2003   (2)  
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03.031 Altenpflege

  1. BVerfG,     B, 17.07.03,     – 2_BvL_1/99 –

  2. BVerfGE_108,186 = www.BVerfG.de

  3. GG_Art.74 Abs.1 Nr.7;

  4. Sonderabgaben / Dokumentation / Information / Parlament / Öffentlichkeit / finanzielle Inanspruchnahme - Bürger / landesrechtliche Abgaben / Vereinbarkeit

 

1) Die Information des Parlaments und der Öffentlichkeit durch vollständige Dokumentation der Sonderabgaben ist ein Gebot wirksamer parlamentarisch-demokratischer Legitimation und Kontrolle von Planung und Entscheidung über die finanzielle Inanspruchnahme der Bürger für öffentliche Aufgaben.

 

2) Zur Verfassungsmäßigkeit landesrechtlicher Abgaben zur Finanzierung von Ausbildungsvergütungen in der Altenpflege.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2. § 7 Absatz 3 Satz 1 und Absätze 4 bis 6 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über die Berufe in der Altenpflege vom 19.Juni 1994 (GV.NW S.335) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Berufe in der Altenpflege vom 5.März 1997 (GV.NW S.28),
§ 4 Absätze 1 bis 3 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über Ausbildungsvergütungen in der Altenpflege vom 3.Juni 1997 (GVBl S.143) sowie
§§ 8 und 9 des niedersächsischen Gesetzes über die Berufe in der Altenpflege vom 20.Juni 1996 (Nds GVBl S.276) sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
§ 25 Abs.2 des Thüringer Gesetzes über die Berufe in der Altenpflege vom 16.August 1993 (GVBl S.490) war mit dem Grundgesetz vereinbar.

§§§

03.032 Sammelklage

  1. BVerfG,     B, 25.07.03,     – 2_BvR_1198/03 –

  2. BVerfGE_108,238 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. BVerfGG_§_32; HZÜ_Art.13 Abs.1; EFBGB_Art.40 Abs.3

  4. Haager Zustellungsübereinkommen / Art.13 HZÜ / Auslegung / Mißbrauch.

T-03-14

LB 1) Der Vorbehalt in Art.13 HZÜ für die Anwendung ausländischen Rechts wird durch Rechtsprechung und Literatur im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Haager Zustellungsübereinkommens eng ausgelegt.

Abs.33

LB 2) Der Abschluss und die Ratifikation des Haager Zustellungsübereinkommens konkretisiert die Entscheidung des Grundgesetzes, dass der von ihm verfasste Staat in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft eingegliedert ist.

 

LB 3) Werden Verfahren vor staatlichen Gerichten in einer offenkundig mißbräuchlichen Art und Weise genutzt, um mit publizistischem Druck und dem Risiko einer Verurteilung einen Marktteilnehmer gefügig zu machen, könnte dies deutsches Verfassungsrecht verletzen.

Abs.35

LB 4) Art.40 Abs.3 EGBGB bestimmt insoweit, dass Ansprüche, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, nicht geltend gemacht werden können, soweit sie wesentlich weiter gehen als zur angemessenen Entschädigung des Verletzten erforderlich oder offensichtlich anderen Zwecken als einer angemessenen Entschädigung des Verletzten dienen oder haftungsrechtlichen Regelungen eines für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Übereinkommens widersprechen.

Abs.37

LB 5) Verstößt schon die Zustellung einer ausländischen Klage gegen unverzichtbare Grundsätze des freiheitlichen Rechtsstaates, so ist fraglich, ob deutsche Behörden in diesem Fall die Rechtshilfe mit dem Hinweis leisten dürfen, der Betroffene habe noch im weiteren Verlauf des Verfahrens - etwa im Rahmen der Anerkennung des ausländischen Titels nach § 328 Abs.1 ZPO - die Möglichkeit, den Verstoß zu rügen. Denn aus der Zustellung ergeben sich für den Empfänger Rechtsfolgen, die geeignet sind, ihn in seinen grundrechtlich geschützten Positionen zu beeinträchtigen.

Abs.38

LB 6) Auf Grund einer Folgenabwägung, die zugunsten der Beschwerdeführern ausfiel, hat das BVerfG eine Einstweilige Anordnung erlassen.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Der Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird für die Dauer von sechs Monaten, längstens bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde untersagt, ihre Entscheidung vom 20.März 2003 - 934 E 1 - 7.263/03 - zu vollziehen, insbesondere das Zeugnis über die Zustellung einer Klageschrift gegen die Beschwerdeführerin gemäß Artikel 6 Absatz 4 des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15.November 1965 (Bundesgesetzblatt 1977 Teil II Seite 1452) zu übermitteln.

* * *

T-03-14Zustellung

29

"Das Begehren in der Hauptsache ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.

30

1. Das Haager Zustellungsübereinkommen will die gegenseitige Rechtshilfe unter den Vertragsparteien dadurch verbessern, dass die technische Abwicklung der Zustellung vereinfacht und beschleunigt wird. Dadurch soll sichergestellt werden, dass gerichtliche und außergerichtliche Schriftstücke, die im Ausland zuzustellen sind, ihren Empfängern rechtzeitig zur Kenntnis gelangen (vgl BVerfGE_91,335 <339 f>). Diese Erwägungen schließen es grundsätzlich aus, dass die innerstaatliche Rechtsordnung zum Prüfungsmaßstab für die Zustellung gemacht wird (vgl Koch/Diedrich, Grundrechte als Maßstab für Zustellungen nach dem Haager Zustellungsübereinkommen?, ZIP 1994, S.1830 <1831>). Andernfalls könnte die materielle Prüfung des Zustellungsersuchens zu Verzögerungen bei der Zustellung oder, wegen der Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Rechtsauffassungen zu einer Vereitelung der Zustellung führen, die durch das Haager Zustellungsübereinkommen gerade ausgeschlossen werden sollten. Ein Zustellungsersuchen kann nach dem Wortlaut von Art.13 Abs.1 HZÜ jedoch abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat die Zustellung für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden.

31

Der Vorbehalt in Art.13 HZÜ für die Anwendung ausländischen Rechts wird durch Rechtsprechung und Literatur im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Haager Zustellungsübereinkommens eng ausgelegt (vgl OLG Frankfurt, RIW 2001, S.464 = NJW-RR 2002, S.357; siehe Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2.Aufl, 2003, Art.13 HZÜ Rn.3 mwN). So hat auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Gewährung von Rechtshilfe durch die Zustellung einer Klage, mit der Ansprüche auf Strafschadensersatz nach US-amerikanischem Recht (punitive damages) geltend gemacht werden, in der Regel nicht die allgemeine Handlungsfreiheit in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt (vgl BVerfGE_91,335 <340>). Die Entscheidung hat jedoch offen gelassen, ob die Zustellung einer solchen Klage mit Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip zu vereinbaren ist, wenn das mit der ausländischen Klage angestrebte Ziel offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstößt (BVerfGE_91,335 <343>; vgl auch Schlosser, aaO, Art.13 HZÜ Rn.3).

32

2. Im Hauptsacheverfahren ist die Frage zu klären, ob diese Grenze in dem hier zu beurteilenden Fall überschritten ist. Insoweit ist die Bedeutung und Reichweite von Art.13 Abs.1 HZÜ zu klären (vgl Juenger/Reimann, Zustellung von Klagen auf punitive damages nach dem Haager Zustellungsübereinkommen, NJW 1994, S.3274; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 4.Aufl, 2001, Rn.2159).

33

a) Der Abschluss und die Ratifikation des Haager Zustellungsübereinkommens konkretisiert die Entscheidung des Grundgesetzes, dass der von ihm verfasste Staat in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft eingegliedert ist (vgl Präambel, Art.1 Abs.2, Art.9 Abs.2, Art.16 Abs.2 und Art.23 bis 26 GG). Das Grundgesetz gebietet damit zugleich, fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten (vgl BVerfGE_75,1 <16 f> , Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24.Juni 2003 - 2_BvR_685/03 -, im Umdruck S.11), auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen.

34

Im Hinblick auf das Haager Zustellungsübereinkommen hat sich die deutsche Rechtsordnung für das Recht des ersuchenden Staates im Bereich des Zivilprozessrechts geöffnet. Die deutsche öffentliche Gewalt wird für die ersuchende ausländische Behörde tätig, um das in jener Rechtsordnung anhängige, innerstaatliche Verfahren über die Grenzen der nationalen Hoheitsgewalt hinaus zu fördern. Dies schließt grundsätzlich auch die Zustellung von Klagen mit ein, die in für die deutsche Rechtsordnung unbekannten Verfahrensarten erhoben worden sind.

35

Diese Respektierungspflicht könnte jedoch ihre Grenze dort erreichen, wo die ausländische, im Klageweg geltend gemachte Forderung - jedenfalls in ihrer Höhe - offenkundig keine substantielle Grundlage hat. Werden Verfahren vor staatlichen Gerichten in einer offenkundig mißbräuchlichen Art und Weise genutzt, um mit publizistischem Druck und dem Risiko einer Verurteilung einen Marktteilnehmer gefügig zu machen, könnte dies deutsches Verfassungsrecht verletzen. Ein ähnlicher Gedanke hat im Jahre 1999 durch Art.40 Abs.3 Nr.2 EGBGB auch Eingang in das deutsche internationale Privatrecht gefunden. Die Vorschrift regelt das Deliktsstatut und schließt Schadenersatzansprüche auf der Grundlage ausländischen Rechts unter bestimmten Voraussetzungen dem Grunde nach aus (vgl Heldrich, in: Palandt, 62.Aufl, 2003, Art.40 EGBGB Rn.1, 20). Art.40 Abs.3 EGBGB bestimmt insoweit, dass Ansprüche, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, nicht geltend gemacht werden können, soweit sie wesentlich weiter gehen als zur angemessenen Entschädigung des Verletzten erforderlich oder offensichtlich anderen Zwecken als einer angemessenen Entschädigung des Verletzten dienen oder haftungsrechtlichen Regelungen eines für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Übereinkommens widersprechen.

36

b) Bei der Prüfung der Frage, ob die beabsichtigte Zustellung gegen Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstößt, ist auch die Ausgestaltung der multilateralen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Rechtshilfe zu würdigen. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die ersuchte Vertragspartei ihre Behörden in den Dienst des ersuchenden Staates stellt, indem Schriftstücke entgegengenommen und die für die innerstaatliche Zustellung erforderlichen Maßnahmen veranlasst werden. Bei der Zustellung handelt es sich um einen staatlichen Hoheitsakt, mit dem Gerichtsverfahren einer fremden Rechtsordnung gefördert werden.

37

Verstößt schon die Zustellung einer ausländischen Klage gegen unverzichtbare Grundsätze des freiheitlichen Rechtsstaates, so ist fraglich, ob deutsche Behörden in diesem Fall die Rechtshilfe mit dem Hinweis leisten dürfen, der Betroffene habe noch im weiteren Verlauf des Verfahrens - etwa im Rahmen der Anerkennung des ausländischen Titels nach § 328 Abs.1 ZPO - die Möglichkeit, den Verstoß zu rügen. Denn aus der Zustellung ergeben sich für den Empfänger Rechtsfolgen, die geeignet sind, ihn in seinen grundrechtlich geschützten Positionen zu beeinträchtigen. III.

38

Die Folgenabwägung fällt zu Gunsten der Beschwerdeführerin aus. 39

39

1. Bei einer Folgenabwägung sind gegeneinander abzuwägen die Nachteile, die für die Beschwerdeführerin einträten, wenn die begehrte einstweilige Anordnung abgelehnt wird, in der Hauptsache sich aber später herausstellt, dass die Zustellung der Klage deren grundrechtlich geschützte Positionen verletzt, mit denjenigen Nachteilen, die sich ergäben, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen wird, sich später aber herausstellt, dass die Zustellung mit dem Grundgesetz vereinbar war.

40

2. Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, stellte sich die Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet heraus, hätte sich die Zustellung der Klage im Wege der Rechtshilfe verzögert. Es ist nicht erkennbar, dass die Kläger des US-amerikanischen Ausgangsverfahrens bereits dadurch unwiederbringliche Rechtsnachteile erlitten.

41

Es ist auch nicht zu erwarten, dass eine Verzögerung der Rechtshilfe die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinigten Staaten von Amerika ernstlich belasten könnte. Der Erlass der einstweiligen Anordnung führt noch nicht zu einer nachhaltigen Beschränkung des Rechtshilfeverkehrs zwischen beiden Staaten auf der Grundlage des Haager Zustellungsübereinkommens.

42

3. Unterbliebe der Erlass der einstweiligen Anordnung, erwiese sich die Gewährung der Rechtshilfe im Hauptsacheverfahren dagegen als verfassungswidrig, müsste das Bundesverfassungsgericht davon ausgehen, dass die Beschwerdeführerin in das US-amerikanische Verfahren einbezogen ist und das erkennende Bundesgericht über die Zulassung der Klage als class action mit den entsprechenden Rechtsfolgen entscheidet.

43

Mit der Zustellung und dem Fortgang des US-amerikanischen Verfahrens ist die Beschwerdeführerin der Gefahr einer Verurteilung ausgesetzt, die bei unterstelltem Erfolg in der Hauptsache den Maßstäben des Grundgesetzes - wie sie von Art. 13 Abs.1 in das Haager Übereinkommen aufgenommen werden - nicht standhielte. Die Möglichkeit, dass das Urteil in einem späteren Verfahrensstadium im Inland nicht anerkannt oder für nicht vollstreckbar erklärt wird, könnte die Beschwerdeführerin weder vor einer Vollstreckung in ihr in den Vereinigten Staaten belegenes Vermögen noch vor einem mit der Zustellung geförderten Reputationsverlust bewahren."

 

Auszug aus BVerfG B, 25.07.03, - 2_BvR_1198/03 -, www.BVerfG.de,  Abs.29 ff

§§§

03.033 Durchsuchung

  1. BVerfG,     B, 30.07.03,     – 2_BvR_508/01 –

  2. BVerfGE_108,251 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.38 Abs.1, GG_Art.47 S.2

  4. Verfassungsbeschwerde / Abgeordneter / Statusrechte / Verletzung.

 

1) Soweit ein Abgeordneter die Verletzung eines Rechts, das sich aus seinem Status ergibt, in keinem anderen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht geltend machen kann, ist die Verfassungsbeschwerde statthaft.

 

2) a) In den Räumen des Bundestags hat der Abgeordnete unmittelbare Herrschaftsmacht über Schriftstücke im Sinne des Art.47 Satz 2 GG, die seinem Direktionsrecht unterliegen. Solche Schriftstücke dürfen in den Räumlichkeiten des Bundestags auch bei dem Mitarbeiter eines Abgeordneten nicht beschlagnahmt werden.

b) Soweit sich Schriftstücke außerhalb der Räume des Bundestags bei einem Mitarbeiter befinden, ist die rechtliche und tatsächliche Beherrschungsmöglichkeit des Abgeordneten soweit gelockert, dass der Schutzbereich des Art.47 GG verlassen wird. 2) a) In den Räumen des Bundestags hat der Abgeordnete unmittelbare Herrschaftsmacht über Schriftstücke im Sinne des Art.47 Satz 2 GG, die seinem Direktionsrecht unterliegen. Solche Schriftstücke dürfen in den Räumlichkeiten des Bundestags auch bei dem Mitarbeiter eines Abgeordneten nicht beschlagnahmt werden.

á[ ŁU b) Soweit sich Schriftstücke außerhalb der Räume des Bundestags bei einem Mitarbeiter befinden, ist die rechtliche und tatsächliche Beherrschungsmöglichkeit des Abgeordneten soweit gelockert, dass der Schutzbereich des Art.47 GG verlassen wird.

 

3) Der Abgeordnete hat aus Art.38 Abs.1 Satz 2 in Verbindung mit Art.47 Satz 2 GG nur einen Anspruch darauf, dass der Bundestagspräsident bei Genehmigungsentscheidungen nach Art.40 Abs.2 Satz 2 GG den Abgeordnetenstatus nicht grob verkennt und sich nicht von sachfremden, willkürlichen Motiven leiten lässt.

§§§

03.034 Internetwerbung

  1. BVerfG,     B, 26.08.03,     – 1_BvR_1003/02 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.12 Abs.1; BO_§_20 Abs.3;

  4. Werbung - berufswidrige / Arzt / Verbot / Internet / Zulässigkeit / Fremdprodukte / Bewerbung / einheimisches Dialekt.

 

LB 1) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass dem Arzt nicht jede, sondern lediglich die berufswidrige Werbung verboten ist (vgl BVerfGE_71,162 <174>). Für interessengerechte und sachangemessene Information, die keinen Irrtum erregt, muss im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr Raum bleiben (vgl BVerfGE_82,18 <28>).

 

LB 2) Die Wahl des Mediums Internet rechtfertigt es nicht, die Grenzen für die erlaubte Außendarstellung von Ärzten enger zu ziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass ein zur Selbstdarstellung gewähltes Medium für sich betrachtet nicht die Unzulässigkeit der Werbung begründen kann (vgl BVerfGE_94,372 <392 f>). Dies gilt für die Werbung im Internet umso mehr, als eine Homepage eine passive Darstellungsplattform ist, die sich nicht unaufgefordert potentiellen Patienten aufdrängt, sondern im Gegenteil von diesen erst aktiv aufgerufen werden muss

 

LB 3) Dem Arzt, der ein bestimmtes Fremdprodukt bewirbt, geht es regelmäßig weder um die Gesundheitsinteressen der Patienten noch um zulässige Informationen über eigene Leistungen. Er erweckt den Anschein, zugunsten der durch ihn beworbenen Fremdfirma zu handeln, also gewerbliche Interessen zu fördern (vgl VG Münster, MedR 1999, S.146 <148>); es besteht sogar die erhebliche und begründete Gefahr, dass der Bevölkerung der Eindruck vermittelt wird, der Arzt verbinde mit diesem Verhalten finanzielle Interessen.

 

LB 4) Die im Internet geschaltete Werbung ist weder im Hinblick auf die Informationen über die Auslandsaufenthalte der Zahnärzte noch in Bezug auf die Angabe der Anzahl der in der Praxis schon behandelten Patienten sowie die Angaben über die Zugehörigkeit der Beschwerdeführer zu bestimmten berufsbezogenen Zusammenschlüssen (etwa der Deutschen Gesellschaft für Implantologie ... eV) berufswidrig. Diese Informationen geben Auskunft über den beruflichen Werdegang und die Praxiserfahrungen der Zahnärzte; sie zeigen auf, dass die Beschwerdeführer sich Möglichkeiten eröffnet haben, Informationen über Neuentwicklungen zu beziehen und eine gewisse Nach- und Weiterbildung zu betreiben. Dies zu erfahren, hat ein Patient ebenfalls ein legitimes Interesse.

 

LB 5) Nicht mit Art.12 Abs.1 GG vereinbar ist auch die Beanstandung des Hinweises auf das Beherrschen des einheimischen Dialekts. Die Werbung mit Fremdsprachenkenntnissen wird nach § 20 Abs.3 BO vom Satzungsgeber zu Recht als sachangemessen beurteilt, weil die ärztliche Tätigkeit auf eine gute Kommunikation zwischen Arzt und Patienten angewiesen ist. Für die vertrauenbildende Verständigung auf der Grundlage der örtlichen Sprechweise gilt insoweit nichts anderes.

§§§

03.035 Selbstablehnung

  1. BVerfG,     B, 17.09.03,     – 1_BvL_3/98 –

  2. BVerfGE_108,279 = www.BVerfG.de

  3. GG_Art.12 Abs.1

  4. Bundesverfassungsrichter / wissenschaftliche Äußerung / Befangenheit.

T-03-15

LB 1) Wissenschaftliche Äußerungen zu einer für das Verfahren relevanten Rechtsfrage können für sich genommen zwar keine Befangenheit begründen.

Abs.6

LB 2) Etwas anderes gilt nach dem Beschluss des Ersten Senats vom 26.Mai 1998 (1 BvL 11/94) aber dann, wenn die Nähe solcher Äußerungen zu der von einem Beteiligten vertretenen Rechtsauffassung bei einer Gesamtbetrachtung nicht zu übersehen ist und die wissenschaftliche Tätigkeit des Richters vom Standpunkt anderer Beteiligter aus die Unterstützung dieses Beteiligten bezweckte. Die Sorge, dass der Richter die streitige Rechtsfrage nicht mehr offen und unbefangen beurteilen werde, ist dann bei lebensnaher Betrachtungsweise verständlich (vgl BVerfGE_98,134 <138>).

* * *

T-03-15Präsident Papier

4

"1. Die Erklärung von Präsident Papier ist eine Erklärung nach § 19 Abs.3 BVerfGG, mit der er sich selbst für befangen erklärt. Die Erklärung lässt erkennen, dass er eine Senatsentscheidung über die Besorgnis seiner Befangenheit für erforderlich hält. Die mitgeteilten Umstände geben dazu auch objektiv Anlass.

5

2. Die Selbstablehnung ist begründet.

6

a) Besorgnis der Befangenheit ist gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl BVerfGE_82,30 <38>; BVerfGE_98,134 <137>; stRspr). Wissenschaftliche Äußerungen zu einer für das Verfahren relevanten Rechtsfrage können für sich genommen zwar keine Befangenheit begründen. Etwas anderes gilt nach dem Beschluss des Ersten Senats vom 26.Mai 1998 ( 1_BvL_11/94) aber dann, wenn die Nähe solcher Äußerungen zu der von einem Beteiligten vertretenen Rechtsauffassung bei einer Gesamtbetrachtung nicht zu übersehen ist und die wissenschaftliche Tätigkeit des Richters vom Standpunkt anderer Beteiligter aus die Unterstützung dieses Beteiligten bezweckte. Die Sorge, dass der Richter die streitige Rechtsfrage nicht mehr offen und unbefangen beurteilen werde, ist dann bei lebensnaher Betrachtungsweise verständlich (vgl BVerfGE_98,134 <138>).

7

b) So liegt es auch im vorliegenden Fall. § 6 Abs.2 AAÜG in der hier zur Prüfung vorgelegten Fassung nimmt zwar eine weniger weit reichende Begrenzung der Berücksichtigung von Arbeitsentgelten und Arbeitseinkommen bei der Bemessung der Renten vor als § 6 Abs.2 AAÜG in der Fassung, über die der Senat bereits entschieden hat (vgl BVerfGE_100,59). Insofern bezieht sich die Selbstablehnung von Präsident Papier auf eine andere Regelung als seinerzeit. Es liegt aber nahe, dass bei unbefangener Betrachtungsweise der Eindruck entstehen kann, die Bejahung der Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs.2 AAÜG in der Fassung des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes durch Präsident Papier werde sich auch auf die weniger "strenge" Bestimmung des § 6 Abs.2 AAÜG in der hier zur Prüfung gestellten Fassung erstrecken und könne als Unterstützung der Rechtsauffassung eines Beteiligten gewertet werden. Insofern ist die vorliegende Erklärung von Präsident Papier rechtlich nicht anders zu beurteilen als seine Selbstablehnung, die dem Beschluss des Senats vom 26.Mai 1998 zugrunde lag."

 

Auszug aus BVerfG B, 17.09.03, - 1_BvL_3/98 -, www.BVerfG.de,  Abs.4 ff

§§§

03.036 Fußballplatz für Türken

  1. BVerfG,     B, 17.09.03,     – 1_BvR_825/99 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.5 Abs.1 S.2; BVerfGG_§_32; LPresseG_§_11

  4. Fußballplatz / Bürgermeiser tue nichts / Tatsachenbehauptung / Sachaussage / Kontext der Aussage / Gegendarstellung.

T-03-16

LB 1) Die inkriminierte Äußerung, dass der Bürgermeister nichts tue, um den türkischen Fußballspielern zu einem Fußballplatz zu verhelfen, ist als Tatsachenbehauptung ein zu ordnen. Im Gegensatz zu rein wertenden Äußerungen wie "zu wenig" oder "nicht genug" handelt es sich dabei um eine auf überprüfbaren Tatsachen gegründete Sachaussage.

Abs.18

LB 2) Auch wenn die fachgerichtliche Rechtsprechung zu Recht davon ausgeht, dass zu dem für eine Auslegung maßgeblichen Kontext einer Äußerung ihre Stellung innerhalb eines Kommentars in einer Zeitung gehören kann, ist eine auf die einzelne Aussage bezogene Deutung nicht nur möglich, sie bleibt auch notwendig.

Abs.14

LB 3) Die zivilrechtliche Verurteilung zu einer Gegendarstellung greift zwar in den Schutzbereich des Grundrechts auf Pressefreiheit iSd Art.5 Abs.1 S.2 GG ein, der Eingriff kann aber aufgrund § 11 LPresseG (BW) gerechtfertigt sein.

* * *

T-03-16Gegendarstellung + Pressefreiheit

12

"Zwar ist es nach dem Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs.2 BVerfGG) in der Regel geboten, vor einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zunächst den Rechtsweg in der Hauptsache zu beschreiten, wenn sich dort die Chance bietet, der gerügten Grundrechtsverletzung abzuhelfen. Das erscheint vorliegend jedoch nicht zumutbar, weil nicht zu erwarten ist, dass sich in einem durchzuführenden Hauptsacheverfahren abweichende Erkenntnisse ergeben könnten (vgl BVerfG, 1.Kammer des Ersten Senats, NJW 1999, S.483 <484>).

13

Auch besteht trotz Feststellung der Erledigung der Hauptsache ein fortwirkendes Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführerin an der Klärung der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Gegendarstellung.

14

2. Die Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg, denn die Beschwerdeführerin ist nicht in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit (Art.5 Abs.1 Satz 2 GG) verletzt. In dessen Schutzbereich wird zwar durch die Verurteilung zur Gegendarstellung eingegriffen (vgl BVerfGE_97,125 <144 f.>). Dieser Eingriff ist jedoch durch § 11 LPresseG Baden-Württemberg gerechtfertigt.

15

a) Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine zivilgerichtliche Verurteilung. Die hierfür maßgeblichen Bestimmungen auszulegen und anzuwenden, ist Aufgabe der ordentlichen Gerichte, die bei ihrer Entscheidung der Einwirkung der Grundrechte auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts Rechnung zu tragen haben. Das Bundesverfassungsgericht prüft lediglich nach, ob die grundrechtlichen Normen und Maßstäbe, hier das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art.5 Abs.1 Satz 2 GG, beachtet worden sind (vgl BVerfGE_7,198 <208 ff>; BVerfGE_18,85 <92>; BVerfGE_43,130 <136 ff.>; stRspr).

16

b) Die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene Einordnung der streitigen Äußerung als gegendarstellungsfähige Tatsachenbehauptung (vgl BVerfGE_97,125 <127>; BVerfG, 1.Kammer des Ersten Senats, NJW 2002, S.3388 <3389>) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

18

Die Bedeutung des Kontextes für die Deutung und die Einordnung einer Aussage als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung (vgl BVerfGE_93,266 <295>; BVerfGE_94,1 <10 f> ) - hier der Einbau in einen Zeitungskommentar - ist nicht verkannt worden. Auch wenn die fachgerichtliche Rechtsprechung zu Recht davon ausgeht, dass zu dem für eine Auslegung maßgeblichen Kontext einer Äußerung ihre Stellung innerhalb eines Kommentars in einer Zeitung gehören kann (vgl Seitz/Schmidt/ Schoener, Der Gegendarstellungsanspruch, 3.Aufl Rn.332), ist eine auf die einzelne Aussage bezogene Deutung nicht nur möglich, sie bleibt auch notwendig. Vor dem Hintergrund der Feststellung, dass sich in der Rubrik "Tagesspiegel" neben wertenden Äußerungen ("Der Bürgermeister trägt die Ausgrenzung im Kopf") auch andere Tatsachenbehauptungen finden, etwa dass der türkische Fußballverein seit über einem Jahr keinen Platz findet, dass er Rechnungen zu spät gezahlt haben soll oder dass die Stadt für über eine Million Mark die Sportplätze der Stadt renovieren lässt, ist die Einordnung des angegriffenen Satzes wegen seines tatsachenbezogenen Aussageschwerpunktes nicht zu beanstanden. ]8) 19 ]8[ Eine Verkennung verfassungsrechtlicher Anforderungen ergibt sich nicht aus der Formulierung der abgedruckten Gegendarstellung, die sich gemäß § 11 Abs.2 Satz 3 LPresseG Baden-Württemberg allein auf tatsächliche Angaben zu beschränken hat. Zwar enthält sie auch ein wertendes Element, indem der Bürgermeister darin ausführt, dass er sich "intensiv" um die Beschaffung eines Fußballplatzes für den türkischen Fußballverein kümmere. Im Rahmen einer kontextbezogenen Auslegung haben die Gerichte die Gegendarstellung in erster Linie als auf die tatsachenbezogene Äußerung des "Nichtstuns" bezogen erachtet. Diese Anwendung einfachen Rechts ist verfassungsrechtlich letztlich nicht zu beanstanden."

19

Eine Verkennung verfassungsrechtlicher Anforderungen ergibt sich nicht aus der Formulierung der abgedruckten Gegendarstellung, die sich gemäß § 11 Abs.2 Satz 3 LPresseG Baden-Württemberg allein auf tatsächliche Angaben zu beschränken hat. Zwar enthält sie auch ein wertendes Element, indem der Bürgermeister darin ausführt, dass er sich "intensiv" um die Beschaffung eines Fußballplatzes für den türkischen Fußballverein kümmere. Im Rahmen einer kontextbezogenen Auslegung haben die Gerichte die Gegendarstellung in erster Linie als auf die tatsachenbezogene Äußerung des "Nichtstuns" bezogen erachtet. Diese Anwendung einfachen Rechts ist verfassungsrechtlich letztlich nicht zu beanstanden."

 

Auszug aus BVerfG B, 17.09.03, - 1_BvR_825/99 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.12

§§§

03.037 Kopftuch

  1. BVerfG,     U, 24.09.03,     – 2_BvR_1436/02 –

  2. BVerfGE_108,282 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.4 Abs.1, GG_Art.4 Abs.2, GG_Art.6 Abs.2 S.1, GG_Art.7, GG_Art.12 Abs.1, GG_Art.33 Abs.2 GG_Art.33 Abs.3, GG_Art.33 Abs.5; WRV_Art.136 Abs.1, WRV_Art.137 Abs.1; (BW) LBG_§_11 Abs.1, LBG_§_70 ff

  4. Lehramt / Verbot / Kopftuch / Schule / Rechtsgrundlage / Eignungsmangel / Religionsfreiheit.

T-03-17

1) Ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, findet im geltenden Recht des Landes Baden-Württemberg keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage.

 

2) Der mit zunehmender religiöser Pluralität verbundene gesellschaftliche Wandel kann für den Gesetzgeber Anlass zu einer Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Schule sein.

Abs.30

LB 3) Das Tragen eines Kopftuchs macht im hier zu beurteilenden Zusammenhang die Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zur islamischen Religionsgemeinschaft und ihre persönliche Identifikation als Muslima deutlich.

 

LB 4) Die Qualifizierung eines solchen Verhaltens als Eignungsmangel für das Amt einer Lehrerin an Grund- und Hauptschulen greift in das Recht der Beschwerdeführerin auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt aus Art.33 Abs.2 GG in Verbindung mit dem ihr durch Art.4 Abs.1 und 2 GG gewährleisteten Grundrecht der Glaubensfreiheit ein, ohne dass dafür gegenwärtig die erforderliche, hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage besteht.

Abs.33

LB 5) Das grundrechtsgleiche Recht des Art.33 Abs.2 GG gewährleistet das Maß an Freiheit der Berufswahl (Art.12 Abs.1 GG), das angesichts der von der jeweils zuständigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft zulässigerweise begrenzten Zahl von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst möglich ist (vgl BVerfGE_7,377 <397 f>; BVerfGE_39,334 <369>).

 

LB 6) Art.33 Abs.2 GG vermittelt keinen Anspruch auf Übernahme in ein öffentliches Amt (vgl BVerfGE_39,334 <354>; BVerwGE_68,109 <110>). )

 

LB 7) Der Zugang zu einer Tätigkeit in einem öffentlichen Amt (die Zulassung zum Beruf, die gleichzeitig die freie Berufswahl betrifft) darf insbesondere durch subjektive Zulassungsvoraussetzungen beschränkt werden (vgl BVerfGE_39,334 <370>).

Abs.34

LB 8) Auch im Beamtenverhältnis beanspruchen die Grundrechte Geltung, wobei der Pflichtenkreis des Beamten gemäß Art.33 Abs.5 GG dessen rechtliche Möglichkeit begrenzt, von Grundrechten Gebrauch zu machen (vgl BVerfGE_39,334 <366 f>):

Abs.35

LB 9) Die Beurteilung der Eignung eines Bewerbers für das von ihm angestrebte öffentliche Amt durch den Dienstherrn bezieht sich auf die künftige Amtstätigkeit des Betroffenen und enthält zugleich eine Prognose, die eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der gesamten Persönlichkeit des Bewerbers verlangt (vgl BVerfGE_39,334 <353>; BVerfGE_92,140 <155>).

Abs.36

LB 10) Eine dem Beamten auferlegte Pflicht, als Lehrer die eigene Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft in Schule und Unterricht nicht durch das Befolgen von religiös begründeten Bekleidungsregeln sichtbar werden zu lassen, greift in die von Art.4 Abs.1 und 2 GG verbürgte individuelle Glaubensfreiheit ein.

Abs.37

LB 11) Art.4 GG garantiert in Absatz 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, in Absatz 2 das Recht der ungestörten Religionsausübung. Beide Absätze des Art.4 GG enthalten ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht (vgl BVerfGE_24,236 <245 f>; BVerfGE_32,98 <106>; BVerfGE_44,37 <49>; BVerfGE_83,341 <354>).

 

LB 12) Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten (vgl BVerfGE_24,236 <245>).

Abs.38

LB 13) Die in Art.4 Abs.1 und 2 GG verbürgte Glaubensfreiheit ist vorbehaltlos gewährleistet. Einschränkungen müssen sich daher aus der Verfassung selbst ergeben. Hierzu zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang (vgl BVerfGE_28,243 <260 f>; BVerfGE_41,29 <50 f>; BVerfGE_41,88 <107>; BVerfGE_44,37 <49 f, 53>; BVerfGE_52,223 <247>; BVerfGE_93,1 <21>).

 

LB 14) Die Einschränkung der vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit bedarf überdies einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage (vgl BVerfGE_83,130 <142>).

Abs.39

LB 15) Durch Art.33 Abs.3 ist ein Zusammenhang zwischen der Zulassung zu öffentlichen Ämtern und dem religiösen Bekenntnis ausgeschlossen.

 

LB 16) Art.33 Abs.3 GG richtet sich in erster Linie gegen eine Ungleichbehandlung, die unmittelbar an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion anknüpft. Darüber hinaus verbietet die Vorschrift jedenfalls auch, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern aus Gründen zu verwehren, die mit der in Art.4 Abs.1 und 2 GG geschützten Glaubensfreiheit unvereinbar sind (vgl BVerfGE_79,69 <75>).

Abs.40

LB 17) Eine Verpflichtung von Frauen zum Tragen eines Kopftuchs in der Öffentlichkeit lässt sich nach Gehalt und Erscheinung als islamisch-religiös begründete Glaubensregel dem Schutzbereich des Art.4 Abs.1 und 2 GG hinreichend plausibel zuordnen (vgl dazu auch BVerfGE_83,341 <353>).

Abs.42

LB 18) Das Grundgesetz begründet für den Staat als Heimstatt aller Staatsbürger in Art.4 Abs.1, Art.3 Abs.3 Satz 1, Art.33 Abs.3 sowie durch Art.136 Abs.1 und 4 und Art.137 Abs.1 WRV in Verbindung mit Art.140 GG die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (vgl BVerfGE_19,206 <216>; BVerfGE_24,236 <246>; BVerfGE_33,23 <28>; BVerfGE_93,1 <17>).

Abs.44

LB 19) Christliche Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule sind nicht schlechthin verboten; die Schule muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein (vgl BVerfGE_41,29 <51>; BVerfGE_52,223 <236 f>). In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität (vgl BVerfGE_41,29 <50>).

Abs.47

LB 20) Das unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen positiver Glaubensfreiheit eines Lehrers einerseits und der staatlichen Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität, dem Erziehungsrecht der Eltern sowie der negativen Glaubensfreiheit der Schüler andererseits unter Berücksichtigung des Toleranzgebots zu lösen, obliegt dem demokratischen Landesgesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu suchen hat. Er muss sich bei seiner Regelung daran orientieren, dass einerseits im Bereich des Schulwesens Art.7 GG weltanschaulich-religiöse Einflüsse unter Wahrung des Erziehungsrechts der Eltern zulässt und dass andererseits Art.4 GG gebietet, bei der Entscheidung für eine bestimmte Schulform weltanschaulich-religiöse Zwänge so weit wie irgend möglich auszuschalten.

Abs.49

LB 21) Das Einbringen religiöser oder weltanschaulicher Bezüge in Schule und Unterricht durch Lehrkräfte kann den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Erziehungsauftrag, das elterliche Erziehungsrecht und die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler beeinträchtigen. Sollen bereits derartige bloße Möglichkeiten einer Gefährdung oder eines Konflikts aufgrund des Auftretens der Lehrkraft und nicht erst ein konkretes Verhalten, das sich als Versuch einer Beeinflussung oder gar Missionierung der anvertrauten Schulkinder darstellt, als Verletzung beamtenrechtlicher Pflichten oder als die Berufung in das Beamtenverhältnis hindernder Mangel der Eignung bewertet werden, so setzt dies, weil damit die Einschränkung des vorbehaltlos gewährten Grundrechts aus Art.4 Abs.1 und 2 GG einhergeht, eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage voraus, die dies erlaubt.

Abs.59

LB 22) Beamtenrechtlich können nach dem oben dargestellten Verständnis der Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität im Bereich der Schule weder der in § 11 Abs.1 LBG enthaltene Begriff der Eignung noch die in §§ 70 ff LBG für Beamte statuierten Pflichten, die bei der Eignungsbeurteilung eines Bewerbers um ein öffentliches Amt als Orientierung heranzuziehen sind, als Grundlage für eine Verpflichtung von Lehrern dienen, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Weltanschauung nicht äußerlich erkennbar werden zu lassen, um so möglichen Gefahren schon vorbeugend zu begegnen.

 

LB 23) Zur abweichenden Meinung der Richter Jensch, Di Fabio Mellinghoff siehe BVerfGE_108,314 = www.BVerfG.de Abs.75 ff.

* * *

Urteil

Entscheidungsformel:

1. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4.Juli 2002 - BVerwG 2 C 21.01 -, das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 26.Juni 2001 - 4 S 1439/00 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24.März 2000 - 15 K 532/99 - und der Bescheid des Oberschulamts Stuttgart vom 10.Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.Februar 1999 - 1 P L, F./13 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihren Rechten aus Artikel 33 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 4 Absatz 1 und 2 und mit Artikel 33 Absatz 3 des Grundgesetzes. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen.

2. Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Baden-Württemberg haben der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren je zur Hälfte zu erstatten.

* * *

T-03-17Eignung als Lehrerin

29

"Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen gegen Art.33 Abs.2 GG in Verbindung mit Art.4 Abs.1 und 2 GG und mit Art.33 Abs.3 GG.

30

Das Tragen eines Kopftuchs macht im hier zu beurteilenden Zusammenhang die Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zur islamischen Religionsgemeinschaft und ihre persönliche Identifikation als Muslima deutlich. Die Qualifizierung eines solchen Verhaltens als Eignungsmangel für das Amt einer Lehrerin an Grund- und Hauptschulen greift in das Recht der Beschwerdeführerin auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt aus Art.33 Abs.2 GG in Verbindung mit dem ihr durch Art.4 Abs.1 und 2 GG gewährleisteten Grundrecht der Glaubensfreiheit ein, ohne dass dafür gegenwärtig die erforderliche, hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage besteht. Damit ist der Beschwerdeführerin der Zugang zu einem öffentlichen Amt in verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Weise verwehrt worden.

I.

31

Die verfassungsgerichtliche Kontrolle im Rahmen einer Urteilsverfassungsbeschwerde beschränkt sich in der Regel auf die Prüfung, ob die angegriffenen Entscheidungen bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von Bedeutung und Tragweite des in Anspruch genommenen Grundrechts beruhen oder willkürlich sind (vgl hierzu BVerfGE_18,85 <93>; stRspr). Soweit allerdings das Gericht, dessen Entscheidung mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen wird, Grundrechtsbestimmungen unmittelbar selbst ausgelegt und angewandt hat, obliegt es dem Bundesverfassungsgericht, Reichweite und Grenzen der Grundrechte zu bestimmen und festzustellen, ob Grundrechte nach ihrem Umfang und Gewicht in verfassungsrechtlich zutreffender Weise berücksichtigt worden sind. So liegt es hier. Das Bundesverwaltungsgericht und auch die Vorinstanzen haben eine bestimmte Interpretation von Art.33 Abs.2 GG in Verbindung mit Art.4 Abs.1 und 2 GG zur tragenden Grundlage ihrer Entscheidungen gemacht. Entsprechend seiner Aufgabe, das Verfassungsrecht zu bewahren, zu entwickeln und fortzubilden und insbesondere die verschiedenen Funktionen einer Grundrechtsnorm zu erschließen (vgl BVerfGE_6,55 <72>; BVerfGE_7,377 <410>), ist das Bundesverfassungsgericht insoweit im Verhältnis zu den Fachgerichten nicht auf die Prüfung beschränkt, ob diese das Verfassungsrecht willkürfrei zugrunde gelegt haben, sondern hat selbst letztverbindlich über dessen Auslegung und Anwendung zu entscheiden.

II.

32

1. Art.33 Abs.2 GG eröffnet jedem Deutschen nach Maßgabe seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt.

33

a) Das grundrechtsgleiche Recht des Art.33 Abs.2 GG gewährleistet das Maß an Freiheit der Berufswahl (Art.12 Abs.1 GG), das angesichts der von der jeweils zuständigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft zulässigerweise begrenzten Zahl von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst möglich ist (vgl BVerfGE_7,377 <397 f>; BVerfGE_39,334 <369>). Art.33 Abs.2 GG vermittelt keinen Anspruch auf Übernahme in ein öffentliches Amt (vgl BVerfGE_39,334 <354>; BVerwGE_68,109 <110>). Der Zugang zu einer Tätigkeit in einem öffentlichen Amt (die Zulassung zum Beruf, die gleichzeitig die freie Berufswahl betrifft) darf insbesondere durch subjektive Zulassungsvoraussetzungen beschränkt werden (vgl BVerfGE_39,334 <370>). Dies geschieht nach Maßgabe des § 7 des Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG) vom 31.März 1999 (BGBl I S.654 ) in den Beamtengesetzen der Länder durch Regelungen über die für die Berufung in ein Beamtenverhältnis erforderlichen persönlichen Voraussetzungen. § 11 Abs.1 des hier maßgeblichen Landesbeamtengesetzes Baden-Württemberg (LBG) in der Fassung vom 19.März 1996 (GBl S.286) bestimmt, dass Ernennungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse, Glauben, religiöse oder politische Anschauungen, Herkunft oder Beziehungen vorzunehmen sind.

34

b) Der Gesetzgeber hat bei der Aufstellung von Eignungskriterien für das jeweilige Amt und bei der Ausgestaltung von Dienstpflichten, nach denen die Eignung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst zu beurteilen ist, grundsätzlich eine weite Gestaltungsfreiheit. Grenzen dieser Gestaltungsfreiheit ergeben sich aus den Wertentscheidungen in anderen Verfassungsnormen; insbesondere die Grundrechte setzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers Schranken. Auch im Beamtenverhältnis beanspruchen die Grundrechte Geltung, wobei der Pflichtenkreis des Beamten gemäß Art.33 Abs.5 GG dessen rechtliche Möglichkeit begrenzt, von Grundrechten Gebrauch zu machen (vgl BVerfGE_39,334 <366 f>): Der Grundrechtsausübung des Beamten im Dienst können Grenzen gesetzt werden, die sich aus allgemeinen Anforderungen an den öffentlichen Dienst oder aus besonderen Erfordernissen des jeweiligen öffentlichen Amtes ergeben (vgl etwa BVerwGE_56,227 <228 f>). Wird indessen schon der Zugang zu einem öffentlichen Amt im Hinblick auf ein künftiges Verhalten des Bewerbers verweigert, das unter grundrechtlichem Schutz steht, muss sich die Annahme eines hierauf gestützten Eignungsmangels ihrerseits vor dem betroffenen Grundrecht rechtfertigen lassen.

35

c) Die Beurteilung der Eignung eines Bewerbers für das von ihm angestrebte öffentliche Amt durch den Dienstherrn bezieht sich auf die künftige Amtstätigkeit des Betroffenen und enthält zugleich eine Prognose, die eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der gesamten Persönlichkeit des Bewerbers verlangt (vgl BVerfGE_39,334 <353>; BVerfGE_92,140 <155>). Sie umfasst auch eine vorausschauende Aussage darüber, ob der Betreffende die ihm in dem angestrebten Amt obliegenden beamtenrechtlichen Pflichten erfüllen wird. Bei diesem prognostischen Urteil steht dem Dienstherrn ein weiter Beurteilungsspielraum zu; die Nachprüfung durch die Fachgerichte beschränkt sich im Wesentlichen darauf, ob der Dienstherr von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den beamten- und verfassungsrechtlichen Rahmen verkannt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat (vgl BVerfGE_39,334 <354>; BVerwGE_61,176 <186>; BVerfGE_68,109 <110>; BVerfGE_86,244 <246>). Die Prognose des Dienstherrn über die Eignung eines Bewerbers um ein öffentliches Amt hat sich an den dem Beamten obliegenden Pflichten (§§ 35 ff BRRG; §§ 70 ff LBG) zu orientieren. Dienstpflichten, deren Erfüllung vom Bewerber erwartet wird, müssen gesetzlich hinreichend bestimmt sein und die durch seine Grundrechte gesetzten Grenzen beachten.

36

2. Eine dem Beamten auferlegte Pflicht, als Lehrer die eigene Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft in Schule und Unterricht nicht durch das Befolgen von religiös begründeten Bekleidungsregeln sichtbar werden zu lassen, greift in die von Art.4 Abs.1 und 2 GG verbürgte individuelle Glaubensfreiheit ein. Sie stellt den Betroffenen vor die Wahl, entweder das angestrebte öffentliche Amt auszuüben oder dem von ihm als verpflichtend angesehenen religiösen Bekleidungsgebot Folge zu leisten.

37

Art.4 GG garantiert in Absatz 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, in Absatz 2 das Recht der ungestörten Religionsausübung. Beide Absätze des Art. 4 GG enthalten ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht (vgl BVerfGE_24,236 <245 f>; BVerfGE_32,98 <106>; BVerfGE_44,37 <49>; BVerfGE_83,341 <354>). Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten (vgl BVerfGE_24,236 <245>). Dazu gehört auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze, sondern auch solche religiösen Überzeugungen, die ein Verhalten als das zur Bewältigung einer Lebenslage richtige bestimmen (vgl BVerfGE_32,98 <106 f>; BVerfGE_33,23 <28>; BVerfGE_41,29 <49>).

38

Die in Art. 4 Abs.1 und 2 GG verbürgte Glaubensfreiheit ist vorbehaltlos gewährleistet. Einschränkungen müssen sich daher aus der Verfassung selbst ergeben. Hierzu zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang (vgl BVerfGE_28,243 <260 f>; BVerfGE_41,29 <50 f>; BVerfGE_41,88 <107>; BVerfGE_44,37 <49 f, 53>; BVerfGE_52,223 <247>; BVerfGE_93,1 <21>). Die Einschränkung der vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit bedarf überdies einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage (vgl BVerfGE_83,130 <142>). 39

39

3. Auch Art.33 Abs.3 GG ist berührt. Danach ist die Zulassung zu öffentlichen Ämtern unabhängig von dem religiösen Bekenntnis (Satz 1); niemandem darf aus der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder zu einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen (Satz 2). Mithin ist ein Zusammenhang zwischen der Zulassung zu öffentlichen Ämtern und dem religiösen Bekenntnis ausgeschlossen. Art.33 Abs.3 GG richtet sich in erster Linie gegen eine Ungleichbehandlung, die unmittelbar an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion anknüpft. Darüber hinaus verbietet die Vorschrift jedenfalls auch, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern aus Gründen zu verwehren, die mit der in Art.4 Abs.1 und 2 GG geschützten Glaubensfreiheit unvereinbar sind (vgl BVerfGE_79,69 <75>). Dies schließt die Begründung von Dienstpflichten, die in die Glaubensfreiheit von Amtsinhabern und Bewerbern um öffentliche Ämter eingreifen und damit für glaubensgebundene Bewerber den Zugang zum öffentlichen Dienst erschweren oder ausschließen, nicht aus, unterwirft sie aber den strengen Rechtfertigungsanforderungen, die für Einschränkungen der vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit gelten; außerdem ist das Gebot strikter Gleichbehandlung der verschiedenen Glaubensrichtungen sowohl in der Begründung als auch in der Praxis der Durchsetzung solcher Dienstpflichten zu beachten.

40

4. a) Das Tragen eines Kopftuchs durch die Beschwerdeführerin auch in der Schule fällt unter den Schutz der in Art.4 Abs.1 und 2 GG verbürgten Glaubensfreiheit. Die Beschwerdeführerin betrachtet nach den von den Fachgerichten getroffenen und im Verfahren über die Verfassungsbeschwerde nicht angezweifelten tatsächlichen Feststellungen das Tragen eines Kopftuchs als für sich verbindlich von den Regeln ihrer Religion vorgegeben; das Befolgen dieser Bekleidungsregel ist für sie Ausdruck ihres religiösen Bekenntnisses. Auf die umstrittene Frage, ob und inwieweit die Verschleierung für Frauen von Regeln des islamischen Glaubens vorgeschrieben ist, kommt es nicht an. Zwar kann nicht jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der besonders geschützten Glaubensfreiheit angesehen werden; vielmehr darf bei der Würdigung eines vom Einzelnen als Ausdruck seiner Glaubensfreiheit reklamierten Verhaltens das Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft nicht außer Betracht bleiben (vgl BVerfGE_24,236 <247 f> ). Eine Verpflichtung von Frauen zum Tragen eines Kopftuchs in der Öffentlichkeit lässt sich nach Gehalt und Erscheinung als islamisch-religiös begründete Glaubensregel dem Schutzbereich des Art.4 Abs.1 und 2 GG hinreichend plausibel zuordnen (vgl dazu auch BVerfGE_83,341 <353>); dies haben die Fachgerichte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise getan.

41

b) Die Annahme, der Beschwerdeführerin fehle für die Wahrnehmung der Aufgaben einer Lehrerin an Grund- und Hauptschulen die erforderliche Eignung, weil sie in Widerspruch zu einer bestehenden Dienstpflicht in Schule und Unterricht ein Kopftuch tragen wolle, das ihre Zugehörigkeit zur islamischen Religionsgemeinschaft deutlich mache, und die darauf gegründete Verweigerung des Zugangs zu einem öffentlichen Amt wären mit Art.4 Abs.1 und 2 GG vereinbar, wenn der beabsichtigten Ausübung der Glaubensfreiheit Rechtsgüter von Verfassungsrang entgegenstünden und sich diese Begrenzung der freien Religionsausübung auf eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage stützen könnte. Als mit der Glaubensfreiheit in Widerstreit tretende Verfassungsgüter kommen hier neben dem staatlichen Erziehungsauftrag (Art.7 Abs.1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, das elterliche Erziehungsrecht (Art.6 Abs.2 GG) und die negative Glaubensfreiheit der Schulkinder (Art.4 Abs.1 GG) in Betracht.

42

aa) Das Grundgesetz begründet für den Staat als Heimstatt aller Staatsbürger in Art.4 Abs.1, Art.3 Abs.3 Satz 1, Art.33 Abs.3 sowie durch Art.136 Abs.1 und 4 und Art.137 Abs.1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (vgl.BVerfGE 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 33, 23 <28>; 93, 1 <17> ). Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten (vgl BVerfGE_19,1 <8>; BVerfGE_19,206 <216>; BVerfGE_24,236 <246>; BVerfGE_93,1 <17>) und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren (vgl BVerfGE_30,415 <422>; BVerfGE_93,1 <17>). Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist (vgl BVerfGE_41,29 <50>).

43

Die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität ist indes nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen. Art.4 Abs.1 und 2 GG gebietet auch in positivem Sinn, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern (vgl BVerfGE_41,29 <49>; BVerfGE_93,1 <16>). Der Staat darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden (vgl BVerfGE_93,1 <16 f>). Auch verwehrt es der Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität dem Staat, Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten (vgl BVerfGE_33,23 <29>).

44

Dies gilt nach dem bisherigen Verständnis des Verhältnisses von Staat und Religion, wie es in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seinen Niederschlag gefunden hat, insbesondere auch für den vom Staat in Vorsorge genommenen Bereich der Pflichtschule, für den seiner Natur nach religiöse und weltanschauliche Vorstellungen von jeher relevant waren (vgl BVerfGE_41,29 <49>; BVerfGE_52,223 <241> ). Danach sind christliche Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht schlechthin verboten; die Schule muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein (vgl BVerfGE_41,29 <51>; BVerfGE_52,223 <236 f>). In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität (vgl BVerfGE_41,29 <50>). Für die Spannungen, die bei der gemeinsamen Erziehung von Kindern unterschiedlicher Weltanschauungs- und Glaubensrichtungen unvermeidlich sind, muss unter Berücksichtigung des Toleranzgebots als Ausdruck der Menschenwürde (Art.1 Abs.1 GG) nach einem Ausgleich gesucht werden (vgl BVerfGE_41,29 <63>; BVerfGE_52,223 <247, 251>; BVerfGE_93,1 <21 ff>; vgl näher unten dd>).

45

bb) Art.6 Abs.2 Satz 1 GG garantiert den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht und umfasst zusammen mit Art.4 Abs.1 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht; daher ist es zuvörderst Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten (vgl BVerfGE_41,29 <44, 47 f>; BVerfGE_52,223 <236>; BVerfGE_93,1 <17>). Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fern zu halten, die den Eltern als falsch oder schädlich erscheinen (vgl BVerfGE_93,1 <17>). Jedoch enthält Art.6 Abs.2 GG keinen ausschließlichen Erziehungsanspruch der Eltern. Eigenständig und in seinem Bereich gleichgeordnet neben den Eltern übt der Staat, dem nach Art.7 Abs.1 GG die Aufsicht über das gesamte Schulwesen übertragen ist, in der Schule einen eigenen Erziehungsauftrag aus (vgl BVerfGE_34,165 <183>; BVerfGE_41,29 <44>). Wie dieser im Einzelnen zu erfüllen ist und insbesondere in welchem Umfang religiöse Bezüge in der Schule ihren Platz haben sollen, unterliegt innerhalb der vom Grundgesetz, vor allem in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, abgesteckten Grenzen der Gestaltungsfreiheit der Länder (vgl BVerfGE_41,29 <44, 47 f>; BVerfGE_52,223 <242 f>; vgl näher unten dd>).

46

cc) Schließlich trifft die von der Beschwerdeführerin in Anspruch genommene Freiheit der Betätigung ihrer Glaubensüberzeugung durch das Tragen des Kopftuchs in Schule und Unterricht auf die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler. Art.4 Abs.1 und 2 GG, der die negative wie die positive Äußerungsform der Glaubensfreiheit gleichermaßen schützt, gewährleistet auch die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fern zu bleiben; das bezieht sich auch auf Kulte und Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstellt. Art.4 GG überlässt es dem Einzelnen zu entscheiden, welche religiösen Symbole er anerkennt und verehrt und welche er ablehnt. Zwar hat er in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden ist aber eine vom Staat geschaffene Lage, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeit dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist (vgl BVerfGE_93,1 <15 f>). Insofern entfaltet Art.4 Abs.1 und 2 GG seine freiheitssichernde Wirkung gerade in Lebensbereichen, die nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen, sondern vom Staat in Vorsorge genommen worden sind (vgl BVerfGE_41,29 <49>); dies bekräftigt Art.140 GG in Verbindung mit Art.136 Abs.4 WRV, wonach es verboten ist, jemanden zur Teilnahme an religiösen Übungen zu zwingen.

47

dd) Das Grundgesetz lässt den Ländern im Schulwesen umfassende Gestaltungsfreiheit; auch in Bezug auf die weltanschaulich-religiöse Ausprägung der öffentlichen Schulen hat Art.7 GG die weit gehende Selbständigkeit der Länder und im Rahmen von deren Schulhoheit die grundsätzlich freie Ausgestaltung der Pflichtschule im Auge (vgl BVerfGE_41,29 <44 f>; BVerfGE_52,223 <242 f>). Das unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen positiver Glaubensfreiheit eines Lehrers einerseits und der staatlichen Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität, dem Erziehungsrecht der Eltern sowie der negativen Glaubensfreiheit der Schüler andererseits unter Berücksichtigung des Toleranzgebots zu lösen, obliegt dem demokratischen Landesgesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu suchen hat. Er muss sich bei seiner Regelung daran orientieren, dass einerseits im Bereich des Schulwesens Art.7 GG weltanschaulich-religiöse Einflüsse unter Wahrung des Erziehungsrechts der Eltern zulässt und dass andererseits Art.4 GG gebietet, bei der Entscheidung für eine bestimmte Schulform weltanschaulich-religiöse Zwänge so weit wie irgend möglich auszuschalten. Die Vorschriften sind zusammen zu sehen, ihre Interpretation und ihr Wirkungsbereich sind aufeinander abzustimmen. Dies schließt ein, dass die einzelnen Länder zu verschiedenen Regelungen kommen können, weil bei dem zu findenden Mittelweg auch Schultraditionen, die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre mehr oder weniger starke religiöse Verwurzelung berücksichtigt werden dürfen (vgl BVerfGE_41,29 <50 f>; BVerfGE_93,1 <22 f>).

48

Diese Grundsätze gelten auch für die Beantwortung der Frage, in welchem Umfang Lehrern unter Beschränkung ihres individuellen Grundrechts der Glaubensfreiheit für ihr Auftreten und Verhalten in der Schule Pflichten in Bezug auf die Wahrung der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates auferlegt werden dürfen.

49

5. Das Einbringen religiöser oder weltanschaulicher Bezüge in Schule und Unterricht durch Lehrkräfte kann den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Erziehungsauftrag, das elterliche Erziehungsrecht und die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler beeinträchtigen. Es eröffnet zumindest die Möglichkeit einer Beeinflussung der Schulkinder sowie von Konflikten mit Eltern, die zu einer Störung des Schulfriedens führen und die Erfüllung des Erziehungsauftrags der Schule gefährden können. Auch die religiös motivierte und als Kundgabe einer Glaubensüberzeugung zu interpretierende Bekleidung von Lehrern kann diese Wirkungen haben. Dabei handelt es sich aber lediglich um abstrakte Gefahren. Sollen bereits derartige bloße Möglichkeiten einer Gefährdung oder eines Konflikts aufgrund des Auftretens der Lehrkraft und nicht erst ein konkretes Verhalten, das sich als Versuch einer Beeinflussung oder gar Missionierung der anvertrauten Schulkinder darstellt, als Verletzung beamtenrechtlicher Pflichten oder als die Berufung in das Beamtenverhältnis hindernder Mangel der Eignung bewertet werden, so setzt dies, weil damit die Einschränkung des vorbehaltlos gewährten Grundrechts aus Art.4 Abs.1 und 2 GG einhergeht, eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage voraus, die dies erlaubt. Daran fehlt es hier.

50

a) Bei der Beurteilung der Frage, ob einer bestimmten Bekleidung oder anderen äußeren Zeichen ein religiöser oder weltanschaulicher Aussagegehalt nach Art eines Symbols zukommt, ist die Wirkung des verwendeten Ausdrucksmittels ebenso zu berücksichtigen wie alle dafür in Betracht kommenden Deutungsmöglichkeiten. Das Kopftuch ist - anders als das christliche Kreuz (vgl dazu BVerfGE_93,1 <19 f>) - nicht aus sich heraus ein religiöses Symbol. Erst im Zusammenhang mit der Person, die es trägt, und mit deren sonstigem Verhalten kann es eine vergleichbare Wirkung entfalten. Das von Musliminnen getragene Kopftuch wird als Kürzel für höchst unterschiedliche Aussagen und Wertvorstellungen wahrgenommen:

51

Neben dem Wunsch, als verpflichtend empfundene, religiös fundierte Bekleidungsregeln einzuhalten, kann es auch als ein Zeichen für das Festhalten an Traditionen der Herkunftsgesellschaft gedeutet werden. In jüngster Zeit wird in ihm verstärkt ein politisches Symbol des islamischen Fundamentalismus gesehen, das die Abgrenzung zu Werten der westlichen Gesellschaft, wie individuelle Selbstbestimmung und insbesondere Emanzipation der Frau, ausdrückt. Nach den auch in der mündlichen Verhandlung bestätigten tatsächlichen Feststellungen im fachgerichtlichen Verfahren ist das jedoch nicht die Botschaft, welche die Beschwerdeführerin mit dem Tragen des Kopftuchs vermitteln will.

52

Die in der mündlichen Verhandlung gehörte Sachverständige Frau Dr. Karakasoglu hat auf der Grundlage einer von ihr durchgeführten Befragung von etwa 25 muslimischen Pädagogikstudentinnen - davon zwölf Kopftuchträgerinnen - dargelegt, dass das Kopftuch von jungen Frauen auch getragen werde, um in einer Diasporasituation die eigene Identität zu bewahren und zugleich auf die Traditionen der Eltern Rücksicht zu nehmen; als Grund für das Tragen des Kopftuchs sei darüber hinaus der Wunsch genannt worden, durch ein Zeichen für sexuelle Nichtverfügbarkeit mehr eigenständigen Schutz zu erlangen und sich selbstbestimmt zu integrieren. Das Tragen des Kopftuchs solle zwar in der Öffentlichkeit den Stellenwert religiöser Orientierung im eigenen Lebensentwurf dokumentieren, werde aber als Ausdruck individueller Entscheidung begriffen und stehe nicht im Widerspruch zu einer modernen Lebensführung. Die Bewahrung ihrer Differenz ist nach dem Verständnis der befragten Frauen Voraussetzung ihrer Integration. Auf der Grundlage der von der Sachverständigen geführten und ausgewerteten qualitativen Interviews lassen sich zwar keine repräsentativen Aussagen für alle in Deutschland lebenden Musliminnen treffen; die Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass angesichts der Vielfalt der Motive die Deutung des Kopftuchs nicht auf ein Zeichen gesellschaftlicher Unterdrückung der Frau verkürzt werden darf. Vielmehr kann das Kopftuch für junge muslimische Frauen auch ein frei gewähltes Mittel sein, um ohne Bruch mit der Herkunftskultur ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Auf diesem Hintergrund ist nicht belegt, dass die Beschwerdeführerin allein dadurch, dass sie ein Kopftuch trägt, etwa muslimischen Schülerinnen die Entwicklung eines den Wertvorstellungen des Grundgesetzes entsprechenden Frauenbildes oder dessen Umsetzung im eigenen Leben erschweren würde.

53

Für die Beurteilung der Frage, ob die Absicht einer Lehrerin, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, einen Eignungsmangel begründet, kommt es darauf an, wie ein Kopftuch auf einen Betrachter wirken kann (objektiver Empfängerhorizont); deshalb sind alle denkbaren Möglichkeiten, wie das Tragen eines Kopftuchs verstanden werden kann, bei der Beurteilung zu berücksichtigen. Dies ändert aber nichts daran, dass die Beschwerdeführerin, die für ihre Entscheidung, in der Öffentlichkeit stets ein Kopftuch zu tragen, in plausibler Weise religiös motivierte Gründe angegeben hat, sich für dieses Verhalten auf den Schutz des Art.4 Abs.1 und 2 GG berufen kann, der in enger Beziehung zum obersten Verfassungswert der Menschenwürde (Art.1 Abs.1 GG) steht (vgl BVerfGE_52,223 <247>).

54

b) Im Hinblick auf die Wirkung religiöser Ausdrucksmittel ist danach zu unterscheiden, ob das in Frage stehende Zeichen auf Veranlassung der Schulbehörde oder aufgrund eigener Entscheidung von einer einzelnen Lehrkraft verwendet wird, die hierfür das individuelle Freiheitsrecht des Art.4 Abs.1 und 2 GG in Anspruch nehmen kann. Duldet der Staat in der Schule eine Bekleidung von Lehrern, die diese aufgrund individueller Entscheidung tragen und die als religiös motiviert zu deuten ist, so kann dies mit einer staatlichen Anordnung, religiöse Symbole in der Schule anzubringen, nicht gleichgesetzt werden (zu letzterem vgl BVerfGE_93,1 <18>). Der Staat, der eine mit dem Tragen eines Kopftuchs verbundene religiöse Aussage einer einzelnen Lehrerin hinnimmt, macht diese Aussage nicht schon dadurch zu seiner eigenen und muss sie sich auch nicht als von ihm beabsichtigt zurechnen lassen. Die Wirkung eines von der Lehrerin aus religiösen Gründen getragenen Kopftuchs kann allerdings deshalb besondere Intensität erreichen, weil die Schüler für die gesamte Dauer des Schulbesuchs mit der im Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens stehenden Lehrerin ohne Ausweichmöglichkeit konfrontiert sind. Andererseits kann der religiöse Aussagegehalt eines Kleidungsstücks von der Lehrkraft den Schulkindern differenzierend erläutert und damit in seiner Wirkung auch abgeschwächt werden.

55

c) Die Annahme einer Dienstpflichtverletzung wegen befürchteter bestimmender Einflüsse des Kopftuchs der Beschwerdeführerin auf die religiöse Orientierung der Schulkinder kann sich nicht auf gesicherte empirische Grundlagen stützen.

56

Der in der mündlichen Verhandlung dazu angehörte Sachverständige Professor Dr. Bliesener hat ausgeführt, dass es aus entwicklungspsychologischer Sicht derzeit noch keine gesicherten Erkenntnisse gebe, die eine Beeinflussung von Kindern allein durch die tägliche Begegnung mit einer Lehrerin belegen könnten, die in Schule und Unterricht ein Kopftuch trägt. Erst bei Hinzutreten von Konflikten zwischen Eltern und Lehrern, die im Zusammenhang mit dem Kopftuch der Lehrerin entstehen können, seien belastende Auswirkungen insbesondere auf jüngere Schülerinnen und Schüler zu erwarten. Die beiden anderen vom Senat angehörten Sachverständigen, Frau Psychologiedirektorin Leinenbach sowie Professor Dr. Riedesser, haben keine hiervon abweichenden Erkenntnisse vorgetragen. Eine derart ungesicherte Erkenntnislage reicht als Grundlage einer behördlichen Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Eignung, die erheblich in das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art.4 Abs.1 und 2 GG eingreift, nicht aus.

57

d) Für die Ablehnung der Beschwerdeführerin wegen mangelnder Eignung infolge ihrer Weigerung, das Kopftuch in Schule und Unterricht abzulegen, fehlt es jedenfalls an einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage.

58

Der von der Schulbehörde und den Fachgerichten angeführte Gesichtspunkt, die Absicht der Beschwerdeführerin, im Schuldienst ein Kopftuch tragen zu wollen, begründe deshalb einen Eignungsmangel, weil schon vorbeugend möglichen Beeinflussungen der Schülerinnen und Schüler entgegengewirkt und nicht auszuschließende Konflikte zwischen Lehrer und Schülern sowie deren Eltern von vornherein vermieden werden sollten, rechtfertigt gegenwärtig den Eingriff in das grundsrechtsgleiche Recht der Beschwerdeführerin aus Art.33 Abs.2 GG und die damit einhergehende Einschränkung ihrer Glaubensfreiheit nicht. Für eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens durch das Auftreten der Beschwerdeführerin mit Kopftuch sind im fachgerichtlichen Verfahren keine greifbaren Anhaltspunkte sichtbar geworden. Die Befürchtung, dass Konflikte mit Eltern auftreten könnten, welche die Unterrichtung ihrer Kinder durch eine ein Kopftuch tragende Lehrerin ablehnen, kann sich nicht auf Erfahrungen mit der bisherigen Lehrtätigkeit der Beschwerdeführerin als Referendarin stützen. Für ein mit der Abwehr abstrakter Gefährdungen begründetes Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, reicht die im Land Baden-Württemberg geltende beamten- und schulrechtliche Gesetzeslage nicht aus. Die Tatsache allein, dass Konflikte für die Zukunft nicht auszuschließen sind, rechtfertigt es nicht, ohne eine darauf zugeschnittene Rechtsgrundlage aus dem allgemeinen beamtenrechtlichen Erfordernis der Eignung eine Dienstpflicht abzuleiten, nach der die Beschwerdeführerin in Schule und Unterricht auf die Betätigung ihrer Glaubensüberzeugung durch das Tragen eines Kopftuchs zu verzichten hätte.

59

Beamtenrechtlich können nach dem oben unter B.II.4. b) aa) dargestellten Verständnis der Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität im Bereich der Schule weder der in § 11 Abs.1 LBG enthaltene Begriff der Eignung noch die in §§ 70 ff LBG für Beamte statuierten Pflichten, die bei der Eignungsbeurteilung eines Bewerbers um ein öffentliches Amt als Orientierung heranzuziehen sind, als Grundlage für eine Verpflichtung von Lehrern dienen, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Weltanschauung nicht äußerlich erkennbar werden zu lassen, um so möglichen Gefahren schon vorbeugend zu begegnen.

60

Nach § 70 Abs.1 Satz 1 LBG dient der Beamte dem ganzen Volk und hat nach Satz 2 der Vorschrift seine Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen sowie bei seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen. Er muss nach § 70 Abs.2 LBG sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes bekennen und für deren Einhaltung eintreten. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin durch das Tragen eines Kopftuchs hieran gehindert wäre. Auch das Mäßigungsgebot des § 72 LBG, wonach der Beamte bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren hat, die sich aus seiner Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten seines Amts ergeben, erfasst den Fall des religiös motivierten Tragens eines Kopftuchs nicht. Das selbe gilt für die Pflicht des Beamten, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen (§ 73 Satz 1 LBG), sein Amt uneigennützig nach bestem Gewissen zu verwalten (§ 73 Satz 2 LBG) und sein Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes danach auszurichten, dass es der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die sein Beruf erfordern (§ 73 Satz 3 LBG). Aus diesen allgemeinen beamtenrechtlichen Pflichten lässt sich ein grundrechtsbeschränkendes Verbot, als Lehrerin an einer öffentlichen Grund- und Hauptschule aus religiösen Gründen ein Kopftuch zu tragen, nicht herleiten. Schließlich besteht für Lehrer keine Regelung über eine bestimmte Dienstkleidung nach § 94 LBG.

61

Auch die Bestimmungen der Art.11 bis 22 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11.November 1953 (GBl S.173) über Erziehung und Unterricht sowie das Schulgesetz für Baden-Württemberg (SchG) in der Fassung vom 1.August 1983 (GBl S. 397), insbesondere dessen §§ 1 und 38, enthalten keine Regelung, aufgrund derer sich die allgemeinen beamtenrechtlichen Pflichten zu Mäßigung und Zurückhaltung für Lehrer zweifelsfrei dahin konkretisieren ließen, dass sie in der Schule keine Kleidung oder sonstige Zeichen tragen dürften, die ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft erkennen lassen. Damit fehlt es für eine Entscheidung, die Lehrerinnen islamischen Glaubens wegen ihrer erklärten Absicht, in der Schule ein Kopftuch zu tragen, die Eignung für den Dienst an Grund- und Hauptschulen abspricht und sie dadurch in ihrem Grundrecht aus Art.4 Abs.1 und 2 GG beschränkt, gegenwärtig an der notwendigen hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage.

62

6. Dem zuständigen Landesgesetzgeber steht es jedoch frei, die bislang fehlende gesetzliche Grundlage zu schaffen, etwa indem er im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben das zulässige Maß religiöser Bezüge in der Schule neu bestimmt. Dabei hat er der Glaubensfreiheit der Lehrer wie auch der betroffenen Schüler, dem Erziehungsrecht der Eltern sowie der Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität in angemessener Weise Rechnung zu tragen.

63

a) Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil u.a. hervorgehoben, dass das Neutralitätsgebot mit wachsender kultureller und religiöser Vielfalt - bei einem sich vergrößernden Anteil bekenntnisloser Schüler - zunehmend an Bedeutung gewinne und nicht etwa im Hinblick darauf aufzulockern sei, dass die kulturelle, ethnische und religiöse Vielfalt in Deutschland inzwischen auch das Leben in der Schule präge. In der mündlichen Verhandlung hat auch der Vertreter des Oberschulamts Stuttgart, Professor Dr F Kirchhof, ausgeführt, dass die Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität im Bereich der Schule angesichts der gewandelten Verhältnisse nunmehr strenger gehandhabt werden müsse.

64

Der mit zunehmender religiöser Pluralität verbundene gesellschaftliche Wandel kann Anlass zu einer Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Schule sein. Aus einer hierauf zielenden Regelung in den Schulgesetzen können sich dann für Lehrkräfte Konkretisierungen ihrer allgemeinen beamtenrechtlichen Pflichten auch in Bezug auf ihr äußeres Auftreten ergeben, soweit dieses ihre Verbundenheit mit bestimmten Glaubensüberzeugungen oder Weltanschauungen deutlich werden lässt. Insoweit sind unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben auch gesetzliche Einschränkungen der Glaubensfreiheit denkbar. Ist von vornherein absehbar, dass ein Bewerber solchen Verhaltensregeln nicht nachkommen wird, kann ihm dies dann als Mangel seiner Eignung entgegen gehalten werden.

65

Eine Regelung, die Lehrern untersagt, äußerlich dauernd sichtbar ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft oder Glaubensrichtung erkennen zu lassen, ist Teil der Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Religion im Bereich der Schule. Die gewachsene religiöse Vielfalt in der Gesellschaft spiegelt sich hier besonders deutlich wider. Die Schule ist der Ort, an dem unterschiedliche religiöse Auffassungen unausweichlich aufeinander treffen und wo sich dieses Nebeneinander in besonders empfindlicher Weise auswirkt. Ein tolerantes Miteinander mit Andersgesinnten könnte hier am nachhaltigsten durch Erziehung geübt werden. Dies müsste nicht die Verleugnung der eigenen Überzeugung bedeuten, sondern böte die Chance zur Erkenntnis und Festigung des eigenen Standpunkts und zu einer gegenseitigen Toleranz, die sich nicht als nivellierender Ausgleich versteht (vgl BVerfGE_41,29 <64>). Es ließen sich deshalb Gründe dafür anführen, die zunehmende religiöse Vielfalt in der Schule aufzunehmen und als Mittel für die Einübung von gegenseitiger Toleranz zu nutzen, um so einen Beitrag in dem Bemühen um Integration zu leisten. Andererseits ist die beschriebene Entwicklung auch mit einem größeren Potenzial möglicher Konflikte in der Schule verbunden. Es mag deshalb auch gute Gründe dafür geben, der staatlichen Neutralitätspflicht im schulischen Bereich eine striktere und mehr als bisher distanzierende Bedeutung beizumessen und demgemäß auch durch das äußere Erscheinungsbild einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von den Schülern grundsätzlich fern zu halten, um Konflikte mit Schülern, Eltern oder anderen Lehrkräften von vornherein zu vermeiden.

66

b) Wie auf die gewandelten Verhältnisse zu antworten ist, insbesondere, welche Verhaltensregeln in Bezug auf Kleidung und sonstiges Auftreten gegenüber den Schulkindern für Lehrerinnen und Lehrer zur näheren Konkretisierung ihrer allgemeinen beamtenrechtlichen Pflichten und zur Wahrung des religiösen Friedens in der Schule aufgestellt werden sollen und welche Anforderungen demgemäß zur Eignung für ein Lehramt gehören, hat nicht die Exekutive zu entscheiden. Vielmehr bedarf es hierfür einer Regelung durch den demokratisch legitimierten Landesgesetzgeber. Für die Beurteilung der tatsächlichen Entwicklungen, von der abhängt, ob gegenläufige Grundrechtspositionen von Schülern und Eltern oder andere Werte von Verfassungsrang eine Regelung rechtfertigen, die Lehrkräfte aller Bekenntnisse zu äußerster Zurückhaltung in der Verwendung von Kennzeichen mit religiösem Bezug verpflichten, verfügt nur der Gesetzgeber über eine Einschätzungsprärogative, die Behörden und Gerichte nicht für sich in Anspruch nehmen können (vgl BVerfGE_50,290 <332 f>; BVerfGE_99,367 <389 f>). Die Annahme, dass ein Verbot des Kopftuchtragens in öffentlichen Schulen als Element einer gesetzgeberischen Entscheidung über das Verhältnis von Staat und Religion im Schulwesen eine zulässige Einschränkung der Religionsfreiheit darstellen kann, steht auch im Einklang mit Art.9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (vgl Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Entscheidung vom 15.Februar 2001, NJW 2001, S.2871 ff).

67

aa) Die verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung folgt aus dem Grundsatz des Parlamentsvorbehalts. Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen (vgl BVerfGE_49,89 <126>; BVerfGE_61,260 <275>; BVerfGE_83,130 <142>). Wie weit der Gesetzgeber die für den fraglichen Lebensbereich erforderlichen Leitlinien selbst bestimmen muss, richtet sich nach dessen Grundrechtsbezug. Eine Pflicht dazu besteht, wenn miteinander konkurrierende grundrechtliche Freiheitsrechte aufeinander treffen und deren jeweilige Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind. Dies gilt vor allem dann, wenn die betroffenen Grundrechte - wie hier die positive und negative Glaubensfreiheit sowie das elterliche Erziehungsrecht - nach dem Wortlaut der Verfassung ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet sind und eine Regelung, welche diesen Lebensbereich ordnen will, damit notwendigerweise ihre verfassungsimmanenten Schranken bestimmen und konkretisieren muss. Hier ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Schranken der widerstreitenden Freiheitsgarantien jedenfalls so weit selbst zu bestimmen, wie eine solche Festlegung für die Ausübung dieser Freiheitsrechte wesentlich ist (vgl BVerfGE_83,130 <142>).

68

Wann es einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, lässt sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den dort verbürgten Grundrechten zu entnehmen (vgl BVerfGE_98,218 <251>). Zwar führt allein der Umstand, dass eine Regelung politisch umstritten ist, nicht dazu, dass diese als wesentlich verstanden werden müsste (vgl BVerfGE_98,218 <251>). Nach der Verfassung sind die Einschränkung von grundrechtlichen Freiheiten und der Ausgleich zwischen kollidierenden Grundrechten aber dem Parlament vorbehalten, um sicherzustellen, dass Entscheidungen von solcher Tragweite aus einem Verfahren hervorgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Ausmaß von Grundrechtseingriffen in öffentlicher Debatte zu klären (vgl BVerfGE_85,386 <403 f>).

69

Insbesondere im Schulwesen verpflichten Rechtsstaatsgebot und Demokratieprinzip des Grundgesetzes den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Schulverwaltung zu überlassen (vgl BVerfGE_40,237 <249>; BVerfGE_58,257 <268 f>). Das gilt auch und gerade dann, wenn und soweit auf gewandelte gesellschaftliche Verhältnisse und zunehmende weltanschaulich-religiöse Vielfalt in der Schule mit einer strikteren Zurückdrängung jeglicher religiöser Bezüge geantwortet und damit die staatliche Neutralitätspflicht innerhalb der von der Verfassung gezogenen Grenzen neu abgesteckt werden soll. Eine solche Entscheidung hat erhebliche Bedeutung für die Verwirklichung von Grundrechten im Verhältnis zwischen Lehrern, Eltern und Kindern sowie dem Staat.

70

bb) Eine Regelung, nach der es zu den Dienstpflichten einer Lehrerin gehört, im Unterricht auf das Tragen eines Kopftuchs oder anderer Erkennungsmerkmale der religiösen Überzeugung zu verzichten, ist eine im Sinne der Rechtsprechung zum Parlamentsvorbehalt wesentliche. Sie greift in erheblichem Maße in die Glaubensfreiheit der Betroffenen ein. Sie betrifft außerdem Menschen verschiedener Religionszugehörigkeit unterschiedlich intensiv, je nachdem, ob sie die Befolgung bestimmter Bekleidungssitten als zur Ausübung ihrer Religion gehörig ansehen oder nicht. Dementsprechend hat sie besondere Ausschlusswirkungen für bestimmte Gruppen. Wegen dieses Gruppenbezuges kommt der Begründung einer solchen Dienstpflicht für Lehrkräfte über ihre Bedeutung für die individuelle Grundrechtsausübung hinaus auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Ordnungsfunktion der Glaubensfreiheit wesentliche Bedeutung zu.

71

Schließlich bedarf die Einführung einer Dienstpflicht, die es Lehrern verbietet, in ihrem äußeren Erscheinungsbild ihre Religionszugehörigkeit erkennbar zu machen, auch deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, weil eine solche Dienstpflicht in verfassungsmäßiger - unter anderem mit Art. 33 Abs. 3 GG vereinbarer - Weise nur begründet und durchgesetzt werden kann, wenn Angehörige unterschiedlicher Religionsgemeinschaften dabei gleich behandelt werden. Dies ist nicht in gleichem Maße gewährleistet, wenn es den Behörden und Gerichten überlassen bleibt, über das Bestehen und die Reichweite einer solchen Dienstpflicht von Fall zu Fall nach Maßgabe ihrer Prognosen über das Einfluss- und Konfliktpotenzial von Erkennungsmerkmalen der Religionszugehörigkeit im Erscheinungsbild der jeweiligen Lehrkraft zu entscheiden. III.

72

Solange keine gesetzliche Grundlage besteht, aus der sich mit hinreichender Bestimmtheit ablesen lässt, dass für Lehrer an Grund- und Hauptschulen eine Dienstpflicht besteht, auf Erkennungsmerkmale ihrer Religionszugehörigkeit in Schule und Unterricht zu verzichten, ist auf der Grundlage des geltenden Rechts die Annahme fehlender Eignung der Beschwerdeführerin mit Art.33 Abs.2 in Verbindung mit Art.4 Abs.1 und 2 GG und Art.33 Abs.3 GG nicht vereinbar. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen verletzen deshalb die in diesen Vorschriften gewährleistete Rechtsposition der Beschwerdeführerin. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist aufzuheben und die Sache an das Bundesverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs.2 BVerfGG). Es ist zu erwarten, dass das Verfahren dort auf der Grundlage des gemäß § 127 Nr.2 BRRG revisiblen § 11 Abs.1 LBG zum Abschluss gebracht werden kann; der maßgebliche Begriff der Eignung ist dabei entsprechend den - gegebenenfalls veränderten - Vorgaben im Schulrecht des Landes auszulegen und anzuwenden."

 

Auszug aus BVerfG U, 24.09.03, - 2_BvR_1436/02 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.29 ff

§§§

03.038 Kalifatstaat

  1. BVerfG,     B, 02.10.03,     – 1_BvR_536/03 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.4, GG_Art.20 Abs.3, GG_Art.79 Abs.3

  4. Vereinigungsfreiheit - religiöse / Schranken / Einheit der Verfassung / Verbot / schwerwiegende Eingriffe.

 

LB 1) Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt, dass Art.4 Abs.1 und 2 GG, die Religionsfreiheit zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos garantiert.

 

LB 2) Nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung können auch den Freiheiten des Art.4 GG durch andere Bestimmungen des Grundgesetzes Grenzen gezogen werden (vgl BVerfGE_32,98 <107 f>; BVerfGE_33,23 <29>; BVerfGE_52,223 <246 f>). Solche Grenzen können sich vor allem aus kollidierenden Grundrechten anderer Grundrechtsträger (vgl BVerfGE_41,29 <50>; BVerfGE_52,223 <247>), aber auch aus anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgütern ergeben (vgl BVerfGE_28,243 <261>; stRspr). Dabei ist der Konflikt mit den anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu lösen, der fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren (vgl BVerfGE_93,1 <21> mwN).

 

LB 3) Die religiöse Vereinigungsfreiheit hat in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes besonderes Gewicht (vgl dazu BVerfGE_83,341 <354 f>; BVerfGE_105,279<293 f>). Das ist bei der Auseinandersetzung mit religiösen Gemeinschaften, die sich vereinsmäßig zusammengeschlossen haben und religiöse Ziele propagieren, auch dann zu beachten, wenn sich diese Gemeinschaften dem Staat sowie seiner Verfassungs- und Rechtsordnung gegenüber kritisch verhalten (vgl auch BVerfGE_105,279 <293 ff>).

 

LB 4) Mit Recht hat das Bundesverwaltungsgericht deshalb angenommen, dass der schwerwiegende Eingriff des Verbots einer religiösen Vereinigung nur gerechtfertigt ist, wenn er bei der Abwägung mit den Verfassungsgütern, die mit dem Verbot geschützt werden sollen, nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unerlässlich ist. Auch die Annahme, dass dies in der Regel der Fall sei, wenn sich die Vereinigung aktiv-kämpferisch gegen die in Art.79 Abs.3 GG genannten Verfassungsgrundsätze richtet, ist von Verfassungs wegen nicht grundsätzlich zu beanstanden.

§§§

03.039 Rechtliches Gehör

  1. BVerfG,     B, 07.10.03,     – 1_BvR_10/99 –

  2. BVerfGE_108,341 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.19 Abs.4, GG_Art.20 Abs.3, GG_Art.103 Abs.1;

  4. Rechtsschuztz - fachgerichtlicher / Gewährleistung / Anspruch auf rechtliches Gehör / Rechtsstaatsprinzip.

T-03-18

Zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung fachgerichtlichen Rechtsschutzes bei Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Umsetzung des Beschlusses des Plenums des Bundesverfassungsgerichts vom 30.April 2003 - 1 PBvU 1/02 -).

Abs.14

LB 2) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstößt es gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE_84,188 <190>; BVerfGE_86,133 <144 f>; BVerfGE_96,189 <204>).

Abs.20

LB 3) Wie das Plenum des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 30.April 2003 (BVerfG, NJW 2003, S.1924) entschieden hat, verstößt es gegen das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art.103 Abs.1 GG, wenn eine Verfahrensordnung bei entscheidungserheblichen Verstößen gegen das Verfahrensgrundrecht des Art.103 Abs.1 GG keine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit vorsieht.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1. Die Zivilprozessordnung in der Fassung, die bis zum 31.Dezember 2001 galt, war mit dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes insoweit unvereinbar, als sie eine Möglichkeit des Rechtsschutzes gegen Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch oberlandesgerichtliche Berufungsurteile außerhalb der streitwertabhängigen Revision nicht vorsah.
Das Urteil des Thüringer Oberlandesgerichts vom 11.Juni 1998 - 1 U 205/95 (24) - verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

2. Der Freistaat Thüringen hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.

* * *

T-03-18Gewandelte Rechtsauffassung

12

"Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie sich gegen das Urteil des Oberlandesgerichts wendet, begründet. Dagegen bleibt sie im Ergebnis ohne Erfolg, soweit auch der Beschluss des Bundesgerichtshofs angegriffen wird. I.

13

1. Das Urteil des Oberlandesgerichts verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Verfahrensgrundrecht aus Art.103 Abs.1 GG.

14

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstößt es gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE_84,188 <190>; BVerfGE_86,133 <144 f>; BVerfGE_96,189 <204>). Dies kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen (vgl BVerfGE_98,218 <263>).

15

Vorliegend konnten die Beschwerdeführer bereits im Hinblick auf die eindeutig formulierten Ausführungen in dem Hinweis- und Aufklärungsbeschluss des Oberlandesgerichts auf die Zulassung der Revision vertrauen, so dass kein Anlass bestand, zu der grundsätzlichen Bedeutung der Sache näher vorzutragen oder den Klagantrag auf einen revisiblen Betrag zu erweitern. Da das Oberlandesgericht die Revision gleichwohl ohne vorherigen - erneuten - Hinweis auf die nunmehr gewandelte Auffassung des Gerichts nicht zugelassen hat, handelt es sich um eine unzulässige Überraschungsentscheidung. Hierbei kann offen bleiben, ob der bei den Beschwerdeführern hervorgerufene Vertrauenstatbestand möglicherweise noch dadurch verstärkt worden ist, dass der neue Vorsitzende des Senats - so der unter Beweis gestellte Vortrag der Beschwerdeführer in der Verfassungsbeschwerde - in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, von einer so kraftvollen Äußerung des Hinweis- und Aufklärungsbeschlusses werde auch in der neuen Besetzung nicht abgewichen werden. Die Pflicht des Oberlandesgerichts, auf die gewandelte Anschauung hinzuweisen und Vortrag dazu zu ermöglichen, folgte bereits aus der vorherigen eindeutigen und schriftlichen Äußerung der Rechtsauffassung, die ein Vertrauen der Parteien in den Fortbestand dieser Auffassung rechtfertigte.

16

2. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts beruht auf dem Fehlen eines Hinweises auf die gewandelte Rechtsauffassung.

17

Die Möglichkeit einer anderen, für die Beschwerdeführer günstigen Entscheidung hätte sich aus weiterem tatsächlichen und rechtlichen Vortrag zur Zulassung der Revision gemäß § 546 Abs.1 ZPO aF ergeben können. Außerdem hätten die Beschwerdeführer auf Grund eines rechtzeitigen Hinweises die Möglichkeit gehabt, die Entscheidung des Gerichts durch eine Klageerweiterung revisibel zu machen, mithin durch eigenes prozessuales Verhalten den Zugang zu einer weiteren Instanz und zu einer Sachprüfung ihres Rechtsmittels zu erhalten. Denn gemäß § 545 Abs.1, § 546 Abs.1 ZPO aF bedurfte es einer Entscheidung zur Zulassung der Revision nur bei Urteilen, die einer Partei eine Beschwer von nicht mehr als 60.000 DM auferlegten.

18

3. Da die oberlandesgerichtliche Entscheidung bereits wegen des Gehörsverstoßes aufzuheben ist, braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob das Vorgehen des Oberlandesgerichts auch den Anspruch der Beschwerdeführer auf ein faires Verfahren (vgl BVerfGE_78,123 <126>) verletzt. II.

19

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs steht mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Justizgewährungsanspruch in Verbindung mit Art.103 Abs.1 GG nicht im Einklang. Sie beruht auf der Anwendung der Zivilprozessordnung in der Fassung, die bis zum 31.Dezember 2001 galt. Diese war mit dem Justizgewährungsanspruch unvereinbar, soweit in ihr eine Möglichkeit des Rechtsschutzes gegen Verletzungen des rechtlichen Gehörs durch oberlandesgerichtliche Berufungsurteile außerhalb der streitwertabhängigen Revision nicht vorgesehen war. Gleiches gilt für die seit dem 1.Januar 2002 geltende Gesetzesfassung, soweit sie eine solche Rechtsschutzmöglichkeit nicht vorsieht. Allerdings ist die bisherige Rechtslage in einer Übergangszeit bis zum 31.Dezember 2004 noch hinzunehmen.

20

1. Wie das Plenum des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 30.April 2003 (BVerfG, NJW 2003, S.1924) entschieden hat, verstößt es gegen das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art.103 Abs.1 GG, wenn eine Verfahrensordnung bei entscheidungserheblichen Verstößen gegen das Verfahrensgrundrecht des Art.103 Abs.1 GG keine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit vorsieht.

21

Die grundgesetzliche Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes, die nicht nur von Art.19 Abs.4 GG, sondern auch vom allgemeinen Justizgewährungsanspruch umfasst ist, sichert den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung. Das Grundgesetz sichert rechtliches Gehör im gerichtlichen Verfahren durch das Verfahrensgrundrecht des Art.103 Abs.1 GG. Garantiert ist den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im Prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Insbesondere sichert das Verfahrensgrundrecht, dass sie mit Ausführungen und Anträgen gehört werden. Dementsprechend bedeutsam für den Rechtsschutz ist die Möglichkeit der Korrektur einer fehlerhaften Verweigerung rechtlichen Gehörs. Dies setzt die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle der Beachtung des Verfahrensgrundrechts voraus. Das Risiko eines unendlichen Rechtswegs besteht nicht, da der Justizgewährungsanspruch nicht auch die Möglichkeit einer erneuten Kontrolle der Entscheidung garantiert, durch die der behauptete Rechtsverstoß überprüft wird.

22

Ist ein Verstoß gegen das Verfahrensgrundrecht aus Art.103 Abs.1 GG erfolgt, ermöglicht erst die Beseitigung dieses Verstoßes das Gehörtwerden im Verfahren. Die Überprüfung hat die Fachgerichtsbarkeit selbst vorzunehmen, der die rechtsprechende Gewalt in erster Linie anvertraut ist. Die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht eröffnet wegen des Grundsatzes der Subsidiarität (§ 90 Abs.2 Satz 1 BVerfGG) und des in den §§ 93a ff BVerfGG normierten Annahmeverfahrens für sich allein keine ausreichende Rechtsschutzmöglichkeit für die Beseitigung solcher Gehörsverstöße (vgl BVerfG, NJW 2003, S.1924 <1927 f>).

23

2. Die Zivilprozessordnung in der Fassung, die bis zum 31.Dezember 2001 galt, entsprach diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen insoweit nicht, als die Rüge der Verletzung des Verfahrensgrundrechts weder im allgemeinen Rechtsmittelverfahren noch mit Hilfe eines besonderen Rechtsbehelfs erhoben werden konnte.

24

Nach den §§ 545 bis 547 ZPO aF konnte eine Gehörsverletzung durch ein oberlandesgerichtliches Berufungsurteil nur im Rahmen einer ohnehin zulässigen Revision geltend gemacht werden. Dieses Rechtsmittel stand nicht zur Verfügung, wenn - wie hier - weder die Summe der Beschwer von 60.000 DM überschritten wurde noch das Oberlandesgericht die Revision zugelassen hatte. Die Gehörsverletzung selbst war kein eigenständiger Zulassungsgrund. Auch außerhalb der Revisionsvorschriften sah die Zivilprozessordnung insoweit keinen Rechtsbehelf zur Abhilfe von Gehörsverstößen vor.

25

Um Lücken im bisherigen Rechtsschutzsystem zu schließen, sind von der Rechtsprechung teilweise außerhalb des geschriebenen Rechts außerordentliche Rechtsbehelfe geschaffen worden (vgl den Überblick bei Vollkommer, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 22.Aufl, 2001, Einl Rn.103). Diese genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit jedoch nicht. Rechtsbehelfe müssen in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für den Bürger erkennbar sein (vgl BVerfG, NJW 2003, S.1924 <1928 f>). Das war für die Überprüfung einer behaupteten Verletzung des Verfahrensgrundrechts aus Art.103 Abs.1 GG im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht nicht der Fall. Da eine Rechtsbehelfsregelung fehlte, konnte der Bundesgerichtshof die Revision nicht zulassen. Allerdings verstieß die seinem Beschluss zu Grunde liegende Ausgestaltung der Zivilprozessordnung gegen den Justizgewährungsanspruch. Die Zurückweisung des Rechtsmittels der Beschwerdeführer beruhte auf der Anwendung einer Verfahrensordnung, die eine ausreichende Rechtsschutzmöglichkeit bei Gehörsverletzungen durch oberlandesgerichtliche Berufungsurteile nicht vorsah.

26

3. Mit der seit dem 1.Januar 2002 geltenden Neuregelung der Revisionszulassung (§ 543 Abs.2 ZPO) soll nach der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zwar auch die Möglichkeit zur Überprüfung von behaupteten Verstößen gegen das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs eröffnet werden (vgl BTDrucks 14/4722, S.67, 104). Der Gesetzgeber hat insofern jedoch keinen eigenständigen Revisionsgrund geschaffen. Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG können deshalb nur gerügt werden, wenn sie zu einem der allgemeinen Revisionszulassungsgründe des § 543 Abs.2 ZPO führen. Die Klärung, wie weit die Möglichkeit der Revision reicht, ist Aufgabe der Fachgerichte bei der Auslegung und Anwendung von § 543 Abs.2, § 544 ZPO. Nach der, im Einzelnen bisher allerdings nicht einheitlichen, Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl die Beschlüsse des V.Zivilsenats, BGH, NJW 2002, S.2957; NJW 2003, S.1943 <1946> und den Beschluss des XI.Zivilsenats, BGH, NJW 2003, S. 65 <68>) ist die Möglichkeit einer Revisionszulassung zur Überprüfung von Verstößen gegen Art.103 Abs.1 GG offenbar begrenzt.

27

4. Der Gesetzgeber ist nach der Entscheidung des Plenums verpflichtet, Lücken im Rechtsschutz gegenüber Gehörsverstößen zu schließen. Dies muss nicht notwendig zu einer Veränderung der Vorschriften über die Revisionszulassung führen. Es bleibt vielmehr der Entscheidung des Gesetzgebers überlassen, ob er den verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutz zur Wahrung des Art.103 Abs.1 GG durch die Möglichkeit einer Selbstkorrektur durch das Ausgangsgericht (iudex a quo) oder durch die Möglichkeit der Anrufung eines Rechtsmittelgerichts (iudex ad quem) eröffnet (vgl BVerfG, NJW 2003, S.1924 <1927 f>).

28

In der Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, die spätestens zum 31.Dezember 2004 zu erfolgen hat, kann die bisherige Rechtslage unter Einschluss der von der Rechtsprechung entwickelten außerordentlichen Rechtsbehelfe hingenommen werden. Sollte der Gesetzgeber keine rechtzeitige Neuregelung treffen, besteht nach Ablauf der erwähnten Frist die Möglichkeit, einen Antrag zu stellen, das Verfahren vor dem Gericht fortzusetzen, dessen Entscheidung wegen einer behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör angegriffen wird. Dieser Antrag ist binnen 14 Tagen seit Zustellung der Entscheidung zu stellen (vgl BVerfG, NJW 2003, S.1924 <1928 f>).

29

Da die geltende Rechtslage bis zum Ablauf der genannten Übergangsfrist noch hinzunehmen ist, können auch Entscheidungen, die - wie der angegriffene Beschluss des Bundesgerichtshofs - nach dem bis zum 31.Dezember 2001 maßgeblich gewesenen Recht ergangen sind, verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden. Die Verfassungsbeschwerde ist deshalb insoweit, als sie sich gegen diese Entscheidung richtet, zurückzuweisen (vgl BVerfGE_103,1 <20>)."

 

Auszug aus BVerfG B, 07.10.03, - 1_BvR_10/99 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.12 ff

§§§

03.040 Ehegattensplitting

  1. BVerfG,     B, 07.10.03,     – 1_BvR_246/93 –

  2. BVerfGE_108,351 = www.BVerfG.de

  3. GG_Art.6 Abs.1; BGB_§_1582, BGB_§_1578 Abs.1 S.1; EStG_§_32a Abs.5

  4. Ehegattensplitting / ehemaliger Ehegatte / Unterhalt / Berücksichtigung.

T-03-19

Zur Berücksichtigung steuerlicher Vorteile aus dem Ehegattensplitting bei der Bemessung des an den ehemaligen Ehegatten zu leistenden Unterhalts.

Abs.30

LB 2) Art.6 Abs.1 GG begründet als wertentscheidende Grundsatznorm für den gesamten Bereich des die Ehe betreffenden privaten und öffentlichen Rechts die Pflicht des Staates, die Ehe zu schützen und zu fördern

 

LB 3) Dabei gilt dieser Schutz unterschiedslos jeder Ehe (vgl BVerfGE_55,114 <128 f>).

 

LB 4) Nicht nur die bestehende Ehe, sondern auch die Folgewirkungen einer geschiedenen Ehe werden durch Art.6 Abs.1 GG geschützt (vgl BVerfGE_53,257 <296>).

 

LB 5) Wegen der Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit einer geschiedenen mit einer erneut geschlossenen Ehe bei jeweils unterschiedlichen, auch widerstreitenden Interessenlagen, die aus ihrer Aufeinanderfolge herrühren und die es gleichermaßen zu schützen gilt, lassen sich aus Art.6 Abs.1 GG für die Ausgestaltung der jeweiligen Rechtspositionen durch den Gesetzgeber keine besonderen Anforderungen herleiten (vgl BVerfGE_66,84 <94 f>).

 

LB 6) Der Gesetzgeber kann grundsätzlich selbst bestimmen, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen Schutz der Ehe unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ehekonstellationen verwirklichen will (vgl BVerfGE_87,1 <36>).

 

LB 7) Zu prüfen ist lediglich, ob es für eine Verschiedenbehandlung von Ehen durch den Gesetzgeber hinreichende Gründe gibt.

Abs.33

LB 8) Da Art.6 Abs.1 GG auch der geschiedenen Ehe Schutz zukommen lässt, der sich auf Unterhaltsansprüche nach der Scheidung als Folgewirkung der personalen Verantwortung der Ehegatten füreinander erstreckt, ist es, wie das Bundesverfassungsgericht schon entschieden hat (vgl BVerfGE_66,84), verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber beim Aufeinandertreffen von Unterhaltsansprüchen aus der geschiedenen und aus der neuen Ehe eines Unterhaltspflichtigen dem geschiedenen Unterhaltsberechtigten mit § 1582 BGB einen Vorrang eingeräumt hat.

Abs.34

LB 9) Ebenso aber kann der Gesetzgeber einer bestehenden Ehe Vorteile einräumen, die er einer geschiedenen Ehe vorenthält. Nur bei zusammenlebenden Ehegatten kann er davon ausgehen, dass sie grundsätzlich zusammen eine Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs bilden, in der die Ehegatten jeweils an den Einkünften wie Lasten des anderen teilhaben (vgl BVerfGE_61,319 <345 f>).

Abs.35

LB 10) Steuerliche Vorteile, deren Entstehen vom Eheschluss ausgelöst werden, die das Zusammenleben der Ehegatten voraussetzen und die der Gesetzgeber in Konkretisierung seines Schutzauftrags allein der bestehenden Ehe einräumt, dürfen ihr durch die Gerichte nicht dadurch wieder entzogen werden, dass sie der geschiedenen Ehe zugeordnet werden und über die Unterhaltsberechnung auch den Unterhalt des geschiedenen Ehegatten erhöhen.

Abs.39

LB 11) Die angegriffenen Urteile verkennen Art.6 Abs.1 GG schon allein deshalb, weil sie einen steuerlichen Vorteil, der sich aus dem Steuersplitting gemäß § 32a Abs.5 EStG ergeben kann, der geschiedenen Ehe haben zukommen lassen.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

I. 1. Im Verfahren 1 BvR 246/93 verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 13.Januar 1993 - 1 UF 78/92 - den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Braunschweig zurückverwiesen.

2. Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

II. 1. Im Verfahren 1 BvR 2298/94 verletzen das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 27.Oktober 1994 - 16 UF 181/94 - und das Urteil des Amtsgerichts Waiblingen vom 21.April 1994 - 11 F 72/94 - den Beschwerdeführer zu 1 in seinem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Urteile werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Waiblingen zurückverwiesen.

2. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2 wird verworfen.

3. Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer zu 1 die notwendigen Auslagen zu erstatten.

* * *

T-03-19Ehegattensplitting

30

"Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind auch begründet. Die angegriffenen Entscheidungen halten der verfassungsgerichtlichen Prüfung am Maßstab des Art.6 Abs.1 GG nicht stand. I.

31

Der vom Gesetzgeber einerseits der geschiedenen Ehe durch die Unterhaltsregelungen und andererseits der bestehenden Ehe durch die steuerrechtlichen Regelungen gewährte Schutz steht mit der Gleichwertigkeit von Ehen nach Art.6 Abs.1 GG in Einklang (1 und 2). Steuerliche Vorteile, die in Konkretisierung des Schutzauftrags aus Art.6 Abs.1 GG gesetzlich allein der bestehenden Ehe eingeräumt sind, dürfen ihr durch die Gerichte nicht wieder entzogen und an die geschiedene Ehe weitergegeben werden (3).

32

1. Art.6 Abs.1 GG begründet als wertentscheidende Grundsatznorm für den gesamten Bereich des die Ehe betreffenden privaten und öffentlichen Rechts die Pflicht des Staates, die Ehe zu schützen und zu fördern (vgl BVerfGE_6,55 <76>; BVerfGE_28,104 <113>; BVerfGE_82,60 <81>; BVerfGE_87,1 <35>; BVerfGE_105,313 <346>). Dabei gilt dieser Schutz unterschiedslos jeder Ehe (vgl BVerfGE_55,114 <128 f>). Nicht nur die bestehende Ehe, sondern auch die Folgewirkungen einer geschiedenen Ehe werden durch Art.6 Abs.1 GG geschützt (vgl BVerfGE_53,257 <296>). Wegen der Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit einer geschiedenen mit einer erneut geschlossenen Ehe bei jeweils unterschiedlichen, auch widerstreitenden Interessenlagen, die aus ihrer Aufeinanderfolge herrühren und die es gleichermaßen zu schützen gilt, lassen sich aus Art.6 Abs.1 GG für die Ausgestaltung der jeweiligen Rechtspositionen durch den Gesetzgeber keine besonderen Anforderungen herleiten (vgl BVerfGE 66,84 <94 f>). Der Gesetzgeber kann grundsätzlich selbst bestimmen, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen Schutz der Ehe unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ehekonstellationen verwirklichen will (vgl BVerfGE_87,1 <36>). Zu prüfen ist lediglich, ob es für eine Verschiedenbehandlung von Ehen durch den Gesetzgeber hinreichende Gründe gibt. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden, ob der Gesetzgeber die gerechteste oder zweckmäßigste Regelung getroffen, sondern ob er die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt hat (vgl BVerfGE_52,277 <281>), die auch mit dem Grundsatz der Gleichwertigkeit der Ehen durch Art.6 Abs.1 GG gesetzt sind.

33

2. a) Da Art.6 Abs.1 GG auch der geschiedenen Ehe Schutz zukommen lässt, der sich auf Unterhaltsansprüche nach der Scheidung als Folgewirkung der personalen Verantwortung der Ehegatten füreinander erstreckt, ist es, wie das Bundesverfassungsgericht schon entschieden hat (vgl BVerfGE_66,84 ), verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber beim Aufeinandertreffen von Unterhaltsansprüchen aus der geschiedenen und aus der neuen Ehe eines Unterhaltspflichtigen dem geschiedenen Unterhaltsberechtigten mit § 1582 BGB einen Vorrang eingeräumt hat. Er hat damit dem Umstand Rechnung getragen, dass der Anspruch des geschiedenen Ehegatten schon bestanden hat, bevor die neue Ehe eingegangen worden ist, beide neuen Ehepartner von dieser wirtschaftlichen Last aus der ersten Ehe gewusst haben und sich insoweit darauf haben einrichten können (vgl BVerfG, aaO, S.98). Dies sind nach wie vor hinreichende Gründe, die die unterschiedliche unterhaltsrechtliche Behandlung von geschiedenen und verheirateten Unterhaltsberechtigten rechtfertigen.

34

b) Ebenso aber kann der Gesetzgeber einer bestehenden Ehe Vorteile einräumen, die er einer geschiedenen Ehe vorenthält. Nur bei zusammenlebenden Ehegatten kann er davon ausgehen, dass sie grundsätzlich zusammen eine Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs bilden, in der die Ehegatten jeweils an den Einkünften wie Lasten des anderen teilhaben (vgl BVerfGE_61,319 <345 f>). Nur in dieser Erwerbsgemeinschaft erbringt auch der Nichterwerbstätige einen Beitrag zum gemeinsamen Lebensunterhalt.

35

3. Steuerliche Vorteile, deren Entstehen vom Eheschluss ausgelöst werden, die das Zusammenleben der Ehegatten voraussetzen und die der Gesetzgeber in Konkretisierung seines Schutzauftrags allein der bestehenden Ehe einräumt, dürfen ihr durch die Gerichte nicht dadurch wieder entzogen werden, dass sie der geschiedenen Ehe zugeordnet werden und über die Unterhaltsberechnung auch den Unterhalt des geschiedenen Ehegatten erhöhen.

36

a) Die Auslegung und Anwendung gesetzlicher Vorschriften ist Sache der Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht kontrolliert insoweit nur, ob - von Verstößen gegen das Willkürverbot abgesehen - bei Auslegung und Anwendung einfachen Rechts der Einfluss der Grundrechte grundlegend verkannt ist (vgl BVerfGE_18,85 <92 f, 96>; BVerfGE_85,248 <257 f>). Dies gilt auch für Normen, die der Gesetzgeber zur Ausgestaltung des Grundrechtsschutzes erlassen hat (vgl BVerfGE_53,30 <57 f>). Bei Vorschriften, die grundrechtliche Schutzpflichten erfüllen sollen, ist das maßgebende Grundrecht dann verletzt, wenn ihre Auslegung und Anwendung den vom Grundrecht vorgezeichneten Schutzzweck grundlegend verfehlen (vgl BVerfGE_89,276 <285 f>).

37

Differenziert der Gesetzgeber in Erfüllung und Ausgestaltung seiner Verpflichtung aus Art.6 Abs.1 GG zwischen geschiedenen und bestehenden Ehen und gewährt er ihnen unterschiedliche Vorteile, mit denen er ihrer jeweiligen Bedarfslage gerecht werden will, haben die Gerichte dies bei ihren Entscheidungen zu beachten. Das folgt aus dem Gebot des Art.6 Abs.1 GG, jeder Ehe Schutz zukommen zu lassen, der in der jeweiligen gesetzlichen Ausformung seine Konkretisierung findet.

38

b) Mit dem Geschiedenenunterhalt hat der Gesetzgeber zwar der personalen Verantwortung der Ehegatten auch nach der Scheidung Ausdruck verliehen und die Unterhaltslast des gegenüber seinem geschiedenen Ehegatten Unterhaltspflichtigen auch dessen neuer Ehe aufgebürdet. Er hat jedoch mit § 1578 Abs.1 Satz 1 BGB das Maß des Unterhalts eines geschiedenen Ehegatten an den ehelichen Lebensverhältnissen ausgerichtet und damit auf diejenige Einkommenssituation beschränkt, die die Ehe der früheren Ehegatten bis zu deren Scheidung bestimmt hat. Dies schließt es nach dem Willen des Gesetzgebers aus, solche Vorteile bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts zu berücksichtigen, die nicht aus der geschiedenen Ehe herrühren und weiterbestehen, sondern erst mit einem neuen Eheschluss entstanden sind.

39

c) Die Ausgangsfälle bieten keinen Anlass, zu den Verfassungsfragen des Ehegattensplittings Stellung zu nehmen, denn sie sind nicht entscheidungserheblich. Die angegriffenen Urteile verkennen Art.6 Abs.1 GG schon allein deshalb, weil sie einen steuerlichen Vorteil, der sich aus dem Steuersplitting gemäß § 32a Abs.5 EStG ergeben kann, der geschiedenen Ehe haben zukommen lassen.

40

Der Gesetzgeber hat den Vorteil, der aus dem Steuersplitting folgen kann, der bestehenden Ehe von gemeinsam steuerlich veranlagten und zusammenlebenden Ehegatten zugewiesen. Der Splittingtarif kommt deshalb zum Wegfall, wenn die Eheleute dauerhaft getrennt leben oder sich scheiden lassen. Um eine gleichzeitig mit dem Wegfall des Splittingvorteils durch einen Unterhaltsanspruch des getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten eintretende Belastung des Unterhaltspflichtigen steuerlich aufzufangen, hat der Gesetzgeber geschiedenen Ehegatten die Möglichkeit des Realsplittings eingeräumt, die so lange eröffnet ist, wie die Unterhaltsverpflichtung besteht, ungeachtet einer Wiederheirat des Unterhaltspflichtigen. Geht dieser aber eine neue Ehe ein, ist dies bei Zusammenveranlagung der Ehegatten anspruchsbegründender Tatbestand für den Eintritt eines möglichen Splittingvorteils. Dabei handelt es sich nicht um ein Wiederaufleben des steuerlichen Splittingvorteils, in dessen Genuss die geschiedenen Ehegatten bei Bestehen ihrer Ehe gekommen waren oder hätten kommen können. Vielmehr entsteht mit der neuen Ehe eine neue Einkommenskonstellation zwischen den nunmehr miteinander verbundenen Ehegatten, die maßgeblich dafür ist, ob und inwieweit ihre Ehe durch das Splittingverfahren steuerliche Vorteile erfährt. Der neuen Ehe und nicht der geschiedenen Ehe des wiederverheirateten Unterhaltspflichtigen soll also eine steuerliche Entlastung zuteil werden. Dass diese Entlastung und das der neuen Ehe insoweit steuerlich belassene Einkommen auch der Abdeckung von Verpflichtungen der Ehegatten dienen können und damit gegebenenfalls auch der Pfändung unterliegen, ändert nichts daran, dass der Gesetzgeber die steuerliche Entlastung der neuen Ehe und nicht der geschiedenen Ehe zugewiesen hat. Hätte er unterhaltsrechtlich die Zuordnung zur geschiedenen Ehe beabsichtigt, hätte er dies ausdrücklich gesetzlich regeln müssen. Dies hat er aber gerade nicht getan, sondern ausschließlich bestehenden Ehen den Splittingvorteil eingeräumt und geschiedene Ehen auf das Realsplitting verwiesen. Eine solche gesetzgeberische Ausgestaltung entspricht dem Schutzauftrag nach Art.6 Abs.1 GG, der auch bei der Auslegung von § 1578 Abs.1 Satz 1 BGB zu beachten ist. II.

41

1. Dies haben die Gerichte bei der Interpretation von § 1578 Abs.1 Satz 1 BGB in den mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Entscheidungen grundlegend verkannt. Sie haben den neuen Ehen der Beschwerdeführer den Schutz nach Art.6 Abs.1 GG, der ihnen in Ausformung dieses grundgesetzlichen Auftrags durch den Gesetzgeber zukommt, dadurch entzogen, dass sie bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs das um den Splittingvorteil für die neue Ehe erhöhte Einkommen des wiederverheirateten Unterhaltspflichtigen real berücksichtigt oder fiktiv in Ansatz gebracht haben, weil sie der Auffassung sind, dieser Vorteil müsse auch der geschiedenen Ehefrau des Unterhaltspflichtigen zugute kommen. Sie haben zugleich den der neuen Ehe gewährten Steuervorteil der geschiedenen Ehe zugute gebracht, obwohl der Gesetzgeber damit gerade der nunmehr bestehenden neuen Ehe den Schutz hat zukommen lassen wollen, der auch ihr nach Art.6 Abs.1 GG gebührt.

42

a) Es gibt keinen Grund für die Annahme, Vorteile, die der neuen Ehe eines geschiedenen Unterhaltspflichtigen erwachsen, seien schon in dessen früherer Ehe angelegt gewesen und hätten die Lebensverhältnisse der nunmehr Geschiedenen bestimmt. Zwar hat in den letzten Jahrzehnten die Scheidungsrate und damit auch die Zahl von Wiederverheiratungen zugenommen. Es wäre aber schon wegen der Dauerhaftigkeit, die die Ehe grundsätzlich auszeichnet, unzulässig und würde auch durch keine Anhaltspunkte in der Wirklichkeit gestützt, wenn man deshalb unterstellen wollte, mit einer eingegangenen Ehe sei zugleich deren mögliches Scheitern sowie eine darauf folgende neue Ehe mitgedacht und würden nicht nur das Verhalten der Ehegatten, sondern auch deren Einkommensverhältnisse geprägt.

43

b) Der geschiedene unterhaltsberechtigte Ehegatte erfährt auch keine Benachteiligung durch ein Belassen des Steuervorteils bei der neuen Ehe. Sein Unterhaltsanspruch bleibt dem des mit dem Unterhaltspflichtigen nunmehr Verheirateten vorrangig, bemisst sich allerdings allein an der Einkommenssituation in der geschiedenen Ehe. Dass dabei nicht mehr der Steuervorteil Berücksichtigung findet, der auch der geschiedenen Ehe während ihres Bestehens zugeflossen sein kann, ist Folge der Regelung, nach der die gemeinsame steuerliche Veranlagung nur bei zusammenlebenden Ehegatten erfolgen kann, und nicht Folge der Wiederverheiratung des Unterhaltspflichtigen.

44

c) Schließlich können auch Praktikabilitätserwägungen nicht rechtfertigen, der neuen Ehe des Unterhaltspflichtigen den ihr in Ausgestaltung des Schutzes aus Art.6 Abs.1 GG vom Gesetzgeber zugedachten Steuervorteil dadurch zu entziehen, dass der Unterhaltspflichtige auch mit diesem Vorteil zur Unterhaltszahlung an seinen geschiedenen Ehegatten herangezogen wird. Zwar ist es für die Unterhaltsberechnung einfacher, vom tatsächlich erzielten Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen auszugehen, das der monatlichen Gehaltsabrechnung entnommen werden kann. Die Rechtsprechung stellt aber diese Erwägungen selbst hintan, wenn die in der neuen Ehe des Unterhaltspflichtigen gewählte Steuerklassenkombination nicht vorrangig bei diesem den Splittingvorteil schon beim monatlichen Steuerabzug eintreten lässt, und berechnet hier das der Unterhaltsbemessung zugrunde zu legende Einkommen fiktiv. Ebenso verfährt sie, wenn ein Mangelfall vorliegt. Auch im Übrigen ist aber eine etwas schwierigere, jedoch mögliche und durch Technik und Programme unterstützte Berechnung kein hinreichender Grund, Steuervorteile in Abweichung von der gesetzgeberischen Absicht zuzuordnen.

45

2. a) Den Verfassungsbeschwerden ist deshalb stattzugeben. Soweit die mit ihnen angegriffenen Entscheidungen auf der Verkennung von Art.6 Abs.1 GG beruhen, sind sie nach § 95 Abs.2 BVerfGG aufzuheben. Im Verfahren 1_BvR_246/93 wird die Sache an das Oberlandesgericht, im Verfahren 1 BvR 2298/94 an das Amtsgericht zurückverwiesen. Die Gerichte werden sicherzustellen haben, dass der den neuen Ehen der Beschwerdeführer eingeräumte Splittingvorteil auch bei diesen verbleibt. Wie sie dies vornehmen, haben sie zu entscheiden.

46

b) Mit der Aufhebung werden die angegriffenen Entscheidungen rückwirkend beseitigt und das Ausgangsverfahren in den Stand vor ihrem Erlass zurückversetzt. Bei einer etwaigen Rückforderung überzahlten Unterhalts seitens der Beschwerdeführer haben die Fachgerichte gegebenenfalls zu prüfen, ob sich die Unterhaltsberechtigten auf den Wegfall der Bereicherung berufen können (vgl dazu BGH, FamRZ 1998, S.951; NJW 2000, S.740).

47

Für Unterhaltstitel, die nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerdeverfahren sind, folgt die auf die Zukunft beschränkte Rechtsfolgenwirkung aus § 323 Abs.3 Satz 1 ZPO beziehungsweise aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl NJW 2001, S.3618 <3621>; NJW 2003, S.1181 <1182>)."

 

Auszug aus BVerfG B, 07.10.03, - 1_BvR_246/93 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.30 ff

§§§

03.041 Briefbeförderung

  1. BVerfG,     B, 07.10.03,     – 1_BvR_1712/01 –

  2. BVerfGE_108,370 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.12 Abs.1, GG_Art.87f Abs.2 S,1, GG_Art.143b Abs.2 S.1;

  4. Postdienstleistungen / Erbringung / monopolisierter Bereich / Wettbewerbsprinzip / Ausschließlichkeitsrechte.

 

1) Die Ermächtigung zur Übertragung ausschließlicher Rechte für die Erbringung von Postdienstleistungen nach Art.143b Abs.2 Satz 1 GG verdrängt Art.12 Abs.1 GG in dem monopolisierten Bereich.

 

2) Art.87f Abs.2 Satz 1 GG legt die Erbringung von Postdienstleistungen nicht uneingeschränkt auf das Wettbewerbsprinzip fest.

 

3) Die übergangsweise Einräumung von Ausschließlichkeitsrechten an die Deutsche Post AG im Bereich der Beförderung von Briefen und adressierten Katalogen durch die Regelungen des Postgesetzes ist mit Art.143b Abs.2 Satz 1 GG vereinbar.

§§§

03.042 Bund-Länder-Streit

  1. BVerfG,     B, 07.10.03,     – 2_BvG_1/02 –

  2. BVerfGE_109,1 = www.BVerfG.de

  3. BVerfGG_§_13 Nr.7, BVerfGG_§_69, BVerfGG_§_64 Abs.3; VwGO_§_50 Abs.1 Nr.1 VwGO_§_50 Abs.3

  4. Bund-Länder-Streit / BVerwG / verfassungsrechtliche Streitigkeit / Antragsffrist.

 

Wird in einer Streitigkeit zwischen dem Bund und einem Land zunächst das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 50 Abs.1 Nr.1 VwGO angerufen und stellt das Bundesverfassungsgericht auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 50 Abs.3 VwGO den verfassungsrechtlichen Charakter der Streitigkeit fest, ist die für verfassungsrechtliche Streitigkeiten im Sinne von § 13 Nr.7 BVerfGG geltende Antragsfrist gemäß § 69, § 64 Abs.3 BVerfGG nur dann gewahrt, wenn die Klage zum Bundesverwaltungsgericht binnen sechs Monaten nach Bekanntwerden der beanstandeten Maßnahme oder Unterlassung erhoben worden ist.

§§§

03.043 Einweisungsverfügung

  1. BVerfG,     B, 10.10.03,     – 2_BvL_7/02 –

  2. www.BVerfG.de

  3. BBesG_§_19 Abs.1 S.2; VwGO_§_42 Abs.1; LHO_§_49/2, LHO_§_115;

  4. Amtsbezeichnung / mehrere Besoldungsgruppen / Grundgehalt / Einweisungsverfügung / Verpflichtungsklage

T-03-20

LB 1) Da das Amt im statusrechtlichen Sinne sowohl bei einem Beamten als auch bei einem Richter unter anderem durch die Besoldungsgruppe mit ihrem Endgrundgehalt bestimmt wird, handelt es sich auch um mehrere Ämter im statusrechtlichen Sinne, wenn dieselbe Amtsbezeichnung in mehreren Besoldungsgruppen aufgeführt ist. Gemäß § 19 Abs.1 Satz 2 BBesG bestimmt sich dann das Grundgehalt nach der Besoldungsgruppe, die in der Einweisungsverfügung genannt ist.

Abs.8

LB 2) Damit kann aber die Einweisungsverfügung in diesen Fällen nicht nur haushaltsrechtliche, sondern eine den Status des Beamten oder Richters berührende, rechtsbegründende Bedeutung haben. Für die erstmalige Übertragung eines Amtes mit einer mehreren Besoldungsgruppen zugewiesenen Amtsbezeichnung wird angenommen, dass - wenn die Besoldungsgruppe nicht in einem gesonderten Verwaltungsakt benannt wird - die Einweisungsverfügung den Ernennungsakt hinsichtlich der Besoldungsgruppe konkretisiert und so einen die Ernennung ergänzenden Verwaltungsakt darstellt.

 

LB 3) Für den Parallelfall, dass unter Beibehaltung der Amtsbezeichnung eine andere, höhere Besoldungsgruppe zugewiesen wird, wird in der Einweisungsverfügung ein ernennungsähnlicher (oder beförderungsgleicher) Verwaltungsakt gesehen, der zwar nicht der Form der Ernennung bedarf, aber ebenfalls den Status berührt.

 

LB 4) In beiden Fällen hat dies zum einen die prozessuale Folge, dass die Klage auf "Einweisung" hier nicht als allgemeine Leistungsklage, sondern nur als Verpflichtungsklage zulässig ist.

Abs.8

LB 5) Die in besonderen Fällen mit der Einweisung verbundene beamtenrechtliche Statusbestimmung oder -änderung kann nicht rückwirkend erfolgen.

* * *

T-03-20Rückwirkende Einweisung

17

"2. Das vorlegende Gericht verhält sich nicht zu der Frage, ob die vom Kläger mit dem Hauptantrag verfolgte rückwirkende Einweisung in die Besoldungsgruppe R 8 zum 1.Februar 1996 und Bezahlung von Bezügen nach R 8 ab 1.Februar 1996 rechtlich überhaupt möglich wäre, obwohl dies als höchst zweifelhaft erscheint.

18

Der Vorlagebeschluss knüpft den Zahlungsanspruch entsprechend dem Wortlaut des Hauptantrags an eine entsprechende Einweisung in die Besoldungsgruppe R 8 zum 1.Februar 1996. Die Klage auf rückwirkende Einweisung soll in Form der allgemeinen Leistungsklage zulässig sein, weil die Einweisung eine interne haushaltsrechtliche Maßnahme ohne Außenwirkung sei (Vorlagebeschluss S.6). Schon hier fehlt jede Auseinandersetzung mit der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung, dass die Einweisung in eine Besoldungsgruppe dann eine Doppelnatur haben kann, wenn ein Amt und eine Amtsbezeichnung nach der Besoldungsordnung mehreren Besoldungsgruppen zugeordnet ist (vgl Schwegmann/Summer, Bundesbesoldungsgesetz, Bd.II, Stand: April 2003, § 19 BBesG Rn.8; für beförderungsgleiche Maßnahmen: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 2.Dezember 1975, ZBR 1976, S.155 f.; Clemens/Millack/Engelking/Lantermann/Henkel, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, Bd.I, Stand: April 2003, § 3 BBesG Anm.3 a). Da das Amt im statusrechtlichen Sinne sowohl bei einem Beamten als auch bei einem Richter unter anderem durch die Besoldungsgruppe mit ihrem Endgrundgehalt bestimmt wird (Clemens/Millack/Engelking/Lantermann/Henkel, aaO, § 18 Anm.4.1; Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, Kommentar zum Bundesbeamtengesetz, Bd.1, Stand: Juli 2003, § 6 Rn.16 jeweils mwN; vgl. auch Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, 5.Auflage, 1995, § 27 Rn.5), handelt es sich auch um mehrere Ämter im statusrechtlichen Sinne, wenn dieselbe Amtsbezeichnung in mehreren Besoldungsgruppen aufgeführt ist (Schwegmann/Summer, aaO, § 19 BBesG Rn.8 a). Gemäß § 19 Abs.1 Satz 2 BBesG bestimmt sich dann das Grundgehalt nach der Besoldungsgruppe, die in der Einweisungsverfügung genannt ist. Damit kann aber die Einweisungsverfügung in diesen Fällen nicht nur haushaltsrechtliche, sondern eine den Status des Beamten oder Richters berührende, rechtsbegründende Bedeutung haben. Für die erstmalige Übertragung eines Amtes mit einer mehreren Besoldungsgruppen zugewiesenen Amtsbezeichnung (zB Präsident des Landesarbeitsgerichts) wird angenommen, dass - wenn die Besoldungsgruppe nicht in einem gesonderten Verwaltungsakt benannt wird - die Einweisungsverfügung den Ernennungsakt hinsichtlich der Besoldungsgruppe konkretisiert und so einen die Ernennung ergänzenden Verwaltungsakt darstellt (Schwegmann/Summer, aaO, § 19 BBesG Rn.8 b). Für den Parallelfall, dass unter Beibehaltung der Amtsbezeichnung eine andere, höhere Besoldungsgruppe zugewiesen wird (also etwa der Präsident des Landesarbeitsgerichts von der Besoldungsgruppe R 6 in die Besoldungsgruppe R 8 eingewiesen wird), wird in der Einweisungsverfügung ein ernennungsähnlicher (oder beförderungsgleicher) Verwaltungsakt gesehen, der zwar nicht der Form der Ernennung bedarf, aber ebenfalls den Status berührt (Schwegmann/Summer, aaO, § 19 BBesG Rn.8c und Bd.I, § 3 BBesG Rn.6; Clemens/Millack/Engelking/Lantermann/Henkel, aaO, § 3 Anm.3 a; Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Bayerisches Beamtengesetz, Bd. I, Stand: April 2003, Art.7 Anm.5 b und 9 g). In beiden Fällen hat dies zum einen die prozessuale Folge, dass die Klage auf "Einweisung" hier nicht als allgemeine Leistungsklage, sondern nur als Verpflichtungsklage zulässig ist. Vor allem aber ist als weitere Konsequenz zu beachten, dass die in diesen besonderen Fällen mit der Einweisung verbundene beamtenrechtliche Statusbestimmung oder -änderung nicht rückwirkend erfolgen kann. Das Verbot rückwirkender Statusbegründungen oder -änderungen gilt nach herrschender Auffassung als allgemeiner beamtenrechtlicher Grundsatz nicht nur für die Ernennung (vgl § 5 Abs.4 BRRG, § 12 Abs.3 Satz 2 LBG-BW für Beamte und § 8 LRiG-BW iVm § 12 Abs.3 S.2 LBG-BW für Richter des Landes Baden-Württemberg), sondern auch für den die Ernennung durch Konkretisierung der Besoldungsgruppe ergänzenden Verwaltungsakt und für ernennungsähnliche Verwaltungsakte (vgl. Schwegmann/Summer, a.a.O., § 3 BBesG Rn. 6 aE; Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, aaO, § 10 Rn.15 a, 16). Soweit die Bundes- und Landeshaushaltsordnungen (§ 49 Abs.2 BHO, § 49 Abs.2 LHO-BW) die Möglichkeit rückwirkender Einweisungen in besetzbare Planstellen vorsehen, handelt es sich nicht um Statusänderungen für die Vergangenheit, sondern um rein besoldungsrechtliche Maßnahmen, die im Übrigen auf einen Rückwirkungszeitraum von maximal drei Monaten begrenzt sind (Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, aaO, § 10 Rn.16; Schwegmann/Summer, aaO, § 3 BBesG Rn.6 aE).

19

Angewandt auf den Fall des Ausgangsverfahrens bedeutet dies: Da die Amtsbezeichnung "Präsident des Landesarbeitsgerichts" zum damaligen Zeitpunkt zwei Besoldungsgruppen (R 5 und R 6) zugeordnet war, hat die im Schreiben vom 19.Dezember 1995 erfolgte Einweisung in die Besoldungsgruppe R 6 mit Wirkung ab 1.Februar 1996 den Akt der Ernennung zum Präsidenten des Landesarbeitsgerichts in statusrechtlicher Hinsicht konkretisiert und ergänzt. Der Antrag des Klägers auf Einweisung in die Besoldungsgruppe R 8 rückwirkend zum 1.Februar 1996 bedeutet, dass er für die Vergangenheit ein anderes Amt im statusrechtlichen Sinne erstrebt, nämlich das eines Landesarbeitsgerichtspräsidenten in der Besoldungsgruppe R 8. Dies ist beamtenrechtlich nicht möglich.

20

Für eine rückwirkende Einweisung als rein besoldungsrechtliche Maßnahme gemäß § 49 Abs.2 iVm § 115 LHO-BW fehlt es nicht nur an einer besetzbaren Planstelle in der Besoldungsgruppe R 8; vielmehr begehrt der zwischenzeitlich im Ruhestand befindliche Kläger die Rückwirkung auch weit über die Drei-Monats-Grenze hinaus (vgl auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 2.Dezember 1975, ZBR 1976, S.155 <156>). 21

21

Damit ist der Hauptantrag im Ausgangsverfahren auf eine rechtlich nicht mögliche Leistung gerichtet. Unerörtert bleiben kann deshalb die vom Finanzministerium Baden-Württemberg aufgeworfene Frage, ob angesichts des Umstandes, dass erst im Oktober 1996 mehr als 100 dauerhafte Stellen für Arbeitsrichter ausgewiesen waren, im Zeitpunkt der Ernennung im Hinblick auf eine mögliche Fluktuation und später im Hinblick auf § 19 Abs.2 BBesG - selbst bei Bestehen einer Rechtsgrundlage für die Besoldung in R 8 ab 101 Richterplanstellen - ein zwingender Anspruch auf Besoldung nach R 8 bestanden hätte (vgl dazu Schwegmann/Summer, aaO, § 18 BBesG Rn.11c und § 19 BBesG Rn.11, 12; Clemens/Millack/Engelking/Lantermann/Henkel, aaO, § 19 Anm. 5; BVerwG, Urteil vom 24.Januar 1985, DÖV 1985, S.875 <876>; OVG Lüneburg, Urteil vom 26.Februar 1991, ZBR 1992, S.213 f.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 2.Dezember 1975, ZBR 1976, S.155 <156>).

22

3. Mit dem oben unter 2. genannten Problem des auf eine unmögliche Leistung gerichteten Hauptantrags hat sich das Verwaltungsgericht in keiner Weise auseinander gesetzt und damit auch nicht mit der Frage, ob als Konsequenz der Hauptantrag eventuell anders ausgelegt werden muss bzw. ob ein Leistungsantrag gegen diesen Beklagten überhaupt in Betracht kommt. Solche Erwägungen an Stelle des Fachgerichts anzustellen, ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts."

 

Auszug aus BVerfG B, 10.10.03, - 2_BvL_7/02 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.17 ff

§§§

03.044 Einmalzahlungen

  1. BVerfG,     B, 14.10.03,     – 2_BvL_19/02 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.33 Abs.5

  4. Dienstbezüge / Festsetzung / angemessener Lebensunterhalt / Berufsbeamtentum / gesetzestreue Verwaltung / Minimum an Lebensqualität / Versorgung / Alimentationspflicht.

 

LB 1) Nach stRspr des Bundesverfassungsgerichts sind die Dienstbezüge so festzusetzen, dass sie einen je nach Dienstrang, Bedeutung und Verantwortung des Amtes und entsprechender Entwicklung der allgemeinen Verhältnisse angemessenen Lebensunterhalt gewähren und als Voraussetzung dafür genügen, dass sich der Beamte ganz dem öffentlichen Dienst als Lebensberuf widmen und in wirtschaftlicher Unabhängigkeit zur Erfüllung der dem Berufsbeamtentum vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgabe, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern, beitragen kann (vgl BVerfGE_11,203 <216 f>; BVerfGE_39,196 <201>; BVerfGE_44,249 <265>).

 

LB 2) Dabei muss der Gesetzgeber auch berücksichtigen, dass nach allgemeiner Anschauung zu den Bedürfnissen, die der arbeitende Mensch soll befriedigen können, nicht nur dessen Grundbedürfnisse gehören, sondern auch ein Minimum an Lebenskomfort (vgl BVerfGE_44,249 <265 f>; BVerfGE_81,363 <376>; BVerfGE_99,300 <315>). Ob die Dienstbezüge einschließlich der Alters- und Hinterbliebenenversorgung nach diesem Maßstab ausreichend sind, lässt sich nur anhand des Nettoeinkommens beurteilen (vgl BVerfGE_44,249, <266>; BVerfGE_81,363 <377>; BVerfGE_99,300 <315>).

 

LB 3) Dem Gesetzgeber obliegt die Ausgestaltung der Höhe der Versorgungsbezüge. Er ist dabei auch nicht starr an bestimmte Prozentsätze gebunden. Wesentlich ist vielmehr allein, dass der Gesetzgeber seiner Alimentationspflicht in angemessenem Maße nachkommt. Bewegt er sich nicht an der untersten Grenze, so kann er den unterschiedlichen Finanzbedarf von aktiven und pensionierten Beamten innerhalb des von der Alimentationspflicht und des allgemeinen Gleichheitssatzes gezogenen Rahmens selbst definieren.

§§§

03.045 Auslieferung I

  1. BVerfG,     B, 05.11.03,     – 2_BvR_1243/03 –

  2. BVerfGE_109,13 = www.BVerfG.de

  3. GG_Art.2 Abs.2, GG_Art.25

  4. Völkerrecht / allemeine Regel / Auslieferung / List

 

Es besteht keine allgemeine Regel des Völkerrechts, wonach niemand in den ersuchenden Staat ausgeliefert werden darf, der aus seinem Heimatstaat mit List, aber ohne Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit in den ersuchten Staat gelockt worden ist.

§§§

03.046 Auslieferung II

  1. BVerfG,     B, 05.11.03,     – 2_BvR_1506/03 –

  2. BVerfGE_109,38 = www.BVerfG.de

  3. GG_Art.2 Abs.2, GG_Art.25, GG_Art.101 Abs.1 S.2, GG_Art.100 Abs.2

  4. Völkerrecht / allemeine Regel / Auslieferung / List

 

Es besteht keine allgemeine Regel des Völkerrechts, wonach niemand in den ersuchenden Staat ausgeliefert werden darf, der aus seinem Heimatstaat mit List, aber ohne Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit in den ersuchten Staat gelockt worden ist.

§§§

03.047 Mutterschaftsgeld

  1. BVerfG,     B, 18.11.03,     – 1_BvR_302/96 –

  2. BVerfGE_109,64 = www.BVerfG.de

  3. GG_Art.12 Abs.1, GG_Art.6 Abs.4, GG_Art.3 Abs.2; MuSchG_§_14 S.1;

  4. Mutterschaftsgeld / Arbeitgeberzuschuss / Berufsfreiheit.

 

1) Die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung eines Zuschusses zum Mutterschaftsgeld ist an der Berufsfreiheit des Art.12 Abs.1 GG zu messen (Abweichung von BVerfGE_37,121 <131>).

 

2) Art.6 Abs.4 GG begründet keine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die Kosten des Mutterschutzes allein zu tragen. ]c> ]c[ 3) Der Gesetzgeber kann im Rahmen seines Gestaltungsermessens entscheiden, wie er dem Gebot des Art.3 Abs.2 GG nachkommt. Legt der Gesetzgeber in Erfüllung seines Schutzauftrags zugunsten der Mutter dem Arbeitgeber Lasten auf, ist durch geeignete Regelungen im Rahmen des Möglichen der Gefahr zu begegnen, dass sich Schutzvorschriften auf Arbeitnehmerinnen faktisch diskriminierend auswirken. ]EF1> Beschluss ]EF1[ Entscheidungsformel:

1) § 14 Absatz 1 Satz 1 des Mutterschutzgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.April 1968 (Bundesgesetzblatt I Seite 315) und in der Fassung späterer Bekanntmachungen ist nach Maßgabe der Gründe mit Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar. dM lH

2) Dem Gesetzgeber wird aufgegeben, bis zum 31.Dezember 2005 eine verfassungsmäßige Regelung zu treffen.

3) Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

4) Die Bundesrepublik Deutschland ha

 

3) Der Gesetzgeber kann im Rahmen seines Gestaltungsermessens entscheiden, wie er dem Gebot des Art.3 Abs.2 GG nachkommt. Legt der Gesetzgeber in Erfüllung seines Schutzauftrags zugunsten der Mutter dem Arbeitgeber Lasten auf, ist durch geeignete Regelungen im Rahmen des Möglichen der Gefahr zu begegnen, dass sich Schutzvorschriften auf Arbeitnehmerinnen faktisch diskriminierend auswirken.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1) § 14 Absatz 1 Satz 1 des Mutterschutzgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.April 1968 (Bundesgesetzblatt I Seite 315) und in der Fassung späterer Bekanntmachungen ist nach Maßgabe der Gründe mit Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar.

2) Dem Gesetzgeber wird aufgegeben, bis zum 31.Dezember 2005 eine verfassungsmäßige Regelung zu treffen.

3) Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

4) Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten

§§§

03.048 Landw-Altersicherung

  1. BVerfG,     B, 09.12.03,     – 1_BvR_558/99 –

  2. BVerfGE_109,96 = www.BVerfG.de

  3. GG_Art.2 Abs.1; ALG_§_1 Abs.3

  4. Alterssicherung / Landwirte / Ehegatteneinbeziehung / Vereinbarkeit.

 

Die Einbeziehung der Ehegatten von Landwirten in die Versicherungspflicht der landwirtschaftlichen Alterssicherung nach § 1 Abs.3 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte ist mit dem Grundgesetz auch insoweit vereinbar, als sie Ehegatten betrifft, die im landwirtschaftlichen Betrieb des Ehepartners nicht mitarbeiten.

§§§

03.049 Computerdateien-Beschlagnahme

  1. BVerfG,     B, 18.12.03,     – 2_BvR_1027/02 –

  2. BVerfGE_109,128 = www.BVerfG.de

  3. BVerfGG_§_32

  4. Einstweilige Anordnung / Verlängerung.

T-03-21

LB: Verlängerung der Einstweiligen Anordnung : Beschlagnahme der Computerdateien einer Anwaltskanzlei und Steuerberatungsgesellschaft im Steuerstrafverfahren.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Die einstweilige Anordnung vom 17.Juli 2002 (BVerfGE 105, 365 ff) in Verbindung mit den Beschlüssen des Senats vom 20. Dezember 2002 und vom 15.Juli 2003 wird für die Dauer von weiteren sechs Monaten, längstens jedoch bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, mit folgenden Maßgaben wiederholt:

Die Datenträger, auf welchen die in Ziffer 1c) der Einstweiligen Anordnung vom 17.Juli 2002 genannten Datenkopien gesichert wurden, dürfen unter Aufsicht des zuständigen Ermittlungsrichters entsiegelt werden.

Die auf diesen Datenträgern gespeicherten Daten dürfen von IT-Prüfern der Steuerfahndungsstelle - F 90 - des Finanzamtes Hamburg-Neustadt-St.Pauli unter Aufsicht des zuständigen Ermittlungsrichters auf ein anderes Sicherungsband übertragen werden.

Die ursprünglichen Datenträger sind nach der Datensicherung an die Beschwerdeführer herauszugeben. Die Datenträger, auf welche die Daten übertragen werden, sind erneut zu versiegeln und beim Amtsgericht Hamburg zu hinterlegen.

Den Beschwerdeführern oder einem Bevollmächtigten der Beschwerdeführer ist die Anwesenheit bei der Entsiegelung, Datensicherung und Versiegelung gestattet.

* * *

T-03-21Beschlagnahme

1

"Auf der Grundlage des Schreibens der Freien und Hansestadt Hamburg vom 19.November 2003 kann wegen des die Datensicherung beeinflussenden Zeitablaufes in dem der Verfassungsbeschwerde zugrundeliegenden Ermittlungsverfahren ein Beweismittelverlust nicht mehr ausgeschlossen werden. Dieser Gefahr kann durch eine weitere Kopie der gesicherten Daten entsprechend dem Beschlusstenor vorgebeugt werden. Bei der gemäß § 32 Abs.1 BVerfGG erforderlichen Folgenabwägung waren in der Einstweiligen Anordnung vom 17.Juli 2002 die nachhaltige Störung für das Vertrauensverhältnis zwischen den Beschwerdeführern und ihren Auftraggebern einerseits und die Möglichkeit der Beweissicherung andererseits berücksichtigt worden. Die erneute Datensicherung unter Aufsicht des zuständigen Ermittlungsrichters sowie die sich daran anschließende erneute Versiegelung und Hinterlegung der Datenkopien tragen den vorgenannten Abwägungskriterien Rechnung. Eine Sichtung der Daten wird dadurch ebenso vermieden wie ein Verlust von Beweismitteln."

 

Auszug aus BVerfG B, 18.12.03, - 2_BvR_1027/02 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.1

§§§

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