geschaffenen gesetzlichen Vorkehrungen kommen auch dem Vertrauen der Allgemeinheit zugute. Schutzmöglichkeiten können darüber hinaus durch verfahrensrechtliche Vorkehrungen geschaffen werden (vgl BVerfGE_65,1 <44>; 67,157 <183>; 100,313 <359 ff>). | ||
dd) Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, ob die Angemessenheit der Zielwahlsuche allein durch Beachtung der Subsidiarität der Maßnahme, wie sie jetzt § 100g Abs.2 StPO ausdrücklich vorsieht, gewahrt werden konnte. Angesichts der Schwere des Tatvorwurfs des dreifachen Mordes, der konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte für den Tatverdacht und für die Eigenschaft der Beschwerdeführerin zu 2 als Nachrichtenmittlerin sowie der mehr als zwanzig Jahre dauernden vergeblichen Versuche, den Aufenthaltsort des Beschuldigten Klein zu ermitteln, sind die materiellen Anforderungen an die Angemessenheit eines Eingriffs jedenfalls im vorliegenden Fall auch für die Zielwahlsuche erfüllt. Ebenfalls ist der Richtervorbehalt beachtet worden ( siehe oben 3 ee). Angesichts der besonderen Schwere der Straftat bedarf im vorliegenden Fall auch keiner Klärung, ob eine Zielwahlsuche grundsätzlich nur in Verbindung mit Sicherungen auch ihrer nachträglichen Kontrolle, etwa durch Datenschutzbeauftragte oder parlamentarische Gremien, in Betracht kommt. | ||
Auszug aus BVerfG U, 12.03.03, - 1_BvR_330/96 -, www.BVerfG.de, Abs.75 ff | ||
§§§ |
03.015 | Genetischer Fingerabdruck | |
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LB 1) Die Feststellung, Speicherung und (künftige) Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters greift in das durch Art.2 Abs.1 iVm Art.1 Abs.1 GG verbürgte Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Diese Verbürgung darf nur in überwiegendem Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weiter gehen als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerlässlich ist. | ||
LB 2) Dem Schrankenvorbehalt für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trägt die gesetzliche Regelung in § 2 DNA-IfG iVm § 81g StPO ausreichend Rechung. Sie bezweckt die Erleichterung der Aufklärung künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung und dient damit einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Rechtspflege, der ein hoher Rang zukommt ( BVerfGE_77,65 <76>; BVerfGE_80,367 <375>). | ||
LB 3) Die Gerichte sind allerdings bei der Anwendung und Auslegung des § 2 DNA-IfG gehalten, bei ihrer Entscheidung die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, in das die Feststellung, Speicherung und Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters eingreifen, hinreichend zu berücksichtigen. Notwendig für die Anordnung der Maßnahme nach § 2 DNA-IfG ist, dass wegen der Art oder Ausführung der bereits abgeurteilten Straftat, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Vorausgesetzt ist als Anlass für die Maßnahme im Vorfeld eines konkreten Strafverfahrens eine Straftat von erheblicher Bedeutung, wobei das Vorliegen eines Regelbeispiels im Sinne von § 81g Abs.1 StPO nicht in jedem Fall einer einzelfallbezogenen Prüfung der Erheblichkeit der Straftat entbindet. Gibt es etwa mit Blick auf milde Strafen oder eine Strafaussetzung zur Bewährung Hinweise aus den zu Grunde liegenden Strafverfahren auf das Vorliegen einer von der Regel abweichenden Ausnahme, muss die Entscheidung sich damit im Einzelnen auseinander setzen. | ||
LB 4) Soweit das Gericht bei der Annahme einer Straftat von erheblicher Bedeutung auf eine "Katalogtat nach § 2c DNA-IfG" abstellt, verkennt es schon im Ansatz, dass es für diese Prüfung nicht auf den für den Suchlauf der Staatsanwaltschaften im Bundeszentralregister geschaffenen Katalog in der Anlage zu § 2c DNA-IfG, sondern auf denjenigen nach § 81g Abs.1 StPO ankommt. Darüber hinaus lässt es außer Acht, dass das Vorliegen einer Katalogtat nicht zwingend eine Straftat von erheblicher Bedeutung belegt. Im Hinblick auf die im unteren Bereich des Strafrahmens liegende Strafe gegen den Beschwerdeführer und die ihm gewährte Strafaussetzung zur Bewährung hätte Anlass bestanden, die Annahme einer Ausnahme zu prüfen. | ||
LB 5) Der alleinige Hinweis auf einschlägige Vorverurteilungen des Beschwerdeführers genügt insoweit nicht den an eine Gefahrenprognose von Verfassungs wegen zu stellenden Anforderungen. Insoweit ist eine auf den Einzelfall bezogenen individuellen Prüfung erforderlich, die nicht durch allgemeinen Ausführungen des Gerichts zu den Anforderungen an eine Prognoseentscheidung ersetzt werden kann. Im Rahmen der Abwägung wäre zum einen darauf einzugehen gewesen, dass die Anlasstat lange zurückliegt, die damals verhängte Strafe zur Bewährung ausgesetzt war und inzwischen erlassen ist. Zum anderen wäre eine ins Einzelne gehende Würdigung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers erforderlich gewesen, um nachvollziehbar darzutun, warum auch heute, mehr als zehn Jahre nach der letzten Verurteilung, noch Grund zu der Annahme bestehen soll, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden. | ||
§§§ |
03.016 | NPD-Verbot | |
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LB 1) "Nachteilig" im Sinne des § 15 Abs.4 Satz 1 BVerfGG ist grundsätzlich jede Entscheidung, die die Rechtsposition des Antragsgegners verschlechtern oder sonst negativ beeinflussen kann. | ||
LB 2) Dies ist in einem Verfahren nach Art.21 Abs.2 GG dann der Fall, wenn der Parteiverbotsantrag zum Erfolg führt und das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei feststellt ( Art.21 Abs.2 Satz 2 GG iVm § 46 Abs.1 BVerfGG). Ebenfalls dem Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit unterliegt vor allem auch die im Vorverfahren gemäß § 45 BVerfGG zu treffende Entscheidung, dass der Verbotsantrag zulässig sowie hinreichend begründet und deshalb die Verhandlung durchzuführen ist. Schon die Durchführung der mündlichen Verhandlung beeinträchtigt den Antragsgegner in seiner Rechtsstellung. | ||
LB 3) Eine Beschränkung des Abstimmungsquorums auf die abschließende Entscheidung über den Parteiverbotsantrag ergibt sich aus § 15 Abs.4 Satz 1 BVerfGG nicht (vgl Brox, in: Ritterspach/Geiger | ||
LB 4) Aus der durch Art.21 Abs.1 GG verfassungsrechtlich anerkannten Rolle der Parteien folgt in formeller und materieller Hinsicht eine erhöhte Schutz- und Bestandsgarantie. Da Parteien durch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit ( Art.21 Abs.2 GG iVm § 46 Abs.1 BVerfGG) und die Auflösung ihrer Organisation ( § 46 Abs.3 Satz 1 BVerfGG) insgesamt von der freien Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes und damit von ihrer durch Art.21 Abs.1 GG verfassungsrechtlich garantierten Aufgabe ausgeschlossen werden, bedürfen gerichtliche Entscheidungen zum Nachteil einer Partei in einem Verbotsverfahren einer besonderen Legitimation. Dementsprechend soll § 15 Abs.4 Satz 1 BVerfGG verhindern, dass die besonders einschneidenden Folgen eines Parteiverbots sowie der übrigen nachteiligen Entscheidungen gegenüber der betroffenen Partei ohne hinreichend qualifizierte Mehrheit eintreten. | ||
LB 5) Das Verfahren kann nicht fortgeführt werden, weil der von der Antragsgegnerin sinngemäß gestellte Antrag auf Einstellung des Verfahrens nicht die nach § 15 Abs.4 BVerfGG für eine Ablehnung erforderliche Mehrheit gefunden hat. Eine Mehrheit von vier Richtern ist der Auffassung, dass ein Verfahrenshindernis nicht besteht. Drei Richter sind der Auffassung, dass ein nicht behebbares Verfahrenshindernis vorliegt. | ||
LB 6) Dass eine Minderheit von drei Richtern der Auffassung ist, in Folge mangelnder Staatsfreiheit der Antragsgegnerin auf der Führungsebene sowie mangelnder Staatsfreiheit des zur Antragsbegründung ausgebreiteten Bildes der Partei bestehe ein nicht behebbares Hindernis für die Fortführung des mit den Anträgen vom 30.Januar und 30.März 2001 eingeleiteten Verfahrens, wirkt sich gemäß § 15 Abs.4 Satz 1 BVerfGG bei der von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens vorzunehmenden Prüfung und Entscheidung über das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen aus. Danach steht fest, dass die Parteiverbotsanträge nicht zum Erfolg geführt werden können. | ||
§§§ |
03.017 | Rückmeldegebühr | |
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1) Die Begrenzungs- und Schutzfunktion der Finanzverfassung begründet verbindliche Vorgaben auch für die Gebühren als Erscheinungsform der nichtsteuerlichen Abgaben. Die grundgesetzliche Finanzverfassung verlöre ihren Sinn und ihre Funktion, wenn unter Rückgriff auf die Sachgesetzgebungskompetenzen beliebig hohe Gebühren erhoben werden könnten; die Bemessung bedarf kompetenzrechtlich im Verhältnis zur Steuer einer besonderen, unterscheidungskräftigen Legitimation (Anschluss an BVerfGE_93,319 ff). | ||
2) Nur dann, wenn legitime Gebührenzwecke nach der tatbestandlichen Ausgestaltung der Gebührenregelung von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen werden, sind sie auch geeignet, sachlich rechtfertigende Gründe für die Gebührenbemessung zu liefern. Wählt der Gesetzgeber einen im Wortlaut eng begrenzten Gebührentatbestand, kann nicht geltend gemacht werden, er habe auch noch weitere, ungenannte Gebührenzwecke verfolgt. | ||
* * * | ||
Urteil | Entscheidungsformel:
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§§§ |
03.018 | AWACS | |
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LB 1) Gemäß Art.93 Abs.1 Nr.1 GG, § 63 BVerfGG können im Organstreitverfahren neben den obersten Bundesorganen auch Teile dieser Organe Anträge stellen, sofern sie im Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Die Antragstellerin ist als Fraktion des Deutschen Bundestages im Organstreitverfahren gemäß §§ 13 Nr.5, 63 ff BVerfGG parteifähig. Sie kann im eigenen Namen Rechte geltend machen, die dem Bundestag gegenüber der Bundesregierung zustehen (vgl BVerfGE_1,351 <359>; BVerfGE_2,143 <165>; BVerfGE_90,286 <336>; BVerfGE_104,151 <193>; stRspr). | ||
LB 2) Der konstitutive Parlamentsvorbehalt ist in der Begründung auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten (vgl BVerfGE_90,286 <383>). Unter den heutigen politischen Bedingungen, in denen Kriege nicht mehr förmlich erklärt werden, steht eine sukzessive Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen dem offiziellen Kriegseintritt gleich. Deshalb unterliegt grundsätzlich jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der konstitutiven parlamentarischen Mitwirkung. | ||
LB 3) Bei einer Folgenabwägung sind gegeneinander abzuwägen die Nachteile, die für den Bundestag - dessen Rechte die Antragstellerin wahrnimmt - einträten, wenn die begehrte einstweilige Anordnung abgelehnt wird, in der Hauptsache später aber sich herausstellt, dass der konkrete Einsatz deutscher Soldaten ohne Zustimmung des Bundestages dessen wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt verletzt, mit denjenigen Nachteilen, die sich ergäben, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen wird, sich später im Organstreitverfahren aber herausstellt, dass der Einsatz dem konstitutiven Parlamentsvorbehalt nicht unterlag. | ||
LB 4) Der konstitutive Parlamentsvorbehalt hat ein hohes Gewicht, weil die Bundeswehr ein Parlamentsheer ist. Die Bundeswehr ist dadurch in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung eingefügt (vgl BVerfGE_90,286 <382> ). Die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen ohne Zustimmung des Bundestages greift deshalb prinzipiell tief in die Rechte des Parlaments ein. | ||
LB 5) Auf der anderen Seite steht die außenpolitische Verantwortung der Exekutive mit ihrem Kernbereich eigener Entscheidungsfreiheit. Soweit der Parlamentsvorbehalt nicht eingreift, steht allein der Bundesregierung die Entscheidung zu, in welchem Umfang die Bundesrepublik Deutschland sich an der Ausführung des Beschlusses des Verteidigungsplanungsausschusses der NATO vom 19.Februar 2003 beteiligt. Die Bundesregierung müsste sich bei Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung in einer aktuellen außenpolitischen Krisensituation entweder um eine - in Wahrheit nicht erforderliche - politische Zustimmung des Bundestages bemühen, oder aber - wenn dies vermieden werden soll - die deutschen Soldaten aus den betreffenden integrierten NATO-Verbänden abziehen. Ein solcher Zwang griffe tief in den Kernbereich der außen- und sicherheitspolitischen Verantwortung der Bundesregierung ein. | ||
LB 6) Es lässt sich nicht feststellen, dass bei dem anzulegenden strengen Prüfungsmaßstab die Rechte des Bundestages deutlich überwiegen. Die Abwägung dieser Positionen ist im Ergebnis offen. Die ungeschmälerte außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung in dem ihr durch die Verfassung zugewiesenen Kompetenzbereich hat auch im gesamtstaatlichen Interesse an der außen- und sicherheitspolitischen Verlässlichkeit Deutschlands bei der Abwägung ein besonderes Gewicht (vgl BVerfGE_33,195 <197>; BVerfGE_83,162 <173 f>. | ||
§§§ |
03.019 | Beitragssatzsicherungsgesetz IV | |
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Die Beschwerdeführer betreiben pharmazeutische Unternehmen. Sie beantragen, die Regelungen in Art.1 Nr.8 sowie in Art.11 § 2 des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom 23.Dezember 2002 (BGBl I S.4637) vorläufig außer Vollzug zu setzen. | ||
LB 2) Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung von Art.1 Nr.8 und Art.11 § 2 BSSichG eintreten würden, schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen, welche die beiden Regelungen für die Beschwerdeführer haben, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. | ||
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T-03-08 | Pharmatzeutische Unternehmen | |
"1. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Zustandekommen des Gesetzes ohne Zustimmung des Bundesrats und die Frage, ob das Gesetz mit Art.12 Abs.1 GG im Übrigen in Einklang steht, bedürfen der Klärung im Hauptsacheverfahren. | ||
2. Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung von Art.1 Nr.8 und Art.11 § 2 BSSichG eintreten würden, schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen, welche die beiden Regelungen für die Beschwerdeführer haben, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird. | ||
a) Ergeht die einstweilige Anordnung, erweisen sich aber Art.1 Nr.8 und Art.11 § 2 BSSichG später als verfassungsgemäß, drohen dem gemeinen Wohl schwere Nachteile. | ||
Die im Falle des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu erwartenden Mehrausgaben in Höhe von jährlich 420 Mio Euro sind absolut und relativ von erheblicher Bedeutung für das System der gesetzlichen Krankenversicherung, solange der Fehlbetrag nicht anderweitig kompensiert wird. Geht man mit dem Gesetzgeber davon aus, dass jeder Teilbeitrag im Beitragssatzsicherungsgesetz erforderlich ist, um die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes - zumindest vorläufig bis zu einer Strukturreform - zu erhalten, wird die Erreichung dieses Ziels in dem Ausmaß gefährdet, in dem die Rabatte nicht realisiert werden können. Das Beitragssatzsicherungsgesetz sieht ein Paket von Maßnahmen zur Bekämpfung des Defizits im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Das Beitragsaufkommen wird durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze erhöht, das Sterbegeld wird abgesenkt, Ärzten, Zahnärzten und Krankenhäusern werden so genannte Nullrunden vorgeschrieben und bei den Arzneimitteln haben neben den Pharmaunternehmen auch die Großhändler und die Apotheken durch Rabatte zu den Minderausgaben beizutragen. Erst die Summe aller Sparmaßnahmen ergibt eine spürbare Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen. Allen Maßnahmen kommt im Hinblick auf das Gemeinwohl gleiches Gewicht zu. | ||
Träte infolge der einstweiligen Anordnung ein Teil der finanziellen Entlastung nicht ein, müssten sich die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Gesetzgeber sofort auf höhere Ausgaben einstellen und hierauf gegebenenfalls mit Beitragserhöhungen, mit der Belastung sonstiger Gruppen oder mit Einsparungen bei den Leistungen reagieren. | ||
b) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweisen sich die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Regelungen aber später im Hauptsacheverfahren als verfassungswidrig, drohen allerdings den Beschwerdeführern und sonstigen pharmazeutischen Unternehmen jedenfalls bis zur Entscheidung in der Hauptsache wirtschaftliche Nachteile. Ein endgültiger und auf Dauer nicht kompensierbarer Schaden ist nicht anzunehmen. Die vorübergehend zu erwartenden Nachteile aber sind nicht sehr schwerwiegend. | ||
Gemessen an ihrem Umsatz im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung werden die pharmazeutischen Unternehmen lediglich geringfügige finanzielle Einbußen erleiden. Ein Teil des Arzneimittelumsatzes geht nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung und ist von den angegriffenen Regelungen gar nicht betroffen. Insoweit reduzieren sich noch die von den Beschwerdeführern geschilderten Nachteile. | ||
Die von den Beschwerdeführern befürchteten weiteren nachteiligen Folgen, wie eine Verminderung der Anzahl der Apotheken im Zuge von Insolvenzen, betreffen wirtschaftliche Risiken, die aus dem Marktgeschehen resultieren, an dem die Beschwerdeführer teilnehmen, wobei ein unmittelbarer Zusammenhang dieser Folgen mit der gesetzlichen Regelung in Art.1 Nr.8 und Art.11 § 2 BSSichG nicht besteht. | ||
c) Schon wenn die jeweiligen Nachteile der abzuwägenden Folgenkonstellationen einander in etwa gleichgewichtig gegenüber stehen, gebietet es die gegenüber der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers notwendige Zurückhaltung des Gerichts, das angegriffene Gesetz nicht auszusetzen, bevor geklärt ist, ob es vor der Verfassung Bestand hat (vgl BVerfGE_104,51 <60>). Vorliegend ergibt die Abwägung, dass die Nachteile für das gemeine Wohl bei Erlass der einstweiligen Anordnung diejenigen sogar überwiegen, die den Beschwerdeführern bei Ablehnung des Antrags drohen. | ||
Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführer können eine generelle Gefährdung der Arzneimittelversorgung und eine Minderversorgung der Kranken hier ausgeschlossen werden. Denn aus dem Vortrag der Beschwerdeführer, die lediglich Gewinneinbußen geltend machen, lässt sich eine Gefährdung der Existenz ihrer Unternehmen nicht ableiten. So belegen die für die Beschwerdeführerin zu 1) vorgelegten Zahlen, dass bei einem prognostizierten Jahresgewinn vor Steuern von 8 Mio Euro und einem unterstellten Gewinneinbruch von 38,8 vom Hundert noch eine nennenswerte Rendite erzielt werden kann. Auch für die Pharmaindustrie insgesamt ist eine solche Gefährdung nicht ersichtlich. Im Übrigen ist die Behauptung nicht nachvollziehbar, dass die Forschung der deutschen Pharmaindustrie durch Abschläge in Höhe von 0,4 Mrd. Euro insgesamt bei einem Gesamtvolumen ihrer Forschungsausgaben von 4,1 Mrd. Euro (Pharma-Daten 2002 Kompakt des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie eV) gefährdet wäre. Denn die Abschläge verteilen sich auf alle Pharmaunternehmen ohne Rücksicht darauf, ob sie selbst Forschung betreiben. Die Unternehmen haben außerdem unterschiedliche Möglichkeiten, auf die Preisabschläge zu reagieren. | ||
Unter diesen Umständen überwiegt das Anliegen des Gesetzgebers, bis zu einer größeren Reform die gesetzliche Krankenversicherung unter Einbeziehung zahlreicher Gruppen sofort finanziell zu entlasten. Denn die negativen Folgen für die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung treten bei einer vorläufigen Aussetzung des Gesetzes sofort ein, können später kaum oder nur unzureichend ausgeglichen werden und beeinflussen die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Dem Gemeinwohlbelang der finanziellen Sicherung der gesetzlichen Krankenversicherung kann nicht entgegengehalten werden, dass die von den pharmazeutischen Unternehmen zu gewährenden Abschläge nur einen geringen Anteil an den Gesamtausgaben darstellen. Bei einem Spargesetz, das viele Gruppen in Anspruch nimmt, ist jeder Teilbeitrag von Bedeutung. Das gesetzgeberische Konzept würde zu Lasten anderer unterlaufen, wenn einzelne Gruppen sich darauf berufen dürften, dass ihr Anteil am Gesamtvolumen eines Spargesetzes für das gesamtwirtschaftliche Interesse minder bedeutsam sei." | ||
Auszug aus BVerfG B, 26.03.03, - 1_BvR_112/03 -, www.BVerfG.de, Abs.21 ff | ||
§§§ |
03.020 | Schießordnungen | |
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LB 1) Das Grundrecht gewährt nicht nur Einzelpersonen, sondern auch den Vereinigungen selbst Schutz (vgl BVerfGE_30,227 <241>; BVerfGE_84,372 <378>). Geschützt sind neben dem Recht auf Entstehen und Bestehen die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren der Willensbildung und die Führung der Geschäfte (vgl BVerfGE_50,290 <354>; BVerfGE_80,244 <253>). Auch die spezifisch vereinsmäßige Tätigkeit ist geschützt (vgl BVerfGE_30,227 <241>; BVerfGE_80,244 <253>). | ||
LB 2) Allerdings sind der Vereinigungsfreiheit in dem nicht durch Art.9 Abs.2 GG erfassten Bereich Grenzen gesetzt. Dem Gesetzgeber darf es nicht verwehrt sein, der Betätigung des Vereins Schranken zu ziehen, die zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sind (vgl BVerfGE_30,227 <243> ). Auch die Vereinigungsfreiheit lediglich ausgestaltende Regelungen müssen sich jedoch am Schutzgut des Art.9 Abs.1 GG orientieren und einen Ausgleich zwischen diesem Gut und schutzbedürftigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit finden, der die zwingenden Voraussetzungen und Bedürfnisse freier Assoziation grundsätzlich wahrt (vgl BVerfGE_50,290 <355>; BVerfGE_84,372 <378 f>). | ||
LB 3) Das gilt zunächst für § 15 Abs.1 bis 4 WaffG. Erklärtes Ziel des Gesetzgebers ist es, einer festgestellten missbräuchlichen Ausnutzung des bisher Mitgliedern beliebiger Schießsportvereine gewährten Bedürfnisnachweisprivilegs und damit einhergehenden erheblichen Defiziten für die öffentliche Sicherheit zu begegnen. Dazu soll das Privileg auf Mitglieder solcher Verbände beschränkt werden, die nach Größe und Organisation Gewähr für eine ordnungsgemäße Ausübung des Schießsports in ihren Mitgliedsvereinen bieten. Der Schusswaffenumgang soll auf ernsthafte und verantwortungsvolle Sportschützen beschränkt werden. Gruppierungen, die den Schießsport als Vorwand für Waffenbeschaffung missbrauchen, sollen zurückgedrängt werden (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung, BRDrucks 596/01, S.90, 107, 120 f). Diese Zielsetzung des Gesetzgebers ist legitim und wird in § 15 Abs.1 bis 4 WaffG im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz umgesetzt. | ||
LB 4) Die Anerkennungsregelung ist zur Verfolgung dieses Zwecks geeignet und erforderlich. Eine bloße Meldepflicht mit Verbotstatbeständen wäre ein Kontrollinstrument, das für Vollzugsdefizite wesentlich anfälliger und insofern nicht gleich geeignet wäre. Wenn der Gesetzgeber hier eine Regelungstechnik für erforderlich gehalten hat, welche die Verbände angesichts sonst drohender faktischer Nachteile veranlasst, sich von sich aus um eine Anerkennung und um die Erfüllung der Anerkennungsvoraussetzungen zu bemühen, so hat er damit seinen Gestaltungsspielraum (vgl BVerfGE_30,250 <262 f>; BVerfGE_39,1 <44>; BVerfGE_88,203 <262>) nicht überschritten. | ||
LB 5) Der Umstand, dass es sich im Fall des § 15 Abs.2 WaffG nicht um eine gebundene, sondern um eine Ermessensentscheidung handelt, macht die Regelung nicht verfassungswidrig. Im Rahmen der Ermessensausübung kann und muss die Vereinigungsfreiheit der Beschwerdeführerin hinreichend berücksichtigt werden. | ||
LB 6) Mit der Regelung über die Genehmigung von Sportordnungen und deren Verknüpfung mit der Anerkennungsfähigkeit eines Verbandes verschafft sich der Staat eine Kontrolle darüber, ob die Verbände in ihren Sportordnungen die vom Waffengesetz und dessen Verordnungen gesetzten Grenzen einhalten. Auch hier gilt, dass der Gesetzgeber angesichts der erheblichen, von Schusswaffen ausgehenden Missbrauchsgefahren und der unter dem bisherigen Waffenrecht festgestellten Missbrauchstendenzen eine für Vollzugsdefizite unanfällige Regelungstechnik für erforderlich halten durfte. Es ist ferner nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit dem Kontrollinstrument des § 15 Abs.7 Satz 1 WaffG die Grenzen eines verhältnismäßigen Ausgleichs zwischen dem durch Art.9 Abs.1 GG geschützten Interesse der Beschwerdeführerin an einer autonomen Willensbildung über die Ausgestaltung der Ausübung des Vereinszwecks einerseits und dem Anspruch der Allgemeinheit auf Schutz vor den von Schusswaffen ausgehenden Gefahren andererseits überschritten hätte. Die Regelung respektiert die Verbandsautonomie, indem sie die Genehmigung auf die waffenrechtsrelevanten Teile der Sportordnungen beschränkt. Hinsichtlich dieser Teile können die Verbände einer behördlichen Präventivkontrolle unterworfen werden, ohne dass damit unangemessen in den Gewährleistungsbereich ihrer Vereinigungsfreiheit eingegriffen würde. | ||
§§§ |
03.021 | Kindergeldanrechnung | |
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1) § 1612b Abs.5 BGB verstößt nicht gegen Art.3 Abs.1 GG, soweit er zur Sicherung des Existenzminimums des unterhaltsberechtigten Kindes die Anrechnung des Kindergeldes auf den Kindesunterhalt von der Leistungsfähigkeit des barunterhaltspflichtigen Elternteils abhängig macht und diesen vor dem betreuenden Elternteil verpflichtet, seinen Kindergeldanteil zur Deckung eines Defizits beim Kindesunterhalt einzusetzen. | ||
2) Das Rechtsstaatsprinzip des Art.20 Abs.3 GG gebietet dem Gesetzgeber, bei der von ihm gewählten Ausgestaltung eines Familienleistungsausgleichs Normen zu schaffen, die auch in ihrem Zusammenwirken dem Grundsatz der Normenklarheit entsprechen. Dem genügen die das Kindergeld betreffenden Regelungen in ihrer sozial-, steuer- und familienrechtlichen Verflechtung immer weniger. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ |
03.022 | Biologischer Vater | |
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1) Art.6 Abs.2 Satz 1 GG schützt den leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater (so genannter biologischer Vater) in seinem Interesse, die rechtliche Stellung als Vater einzunehmen. Ihm ist verfahrensrechtlich die Möglichkeit zu eröffnen, die rechtliche Vaterposition zu erlangen, wenn dem der Schutz einer familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinen rechtlichen Eltern nicht entgegensteht. | ||
2) Auch der biologische Vater bildet mit seinem Kind eine von Art.6 Abs.1 GG geschützte Familie, wenn zwischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Der Grundrechtsschutz umfasst auch das Interesse am Erhalt dieser Beziehung. Es verstößt gegen Art.6 Abs.1 GG, den so mit seinem Kind verbundenen biologischen Vater auch dann vom Umgang mit dem Kind auszuschließen, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient. | ||
3) Zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 1600, 1685 BGB, § 1711 Abs.2 BGB | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ |
03.023 | Rechtliches Gehör | |
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Zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung fachgerichtlichen Rechtsschutzes bei Verstößen gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.103 Abs.1 GG). | ||
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Plenumsbeschluss | Entscheidungsformel:
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T-03-09 | Rechtswegegarantie + Justizgewährungsanspruch | |
Der Rechtsweg steht im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs auch zur Überprüfung einer behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch ein Gericht offen. Dies folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art.103 Abs.1 GG. Das Plenum gibt die vom Bundesverfassungsgericht bisher vertretene gegenteilige Auffassung auf. I. | ||
Die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes ist nicht auf Rechtsschutz gegen Akte der vollziehenden Gewalt im Sinne von Art.19 Abs.4 GG beschränkt, sondern umfassend angelegt. Sie sichert allerdings keinen Rechtsmittelzug. | ||
1. Die Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaates (vgl BVerfGE_88,118 <123>; BVerfGE_96,27 <39 f.>). Das Grundgesetz garantiert Rechtsschutz vor den Gerichten nicht nur gemäß Art.19 Abs.4 GG, sondern darüber hinaus im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs. Dieser ist Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips in Verbindung mit den Grundrechten, insbesondere Art.2 Abs.1 GG (vgl BVerfGE_93,99 <107> ). Die grundgesetzliche Garantie des Rechtsschutzes umfasst den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung. | ||
2. Das Grundgesetz sichert im Bereich des Art.19 Abs.4 GG wie auch in dem des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs das Offenstehen des Rechtswegs. Die Garantie einer gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeit gegen behauptete Rechtsverletzungen eröffnet jedoch keinen unbegrenzten Rechtsweg. | ||
a) Das Rechtsstaatsprinzip fordert, dass jeder Rechtsstreit um der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens willen irgendwann ein Ende findet (vgl bereits BVerfGE_1,433 <437> ). Wann dies der Fall ist, entscheidet das Gesetz. Das Risiko eines immerwährenden Rechtswegs besteht nach dem Grundgesetz nicht, weil es sowohl in Art.19 Abs.4 GG als auch im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs nur das Offenstehen des Rechtswegs garantiert, also die Öffnung des Zugangs zum Gericht. Der Rechtsweg steht für Streitigkeiten zwischen Trägern öffentlicher Gewalt und Privatpersonen oder zwischen Privatpersonen offen. Dies ermöglicht die Entscheidung eines unabhängigen Gerichts über Rechte und Pflichten. Insofern reicht es grundsätzlich aus, ist in einem Rechtsstaat aber auch als Minimum zu sichern, dass die Rechtsordnung eine einmalige Möglichkeit zur Einholung einer gerichtlichen Entscheidung eröffnet. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung und Ausgleich der verschiedenen betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können (vgl BVerfGE_54,277 <291> ). Ein Instanzenzug ist von Verfassungs wegen nicht garantiert. Ob es Streitigkeiten gibt, für die aus rechtsstaatlichen Gründen die Überprüfung durch eine weitere gerichtliche Instanz vorzusehen ist, bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung. Das Risiko eines Rechtswegs ohne Ende besteht auch in einem solchen Fall nicht. | ||
b) Die Garantie einer einmaligen gerichtlichen Entscheidung über ein behauptetes Recht zielt darauf ab, Konflikte um eine mögliche Rechtsverletzung einer Prüfung und einer bestandskräftigen Entscheidung zuzuführen. Weiter reicht diese Garantie nicht. Verfassungsrechtlich ist es nicht geboten, auch den Akt der gerichtlichen Überprüfung selbst daraufhin kontrollieren zu können, ob in ihm die für den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Rechtsnormen nunmehr vom Gericht verletzt wurden. Im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens nimmt das verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtsschutzsystem bei der Überprüfung eines Verhaltens ein verbleibendes Risiko falscher Rechtsanwendung durch das Gericht in Kauf. | ||
c) Dies ist im Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht zuletzt deshalb hinnehmbar, weil durch institutionelle Vorkehrungen und entsprechende Verfahrensvorgaben Sorge dafür getragen worden ist, dass Rechtsanwendungsfehler möglichst unterbleiben. Die Unabhängigkeit der Richter (Art.97 Abs.1 GG) soll sichern, dass die Gerichte ihre Entscheidung allein an Gesetz und Recht ausrichten. Die Verfahrensgrundrechte, insbesondere Art.101 Abs.1 Satz 2 und Art.103 Abs.1 GG, sollen gewährleisten, dass die richterliche Entscheidung willkürfrei durch eine nach objektiven Kriterien bestimmte Instanz auf einer hinreichend gesicherten Tatsachengrundlage und auf Grund einer unvoreingenommenen rechtlichen Würdigung unter Einbeziehung des Vortrags der Parteien ergeht. Überprüfen die unabhängigen Gerichte in diesem Rahmen einen Vorgang auf rechtliche Fehler und begehen sie dabei keinen neuen eigenständigen Verstoß gegen die grundgesetzlichen Verfahrensgarantien, ist es verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, wenn die gerichtliche Entscheidung nicht mehr durch eine weitere Instanz auf Fehler hin überprüft werden kann. | ||
3. Im rechtsstaatlichen Kerngehalt unterscheiden sich der allgemeine Justizgewährungsanspruch und als dessen Spezialregelung die Rechtsweggarantie des Art.19 Abs.4 GG nicht. Unterschiede bestehen hinsichtlich der Anwendungsbereiche. | ||
a) Art.19 Abs.4 GG wird in der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur dahingehend verstanden, dass der dort benutzte Begriff der öffentlichen Gewalt einengend auszulegen und nur auf die vollziehende Gewalt anzuwenden sei. Dies wird regelmäßig in die Formel gefasst, das Grundgesetz gewährleiste Rechtsschutz durch den Richter, nicht aber gegen den Richter (vgl BVerfGE_15,275 <280>; BVerfGE_49,329 <340>; BVerfGE_65,76 <90> sowie aus der Literatur Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art.19 IV Rn.96 | ||
Die Anrufung des Plenums durch den Ersten Senat gibt keinen Anlass zur Abweichung von der bisherigen Auslegung des Art.19 Abs.4 GG. Die vom Ersten Senat angestrebte Aufgabe der bisherigen Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts zum Rechtsschutz bei entscheidungserheblichen Verletzungen des Verfahrensgrundrechts aus Art.103 Abs.1 GG setzt nicht voraus, dass der Anwendungsbereich des Art.19 Abs.4 GG neub estimmt wird. Denn diese Norm steht der Annahme nicht entgegen, dass der allgemeine Justizgewährungsanspruch Rechtsschutz unter zum Teil anderen tatbestandlichen Voraussetzungen garantiert (cc). Die einengende Auslegung des Begriffs der öffentlichen Gewalt in Art.19 Abs.4 GG (aa) unterliegt unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit jedenfalls dann keinen Bedenken, wenn der allgemeine Justizgewährungsanspruch Rechtsschutz auch ind en von Art.19 Abs.4 GG nicht erfassten Fällen ermöglicht, soweit dies rechtsstaatlich geboten ist (bb). | ||
Ziel der Normierung der Rechtsschutzgarantie in Art.19 Abs.4 GG war auf Grund historischer Erfahrungen der Schutz vor dem Risiko der Missachtung des Rechts durch ein Handeln der Exekutive. Daran knüpft die Auslegung des hier verwendeten Begriffs der öffentlichen Gewalt im überwiegenden Teil der Lehre und in der Rechtsprechung an. | ||
Im Anschluss an die Vorgängervorschriften des § 182 der Paulskirchen-Verfassung und des Art.107 der Weimarer Reichsverfassung sah der Herrenchiemseer Entwurf zum Grundgesetz in Art.138 zunächst vor, dass gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen könne, "wer sich durch eine Anordnung oder durch die Untätigkeit einer Verwaltungsbehörde in seinen Rechten verletzt oder mit einer ihm nicht obliegenden Pflicht beschwert glaubt". Dieser Entwurf verfolgte das Ziel, nicht der Exekutive allein die Kontrolle der Verwaltung zu überlassen. Vielmehr sollte gesichert werden, dass es gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Verwaltung gibt. In den Beratungen z um Grundgesetz wurde diese Einengung allerdings kritisiert. So wurde die Forderung formuliert, wirklich oder vermeintlich rechtswidrige Eingriffe des Staates in die Rechts- und Freiheitssphäre müssten umfassend einer gerichtlichen Prüfung zugeführt werden (vgl die Nachweise bei Voßkuhle, aaO, S.151 ff; siehe ferner JöR NF, Bd.1, 1951, S.183 ff). | ||
Art.19 Abs.4 GG hat dies so nicht aufgenommen, ist aber doch weiter formuliert als der Herrenchiemseer Entwurf. Die ausdrückliche Bezugnahme auf die Verwaltung ist entfallen. Ob die offenere Formulierung dahingehend zu verstehen ist, dass in Art.19 Abs.4 GG keine Einschränkung auf die vollziehende Gewalt erfolgen sollte, ist den Materialien zum Grundgesetz allerdings nicht zweifelsfrei zu entnehmen. Insofern lässt die Entstehungsgeschichte Raum für unterschiedliche Auslegungen. Die Rechtsprechung und die herrschende Meinung im Schrifttum haben die Norm im Anschluss an die historische Stoßrichtung der Rechtsschutzgewährung stets in der einengenden Weise der Beschränkung auf die vollziehende Gewalt ausgelegt. Dem ist das Bundesverfassungsgericht gefolgt und hat betont, die Bedeutung der Gewährleistung bestehe vornehmlich darin, die "Selbstherrlichkeit" der vollziehenden Gewalt im Verhältnis z um Bürger zu beseitigen (vgl BVerfGE_10,264 <267>; 35,263 <274> ). Durch Art.19 Abs.4 GG in dieser Auslegung wird gesichert, dass gegenüber Akten der Exekutive stets ein unabhängiges Gericht zur Prüfung einer geltend gemachten Rechtsverletzung einzuschalten ist. Sehen die Prozessordnungen allerdings eine weitere gerichtliche Instanz vor, so sichert Art.19 Abs.4 GG die Effektivität des Rechtsschutzes auch insoweit (vgl BVerfGE_96,27 <39>; stRspr). | ||
Das Bundesverfassungsgericht hat den Begriff der öffentlichen Gewalt allerdings nicht auf die Exekutive im organisatorischen Sinne begrenzt. Es hat den Rechtsschutz auch für den Fall eröffnet, dass das Handeln einer nicht zurE xekutive gehörenden, aber auch nicht in richterlicher Unabhängigkeit handelndenI nstanz als rechtswidrig angegriffen wird. So zählt das BundesverfassungsgerichtA kte des Rechtspflegers ebenso zur öffentlichen Gewalt gemäß Art.19 Abs.4 GG (vgl.BVerfGE 101, 397 <407>) wie die Justizverwaltungsakte der Kostenbeamten in den Geschäftsstellen der Gerichte (vgl BVerfGE_28,10 <14 f>). Zur Ausübung öffentlicher Gewalt gehören ebenfalls Anordnungen der Staatsanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde (vgl BVerfGE_103,142 <156>). | ||
Als öffentliche Gewalt im Verständnis des Art.19 Abs.4 GG werden auch die Gerichte eingeordnet, wenn sie außerhalb ihrer spruchrichterlichen Tätigkeit auf Grund eines ausdrücklich normierten Richtervorbehalts tätig werden (vgl BVerfGE_96,27 <39 ff>; 104,220 <231 ff>). In diesen Fällen handeln die Gerichte zwar in voller richterlicher Unabhängigkeit, aber nicht in ihrer typischen Funktion als Instanzen der unbeteiligten Streitentscheidung. Vielmehr nehmen sie auf Antrag eigenständig einen Eingriff vor, der aber, auch soweit er funktional Ausübung vollziehender Gewalt ist, im Interesse eines besonderen rechtsstaatlichen Schutzes nicht der Exekutive oder jedenfalls nicht ihr allein überlassen wird (vgl BVerfGE_103,142 <151> ). Die Besonderheit gegenüber der spruchrichterlichen Tätigkeit wirkt sich in der Möglichkeit spezifischer verfahrensrechtlicher Regeln für solche Entscheidungen aus, so häufig im Ausschluss rechtlichen Gehörs. Umso wichtiger ist die Garantie einer anschließenden gerichtlichen Kontrolle der Maßnahme unter Gewährung rechtlichen Gehörs. Dies garantiert Art.19 Abs.4 GG. | ||
Die Ausweitung der Anwendung des Art.19 Abs.4 GG sichert aber nicht auch Rechtsschutz gegenüber behaupteten Verletzungen der Verfahrensgrundrechte des Grundgesetzes durch ein Gericht. Kann dieser über den allgemeinen Justizgewährungsanspruch in Fällen verwirklicht werden, in denen Rechtsschutz rechtsstaatlich geboten ist, besteht insoweit von Verfassungs wegen keine Notwendigkeit, die engeA uslegung des Art.19 Abs.4 GG aufzugeben. | ||
Das Bundesverfassungsgericht hat den aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechten folgenden allgemeinen Justizgewährungsanspruch zunächst als Grundlage des Rechtsschutzes in zivilrechtlichen Streitigkeiten anerkannt, für die Art.19 Abs.4 GG nicht anwendbar ist (vgl BVerfGE_88,118 <123>; 93,99 <107>; 97,169 <185> ). Auf diesem Wege wird gesichert, dass ein Gericht verbindlich über das Bestehen von Rechten und Pflichten in einer zivilrechtlichenA ngelegenheit entscheidet. | ||
Der Justizgewährungsanspruch ermöglicht Rechtsschutz aber auch in weiteren Fällen, in denen dies rechtsstaatlich geboten ist. So liegt es bei der erstmaligen Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch ein Gericht. | ||
Die Verfahrensgrundrechte, insbesondere die des Art.101 Abs.1 und des Art.103 Abs.1 GG, sichern in Form eines grundrechtsgleichen Rechts die Einhaltung rechtsstaatlicher M indeststandards. In einem Rechtsstaat gehört zu einer grundrechtlichen Garantied ie Möglichkeit einer zumindest einmaligen gerichtlichen Kontrolle ihrer Einhaltung. Allenfalls im Interesse des Schutzes besonders hochrangiger Rechtsgüter kann die Verfassung Ausnahmen vorsehen, wie es in Art.10 Abs.2 Satz 2 GG geschehen ist (vgl BVerfGE_30,1). | ||
Die das gerichtliche Verfahren betreffenden Verfahrensgrundrechte können nicht durch einen Träger der vollziehenden Gewalt verletzt werden, denn sie sind ausschließlich an die Gerichte adressiert (vgl BVerfGE_101,3 97 <404 f>). Wird Art.19 Abs.4 GG einengend dahin ausgelegt, dass er den Rechtsschutz gegen richterliche Akte nicht umfasst, verbleibt dort ein Rechtsschutzdefizit, das aber durch den allgemeinen Justizgewährungsanspruch behoben wird. Er ermöglicht Rechtsschutz hinsichtlich der gerichtlichen Verfahrensdurchführung, soweit durch sie die Verfahrensgrundrechte verletzt sein können. Andernfalls bliebe eine Verletzung dieser Grundrechte ohne verfassungsrechtlich gesicherte Möglichkeit fachgerichtlicher Abhilfe. | ||
Art.19 Abs.4 GG steht nicht entgegen, denn es heißt dort nicht, dass Rechtsschutz "nur" in seinem Rahmen garantiert sei. Auch die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes ergibt nichts für einen Ausschluss weiter gehenden Rechtsschutzes (siehe oben aa). Die Verfolgung des mit der einengenden Auslegung des Art.19 Abs.4 GG von der Rechtsprechung und herrschenden Meinung im Schrifttum verbundenen rechtsstaatlichen Ziels, den endlosen Rechtsweg auszuschließen, darf nicht dazu führen, dass rechtlicher Schutz auch insoweit verweigert wird, als gar kein unendlicher Rechtsweg droht. Dieses Risiko besteht bei der Anwendung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs nicht, weil er - ebenso wie Art.19 Abs.4 GG - nur das Offenstehen des Rechtswegs garantiert, also die Öffnung des Zugangs zum Gericht (siehe oben 2a). | ||
4. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, das Rechtsschutzsystem näher auszuformen und insbesondere die prozessualen Voraussetzungen für Rechtsmittel und Rechtsbehelfe festzulegen. Die Verfahrensordnung ist so auszugestalten, dass effektiver Rechtsschutz für den einzelnen Rechtsuchenden besteht, aber auch Rechtssicherheit hergestellt wird (vgl BVerfGE_88,118 <123 f>; BVerfGE_93,99 <107 f>). | ||
Abwägung und Ausgleich der einander widerstreitenden Interessen können bei der vorläufigen Rechtsschutzgewährung anders erfolgen als bei der endgültigen. Auch darf der Gesetzgeber differenzierend berücksichtigen, ob die angegriffene Maßnahme von der Exekutive oder der Judikative ausgeht. So muss Rechtsschutz gegen Akte eines Richters nicht zwingend zur Befassung einer höheren Instanz führen, sofern die rechtsstaatlich notwendige Kontrolle des behaupteten Verfahrensfehlers anderweitig in hinreichender Weise gesichert werden kann. II. | ||
Der Vorlagebeschluss des Ersten Senats ist auf Rechtsschutz gegen die behauptete Verletzung des Art.103 Abs.1 GG beschränkt. Die Besonderheiten dieses Verfahrensgrundrechts wirken sich auf die Rechtsschutzgarantie aus. | ||
1. Das Grundgesetz sichert rechtliches Gehör im gerichtlichen Verfahren durch das Verfahrensgrundrecht des Art.103 Abs.1 GG. Rechtliches Gehör ist nicht nur ein "prozessuales Urrecht" des Menschen, sondern auch ein objektivrechtliches Verfahrensprinzip, das für ein rechtsstaatliches Verfahren im Sinne des Grundgesetzes schlechthin konstitutiv ist (vgl BVerfGE_55,1 <6> ). Seine rechtsstaatliche Bedeutung ist auch in dem Anspruch auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs.1 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie in Art.47 Abs.2 der Europäischen Grundrechte-Charta anerkannt. Der Einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl BVerfGE_9,89 <95> ). Rechtliches Gehör sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im Prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Insbesondere sichert es, dass sie mit Ausführungen und Anträgen gehört werden. | ||
Dementsprechend bedeutsam für den Rechtsschutz ist die Möglichkeit der Korrektur einer fehlerhaften Verweigerung rechtlichen Gehörs. Erst die Beseitigung eines solchen Fehlers eröffnet das Gehörtwerden im Verfahren. Dann steht der Weg zum Gericht nicht nur formal offen. Dies schafft einen wesentlichen Teil der Rechtfertigung dafür, dass der Gesetzgeber es den Beteiligten zumutet, die Entscheidung gegebenenfalls ohne weitere Korrekturmöglichkeit hinzunehmen (siehe oben I 2 b). Nicht nur die individualrechtssichernde, sondern auch die über den Einzelfall hinausreichende objektivrechtliche Bedeutung der Gehörsgarantie ist eine wesentliche Grundlage der Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats und der Erwartung an die Bürger, sich zur Streitbeilegung auf das Gerichtsverfahren einzulassen. | ||
Art.103 Abs.1 GG steht daher in einem funktionalen Zusammenhang mit der Rechtsschutzgarantie (vgl BVerfGE_81,123 <129>). Diese sichert den Zugang zum Verfahren, während Art.103 Abs.1 GG auf einen angemessenen Ablauf des Verfahrens zielt: Wer bei Gericht formell ankommt, soll auch substantiell ankommen, also wirklich gehört werden. Wenn ein Gericht im Verfahren einen Gehörsverstoß begeht, vereitelt es die Möglichkeit, eine Rechtsverletzung vor Gericht effektiv geltend zu machen. | ||
2. Wird das Verfahrensgrundrecht aus Art.103 Abs.1 GG verletzt, so geschieht dieser Fehler unabhängig von dem Anlass, der zur Einleitung des Gerichtsverfahrens geführt hat, und damit von den für den Ausgangskonflikt maßgebenden Rechtsnormen. Die Anrufung des Gerichts zielt auf die Kontrolle der Beachtung dieser Normen. Das Verfahrensgrundrecht enthält nicht etwa dafür einen Maßstab, wohl aber für die Rechtmäßigkeit des richterlichen Verhaltens bei der Verfahrensdurchführung. | ||
3. Es entspricht dem Rechtsstaatsprinzip, wenn die Prüfung von gerichtlichen Gehörsverstößen und ihre Beseitigung in erster Linie durch die Fachgerichte erfolgen. Das Rechtsstaatsprinzip zielt auf die Effektivität des Rechtsschutzes. Dieses Ziel wird am wirkungsvollsten durch eine möglichst sach- und zeitnahe Behebung von Gehörsverstößen erreicht, die von den Fachgerichten ohne weitere Umwege geleistet werden kann. | ||
4. Der Justizgewährungsanspruch sichert Rechtsschutz gegen die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in jeder gerichtlichen Instanz, also auch dann, wenn das Verfahrensgrundrecht erstmalig in einem Rechtsmittelverfahren verletzt wird. | ||
Die Maßgeblichkeit der Rechtsschutzgarantie entfällt nicht allein deshalb, weil eine Partei schon in der vorangegangenen Instanz die Möglichkeit gehabt hat, sich zur Sache zu äußern. Art.103 Abs.1 GG enthält weiter gehende Garantien als die, sich irgendwie zur Sache einlassen zu können, so beispielsweise den Schutz vor einer Überraschungsentscheidung (vgl BVerfGE_84,188 <190>; BVerfGE_86,133 <144 f> ). Hat die Partei sich in einer Instanz zur Sache geäußert und dabei alles vortragen können, was mit Blick auf diese Instanz erheblich schien, können sich in einer weiteren Instanz auf Grund neuer tatsächlicher Gegebenheiten oder anderer rechtlicher Auffassungen der nun entscheidenden Richter neue oder veränderte relevante Gesichtspunkte ergeben; deshalb muss die Partei in der Lage sein, ihren Sachvortrag auch darauf auszurichten. Wird ihr dies verwehrt, wird die Garantie rechtlichen Gehörs verletzt. Gäbe es gegen diese neue und eigenständige Verletzung keinen Rechtsschutz, bliebe die Beachtung des Grundrechts aus Art.103 Abs.1 GG kontrollfrei. | ||
Ist noch ein Rechtsmittel gegen die gerichtliche Entscheidung gegeben, das auch zur Überprüfung der behaupteten Verletzung des Verfahrensgrundrechts führen kann, ist dem Anliegen der Justizgewährung hinreichend Rechnung getragen. Erfolgt die behauptete Verletzung des Verfahrensgrundrechts in der letzten in der Prozessordnung vorgesehenen Instanz und ist der Fehler entscheidungserheblich, muss die Verfahrensordnung eine eigenständige gerichtliche Abhilfemöglichkeit vorsehen. | ||
5. Stets aber genügt die Möglichkeit, eine behauptete Rechtsverletzung bei einem gerichtlichen Verfahrenshandeln einer einmaligen gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Begeht das Rechtsbehelfsgericht einen Fehler im Zuge der Überprüfung, ob Art.103 Abs.1 GG bei der vorangegangenen gerichtlichen Verfahrensdurchführung beachtet worden ist, führt dies nicht zur erneuten Eröffnung des Rechtswegs. Auch hier gilt, dass ein Risiko fehlerhafter Überprüfung hinzunehmen ist. Das gebotene Mindestmaß an Rechtsschutz ist jedenfalls gewahrt. Nunmehr darf das Gebot der Rechtssicherheit Vorrang haben, das ebenso wie der Justizgewährungsanspruch seine Grundlage im Rechtsstaatsprinzip hat (vgl BVerfGE_60,253 <267> ). Daher ist ein endloser Rechtsweg auch dann nicht zu erwarten, wenn Rechtsschutz gegen die Verletzung des Verfahrensgrundrechts in einer Rechtsbehelfsinstanz eingeräumt wird." | ||
Auszug aus BVerfG B, 30.04.03, - 1_PBvU_1/02 -, www.BVerfG.de, Abs.14 ff | ||
§§§ |
03.024 | Versorgungausgleich | |
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LB 1) Der Versorgungsausgleich verwirklicht für den Fall der Scheidung die grundsätzlich gleiche Berechtigung der Eheleute am in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen. Er ist dabei grundsätzlich auch nicht dadurch bedingt, dass der ausgleichsberechtigte Ehegatte auf die Übertragung der Anwartschaften angewiesen ist (vgl BTDrucks 7/650, S.162). | ||
LB 2) Umgekehrt unterliegt die Durchführung des Versorgungsausgleichs auch dann keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn er dazu führt, dass der Verpflichtete aufgrund der Kürzung seiner Anwartschaften auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sein wird (vgl BVerfGE_53,257 <298 f> ). | ||
LB 3) Erst wenn die Durchführung des Versorgungsausgleichs unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände, wozu bei atypischen Vermögenslagen auch eine anderweitige Sicherung des Ausgleichberechtigten bei besonderer Bedürftigkeit des Verpflichteten gehören kann, zu einem insgesamt nicht mehr dem Grundsatz der hälftigen Berechtigung der Eheleute am gemeinsam in der Ehezeit erwirtschafteten Vermögen entsprechenden Ergebnis führt, kann die Härtefallklausel zur Vermeidung grundrechtswidriger Ergebnisse herangezogen werden. Dies setzt jedoch zwingend auch eine Prüfung der Situation des Ausgleichsverpflichteten unter Berücksichtigung der Folgen voraus, die die Durchführung des Versorgungsausgleichs für ihn hat. | ||
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T-03-11 | Schutz der Ehe als Lebensgemeinschaft | |
"Art.6 Abs.1 in Verbindung mit Art.3 Abs.2 GG schützt die Ehe als eine Lebensgemeinschaft gleichberechtigter Partner (vgl BVerfGE_10,59 <66 f>; BVerfGE_35,382 <408>). Die Ehegatten können ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung in gemeinsamer Verantwortung bestimmen und dabei insbesondere selbstverantwortlich darüber entscheiden, wie sie untereinander die Familien- und Erwerbsarbeit aufteilen wollen (vgl BVerfGE_57,361 <390>; BVerfGE_61,319 <347>; BVerfGE_66,84 <94>; BVerfGE_68,256 <268> ). Dabei sind die jeweiligen Leistungen, die die Ehegatten im Rahmen ihrer innerfamiliären Arbeitsteilung erbringen, als grundsätzlich gleichwertig anzusehen. Haushaltsführung und Kinderbetreuung haben für das gemeinsame Leben der Ehepartner keinen geringeren Wert als das Erwerbseinkommen des berufstätigen Ehegatten (vgl BVerfGE_66,324 <330>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 5.Februar 2002, 1 BvR 105/95 ua, amtlicher Umdruck, S.18). Aus Art. 6 Abs.1 in Verbindung mit Art.3 Abs.2 GG folgt in diesem Zusammenhang, dass beide Eheleute gleichermaßen an dem in der Ehe erworbenen Vermögen berechtigt sind (vgl BVerfGE_53,257 <296> ). Deshalb dürfen die während der Ehe nach Maßgabe der von den E hegatten vereinbarten Arbeitsteilung erwirtschafteten Versorgungsanrechte nach der Scheidung gleichmäßig auf beide Partner verteilt werden (vgl BVerfGE_53,257 <296>). Der Versorgungsausgleich dient ebenso wie der Zugewinnausgleich der Aufteilung von gemeinsam erwirtschafteten Vermögen der Eheleute, welches nur wegen der in der Ehe gewählten Aufgabenverteilung einem der Ehegatten rechtlich zugeordnet war (vgl BGH, NJW 1990, S.2746). Dabei korrespondiert mit der Rechtfertigung des Eingriffs in die durch Art.14 Abs.1 GG geschützten Rechtspositionen des ausgleichsverpflichteten Ehegatten durch Art.6 Abs.1 in Verbindung mit Art.3 Abs.2 GG ein verfassungsrechtlicher Anspruch aus eben diesen Grundrechten auf gleiche Teilhabe am in der Ehe erworbenen Vermögen (vgl BVerfG, Beschluss vom 5.Februar 2002, 1 BvR 105/95 ua, aaO, S.19). | ||
In diesem Zusammenhang hat die Härtefallklausel des § 1587c Nr.1 BGB die Funktion eines Gerechtigkeitskorrektivs. Sie soll als Ausnahmeregelung eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Entscheidung in solchen Fällen ermöglichen, in denen die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs zur "Prämierung" einer groben Verletzung der aus der ehelichen Gemeinschaft folgenden Pflichten führen (vgl BVerfGE_53,257 <298>) oder gegen die tragenden Prinzipien des Versorgungsausgleichs verstoßen würde (vgl BVerfGE_66,324 <331>). Bei der Auslegung des Merkmales der "groben Unbilligkeit" in § 1587c Nr.1 BGB ist daher zu beachten, dass es Zweck dieser Vorschrift ist, solche mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs verbundenen Eingriffe in die durch Art.14 Abs.1 GG bzw 33 Abs.5 GG geschützten Rechte des Ausgleichsverpflichteten zu vermeiden, die nicht mehr durch Art.6 Abs.1 in Verbindung mit Art.3 Abs.2 GG gerechtfertigt sind. Die Vorschrift kann daher nicht dazu herhalten, jegliches eheliches Fehlverhalten durch einen Ausschluss oder eine Beschränkung des Versorgungsausgleichs zu sanktionieren. Ihre Auslegung hat sich vielmehr an der gesetzgeberischen Zielsetzung des Versorgungsausgleichs insgesamt zu orientieren. Soll die Norm die gleichberechtigte Teilhabe der Eheleute an dem in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen verwirklichen und dem Ehegatten, der insbesondere wegen der Aufteilung der Erwerbs- und Familienarbeit in der Familie keine eigenen Versorgungsanwartschaften hat aufbauen können, eine eigene Versorgung verschaffen (vgl BTDrucks 7/4361, S.43), muss sich das Vorliegen einer groben Unbilligkeit, wie auch der Wortlaut von § 1587c Nr.1 BGB zeigt, aus den beiderseitigen Verhältnissen der Eheleute ergeben. Es bedarf daher einer Würdigung aller Umstände, die die Verhältnisse der Eheleute in Ansehung des Versorgungsausgleichs prägen. | ||
Auszug aus BVerfG B, 20.05.03, - 1_BvR_237/97 -, www.BVerfG.de, Abs.17 | ||
§§§ |
03.025 | Umgangskontakt | |
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LB 1) Art.2 Abs.1 GG gewährleistet in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dieses Recht schützt grundsätzlich vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter (vgl BVerfGE_32,373 <378 ff>; BVerfGE_44,353 <372 f>; BVerfGE_65,1 <41 f>; BVerfGE_78,77 <84>; BVerfGE_84,192 <194 f>; BVerfGE_89,69 <82>; vgl auch Fehnemann, FamRZ 1979, S.661, 662 f). | ||
LB 2) Der Schutz ist umso intensiver, je näher die Daten der Intimsphäre des Betroffenen stehen, die als unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beansprucht (vgl BVerfGE_32,373 <378 f>; BVerfGE_65,1 <45 f>; BVerfGE_89,69 <82>). | ||
LB 3) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht absolut geschützt. Vielmehr muss jeder Bürger staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit auf gesetzlicher Grundlage unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden, soweit sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen (vgl BVerfGE_32,373 <379>; BVerfGE_65,1 <44>; BVerfGE_89,69 <84>). Aus der gesetzlichen Grundlage müssen sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben (vgl BVerfGE_65,1 <44>). In grundlegenden normativen Bereichen hat der Gesetzgeber dabei alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen (vgl BVerfGE_61,260 <275>; BVerfGE_88,103 <116>). | ||
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T-03-10 | Eingriffsermächtigung | |
An einer solchen verfassungsrechtlich gebotenen klaren und unmissverständlichen gesetzlichen Grundlage fehlt es für den hier vorliegenden weitreichenden Eingriff. Die Anordnung, die den Betroffenen zwingt, sich im Rahmen eines sorge- bzw umgangsrechtlichen Verfahrens psychologisch untersuchen zu lassen und zu diesem Zweck bei einem Sachverständigen zu erscheinen, kann sich auf keine sie legitimierende Gesetzesnorm stützen (vgl hierzu auch OLG Koblenz, FamRZ 2000, S. 1233; OLG Karlsruhe, FamRZ 1993, S.1479 <1480>; OLG Hamm, 1.FamS, FamRZ 1982, S.94 <95>; 4.FamS, FamRZ 1981, S.706 <707>; BayObLG, FamRZ 1979, S.737 <739>; OLG Stuttgart, OLGZ 1975, 132 ff; Schmidt, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14.Aufl, § 15 Rz.49; Bassenge/Herbst, FGG/RPflG, 8.Aufl, § 15 Rz.31; Jansen, FGG I.Bd, 2.Aufl, § 12 Rz.68; Weychardt, ZfJ 1999, S.326 <332>; Säcker, FamRZ 1971, S.81 <83, 84>). Als Ermächtigungsgrundlagen können weder § 33 FGG noch § 1684 Abs.1 BGB bzw §§ 12, 15 Abs.1 FGG herangezogen werden. | ||
§ 33 FGG, der die Verhängung von Zwangsmitteln regelt, setzt voraus, dass die durch eine gerichtliche Verfügung einem Verfahrensbeteiligten aufgegebene Handlung, Unterlassung bzw Duldung ihrerseits eine gesetzliche Grundlage hat; aus § 33 FGG selbst kann diese nicht hergeleitet werden (vgl OLG Karlsruhe, FamRZ 1993, S.1479 <1480>; BayObLG, FamRZ 1979, S.737 <739>; OLG Stuttgart, OLGZ 1975,132 ff.; vgl auch OLG Koblenz, FamRZ 2000, S.1233; OLG Hamm, 1.FamS, FamRZ 1982, S.94; 4.FamS, FamRZ 1981, S.706; Zimmermann, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14.Aufl, § 33 Rz.1; Fehnemann, FamRZ 1979, S.661 <662 f>; Säcker, FamRZ 1971, S.81). | ||
Als gesetzliche Grundlage für die dem Beschwerdeführer mit der Anordnung auferlegte Handlung und Duldung scheidet § 1 684 Abs.1 BGB aus. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die in dieser Norm statuierte Umgangsverpflichtung die zwangsweise Durchführunge ines Umgangskontaktes gegen den Willen des betroffenen Elternteils legitimierenk ann. Denn der durch das Oberlandesgericht angeordnete "Umgang" in den Räumen des Sachverständigen sollte zugleich, wenn nicht sogar vorrangig der weiteren Sachverhaltsermittlung und -aufklärung als Grundlage einer Begutachtung auch des Beschwerdeführers und seines Verhaltens dienen. Die zwangsweise Beobachtung und Begutachtung des Umgangs durch einen Sachverständigen wird aber von § 1684 Abs.1 BGB nicht erfasst | ||
Auch § 12 und § 15 Abs.1 FGG können nicht als Rechtsgrundlage für die gerichtliche Anordnung herangezogen werden. | ||
Gemäß § 12 FGG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen anzustellen und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen. Im Gegensatz zu §§ 68b Abs.3, Abs.4, 70e Abs.2 FGG, die die Gutachtenerstellung im Betreuungs- bzw. Unterbringungsverfahren regeln, räumt § 12 FGG dem Gericht keine Befugnis ein, die Untersuchung des Betroffenen zur Vorbereitung eines Gutachtens zu erzwingen (vgl OLG Karlsruhe, FamRZ 1993, S.1 479 <1480>; OLG Hamm, 4.FamS, FamRZ 1981, S.706; BayObLG, FamRZ 1979, S.737 < 739>; OLG Stuttgart, OLGZ 1975,132 <133>; Fehnemann, FamRZ 1979, S.661 <662 f>; Säcker, FamRZ 1971, S.81; Jansen, FGG I.Bd, 2.Aufl, § 12 Rz.68). | ||
§ 15 FGG erklärt die Vorschriften der Zivilprozessordnung für die Beweisaufnahme im FGG-Verfahren im Wesentlichen für entsprechend anwendbar. Zwar enthält § 372a ZPO für Fälle, in denen die Abstammung einer Person gerichtlicher Klärung bedarf, die Verpflichtung der Beteiligten, Untersuchungen, insbesondere die Entnahme von Blut, zu dulden. Bei dieser Norm handelt es sich indes um eine spezielle Ausnahmevorschrift, der eine allgemeine Verpflichtung, gerichtliche Anordnungen vergleichbarer Art hinzunehmen und ihre Vollziehung bei Vermeidung von Zwangsmaßnahmen zu dulden, nicht entnommen werden kann (OLG Hamm, 4.FamS, FamRZ 1981, S.706 <707>; OLG Stuttgart, OLGZ 1975, 132 <133>; im Ergebnis ebenso: OLG Koblenz, FamRZ 2000, S.1233; OLG Karlsruhe, FamRZ 1993, S.1479 <1480>; OLG Hamm, 1.FamS, FamRZ 1982, S.94 <95>; BayObLG, FamRZ 1979, S.737 <739>; Schmidt, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14.Aufl, § 15 Rz.49; Bassenge/Herbst, FGG/RPflG, 8.Aufl, § 15 Rz.31; iE wohl auch Säcker, FamRZ 1971, S.81 <82 f>)." | ||
Auszug aus BVerfG B, 20.05.03, - 1_BvR_2222/01 -, www.BVerfG.de, Abs.12 ff | ||
§§§ |
03.026 | Kinderumgang | |
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LB 1) Das Umgangsrecht des nichtsorgeberechtigten Elternteils steht ebenso wie die elterliche Sorge des anderen Elternteils unter dem Schutz des Art.6 Abs.2 Satz 1 GG. Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts nicht einigen, haben die Gerichte eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt (vgl BVerfGE_31,194 <206 f>; 64,180 <187 f>). Ein Verstoß gegen das Kindeswohl begründet zudem zugleich einen Verstoß gegen das Elternrecht (vgl BVerfGE_99,145 <164>). | ||
LB 2) Zwar gilt für abgeschobene Ausländer - wie den Beschwerdeführer - ein generelles Verbot der Wiedereinreise nach Deutschland (§ 8 Abs.2 AuslG). Daran ändert auch die Elternschaft zu einem deutschen Kind nichts. Denn Art.6 Abs.2 Satz 1 GG vermittelt einem ausländischen Familienangehörigen keinen Anspruch auf Einreise nach Deutschland (vgl BVerfGE_76,1 <48>). | ||
LB 3) Ausnahmsweise kann aber auch einem abgeschobenen Ausländer das kurzfristige Betreten des Bundesgebiets erlaubt werden, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde (vgl § 9 Abs.3 AuslG). Dem Interesse eines Ausländers an der Ausübung eines ihm eingeräumten Umgangsrechts mit seinem hier lebenden deutschen Kind kommt als Aufenthaltszweck eine Bedeutung zu, die von der Ausländerbehörde im Rahmen der nach § 9 Abs.3 AuslG vorzunehmenden Abwägung mit den gegen eine Gestattung der Wiedereinreise des zuvor abgeschobenen Ausländers sprechenden Belangen zu beachten ist. Denn Art.6 Abs.1 in Verbindung mit Abs.2 GG als wertentscheidende Grundsatznorm verpflichtet die Ausländerbehörden, familiäre Bindungen eines Ausländers an Personen, die sich berechtigter Weise im Bundesgebiet aufhalten, bei der Entscheidung über ausländerrechtliche Maßnahmen im Einzelfall zu beachten (vgl BVerfGE_76,1 <49 f>; BVerfG, Beschluss der 2.Kammer des Zweiten Senats vom 30.Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, FamRZ 2002, S.601 <602>). | ||
§§§ |
03.027 | Selbstablehnung | |
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LB 1) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters des Bundesverfassungsgerichts nach § 19 BVerfGG setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. | ||
LB 2) Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl BVerfGE_88,17 <22 f>; BVerfGE_99,51 <56>; BVerfGE_101,46 <50 f>; BVerfGE_102,192 <195>). | ||
LB 3) Eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 19 BVerfGG kann nicht aus den allgemeinen Gründen hergeleitet werden, die nach der ausdrücklichen Regelung des § 18 Abs.2 und 3 BVerfGG nicht zum Ausschluss von der Ausübung des Richteramts führen. | ||
LB 4) Es wäre ein Wertungswiderspruch, könnte gerade auf diese Gründe dennoch ohne Weiteres eine Besorgnis der Befangenheit gestützt werden. Daher können erst Umstände, die über die in § 18 Abs.2 und 3 BVerfGG genannten hinausgehen, eine Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl BVerfGE_88,17 <23>; BVerfGE_102,192 <195>). | ||
LB 5) Die Tatsache, dass Herr Kanther in der von Richter Jentsch begründeten Rechtsanwaltskanzlei mit dessen Einverständnis unter den in der dienstlichen Äußerung mitgeteilten Bedingungen seinen Beruf als Rechtsanwalt ausübt, ist geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters Jentsch in dem zur Entscheidung anstehenden Verfahren zu begründen. | ||
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T-03-12 | Richter Jentsch | |
"1. Bei der dienstlichen Äußerung des Richters Jentsch handelt es sich um eine Erklärung im Sinne des § 19 Abs.3 BVerfGG. Diese Regelung setzt nicht voraus, dass der Richter sich selbst für befangen hält. Es genügt, dass er Umstände anzeigt, die Anlass geben, eine Entscheidung über die Besorgnis | ||
der Befangenheit zu treffen (vgl BVerfGE_88,1 <3>; BVerfGE_88,17 <22>; BVerfGE_98,134 <137>; BVerfGE_101,46 <50>; BVerfGE_102,192 <194>). Die mitgeteilten Umstände geben zu einer Senatsentscheidung gemäß § 19 Abs.3 in Verbindung mit § 19 Abs.1 BVerfGG über die Besorgnis der Befangenheit des Richters Jentsch Anlass. | ||
2. Der von dem Richter Jentsch mit dienstlicher Äußerung vom 19.März 2003 angezeigte Sachverhalt begründet die Besorgnis der Befangenheit. Er enthält hinreichende Gründe, die geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters Jentsch auszulösen. | ||
a) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters des Bundesverfassungsgerichts nach § 19 BVerfGG setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl BVerfGE_88,17 <22 f>; BVerfGE_99,51 <56>; BVerfGE_101,46 <50 f>; BVerfGE_102,192 <195>). | ||
Eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 19 BVerfGG kann nicht aus den allgemeinen Gründen hergeleitet werden, die nach der ausdrücklichen Regelung des § 18 Abs.2 und 3 BVerfGG nicht zum Ausschluss von der Ausübung des Richteramts führen. Es wäre ein Wertungswiderspruch, könnte gerade auf diese Gründe dennoch ohne Weiteres eine Besorgnis der Befangenheit gestützt werden. Daher können erst Umstände, die über die in § 18 Abs.2 und 3 BVerfGG genannten hinausgehen, eine Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl BVerfGE_88,17 <23>; BVerfGE_102,192 <195>). | ||
b) Die Tatsache, dass Herr Kanther in der von Richter Jentsch begründeten Rechtsanwaltskanzlei mit dessen Einverständnis unter den in der dienstlichen Äußerung mitgeteilten Bedingungen seinen Beruf als Rechtsanwalt ausübt, ist geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters Jentsch in dem zur Entscheidung anstehenden Verfahren zu begründen. | ||
Zwar ist nach § 18 Abs.2 BVerfGG ein Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht mit der Folge eines Ausschlusses von der Ausübung seines Richteramts am Verfahren im Sinne des § 18 Abs.1 Nr.1 BVerfGG "beteiligt", wenn er "aufgrund ... seines Berufs ... oder aus einem ähnlich allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist". Die Beziehung des Richters Jentsch zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde geht jedoch über eine solche allgemeine, in der Regel keine Besorgnis der Befangenheit auslösende "Beteiligung" hinaus. | ||
Die Verfassungsbeschwerde hat zwar nicht unmittelbar die Rechtmäßigkeit des Finanzgebarens der hessischen CDU zum Gegenstand; vielmehr geht es um die Anforderungen an einen Rechenschaftsbericht, der die Voraussetzungen für die Festsetzung der staatlichen Parteienfinanzierung erfüllt. Die dabei in Rede stehende Fehlerhaftigkeit des Rechenschaftsberichts der CDU für das Jahr 1998 beruht aber auf den umstrittenen finanziellen Transaktionen der CDU des Landes Hessen in einem Zeitraum, in dem Herr Kanther Generalsekretär und später Landesvorsitzender der hessischen CDU war; während seiner Amtszeit soll das nicht deklarierte Vermögen der CDU ins Ausland transferiert worden sein. Hinzu kommt, dass er selbst hieran sogar beteiligt gewesen sein soll. Die behauptete Verstrickung von Herrn Kanther in die Vorgänge um die "Schwarzen Kassen" der hessischen CDU steht deshalb in einem wesentlich engeren Zusammenhang zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens als seinerzeit zum abstrakten Normenkontrollverfahren betreffend die Wahlprüfung in Hessen (vgl BVerfGE_102,192 und BVerfGE_103,111): Dort ging es allein um die Verfassungsgemäßheit der personellen Zusammensetzung des hessischen Wahlprüfungsgerichts sowie um die Verfassungsmäßigkeit von Teilen des ihm vorgegebenen Prüfungsmaßstabs und der sofortigen Rechtskraft seiner Urteile (vgl BVerfGE_102,192 <196>); das Finanzgebaren der CDU Hessens war als Sachverhalt nicht einmal mittelbar Gegenstand des Verfahrens. Für die im vorliegenden Fall von der Beschwerdeführerin mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Rechte hat es hingegen maßgebliche Bedeutung, weil es den entscheidungserheblichen Rechenschaftsbericht für das Jahr 1998 unstreitig inhaltlich beeinflusst hat. | ||
Dieser Unterschied führt auch zu einem größeren Gewicht des möglichen Interesses von Richter Jentsch am Ausgang des vorliegenden Verfahrens aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten. Der Senat hat im Fall der Wahlprüfung in Hessen ausgeführt, dass Herr Kanther der Sache nach als rehabilitiert erscheinen könnte, wenn der zur Prüfung gestellte Grund für eine Ungültigkeit der Wahl und die Zusammensetzung des Wahlprüfungsgerichts für verfassungswidrig erklärt würden; ein derartiger Ausgang des Verfahrens wäre geeignet, das Ansehen sowie den wirtschaftlichen Wert der Rechtsanwaltskanzlei zu steigern und daher die ökonomischen Interessen des Richters Jentsch vornehmlich für die Zeit nach seinem Ausscheiden als Bundesverfassungsrichter zu berühren; solche möglichen mittelbaren Folgewirkungen einer anstehenden Entscheidung rechtfertigten aber - bei einer vernünftigen Würdigung aus dem maßgeblichen Blickwinkel der in einem abstrakten Normenkontrollverfahren beteiligten Staatsorgane - nicht die Besorgnis, der Richter Jentsch sei in Bezug auf den Gegenstand des Verfahrens befangen (vgl BVerfGE_102,192 <196>). | ||
Dies ist nunmehr im Hinblick auf die Nähe von Herrn Kanther zu den umstrittenen Finanzaktionen der hessischen CDU, dem hieraus resultierenden Fehler im Rechenschaftsbericht für das Jahr 1998 und der nachfolgenden, auf diesen Fehler gestützten und mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Versagung von staatlichen Geldern der Parteienfinanzierung anders zu bewerten. Der Ausgang des Verfahrens über die Gewährung dieser finanziellen Mittel könnte möglicherweise für Herrn Kanther weitere Verfahren nach sich ziehen, in denen es um die rechtliche Beurteilung seines Verhaltens beim Umgang mit dem Parteivermögen und eine mögliche Haftung hierfür geht. Dies könnte Auswirkungen auf die von Richter Jentsch begründete Anwaltskanzlei haben. | ||
Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Richter des Bundesverfassungsgerichts über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigen, in Unvoreingenommenheit und Objektivität zu entscheiden (vgl BVerfGE_35,171 <173 f> und abweichende Meinung S.175 ff; BVerfGE_73,330 <335 f>). Bei den Vorschriften über die Besorgnis der Befangenheit geht es aber auch darum, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu vermeiden. Bei vernünftiger Würdigung aller Umstände besteht hinreichender Anlass, wegen der Verbindung mit Herrn Kanther in einer gemeinsamen Anwaltskanzlei an der Unvoreingenommenheit des Richters Jentsch zu zweifeln." | ||
Auszug aus BVerfG B, 18.06.03, - 2_BvR_383/03 -, www.BVerfG.de, Abs.16 ff | ||
§§§ |
03.028 | Auslieferung | |
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LB 1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben deutsche Gerichte in Auslieferungsverfahren zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrunde liegenden Akte mit dem nach Art.25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind (vgl BVerfGE_63,332 <337 f>; BVerfGE_75,1 <19>). | ||
LB 2) Den zuständigen Organen der Bundesrepublik Deutschland ist es danach verwehrt, einen Verfolgten auszuliefern, wenn die Strafe, die ihm im ersuchenden Staat droht, unerträglich hart, mithin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erschiene. | ||
LB 3) Anderes gilt hingegen dann, wenn die zu vollstreckende Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. | ||
LB 4) Das Grundgesetz geht nämlich von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus (vgl Präambel, Art.1 Abs.2, Art.9 Abs.2, Art.23 bis 26 GG). Es gebietet damit zugleich, fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten (vgl BVerfGE_75,1 <16 f>), auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen. | ||
LB 5) Zur abweichenden Meinung des Richters Sommer und der Richterin Lübbe-Wolff siehe BVerfGE_108,145 = www.BverfG.de Abs.61 ff. | ||
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T-03-13 | nach Indien | |
"1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben deutsche Gerichte in Auslieferungsverfahren zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrunde liegenden Akte mit dem nach Art.25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind (vgl BVerfGE_63,332 <337 f>; BVerfGE_75,1 <19>). | ||
Die Grenzen, die einer Auslieferung hierdurch gezogen werden, hat das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Ausgestaltung des Straf- und Vollstreckungsverfahrens, das den Auszuliefernden in dem ersuchenden Staat erwartet, konkretisiert. Danach zählt zu den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Kernbereich des aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Gebots der Verhältnismäßigkeit. Den zuständigen Organen der Bundesrepublik Deutschland ist es danach verwehrt, einen Verfolgten auszuliefern, wenn die Strafe, die ihm im ersuchenden Staat droht, unerträglich hart, mithin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erschiene. Ebenso zählt es zu den unabdingbaren Grundsätzen der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung, dass eine angedrohte oder verhängte Strafe nicht grausam, unmenschlich oder erniedrigend sein darf. Die zuständigen Organe der Bundesrepublik Deutschland sind deshalb gehindert, an der Auslieferung eines Verfolgten mitzuwirken, wenn dieser eine solche Strafe zu gewärtigen oder zu verbüßen hat. | ||
Anderes gilt hingegen dann, wenn die zu vollstreckende Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. Das Grundgesetz geht nämlich von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus (vgl Präambel, Art.1 Abs.2, Art.9 Abs.2, Art.23 bis 26 GG). Es gebietet damit zugleich, fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten (vgl BVerfGE_75,1 <16 f>), auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen. Soll der in gegenseitigem Interesse bestehende zwischenstaatliche Auslieferungsverkehr erhalten und auch die außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung unangetastet bleiben, so dürfen die Gerichte als unüberwindbares Hindernis für eine Auslieferung nur die Verletzung der unabdingbaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung zu Grunde legen. | ||
2. Nach diesem verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab ist der Verfassungsbeschwerde ein Verfassungsverstoß durch die angefochtenen Entscheidungen nicht zu entnehmen. | ||
a) Soweit der Beschwerdeführer unter Hinweis auf Berichte von amnesty international und Auswärtigem Amt geltend macht, ihm drohten als strafverdächtiger Person in Indien Folter und Misshandlungen, so rügt er im Kern die aus seiner Sicht falsche Einschätzung der tatsächlichen Verhältnisse seitens des Gerichts. | ||
Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür zuständigen Fachgerichte (vgl BVerfGE_18,85 <93>; BVerfGE_30,173 <196 f>; BVerfGE_57,250 <272>; BVerfGE_74,102 <127> stRspr). Auch in Auslieferungsverfahren prüft das Bundesverfassungsgericht insoweit nur, ob die Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl Beschluss der 1.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11.Dezember 2000 - 2 BvR 2184/00 -; vgl auch BVerfGE_80,48 <51>). Diese Grenzen sind in dem hier zu entscheidenden Fall nicht überschritten. | ||
aa) (1) Das Oberlandesgericht München stellt in seinem Beschluss vom 30.April 2003 bezüglich der behaupteten Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bei einer Auslieferung ausdrücklich darauf ab, dass begründete Anhaltspunkte für die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung vorliegen müssen. Dieser Prüfungsmaßstab entspricht sowohl der vom Oberlandesgericht zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl Beschluss der 3.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 31.Mai 1994 - 2 BvR 1193/93 -, NJW 1994, S.2883 = NStZ 1994, S.492) als auch der des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl EGMR, Urteil vom 7.Juli 1989, Series A No.161, S.35 Ziff.91 = NJW 1990, S.2183, 2185 - Soering; Reports of Judgments and Decisions 1996-V, 1853, Ziff.73 f - Chahal), der inhaltlich gleichbedeutend von "begründeten Tatsachen" (substantial grounds) für ein "tatsächliches Risiko" (real risk) von Folter spricht. Daher hat das Oberlandesgericht entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers keinen überzogenen Maßstab angewendet. Insbesondere kann allein aus der Formulierung des Beschlusses vom 30.April 2003, wonach für eine "konkrete Gefahr <...> als unmittelbar bevorstehend" keine Erkenntnisse vorlägen, nicht geschlossen werden, dass das Oberlandesgericht nunmehr einen anderen Maßstab anlegen wollte. | ||
(2) Eine Gefahr in dem beschriebenen Sinne kann angenommen werden, wenn stichhaltige Gründe vorgetragen sind, nach denen gerade in dem konkreten Fall eine "beachtliche Wahrscheinlichkeit" (vgl Beschluss der 3.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22.Juni 1992 - 2 BvR 1901/91 -, abgedruckt in: Eser/Lagodny/Willkitzki, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtsprechungssammlung, 2.Aufl 1993, Nr.U 202) besteht, in dem ersuchenden Staat das Opfer von Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung zu werden. | ||
Auf konkrete Anhaltspunkte gerade im Fall des Auszuliefernden kommt es in der Regel nur dann nicht an, wenn in dem ersuchenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht (vgl dazu den Wortlaut von Art.3 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.Dezember 1984 - UN-Antifolterkonvention,BGBl 1990 II S.246 <248>). Die Auslieferung in Staaten, die eine ständige Praxis umfassender und systematischer Menschrechtsrechtsverletzungen aufweisen, wird regelmäßig die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der elementaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung begründen. | ||
b) Es ist nicht ersichtlich, dass die Feststellungen in den angegriffenen Entscheidungen, mit denen eine entsprechende Gefahr von Folter für den Beschwerdeführer verneint wurde, willkürlich sind. | ||
Für eine solche Annahme reicht der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Berichte von amnesty international und des Auswärtigen Amtes, wonach Folterungen und Misshandlungen von strafverdächtigen Personen in Indien weit verbreitet sowie Folter eine "häufig von der Polizei angewandte Vernehmungsmethode" und ein Erpressungsmittel seien, nicht aus. | ||
(1) Das Oberlandesgericht hat in seinem Beschluss vom 30. April 2003 nicht in Zweifel gezogen, dass in Indien Folter zum Teil als Vernehmungsmethode oder als Erpressungsmittel angewendet wird. Für seine Einschätzung, dass dem Beschwerdeführer gleichwohl keine konkrete Gefahr von Folter drohe, hat es sich darauf gestützt, dass Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Organe zwar vorkämen, jedoch verstärkt rechtlich geahndet würden. Dies entspricht der Einschätzung des Auswärtigen Amtes in seinem Lagebericht "Indien". Ferner hat das Gericht darauf hingewiesen, dass Folter in Indien durch Gesetz verboten sei und nicht durch den Staat zielgerichtet gefördert werde, der indische Staat vielmehr Folterer bestrafe und in letzter Zeit auch eine Kampagne zur Bewusstseinserhöhung unter seinen Sicherheitskräften in die Wege geleitet habe. Auch dies findet seine Grundlage in dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes. | ||
Bereits diese Gesichtspunkte lassen die Einschätzung des Oberlandesgerichts nachvollziehbar erscheinen, allein auf Grund des Umstandes, dass Folter in Indien eine häufig von der Polizei angewandte Vernehmungsmethode oder ein Erpressungsmittel sei, drohe dem Beschwerdeführer keine konkrete Gefahr von Folter mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, insgesamt sei Indien demnach kein Staat, in dem eine ständige Praxis umfassender oder systematischer Menschrechtsrechtsverletzungen herrsche. | ||
(2) (a) Diese Einschätzung des Oberlandesgerichts wird auch von seiner Erwägung getragen, dass der zwischen Deutschland und Indien am 27.Juni 2001 geschlossene Auslieferungsvertrag zu berücksichtigen sei. Der Vertrag sei zwar noch nicht ratifiziert, der Umstand des Vertragsschlusses spreche jedoch dafür, dass die im Asyllagebericht des Auswärtigen Amtes erwähnten Methoden gerade nicht der Normalfall seien, sondern Ausnahmecharakter hätten, andernfalls es nicht zu einem solchen Abkommen gekommen wäre. Dem kann der Beschwerdeführer nicht mit Erfolg entgegenhalten, dies sei eine willkürliche "hypothetische" Erwägung, da man angesichts der entgegenstehenden Erkenntnisse nicht vom Soll- auf den Ist-Zustand schließen könne. | ||
(b) Die Tatsache des Vertragsschlusses unterstützt ein Verständnis des in seinen Aussagen heterogenen und auf die Situation politisch Verfolgter konzentrierten Asyllageberichts, wonach eine systematische menschenrechtswidrige Praxis gerade auch im Strafvollzug nicht bestehe, weil ansonsten unter Federführung des Auswärtigen Amtes ein Auslieferungsvertrag jedenfalls im Jahr 2001 gar nicht erst geschlossen worden wäre. Darüber hinaus mindert auch die Tatsache des Vertragsschlusses selbst eine etwaige Gefahr für den Beschwerdeführer, weil aus ihm heraus Rechtspflichten für die Republik Indien in Bezug auf die Achtung des menschenrechtlichen Mindeststandards im konkreten Fall der Auslieferung erwachsen. Schon aus der Tatsache des Vertragsschlusses folgt ein völkerrechtliches Frustrationsverbot, wonach die Vertragsparteien verpflichtet sind, nach der Unterzeichnung und vor der Ratifikation des Abkommens alles zu unterlassen, was den Zielen des Vertrags zuwiderläuft (siehe Art.18 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.Mai 1969,BGBl 1985 II S.926 ; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3.Aufl 1984, §§ 705, 719 mwN). Die menschenunwürdige Behandlung von Personen, die von Deutschland nach Indien auf noch vertragsloser Grundlage ausgeliefert werden, würde dem Vertrag widersprechen, da eine solche Praxis die Schaffung einer stabilen bilateralen Beziehung in Rechtshilfe- und Auslieferungssachen - die durch den Abschluss des Abkommens angestrebt wird - verhindern würde. Art.5 des Auslieferungsvertrags enthält einen ordre-public-Vorbehalt, der die Ablehnung eines Auslieferungsersuchens im Fall des § 73 IRG gestatten würde (vgl Denkschrift der Bundesregierung zu dem Vertrag, zu Artikel 5, BRDrucks 241/03, S.17). Funktionell betrachtet treten damit die Rechtsbindungen des Auslieferungsvertrags an die Stelle der Zusicherung im vertragslosen Zustand. Eine solche Zusicherung der Einhaltung menschenrechtlicher Mindeststandards im Strafverfahren oder menschenwürdiger Haftbedingungen kann im Vertragszustand regelmäßig nicht verlangt werden, weil damit der anderen Seite ein Vertragsbruch unterstellt wird; dies gilt gerade im aktuellen Zeitpunkt des Inkraftsetzens des Vertrags. | ||
Hierbei handelt es sich um Erwägungen, die einen Rückschluss auf die tatsächliche Lage in Indien für den Beschwerdeführer erlauben. In dem konkreten Fall hat die Bundesregierung die Auslieferung des Beschwerdeführers mit Verbalnote vom 23. April 2003 "nach Maßgabe der Grundsätze des deutsch-indischen Auslieferungsvertrages" bewilligt. Daraus folgt, dass das deutsch-indische Auslieferungsabkommen, obwohl nicht formell in Kraft getreten, auf Grund des völkerrechtlichen Frustrationsverbotes und der Ausgestaltung der Bewilligung materiell zur Grundlage der Auslieferung des Beschwerdeführers geworden ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Indien den Ratifikationsprozess bereits abgeschlossen und damit nochmals seinen Willen bekundet hat, die mit dem Abkommen begründeten völkerrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten. | ||
Hielte sich Indien nicht an die materiellen Regelungen des Abkommens, läge darin ein Verstoß gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen. Die Bewilligung steht demnach unter der Bedingung, dass Indien den Beschwerdeführer nach der Übergabe entsprechend den völkerrechtlichen Mindeststandards behandelt. | ||
Außerdem findet die Einschätzung des Oberlandesgerichts auch in der im vorliegenden Verfahren der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht München gegebenen Mitteilung des Auswärtigen Amtes vom 25.März 2003 eine Stütze. Danach habe bereits der bisherige vertragslose Auslieferungsverkehr mit Indien auf der Grundlage stattgefunden, dass menschenrechtliche Mindeststandards im indischen Strafverfahren und Strafvollzug eingehalten würden; im Einzelfall sei jeweils auf den deutsch-indischen Auslieferungsvertrag Bezug genommen worden, der am 27.Juni 2001 unterzeichnet worden sei und voraussichtlich im Laufe dieses Jahres in Kraft treten werde. Dies kann nichts anderes bedeuten als dass, auch wenn in Indien generell Folter und Misshandlungen weit verbreitet sind, jedenfalls für von der Bundesrepublik Deutschland unter Bezugnahme auf den deutsch-indischen Auslieferungsvertrag ausgelieferte Personen nach Einschätzung der Bundesregierung die menschenrechtlichen Mindeststandards im indischen Strafverfahren und Strafvollzug eingehalten worden sind. | ||
Es kann im Übrigen angenommen werden, dass die Bundesregierung über ihre diplomatischen Vertretungen das weitere Verfahren in Indien von sich aus beobachtet. | ||
(3) Der Beschwerdeführer hat auch keine Gründe vorgetragen, die gerade in seinem Fall eine menschenunwürdige Behandlung bei der Rückkehr nach Indien beachtlich wahrscheinlich machen. Das Oberlandesgericht weist nachvollziehbar darauf hin, es sei nicht bekannt, dass die Mitangeklagten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit gefoltert worden seien. Der Beschwerdeführer, der von einem indischen Rechtsbeistand vertreten wird, hat nichts vorgetragen, was diese Feststellung in Frage stellen könnte. | ||
c) Im Hinblick auf menschenunwürdige Haftbedingungen gelten weitgehend die Ausführungen zur Gefahr der menschenrechtswidrigen Behandlung durch Folter (vgl III.2. a und b). Der Beschwerdeführer rügt auch insoweit im Kern die aus seiner Sicht unzureichende Auseinandersetzung des Gerichts mit den tatsächlichen Verhältnissen im indischen Strafvollzug. | ||
aa) Diese Rüge wird vom Bundesverfassungsgericht am Maßstab des Willkürverbots des Art.3 Abs.1 GG nur daraufhin überprüft, ob die Rechtsanwendung und das dazu eingeschlagene Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, die Entscheidung beruhe auf sachfremden und daher willkürlichen Erwägungen (vgl oben III.2.a). | ||
bb) Dies vermag die Beschwerdebegründung nicht darzutun. Der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Berichte von amnesty international und den Asyllagebericht des Auswärtigen Amtes reicht hierfür nicht aus. | ||
Das Oberlandesgericht hat in der Begründung seines Beschlusses vom 30.April 2003 zu diesem Vorbringen zwar nur knapp im Anschluss an seine Ausführungen zu der geltend gemachten Foltergefahr erklärt, gleiches gelte für die vorgetragenen Haftbedingungen; Erkenntnisse für eine konkrete Gefahr für den Beschwerdeführer lägen nicht vor. | ||
Damit hat das Gericht aber - jedenfalls auch - Bezug genommen auf seine tragende Erwägung zur Foltergefahr, bei der der Abschluss des deutsch-indischen Auslieferungsvertrags zu berücksichtigen sei. Aus den oben genannten Gründen kann für die Haftbedingungen im Strafverfahren und im Strafvollzug nichts anderes gelten als für die vom Beschwerdeführer angeführte Foltergefahr: Unabhängig von den Haftbedingungen für einen Großteil der Inhaftierten sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass speziell bei den von der Bundesrepublik Deutschland nach Indien ausgelieferten Personen dort die menschenrechtlichen Mindeststandards nicht eingehalten würden. | ||
cc) Dass im Fall des Beschwerdeführers Besonderheiten vorliegen, die eine andere - wenn auch ansonsten weit verbreitete - Behandlung in der Haft besorgen lassen, hat er nicht dargelegt. | ||
d) Es ist schließlich auch nicht ersichtlich, dass das Oberlandesgericht München den bei einer Auslieferung zu beachtenden Kernbereich der Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips berührt hat, indem es die Auslieferung des Beschwerdeführers nach Indien ungeachtet der ihm dort maximal drohenden lebenslangen Freiheitsstrafe für zulässig erklärt hat. | ||
aa) Der Beschwerdeführer wird beschuldigt, in erheblichem Umfang Vermögensdelikte im Wege einer kriminellen Verschwörung begangen zu haben. Durch die Straftaten ist ein Schaden von rund 2.140.000,-- eingetreten, sodass sie einen insgesamt hohen Unrechtsgehalt aufweisen. Es ist daher nicht unerträglich hart im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl oben unter III.1. und BVerfGE_75,1 <16 ff> , Beschluss der 3.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4.März 1994 - 2 BvR 2037/93 -, NJW 1994, S.2884), wenn der indische demokratische Gesetzgeber den Strafrahmen für diese Straftaten bis zur lebenslänglichen Freiheitsstrafe festgesetzt hat. | ||
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Staaten generell und speziell im Bereich der Vermögensdelikte unterschiedliche Auffassungen über die Strafwürdigkeit von kriminellem Verhalten haben können. Das Bundesverfassungsgericht kann deshalb nur prüfen, ob eine im ersuchenden Staat drohende Strafe "schlechthin unangemessen" ist, selbst wenn im Einzelfall die konkret angedrohte Strafe für den Beschwerdeführer eine Härte bedeutet. | ||
bb) Das Oberlandesgericht hat in seinem Beschluss vom 30. April 2003 schließlich darauf hingewiesen, dass auch nach der deutschen Rechtslage für die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten, in der konkreten Begehungsform der Mittäterschaft, ein Strafhöchstmaß von 15 Jahren Gesamtfreiheitsstrafe in Betracht käme. | ||
3. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung." | ||
Auszug aus BVerfG B, 24.06.03, - 2_BvR_685/03 -, www.BVerfG.de, Abs.29 ff | ||
§§§ |
03.029 | Sozietätswechsel | |
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Zur Bedeutung der Berufsfreiheit beim Sozietätswechsel von Rechtsanwälten. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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T-03-14 | Berufsfreiheit | |
"Die angegriffene Entscheidung bestätigt eine gegen die Beschwerdeführer gerichtete Verfügung der Rechtsanwaltskammer. Ob eine solche Verfügung schon deshalb rechtswidrig sein könnte, weil es der Rechtsanwaltskammer an einer Rechtsgrundlage fehlt, Berufspflichtverletzungen mit dem Erlass von Ge- und Verboten zu begegnen (vgl BGH, MDR 2003, S.418 mit ablehnender Anmerkung von Hartung), bedarf vorliegend keiner Vertiefung. Denn die an die Beschwerdeführer gerichtete Aufforderung der Rechtsanwaltskammer, die Mandate niederzulegen, findet der Sache nach im Gesetz keine der Verfassung entsprechende Grundlage. Die dem § 43a Abs.4 BRAO durch den Bundesgerichtshof gegebene Auslegung verletzt die Beschwerdeführer in ihrer Berufsausübungsfreiheit aus Art.12 Abs.1 GG (I.). Die vom Bundesgerichtshof bestätigend herangezogene Vorschrift des § 3 Abs.2 BORA ist aus diesem Grund nichtig (II.); hingegen ermöglicht § 43a Abs.4 BRAO eine der Verfassung entsprechende Auslegung und Anwendung. | ||
1. Die Vertretung von Mandanten ist ein wesentlicher Teil der durch Art.12 Abs.1 GG geschützten anwaltlichen Berufsausübung. | ||
Anwälte streiten berufsmäßig für die Interessen ihrer Mandanten, die ihrerseits frei sind, den ihnen zusagenden Rechtsvertreter zu wählen und zu mandatieren. Das personale Vertrags- und Vertrauensverhältnis betrifft einen Beruf, der staatliche Kontrolle und Bevormundung prinzipiell ausschließt (vgl BVerfGE_34,293 <302>) und unter der Herrschaft des Grundgesetzes der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des Einzelnen überantwortet ist, soweit sie nicht durch verfassungsgemäße Regelungen beschränkt ist (vgl BVerfGE_50,16 <29>). Ihre eigenständige und unabhängige Funktion in der Durchsetzung des Rechts nehmen die Rechtsanwälte gerade in Bezug auf ihre jeweiligen Mandanten wahr. | ||
Das in erster Linie durch persönliche und eigenverantwortliche Dienstleistung charakterisierte Verhältnis zum Mandanten wird durch berufliche Zusammenschlüsse nicht aufgehoben oder wesentlich verändert (so für den Strafverteidiger BVerfGE_43,79 <91 f>). Gesetzliche Einschränkungen der beruflichen Betätigung treffen den einzelnen Anwalt persönlich und sind in erster Linie den Interessen der Mandanten geschuldet. Diesem Mandatsverhältnis dienen die in § 43 a BRAO normierten Grundpflichten des Rechtsanwalts. Dazu zählen insbesondere die strafbewehrte (§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB) und durch ein Zeugnisverweigerungsrecht geschützte (§ 383 Abs.1 Nr.6 ZPO, § 53 StPO, § 84 Abs.1 FGO iVm § 102 AO) Pflicht zur Verschwiegenheit nach § 43a Abs.2 Satz 1 BRAO sowie das ebenfalls in bestimmten Begehungsformen strafbewehrte (vgl § 356 StGB) Verbot in § 43a Abs.4 BRAO, widerstreitende Interessen zu vertreten. In Verbindung mit dem in § 43a Abs.1 BRAO enthaltenen Gebot, dass der Rechtsanwalt keine Bindungen eingehen darf, die seine berufliche Unabhängigkeit gefährden, garantieren diese Grundpflichten dem Mandanten, dass ihm als Rechtsuchendem unabhängige Anwälte als berufene Berater und Vertreter gegenüber dem Staat oder gegenüber Dritten zur Seite stehen (vgl §§ 1, 3 BRAO). | ||
2. Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführer in Gestalt der Verpflichtung zur Beendigung eines Mandats darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen (vgl § 3 Abs.2 BRAO), das den Anforderungen von Art.12 Abs.1 GG genügt. | ||
a) An einer ausdrücklichen gesetzlichen Normierung der Pflicht zur Mandatsbeendigung für Sozietäten fehlt es. § 43a Abs.4 BRAO bezieht sich auf den Einzelanwalt, der in derselben Sache nicht Parteien mit gegenläufigem Interesse vertreten darf. Die Wortfassung ist von besonderer Bedeutung, weil dasselbe Gesetz an anderer Stelle die Erstreckung von Verboten auf die mit dem Rechtsanwalt in Sozietät oder sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbundenen Rechtsanwälte im Wortlaut vorsieht (§ 45 Abs.3 und § 46 Abs.3 BRAO). | ||
b) Das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung bedeutet allerdings nicht notwendig, dass eine die Berufsausübung einschränkende Verfügung und eine sie bestätigende Gerichtsentscheidung den Anforderungen des Art.12 Abs.1 Satz 2 GG widersprechen. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, die Grenzen richterlicher Rechtsauslegung und -fortbildung bei Einschränkungen der freien Berufsausübung allgemein und abschließend festzulegen. Die Auslegung des einfachen Gesetzesrechts einschließlich der Wahl der hierbei anzuwendenden Methode ist Sache der Fachgerichte. Auch aus dem in Art.20 Abs.3 GG angeordneten Vorrang des Gesetzes folgt kein Verbot für den Richter, gegebenenfalls vorhandene gesetzliche Lücken im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu schließen. | ||
Die Fachgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des Gesetzes jedoch die Bedeutung des betroffenen Grundrechts und den Umfang seines Schutzbereichs zu beachten. Sie müssen eine unverhältnismäßige Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit vermeiden. Die Gerichte sind, wenn sie Einschränkungen der grundsätzlich freien Berufsausübung für geboten erachten, an dieselben Maßstäbe gebunden, die nach Art.12 Abs.1 GG den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einschränken (vgl BVerfGE_54,224 <235>; BVerfGE_97,12 <27>). | ||
3. Dem wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht, die Rechtsanwälte oder Anwaltssozietäten zur Beendigung eines Mandats verpflichtet, obwohl diese zuvor selbst die widerstreitenden Interessen auf der Gegenseite nicht vertreten haben und sie auch nicht zu vertreten beabsichtigen. Eine solche Berufsausübungseinschränkung, die damit begründet wird, dass sich die Rechtsanwälte zur Berufsausübung mit einem Anwalt verbinden, der zuvor auf der Gegenseite angestellt war, kann vor Art.12 Abs.1 GG nur Bestand haben, wenn das Verbot durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und der Eingriff nicht weiter geht, als es die rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern (vgl BVerfGE_54,301 <313>). Eingriffszweck und Eingriffsintensität müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen (vgl BVerfGE_101,331 <347>). | ||
a) Ersichtlich dient § 43a Abs.4 BRAO der Wahrung des Vertrauensverhältnisses zum eigenen Mandanten und der Sicherung der Unabhängigkeit insoweit, als ein Anwalt, der sich zum Diener gegenläufiger Interessen macht, jegliche unabhängige Sachwalterstellung im Dienste des Rechtsuchenden verliert. | ||
aa) Es ist hier nicht darüber zu entscheiden, welche Folgerungen zu ziehen wären, wenn der die Sozietät wechselnde Rechtsanwalt das "widerstreitende" Mandat selbst betreut, es gar in die aufnehmende Kanzlei einbringt. Nicht zu behandeln sind auch Fälle, in denen der bekannt gewordene Sozietätswechsel die Mandanten in ihrem Vertrauen tatsächlich erschüttert, so dass sie das Mandatsverhältnis zur abgebenden oder zur aufnehmenden Kanzlei von sich aus beenden. Des Weiteren steht hier nicht zur Entscheidung, wie zu verfahren ist, wenn durch den Sozietätswechsel die Verschwiegenheitspflicht des § 43a Abs.2 BRAO gefährdet oder verletzt würde. Dafür bieten die Ausgangsverfahren keine Anhaltspunkte. | ||
bb) Wenn die vom Sozietätswechsel betroffenen Mandanten beider Seiten das Vertrauensverhältnis zu ihren jeweiligen Rechtsanwälten nicht als gestört ansehen und mit einer Fortführung der eigenen ebenso wie der gegnerischen Mandate einverstanden sind, können der Schutz anwaltlicher Unabhängigkeit und der Erhalt des konkreten Vertrauensverhältnisses zum Mandanten nicht als Gemeinwohlgründe angeführt werden. | ||
b) § 43a Abs.4 BRAO dient aber nicht nur dem Schutz des individuellen Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant und der Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts, sondern darüber hinaus dem Gemeinwohl in Gestalt der Rechtspflege, die auf eine Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung angewiesen ist (vgl BTDrucks 12/4993, S.27), also darauf, dass ein Anwalt nur einer Seite dient. Alle diese Belange treten nebeneinander und bedingen einander. | ||
aa) Als unabhängige Organe der Rechtspflege und als berufene Berater und Vertreter der Rechtsuchenden haben Anwälte die Aufgabe, sachgerechte Konfliktlösungen herbeizuführen, vor Gericht zugunsten ihrer Mandanten den Kampf um das Recht zu führen und dabei zugleich staatliche Stellen möglichst vor Fehlentscheidungen zu Lasten ihrer Mandanten zu bewahren (vgl BVerfGE_76,171 <192> ). Die Wahrnehmung anwaltlicher Aufgaben setzt den unabhängigen, verschwiegenen und nur den Interessen des eigenen Mandanten verpflichteten Rechtsanwalt voraus. Diese Eigenschaften stehen nicht zur Disposition der Mandanten. Der Rechtsverkehr muss sich darauf verlassen können, dass der Pflichtenkanon des § 43 a BRAO befolgt wird, damit die angestrebte Chancen- und Waffengleichheit der Bürger untereinander und gegenüber dem Staat gewahrt wird und die Rechtspflege funktionsfähig bleibt (vgl BVerfGE_63,266 <284>; BVerfGE_93,213 <236>). | ||
Dies bedeutet indessen nicht, dass die Definition, was den Interessen des eigenen Mandanten und damit zugleich der Rechtspflege dient, abstrakt und verbindlich von Rechtsanwaltskammern oder Gerichten ohne Rücksicht auf die konkrete Einschätzung der hiervon betroffenen Mandanten vorgenommen werden darf. Kann sich durch einen Sozietätswechsel bei generalisierender Betrachtung eine Gefahr für die Verschwiegenheit und die geradlinige Interessenvertretung ergeben, kommt die Einschätzung, ob eine Rechtsbeeinträchtigung konkret droht, in erster Linie den Mandanten beider Kanzleien zu, die deshalb wahrheitsgemäß und umfassend zu informieren sind. Daneben liegt es in der gesetzesgeleiteten verantwortlichen Einschätzung der betroffenen Rechtsanwälte, ob die Konfliktsituation oder doch jedenfalls das Ziel der Vermeidung zukünftiger Störungen des Vertrauensverhältnisses eine Mandatsniederlegung gebietet (vgl. das in der Stellungnahme der Deutschen Delegation beim Rat der Anwaltschaften der Europäischen Gemeinschaft erwähnte Institut der délicatesse im französischen Recht, das den Grad an eigenverantwortlicher Selbsteinschätzung des Rechtsanwalts umschreibt). Ein verantwortlicher Umgang mit einer solchen Situation kann von einem Rechtsanwalt ebenso erwartet werden wie von einem Richter bei der Offenlegung von Gründen zur Selbstablehnung (vgl § 19 Abs.3 BVerfGG und hierzu BVerfGE_46,34 <41 f). | ||
Soweit die Bundesnotarkammer in ihrer Stellungnahme davon ausgeht, das wirtschaftliche Interesse eines Rechtsanwalts, ein Mandat fortzuführen, nehme ihm die nötige Unabhängigkeit und Unparteilichkeit für ein am Maßstab des § 43a Abs.4 BRAO ausgerichtetes gesetzeskonformes Handeln, entspricht dies nicht der gesetzgeberischen Einschätzung. Der Gesetzgeber bezeichnet die Rechtsanwälte als unabhängige Organe der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Auf deren Integrität, Professionalität und Zuverlässigkeit ist die Rechtspflege angewiesen (vgl BVerfGE_87,287 <320>). Das Gesetz geht nicht davon aus, dass ein berufswürdiges und gesetzeskonformes Handeln der Rechtsanwälte nur im Wege der Einzelkontrolle oder mit Mitteln des Strafrechts gewährleistet werden kann. Das anwaltliche Berufsrecht beruht auch nicht auf der Annahme, dass eine situationsgebundene Gelegenheit zur Pflichtverletzung im Regelfall pflichtwidriges Handeln zur Folge hat. | ||
bb) In tatsächlicher Hinsicht können die Fallgestaltungen, auf die sich die Verbotsnorm des § 43a Abs.4 BRAO bezieht, sehr vielseitig sein (vgl hierzu Zuck, NJW 1999, S.263 <265>; Henssler, NJW 2001, S.1521 <1525 f>; Müller, AnwBl 2001, S.491 <493>; Schlosser, NJW 2002, S.1376 <1379 f.>). So kann die Arbeitsteilung in der abgebenden Kanzlei durch räumliche Trennung (bei überörtlichen Sozietäten und bei Bürogemeinschaften), durch organisatorische Vorkehrungen (chinese wall), durch Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses (Sozius, Angestellter oder freier Mitarbeiter), durch die schiere Größe oder die fachliche Abschottung der verschiedenen Bereiche einer Kanzlei (beispielsweise Baurecht, Familienrecht, Patentrecht) gewährleisten, dass die Verschwiegenheitspflicht schon deshalb nicht gefährdet ist, weil es für den wechselnden Anwalt nichts zu verschweigen gibt. | ||
Die gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit und das Vertrauen der Mandanten in die Verschwiegenheit des einzelnen Anwalts kommen erst zur Geltung, wenn der Rechtsanwalt über geheimhaltungsbedürftige Informationen verfügt. Diese können dem Rechtsanwalt die innere Unabhängigkeit nehmen oder den Mandanten verunsichern und deshalb zur Beendigung des Mandats durch Auftragnehmer oder Auftraggeber führen. Möglicherweise hält aber ein Mandant der abgebenden Kanzlei solche Kenntnisse über Sachverhalt und Rahmenbedingungen oder von Einzelproblemen im konkreten Fall für unschädlich, sofern der wechselnde Rechtsanwalt in der aufnehmenden Kanzlei von jeder Rechtsbesorgung (im Sinne von beraten, unterstützen, vertreten) fern gehalten wird. Auf die Verschwiegenheit ihrer Anwälte sind Mandanten bei einem Sozietätswechsel in derselben Weise angewiesen wie in den Fällen, in denen der eigene Anwalt bei späteren und anderen Auseinandersetzungen von der Gegenseite mandatiert wird. | ||
cc) Im Interesse der Rechtspflege sowie eindeutiger und geradliniger Rechtsbesorgung verlangt § 43a Abs.4 BRAO lediglich, dass im konkreten Fall die Vertretung widerstreitender Interessen vermieden wird. Soweit die vom Kanzleiwechsel unterrichteten und beiderseits betroffenen Mandanten einen solchen Widerstreit nicht befürchten und Vertrauen in die getroffenen Vorkehrungen sowie die Verschwiegenheit ihrer Anwälte zeigen, besteht im Interesse der Rechtspflege nur Anlass zum Eingreifen, wenn hierfür sonstige Indizien sprechen, die den Mandanten verborgen geblieben oder von ihnen unzutreffend eingeschätzt worden sind. Die Rechtsanwaltskammern sind insoweit berechtigt und verpflichtet, allen Hinweisen nachzugehen. Eine Vermutung oder einen Anschein pflichtwidrigen Verhaltens dürfen sie indessen ihren Maßnahmen nicht zugrunde legen. Die Bundesrechtsanwaltsordnung knüpft an solche abstrakten Gefährdungen der Rechtspflege nur in Ausnahmefällen an (vgl § 7 Nr.9 und 10). Dem entspricht die Fassung von § 43a Abs.4 BRAO nicht. | ||
c) Diesen Grundsätzen wird die an § 3 Abs.2 BORA ausgerichtete Auslegung von § 43a Abs.4 BRAO durch den Bundesgerichtshof nicht gerecht. Sie beschränkt die Freiheit der Berufsausübung in der aufnehmenden Kanzlei über das zum Schutz der betroffenen Rechtsgüter erforderliche Maß hinaus, weil sie die Möglichkeit verstellt, den Besonderheiten des jeweiligen Falles Rechnung zu tragen. § 43a Abs.4 BRAO gebietet eine dem Einzelfall gerecht werdende Abwägung aller Belange unter besonderer Berücksichtigung der konkreten Mandanteninteressen.
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§ 3 Abs.2 BORA, der keinen Raum für eine Einzelabwägung lässt, ist aus diesem Grund in der ursprünglichen wie in der Fassung späterer Bekanntmachungen mit Art.12 Abs.1 GG unvereinbar und nichtig. Die Vorschrift vernachlässigt nicht nur die Interessen der Mandanten; sie berücksichtigt - soweit die Befugnis zur Ausgestaltung nach § 59b Abs.2 Nr.1 Buchstabe e BRAO reicht - auch weder die Berufsausübungsfreiheit des die Sozietät wechselnden Rechtsanwalts noch die der Mitglieder der aufnehmenden Sozietät in hinreichendem Maße. | ||
1. a) Art.12 Abs.1 GG schützt jede berufliche Tätigkeit, gleichgültig ob sie selbständig oder unselbständig ausgeübt wird (vgl BVerfGE_7,377 <398 f>; BVerfGE_54,301 <322>). Zur Berufsausübung gehört das Recht, sich beruflich zusammenzuschließen (vgl BVerfGE_80,269 <278>), aber auch das Recht, einen Arbeitsplatz nach eigener Wahl anzunehmen, beizubehalten oder aufzugeben (vgl BVerfGE_85,360 <372 f>; BVerfGE_97,169 <175>). Ein Eingriff liegt auch vor, wenn die wirtschaftlichen Folgen von Rechtsnormen die Eingehung von Arbeitsverhältnissen wesentlich erschweren. | ||
b) Die Möglichkeit des Sozietätswechsels ist für die Anwaltschaft zunehmend von Bedeutung. | ||
Der Beruf des Rechtsanwalts wird nicht mehr fast ausschließlich allein in eigener Kanzlei oder gemeinsam mit nur wenigen selbständigen Partnern ausgeübt (vgl Busse, NJW 1999, S.3017). Etwa 7.000 Rechtsanwälte arbeiten in großen Sozietäten mit 30 bis 500 Rechtsanwälten zusammen; fast 20.000 Rechtsanwälte gehen in Sozietäten mit 4 bis 30 Rechtsanwälten ihrem Beruf nach (vgl Heussen, Anwalt 2003, Heft 5, S.16 f). Viele von ihnen arbeiten im Angestelltenverhältnis oder sie sind freie Mitarbeiter (vgl Huff, Anwalt 2002, Heft 11, S.8 ff). Mittlere Kanzleien gehen überörtliche Sozietäten ein oder benennen feste Kooperationspartner in anderen Regionen oder im europäischen Ausland. In welchem Maße einem jungen Berufseinsteiger Gelegenheit zur Spezialisierung in einer größeren Kanzlei geboten wird und in welchem Umfang er mit sonstigen Mandaten in der Kanzlei in Berührung kommt, hängt von der jeweiligen Kanzleiorganisation ab. | ||
Zugleich hat die Spezialisierung unter den Rechtsanwälten zugenommen. Etwa 14 vom Hundert führen eine Fachanwaltsbezeichnung; andere zeigen durch die Wahl von Tätigkeitsschwerpunkten an, welche Ausschnitte des Rechts sie mit Vorzug bearbeiten (vgl BRAK-Mitt 2002, S.122). Selbst für hochspezialisierte Rechtsanwälte etwa im Recht der Gentechnologie, im Kartell- und Vergaberecht oder im Börsenrecht kommt noch ein Kanzleiwechsel in Betracht; er beschränkt sich indessen auf einen kleinen Kreis von Kanzleien, die nicht selten in früheren oder noch anhängigen Verfahren die Gegenseite vertreten haben oder vertreten. Solchen Beschränkungen unterliegen, worauf der Deutsche AnwaltVerein und die Beklagte des Ausgangsverfahrens hingewiesen haben, auch junge Anwälte mit örtlicher Bindung in Kleinstädten und im ländlichen Raum. | ||
Ein Kanzleiwechsel ist keine Seltenheit mehr. Das Bild der ein Berufsleben lang andauernden Zusammenarbeit weniger Rechtsanwälte ist stark von Verhältnissen geprägt, die der Vergangenheit angehören. Nicht nur angestellte Rechtsanwälte, sondern auch Sozien suchen inzwischen vermehrt durch Kanzleiwechsel ihre Einkommens- oder Karrierechancen zu verbessern (vgl Huff, Anwalt 2002, Heft 11, S.8 <9>; vgl. auch K Westerwelle, Rechtsanwaltssozietäten und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, 1997, S.130). Die Möglichkeit der Mobilität hat demnach für den Einzelnen an Gewicht gewonnen. | ||
2. Schon wenn sich durch den Vertragsschluss die Partner selbst wechselseitig in ihrer beruflichen Handlungsfreiheit beschränken, indem sie einem der Vertragschließenden den Arbeitsplatzwechsel erheblich erschweren (Konkurrenzklauseln), sind die Rechtsfolgen anhand des Maßstabs des Art.12 Abs.1 GG zu prüfen (vgl BVerfGE_81,242 ). Von vergleichbarem Gewicht ist eine Satzungsregelung wie § 3 Abs.2 BORA, die unabhängig von eigener Einflussnahme durch die Handelnden den Berufswechsel erschwert, weil der aufnehmenden Kanzlei grundsätzlich die Mandatsniederlegung und damit der Verzicht auf Einnahmen zugemutet wird. Die hiermit verbundenen Beeinträchtigungen der Berufsausübungsfreiheit dürfen nicht weiter gehen als vom Eingriffszweck her unumgänglich. | ||
3. § 3 Abs.2 BORA beschränkt die Nachteile für die aufnehmende Sozietät nicht auf das zum Schutz von Gemeinwohlinteressen erforderliche Minimum. Die Vorschrift enthält keine Regeln, die eine Prüfung im Einzelfall ermöglichen, ob Sicherungen zur Wahrung des Vertrauens in die Beachtung der Verschwiegenheitspflicht bestehen. | ||
In der ursprünglichen Fassung kannte § 3 Abs.2 BORA überhaupt keine Ausnahmen zugunsten bestimmter Kooperationsformen; das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen aus § 43 a BRAO wurde einschränkungslos auf alle Anwälte erstreckt, sofern sie zu der abgebenden Kanzlei in irgendeiner Rechtsbeziehung gestanden hatten. Sozien, Angestellte, freie Mitarbeiter oder in Bürogemeinschaft verbundene Personen wurden gleich behandelt. Inzwischen mildert § 3 Abs.3 BORA in der Fassung von 1999 die Rechtsfolgen für Angestellte im Innenverhältnis ab, sofern sie mit der Rechtssache tatsächlich nicht befasst waren. Aber auch nach dieser Änderung bleibt § 3 Abs.2 BORA unverhältnismäßig. | ||
Wie oben dargelegt ist das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, geeignet und erforderlich, im Interesse von Mandanten und Rechtspflege die mit dem Gesetz bezweckten Ziele zu erreichen. In welchem Ausmaß das Verbot aber auf Dritte zu erstrecken ist, mit denen der tatsächlich mandatierte Rechtsanwalt zusammenarbeitet oder zusammengearbeitet hat, muss unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit austariert werden. Die für die Außenhaftung und für die Außenvollmacht entwickelten Grundsätze der zivilgerichtlichen Rechtsprechung, die Mandanten und Rechtsverkehr eine erleichterte Zurechnung ermöglichen (vgl BGHZ_56,355), können insofern nicht maßgeblich sein. Denn der Schutzzweck des § 43a Abs.4 BRAO ist - wie unter I. dargelegt - ein anderer. Auch aus der Berufsordnung, die es in § 8 gestattet, freie Mitarbeiter durch Aufnahme in den Briefkopf zu Außensozien zu machen, lassen sich keine Abwägungskriterien gewinnen. Diese Regelung dient der Selbstdarstellung der abgebenden Kanzlei und hat nicht den Interessenwiderstreit nach einem Sozietätswechsel im Blick. Für die hier zu beurteilende Frage ist demgegenüber entscheidend, welcher Informationsfluss zwischen Rechtsanwälten stattfindet, die lediglich in Bürogemeinschaft verbunden sind. Das hängt aber von der Organisation und der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Anwälten ab. | ||
Undifferenziert an diese formalen Außenbeziehungen ein Mobilitätshindernis zu knüpfen, weil beim Wechsel in eine andere Kanzlei die gegnerischen Mandate auch dann niederzulegen sind, wenn der freie Mitarbeiter nur eng umgrenzte Einzelaufgaben, möglicherweise sogar am heimischen Arbeitsplatz wahrgenommen oder in der Bürogemeinschaft kein Wissenstransfer stattgefunden hat, ist unangemessen. Die Norm des § 3 Abs.2 BORA trägt den typischen Merkmalen überörtlicher Sozietäten und europaweiten Kooperationen, insbesondere den Vertragsgestaltungen bei Bürogemeinschaften, sowie den theoretischen und praktischen Möglichkeiten der Abschottung in der aufnehmenden Kanzlei nicht ausreichend Rechnung. Der Sozietätswechsel darf nicht erschwert werden, wenn hinreichend gesichert ist, dass Pflichtverletzungen nicht zu besorgen sind. Diese Prüfung im Einzelfall aber sieht § 3 Abs.2 BORA nicht vor. | ||
Im Ergebnis folgt daraus eine unverhältnismäßige Erschwerung des Kanzleiwechsels, weil die aufnehmende Kanzlei finanzielle Einbußen nur dann in Kauf nehmen wird, wenn sie ein ganz besonderes Interesse an der Hinzugewinnung der neuen Arbeitskraft hat. Noch gravierender sind die Auswirkungen, wenn der Sozietätswechsel nicht freiwillig und langfristig geplant erfolgt, weil es unvorhergesehen zu einer Trennung der Sozien, zu einer Auflösung oder Abspaltung von Kanzleien oder zu wirtschaftlichen Engpässen bei der abgebenden Kanzlei kommt. In derartigen Fällen kann die Berufsausübungsregelung eine Zeit lang Folgen haben, die einer Berufswahlregelung nahe kommen. Bis zur Abwicklung der Altmandate wird sich insbesondere dann selten eine aufnehmende Kanzlei finden, wenn der Kreis der denkbaren Sozien oder Arbeitgeber durch einen hohen Spezialisierungsgrad eng gezogen ist. Solche einschneidenden Folgen für die Berufsausübung verlangen ausreichend gewichtige Interessen auf Seiten der Mandanten oder der Rechtspflege, die nach den Ausführungen oben unter B.I. nicht ausnahmslos und ohne Rücksicht auf typisierbare Fallvarianten unterstellt werden dürfen." | ||
Auszug aus BVerfG B, 03.07.03, - 1_BvR_238/01 -, www.BVerfG.de, Abs.31 ff | ||
§§§ |
03.030 | Telekommunikationslinie |
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Der Gesetzgeber muss bei Regelungen zur Bestimmung von Verwaltungszuständigkeiten nach Art.30 und Art.83 ff GG die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit beachten, um die Länder vor einem Eindringen des Bundes in den ihnen vorbehaltenen Bereich der Verwaltung zu schützen. | |
LB 2) § 50 Abs.4 TKG ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig. Die Regelung über die Zuständigkeit für die Erteilung der Zustimmung in § 50 Abs.4 TKG verstößt gegen Art.30 in Verbindung mit Art.86, Art.87f Abs.2 Satz 2 GG. | |
LB 3) In § 50 Abs.3 TKG geht der Gesetzgeber von einem eher engen Verständnis des Begriffs "Hoheitsaufgaben im Bereich der Telekommunikation" aus. Entsprechend dem Grundsatz, dass die Verwaltung jedenfalls der Landes- und Gemeindestraßen grundsätzlich Sache der Länder und Kommunen ist, überträgt er die Entscheidungen über die Zustimmung zur Verlegung neuer oder die Änderung vorhandener Telekommunikationslinien den jeweiligen Wegebaulastträgern. Im Einklang auch mit Art.30 GG erklärt der Gesetzgeber die Länder und Kommunen ganz überwiegend für zuständig für solche Entscheidungen und ordnet diese prinzipiell dem Bereich der Straßenverwaltung zu. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ |
[ 2002 ] | RS-BVerfG - 2003 | [ ] [ » ] [ 2004 ] |
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