1952
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52.001 Finanzausgleichsgesetz
 
  1. BVerfG,     U, 20.02.52,     – 1_BvF_2/51 –

  2. BVerfGE_1,117 = www.dfr/BVerfGE

  3. BVerfGE_§_13 Nr.6; GG_Art.20 Abs.1, GG_Art.93 Abs.1 Nr.2, GG_Art.106 Abs.4

 

1) § 13 Nr.6 BVerfGG ist dann anzuwenden, wenn ein Antragsberechtigter im Sinne des Art.93 Abs.1 Ziff. 2 GG eine Bundesnorm wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz für nichtig hält und eine hierüber bestehende Meinungsverschiedenheit den wesentlichen Streitgegenstand in dem Sinne bildet, daß ein etwa darin eingeschlossener Streit über Rechte und Pflichten der Beteiligten aus der angefochtenen Norm durch die Entscheidung über ihre Gültigkeit oder Nichtigkeit zugleich miterledigt wird.

 

2) Das bundesstaatliche Prinzip begründet seinem Wesen nach nicht nur Rechte sondern auch Pflichten. Eine dieser Pflichten besteht darin, daß die finanzstärkeren Länder den schwächeren Ländern in gewissen Grenzen Hilfe zu leisten haben. Diese Pflichtbeziehung führt nach der Natur der Sache zu einer gewissen Beschränkung der finanziellen Selbständigkeit der Länder.

 

3) Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, daß der bayerische Kreis Lindau beim Finanzausgleich wie ein Land behandelt wird.

 

4) Bundesrecht im Sinne des Art.93 Abs.1 Ziff.2 GG sind nicht nur Bundesgesetze, sondern auch Rechtsverordnungen des Bundes.

 

5) a) Zuschüsse in Art.106 Abs.4 GG und "horizontaler Finanzausgleich" sind keine Gegensätze. Die Zuschüsse sind ein Mittel zur Durchführung eines horizontalen Finanzausgleichs.

b) "Bestimmte" Steuern im Sinne des Art.106 Abs.4 GG sind nicht "einzelne" Steuern, sondern "gesetzlich bestimmte" (dh im einzelnen aufgeführte) Steuern.

c) Art.106 Abs.4 GG besagt, daß der Bund Zuschüsse gewähren und die Mittel hierfür den durch ein Bundesgesetz bestimmten Steuern der Länder -- und nicht seinen eigenen Einnahmen -- entnehmen kann. Das Wort "entnehmen" hindert nicht, daß die kassenmäßige Durchführung der Zahlungen den Ländern im Rahmen ihrer haushaltsrechtlichen Vorschriften überlassen bleibt.

d) Die Berücksichtigung der Realsteuern als eines Faktors bei der Errechnung der Finanzkraftmeßzahl und der Ausgleichsmeßzahl eines Landes verstößt nicht gegen Art.106 Abs.4 GG und ist kein Eingriff in das Recht der Länder, den kommunalen Finanzausgleich zu regeln.

e) Art.106 Abs.4, letzter Halbsatz GG bedeutet: die Zuschüsse sind den Ländern "vom Bunde" unmittelbar zu überweisen. Diese Mittel sind keine eigenen Einnahmen des Bundes; er verwaltet sie als Treuhänder und hat sie an die ausgleichsberechtigten Länder unverzüglich weiterzuleiten.

§§§

52.002 Geschäftsordnung
 
  1. BVerfG,     U, 06.03.52,     – 2_BvE_1/51 –

  2. BVerfGE_1,144 = www.dfr/BVerfGE

  3. BVerfGG_§_67 S.3; GO-BT_§_96 Abs.1

 

1) Ein Antrag auf Entscheidung gemäß § 67 Satz 3 BVerfGG stellt nur eine Anregung an das Gericht dar; über ihn braucht nicht formell entschieden zu werden.

 

2) Bei der Beurteilung einer parlamentarischen Geschäftsordnung ist davon auszugehen, daß die von der Geschäftsordnung zur Wahrnehmung bestimmter Funktionen berufenen Organe ihre Rechte nur in vernünftigen Grenzen ausüben und nicht mißbrauchen dürfen.

 

3) a) Die Verfassung überläßt die Ordnung des Gesetzgebungsverfahrens innerhalb des Bundestages dessen autonomer Satzungsgewalt; der Fortfall der ersten Lesung im Plenum (§ 96 Abs.1 der GeschäftsO des BT) stellt eine hiernach zulässige verfahrensmäßige Beschränkung dar.

b) Das Initiativrecht hat zum Inhalt, daß das Gesetzgebungsorgan sich mit dem Gesetzesvorschlag beschäftigt, dh darüber berät und beschließt.

c) Das Initiativrecht steht nicht dem Bundestag als solchem, sondern den Abgeordneten in einer zahlenmäßig bestimmten Gruppierung zu.

d) Das Initiativrecht der Abgeordneten kann über die im Grundgesetz gezogenen Schranken hinaus sachlich nicht beschränkt werden; der Zwang, eine Gesetzesvorlage mit einem Deckungsvorschlag zu verbinden, ist eine sachliche Beschränkung.

§§§

52.003 Arbeitsgerichtsgesetz
 
  1. BVerfG,     B, 06.03.52,     – 1_BvO_1/51 –

  2. BVerfGE_1,162 = www.dfr/BVerfGE

  3. AGG_§_36; GG_Art.125, GG_Art.126, GG_Art.123

 

Besteht in einem gerichtlichen Verfahren Streit darüber, ob ein Reichsgesetz durch ein Kontrollratsgesetz vor Einwirkung des Grundgesetzes aufgehoben worden ist, so betrifft er nicht die Rechtsfrage, ob das Reichsgesetz im Sinne der Art.125, 126 GG als Bundesrecht fortgilt.

Die Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist insoweit unzulässig.

§§§

52.004 Selbstverwaltung
 
  1. BVerfG,     U, 20.03.52,     – 1_BvR_267/51 –

  2. BVerfGE_1,167 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.28, GG_Art.33 Abs.2, GG_Art.100 Abs.1; BVerfGG_§_80 Abs.1, BVerfGG_§_91; G-131_§_14 Abs.2

 

1) Der Ausgleichsbetrag nach § 14 Abs.2 des Gesetzes zu Art.131 GG vom 11.Mai 1951 ist als wirksames Mittel um eine möglichst baldige Unterbringung der verdrängten Angehörigen des öffentliches Dienstes zu sichern, verfassungsrechtlich zulässig. Er stellt auch keine Überbürdung von Kriegsfolgenlasten auf die Gemeinden dar.

 

2) Art.131 GG er mächtigte den Bundesgesetzgeber, den Komplex der Rechtsverhältnisse verdrängter Angehöriger des öffentlichen Dienstes nach eigenem gesetzgeberischem Ermessen konstitutiv zu ordnen und dabei auch die Länder und Gemeinden zur Unterbringung dieser Personen heranzuziehen.

 

3) Art.28 GG gewährleistet das Selbstverwaltungsrecht in dem Sinne, daß Einschränkungen durch den zuständigen Gesetzgeber den Wesensgehalt des Selbstverwaltungsrechts unangetastet lassen müssen. Zuständiger Gesetzgeber ist im Rahmen des Art.131 GG auch der Bundesgesetzgeber.

 

4) Art.33 Abs.2 GG berührt das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden nicht.

 

5) Zur Behebung außerordentlicher Notstände sind auch ungewöhnliche Eingriffe in das Selbstverwaltungsrecht zulässig, wenn sie in der Form des Gesetzes vorgenommen und auf das zeitlich und sachlich unbedingt Notwendige begrenzt werden.

 

6) § 91 BVerfGG ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

7) Eine Zuständigkeit der Landesverfassungsgerichte nach § 91 Satz 2 BVerfGG kommt nicht in Betracht, wenn Gemeinden oder Gemeindeverbände die Unvereinbarkeit von Bundesrecht mit dem Grundgesetz rügen.

 

8) Gemeinden und Gemeindeverbände sind im Rahmen des § 91 BVerfGG befugt, die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit einer Norm des Grundgesetzes dann zu rügen, wenn diese Norm ihrem Inhalt nach das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung mitzubestimmen geeignet ist.

§§§

52.005 Normenkontrolle I
 
  1. BVerfG,     U, 20.03.52,     – 1_BvL_12/51 –

  2. BVerfGE_1,184 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.100 Abs.1; BVerfGG_§_80 Abs.1

 

1) Der Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht nach Art.100 I GG un terliegen nur Gesetze in formellem Sinne einschließlich der im Gesetzgebungsnotstand gemäß gemäß Art.81 GG erlassenen Gesetze.

 

2) Die Einholung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art.100 I GG ist nur zulässig, wenn das vorlegende Gericht das Gesetz für verfassungswidrig hält. Bloße Bedenken reichen nicht aus.

 

3) Die Akten sind dem Bundesverfassungsgericht gemäß § 80 I BVerfGG im Gerichts- nicht im Verwaltungswege vorzulegen.

§§§

52.006 7,5%-Sperrklausel
 
  1. BVerfG,     U, 05.04.52,     – 2_BvH_1/52 –

  2. BVerfGE_1,208 = www.dfr/BVerfGE

  3. BVerfGG_§_13 Nr.5, BVerfGG_§_13 Nr.8, BVerfGG_§_13 Nr.10; GG_Art.3 GG_Art.21 Abs.2, GG_Art.28 Abs.1 S.2

 

1) Ein Verfahren nach § 13 Nr.8 BVerfGG ist unzulässig, wenn eine andere Bestimmung die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts ohne Vorbehalt begründet.

 

2) a) Das Bundesverfassungsgericht hat im Verfahren nach § 13 Nr.10 BVerfGG (wie nach § 13 Nr.5 BVerfGG) nicht nur die Landesverfassung (das Grundgesetz) auszulegen, sondern auch zu entscheiden, ob die beanstandete Maßnahme gegen eine Bestimmung der Landesverfassung (des Grundgesetzes) verstößt.

 

b) Der Erlaß einer Norm kann eine "Maßnahme" sein, durch die "Rechte" eines am Verfassungsleben "Beteiligten" verletzt werden.

 

3) Für die Auslegung einer Landesverfassung und die Bestimmung der Rechte, mit denen sie Beteiligte ausstattet, ist nicht nur die geschriebene Landesverfassung, sondern das gesamte, in dem Land geltende Verfassungsrecht zugrunde zu legen. Dazu gehören die aus dem Gesamtinhalt der Verfassung abzuleitenden Grundsätze und Grundentscheidungen und die Verfassungssätze des Grundgesetzes, die in die Landesverfassung hineinwirken.

 

4) Soweit die Stellung der politischen Parteien als Faktoren des Verfassungslebens reicht, sind sie als "andere Beteiligte", die durch die Verfassung mit eigenen Rechten ausgestattet sind parteifähig.

 

5) a) Im Verfassungsstreit ist sachlegitimiert nur, wer eine Beeinträchtigung seiner verfassungsrechtlichen Rechtsstellung geltend macht.

 

b) Das ist in Wahlrechtsstreitigkeiten für Fraktionen zu verneinen, für politische Parteien zu bejahen.

 

c) Wenn ein Wahlgesetz den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit verletzt, so kann eine unmittelbare und auch eine gegenwärtige Verletzung des Rechts der politischen Parteien auf Wahlrechtsgleichheit vorliegen.

 

6) Wird eine politische Partei als Antragsteller im Verfassungsrechtsstreit zugelassen, so ist über die von ihr zugleich wegen desselben Sachverhalts erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zu entscheiden.

 

7) Art.28 Abs.1 Satz 2 GG gilt nicht unmittelbar im Land. Eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Landeswahlgesetz wegen Verletzung des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit kann nicht auf Art.28 GG, wohl aber auf Art.3 GG gestützt werden.

 

8) Es gibt keine allgemeine Regel des Völkerrechts, die nationalen Minderheiten eine Sonderstellung für die Vertretung im Parlament des Staates einräumt.

 

9) Der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit verlangt bei der Mehrheitswahl nur gleichen Zählwert, bei der Verhältniswahl und bei Misch-Wahlsystemen für den Verhältnisausgleich auch gleichen Erfolgswert der Stimmen.

 

10) a) Ausnahmen von der Gleichheit des Erfolgswertes sind aus besonderen zwingenden Gründen zulässig.

 

b) Als ein besonderer zwingender Grund ist die mit dem Aufkommen von Splitterparteien verbundene staatspolitische Gefahr für die Demokratie anzusehen.

 

c) Splitterparteien sind solche mit geringfügiger Stimmenzahl und ohne örtlichen Schwerpunkt.

 

d) Für die Ausschaltung von Parteien, die für die Demokratie gefährlich sind, ist nur das Verfahren nach Art.21 Abs.2 GG gegeben.

 

11) a) In der Regel können Wahlgesetze nicht verworfen werden, wenn sie das Quorum nicht über 5% ansetzen. Es müßten besondere Umstände des Einzelfalles vorliegen, die ein solches Quorum unzulässig machen würden.

 

b) Es müssen ganz besondere, zwingende Gründe gegeben sein, um eine Erhöhung des Quorums über den gemeindeutschen Satz von 5% zu rechtfertigen.

 

12) Die Bedenken gegen die Zulässigkeit eines über 5 vH hinausgehenden Quorums werden durch die alternativ aufgestellte Voraussetzung für eine Teilnahme am Verhältnisausgleich - Gewinnung eines Sitzes in der Mehrheitswahl - dann nicht ausgeräumt, wenn bei den besonderen Verhältnissen von vornherein damit gerechnet werden muß, daß es einer Partei durch Zusammenwirken der übrigen Parteien unmöglich gemacht wird, diese Voraussetzung zu erfüllen.

§§§

52.007 Bezirksschornsteinfeger
 
  1. BVerfG,     U, 30.04.52,     – 1_BvR_14/52 –

  2. BVerfGE_1,264 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3, GG_Art.14, GG_Art.31, GG_Art.74 Nr.11, GG_Art.142

 

1) Im Verfahren über die Verfassungsbeschwerde gegen ein Bundesgesetz kann das Bundesverfassungsgericht von Amts wegen prüfen, ob eine Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung bestanden hat.

 

2) Die Zuständigkeit des Bundes zur gesetzlichen Regelung des Handwerksrechts nach Art.74 Ziff.11 GG ergreift jeden einzelnen Zweig des Handwerks entsprechend seiner Eigenart in vollem Umfang.

 

3) Der Gleichheitssatz verpflichtet den Gesetzgeber nicht, unter allen Umständen Ungleiches ungleich zu behandeln. Entscheidend ist vielmehr, ob für eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise die tatsächlichen Ungleichheiten in dem jeweils in Betracht kommenden Zusammenhang so bedeutsam sind, daß der Gesetzgeber sie bei seiner Regelung beachten muß.

 

4) Art.14 GG schützt das Rechtsinstitut des Eigentums, so wie es das bürgerliche Recht und die gesellschaftlichen Anschauungen geformt haben. "Eigentum" im Sinne dieser Bestimmung ist nicht eine vorwiegend durch das öffentliche Recht gewährte und bestimmte Rechtsposition wie der Gewerbebetrieb des Bezirksschornsteinfegermeisters.

 

5) Es verstößt nicht schlechthin gegen rechtsstaatliche Grundsätze, wenn ein Gesetz anordnet, daß die in ihm bestimmten Rechtswirkungen mit Wirkung von einem vor der Verkündung liegenden Zeitpunkt an eintreten.

 

6) Grundrechte der Länderverfassungen sind durch Art.142 GG nur insoweit aufrechterhalten, als sie mit Grundrechten des Grundgesetzes übereinstimmen. Die Feststellung, daß kein Verstoß gegen die entsprechenden Bundesgrundrechte vorliegt, gilt also auch für sie. Gehen sie über die Bundesgrundrechte hinaus, so können sie einer sonst zulässigen bundesrechtlichen Regelung nicht entgegenstehen (Art.31 GG).

§§§

52.008 Ladenschlußgesetz
 
  1. BVerfG,     U, 20.05.52,     – 1_BvL_3/51 –

  2. BVerfGE_1,283 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.72 Abs.2, GG_Art.100 Abs.1, GG_Art.125; AZ_§_22

 

1) Art.100 Abs.1 GG ist auch dann anwendbar, wenn ein Gericht die Gültigkeit eines Landesgesetzes im formellen Sinne deshalb verneint, weil es mit einer Rechtsverordnung des Bundes in Widerspruch steht.

 

2) Die Rechtsverordnung über den Ladenschluß vom 21.Dezember 1939 in der Fassung vom 9.Januar 1942 ist nicht mehr geltendes Recht.

 

3) Die Fortgeltung einer Norm als Bundesrecht nach Art.125 GG ist nicht davon abhängig, daß ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung (Art.72 Abs.2 GG) besteht.

 

4) § 22 der Arbeitszeitordnung vom 26.Juli 1934 in der Fassung vom 30.April 1938 enthält eine erschöpfende Regelung des Ladenschlußrechts.

§§§

52.009 Wohnungsbauförderung
 
  1. BVerfG,     U, 21.05.52,     – 2_BvH_2/52 –

  2. BVerfGE_1,299 = www.dfr/BVerfGE

  3. 1.WoBauG_Art.14 Abs.1; GG_Art.20 Abs.1, GG_Art.50, GG_Art.65

 

1) Gegen die Zulässigkeit eines Hilfsantrags im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sind jedenfalls dann keine rechtlichen Bedenken zu erheben, wenn über ihn in demselben Verfahren entschieden werden kann, in dem über den Hauptantrag zu entscheiden ist, und wenn durch die Entscheidung über den Hilfsantrag die (prozessualen und materiellen) Rechte Dritter nicht in anderer Weise betroffen werden, als sie betroffen worden wären, wenn der Hilfsantrag als Hauptantrag gestellt und verabschiedet worden wäre.

 

2) Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen erhaltenen Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können.

 

3) Aus der Aufnahme von Mitteln für den sozialen Wohnungsbau der Länder in den Bundeshaushalt erwächst dem einzelnen Land kein Anspruch auf einen summenmäßig bestimmten Anteil.

 

4) § 14 Abs.1 des Ersten Wohnungsbaugesetzes gewährt den Ländern nur ein Recht auf Mitwirkung bei der Verteilung der Mittel, jedoch keinen Anspruch auf einen bestimmten Anteil.

 

5) Art.65 GG handelt nur von der Stellung des Bundeskanzlers und der Bundesminister innerhalb der Bundesregierung und gegenüber anderen Verfassungsorganen des Bundes; er betrifft nicht das Bund Länderverhältnis und bestimmt nichts über den zulässigen Umfang der Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes.

 

6) Art.50 GG umreißt nur grundsätzlich die besondere Funktion des Bundesrats als eines Verfassungsorgans des Bundes. Er schließt nicht aus, daß ein einfaches Bundesgesetz weitere Formen der Einflußnahme der Länder auf die Bildung des Bundeswillens einführt, soweit nicht ausdrückliche Vorschriften des Grundgesetzes entgegenstehen oder Kompetenzen des Bundes ihrer Natur nach unbeschränkbar sind.

 

7) a) Für ein Rechtsverhältnis, das vom föderalistischen Prinzip beherrscht ist, gilt nicht die im Geltungsbereich des demokratischen Prinzips beheimatete Regel, daß die Mehrheit entscheidet, sondern der Grundsatz der Einstimmigkeit. Wo ein Bundesgesetz das Einvernehmen der Länder mit einem Bundesorgan fordert, genügt daher die Zustimmung der Mehrheit der Länder nicht.

b) Aus dem föderalistischen Prinzip folgt die verfassungsrechtliche Pflicht, daß die Glieder des Bundes sowohl einander als auch dem größeren Ganzen und der Bund den Gliedern die Treue halten und sich verständigen.

§§§

52.010 Zwangsverleihung
 
  1. BVerfG,     B, 28.05.52,     – 1_BvR_213/51 –

  2. BVerfGE_1,322

  3. GG_Art.16 Abs.2 S.1; GG_Art.116 Abs.1

 

Aus der Unwirksamkeit der Annexionen durch das Deutsch Reich seit dem 1.Januar 1938 kann auf Grund des gesamten Umstände nicht die Folgerung gezogen werden, daß alle mit den Annexionen zusammenhängenden Zwangsverleihungen deutscher Staatsangehörigkeit als nichtig zu betrachten seinen.

§§§

52.011 Petersberger Abkommen
 
  1. BVerfG,     U, 29.07.52,     – 2_BvE_3/51 –

  2. BVerfGE_1,351 = www.dfr/BVerfGE

  3. 1.WoBauG_Art.14 Abs.1; GG_Art.20 Abs.1, GG_Art.50, GG_Art.59 Abs.2, GG_Art.65; BVerfGG_§_13 Nr.5, BVerfGG_§_67

 

1) Nach § 64 Abs.1 BVerfGG kann eine Fraktion als Teil des Bundestages dessen Rechte auch dann geltend machen, wenn dieser die "Maßnahme oder Unterlassung" der Bundesregierung gebilligt hat.

 

2) Im Verfahren nach § 13 Ziff.5 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht gemäß § 67 BVerfGG nur die Feststellung treffen, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung gegen das Grundgesetz verstößt, nicht aber die Rechtsunwirksamkeit einer Maßnahme feststellen.

 

3) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet ausschließlich im innerstaatlichen Bereich und kann nicht über die völkerrechtliche Gültigkeit eines Vertrages entscheiden.

 

4) Art.59 Abs.2 GG bezieht sich nur auf Verträge mit auswärtigen Staaten und ihnen gleichzustellenden Völkerrechtssubjekten.

 

5) Das Petersberger Abkommen ist nicht mit den Hohen Kommissaren als Vertretern ihrer einzelnen Staaten, sondern mit der Alliierten Hohen Kommission als Kollektivorgan der Gemeinschaft der Besatzungsmächte geschlossen worden. Die Bundesregierung konnte mit der Alliierten Hohen Kommission einen Vertrag schließen, obwohl sie deren Kontrolle unterstand. Als völkerrechtliches Kollektivorgan der Besatzungsmächte, das unter formeller Fortdauer des Kriegszustandes Herrschaft in Deutschland ausübt, steht die Alliierte Hohe Kommission der Bundesrepublik nicht wie ein auswärtiger Staat gegenüber. Das Petersberger Abkommen ist kein Vertrag der Bundesrepublik mit auswärtigen Staaten im Sinne des Art.59 Abs.2 GG.

 

6) Art.59 Abs.2 GG kann auf Abmachungen mit den Besatzungsmächten nicht analog angewendet werden.

 

7) Es bestehen keine Bedenken dagegen, daß ein Verfassungsorgan, dem das Recht zur Gesetzesinitiative nach Art.76 Abs.1 GG zusteht, sich verpflichtet, von seinem Recht einen bestimmten Gebrauch zu machen, wenn es nur bezüglich des Inhalts des Gesetzesvorschlages die Schranken der Verfassung beachtet und nicht den Versuch macht, auch andere Staatsorgane zu binden.

§§§

52.012 Staatsvertrag
 
  1. BVerfG,     U, 29.07.52,     – 2_BvE_2/51 –

  2. BVerfGE_1,372 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.59 Abs.2, GG_Art.80

 

1) Ein Staatsvertrag regelt nicht politische Beziehungen im Sinne des Art.59 Abs.2 GG, wenn er sich nur ganz allgemein mit öffentlichen Angelegenheiten, dem Gemeinwohl oder den Staatsgeschäften befaßt. Hinzu kommen muß vielmehr, daß er wesentlich und unmittelbar die Existenz des Staates, seine territoriale Integrität, seine Unabhängigkeit, seine Stellung oder sein Gewicht unter den Staaten oder die Ordnung der Staatengemeinschaft betrifft.

 

2) Inhalt oder Zweck eines Vertrages im Sinne des Art.59 Abs.2 GG müssen auf die Regelung der politischen Beziehungen zu auswärtigen Staaten gerichtet sein. Der Vertrag muß selbst eine Regelung von politischen Beziehungen zu auswärtigen Staaten enthalten oder bezwecken, nicht nur eine sekundäre, vielleicht sogar ungewollte und unerwartete Auswirkung auf diese Beziehungen haben. Ein Vertrag, der nur Auswirkungen auf die innerpolitischen, wirtschaftlichen oder sozialen Verhältnisse des Staates hat, erfüllt diese Voraussetzungen nicht.

 

3) Ob ein Vertrag die politischen Beziehungen regelt, kann nur im Einzelfalle unter Berücksichtigung der besonderen Umstände und der konkreten politischen Situation der Vertragspartner festgestellt werden.

 

4) Für die Frage, ob sich ein Vertrag auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht, ist nicht der Zuständigkeitskatalog des Grundgesetzes maßgebend. Entscheidend ist vielmehr, ob im Einzelfalle ein Vollzugsakt unter Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften erforderlich ist.

 

5) Ein Vertrag, zu dessen Ausführung eine Verordnung nötig ist, bezieht sich dann auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung, wenn die Verordnung nicht ohne die Mitwirkung einer gesetzgebenden Körperschaft ergehen kann.

 

6) Ermächtigungen durch die Besatzungsmacht können die verfassungsrechtlichen Befugnisse der Regierung nicht erweitern.

 

7) Die Zustimmung oder die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften gemäß Art.59 Abs.2 GG ist nach Wesen und Inhalt ein Regierungsakt in der Form eines Bundesgesetzes, der nur von diesen durch förmliches Gesetz und nicht durch eine Rechtsverordnung der Regierung vorgenommen werden kann.

 

8) Nach Art.80 GG kann die Bundesregierung nur ermächtigt werden, in der Form von Rechtsverordnungen Recht zu setzen, nicht aber Regierungsakte vorzunehmen, für die das Grundgesetz Gesetzesform vorschreibt.

§§§

52.013 Deutschlandvertrag
 
  1. BVerfG,     U, 30.07.52,     – 1_BvF_1/52 –

  2. BVerfGE_1,396 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.59 Abs.2, GG_Art.93 Abs.1 Nr.2

 

1) Solange der Gesetzgeber die Norm noch nicht erlassen und ihren Inhalt noch nicht endgültig festgestellt hat, kann ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz nicht geprüft und über sie nicht mit Gesetzeskraft entschieden werden. Erst die bestehende Norm ist die Grundlage für eine Normenkontrolle.

 

2) Das Normenkontrollverfahren ist ein seinem Wesen nach von subjektiven Berechtigungen unabhängiges objektives Verfahren zum Schutz der Verfassung und dient lediglich der Prüfung von Rechtsnormen am Maßstab des Grundgesetzes, nicht aber dem Schutz einer Rechtsstellung der Antragsteller. In diesem Verfahren gibt es keinen Anspruchsberechtigten.

 

3) Das Normenkontrollverfahren nach Art.93 Abs.1 Ziff.2 GG als eines der im Grundgesetz und im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht einzeln aufgeführten verfassungsrechtlichen Verfahren ermöglicht eine "vorbeugende Feststellung" der Unvereinbarkeit noch nicht bestehender Normen mit dem Grundgesetz nicht.

 

4) Auch ein Gesetz, das keine Rechte oder Pflichten für die Staatsbürger begründet, ist der Normenkontrolle nach Art.93 Abs.1 Ziff.2 GG zugänglich.

 

5) Bei Vertragsgesetzen (Art.59 Abs.2 GG) ist die Normenkontrolle schon zulässig, wenn das Gesetzgebungsverfahren bis auf die Ausfertigung des Vertragsgesetzes durch den Bundespräsidenten und die Verkündung abgeschlossen ist.

 

6) Ein Normenkontrollverfahren auf einen zur Zeit der Entscheidungsreife noch nicht zulässigen Antrag darf nicht bis zum Eintritt seiner Zulässigkeit anhängig gehalten werden, es sei denn, daß zwingende Gründe des öffentlichen Interesses dies erfordern.

§§§

52.014 Ahndungsgesetz
 
  1. BVerfG,     B, 18.09.52,     – 1_BvR_612/52 –

  2. BVerfGE_1,418 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.2 Abs.2, ,GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.104 Abs.1; StPO_§_250, StPO_§_251

 

1) Das Recht auf Freiheit der Person ist kraft Gesetzes -- Art.2 Abs.2 und Art.104 Abs.1 GG -- durch die auf einem Gesetz beruhende, in gesetzmäßigem Verfahren ergehende richterliche Entscheidung begrenzt.

 

2) Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung der Gesetze und ihre Anwendung auf den einzelnen Fall sind grundsätzlich allein Sache der Strafgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen, es sei denn, daß Verfassungsrecht verletzt ist.

 

3) Das hessische Gesetz zur Ahndung nationalsozialistischer Straftaten vom 29.Mai 1946 (GVBl.S.146) verstößt nicht gegen Art.3 Abs.1 GG, da es nur eine infolge der nationalsozialistischen Willkürherrschaft eingetretene Ungleichheit wieder beseitigt.

 

4) Die Vorschriften der Strafprozeßordnung (§§ 250, 251) über die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme geben dem Angeklagten kein Grundrecht, so daß aus einer Verletzung dieser Vorschriften eine Verfassungsbeschwerde nicht hergeleitet werden kann.

§§§

52.015 SRP-Verbot
 
  1. BVerfG,     U, 23.10.52,     – 1_BvB_1/51 –

  2. BVerfGE_2,1 = www.dfr/BVerfGE

  3. BVerfGG_§_5 Abs.3; GG_Art.21 Abs.1 GG_Art.21, Abs.2, GG_Art.9 Abs.2

 

a 1) Das Bundesverfassungsgericht ist nicht ohne weiteres schon deshalb unvorschriftsmäßig besetzt, weil für einen ausgeschiedenen Richter nicht innerhalb der in § 5 III BVerfGG vorgesehenen Frist ein Nachfolger gewählt wird.

 

2) Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art.21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.

 

3) Art.21 II GG ist für politische Parteien uneingeschränkt lex specialis gegenüber Art.9 II GG.

 

4) Art.21 I 1 und 2 und II GG ist unmittelbar anwendbares Recht. Das gilt auch für Art.21 I 3 GG insoweit, als er es verbietet, daß eine Partei sich in grundsätzlicher Abweichung von demokratischen Prinzipien organisiert.

 

5) Erreicht die Abkehr von demokratischen Organisationsgrundsätzen in der inneren Ordnung einer Partei einen solchen Grad, daß sie nur als Ausdruck einer grundsätzlich demokratiefeindlichen Haltung erklärbar ist, dann kann, namentlich wenn auch andere Umstände diese Einstellung der Partei bestätigen, der Tatbestand des Art.21 II GG erfüllt sein.

 

6) Wird die Auflösung einer Partei in das freie Belieben einer autoritären Spitze aus wenigen Funktionären gestellt, so ist eine dahingehende Satzungsbestimmung oder eine einzelne Ermächtigung wegen Verstoßes gegen die zwingende Vorschrift des Art.21 I 3 GG nichtig.

 

7) Mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei fallen die Bundestags- und Landtags- (Bürgerschafts-)mandate der Abgeordneten dieser Partei fort.

§§§

52.016 Rechtsgutachten-Heuß
 
  1. BVerfG,     PB, 08.12.52,     – 1_PBvV_1/52 –

  2. BVerfGE_2,79 = www.dfr/BVerfGE

  3. BVerfGG_§_16 Abs.1, BVerfGG_§_31, BVerfGG_§_97

 

1) Dem Gutachtenverfahren wird Fortgang gegeben.

 

2) Gutachten des Plenums über bestimmte verfassungsrechtliche Fragen binden die Senate in Urteilsverfahren.

§§§

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