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07.001 Nebentätigkeit

  1. BVerfG,     B, 16.01.07,     – 2_BvR_1188/05 –

  2. www.BVerfGE.de

  3. GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.5 Abs.3, GG_Art.12 Abs.1, GG_Art.33 Abs.5; (BW) LBG_§_72 Abs.1 S.1,(BW) NebVO_§_4 Abs.1 S.1, NebVO_§_9 Nr.2; SteuerbG_§_73 Abs.2 S.2

  4. Ablieferungspflicht / öffentlicher Dienst / Vortragstätigkeit / Forschung / hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums / Interssenkollision / Gleichheitssatz / Wissenschaftsfreiheit

T-07-001

LB 1) Nebentätigkeit für eine Steuerberatungskammer ist Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst.

Abs.21

LB 2) Die Auslegung, bei der Vortragstätigkeit handele es sich um eine lehrende, nicht um eine forschende Tätigkeit, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Abs.22

LB 3) Die Ablieferungspflicht bei Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst verstößt nicht gegen die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums iSd Art.33 Abs.5 GG.

Abs.24

LB 4) Die überkommenen Zwecke der Ablieferungspflicht liegt in der Verhinderung von Interessenkollisionen zwischen den Pflichten aus dem Hauptamt und der Nebentätigkeit, der Vermeidung der Überhandnahme von Nebenbeschäftigungen zum Nachteil des Hauptamtes sowie der Doppelzahlungen aus öffentlichen Haushalten.

Abs.24

LB 5) Die Grundentscheidung des Gesetzgebers, hinsichtlich der Ablieferungspflicht danach zu differenzieren, ob das zweite Beschäftigungsverhältnis mit einem öffentlich- oder mit einem privatrechtlich organisierten Arbeitgeber eingegangen worden ist, steht im Einklang mit der historischen Entwicklung des sogenannten Anrechnungsprinzips im Rahmen der hergebrachten Alimentationspflicht des Dienstherrn (vgl BVerfGE_27,364 <374>).

Abs.25

LB 6) Die Beschränkung der Ablieferungspflicht auf öffentlich-rechtlich organisierte Institutionen verstößt nicht gegen Art.3 Abs.1 GG.

Abs.28

LB 7) Die Ablieferungspflicht verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Recht aus Art.5 Abs.3 GG. Die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit wissenschaftlicher Betätigung umfasst nicht den Schutz eines Gewinn- und Erwerbsstrebens (BVerwGE_13,112 <113 f>).

* * *

T-07-001Nebentätigkeit - Steuerberatungkammer

17

"Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt. Sie ist unbegründet.

18

1. Die angegriffenen Entscheidungen begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere verstößt die darin vertretene Auffassung, die Tätigkeit des Beschwerdeführers für die Steuerberaterkammer sei als Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst zu werten, weder gegen Art.33 Abs.5 noch gegen Art.3 Abs.1 GG. Sie findet ihre Grundlage in der Legaldefinition des § 72 Abs. 1 Satz 1 LBG in der Fassung des Gesetzes vom 20.Juli 1998 und des wortlautgleichen § 4 Abs.1 Satz 1 NebVO:

19

    "Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst ist jede für den Bund, ein Land oder andere Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts in der Bundesrepublik Deutschland oder für Verbände von solchen ausgeübte Nebentätigkeit; dies gilt auch, wenn die Tätigkeit aufgrund eines Vertragsverhältnisses wahrgenommen wird, unabhängig davon, ob der Beamte selbst Vertragspartner ist oder eine natürliche oder juristische Person des Privatrechts oder eine Gesellschaft, für die der Beamte tätig oder an der er beteiligt ist.

20

Die Steuerberaterkammer ist gemäß § 73 Abs.2 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, so dass die Vortragsveranstaltungen des Beschwerdeführers Nebentätigkeiten darstellen. Für die Zuordnung der Steuerberaterkammer zum öffentlichen Dienst ist es unerheblich, dass es sich um eine berufsständische Einrichtung handelt, die sich ua aus den Beiträgen der Mitglieder und nicht aus allgemeinen Steuermitteln finanziert. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Steuerberaterkammer - wie vom Beschwerdeführer behauptet - ihr Vortragsgeschäft mit einer eigenen, von den Mitgliedsbeiträgen getrennten Kasse abwickelt. Der Zulässigkeit dieses Einwands steht bereits der Grundsatz der materiellen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen. Der Beschwerdeführer hat diesen Gesichtspunkt im Ausgangsverfahren nicht geltend gemacht; eine fachgerichtliche Aufklärung und Bewertung des vom Beschwerdeführer behaupteten Sachverhalts erfolgte deshalb nicht. Ungeachtet dessen sind nicht die Finanzierungsquellen maßgebend, sondern die Ausgestaltung als öffentlich-rechtliche Organisationsform mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Haushalt, das Personalwesen und die Aufgabenstruktur (vgl BVerwG, NVwZ-RR_04,49 <50>; ZBR_04,53 <54>). Entscheidend für das Vorliegen des Tatbestandes der Doppelzahlung aus öffentlichen Haushalten sind damit auch nicht das "Wie" der Veranschlagung von Einnahmen und Ausgaben im Haushalt und die Rechtsform der Erwirtschaftung der Etatmittel, sondern lediglich das "Ob" der Verausgabung von Haushaltsmitteln zugunsten eines bereits anderweitig alimentierten Beamten.

21

Auch die Auslegung, bei der Vortragstätigkeit handele es sich um eine lehrende, nicht um eine forschende Tätigkeit, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Feststellung, ob die Tätigkeit des Beschwerdeführers "wissenschaftliche Forschung" im Sinne des § 9 Nr.2 NebVO ist, hängt von den näheren Umständen des Falls ab; sie betrifft die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts und obliegt somit vorrangig den Fachgerichten. Diese haben sich eingehend mit den vom Beschwerdeführer vorgetragenen Argumenten auseinandergesetzt und die für die Bewertung der Tätigkeit maßgeblichen Gesichtspunkte abgewogen. Der Beschwerdeführer, der seine Tätigkeit in den Anträgen auf Erteilung der Nebentätigkeitsgenehmigung selbst als "Veranstaltung der Aus- und Fortbildung für Angehörige der steuerberatenden Berufe und deren qualifizierte Mitarbeiter" bezeichnet hat, setzt sich mit dieser differenzierten Argumentation nicht auseinander, sondern verweist lediglich auf eine Stellungnahme des Professors H. sowie pauschal auf die vermeintliche Unmöglichkeit, zwischen Forschung und Lehre zu trennen.

22

2. Die Ablieferungspflicht für Einkünfte aus Nebentätigkeiten bei öffentlich-rechtlich organisierten Institutionen verstößt nicht gegen Art.33 Abs.5 GG. Danach ist es dem Gesetzgeber grundsätzlich unbenommen, dem Anreiz zur Übernahme von Nebenbeschäftigungen nicht nur durch einen Genehmigungsvorbehalt, sondern auch durch Vorschriften entgegenzuwirken, die die Nebentätigkeitsvergütungen einschränken (vgl BVerfGE_55,207 und 238 f).

23

Zwar unterliegt diese Befugnis des Gesetzgebers ihrerseits den sich aus den Grundrechten des Betroffenen ergebenden Beschränkungen. So wie die uneingeschränkte Möglichkeit, Nebentätigkeiten auszuüben und dadurch in nicht limitiertem Maße neben einer ungekürzten Besoldung zusätzliche Vergütungen zu beziehen, die dienstlichen Leistungen im Hauptamt ernsthaft zu gefährden vermag (vgl BVerfGE_55,207 <237> ), darf andererseits nicht verkannt werden, dass auch der Inhaber eines öffentlichen Amtes innerhalb der Grenzen der verfassungsmäßigen Ordnung, zu der die Vorschriften des Beamtentums und die Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums und Richterrechts gehören, ein Recht zur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit hat (vgl ebenda S.238). Der Gesetzgeber muss daher prüfen, ob die Regelung, mit der die Ausübung von Nebentätigkeiten begrenzt wird, allgemein geeignet ist, die mit der Regelung verfolgten Ziele zu erreichen. Dies ist im Falle der Ablieferungspflicht für Einkünfte aus Nebentätigkeiten bei öffentlich-rechtlich organisierten Institutionen, die gerade auch der Vermeidung von Doppelzahlungen aus öffentlichen Haushalten dient, jedoch in von Verfassungs wegen nicht zu beanstandender Weise geschehen.

24

Nach den überkommenen Zwecken derartiger Regelungen - Verhinderung von Interessenkollisionen zwischen den Pflichten aus dem Hauptamt und der Nebentätigkeit, Vermeidung der Überhandnahme von Nebenbeschäftigungen zum Nachteil des Hauptamtes sowie der Doppelzahlungen aus öffentlichen Haushalten - ist es unerheblich, aufgrund welcher Rechtsbeziehung die Nebentätigkeit geleistet wird und welches Rechtsverhältnis der Vergütung im einzelnen zugrunde liegt (vgl BVerfGE_55,207 <234> ). Die Grundentscheidung des Gesetzgebers, hinsichtlich der Ablieferungspflicht danach zu differenzieren, ob das zweite Beschäftigungsverhältnis mit einem öffentlich- oder mit einem privatrechtlich organisierten Arbeitgeber eingegangen worden ist, steht im Einklang mit der historischen Entwicklung des sogenannten Anrechnungsprinzips im Rahmen der hergebrachten Alimentationspflicht des Dienstherrn (vgl BVerfGE_27,364 <374>).

25

3. a) Die Beschränkung der Ablieferungspflicht auf öffentlich-rechtlich organisierte Institutionen verstößt nicht gegen Art.3 Abs.1 GG (vgl BVerfGE_33,44 <51 f> ). Sachlich gerechtfertigt ist die Differenzierung insbesondere durch das Anliegen, im Interesse sparsamer Haushaltsführung dem überkommenen Gedanken der Einheit des öffentlichen Dienstes Rechnung zu tragen, der eine Doppelbesoldung aus öffentlichen Mitteln entgegensteht (vgl BVerfGE_55,207 <229 u 234> ). Dieser Gesichtspunkt tritt selbständig neben denjenigen der Vermeidung einer Vernachlässigung des Hauptamtes. Dass letztere Gefahr bei jeder Nebentätigkeit besteht, lässt das berechtigte Anliegen des Dienstherrn, Doppelzahlungen zu vermeiden, deshalb unberührt.

26

b) Auch die Privilegierung der Tätigkeiten von Professoren allein auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung, nicht jedoch der Lehre, begegnet hinsichtlich Art.3 Abs.1 GG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der allgemeine Gleichheitssatz verpflichtet die Grundrechtsadressaten, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl BVerfGE_1,14 <52>; BVerfGE_83,89 <107 f>; BVErfGE_103,310 <318> ). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall der allgemeine Gleichheitssatz verletzt ist, lassen sich deshalb nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche präzisieren (vgl BVerfGE_110,412 <431 f> ). Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Dienstherr einen weiten Gestaltungsspielraum hat, in welchen Tätigkeitsbereichen er Nebentätigkeiten seiner Beamten überhaupt zulässt, sie anzeigepflichtig gestaltet oder erhaltene Vergütungen der teilweisen Ablieferungspflicht unterwirft. Er kann deswegen eine pauschalierende und typisierende Regelung treffen und bestimmen, welche Art von Nebentätigkeiten im öffentlichen Interesse von solchen Beschränkungen freizustellen sind, ohne dass gegen den Gleichheitssatz verstoßen wurde (vgl BVerwG, Buchholz 237.8 § 71a RhPLBG Nr.1; ZBR 2004, S.53 <54>; sa Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts - Vorprüfungsausschuss - vom 27.März 1981 - 2 BvR 1472/80 -, Umdruck S.14 f).

27

Es liegt mithin im Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers, das öffentliche Interesse an einer forschenden Tätigkeit höher zu gewichten als dasjenige an einer Vortragstätigkeit. Hinzu kommt, dass die Ablieferungspflicht verfassungsrechtlich ua durch das aus dem Grundsatz der vollen Hingabe folgende Recht des Gesetzgebers gerechtfertigt ist, den Anreiz für Nebentätigkeiten zu vermindern (vgl Geis, in: Fürst, GKÖD, § 69 BBG Rn.14). Es entspricht dieser Intention, die Übernahme von Nebentätigkeiten dort zu beschränken, wo der Anreiz hierzu besonders groß ist. So verhält es sich bei Vortragstätigkeiten, die es dem Beamten ermöglichen, seine in Ausübung seines Hauptamtes erworbenen Kenntnisse für Lehr- und Fortbildungsveranstaltungen zu nutzen ("Zweitverwertung"). Das gleichfalls anzuerkennende Interesse, auf die besondere Leistungskraft und Erfahrung eines Beamten im Bereich des öffentlichen Dienstes auch außerhalb seines Amtes zum Nutzen des Staates zurückzugreifen (vgl BVerfGE_55,207 <229>), wird hierdurch jedenfalls nicht in unverhältnismäßiger Weise beschnitten."

28

4. Die Ablieferungspflicht verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Recht aus Art.5 Abs.3 GG. Die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit wissenschaftlicher Betätigung umfasst nicht den Schutz eines Gewinn- und Erwerbsstrebens (BVerwG, Buchholz 237.8 § 71a RhPLBG Nr.1; BVerwGE_13,112 <113 f>). Die Ablieferungspflicht ist schließlich - als Berufsausübungsregelung - aufgrund der vorstehenden Darlegungen von hinreichenden Gemeinwohlgründen getragen, so dass sie mit Art.12 Abs.1 GG wie auch mit Art.2 Abs.1 GG vereinbar ist. Die Verpflichtung zur uneingeschränkten dienstlichen Hingabe ist dem Beamtenverhältnis immanent. Dies gilt auch dann, wenn der Dienstherr die Arbeitszeit auf ein Maß verringert, das es dem Beamten von seiner körperlichen Leistungsfähigkeit her ermöglicht, eine weitere Tätigkeit neben seinem Hauptamt auszuüben. Nebentätigkeiten des Beamten begegnen nicht allein unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung der Arbeitskraft Bedenken. Ihre Beschränkung kann vielmehr auch der Verhinderung oder Minimalisierung von Interessenkollisionen durch die Bekämpfung außerdienstlicher Abhängigkeiten dienen. Auch soll vermieden werden, dass die Dienstleistung des Beamten dadurch beeinträchtigt wird, dass er im Vertrauen auf seine gesicherte beamtenrechtliche Stellung diese vernachlässigt, um die privatrechtlich vereinbarte (und damit kündbare) Nebentätigkeit zu erlangen oder zu behalten. Hierbei ist der Dienstherr nicht verpflichtet, jede Nebentätigkeit zu versagen oder auf ihre konkrete Eignung der Beeinträchtigung des Hauptamtes zu überprüfen. Im Rahmen seiner Befugnis zur Generalisierung und Typisierung darf der Gesetzgeber daher das außerdienstliche Engagement seiner Staatsdiener durch die Festlegung von Einkommensgrenzen steuern (vgl BVerwGE_41,316 <322>)."

 

Auszug aus BVerfG B, 16.01.07, - 2_BvR_1188/05 -, www.BVerfGE.de,  Abs.17 ff

§§§

07.002 Mobilfunkanlage

  1. BVerfG,     B, 24.01.07,     – 1_BvR_384/05 –

  2. www.BVerfGE.de

  3. GG_Art.2 Abs.2 S.1, GG_Art.14 Abs.1, GG_Art.19 Abs.4 S.1; 26.BImSchV; VwGO_§_124 Abs.2 Nr.3; (90) BauNVO_§_14 Abs.2 S.2

  4. Abwehrrechte / staatliche Schutzpflichten / Feststellung / geltende Grenzwerte / Beanstandung / ungesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse / Marktwert / Minderung / Nebenanlage / Wissenschaft / Erkenntnisfortschritt

T-07-002

LB 1) Zu Abwehrrechten gegen Mobilfunkanlagen.

Abs.18

LB 2) Die Verletzung staatlicher Schutzpflichten kann nur festgestellt werden, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen oder erheblich dahinter zurückbleiben.

Abs.18

LB 3) Die geltenden Grenzwerte können nur dann verfassungsrechtlich beanstandet werden, wenn erkennbar ist, dass sie die menschliche Gesundheit völlig unzureichend schützen.

Abs.18

LB 4) Liegen noch keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse über komplexe Gefährdungslagen - wie hier die schädlichen Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder - vor, verlangt die staatliche Schutzpflicht auch von den Gerichten nicht, ungesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Hilfe des Prozessrechts durch Beweisaufnahmen zur Durchsetzung zu verhelfen.

Abs.18

LB 5) Es ist vielmehr Sache des Verordnungsgebers, den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft mit geeigneten Mitteln nach allen Seiten zu beobachten und zu bewerten, um gegebenenfalls weiter gehende Schutzmaßnahmen treffen zu können.

Abs.20

LB 6) Hoheitlich bewirkte Minderungen des Marktwertes eines Vermögensgutes berühren in der Regel nicht den Schutzbereich des Eigentumsrechts (BVerfGE_105,17 <30>; BVerfGE_252 <277>).

Abs.21

LB 7 Zur Berufungszulassung und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes.

Abs.25

LB 8 Ob eine Mobilfunkanlage eine fernmeldetechnische Nebenanlage iSd § 14 Abs.2 S.2 BauNVO ist, ist zur Zeit eine Frage, der grundsätzliche Bedeutung iSd § 124 Abs.2 Nr.3 VwGO zukommt.

* * *

T-07-002Abwehrrechte

15

"Soweit die Verfassungsbeschwerde die Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht betrifft, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen.

16

1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs über die Nichtzulassung der Berufung verstößt nicht gegen die aus Art.2 Abs.2 Satz 1 GG folgende staatliche Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit und auch nicht gegen das in Art.14 Abs.1 GG geschützte Eigentumsgrundrecht, er verletzt die Beschwerdeführer jedoch in ihrem Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art.19 Abs.4 Satz 1 GG).

17

a) Soweit der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen seiner Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Berufung den Standpunkt des Verwaltungsgerichts bestätigt, dass den Beschwerdeführern kein immissionsschutzrechtlich begründeter nachbarlicher Abwehranspruch gegen die Mobilfunksendeanlage zusteht, begegnet dies keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

18

Das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof haben ihren Entscheidungen insoweit die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Anforderungen an die staatliche Schutzpflicht aus Art.2 Abs.2 Satz 1 GG im Bereich nicht abschließend geklärter schädlicher Umwelteinwirkungen zugrunde gelegt.

19

Die 3.Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in ihrem Beschluss vom 28.Februar 2002 (1 BvR 1676/01 - NJW_02,1638) zu den in der Verordnung über elektromagnetische Felder (26.BImSchV) festgelegten Grenzwerten unter Bezugnahme auf die einschlägige Senatsrechtsprechung ausgeführt, dass dem Verordnungsgeber bei der Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht nach Art.2 Abs.2 Satz 1 GG ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zukommt, der auch Raum lässt, konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen. Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht gebietet nicht, alle nur denkbaren Schutzmaßnahmen zu treffen. Deren Verletzung kann vielmehr nur festgestellt werden, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen oder erheblich dahinter zurückbleiben. Die geltenden Grenzwerte können nur dann verfassungsrechtlich beanstandet werden, wenn erkennbar ist, dass sie die menschliche Gesundheit völlig unzureichend schützen. Liegen noch keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse über komplexe Gefährdungslagen - wie hier die schädlichen Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder - vor, verlangt die staatliche Schutzpflicht auch von den Gerichten nicht, ungesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Hilfe des Prozessrechts durch Beweisaufnahmen zur Durchsetzung zu verhelfen oder die Vorsorgeentscheidung des Verordnungsgebers unter Kontrolle zu halten und die Schutzeignung der Grenzwerte jeweils nach dem aktuellen Stand der Forschung zu beurteilen. Es ist vielmehr Sache des Verordnungsgebers, den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft mit geeigneten Mitteln nach allen Seiten zu beobachten und zu bewerten, um gegebenenfalls weiter gehende Schutzmaßnahmen treffen zu können. Eine Verletzung der Nachbesserungspflicht durch den Verordnungsgeber kann gerichtlich erst festgestellt werden, wenn evident ist, dass eine ursprünglich rechtmäßige Regelung zum Schutz der Gesundheit auf Grund neuer Erkenntnisse oder einer veränderten Situation verfassungsrechtlich untragbar geworden ist (vgl zum Vorstehenden BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. Februar 2002, aaO sowie BVerfGE_49,89 <130, 132 f>; BVerfGE_56,54 <78 ff>; BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.Februar 1997 - 1 BvR 1658/96 -, NJW_97,2509 ).

20

Gemessen an diesen Grundsätzen verstößt die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass sich dem Verwaltungsgericht eine eigenständige Risikobewertung auf der Grundlage einer gerichtlichen Beweisaufnahme nicht aufdrängen musste, nicht gegen die aus Art.2 Abs.2 Satz 1 GG folgende staatliche Schutzpflicht, zumal im konkreten Fall - worauf der Verwaltungsgerichtshof zu Recht hinweist - die Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keine Beweisanträge gestellt hatten, die Messergebnisse der beanstandeten Mobilfunksendeanlage deutlich unter den Grenzwerten der Verordnung über elektromagnetische Felder (26.BImSchV) liegen und auch die Mindestsicherheitsabstände nach der Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post zum Wohnhaus der Beschwerdeführerin um ein Mehrfaches überschritten sind. Auch vor dem Hintergrund des Vorbringens der Beschwerdeführer im Verfassungsbeschwerdeverfahren ist unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Äußerung der Hessischen Staatskanzlei über die auch durch staatliche Stellen betriebenen Anstrengungen um neue wissenschaftliche Erkenntnisse in diesem Bereich nicht erkennbar, dass die zur Wahrung der aus Art.2 Abs.2 Satz 1 GG verpflichteten staatlichen Stellen völlig untätig geblieben wären oder gesicherte neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorlägen, die ein Einschreiten der Gerichte erforderlich machten. Einer Beweisaufnahme, die ohnehin nur den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik hätte wiedergeben können, bedurfte es danach nicht (vgl BGH, Urteil vom 13.Februar 2004 - V ZR 217/03 -, NJW 2004, S.1317).

21

b) Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs verletzt auch nicht das Eigentumsrecht der Beschwerdeführer. Art.14 Abs.1 GG schützt zwar die Nutzbarkeit des Eigentums und die diesbezügliche Verfügungsfreiheit. Hoheitlich bewirkte Minderungen des Marktwertes eines Vermögensgutes berühren daher in der Regel nicht den Schutzbereich des Eigentumsrechts (vgl BVerfGE_105,17 <30>; 252 <277> ). Dies gilt insbesondere auch für Wertverluste an einem Grundstück, die durch die behördliche Zulassung eines Vorhabens in der Nachbarschaft eintreten (vgl dazu auch BVerwG, Urteile vom 16.März 2006 - BVerwG 4 A 1001.04 -, juris Rn. 409, vom 29.Januar 1991 - BVerwG 4 C 51.89 -, BVerwGE_87,332 <384 f> und vom 24.Mai 1996 - BVerwG 4 A 39.95 -, Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr.39). Ob durch die genehmigte Errichtung und den Betrieb der Mobilfunksendeanlage überhaupt eine Wertminderung am Grundstück der Beschwerdeführer eingetreten ist, bedarf danach hier keiner Entscheidung.

22

c) Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 5.Januar 2005 verstößt jedoch gegen Art.19 Abs.4 Satz 1 GG, soweit das Gericht die Berufung auch nicht mit Blick auf den von den Beschwerdeführern geltend gemachten baurechtlichen Abwehranspruch zugelassen hat.

23

Das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art.19 Abs.4 Satz 1 GG gewährleistet zwar keinen Anspruch auf die Einrichtung eines bestimmten Rechtszuges (vgl BVerfGE_92,365 <410>; BVerfGE_104,220 <231>). Hat der Gesetzgeber jedoch mehrere Instanzen geschaffen, darf der Zugang zu ihnen nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl BVerfGE_77,275 <284>; BVerfGE_78,88 <99>; BVerfGE_84,366 <369 f> sowie BVerfGE_104,220 <232>). Dies bedeutet für die Anwendung des § 124 Abs.2 VwGO, dass die Anforderungen an die Begründung eines Zulassungsantrages nicht überspannt werden dürfen, so dass die Möglichkeit, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, für den Rechtsmittelführer leer läuft (vgl BVerfG, 1.Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 8.März 2001 - 1 BvR 1653/99 -, NVwZ 2001, S.552 <553> sowie 3.Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 30.Juni 2005 - 1 BvR 2615/04 -, NVwZ 2005, S.1176 <1177>). Dies gilt indes nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe gemäß § 124a Abs.4 Satz 4 VwGO, sondern in entsprechender Weise ebenso für die Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe des § 124 Abs.2 VwGO selbst.

24

Hier hat der Verwaltungsgerichtshof den Zugang der Beschwerdeführer zum Berufungsrechtszug dadurch in unzumutbarer Weise verkürzt, dass er die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (vgl § 124 Abs.2 Nr.1 VwGO) aus einem Grund abgelehnt hat, auf den das Verwaltungsgericht selbst sein Urteil nicht gestützt hatte, und dass diesem Grund seinerseits grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs.2 Nr.3 VwGO zukommt.

25

Zwar begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Berufungsgericht bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils auf ernstliche Zweifel an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs.2 Nr.1 VwGO) auf andere rechtliche Erwägungen abstellt als das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils und die Zulassung der Berufung deshalb ablehnt, weil sich das Urteil aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist. Dies kann mit Rücksicht auf den Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs lediglich einen vorherigen Hinweis hierauf erfordern (vgl BVerfG, 2.Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 2.März 2006 - 2 BvR 767/02 -, juris, Rn.16 f; BVerwG, Beschluss vom 10.März 2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, S.542 <543 aE>). Es widerspricht jedoch sowohl dem Sinn und Zweck des dem Berufungsverfahren vorgeschalteten Zulassungsverfahrens, als auch der Systematik der in § 124 Abs.2 Nr.1 und 3 VwGO geregelten Zulassungsgründe, wenn das Berufungsgericht beim Austausch der Gründe auf Erwägungen abstellt, die nicht ohne weiteres auf der Hand liegen und deren Heranziehung deshalb über den mit Blick auf den eingeschränkten Zweck des Zulassungsverfahrens von ihm vernünftigerweise zu leistenden Prüfungsumfang hinausgeht (vgl BVerwG, Beschluss vom 10.März 2004, aaO). Insbesondere verkürzt die Heranziehung von Erwägungen, die ihrerseits Grundsatzbedeutung haben, zur Ablehnung des Zulassungsgrundes ernstlicher Zweifel den vom Gesetzgeber für Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorgesehenen Rechtsschutz im Berufungsverfahren in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise (vgl BVerfG, 2.Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 2.März 2006, aaO; OVG Berlin, NVwZ 1998, S.1318 <1319>).

26

Im vorliegenden Fall kam der Qualifizierung der Mobilfunksendeanlage als fernmeldetechnische Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs.2 Satz 2 BauNVO 1990 jedenfalls im soweit maßgeblichen Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs grundsätzliche Bedeutung zu. Von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 124 Abs.2 Nr.3 VwGO ist eine Rechtssache nach verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung nämlich immer dann, wenn es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint; der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 124 Abs.2 Nr.3 VwGO entspricht danach weitgehend dem der grundsätzlichen Bedeutung in § 132 Abs.2 Nr.1 VwGO (vgl BVerwG, Beschluss vom 30.März 2005 - BVerwG 1 B 11.05 -, NVwZ 2005, S.709; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 5.Juni 1997 - 4 S 1050/97 -, VBlBW 1997, S.420 <421>).

27

Die Frage, ob Mobilfunksendeanlagen als Nebenanlagen im Sinne des § 14 Abs.2 Satz 2 BauNVO 1990 einzustufen sind, erfüllt diese Voraussetzungen. Sie war jedenfalls zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung in der obergerichtlichen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte umstritten und ist höchstrichterlich auch bisher nicht entschieden worden. So hat der 4.Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in einer Entscheidung vom 29.Juli 1999 die Qualifizierung einer Mobilfunksendeanlage als Nebenanlage auch im Sinne des § 14 Abs.2 Satz 2 BauNVO 1990 abgelehnt (vgl Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 29.Juli 1999 - 4 TG 2118/99 -, NVwZ 2000, S. 694 <695>). Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht hat diese Frage im Februar 2003 ausdrücklich offen gelassen (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.Februar 2003 - 10 B 2417/02 -, NVwZ-RR 2003, S.637 <639 ff.>). Hingegen hat sich der hier zur Entscheidung berufene 3.Senat des Verwaltungsgerichtshofs einer Entscheidung des 9.Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6.Dezember 2004 angeschlossen, nach der Mobilfunksendeanlagen als fernmeldetechnische Nebenanlagen gemäß § 14 Abs.2 Satz 2 BauNVO 1990 zu bewerten sind (vgl Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 6. Dezember 2004 - 9 UE 2582/03 -, NJOZ 2006, S.232 <234 ff.>). Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zwar in einer Entscheidung vom 1.November 1999 mit der Qualifizierung von Mobilfunksendeanlagen befasst. Es hatte aber nur die Frage zu entscheiden, ob solche Anlagen als Nebenanlagen im Sinne des § 14 Abs.2 BauNVO 1962/1968/1977 zu bewerten sind, nicht dagegen, was für die Anwendung des § 14 Abs.2 Satz 2 BauNVO 1990 gelten soll (vgl BVerwG, Beschluss vom 1.November 1999 - BVerwG 4 B 3.99 -, NVwZ 2000, S.680 <681>).

28

Soweit der Verwaltungsgerichtshof beanstandet, dass die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt sei (§ 124a Abs.4 Satz 4 VwGO), ändert dies nichts an dem festgestellten Verstoß gegen Art.19 Abs.4 Satz 1 GG. Von den Beschwerdeführern konnte nämlich, obwohl sie die Frage der Qualifizierung von Mobilfunksendeanlagen als Nebenanlagen im Sinne des § 14 Abs.2 Satz 2 BauNVO im erstinstanzlichen Verfahren selbst angesprochen hatten, die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache lediglich hinsichtlich der tragenden Erwägungen des angefochtenen Urteils erwartet werden, nicht dagegen hinsichtlich der vom Verwaltungsgerichtshof ohne vorherigen Hinweis neu eingeführten Gründe zur Stützung des verwaltungsgerichtlichen Urteils.

29

Das Verfahren über die Anhörungsrüge hat ebenfalls nicht zu einer Heilung der Verletzung des Art.19 Abs.4 Satz 1 GG geführt, weil der Verwaltungsgerichtshof an seiner Beurteilung der Mobilfunksendeanlage als fernmeldetechnische Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs.2 Satz 2 BauNVO und damit an der den Rechtsschutz unzulässig beschränkenden Versagung der Berufungszulassung wegen eines seinerseits rechtsgrundsätzliche Klärung erfordernden Grundes festgehalten hat.

30

Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Verwaltungsgerichtshof bei dessen Vermeidung im Hinblick auf den geltend gemachten nachbarlichen Abwehranspruch aus dem Baurecht die Berufung zugelassen hätte. Denn er hat sich zu den übrigen Erwägungen des Verwaltungsgerichts, mit denen es den Anspruch der Beschwerdeführer verneint hat, insbesondere zu der fehlenden tatsächlichen Beeinträchtigung durch die Mobilfunksendeanlage, einer Aussage enthalten. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob er insoweit die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts teilt."

 

Auszug aus BVerfG B, 24.01.07, - 1_BvR_384/05 -,

§§§

07.003 Zustellungszeugnis

  1. BVerfG,     B, 24.01.07,     – 2_BvR_1133/04 –

  2. www.BVerfGE.de

  3. GG_Art.2 Abs.1; HZÜ_Art.13; ArbGG_§_12a Abs.1 S.1; BVerfGG_§_90 Abs.1, BVerfGG_§_93a Abs.2

  4. Haager Zustellungsübereinkommen / allgemeine Handlungsfreiheit / Zustellung / Verweigerung / pre-trial-discovery / Rechtsstaat / Anwaltskostenerstattung

T-07-003

LB 1) Die allgemeine Handlungsfeiheit wird durch das Haager Zustellungsübereinkommen zulässigerweise eingeschränkt.

Abs.11

LB 2) Nur unter engen Voraussetzungen, wenn die Hoheitsrechte oder die Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet sind, kann auf der Grundlage des Art.13 HZÜ die Zustellung verweigert werden.

Abs.15

LB 3) Die Unterwerfung unter eine "pre-trial-discovery" stellt keinen offensichtlichen Verstoß gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats dar.

Abs.16

LB 4) Die fehlende Anwaltskostenerstattung, selbst wenn die US-amerikanische Klage unzulässig sein sollte, begründet keinen Verstoß gegen unverzichtbare rechtsstaatliche Grundsätze.

* * *

T-07-003Haager Zustellungsübereinkommen

9

"1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihren Rechten aus Art.2 Abs.1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, Art.12 Abs.1 und Art.14 Abs.1 GG.

10

a) Art.2 Abs.1 GG gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne (BVerfGE_80,137 <152> mwN). Diese kann auf der Grundlage des Haager Zustellungsübereinkommens, dem der Deutsche Bundestag mit Gesetz vom 22.Dezember 1977 zugestimmt hat, eingeschränkt werden. Das Übereinkommen dient wichtigen Belangen des Gemeinwohls, die geeignet sind, einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit zu rechtfertigen (vgl BVerfGE_91,335 <339 ff> ). Der deutsche Staat schützt den Bürger, der sich im internationalen Rechtsverkehr bewegt, nicht vor der Verantwortlichkeit in einer fremden Rechtsordnung. Vielmehr unterstützt der Staat die Durchsetzung des ausländischen Regelungsanspruchs auch gegen eigene Staatsbürger und in der Erwartung einer gegenseitig gewährten Rechtshilfe.

11

Auch dass die Verweigerung der Zustellung auf Grundlage des Art.13 HZÜ nur unter engen Voraussetzungen, nämlich nur, wenn die Hoheitsrechte oder die Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet sind, zulässig sein soll, ist durch das Interesse an einer schnellen und effektiven Rechtshilfe bei gerichtlichen Zustellungen gerechtfertigt und verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl BVerfGE_91,335 <340> ). Es liefe dem Grundsatz zuwider, dass fremde Rechtsanschauungen und -ordnungen grundsätzlich zu achten sind, auch wenn sie im Einzelfall mit den deutschen Auffassungen nicht übereinstimmen, wenn eine generelle Überprüfung ausländischer Klagen am Maßstab der deutschen Rechtsordnung vorgenommen würde (vgl BVerfGE_108,238 <247 f> ). Andernfalls könnte die materielle Prüfung des Zustellungsersuchens zu Verzögerungen bei der Zustellung oder, wegen der Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Rechtsauffassungen, zu einer Vereitelung der Zustellung führen, die durch das Haager Zustellungsübereinkommen gerade ausgeschlossen werden sollten.

12

Trotz der grundsätzlichen Entscheidung zu Gunsten der Zustellung der ausländischen Klage ist die Vorbehaltsklausel des Art.13 HZÜ nicht inhaltsleer. Eine Grenze muss dort als erreicht angesehen werden, wo das mit der Klage verfolgte Ziel "offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstieße" (BVerfGE_91,335 <343>; BVerfGE_108,238 <247>). Die Möglichkeit der Verhängung von Strafschadensersatz (punitive damages) verletzt noch nicht unverzichtbare rechtsstaatliche Grundsätze (BVerfGE_91,335 <343 f>). Bei Forderungen von Strafschadensersatz in für einen Beschwerdeführer existenzgefährdender Höhe oder bei Sammelklagen (class action) mit einer unübersehbaren Anzahl von Klägern, einer entsprechenden Klageforderung und einer begleitenden Medienkampagne scheint die Unvereinbarkeit einer Zustellung mit unverzichtbaren Grundsätzen eines freiheitlichen Rechtsstaates aber jedenfalls dann nicht schlechthin ausgeschlossen zu sein, wenn diese Forderungen als offensichtlich rechtsmissbräuchlich erscheinen. (Abs.13) Ein evidenter Rechtsmissbrauch durch die Klageerhebung und deren Zustellung in Deutschland ist vorliegend nicht ersichtlich. Das Oberlandesgericht setzt sich in den Gründen seines Beschlusses ausführlich mit der Entscheidung des Zweiten Senats vom 25.Juli 2003 (BVerfGE_108,238 ff) auseinander und grenzt den vorliegenden Fall von diesem Verfahren ab. Die Klage betrifft keine Sammelklage. Kläger ist ein einzelner ehemaliger leitender Angestellter eines Tochterunternehmens der Beschwerdeführerin. Die geltend gemachte Schadensersatzsumme beläuft sich zwar auf einen beachtlichen Betrag, dieser steht aber nicht ohne jeden Bezug zur behaupteten Rechtsverletzung und dem behaupteten Schaden. Der Kläger hat in der Klageschrift im Einzelnen aufgeschlüsselt, aus welchen Posten sich seine Forderung zusammensetzt.

14

b) Ihren Vorwurf, die Klagezustellung diene allein dazu, sie zu einem Vergleich zu bewegen, sucht die Beschwerdeführerin dadurch zu belegen, dass sie die Klage als offensichtlich unzulässig bezeichnet. Nach dem Haager Zustellungsübereinkommen ist es aber nicht die Aufgabe der deutschen Behörden, eine ausländische Klage nach dem einschlägigen Prozessrecht des ersuchenden Staats auf ihre Zulässigkeit zu überprüfen. Die Formalisierung des Zustellungsverfahrens will zur Förderung des zwischenstaatlichen Rechtsverkehrs vielmehr gerade ausschließen, dass eine Prüfung vorgenommen wird. Aus verfassungsrechtlicher Sicht kann den deutschen Behörden kein Vorwurf eines unverhältnismäßigen Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit gemacht werden, wenn sie die prozessrechtlichen Grundlagen des ausländischen Rechts bei der Zustellung der Klage in Deutschland nicht überprüfen.

15

c) Auch die Unterwerfung unter eine "pre-trial discovery", ein zwischen Klageerhebung und mündlicher Verhandlung durchgeführtes Beweis- und Beweisermittlungsverfahren (vgl auch BGHZ_118,312 <323>), stellt keinen offensichtlichen Verstoß gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats dar. Zwar kann ein solches Verfahren in Richtung einer "Ausforschung" des Gegners ausgestaltet werden (vgl Hay, US-amerikanisches Recht, 3.Aufl 2005, Rn.189), die reine Möglichkeit verstößt aber im Verfahren der Klagezustellung nicht gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung. Vor einer konkreten gegen die Beschwerdeführerin gerichteten Beweisaufnahme bedarf es weiterer Rechtshilfeentscheidungen deutscher Hoheitsträger, bei denen die Rechte der Beschwerdeführerin zu beachten sind. Sie wird durch die Eröffnung der Möglichkeit eines pre-trial discovery-Verfahrens durch eine Klagezustellung in Deutschland nicht zugleich schutzlos einer Ausforschung ausgeliefert.

16

d) Dass die Beschwerdeführerin ihre außergerichtlichen Kosten, das heißt in erster Linie ihre Anwaltskosten, nicht ersetzt bekommt, selbst wenn die US-amerikanische Klage sich später als unzulässig herausstellen sollte (vgl dazu Hay, aaO, Rn.154), begründet ebenfalls keinen Verstoß gegen unverzichtbare rechtsstaatliche Grundsätze. Die Risiken gerichtlicher Entscheidungen, die sich in prozessualer und materieller Hinsicht von deutschem Recht unterscheiden, hat ein Unternehmer, der grenzüberschreitend am Wirtschaftsleben teilnimmt, grundsätzlich zu tragen. Fehlende Kostenerstattung für die obsiegende Partei ist dem deutschen Recht außerdem nicht völlig fremd. Gemäß § 12a Abs.1 Satz 1 ArbGG erhält die im ersten Rechtszug des Urteilsverfahrens obsiegende Partei im Arbeitsgerichtsprozess ebenfalls keine Erstattung ihrer Anwalts- und sonstigen Verfahrenskosten, ohne dass dies verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet."

 

Auszug aus BVerfG B, 24.01.07, - 2_BvR_1133/04 -, www.BVerfGE.de,  Abs.9 ff

§§§

07.004 Unterschriftenaktion

  1. BVerfG,     B, 06.02.07,     – 1_BvR_978/05 –

  2. www.BVerfGE.de

  3. GG_Art.9 Abs.3, GG_Art.20 Abs.3

  4. Koalitionsfreiheit / Einschränkung / kollidierende Verfassungsrechte / staatliche Neutralität / Amtsgeschäfte

T-07-004

LB 1) Zum Schutz der Koalitionsfreiheit.

Abs.23

LB 2) Die in Art.9 Abs.3 GG garantierte Koalitionsfreiheit kann, obwohl sie ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet ist, jedenfalls zum Schutz von Rechtsgütern und Gemeinwohlbelangen eingeschränkt werden, denen gleichermaßen verfassungsrechtlicher Rang gebührt.

Abs.23

LB 3) Die kollidierenden Verfassungsrechte sind in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.

Abs.28

LB 4) Die staatliche Neutralität und das öffentliche Vertrauen in die Objektivität und gemeinwohlorientierte Ausführung der Amtsgeschäfte können beeinträchtigt werden, wenn sich eine Gewerkschaft den - hier sogar räumlich zu verstehenden - Bereich staatlicher Aufgabenerfüllung mit einer Unterschriftenaktion zur Durchsetzung ihrer politischen Forderungen zu Nutze zu machen versucht.

* * *

T-07-004Koalitionsfreiheit + Dienststelle

21

"a) Art.9 Abs.3 GG schützt nicht nur den Einzelnen in seiner Freiheit, eine Vereinigung zur Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gründen, ihr beizutreten oder fernzubleiben oder sie zu verlassen. Geschützt ist auch die Koalition selbst in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihren Betätigungen, sofern diese der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen (vgl BVerfGE_50,290 <373 f>; BVerfGE_84,212 <224>; BVerfGE_100,271 <282>; BVerfGE_103,293 <304> ). Der Schutz ist nicht von vornherein auf einen Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigungen beschränkt, die für die Sicherung des Bestands der Koalitionen unerlässlich sind. Er erstreckt sich vielmehr auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen (vgl BVerfGE_93,352 <358>; BVerfGE_94,268 <283>; BVerfGE_103,293 <304> ; BVerfG, Beschluss vom 11.Juli 2006 - 1 BvL 4/00 -, NJW_07,51 <53>). Ob eine koalitionsspezifische Betätigung für die Wahrnehmung der Koalitionsfreiheit unerlässlich ist, kann erst bei Einschränkungen dieser Freiheit Bedeutung erlangen (vgl BVerfGE_93,352 <358>).

22

In den Schutzbereich des Art.9 Abs.3 GG sind solche Betätigungen einbezogen, die dem Zweck der Koalitionen dienen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern (vgl BVerfGE_28,295 <305> ). Die Wahl der Mittel, die die Koalitionen zur Erfüllung ihrer Aufgaben für geeignet halten, bleibt unter dem Schutz des Art.9 Abs.3 GG grundsätzlich ihnen überlassen (vgl.BVerfGE_42,133 <138>; BVerfGE_92,365 <393> ; BVerfGK 4,60 <63>). Die freie Darstellung organisierter Gruppeninteressen ist Bestandteil der Betätigungsfreiheit, die Art.9 Abs.3 GG den Koalitionen gewährleistet (vgl BVerfGE_20,56 <107>). Allgemeinpolitische Aussagen ohne Bezug zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen sind hiervon jedoch nicht umfasst (vgl BVerfGE_42,133 <138>; BVerfGE_57,29 <37 f>).

23

Die in Art.9 Abs.3 GG garantierte Koalitionsfreiheit kann, obwohl sie ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet ist, jedenfalls zum Schutz von Rechtsgütern und Gemeinwohlbelangen eingeschränkt werden, denen gleichermaßen verfassungsrechtlicher Rang gebührt (vgl BVerfGE_84,212 <228>; BVerfGE_92,26 <41>; BVerfGE_100,271 <283>; BVerfGE_103,293 <306> ). Die kollidierenden Verfassungsrechte sind in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl BVerfGE_89,214 <232>; BVerfGE_97,169 <176> ). Die Grenzen zulässiger Beeinträchtigungen sind überschritten, soweit einschränkende Regelungen nicht zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sind (vgl BVerfGE_93,352 <359> ). Eingriffe in das Grundrecht des Art.9 Abs.3 GG können nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beispielsweise auch bei einer Störung des Arbeitsablaufs und des Betriebsfriedens (vgl BVerfGE_57,220 <246>; BVerfGE_93,352 <361>) oder zur Wahrung des Vertrauens in die Neutralität eines Personalrats (vgl BVerfGE_28,295 <307>) gerechtfertigt sein.

24

Die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts ist zunächst Sache der Fachgerichte und einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen. Das gilt auch, soweit es sich um auf der Grundlage von Art.9 Abs.3 GG entwickeltes Richterrecht handelt. Auch dieses Richterrecht bleibt einfaches Recht, dessen Auslegung und Anwendung vom Bundesverfassungsgericht nach denselben Maßstäben zu überprüfen ist, nach denen entsprechendes Gesetzesrecht zu überprüfen wäre (vgl BVerfGK 4, 60 <63>). Das Bundesverfassungsgericht kontrolliert hierbei nur, ob der Einfluss der Grundrechte grundlegend verkannt wurde (vgl BVerfGE_18,85 <92 f>; BVerfGE_89,276 <285> ). Es ist nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts zu kontrollieren, wie die Gerichte den Rechtsschutz im Einzelnen auf der Grundlage des einfachen Rechts gewähren und ob ihre Auslegung den bestmöglichen Schutz sichert (vgl BVerfGE_92,140 <153> ). Insbesondere ist die Feststellung und Würdigung der Tatsachen, die der rechtlichen Würdigung zugrunde liegen, Sache der Fachgerichte (vgl BVerfGE_96,189 <200>; BVerfGE_100,214 <222>).

25

b) Nach diesen Maßstäben kann eine Verletzung der durch Art.9 Abs.3 GG geschützten Koalitionsfreiheit der Beschwerdeführerin nicht festgestellt werden.

26

aa) Die Fachgerichte sind zu Recht davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin durch die Einschränkung, die Unterschriftenlisten nicht in den Polizeidienststellen auslegen zu dürfen, in ihrer durch Art.9 Abs.3 GG gewährleisteten Koalitionsfreiheit beeinträchtigt wird, weil dieses Vorhaben mit dem Ziel, Unterstützung durch die Bevölkerung für die Forderung nach einer Einstellung von 5.000 neuen Polizeibediensteten zu erhalten, in den Schutzbereich des Art.9 Abs.3 GG fällt. Das Vorhaben weist hiernach einen hinreichenden Bezug zum koalitionsspezifischen Zweck der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auf, und die Auswahl der Orte, an denen die Unterschriftenlisten ausgelegt werden sollten, ist vom Schutz des Art.9 Abs.3 GG grundsätzlich umfasst.

27

bb) In verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Beschwerdeführerin die Einschränkung ihrer Betätigungsfreiheit jedoch hinnehmen muss, soweit sie darauf verwiesen wurde, die Unterschriftenaktion nicht in den Räumlichkeiten der Polizeidienststellen durchzuführen."

28

(1) Das Bundesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass die konkrete koalitionsspezifische Betätigung mit der Funktionsfähigkeit einer neutralen und allein nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten handelnden öffentlichen Verwaltung kollidiert, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass nach außen der Eindruck vermittelt wird, die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben werde mit politischen Forderungen einer Interessengruppe verknüpft. Diese Beurteilung beruht nicht auf einer grundlegenden Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der Koalitionsfreiheit. Das vom Bundesarbeitsgericht herangezogene, mit der Koalitionsfreiheit kollidierende Rechtsgut ist geeignet, Grundrechtsbeschränkungen zu rechtfertigen. Die staatliche Neutralität und das öffentliche Vertrauen in die Objektivität und gemeinwohlorientierte Ausführung der Amtsgeschäfte können beeinträchtigt werden, wenn sich eine Gewerkschaft den - hier sogar räumlich zu verstehenden - Bereich staatlicher Aufgabenerfüllung zur Durchsetzung ihrer politischen Forderungen zu Nutze zu machen versucht.

29

Die fachgerichtliche Tatsachenbewertung, dass bei der Unterschriftenaktion der Beschwerdeführerin der Anschein einer unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten unzulässigen Vermengung hoheitlicher Tätigkeiten mit der Unterstützung von Partikularinteressen nicht ausgeschlossen werden konnte, lässt keine verfassungsrechtlichen Mängel erkennen. Das staatliche Anliegen, jeden Anschein einer Billigung oder Unterstützung interessengeleiteter Forderungen durch seine Bediensteten, Dienststellen und Behörden zu vermeiden, ist geeignet, politisch motivierter Betätigung von Interessengruppen innerhalb von Dienstgebäuden Grenzen zu setzen.

30

(2) Die vom Bundesarbeitsgericht getroffene Abwägung der betroffenen Rechtsgüter wird der Bedeutung und Tragweite der Koalitionsfreiheit der Beschwerdeführerin gerecht.

31

Die Bewertung des Bundesarbeitsgerichts, dass dem Interesse der Beschwerdeführerin verhältnismäßig geringes Gewicht beizumessen war, ist tragfähig. Sie knüpft an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an, nach denen die Unerlässlichkeit der durch Art.9 Abs.3 GG geschützten Betätigung im Rahmen der Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern berücksichtigt werden kann (vgl BVerfGE_93,352 <358> ). Hiernach durfte das Bundesarbeitsgericht darauf abstellen, dass sich die Aktion der Beschwerdeführerin nicht an die Polizeibediensteten, sondern an die Öffentlichkeit richtete und deshalb ebenso gut außerhalb der Dienstgebäude durchgeführt werden konnte. Ließ sich so eine Beeinträchtigung des öffentlichen Vertrauens in eine objektive und neutrale Amtsführung vermeiden, und trat auf der anderen Seite allein durch die örtliche Einschränkung der Betätigungsfreiheit keine erhebliche Beeinträchtigung der geschützten Interessen der Beschwerdeführerin ein, greifen die von der Beschwerdeführerin gegen die einzelfallbezogene Güterabwägung vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht durch."

 

Auszug aus BVerfG B, 06.02.07, - 1_BvR_978/05 -, www.BVerfGE.de,  Abs.21 ff

§§§

07.005 Bewerberverfahrensanspruch

  1. BVerfG,     B, 07.02.07,     – 2_BvQ_62/06 –

  2. www.BVerfGE.de

  3. GG_Art.33 Abs.2; BVerfGE_§_32

  4. Einstweilige Anordnung / Bewerberverfahrensanspruch / höheres Statusamt / Eingungsvorsprung

T-07-005

LB 1) Erfolgreicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 BVerfGG zur Sicherung eines Bewerberverfahrensanspruches durch das BVerfG. .

Abs.7

LB 2) Nach Ansicht des BVerfG ist die Ansicht des Beschwerdeführers, daß ein höheres Statusamt, das allein auf auf einer höheren Zahl von Richterplanstellen beruht und nicht auf einer höherern Sprichrichtertätigkeit keinen Eignungsvorsprung iSd Art.33 Abs.2 nach sich ziehe, nicht offensichtlich unbegründet.

* * *

Beschluss:

1) Die Wirkung des Beschlusses des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 1.November 2006 - 2 EO 714/06 - wird bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Antragstellers, längstens für die Dauer von sechs Monaten, ausgesetzt.

2) Dem Freistaat Thüringen wird aufgegeben, die Stelle des Präsidenten des Thüringer Landesarbeitsgerichts bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Antragstellers, längstens für die Dauer von sechs Monaten, freizuhalten.

3) Der Freistaat Thüringen hat dem Antragsteller die notwendigen Auslagen zu erstatten.

* * *

T-07-005Einstweilige Anordnung - BVerfG

5

"Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

6

Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl BVerfGE_7,367 <371>; BVerfGE_68,233 <235>; BVerfGE_71,158 <161>; BVerfGE_79,379 <383>; BVerfGE_91,140 <144>; BVerfGE_103,41 <42>; stRspr). Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl BVerfGE_88,169 <172>; BVerfGE_88,173 <179 f>; BVerfGE_91,140 <144>; BVerfGE_99,57 <66>; stRspr).

7

1. Es bleibt dem Hauptverfahren vorbehalten zu klären, ob die angegriffenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Weimar und des Thüringer Oberverwaltungsgerichts den Antragsteller tatsächlich in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzen. Der Verfassungsbeschwerde des Antragstellers können jedenfalls nicht von vornherein jegliche Erfolgsaussichten abgesprochen werden. Der Antragsteller hat geltend gemacht, er sei durch die Auswahlentscheidung des Justizministeriums in seinem Recht auf gleichen Zugang zum öffentlichen Amt aus Art.33 Abs.2 GG verletzt. Das Justizministerium habe angenommen, dem Beigeladenen des Ausgangsverfahrens komme allein aufgrund des von ihm innegehabten höheren Statusamts ein Leistungs- und Eignungsvorsprung im Bereich der Rechtsprechung zu. Eine derart starre Anwendung des Grundsatzes vom höheren Statusamt sei mit Art.33 Abs.2 GG nicht vereinbar. Das Justizminsterium habe insoweit außer acht gelassen, dass die statusrechtliche Besserstellung des Beigeladenen nicht auf einer höherwertigen Spruchrichtertätigkeit, sondern ausschließlich auf der höheren Zahl von Richterplanstellen beruhe, auf die sich seine Verwaltungszuständigkeit beziehe. Des Weiteren hat er behauptet, das Oberverwaltungsgericht habe sein Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt. Der zuständige Senat habe es bewusst vermieden, über seinen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden zu entscheiden. Diese und die weiteren Rügen des Antragstellers sind jedenfalls nicht offensichtlich unbegründet.

8

2. Im Rahmen der somit erforderlichen Folgenabwägung überwiegen die Gründe für den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

9

a) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, so könnte der Beigeladene des Ausgangsverfahrens zum Präsidenten des Thüringer Landesarbeitsgerichts ernannt werden. Die Rechte des Antragstellers würden hierdurch nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte endgültig vereitelt. Die Ernennung des Beigeladenen ließe sich auch dann nicht mehr rückgängig machen, wenn sich später herausstellen sollte, dass die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Hoheitsakte den Antragsteller in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzen (vgl BVerwGE_118,370 <372>).

10

b) Gegenüber dem irreparablen Rechtsverlust, der dem Antragsteller droht, wiegen die Nachteile, die entstehen, wenn eine einstweilige Anordnung erlassen wird, die Verfassungsbeschwerde aber später keinen Erfolg hat, weniger schwer. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung führt in diesem Fall lediglich zu einer weiteren (geringfügigen) Verzögerung der Besetzung der Stelle des Präsidenten des Thüringer Landesarbeitsgerichts, die ohnehin schon seit mehr als zwei Jahren vakant ist. Hierdurch sind keine wesentlichen Störungen für den Dienstbetrieb der Arbeitsgerichtsbarkeit in Thüringen zu erwarten.

11

3. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs.3 BVerfGG."

 

Auszug aus BVerfG B, 07.02.07, - 2_BvQ_62/06 -, www.BVerfGE.de,  Abs.5 ff

§§§

07.006 Blutentnahme

  1. BVerfG,     B, 12.02.07,     – 2_BvR_273/06 –

  2. www.BVerfGE.de

  3. GG_Art.19 Abs.4; StPO_§_81a Abs.2

  4. Anordnung / Richter / Verzögerung / Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft / Gefährdung des Untersuchungserfolges / Begründungspflicht / effektiver Rechtsschutz

T-07-006

LB 1) Nach § 81a Abs.2 StPO steht die Anordnung der Blutentnahme grundsätzlich dem Richter zu.

Abs.17

LB 2) Nur bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung besteht auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und - nachrangig - ihrer Ermittlungspersonen.

Abs.17

LB 3) Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist.

Abs.17

LB 4) Das Vorliegen einer solchen Gefährdung unterliegt der vollständigen, eine Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen ausschließenden gerichtlichen Überprüfung.

Abs.18

LB 5) Unterlässt das Gericht insoweit eine eigene Sachprüfung versagt es dem Bewerdeführer effektiven Rechtsschutz.

* * *

T-07-006Effektiver Rechtsschutz

14

"2. Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art.19 Abs.4 GG, weil das Landgericht die Voraussetzungen der staatsanwaltlichen Eilkompetenz nicht geprüft hat. Dabei bedarf es hier keiner Entscheidung, ob die zur Wohnungsdurchsuchung entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäbe auf die Maßnahme der körperlichen Untersuchung des Beschuldigten nach § 81a StPO in vollem Umfang übertragbar sind.

15

a) Auch im Falle einer Blutentnahme nach § 81a StPO muss jedenfalls eine effektive nachträgliche gerichtliche Kontrolle staatsanwaltschaftlicher Eilanordnungen gewährleistet sein, die dem Beschwerdeführer versagt geblieben ist.

16

Die Blutentnahme nach § 81a StPO ist insoweit mit der Durchsuchung von Wohnräumen vergleichbar, als es sich regelmäßig um eine Maßnahme handelt, deren direkte Belastung sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. Die Frage, ob es sich bei der Anordnung einer Blutentnahme um einen schwer wiegenden Grundrechtseingriff handelt, kann dahinstehen, da die Inanspruchnahme der staatsanwaltlichen Eilkompetenz hier jedenfalls ein objektiv willkürliches Vorgehen nahe legt.

17

Nach § 81a Abs.2 StPO steht die Anordnung der Blutentnahme grundsätzlich dem Richter zu. Der Richtervorbehalt - auch der einfachgesetzliche - zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten gegenwärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl BVerfGE_96,44 <51 ff>; BVerfGE_103,142 Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft nicht geäußert, obwohl der Beschwerdeführer diesen Gesichtspunkt mit seiner Beschwerde ausdrücklich gerügt hat. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs begründende einzelfallbezogene Tatsachen wurden von der die Blutentnahme anordnenden Staatsanwaltschaft nicht in den Ermittlungsakten vermerkt. Da der Zweck der Maßnahme - die Überprüfung, ob der Beschwerdeführer Umgang mit Betäubungsmitteln hatte, was für das gegen ihn eingeleitete Verfahren wegen unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes mittelbar von Bedeutung sein konnte - auch nach Einholung einer richterlichen Anordnung noch erreichbar war und im Übrigen durch nichts belegt ist, dass diese - um 9:00 Uhr morgens - nicht hätte erlangt werden können, lagen die Voraussetzungen einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs objektiv nicht vor. Dies hat das Landgericht in nicht vertretbarer Weise missachtet, indem es die Frage der Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft nicht erörtert und die Anordnung als rechtmäßig erachtet hat. Damit hat es dem Beschwerdeführer effektiven Rechtsschutz durch eine eigene Sachprüfung versagt."

 

Auszug aus BVerfG B, 12.02.07, - 2_BvR_273/06 -, www.BVerfGE.de,  Abs.14 ff

§§§

07.007 Hoher Gegenstandswert

  1. BVerfG,     B, 13.02.07,     – 1_BvR_910/05 –

  2. BVerfGE_118,1 = www.BVerfGE.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.12 Abs.1; RVG_§_22 Abs.2, RVG_§_23 Abs.1 S.1; GKG_§_39 Abs.2

  4. _LS_2 Streitigkeiten / Gebühren / Begrenzung / Vereinbarkeit

 

1) Die Begrenzung der gesetzlichen Gebühren bei Streitigkeiten mit besonders hohen Gegenstandswerten ( § 22 Abs.2 RVG und § 23 Abs.1 Satz 1 RVG iVm § 39 Abs.2 GKG) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

LB 2) Zur abweichenden Meinung des Richters Gaier, siehe BVerfGE_118,29 ff und www.BVerfG.de Abs.106 ff.

§§§

07.008 Vaterschaftstest

  1. BVerfG,     U, 13.02.07,     – 1_BvR_421/05 –

  2. BVerfGE_117,202 = www.BVerfG.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.1 Abs.1, GG_Art.2 Abs.1

  4. Vaterschaft / Feststellung / geeignetes Verfahren

 

1) Der Gesetzgeber hat zur Verwirklichung des Rechts des rechtlichen Vaters auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes von ihm (Art.2 Abs.1 iVm Art.1 Abs.1 GG) ein geeignetes Verfahren allein zur Feststellung der Vaterschaft bereitzustellen.

 

2) Es entspricht dem Grundgesetz, wenn die Gerichte die Verwertung heimlich eingeholter genetischer Abstammungsgutachten wegen Verletzung des von Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG geschützten Rechts des betroffenen Kindes auf informationelle Selbstbestimmung als Beweismittel ablehnen.

* * *

Urteil:

Entscheidungsformel:

1) Der Gesetzgeber hat es unter Verletzung von Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes unterlassen, ein rechtsförmiges Verfahren bereitzustellen, in dem die Abstammung eines Kindes von seinem rechtlichen Vater geklärt und nur ihr Bestehen oder Nichtbestehen festgestellt werden kann.

2) Dem Gesetzgeber wird aufgegeben, bis zum 31.März 2008 eine derartige Regelung zur Feststellung der Abstammung eines Kindes von seinem rechtlichen Vater zu treffen.

3) Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

4) Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten. Entscheidungsformel:

§§§

07.009 Videoüberwachung

  1. BVerfG,     B, 23.02.07,     – 1_BvR_2368/06 –

  2. www.BVerfGE.de

  3. GG_Art.1 Abs.1, GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.103 Abs.1; (By) DSG_§_16 Abs.1, DSG_§_17 Abs.1

  4. öffentliche Begegnungsstätte / gesetzliche Ermächtigung / allgemeines Persönlichkeitsrecht / informationelle Selbstbestimmung / Einschränkung

T-07-007

LB 1) Die Videoüberwachung einer öffentlichen Begegnungsstätte bedarf einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung.

Abs.50

LB 2) Liegt eine gesetzliche Ermächtigung nicht vor verletzt die Videoüberwachung öffentlicher Plätze das durch (Art.2 Abs.1 iVm Art.1 Abs.1 GG) gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen.

Abs.41

LB 3) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist der Einschränkung im überwiegenden Allgemeininteresse zugänglich. Diese bedarf jedoch einer gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht und verhältnismäßig ist (vgl BVerfGE_65,1 <43 f>).

Abs.45

LB 4) Angesichts des erheblichen Gewichts der Grundrechtsbeeinträchtigung kann die geplante Videoüberwachung nicht auf Art.16 Abs.1 und Art.17 Abs.1 BayDSG gestützt werden. Diese Ermächtigungsgrundlage enthält keine hinreichenden Vorgaben für eine Videoüberwachung öffentlicher Plätze.

* * *

T-07-007öffentlicher Begegnungstätten

36

"3. Die geplante Videoüberwachung ist nicht auf eine dafür hinreichende gesetzliche Ermächtigung gestützt. Daher verletzen die angegriffenen Entscheidungen, soweit sie die Zulässigkeit der Überwachung bejahen, das durch Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers.

37

a) Die geplante Videoüberwachung greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung ein. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen (vgl BVerfGE_65,1 <42 f>; BVerfGE_67,100 <143>).

38

Das durch die Videoüberwachung gewonnene Bildmaterial kann und soll dazu genutzt werden, belastende hoheitliche Maßnahmen gegen Personen vorzubereiten, die in dem von der Überwachung erfassten Bereich bestimmte unerwünschte Verhaltensweisen zeigen. Die offene Videoüberwachung eines öffentlichen Ortes kann und soll zugleich abschreckend wirken und insofern das Verhalten der Betroffenen lenken (vgl Geiger, Verfassungsfragen zur polizeilichen Anwendung der Video-Überwachungstechnologie bei der Straftatbekämpfung, 1994, S.52 ff). Durch die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials werden die beobachteten Lebensvorgänge technisch fixiert und können in der Folge abgerufen, aufbereitet und ausgewertet sowie mit anderen Daten verknüpft werden. So kann eine Vielzahl von Informationen über bestimmte identifizierbare Betroffene gewonnen werden, die sich im Extremfall zu Profilen des Verhaltens der betroffenen Personen in dem überwachten Raum verdichten lassen.

39

(Abs.39) Der Eingriff in das Grundrecht entfällt nicht dadurch, dass lediglich Verhaltensweisen im öffentlichen Raum erhoben werden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet nicht allein den Schutz der Privat- und Intimsphäre, sondern trägt in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch den informationellen Schutzinteressen des Einzelnen, der sich in die Öffentlichkeit begibt, Rechnung (vgl BVerfGE_65,1 <45>).

40

Von einer einen Eingriff ausschließenden Einwilligung in die Informationserhebung kann selbst dann nicht generell ausgegangen werden, wenn die Betroffenen aufgrund einer entsprechenden Beschilderung wissen, dass sie im räumlichen Bereich der Begegnungsstätte gefilmt werden. Das Unterlassen eines ausdrücklichen Protests kann nicht stets mit einer Einverständniserklärung gleichgesetzt werden (vgl VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.Juli 2003 - 1 S 377/02 -, NVwZ_04,498 <500>; Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen, Urteil vom 10.Juli 2003 - Vf.43-II-00 -, S.86 des Umdrucks).

41

b) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist der Einschränkung im überwiegenden Allgemeininteresse zugänglich. Diese bedarf jedoch einer gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht und verhältnismäßig ist (vgl BVerfGE_65,1 <43 f>). Daran fehlt es hier.

42

aa) Gegenstand der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht ist das einfache Recht in der Auslegung, die es durch die dazu in erster Linie berufenen Fachgerichte erfahren hat. Das Bundesverfassungsgericht überprüft aber, ob die Fachgerichte bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts verfassungsrechtliche Vorgaben außer Acht gelassen haben (vgl BVerfGE_113,63 <80 f>; stRspr).

43

Das Verwaltungsgericht hat als gesetzliche Grundlage der Videoüberwachung Art.16 Abs.1 BayDSG herangezogen. Diese Norm erlaubt das Erheben personenbezogener Daten, wenn ihre Kenntnis zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der erhebenden Stelle liegenden Aufgaben erforderlich ist. Als solche Aufgabe hat das Verwaltungsgericht die Befugnis der Beklagten zum Schutz der von ihr getragenen öffentlichen Einrichtungen herangezogen.

44

Grundlage für die Aufzeichnung und Verwertung des gewonnenen Bildmaterials ist nach diesem Ansatz Art.17 Abs.1 BayDSG, der zwar in den von der Beklagten stammenden Ausführungen, jedoch nicht in den angegriffenen Entscheidungen ausdrücklich erwähnt wird. Wäre Art.17 Abs.1 BayDSG vom Verwaltungsgericht nicht auch zumindest implizit in die Prüfung einbezogen worden, müsste seine Entscheidung zur rechtlichen Unbedenklichkeit der geplanten Aufzeichnung schon deshalb als verfassungswidrig eingeordnet werden, weil dieses Ergebnis sich nicht auf eine Prüfung anhand einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung hätte beziehen können."

45

bb) Art.16 Abs.1 und Art.17 Abs.1 BayDSG sind als Ermächtigungsgrundlage für eine Videoüberwachung mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials nicht hinreichend bestimmt.

46

(1) Die Entscheidung über die Grenzen der Freiheit des Bürgers darf nicht einseitig in das Ermessen der Verwaltung gestellt sein (vgl BVerfGE_78,214 <226> ). Dem Gesetz kommt im Hinblick auf den Handlungsspielraum der Exekutive eine begrenzende Funktion zu, die rechtmäßiges Handeln des Staates gewährleisten und dadurch auch die Freiheit der Bürger schützen soll (vgl BVerfGE_113,348 <376> ). Dementsprechend soll der Grundsatz der Normenbestimmtheit und Normenklarheit sicherstellen, dass die gesetzesausführende Verwaltung für ihr Verhalten steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfindet und dass die Gerichte die Rechtskontrolle durchführen können; ferner ermöglichen die Bestimmtheit und Klarheit der Norm, dass der betroffene Bürger sich auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen kann (vgl BVerfGE_110,33 <52 ff> ). Der Anlass, der Zweck und die Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden (vgl BVerfGE_65,1 <44 ff>; BVerfGE_100,313 <359 f, 372>; BVerfGE_110,33 <52>; BVerfGE_113,348 <375>).

47

Die konkreten Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Ermächtigung richten sich nach der Art und der Schwere des Eingriffs. Diese ergeben sich aus der Art der vorgesehenen Maßnahme und der von ihr für den Betroffenen ausgehenden Wirkungen. Welchem Ziel die Maßnahme dient, etwa der Gefahrenabwehr oder der Gefahrenverhütung, ist für die Beurteilung ihrer Schwere für den Betroffenen ohne Belang. Allerdings findet der Gesetzgeber je nach der zu erfüllenden Aufgabe zur Rechtfertigung der Eingriffsvoraussetzungen und zu ihrer Umsetzung unterschiedliche Möglichkeiten vor. Die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes richten sich auch nach diesen Regelungsmöglichkeiten (vgl BVerfGE_110,33 <55 f>).

48

Die Anforderungen der Normenbestimmtheit und Normenklarheit hat in erster Linie der Gesetzgeber zu beachten, der die Voraussetzungen eines Grundrechtseingriffs abstrakt-generell festlegt. Die Träger öffentlicher Verwaltung und die sie kontrollierenden Gerichte müssen diese Anforderungen insofern beachten, als ein staatlicher Eingriff nicht auf eine Rechtsgrundlage gestützt werden darf, die dem Bestimmtheitsgebot nicht entspricht.

49

(2) Diese Anforderungen wurden hier verfehlt, indem als Ermächtigungsgrundlagen für die Videoüberwachung der Begegnungsstätte Art.16 Abs.1 und Art.17 Abs.1 BayDSG herangezogen wurden.

50

(a) Die geplante Videoüberwachung des Bodenkunstwerks mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials bewirkt einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht von erheblichem Gewicht.

51

Maßgebend für die rechtliche Beurteilung der Intensität eines Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist die Art der Beeinträchtigung. Insofern kann auch von Belang sein, ob die betroffenen Personen für die Maßnahme einen Anlass geben und wie dieser beschaffen ist (vgl BVerfGE_100,313 <376>; BVerfGE_107,299 <318 ff>; BVerfGE_109,279 <353> ; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 4.April 2006 - 1 BvR 518/02 -, NJW_06,1939 <1942>). Verdachtslose Eingriffe mit großer Streubreite, bei denen zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben, weisen grundsätzlich eine hohe Eingriffsintensität auf (vgl BVerfGE_100,313 <376, 392>; BVerfGE_107,299 <320 f>; (BVerfGE_109,279 <353>; BVerfGE_113,348 <383>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 4.April 2006 - 1 BvR 518/02 -, NJW_06,1939 <1944>).

52

Die geplante Videoüberwachung ist ein intensiver Eingriff. Sie beeinträchtigt alle, die den betroffenen Raum betreten. Sie dient dazu, belastende hoheitliche Maßnahmen vorzubereiten und das Verhalten der den Raum nutzenden Personen zu lenken. Das Gewicht dieser Maßnahme wird dadurch erhöht, dass infolge der Aufzeichnung das gewonnene Bildmaterial in vielfältiger Weise ausgewertet, bearbeitet und mit anderen Informationen verknüpft werden kann. Von den Personen, die die Begegnungsstätte betreten, dürfte nur eine Minderheit gegen die Benutzungssatzung oder andere rechtliche Vorgaben, die sich aus der allgemeinen Rechtsordnung für die Benutzung der Begegnungsstätte ergeben, verstoßen. Die Videoüberwachung und die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials erfassen daher - wie bei solchen Maßnahmen stets - überwiegend Personen, die selbst keinen Anlass schaffen, dessentwegen die Überwachung vorgenommen wird.

53

(b) Angesichts des erheblichen Gewichts der Grundrechtsbeeinträchtigung kann die geplante Videoüberwachung nicht auf Art.16 Abs.1 und Art.17 Abs.1 BayDSG gestützt werden. Diese Ermächtigungsgrundlage enthält keine hinreichenden Vorgaben für eine Videoüberwachung öffentlicher Plätze.

46

Art.16 Abs.1 BayDSG normiert eine allgemeine Regelung für Datenerhebungen durch staatliche Stellen. Diese Norm knüpft lediglich an die Zuständigkeit der jeweils handelnden Behörde an und begrenzt die Datenerhebung lediglich durch das Gebot der Erforderlichkeit. Aufgaben- oder bereichsspezifische Voraussetzungen der Datenerhebung fehlen. Das in Art.16 Abs.1 BayDSG enthaltene Gebot der Erforderlichkeit kann die behördliche Praxis nicht hinreichend anleiten oder Kontrollmaßstäbe bereitstellen, wenn es nicht auf ein näher beschriebenes Normziel ausgerichtet wird. Die Norm bietet daher keine hinreichenden Maßstäbe für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Videoüberwachung. Auch kann der Einzelne auf dieser Grundlage nicht vorhersehen, bei welcher Gelegenheit, zu welchem Zweck und auf welche Weise Informationen über ihn erhoben werden dürfen.

55

Art.17 Abs.1 BayDSG, der die Speicherung, Veränderung und Nutzung der erhobenen Daten regelt, enthält gleichfalls keine hinreichenden Vorgaben für Anlass und Grenzen der erfassten datenbezogenen Maßnahmen, um als Ermächtigungsgrundlage für den beabsichtigten Grundrechtseingriff in Betracht zu kommen. Neben dem Gebot der Erforderlichkeit wird zwar auch der Erhebungszweck als Grenze der Datenverwendung genannt. Da jedoch Art.16 Abs.1 BayDSG den Erhebungszweck nicht näher umschreibt, verweist Art.17 Abs.1 BayDSG für Daten, die nach dieser Norm erhoben wurden, gleichfalls lediglich auf die Zuständigkeitsordnung.

56

cc) Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine Videoüberwachung öffentlicher Einrichtungen mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials auf der Grundlage einer hinreichend bestimmten und normenklaren Ermächtigungsgrundlage materiell verfassungsgemäß sein kann, wenn für sie ein hinreichender Anlass besteht und Überwachung sowie Aufzeichnung insbesondere in räumlicher und zeitlicher Hinsicht und im Hinblick auf die Möglichkeit der Auswertung der Daten das Übermaßverbot wahren. Da es jedoch im vorliegenden Fall bereits an einer hinreichend bestimmten und normenklaren Ermächtigungsgrundlage für die geplante Videoüberwachung fehlt, müssen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine derartige Überwachung hier nicht im Einzelnen bestimmt werden."

 

Auszug aus BVerfG B, 23.02.07, - 1_BvR_2368/06 -, www.BVerfGE.de,  Abs.36 ff

§§§

07.010 Erste Berufsjahre

  1. BVerfG,     B, 27.02.07,     – 1_BvL_10/00 –

  2. BVerfGE_117,272 = www.BVerfGE.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.14 Abs.1; SGB-VI_§_109

  4. Eigentumsgarantie / wertmindernde Eingriffe / Bestandsschutz

 

1) Der Eigentumsgarantie des Art.14 Abs.1 GG kann nicht entnommen werden, dass rentenrechtliche Anwartschaften allein aufgrund eines bestimmten Lebensalters des Versicherten (hier: Vollendung des 55.Lebensjahres) einen gesteigerten verfassungsrechtlichen Bestandsschutz gegenüber wertmindernden Eingriffen durch den Gesetzgeber aufweisen.

 

2) Zur Verfassungsmäßigkeit der rentenrechtlichen Neubewertung der ersten Berufsjahre durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz von 1996.

§§§

07.011 DDR-Verwaltungsakte

  1. BVerfG,     B, 27.02.07,     – 1_BvR_1982/01 –

  2. BVerfGE_117,302 = www.BVerfGE.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1; EV_Art.19 S.2 +3; SGB-X_§_44

  4. Einigungsvertrag / Auslegung / Gleichheitssatz / VA

 

Es ist mit Art.3 Abs.1 GG vereinbar, Art.19 Satz 2 und 3 des Einigungsvertrages in der Weise auszulegen, dass Verwaltungsakte der Deutschen Demokratischen Republik, die nicht gegen fundamentale rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen, von einer Rücknahme nach § 44 SGB X ausgeschlossen sind.

§§§

07.012 Cicero

  1. BVerfG,     B, 27.02.07,     – 1_BvR_538/06 –

  2. BVerfGE_117,244 = www.BVerfGE.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.5 Abs.1 S.2, GG_Art.19 Abs.4; StGB_§_353b; StPO_§_97 Abs.5 S.2, StPO_§_53 Abs.1 S.1 Nr.5

  4. Ermittlungsverfahren / Durchsuchungen + Beschlagnahme / Presseangehöriger Unzulässigkeit.

 

1) Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige sind verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln (Bestätigung von BVerfGE_20,162 <191 f, 217>).

 

2) Die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses im Sinne des § 353b StGB durch einen Journalisten reicht im Hinblick auf Art.5 Abs.1 Satz 2 GG nicht aus, um einen den strafprozessualen Ermächtigungen zur Durchsuchung und Beschlagnahme genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. °(°5° ° °þ ? ? ? ? ª î Ö  r e X K > 1 $ ²÷Ò÷­÷Í÷?÷"÷?÷ó÷ò÷ê÷c É ?è § 353b StGB durch einen Journalisten reicht im Hinblick auf Art.5 Abs.1 Satz 2 GG nicht aus, um einen den strafprozessualen Ermächtigungen zur Durchsuchung und Beschlagnahme genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen.

 

3) Zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gegenüber Beschlagnahmen redaktionellen Materials.

* * *

Beschluss:

Entscheidungsformel:

1) Die Beschlüsse des Amtsgerichts Potsdam vom 31.August 2005 - 78 Gs 738/05 - und vom 14.November 2005 - 78 Gs 909/05 - sowie der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 27. Januar 2006 - 24 Qs 165/05 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes; der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 24.Februar 2006 - 24 Qs 187/05 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.

2) Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sachen werden zur Entscheidung über die Kosten an das Landgericht Potsdam zurückverwiesen.

3) Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

§§§

07.013 Künstliche Befruchtung

  1. BVerfG,     U, 28.02.07,     – 1_BvL_5/03 –

  2. BVerfGE_117,316 = www.BVerfGE.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.6; SGV-V_§_27a Abs.1 Nr.3

  4. Schwangerschaft / Herbeiführung / Beschränkung / Verheiratete

 

Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, dass § 27a Abs.1 Nr.3 SGB V die Leistung medizinischer Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft (künstliche Befruchtung) durch die gesetzliche Krankenversicherung auf Personen beschränkt, die miteinander verheiratet sind.

§§§

07.014 Betreuungsunterhalt

  1. BVerfG,     B, 28.02.07,     – 1_BvL_9/04 –

  2. BVerfGE_118,45 = www.BVerfGE.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.6 Abs.5; BGB_§_1570, BGB_§_1615l Abs.2 S.3

  4. Unterhaltsanspruch / Dauer / Kind / Betreuung / Differnzierung ehelich unehelich

 

Es verstößt gegen Art.6 Abs.5 GG, die Dauer eines Unterhaltsanspruchs, den der Gesetzgeber einem Elternteil wegen der Betreuung seines Kindes gegen den anderen Elternteil einräumt, für eheliche und nichteheliche Kinder unterschiedlich zu bestimmen.

* * *

Beschluss:

Entscheidungsformel:

1) Die unterschiedliche Regelung der Unterhaltsansprüche wegen der Pflege oder Erziehung von Kindern in § 1570 des Bürgerlichen Gesetzbuches einerseits und § 1615l Absatz 2 Satz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches andererseits ist mit Artikel 6 Absatz 5 des Grundgesetzes unvereinbar.

2) Dem Gesetzgeber wird aufgegeben, bis zum 31.Dezember 2008 eine verfassungsmäßige Regelung zu treffen.

§§§

07.015 Bewerberauswahl-Einengung

  1. BVerfG,     B, 28.02.07,     – 2_BvR_2494/06 –

  2. www.BVerfGE.de

  3. GG_Art.33 Abs.2, GG_Art.92, GG_Art.97

  4. Einengung / Bewerberkreis / richterliches Eingangsamt / Versetzungsbewerber

 

LB 1) Nach ständiger, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist die öffentliche Verwaltung im Rahmen der ihr zustehenden Personal- und Organisationshoheit nicht gehindert, den Kreis der nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu vergleichenden Bewerber um ein öffentliches Amt aufgrund sachlicher Erwägungen einzuengen.

 

LB 2) In Konstellationen, in denen sich auf ausgeschriebene Stellen für richterliche Eingangsämter mehr ernennungsreife Richter auf Probe bewerben als Stellen vorhanden sind, ist es nicht zu beanstanden , wenn der Dienstherr das Bewerberfeld entsprechend beschränkt und Versetzungsbewerber vom Auswahlverfahren ausschließt.

§§§

07.016 Lebenshaltungskosten

  1. BVerfG,     U, 06.03.07,     – 2_BvR_556/04 –

  2. BVerfGE_117,330 = www.BVerfGE.de

  3. GG_Art.33 Abs.5

  4. Alimentationsprinzip / regional unterschiedliche Lebenshaltungskosten / Ortszulagensystem / hergebrachte Grundsätze / Leistungsgrundsatz

T-07-008

Zur Frage, ob das Alimentationsprinzip den Besoldungsgesetzgeber verpflichtet, regional unterschiedliche Lebenshaltungskosten auszugleichen.

Abs.53

LB 2) Ein Ortszulagensystem der Beamtenbesoldung ist nicht gemäß Art.33 Abs.5 GG in der hier maßgeblichen Ursprungsfassung als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums geschützt.

Abs.59

LB 3) Das Alimentationsprinzip verpflichtet den Besoldungsgesetzgeber in der gegenwärtigen Lage nicht, den erhöhten Lebenshaltungskosten in München durch einen spezifischen Ausgleich Rechnung zu tragen ª î Ö  r e X K > 1 $ ²÷Ò÷­÷Í÷?÷"÷?÷ó÷ò÷ê÷c ' $" Besoldungsgesetzgeber in der gegenwärtigen Lage nicht, den erhöhten Lebenshaltungskosten in München durch einen spezifischen Ausgleich Rechnung zu tragen.

Abs.72

LB 4) Eine derartige Handlungspflicht folgt auch nicht aus dem Leistungsgrundsatz.

* * *

T-07-008München + erhöhte Lebenshaltungskosten

53

"3. Selbst wenn danach Ortszulagen in der Beamtenbesoldung als hergebracht angesehen werden können, unterfallen sie nicht dem Schutz des Art.33 Abs.5 GG. Dieser umfasst nicht jede einfachgesetzliche Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses, sondern nur den überlieferten Kernbestand von Strukturprinzipien (vgl BVerfGE_43,242 <278>; BVerfGE_106,225 <232>; stRspr). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers wird daher nur durch solche hergebrachten Regelungen beschränkt, die das Bild des Beamtentums in seiner überkommenen Gestalt und Funktion so prägen, dass ihre Beseitigung auch das Wesen des Beamtentums antasten würde (vgl BVerfGE_114,258 <286>). Hierzu gehören zwar das Alimentationsprinzip und die Fürsorgepflicht, die dem Beamten einen angemessenen Unterhalt auch in besonderen Lebenslagen garantieren (vgl BVerfGE_106,225 <232>), nicht aber die Gewährung von Ortszulagen.

54

a) Die hergebrachten Grundsätze, und mithin die Institution des deutschen Berufsbeamtentums, werden durch Art.33 Abs.5 GG nicht um ihrer selbst willen geschützt. In der Formulierung "Berücksichtigung" ist vielmehr eine Entwicklungsoffenheit angelegt, die den Gesetzgeber in die Lage versetzt, die Ausgestaltung des Dienstrechts den jeweiligen Entwicklungen der Staatlichkeit anzupassen und das Beamtenrecht damit "in die Zeit zu stellen". Die Strukturentscheidung des Art.33 Abs.5 GG belässt daher ausreichend Raum, die geschichtlich gewachsene Institution in den Rahmen unseres heutigen Staatslebens einzufügen (vgl BVerfGE_3,58 <137>; BVerfGE_62,374 <382>; BVerfGE_70,69 <79>) und den Funktionen anzupassen, die das Grundgesetz dem öffentlichen Dienst in der freiheitlichen, rechts- und sozialstaatlichen Demokratie zuschreibt (vgl BVerfGE_7,155 <162>; BVerfGE_8,1 <16>; BVerfGE_9,268 <286>, BVerfGE_15,167 <195>). Veränderungen verstoßen daher nur dann gegen Art.33 Abs.5 GG, wenn sie nicht als Fortentwicklung des Beamtenrechts eingestuft werden können, sondern in einen Kernbestand von Strukturprinzipien eingreifen (vgl dazu bereits Jüsgen, DÖV 1951, S.474). Das Grundgesetz erlaubt damit eine stete Fortentwicklung, die das Beamtenrecht in seinen einzelnen Ausprägungen den veränderten Umständen anpasst (BVerfGE_97,350 <376 f>; vgl auch BVerfGE_43,154 <168>; BVerfGE_67,1 <14>).

55

Überdies wird nicht jede Regelung des früheren Beamtenrechts, die sich als hergebracht erweist, von der institutionellen Garantie erfasst. Bezugspunkt des Art.33 Abs.5 GG ist nicht das gewachsene Berufsbeamtenrecht, sondern das Berufsbeamtentum (vgl hierzu Thieme, in: Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd.5, 1970, S.301 <320>). Geschützt sind daher nur diejenigen Regelungen, die das Bild des Beamtentums in seiner überkommenen Gestalt maßgeblich prägen, sodass ihre Beseitigung auch das Wesen des Beamtentums antasten würde (vgl BVerfGE_43,177 <185>; BVerfGE_114,258 <286>). Dies ergibt sich bereits aus dem Wesen einer Einrichtungsgarantie, deren Sinn gerade darin liegt, den Kernbestand der Strukturprinzipien - mithin die Grundsätze, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass damit zugleich die Einrichtung selbst verändert würde - dem gestaltenden Gesetzgeber verbindlich als Rahmen vorzugeben (vgl Lecheler, AöR 103 (1978), S.349 <363>). Das Bundesverfassungsgericht hat dies mit der Formulierung zum Ausdruck gebracht, dass Art.33 Abs.5 GG bei diesen Grundsätzen nicht nur "Berücksichtigung", sondern auch "Beachtung" verlangt (vgl BVerfGE 8,1 <16 f.>; 11,203 <210>; 61,43 <57 f> sowie Merten, ZBR 1996, S.353 <355>). Zu diesem Kernbestand von Strukturprinzipien gehören ua das Alimentationsprinzip (vgl BVerfGE 106, 225 <232>) und der Leistungsgrundsatz (vgl BVerfGE_62,374 <383>; BVerfGE_64,323 <351>; BVerfGE_70,251 <266>; BVerfGE_71,255 <268>).

56

(Abs.56) b) Dem Ortszulagensystem der Beamtenbesoldung kommt kein in diesem Sinne wesensprägender Charakter zu.

57

(Abs.57) Bei der Ausgestaltung der Zulagen zur Beamtenbesoldung handelt es sich um eine Detailregelung, die keinen zwingenden Bezug zur Angemessenheit der Alimentation aufweist. Für diese sind vielmehr die Nettobezüge maßgeblich (vgl BVerfGE_44,249 <266>; BVerfGE_81,363 <376>; BVerfGE_99,300 <315>), mithin das, was sich der Beamte von seinem Gehalt tatsächlich leisten kann (vgl BVerfGE_44,249 <266 f>; BVerfGE_56,353 <361 f>; BVerfGE_81,363 <376>; BVerfGE_99,300 <314 f>; BVerfGE_114,258 <286>). Hierfür ist nicht entscheidend, ob die Bezüge aus dem Grundgehalt, aus Grundgehalt und Ortszulage oder aus anderen Komponenten bestehen. Sieht der Gesetzgeber keinen gesonderten Ausgleich für die örtlich bedingten Lebenshaltungskosten vor, so kann dies im Hinblick auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nicht missbilligt werden, wenn sich die Bezüge gleichwohl auch in Ballungsräumen noch als angemessen erweisen. Die Entscheidung des Gesetzgebers im Jahre 1971, allen Beamten einheitlich die höchste Stufe S des bestehenden Ortszuschlagsystems zu gewähren, ist daher nicht zu beanstanden

58

Es gibt keinen Grundsatz im Sinne des Art.33 Abs.5 GG, wonach sich die Besoldung des Beamten aus Grundgehalt, Kinderzuschlag und Ortszuschlag zusammensetzen müsste (vgl BVerfGE_44,249 <263>; BVerfGE_49,260 <272>). Der Gesetzgeber kann die Struktur der Beamtenbesoldung und die Zahlungsmodalitäten pro futuro ändern, solange dies nicht die verfassungsrechtlich garantierte Alimentierungspflicht und die hierdurch gesicherte Untergrenze einer amtsangemessenen Besoldung verletzt.

59

Der Besoldungsgesetzgeber ist durch das Alimentationsprinzip nicht verpflichtet, die erhöhten Lebenshaltungskosten in München durch einen spezifischen Ausgleich abzufedern. Er überschreitet gegenwärtig nicht die Grenzen des ihm bei der Ausgestaltung der Beamtenbesoldung zukommenden Gestaltungsspielraums.

60

1. a) Die verfassungsrechtliche Basis der Beamtenbesoldung bildet das Alimentationsprinzip. Es gehört zu den von Art.33 Abs.5 GG gewährleisteten hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, die der Gesetzgeber angesichts des grundlegenden und strukturprägenden Charakters nicht nur berücksichtigen muss, sondern zu beachten hat (vgl BVerfGE_8,1 <16>; BVerfGE_11,203 <210>; BVerfGE_61,43 <57 f>; stRspr). Es verpflichtet den Dienstherrn, den Beamten und seine Familie lebenslang angemessen zu alimentieren und ihm nach seinem Dienstrang, nach der mit seinem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren. Der Beamte muss über ein Nettoeinkommen verfügen, das seine rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit und Unabhängigkeit gewährleistet und ihm über die Befriedigung der Grundbedürfnisse hinaus einen seinem Amt angemessenen Lebenskomfort ermöglicht (vgl BVerfGE_8,1 <14>; BVerfGE_114,258 <287 f>; stRspr). 61 Dabei können Unterschiede in der Belastung von Bedeutung sein. So sind die den Beamten treffenden Unterhaltslasten realitätsgerecht zu berücksichtigen (vgl BVerfGE_99,300 ). Im Hinblick auf den familiär bedingten Unterhaltsbedarf hat das Bundesverfassungsgericht aus Art.33 Abs.5 GG die Verpflichtung entnommen, die Bezüge so zu bemessen, dass Beamte der gleichen Besoldungsstufe sich in der Lebenswirklichkeit ohne Rücksicht auf die Größe ihrer Familie annähernd das Gleiche leisten können (vgl BVerfGE_44,249 <267, 273 f>; BVerfGE_81,363 <376> ). Was demnach dem Beamten an Alimentierung verfassungskräftig zusteht, hängt bei der Bemessung auch von der Größe der Familie und dem damit verbundenen höheren Aufwand für den Unterhalt der Familie ab (vgl.BVerfGE 44, 249 <267> ). Der Gesetzgeber überschreitet seinen Gestaltungsspielraum, wenn die Höhe der Bezüge den tatsächlichen Unterhaltskosten nicht mehr entspricht und der Beamte so mit wachsender Kinderzahl den ihm zukommenden Lebenszuschnitt nicht mehr erreichen kann (vgl BVerfGE_99,300 <316> ). Das Prinzip amtsangemessener Alimentation verlangt in einem solchen Fall zusätzliche Leistungen, um die Auszehrung der allgemeinen Gehaltsbestandteile durch Unterhaltsleistungen zu verhindern (vgl BVerfGE_44,249 <275>).

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b) Die Höhe der tatsächlich anfallenden Lebenshaltungskosten kann auch in regionaler Hinsicht differieren. Die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse unterscheiden sich regional teilweise erheblich, sodass unterschiedliche Nettobeträge erforderlich sein können, damit die Beamten in der Lage sind, sich in der Lebenswirklichkeit annähernd das Gleiche zu leisten. Es verletzt das Alimentationsprinzip daher nicht, sondern steht mit ihm im Einklang, wenn bei der Bemessung der Bezüge von Beamten, die das gleiche Amt innehaben, an Wohnsitz oder Dienstort anknüpfende Abstufungen vorgesehen werden, sofern sich solche regionalen Unterscheidungen nach Anlass und Ausmaß der Differenzierung vor Art.3 Abs.1 GG rechtfertigen lassen (vgl BVerfGE_107,218 <238> ). Welche Alimentation angemessen ist, bedarf allerdings der Konkretisierung durch den Gesetzgeber und ist von den jeweiligen Verhältnissen abhängig. Bei der Bestimmung der Höhe der amtsangemessenen Besoldung hat sich der Besoldungsgesetzgeber an der Entwicklung der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse sowie dem allgemeinen Lebensstandard zu orientieren.

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2. Der Besoldungsgesetzgeber ist zu einer regionalen Differenzierung der Besoldung gegenwärtig - auch im Hinblick auf die Gegebenheiten im Ballungsraum München - nicht verpflichtet.

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a) Wie unter der Geltung des aus Art.129 Abs.1 Satz 3 Weimarer Reichsverfassung abgeleiteten Prinzips des "standesgemäßen" Unterhalts ist auch heute die Höhe der Bezüge der Verfassung nicht unmittelbar zu entnehmen. Die in Art.33 Abs.5 GG enthaltene Garantie eines "amtsangemessenen" Unterhalts stellt lediglich eine den Besoldungsgesetzgeber in die Pflicht nehmende verfassungsrechtliche Gestaltungsdirektive dar.

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Bei der Konkretisierung der aus Art.33 Abs.5 GG resultierenden Pflicht zur amtsangemessenen Alimentierung hat der Gesetzgeber einen verhältnismäßig weiten Entscheidungsspielraum (vgl BVerfGE_8,1 <22 f>; BVerfGE_110,353 <364>; BVerfGE_114,258 <288>; stRspr). Aufgrund des weiten Spielraums politischen Ermessens, innerhalb dessen der Gesetzgeber das Besoldungsrecht den tatsächlichen Notwendigkeiten und der fortschreitenden Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse anpassen und verschiedenartige Gesichtspunkte berücksichtigen darf, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gewählt hat (vgl BVerfGE_103,310 <320>). Unter Gleichheitsaspekten kann das Bundesverfassungsgericht, sofern nicht von der Verfassung selbst getroffene Wertungen entgegenstehen, nur die Überschreitung äußerster Grenzen beanstanden, jenseits derer sich gesetzliche Vorschriften bei der Abgrenzung von Sachverhalten als evident sachwidrig erweisen (vgl BVerfGE_65,141 <148 f>; BVerfGE_110,353 <364 f> ). Dies gilt zumal dann, wenn vom Gesetzgeber - wie hier - zusätzlich Besoldungsdifferenzierungen zugunsten bestimmter Regionen gefordert werden. Dem Gesetzgeber steht es - im Hinblick sowohl auf Art.33 Abs.5 GG als auch auf Art.3 Abs.1 GG - insbesondere frei, aus der Vielzahl der Lebenssachverhalte die Tatbestandsmerkmale auszuwählen, die für die Gleich- oder Ungleichbehandlung maßgebend sein sollen (vgl BVerfGE_71,39 <53>; BVerfGE_76,256 <295, 330>). Ihm muss zugestanden werden, auch das gesamte Besoldungsgefüge und übergreifende Gesichtspunkte in den Blick zu nehmen (vgl BVerfGE_26,141 <310>; BVerfGE_103,310 <320>; BVerfGE_110,353 <364 f>).

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b) Hieran gemessen ist nicht zu beanstanden, dass es der Gesetzgeber unterlassen hat, einen spezifischen Ausgleich für in Ballungsräumen erhöhte Lebenshaltungskosten vorzusehen.

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aa) Die in bestimmten Ballungsräumen vergleichsweise hohen Preise spiegeln, wie auch der Sachverständige Dr. Stegner in der mündlichen Verhandlung dargestellt hat, die dortige Lebensqualität wider. Sie bringen unter anderem zum Ausdruck, dass ein Leben in dem betreffenden Standort von einer Vielzahl von Menschen als attraktiv bewertet wird.

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Zwar trifft es zu, dass Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen von Teilen dessen, was die Attraktivität des Lebens an Orten mit hohem Preisniveau ausmacht, gerade aus Kostengründen nicht oder nur eingeschränkt profitieren können. Auch wenn berücksichtigt wird, dass etwa Teile des kulturellen Angebots, gehobene Einkaufsmöglichkeiten und innerstädtische Wohnquartiere nur von Personen mit höherem Einkommen intensiv oder überhaupt genutzt werden können, ist aber die Einschätzung nicht offensichtlich verfehlt, dass auch für Bezieher niedrigerer Einkommen den höheren Lebenshaltungskosten Vorteile gegenüberstehen, die dagegen sprechen, die geringere Kaufkraft des Beamtengehalts in diesen Räumen ohne weiteres mit einem entsprechend geringeren Lebensstandard gleichzusetzen. Als Beispiele seien nur die in Ballungsräumen reichhaltigeren Bildungsangebote und medizinischen Versorgungsmöglichkeiten, vielfältigere Freizeit- und Unterhaltungsangebote auch in den niedrigeren Preissegmenten oder ortsspezifische Vorteile wie die Nähe zu attraktiven Erholungsgebieten genannt. Solche Faktoren mögen sich einer präzisen statistischen Erfassung weitgehend entziehen; sie sind darum aber nicht unbeachtlich. Die Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte hält sich im Rahmen des dem Besoldungsgesetzgeber zustehenden Einschätzungsspielraums.

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bb) Hinzu kommt, dass für die Amtsangemessenheit der Besoldung eines Beamten nicht allein der Vergleich zum Lebensstandard von Beamten in kostengünstigeren Regionen ausschlaggebend ist. Die Amtsangemessenheit der Alimentation des Beamten bestimmt sich auch durch ihr Verhältnis zu den Einkommen, die für vergleichbare und auf der Grundlage vergleichbarer Ausbildung erbrachter Tätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes erzielt werden (vgl BVerfGE_114,258 <293 f> ). Es ist indes nicht dargetan, dass Beamte wie der Beschwerdeführer gegenüber vergleichbaren Erwerbstätigen außerhalb des öffentlichen Dienstes in einem Umfang benachteiligt würden, dass deshalb die Alimentation in München und Umgebung nicht mehr als "standesgemäß" angesehen werden könnte. Allein aus dem Umstand, dass nach der bayerischen Kaufkraftstudie das Einkommensniveau in München deutlich über dem Landesdurchschnitt liegt, ergibt sich dies nicht, denn wie in der Studie selbst ausgeführt wird, handelt es sich dabei um eine Globalbetrachtung, die über die Verteilung der Einkommen und damit auch über die Einkommensverhältnisse der hier in Betracht kommenden Vergleichsgruppen keine Auskunft gibt.

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cc) Zu berücksichtigen sind außerdem die von dem Sachverständigen Prof. Dr. von der Lippe in der mündlichen Verhandlung dargestellten beträchtlichen Schwierigkeiten der Ermittlung zwischenörtlicher Preis- und Kostenunterschiede. Eine hinreichend sichere Tatsachengrundlage für eine umfassende Bewertung der vorhandenen Unterschiede besteht daher gegenwärtig nicht.

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Es ist allerdings Aufgabe des Gesetzgebers, die tatsächliche Entwicklung der Lebenshaltungskosten auf relevante Unterschiede zwischen Stadt und Land zu beobachten, um möglichen Verstößen gegen den Alimentationsgrundsatz angemessen begegnen zu können.

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Eine Handlungspflicht des Gesetzgebers ergibt sich auch nicht aus dem Leistungsgrundsatz.

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1. Zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehört, dass die Bezüge der Beamten - dem Leistungsgrundsatz des Art.33 Abs.2 GG folgend - entsprechend der unterschiedlichen Wertigkeit der Ämter abgestuft sind (vgl BVerfGE_56,146 <163 f>; BVerfGE_61,43 <57 f>; BVerfGE_76,256 <323 f>; BVerfGE_114,258 <293>). Die Angemessenheit der Alimentation bestimmt sich maßgeblich nach innerdienstlichen, unmittelbar auf das Amt bezogenen Kriterien wie dem Dienstrang und der mit dem Amt verbundenen Verantwortung. Die "amts"-angemessene Besoldung ist damit notwendig eine abgestufte Besoldung. Die Organisation der öffentlichen Verwaltung stellt darauf ab, dass in den höher besoldeten Ämtern die für den Dienstherrn wertvolleren Leistungen erbracht werden. Deshalb muss im Hinblick auf das Leistungs- und das Laufbahnprinzip mit der organisationsrechtlichen Gliederung der Ämter eine Staffelung der Gehälter einhergehen. Amtsangemessene Gehälter sind daher so zu bemessen, dass sie dem Beamten eine Lebenshaltung ermöglichen, die der Bedeutung seines jeweiligen Amte entspricht

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2. Da die Bezüge so zu bemessen sind, dass sie dem Beamten eine Lebenshaltung ermöglichen, die der Bedeutung seines jeweiligen Amtes entspricht, muss sich die Stufung der Ämter auch in der Realität wieder finden. Dies besagt aber nicht, dass, wie der Beschwerdeführer meint, die realen Lebensverhältnisse eines Beamten der Besoldungsgruppe A 13 in München mit denen eines Beamten der Besoldungsgruppe A 12 oder A 11 an einem anderen Ort zu vergleichen wären. Einem Vergleich zugänglich sind insoweit allein die Beamten der verschiedenen Besoldungsgruppen am selben Ort. Der Gesetzgeber geht ? wie dargelegt, zulässigerweise - davon aus, dass die Beamten den unterschiedlichen Lebensverhältnissen in München und an Orten außerhalb dieses Ballungsraums durch entsprechende Lebensgestaltung Rechnung tragen. Bereits von daher verbietet sich ein überörtlicher Vergleich, so dass der Stichhaltigkeit des Beschwerdevorbringens im Übrigen nicht nachgegangen werden muss."

 

Auszug aus BVerfG U, 06.03.07, - 2_BvR_556/04 -, ,  Abs.53 ff

§§§

07.017 Fortdauerndes Unterlassen

  1. BVerfG,     B, 08.03.07,     – 2_BvK_1/97 –

  2. www.BVerfGE.de

  3. BVerfGG_§_64 Abs.3

  4. Frist / in Lauf Sezung / Weigerung tätig zu werden

 

In Fällen fortdauernden Unterlassens wird die Frist des § 64 Abs.3 BVerfGG spätestens dadurch in Lauf gesetzt, dass sich der Antragsgegner erkennbar und eindeutig weigert, in einer Weise tätig zu werden, die der Antragsteller zur Wahrung der Rechte aus seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält.

§§§

07.018 Emissionsberechtigung

  1. BVerfG,     B, 13.03.07,     – 1_BvF_1/05 –

  2. BVerfGE_118,79 = www.BVerfGE.de = www.dfr/BVerfGE

  3. EGV_Art.234; (07) ZuG_§_12; GG_Art.93 Abs.1 Nr.2; GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.12 Abs.1, GG_Art.14 Abs.1, GG_Art.20a

  4. Richtlinien / innerstaatliche Umsetzung / zwingende Vorgaben / Überprüfungszuständigkeit / EuGH / Grundrechte

 

1) Auch die innerstaatliche Umsetzung von Richtlinien des Gemeinschaftsrechts, die den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum belassen, sondern zwingende Vorgaben machen, wird vom Bundesverfassungsgericht und den Fachgerichten nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes gemessen, solange die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist. 1) Auch die innerstaatliche Umsetzung von Richtlinien des Gemeinschaftsrechts, die den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum belassen, sondern zwingende Vorgaben machen, wird vom Bundesverfassungsgericht und den Fachgerichten nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes gemessen, solange die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der

 

2) Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes sind die Fachgerichte verpflichtet, solche gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben an den Gemeinschaftsgrundrechten zu messen und gegebenenfalls ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art.234 EG durchzuführen.

 

3) Zur Verfassungsmäßigkeit von § 12 des Gesetzes über den nationalen Zuteilungsplan für Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007.

§§§

07.019 Versorgung aus dem letzten Amt

  1. BVerfG,     B, 20.03.07,     – 2_BvL_11/04 –

  2. BVerfGE_117,372 = www.BVerfGE.de

  3. GG_Art.33 Abs.5; BeamtVG_§_5 Abs.3 S.1

  4. Wartefrist / Verlängerung / hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums

T-07-009

1) Der vom Gesetzgeber gemäß Art.33 Abs.5 GG zu beachtende Grundsatz der Versorgung aus dem letzten Amt lässt eine Verlängerung der Wartefrist des § 5 Abs.3 Satz 1 Beamtenversorgungsgesetz auf mehr als zwei Jahre nicht zu (im Anschluss an BVerfGE_61,43).

 

LB 2) Zur abweichenden Meinung der Richterin Osterloh und des Richters Gerhardt siehe www.BVerfG.de, Abs.69 ff.

* * *

Beschluss:

Entscheidungsformel:

§ 5 Absatz 3 Satz 1 des Gesetzes über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern (Beamtenversorgungsgesetz - BeamtVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16.März 1999 (Bundesgesetzblatt I S.322) ist mit Artikel 33 Absatz 5 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

* * *

T-07-009Verlängerung der Wartefrist + Art.33 Abs.5 GG

46

"§ 5 Abs.3 Satz 1 BeamtVG ist mit Art.33 Abs.5 GG nicht vereinbar, weil die Verlängerung der Wartefrist auf drei Jahre den Grundsatz der amtsgemäßen Versorgung nicht mehr lediglich modifiziert, sondern ihn grundlegend verändert.

47

a) Die Länge der Wartefrist betrug - und auch dies nur für einzelne Beamten- und Soldatengruppen - in dem für die Herausbildung des hergebrachten Grundsatzes maßgeblichen Zeitraum ein Jahr. Diese Einjahresfrist ist zwar keine verfassungsunmittelbar und verbindlich vorgegebene Schwelle für das zulässige Maß der Einschränkungen des Grundsatzes der Versorgung aus dem letzten Amt (vgl BVerfGE_61,43 <61>). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass bereits die Verlängerung auf zwei Jahre eine Verdoppelung und die nunmehrige Erweiterung eine Verdreifachung des überkommenen Zeitraums bedeutet.

48

Dieser verlängert sich zusätzlich dadurch, dass die nach § 5 Abs.3 Satz 4 BeamtVG in der bis zum 31.Dezember 1998 geltenden Fassung vorgeschriebene Anrechnung von Zeiten auf die Wartefrist, in denen der Beamte vor der Beförderung die Aufgaben des ihm später übertragenen Amtes tatsächlich wahrgenommen hat, zusammen mit der Neufassung des § 5 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG entfallen ist. Dem Wegfall dieser Anrechnungsvorschrift kommt besondere Bedeutung auch angesichts einer Praxis zu, nach der Beamte höherwertige Funktionen ausüben, ohne dass ihre besoldungsrechtliche Situation dies honoriert. Besetzungssperren und die Einführung von Bewährungszeiten vor der Übertragung von Beförderungsämtern führen vielfach dazu, dass der Beamte einen gehobenen Dienstposten zwar wahrnimmt, ihm jedoch das dazugehörige statusrechtliche Amt erst später übertragen wird (vgl dazu BVerwGE_115,58). § 5 Abs.3 Satz 1 BeamtVG hat deshalb in diesen Fällen die Folge, dass der Beamte den Dienstposten zwar erheblich länger als die darin vorgeschriebene Wartefrist bekleidet, ihm jedoch wegen der verzögerten Beförderung nicht nur die entsprechende Besoldung, sondern auch die versorgungsrechtliche Anerkennung des tatsächlich wahrgenommenen Dienstpostens versagt wird.

49

b) Das Anliegen, Gefälligkeitsbeförderungen zu verhindern und dem Umstand Rechnung zu tragen, dass eine allzu kurze Dienstzeit dem in Reichweite des Ruhestands Beförderten nicht mehr die Möglichkeit bietet, eine hinreichende Leistung im Beförderungsamt zu erbringen, ließ eine Erstreckung der Frist auf zwei Jahre gerade noch zu. Eine weitere Ausdehnung kann im Hinblick darauf, dass dem Beamten aufgrund hergebrachter Strukturprinzipien die Versorgung aus dem letzten Amt verfassungsrechtlich gewährleistet ist, nicht mehr gerechtfertigt werden.

50

Die Verlängerung der Wartefrist über eine Spanne von zwei Jahren hinaus bedeutet - insbesondere auch in Verbindung mit der Einschränkung der Berücksichtigung von Zeiten, in denen das höherwertige Amt tatsächlich ausgeübt worden ist - somit eine grundlegende Veränderung, die sich nicht mehr als bloße Modifizierung der bisher anerkannten Einschränkung des hergebrachten Grundsatzes der Versorgung aus dem letzten Amt erklären lässt, sondern die Preisgabe des Prinzips amtsgemäßer Versorgung bedeutet (vgl BVerfGE_61,43 <61 f>). Die Anerkennung der Eignung, Leistung und Befähigung des Beamten, seine darauf gründende Heraushebung gegenüber den Beamten der vormals gleichen Besoldungsstufe und die im Beförderungsamt geleisteten Dienste werden durch § 5 Abs.3 Satz 1 BeamtVG versorgungsrechtlich entwertet. Die Vorschrift verstößt daher sowohl gegen den hergebrachten Grundsatz der Versorgung aus dem letzten Amt als auch gegen den Leistungsgrundsatz. Sie ist keine zeitgemäße Fortentwicklung dieser Strukturprinzipien, sondern gibt sie auf.

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2. Die Erstreckung der Wartefrist auf drei Jahre kann nicht auf die mit der Modifizierung des Grundsatzes amtsgemäßer Versorgung verfolgte Absicht der Gewährleistung einer effektiven Wahrnehmung des Beförderungsamtes gestützt werden.

52

a) Der Umstand, dass sich der Beamte seine Versorgung auch dadurch erdient haben muss, dass er das Amt, aus dem sich die Versorgung berechnen soll, zum Nutzen seines Dienstherrn ausgeübt hat, ist zwar grundsätzlich geeignet, die Versorgungsrelevanz der Beförderung von einer Wartezeit abhängig zu machen. Hierdurch trägt das Versorgungsrecht der Erfahrung Rechnung, dass das neue Amt häufig neue und andere Kenntnisse und Fähigkeiten verlangt und deshalb eine Einarbeitungszeit erfordert, während derer der Beamte das Amt noch nicht vollständig ausfüllt. Eine hierauf gestützte Wartezeit muss jedoch der hierfür nach allgemeiner Lebenserfahrung erforderlichen Zeitspanne entsprechen.

53

b) Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass ein Beförderungsamt nach gegenwärtiger Rechtslage grundsätzlich nur noch verliehen werden kann, wenn der Beamte seine Eignung in einer Erprobungszeit auf dem höher bewerteten Dienstposten nachgewiesen und diesen somit zur Zufriedenheit des Dienstherrn ausgeübt hat (vgl § 12 Abs.2 Satz 1 Nr.4 BRRG sowie § 12 Abs.2 Satz 1 in Verbindung mit § 11 BLV). Denn in diesem Zeitraum übt der Beamte die Tätigkeit des Beförderungsamtes bereits aus und arbeitet sich in die neuen Aufgabenfelder ein. Dementsprechend verkürzt sich die Zeitspanne, die nach der Beförderung verstreichen muss, damit sich die Tätigkeit des Beamten für den Dienstherrn lohnt. Insbesondere aber hat der Beamte durch die erfolgreiche Bewährung im Beförderungsamt bereits nachgewiesen, dass er imstande ist, die mit der Beförderung verbundenen Funktionen tatsächlich auszufüllen. Die Annahme, er werde seine Aufgaben erst nach weiteren drei Jahren effektiv wahrnehmen können, ist hiermit nicht vereinbar.

54

c) Darüber hinaus ergibt sich aus einer Vielzahl weiterer bundes- und landesrechtlicher Bestimmungen, dass im Beamtenrecht grundsätzlich bereits nach einer erheblich kürzeren Zeit als drei Jahren von einer Bewährung des Beamten in einem höherwertigen Amt und damit einer nachhaltigen Aufgabenwahrnehmung ausgegangen werden kann. Diese Einschätzung kommt etwa in Regelungen über Probe- und so genannte Standzeiten für Beförderungsbewerber zum Ausdruck, insbesondere auch in den laufbahnrechtichen Vorschriften, mit denen eine Beförderungssperre vor dem Erreichen der gesetzlich festgelegten Altersgrenze festgelegt wird. Diese Sperrfristen bezwecken ebenfalls die Gewährleistung einer effizienten Aufgabenwahrnehmung im Beförderungsamt (vgl BVerwGE_74,303 <306 f>). Die hierfür in den Laufbahnvorschriften vorgesehenen Zeiträume sind aber fast durchgängig deutlich kürzer als die in § 5 Abs.3 Satz 1 BeamtVG vorgesehene Wartefrist.

55

Diesen Vorschriften liegt erkennbar die Einschätzung zugrunde, dass auch eine Tätigkeit von weniger als drei Jahren vor dem Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze dem Beamten noch ausreichend Möglichkeit gibt, das höhere Amt und die damit verbundenen Aufgaben effektiv und zum Nutzen seines Dienstherrn wahrzunehmen. Aus der Sicht des betroffenen Beamten muss es daher widersprüchlich erscheinen, wenn sein Dienstherr einerseits zwar laufbahnrechtlich davon ausgeht, schon eine zweijährige Dienstzeit ermögliche eine effektive Aufgabenwahrnehmung, andererseits aber diese Wertung durch § 5 Abs.3 Satz 1 BeamtVG auf versorgungsrechtlicher Ebene nicht nachvollzogen und er mithin so behandelt wird, als habe die Beförderung nie stattgefunden.

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d) Schließlich sind die Versorgungsbezüge die Gegenleistung des Dienstherrn dafür, dass der Beamte sich ihm mit seiner ganzen Persönlichkeit zur Verfügung stellt und gemäß den jeweiligen Anforderungen seine Dienstpflichten erfüllt; insoweit handelt es sich um ein erdientes Ruhegehalt, welches durch Art.33 Abs.5 GG ebenso gesichert ist wie das Eigentum durch Art.14 GG (vgl BVerfGE_21,329 <344 f>; BVerfG_61,43 <56 f>; sa BVerfGE_16,94 <112 f, 115>; BVerfGE_39,196 <200>). Es ist nicht zu rechtfertigen, dass sich eine ordnungsgemäße, dem Leistungsgrundsatz entsprechende und durch die Laufbahnvorschriften anerkannte Ernennung bei den Versorgungsbezügen nicht auswirkt."

 

Auszug aus BVerfG B, 20.03.07, - 2_BvL_11/04 -, www.BVerfGE.de,  Abs.46 ff

§§§

07.020 Vertragsärztliche Versorgung

  1. BVerfG,     B, 20.03.07,     – 1_BvR_491/96 –

  2. www.BVerfGE.de

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.12 Abs.1; SGB-V_§_98 Abs.2 Nr.12; Ärzte-ZV_§_25

  4. Berufsfreiheit / Zulassung / vertragsärztliche Versorgung

 

Es ist mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art.12 Abs.1 GG) und mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG) vereinbar, dass approbierte Ärzte, die das 55.Lebensjahr vollendet haben, grundsätzlich nicht mehr zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden.

§§§

07.021 Völkerrechtliche Notstandseinrede

  1. BVerfG,     B, 08.05.07,     – 2_BvM_1-5/03 –

  2. BVerfGE_118,124 = www.BVerfGE.de = dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.25, GG_Art.100 Abs.2; ILC-Artikel_Art.25

  4. allgemeine Regel des Völkerrechts / privatrechtliche Zahlungsansprüche / Zahlungsunfähigkeit / Staatsnotstand / Argentinien

 

1) Es ist keine allgemeine Regel des Völkerrechts feststellbar, die einen Staat gegenüber Privatpersonen berechtigt, die Erfüllung fälliger privatrechtlicher Zahlungsansprüche unter Berufung auf den wegen Zahlungsunfähigkeit erklärten Staatsnotstand zeitweise zu verweigern.

 

LB 2) Zur abweichenden Meinung der Richterin Lübbe-Wolf siehe www.BVerfG.de, Abs.65 ff.

§§§

07.022 Kontostammdaten

  1. BVerfG,     B, 13.06.07,     – 1_BvR_1550/03 –

  2. BVerfGE_118,168 = www.BVerfGE.de = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.1 Abs.1; AO_§_93 Abs.7, AO_§_93 Abs.8, AO_§_93b; KWG_§_24c Abs.S.1 3 S.2 Nr.2

  4. Normenklarheit / § 93 Abs.8 AO / GG-Vereinbarkeit § 24c Abs.3 Nr.2 KWG

 

1) § 93 Abs.8 AO verstößt gegen das Gebot der Normenklarheit, da er den Kreis der Behörden, die ein Ersuchen zum Abruf von Kontostammdaten stellen können, und die Aufgaben, denen solche Ersuchen dienen sollen, nicht hinreichend bestimmt festlegt.

 

2) § 24c Abs.3 Satz 1 Nr.2 KWG und § 93 Abs.7 AO sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

* * *

Beschluss:

Entscheidungsformel:

1) § 93 Absatz 8 der Abgabenordnung vom 23.Dezember 2003 (Bundesgesetzblatt I Seite 2928), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Neuorganisation der Bundesfinanzverwaltung und zur Schaffung eines Refinanzierungsregisters vom 22.September 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 2809), ist mit dem Grundgesetz unvereinbar.

2) Die Beschwerdeführer zu 2a und 2b werden durch § 93 Absatz 8 der Abgabenordnung in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes verletzt. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1b in dem Verfahren 1 BvR 2357/04 wird verworfen, soweit sie gegen § 93 Absatz 8 der Abgabenordnung gerichtet ist.

Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu 2a und 2b wird verworfen, soweit sie gegen § 93 Absatz 7 der Abgabenordnung gerichtet ist.

3) Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 2c wird verworfen.Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.

4) Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern zu 2a und 2b die Hälfte der notwendigen Auslagen zu erstatten.

§§§

07.023 Verbot des Romans Esra

  1. BVerfG,     B, 13.06.07,     – 1_BvR_1783/05 –

  2. BVerfGE_119,1 = www.BVerfG.de = dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.4 Abs.1, GG_Art.1 Abs.1;

  4. gerichtliches Verbot / Kunstfreiheit / Eingriff / literarisches Werk / kunstspezifische Betrachtung / Vorbilder aus der Lebenswirklichkeit / Persönlichkeitsrechte

 

1) Bei dem gerichtlichen Verbot eines Romans als besonders starkem Eingriff in die Kunstfreiheit prüft das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidung mit der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie auf der Grundlage der konkreten Umstände des vorliegenden Sachverhalts.

 

2) Die Kunstfreiheit verlangt für ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweist, eine kunstspezifische Betrachtung. Daraus folgt insbesondere eine Vermutung für die Fiktionalität eines literarischen Textes.

 

3) Die Kunstfreiheit schließt das Recht zur Verwendung von Vorbildern aus der Lebenswirklichkeit ein.

 

4) Zwischen dem Maß, in dem der Autor eine von der Wirklichkeit abgelöste ästhetische Realität schafft, und der Intensität der Verletzung des Persönlichkeitsrechts besteht eine Wechselbeziehung. Je stärker Abild und Urbild übereinstimmen, desto schwerer wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts. Je mehr die künstlerische Darstellung besonders geschützte Dimensionen des Persönlichkeitsrechts berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen.

 

LB 5) Zur abweichenden Meinung der Richterin Hohmann-Dennhardt und des Richters Gaier, siehe BVerfGE_119,37 ff.

 

LB 5) Zur abweichenden Meinung der Richterin Hoffmann-Riem, siehe BVerfGE_119,48 ff.

§§§

07.024 Strafzumessung

  1. BVerfG,     B, 14.06.07,     – 2_BvR_1447/05 –

  2. BVerfGE_118,212 = www.BVerfGE.de = dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.20 Abs.3, GG_Art.101 Abs.1 S.2; StPO_§_354 Abs.1a S.1;

  4. Revisionsgericht / Strafzumessungssachverhalt / Nachvollziehbarkeit

 

1) Dem Revisionsgericht muss für seine Entscheidung nach § 354 Abs.1a Satz 1 StPO ein zutreffend ermittelter, vollständiger und aktueller Strafzumessungssachverhalt zur Verfügung stehen.

 

2) Verfährt das Revisionsgericht nach § 354 Abs.1a Satz 1 StPO, so muss es seine Entscheidung jedenfalls dann begründen, wenn die für die Strafzumessung relevanten Umstände und deren konkretes Gewicht dem Angeklagten sonst nicht nachvollziehbar wären.

 

3) Eine Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts ist ausgeschlossen, wenn zugleich eine neue Entscheidung über einen - fehlerhaften - Schuldspruch erfolgen muss.

* * *

Beschluss:

Entscheidungsformel:

1) Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2) § 354 Absatz 1a Satz 1 StPO ist nach Maßgabe der Gründe mit dem Grundgesetz vereinbar.

3) Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 25.Juli 2005 - 1 Ss 63/05 - verletzt den Beschwerdeführer zu 1. in seinem aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes folgenden Recht auf ein faires Verfahren. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Brandenburgische Oberlandesgericht zurückverwiesen.

4) Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2.Dezember 2004 - 3 StR 273/04 - verletzt den Beschwerdeführer zu 2. in seinem Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

5) Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer zu 1., die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer zu 2. die notwendigen Auslagen zu erstatten.

§§§

07.025 ISAF-Mandat

  1. BVerfG,     U, 03.07.07,     – 2_BvE_2/07 –

  2. BVerfGE_118,244 = www.BVerfGE.de = dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.59 Abs.2 S.1; BVerfGG_§_13 Nr.5, BVerfGG_§_63 ff

  4. Beteiligung / erwitertes IASF-Mandat / Rechte des Deutschen Bundestages / Afghanistan

 

Die Beteiligung an dem erweiterten ISAF-Mandat aufgrund des Bundestagsbeschlusses vom 9.März 2007 verletzt nicht die Rechte des Deutschen Bundestages aus Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.

§§§

07.026 Hufversorgung

  1. BVerfG,     U, 03.07.07,     – 1_BvR_2186/06 –

  2. BVerfGE_119,59 = www.BVerfG.de = dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.12 Abs.1

  4. Berufszulassungsvoraussetzungen / subjektive / Berufszusammenführung

 

Zu den Anforderungen des Art.12 Abs.1 an subjektive Berufszulassungsvoraussetzungen bei der Zusammenführung mehrerer Berufe im Bereich der Hufversorgung

§§§

07.027 Mittelpunktregelung

  1. BVerfG,     U, 04.07.07,     – 2_BvE_1/06 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.38 Abs.1 S.2, GG_Art.48 Abs.2; AbgG_§_44a, AbgG_§_44b

  4. Organstreit / abstrakte Kontrolle / einfaches Recht / Antragsbefugnis / Abgeordneter / Status / freies Mandat

 

LB 1) Für eine allgemeine, von eigenen Rechten des Antragstellers losgelöste, abstrakte Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit einer angegriffenen Maßnahme ist im Organstreit kein Raum.

 

LB 2) Der Organstreit ist kein objektives Beanstandungsverfahren (vgl BVerfGE_104,151 <193 f>); er dient dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht aber einer allgemeinen Verfassungsaufsicht (vgl BVerfGE_100,266 <268>).

 

LB 3) Soweit die Antragsteller ihr Vorbringen mit Fragen der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts anreichern, können sie im Organstreit nicht gehört werden. Rechte, die sich lediglich auf Vorschriften einfachen Rechts - hier § 44a Abs.4 Satz 1 AbgG - stützen, reichen für die Begründung der Antragsbefugnis ebenso wenig aus wie ein Vorbringen, das allein Inhalt und Reichweite einer einfach-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage betrifft. Hierfür steht den Antragstellern der Weg zum zuständigen Fachgericht - dem Bundesverwaltungsgericht (§ 50 Abs.1 Nr.5 VwGO) - offen (vgl BVerfGE_84,290 <298>).

T-07-10

LB 4) Zum Status der Abgeordneten des Deutschen Bundestages.

Abs.208

LB 5) Zum Schutzumfang des freien Mandats.

Abs.209

LB 6) Zur Begrenzung des freien Mandats durch die Repräsentations- und die Funktionsfähigkeit des Parlaments.

* * *

T-07-10Abgeordnete - Pflichten

207

"Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen (Art.38 Abs.1 Satz 2 GG). Aus Art.48 Abs.2 GG, demzufolge niemand gehindert werden darf, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben, und eine Kündigung oder Entlassung aus diesem Grunde unzulässig ist, und ebenso aus Art.137 Abs.1 GG, der den Gesetzgeber zu Beschränkungen der Wählbarkeit von Angehörigen des öffentlichen Dienstes ermächtigt, ist - unbestritten - zu schließen, dass das Grundgesetz die Ausübung eines Berufs neben dem Abgeordnetenmandat zulässt (vgl auch BVerfGE_40,296 <318 f> ). Übt der Abgeordnete einen Beruf aus, kann das Nebeneinander von Mandat und Beruf den Abgeordneten generell oder von Fall zu Fall zu der Entscheidung nötigen, welche Aufgaben er vorrangig wahrnimmt. Die Antragsteller sind im Kern der Ansicht, der Abgeordnete unterliege insoweit von Verfassungs wegen keinerlei Beschränkungen; die Freiheit des Mandats umfasse das Recht des Abgeordneten zu freier Gestaltung von Mandat und Beruf. Die Antragsteller halten deshalb die Mittelpunktregelung für einen verfassungswidrigen Eingriff in den freiheitlichen Status des Abgeordneten. Dem kann nicht gefolgt werden.

208

1. Grundlage des freien Mandats ist Art.38 Abs.1 GG. Diese Norm schützt nicht nur den Bestand, sondern auch die tatsächliche Ausübung des Mandats (vgl BVerfGE_80,188 <218>; BVerfGE_99,19 <32> ). Der Abgeordnete ist - vom Vertrauen der Wähler berufen - Inhaber eines öffentlichen Amtes, Träger eines freien Mandats und, gemeinsam mit der Gesamtheit der Mitglieder des Parlaments (vgl BVerfGE_56,396 <405>), Vertreter des ganzen Volkes (vgl BVerfGE_112,118 <134> ). Er hat einen repräsentativen Status inne, übt sein Mandat in Unabhängigkeit, frei von jeder Bindung an Aufträge und Weisungen, aus und ist nur seinem Gewissen unterworfen (vgl BVerfGE_40,296 <314, 316>; BVerfGE_76,256 <341>).

209

Die Freiheit des Mandats ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Sie kann durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang begrenzt werden. Die Repräsentations- und die Funktionsfähigkeit des Parlaments sind als solche Rechtsgüter anerkannt (vgl BVerfGE_80,188 <219>; BVerfGE_84,304 <321>; BVerfGE_96,264 <279>; BVerfGE_99,19 <32>).

210

Wird das Volk bei parlamentarischen Entscheidungen nur durch das Parlament als Ganzes, das heißt die Gesamtheit seiner Mitglieder, angemessen repräsentiert, so muss die Mitwirkung aller Abgeordneten bei derartigen Entscheidungen nach Möglichkeit und im Rahmen des im demokratisch-parlamentarischen System des Grundgesetzes Vertretbaren sichergestellt sein. Es entspricht dem Prinzip der repräsentativen Demokratie und liegt im konkreten Interesse des Wählers und der Bevölkerung insgesamt, dass der Abgeordnete sein ihm anvertrautes Amt auch tatsächlich ausübt. Nur so kann das Parlament möglichst vollständig, das heißt unter aktiver Teilnahme aller Abgeordneten seine Aufgaben wahrnehmen (vgl BVerfGE_56,396 <405>; s auch BVerfGE_102,224 <237> ). Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Jahr 1971 festgestellt, dass auf der Ebene des Bundes die Tätigkeit des Abgeordneten zu einem Beruf geworden ist, der den vollen Einsatz der Arbeitskraft fordert (vgl BVerfGE_32,157 <164> sowie schon BVerfGE_4,144 <151> ). In der Folgezeit ist das Gericht davon ausgegangen, dass der Umfang der Inanspruchnahme durch das Mandat so stark gewachsen sei, dass der Abgeordnete in keinem Fall mehr seine Verpflichtungen mit der im Arbeitsleben sonst üblichen Regelarbeitszeit von 40 Stunden bewältigen könne (vgl BVerfGE_40,296 <312 ff> ). Seitdem haben sich die Verhältnisse nicht in einer Weise gewandelt, die eine veränderte Einschätzung erlaubt oder gar erforderlich macht. Die Arbeit des Deutschen Bundestages hat im Gegenteil in den zurückliegenden Jahren an Komplexität noch erheblich zugenommen; das ist evident und schlägt sich in der zeitlichen Inanspruchnahme der Bundestagsabgeordneten nieder (vgl Patzelt, Abgeordnete und Repräsentation, 1993, S.451 und passim, wonach Bundestagsabgeordnete ihrem Mandat das Doppelte der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit widmen).

211

Mit dem repräsentativen Status des Abgeordneten gemäß Art.38 Abs.1 GG selbst sind folglich nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten verbunden, deren Reichweite durch das Gebot, die Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Parlaments zu wahren, bestimmt und begrenzt wird (vgl BVerfGE_76,256 <341 f> ). In Übereinstimmung damit verpflichtet § 13 Abs.2 Satz 1 GO-BT die Mitglieder des Deutschen Bundestages, an dessen Arbeiten teilzunehmen. Das Mandat aus eigenem Entschluss nicht wahrzunehmen, ist mit dem Repräsentationsprinzip unvereinbar (vgl BVerfGE_56,396 <405> ). Die Pflichtenstellung umfasst auch, dass jeder einzelne Abgeordnete in einer Weise und einem Umfang an den parlamentarischen Aufgaben teilnimmt, die deren Erfüllung gewährleistet. Nur der Umstand, dass die Abgeordneten bei pflichtgemäßer Wahrnehmung ihres Mandats auch zeitlich in einem Umfang in Anspruch genommen sind, der es in der Regel unmöglich macht, daneben den Lebensunterhalt anderweitig zu bestreiten, rechtfertigt den Anspruch, dass ihnen ein voller Lebensunterhalt aus Steuermitteln, die die Bürger aufbringen, finanziert wird (vgl BVerfGE_32,157 <164>).

212

Entgegen der Ansicht der Antragsteller steht die Annahme einer verfassungsrechtlichen Pflichtenstellung des Abgeordneten nicht in Widerspruch zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung; auch nähert sie den Abgeordnetenstatus nicht in bedenklicher Weise demjenigen der Beamten an. Der Abgeordnete "schuldet", wie das Bundesverfassungsgericht in Abgrenzung zum Beamten betont hat, rechtlich keine Dienste, sondern nimmt in Freiheit sein Mandat wahr (BVerfGE_76,256 <341>). Er entscheidet in freier Eigenverantwortlichkeit über die Form der Wahrnehmung seines Mandats. Auch wenn der Abgeordnete, wie es in BVerfGE_40,296 (312) heißt, theoretisch die Freiheit hat, seine Aktivitäten im Plenum, in Fraktion und Ausschüssen sowie im Wahlkreis "bis über die Grenze der Vernachlässigung seiner Aufgabe hinaus einzuschränken", er sich dies doch "aus den verschiedensten Gründen in der Praxis nicht leisten" kann, so steht er doch unter dem Gebot, dass die parlamentarische Demokratie einer höchst komplizierten Wirtschafts- und Industriegesellschaft vom Abgeordneten mehr als nur eine ehrenamtliche Nebentätigkeit, vielmehr den ganzen Menschen verlangt, der allenfalls unter günstigen Umständen neben seiner Abgeordnetentätigkeit noch versuchen kann, seinem Beruf nachzugehen (vgl BVerfGE_40,296 <313> ). Die Freiheit des Abgeordneten gewährleistet nicht eine Freiheit von Pflichten, sondern lediglich die Freiheit in der inhaltlichen Wahrnehmung dieser Pflichten. Nicht das "Ob", sondern nur das "Wie" der Repräsentation steht im freien Ermessen des Abgeordneten (so zutreffend H H Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art.48 Rn.34).

213

Bereits darin liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Status des Abgeordneten und dem eines Beamten oder Arbeitnehmers - die Erfüllung der Pflichten des Abgeordneten entzieht sich einer Durchsetzung nach arbeits- oder beamtenrechtlichem Muster. Dass die Pflichten des Mandats heute die Abgeordneten zeitlich in einem Umfang in Anspruch nehmen, der bei vielen von ihnen die Regelarbeitszeit im öffentlichen Dienst erheblich übersteigt, unterstreicht die Verschiedenheit der Rechtsstellung von Abgeordneten und Beamten (vgl BVerfGE_76,256 <342>).

214

2. Die Antragsteller setzen dem ein Leitbild eines Abgeordneten entgegen, der, wie sie selbst, im wirklichen Leben stehend seine mandatsexternen Tätigkeiten frei gestalten und so effektiv wahrnehmen kann, dass er mit ihnen nachhaltig Einkünfte zu erzielen vermag und auf diese Weise Unabhängigkeit schöpft, nämlich Unabhängigkeit davon, dass er in Zukunft weiter Diäten beziehen wird, und damit Unabhängigkeit von Partei und Fraktion. Nach Ansicht der Antragsteller folgt dieses Leitbild nicht nur aus der freiheitlichen Verfassung des Grundgesetzes, sondern auch aus den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen funktionstüchtigen Bundestag. Sie sehen in der Bestimmung des § 44a Abs.1 Satz 1 AbgG, nach der die Ausübung des Mandats im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Mitglieds des Deutschen Bundestages steht, einen mit diesem Leitbild unvereinbaren Eingriff in die Freiheit des Mandats, der über ihre eigene Betroffenheit hinaus zu einer dem Parlamentarismus abträglichen Verdrängung dieses Abgeordnetentypus aus dem Deutschen Bundestag führt. Die Argumentation der Antragsteller geht fehl. 215

215

a) Die Annahme, ein freiberuflich oder unternehmerisch tätiger Abgeordneter entspreche in besonderer, geradezu prägender Weise dem verfassungsrechtlichen Leitbild des unabhängigen, nur seinem Gewissen unterworfenen Abgeordneten (Art.38 Abs.1 Satz 2 GG), ist ohne tragfähige Grundlage.

216

aa) Die Grundrechte können keine Handhabe bieten, den Honoratioren-Abgeordneten (vgl BVerfGE_40,296 <312>) als verfassungsrechtliches Leitbild wieder aufleben zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich Erwägungen, die Rechte- und Pflichtenstellung des Abgeordneten nicht nur aus Art.38 Abs.1 Satz 2 GG zu bestimmen, sondern dafür auch auf Grundrechte zurückzugreifen, zu Recht nicht geöffnet (vgl BVerfGE_94,351 <365>; BVerfGE_99,19 <29> ). Dies hat seinen Grund nicht allein darin, dass die Fragen parlamentarischer Repräsentation und des Abgeordnetenstatus in den Art. 38 und Art. 48 GG eine staatsorganisatorische Regelung erfahren haben und sich der Beantwortung anhand grundrechtlicher Argumentationsfiguren entziehen (allenfalls für Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Privatsphäre hat der Senat daher eine Beachtung von Grundrechten neben dem Abgeordnetenrecht für möglich gehalten; vgl BVerfGE_99,19 <29> ). Dahinter steht vielmehr auch die Einsicht in den - der Notwendigkeit eines funktions- und repräsentationsfähigen Parlaments folgenden - prinzipiellen Vorrang parlamentsrechtlich-funktioneller vor individualrechtlichen Gesichtspunkten bei der Bestimmung der verfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten des Abgeordneten. Die Rechte des Abgeordneten richten sich nach den Erfordernissen demokratischer Repräsentation und stehen im Dienst der Erfüllung des Gemeinwohlauftrags des Deutschen Bundestages, nicht umgekehrt. Das freie Mandat ist ein zwar in der Gesellschaft verwurzeltes, aber innerhalb der Staatsorganisation wahrgenommenes Amt (vgl BVerfGE_112,118 <134>).

217

bb) Die Sicht der Antragsteller ist bereits mit Art.48 Abs.3 Satz 1 GG schwer zu vereinbaren. Nach dieser Vorschrift haben die Abgeordneten Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Die der Bedeutung des Amtes angemessene Entschädigung soll dem Abgeordneten ermöglichen, als Vertreter des ganzen Volkes frei von wirtschaftlichen Zwängen zu wirken ("Vollalimentation"; vgl BVerfGE_40,296 <315 f>; BVerfGE_102,224 <239> ). Das Grundgesetz geht also davon aus, dass die Unabhängigkeit der Abgeordneten durch die ihnen zustehende Entschädigung ausreichend gesichert wird. Aus welchem Grund das verfassungsrechtliche Leitbild des Abgeordneten in Art.38 Abs.1 Satz 2 GG gleichwohl auf eine darüber hinaus gehende Sicherung der Unabhängigkeit durch Gewährung besonderer Freiräume an bestimmte Berufsgruppen angelegt sein soll, erschließt sich nicht.

218

cc) Soweit die Antragsteller die Unabhängigkeit der Abgeordneten von den politischen Parteien ins Feld führen, ist daran zu erinnern, dass die politische Einbindung des Abgeordneten in Partei und Fraktion verfassungsrechtlich erlaubt und gewollt ist. Das Grundgesetz weist den Parteien eine besondere Rolle im Prozess der politischen Willensbildung zu (Art. 21 Abs. 1 GG), weil ohne die Formung des politischen Prozesses durch geeignete freie Organisationen eine stabile Demokratie in großen Gemeinschaften nicht gelingen kann (vgl BVerfGE_102,224 <239>; BVerfGE_112,118 <135> ). Das besondere Spannungsverhältnis, das in der Doppelstellung des Abgeordneten als Vertreter des gesamten Volkes und zugleich als Exponenten einer konkreten Parteiorganisation liegt und in Art.21 und Art.38 GG erkennbar wird (vgl BVerfGE_2,1 <72 f> ), darf bei der Bestimmung des verfassungsrechtlichen Leitbildes des Abgeordneten nicht unberücksichtigt bleiben. Die Fraktionen nehmen im parlamentarischen Raum unabdingbare Koordinierungsaufgaben wahr, bündeln die Vielfalt der Meinungen zur politischen Stimme und spitzen Themen auf politische Entscheidbarkeit hin zu. Wenn der einzelne Abgeordnete im Parlament politischen Einfluss von Gewicht ausüben, wenn er gestalten will, bedarf er der abgestimmten Unterstützung (vgl BVerfGE_102,224 <239 f>; BVerfGE_112,118 <135>; BVerfGE_114,121 <150> ). Eine gewisse Bindekraft der t Fraktionen im Verhältnis zum einzelnen Abgeordneten is daher in einer repräsentativen Demokratie nicht nu zulässig, sondern notwendig (vgl BVerfGE_10,4 <14> ). Andererseits erfordert die Freiheit des Mandats, dass der Abgeordnete seine Gewissensentscheidung im Konfliktfall auch gegen seine Fraktion behaupten kann und diese so genötigt wird, in ihrem internen Willensbildungsprozess seinen Standpunkt ernst zu nehmen. Daher haben Regelungen vor Art.38 Abs.1 GG keinen Bestand, die die Abhängigkeit des Abgeordneten von der politischen Gruppe, der er angehört, übermäßig verstärken. Hierher gehört etwa die systematische Ausdehnung von Funktionszulagen (vgl BVerfGE_102,224 <240 f>).

219

Zwar mindert jede vom Bundestagsmandat unabhängige Quelle gesicherter Einkünfte - sei es aus Beruf oder Vermögen - die Abhängigkeit des Abgeordneten von seiner Partei und Fraktion insofern, als sie ihn unabhängiger macht von der Aussicht, über die laufende Wahlperiode hinaus Abgeordnetendiäten zu beziehen, und damit auch von der Bereitschaft seiner Partei, ihm dazu zu verhelfen. Eine Verpflichtung, die rechtlichen oder tatsächlichen Rahmenbedingungen der Parlamentsarbeit vorrangig auf größtmögliche tatsächliche Unabhängigkeit der Abgeordneten von Partei und Fraktion auszurichten, besteht jedoch von Verfassungs wegen weder generell noch insoweit, als etwa eine möglichst geringe Angewiesenheit der Abgeordneten auf den Bezug von Diäten angestrebt werden müsste.

220

dd) Die Komplexität der parlamentarischen und politischen Arbeitsbedingungen (vgl auch BVerfGE_114,121 <157>) und Beziehungsgeflechte (vgl Meessen, Beraterverträge und freies Mandat, in: Festschrift für Ulrich Scheuner zum 70.Geburtstag, 1973, S.431 <444 f>; Trute, in: von Münch/Kunig, GG, Bd.2, 5.Aufl. 2001, Art.38 Rn.74) lässt es im Übrigen nicht zu, die Unabhängigkeit des einzelnen Abgeordneten in eine bestimmbare Relation zu seiner wirtschaftlichen Absicherung durch außerparlamentarische Verdienstmöglichkeiten zu setzen.

221

Dies gilt zunächst insofern, als die für die Unabhängigkeit des Abgeordneten sicherlich in gewissem Umfang bedeutsame "Berufsfähigkeit", also die Fähigkeit, auch ohne politisches Mandat seinen Lebensunterhalt zu bestreiten (vgl Röttgen, Plenarprotokoll 15/184, S.17399 B), nicht gleichgesetzt werden darf mit der Erwartung, Tätigkeiten in exakt gleicher Weise wie vor dem Eintritt in den Deutschen Bundestag fortführen oder nach dem Ausscheiden wiederaufnehmen zu können.

222

Vor allem aber zielt die Verfassungsnorm des Art.38 Abs.1 Satz 2 GG, indem sie den Abgeordneten zum Vertreter des ganzen Volkes bestimmt und ihn in dieser Eigenschaft für weisungsfrei und nur seinem Gewissen unterworfen erklärt, auch auf Unabhängigkeit von Interessengruppen (vgl. aus der Diskussion im Parlamentarischen Rat, in der sich die Bestimmung, nach der die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes sind, gerade aus diesem Grund gegen Streichungsvorschläge durchgesetzt hat, Protokoll der Zweiten Sitzung des Kombinierten Ausschusses vom 16. September 1948, in: Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, Bd.13, Tb.I, 2002, S.21 ff). Dabei geht es nicht zuletzt um Unabhängigkeit von Interessenten, die ihre Sonderinteressen im Parlament mit Anreizen durchzusetzen suchen, die sich an das finanzielle Eigeninteresse von Abgeordneten wenden. Die Wahrung der Unabhängigkeit der Abgeordneten nach dieser Seite hin hat besonders hohes Gewicht; denn hier geht es um die Unabhängigkeit gegenüber Einwirkungen, die - anders als der Einfluss der Parteien und Fraktionen im Prozess der politischen Willensbildung - nicht durch Entscheidungen des Wählers vermittelt sind.

223

Es spricht nichts dafür, dass insoweit - gegenüber Dritten - die Unabhängigkeit beruflich selbstständig tätiger Abgeordneter grundsätzlich höher eingeschätzt werden müsste als die Unabhängigkeit von nebenher unselbstständig oder überhaupt nicht mehr beruflich tätigen Abgeordneten. Namentlich freiberufliche Tätigkeiten zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie besondere Unabhängigkeit nach dieser Richtung hin gewährleisteten. Ein großer Teil derer, die umgangssprachlich oft den freien Berufen zugeordnet werden, insbesondere ein großer Teil der Rechtsanwälte, übt die Tätigkeit nicht selbstständig, sondern als Angestellte von Sozietäten aus. Freiberuflich Tätige sind ferner nicht selten von einem oder einigen wenigen Auftraggebern oder einer Gruppe von Auftraggebern mit gemeinsamen Interessen wirtschaftlich abhängig.

224

Sowohl Angestelltenverhältnisse im Bereich der freien Berufe als auch die freien Berufe selbst bieten vielfältige Möglichkeiten, politischen Einfluss durch ein Bundestagsmandat für die außerhalb des Mandats ausgeübte Berufstätigkeit gewinnbringend zu nutzen, und gerade von dieser Möglichkeit gehen besondere Gefahren für die Unabhängigkeit der Mandatsausübung und die Bereitschaft, das Mandat in den Mittelpunkt der Tätigkeit zu stellen, aus."

 

Auszug aus BVerfG U, 04.07.07, - 2_BvE_1/06 -, www.BVerfG.de,  Abs.207

§§§

07.028 Beförderungsauswahl

  1. BVerfG,     B, 09.07.07,     – 2_BvR_206/07 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.33 Abs.2, GG_Art.19 Abs.4

  4. Bestenauslese / Verletzung / effektiver Rechtsschutz / Verfassungsbeschwerde / Rechtsstreit / Erledigung / Eilverfahren / Dienstherr / Mitteilungspflichten / Auswahlerwägungen / schriftliche Fixierung / Ermessen / Auswechslung der Gründe

T-07-11

LB 1) Um sicherstellen zu können, dass eine mögliche Verletzung des Grundsatzes der Bestenauslese nicht folgenlos bleibt, gebietet das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art.19 Abs.4 GG in Verbindung mit dem zu wahrenden grundrechtsgleichen Recht aus Art.33 Abs.2 GG daher, dass dem Beschwerdeführer die Weiterverfolgung der behaupteten Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs im Wege der Verfassungsbeschwerde möglich sein muss (vgl BVerfGK_5,205 <210 f>), weil die verfassungswidrige Beeinträchtigung des Beschwerdeführers fortwirkt.

Abs.15

LB 2) Der um eine Beförderungsauswahl geführte Rechtsstreit erledigt sich grundsätzlich mit der endgültigen Besetzung der ausgeschriebenen Stelle (vgl BVerwGE_118,370 <371 f>).

 

LB 3) Aufgrund dieser Verfahrensabhängigkeit des sich aus Art.33 Abs.2 GG ergebenden subjektiven Rechts sind die Verwaltungsgerichte im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit gehalten, den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes gerade im Eilverfahren besonders Rechnung zu tragen.

 

LB 4) Art.19 Abs.4 GG garantiert nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl BVerfGE_103,142 <156>; stRspr).

Abs.17

LB 5) Aus Art.33 Abs.2 GG in Verbindung mit Art.19 Abs.4 GG folgt deshalb eine Verpflichtung des Dienstherrn, dem unterlegenen Bewerber rechtzeitig vor der Ernennung des Mitbewerbers durch eine Mitteilung Kenntnis vom Ausgang des Auswahlverfahrens zu geben.

Abs.18

LB 6) Aus den selben Erwägungen folgt aber auch eine Verpflichtung, vor Aushändigung der Urkunde einen ausreichenden Zeitraum abzuwarten, um dem Mitbewerber die Möglichkeit zu geben, Eilantrag, Beschwerde oder Verfassungsbeschwerde zu erheben, weil nur so die Möglichkeit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes besteht.

Abs.20

LB 7) Aus Art.33 Abs.2 GG in Verbindung mit Art.19 Abs.4 GG folgt deshalb auch die Verpflichtung, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen.

Abs.21

LB 8) Nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen - deren Kenntnis sich der unterlegene Bewerber gegebenenfalls durch Akteneinsicht verschaffen kann - wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden zu können, ob er die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er daher gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen will.

 

LB 9) Darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen auch dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen (vgl BVerfGE_65,1 <70>; BVerfGE_103,142 <160>).

 

LB 10) Nur die schriftliche Dokumentation der Auswahlerwägungen stellt sicher, dass die Bewertungsgrundlagen der entscheidenden Stelle vollständig zur Kenntnis gelangt sind, und erweist sich damit als verfahrensbegleitende Absicherung der Einhaltung der Maßstäbe des Art.33 Abs.2 GG.

Abs.23

LB 11) § 114 Satz 2 VwGO läßt nur die Ergänzung von Ermessenserwägungen im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zu, nicht aber die vollständige Nachholung oder die Auswechslung der die Ermessensentscheidung tragenden Gründe (vgl BVerwGE_106,351 <365>; BVerwGE_107,164 <169>.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1. Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23.Januar 2007 - 1 TG 2542/06 - verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 33 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

2. Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

* * *

T-07-11Einstweilige Anordnung

12

"Die zulässige Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art.33 Abs.2 GG in Verbindung mit Art.19 Abs.4 GG angezeigt ist (vgl § 93a Abs.2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c BVerfGG liegen vor. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.

13

1. Die Verfassungsbeschwerde ist trotz der zwischenzeitlich erfolgten Übergabe der Ernennungsurkunde an den Mitbewerber zulässig. Ihr fehlt nicht das Rechtsschutzinteresse, obwohl die bereits erfolgte Ernennung des ausgewählten Bewerbers wegen des Grundsatzes der Ämterstabilität nicht zurückgenommen und dem Beschwerdeführer die ausgeschriebene Stelle daher auch nicht mehr übertragen werden kann. Das Justizministerium hat dem Beschwerdeführer durch die umgehende Ernennung des ausgewählten Mitbewerbers faktisch die Möglichkeit genommen, die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle eines Vorsitzenden Richters am Finanzgericht durch eine verfassungsgerichtliche Eilentscheidung zu verhindern. Um sicherstellen zu können, dass eine mögliche Verletzung des Grundsatzes der Bestenauslese nicht folgenlos bleibt, gebietet das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art.19 Abs.4 GG in Verbindung mit dem zu wahrenden grundrechtsgleichen Recht aus Art.33 Abs.2 GG daher, dass dem Beschwerdeführer die Weiterverfolgung der behaupteten Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs im Wege der Verfassungsbeschwerde möglich sein muss (vgl BVerfGK_5,205 <210 f>), weil die verfassungswidrige Beeinträchtigung des Beschwerdeführers fortwirkt.

14

2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Die Verfahrensweise des Ministeriums und der angegriffene Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs werden den Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren nicht gerecht.

15

a) Art.33 Abs.2 GG gewährt jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Daraus folgt der Anspruch eines Beförderungsbewerbers auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung. Dieser Anspruch lässt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber grundsätzlich nur vor Ernennung des ausgewählten Konkurrenten mittels einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs.1 Satz 1 VwGO sichern. Wird hingegen die im Streit stehende Stelle besetzt, bleibt dem unterlegenen Bewerber sowohl die erfolgreiche Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes als auch primärer Rechtsschutz in der Hauptsache grundsätzlich versagt. Der um eine Beförderungsauswahl geführte Rechtsstreit erledigt sich grundsätzlich mit der endgültigen Besetzung der ausgeschriebenen Stelle (vgl BVerwGE_118,370 <371 f>).

16

Aufgrund dieser Verfahrensabhängigkeit des sich aus Art.33 Abs.2 GG ergebenden subjektiven Rechts sind die Verwaltungsgerichte im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit gehalten, den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes gerade im Eilverfahren besonders Rechnung zu tragen. Art.19 Abs.4 GG garantiert nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl BVerfGE_103,142 <156> ; stRspr). Droht dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche und irreversible Verletzung in seinen Grundrechten, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, wenn nicht ausnahmsweise gewichtige Gründe entgegenstehen. Hierbei muss das Gericht das Verfahrensrecht in einer Weise auslegen und anwenden, die dem Gebot effektiven Rechtsschutzes Rechnung trägt (vgl BVerfGE_97,298 <315> ; BVerfGK_1,292 <296>). Auch die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs dürfen deshalb nicht überspannt und über die Darlegung der Fehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung und die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung im Wiederholungsfalle hinaus ausgedehnt werden (vgl Beschluss der 1.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24.September 2002 - 2 BvR 857/02 -, NVwZ 2003, S.200 <201>).

17

b) Aus der Verfahrensabhängigkeit des sich aus Art.33 Abs.2 GG ergebenden Anspruchs eines Beförderungsbewerbers ergeben sich jedoch auch Vorwirkungen auf das Verwaltungsverfahren. Das dem gerichtlichen Rechtsschutzverfahren vorgelagerte Verwaltungsverfahren darf nicht so ausgestaltet sein, dass es den gerichtlichen Rechtsschutz vereitelt oder unzumutbar erschwert (vgl BVerfGE_22,49 <81 f>; BVerfGE_61,82 <110> ). Dies wäre aber etwa der Fall, wenn der unterlegene Mitbewerber erst nach der Ernennung des Mitbewerbers vom Ausgang des Stellenbesetzungsverfahrens erführe. Aus Art.33 Abs.2 GG in Verbindung mit Art.19 Abs.4 GG folgt deshalb eine Verpflichtung des Dienstherrn, dem unterlegenen Bewerber rechtzeitig vor der Ernennung des Mitbewerbers durch eine Mitteilung Kenntnis vom Ausgang des Auswahlverfahrens zu geben (vgl. Beschluss der 3.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19.September 1989 - 2 BvR 1576/88 -, NJW 1990, S.501).

18

Aus den selben Erwägungen folgt aber auch eine Verpflichtung, vor Aushändigung der Urkunde einen ausreichenden Zeitraum abzuwarten, um dem Mitbewerber die Möglichkeit zu geben, Eilantrag, Beschwerde oder Verfassungsbeschwerde zu erheben, weil nur so die Möglichkeit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes besteht. Durch die umgehende Ernennung des Mitbewerbers wird dem unterlegenen Konkurrenten faktisch die Möglichkeit genommen, die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle durch eine verfassungsgerichtliche Eilentscheidung zu verhindern (vgl BVerfGK_5,205 <210 f> für eine Notarstelle). Die dem Beschwerdeführer im vorliegenden Fall zur Verfügung stehende Frist von zwei Tagen genügt den Anforderungen nicht.

19

c) Auch durch die vom Verwaltungsgerichtshof vertretene Auffassung, der Dienstherr könne die Gründe für seine Auswahlentscheidung noch erstmals im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren darlegen, wird der gerichtliche Rechtsschutz des Beschwerdeführers unzumutbar erschwert.

20

Gemäß § 123 Abs.3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs.2 ZPO hat der unterlegene Mitbewerber im gerichtlichen Eilverfahren Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Ihm obliegt daher die Darlegungslast für die von ihm behauptete Fehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung. Grundlage hierfür können allein die in den Akten niedergelegten Auswahlerwägungen sein. Andere Erkenntnisse stehen dem unterlegenen Bewerber nicht zur Seite und können von ihm auch nicht beschafft werden. Aus Art.33 Abs.2 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs.4 GG folgt deshalb auch die Verpflichtung, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen (vgl hierzu BAG, Urteil vom 21.Januar 2003 - 9 AZR 72/02 -, BAGE_104,295 <301 f.>; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 21.Januar 2005 - 3 CE 04.2899 -, BayVBl 2006, S.91; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 17.Juni 1997, 1 TG 2183/97 -, ZTR 1997, S.526 <527>).

21

Nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen - deren Kenntnis sich der unterlegene Bewerber gegebenenfalls durch Akteneinsicht verschaffen kann - wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden zu können, ob er die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er daher gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen will. Darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen auch dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen (vgl BVerfGE_65,1 <70>; BVerfGE_103,142 <160>).

22

Die Annahme der angegriffenen Entscheidung, die Auswahlerwägungen könnten auch erstmals im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens dargelegt werden, mindert die Rechtsschutzmöglichkeiten des Beschwerdeführers in unzumutbarer Weise. Dies gilt nicht nur im Hinblick darauf, dass ohne die Kenntnis der Entscheidungsgrundlagen eine substantiierte Begründung und Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs kaum - oder jedenfalls nur sukzessive auf die Erwiderung des Dienstherrn hin - möglich ist. Vielmehr ist es dem Beschwerdeführer insbesondere nicht zuzumuten, die Auswahlentscheidung seines Dienstherrn gewissermaßen "ins Blaue hinein" in einem gerichtlichen Eilverfahren angreifen zu müssen, um überhaupt nur die tragenden Erwägungen der Auswahlentscheidung zu erfahren. Im Übrigen stellt nur die schriftliche Dokumentation der Auswahlerwägungen sicher, dass die Bewertungsgrundlagen der entscheidenden Stelle vollständig zur Kenntnis gelangt sind, und erweist sich damit als verfahrensbegleitende Absicherung der Einhaltung der Maßstäbe des Art.33 Abs.2 GG.

23

d) Die Auffassung im angegriffenen Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs steht überdies im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach lässt § 114 Satz 2 VwGO nur die Ergänzung von Ermessenserwägungen im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zu, nicht aber die vollständige Nachholung oder die Auswechslung der die Ermessensentscheidung tragenden Gründe (vgl BVerwGE_106,351 <365>; BVerfGE_107,164 <169> sowie Beschluss vom 20.August 2003 - 1 WB 23/03 -, RiA 2004, S.35 <37> für ein beamtenrechtliches Konkurrentenverfahren). So liegen die Dinge aber hier, weil die Auswahlerwägungen des Dienstherrn im gerichtlichen Verfahren - auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs - nicht lediglich ergänzt, sondern erstmals dargelegt worden sind. In der angegriffenen Entscheidung wird hierzu ausgeführt: "Diese schriftliche Fixierung der Auswahlerwägungen ist vorliegend während des Auswahlverfahrens unterblieben; vielmehr enthält der Besetzungsvorgang lediglich einen Vermerk darüber, dass 'nach Vortrag bei Herrn Staatssekretär am 7.Februar 2006' der Beigeladene als der am besten geeignete Kandidat im Bewerberfeld die ausgeschriebene Stelle erhalten soll. Weshalb der Beigeladene als der am besten geeignete Kandidat erscheint, lässt sich dieser Auswahlentscheidung jedoch nicht entnehmen. Vielmehr ist erst durch den Erwiderungsschriftsatz im gerichtlichen Eilverfahren vom 24.August 2006 erkennbar geworden, auf welche Gründe der Antragsgegner sich bei seiner Entscheidung für den Beigeladenen gestützt hat."

24

e) Auf die weiteren vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen kommt es damit nicht mehr an. Aus den vorliegenden Unterlagen ist jedoch auch nicht erkennbar, dass der Dienstherr - den in BVerfGK_1,292 <298> niedergelegten Grundsätzen folgend - dargelegt hat, dass die gleichförmige Beurteilung aller zehn Bewerber mit derselben Gesamtnote entgegen dem ersten Anschein das Ergebnis einer mit Art.33 Abs.2 GG zu vereinbarenden, differenzierte Maßstäbe anwendenden Beurteilungspraxis ist."

 

Auszug aus BVerfG B, 09.07.07, - 2_BvR_206/07 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.12 ff

§§§

07.029 Nachtragshaushalt

  1. BVerfG,     U, 09.07.07,     – 2_BvF_1/04 –

  2. BVerfGE_119,96 = www.BVerfGE.de

  3. GG_Art.93 Abs.1 Nr.2, GG_Art.115 Abs.1 S.2, GG_Art.115 Abs.1 S.3, GG_Art.109 Abs.2, GG_Art.110 Abs.1 S.2; BVerfGG_§_13 Nr.6, BVerfGG_§_76 Abs.1; (04) HG_§_1, HG_§_2 Abs.1

  4. Verfassungsorgane / Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme / Nachtragshaushalt Einbringung / Haushaltswahrheit / grundlegende Revisionen

 

1) Für die Maßstäbe rechtzeitiger Einbringung eines Nachtragshaushaltsgesetzes des Bundes gelten die allgemeinen Grundsätze zu den Anforderungen an die gebotene gegenseitige Rücksichtnahme zwischen Verfassungsorganen.

 

2) Aus dem Verfassungsgebot der Haushaltswahrheit folgt die Pflicht zur Schätzgenauigkeit mit dem Ziel, die Wirksamkeit der Budgetfunktionen im parlamentarischen Regierungssystem - Leitung, Kontrolle und Transparenz durch Öffentlichkeit der staatlichen Tätigkeit - zu gewährleisten. Die für die Einnahmen- und Ausgabenschätzungen erforderlichen Prognosen müssen aus der Sicht ex ante sachgerecht und vertretbar ausfallen.

 

3) Grundlegende Revisionen des Regelungskonzepts der Art.115 Abs.1 Satz 2 und Art.109 Abs.2 GG bleiben dem verfassungsändernden Gesetzgeber vorbehalten. Im Hinblick auf den in der Normallage entscheidenden Begriff der Investitionen weist der Regelungsauftrag des Art.115 Abs.1 Satz 3 GG die Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Tatbestands in erster Linie dem Verantwortungsbereich des Gesetzgebers, nicht dem des Bundesverfassungsgerichts zu. Auch zum Tatbestand einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bleibt der Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers zu respektieren (Bestätigung von BVerfGE_79,311).

 

LB 4) Zur abweichenden Meinung der Richter Di Fabio und Mellinghoff siehe www.BVerfG.de, Abs.161 ff.

 

LB 5) Zur abweichenden Meinung des Richters Landau siehe www.BVerfG.de, Abs.204 ff.

* * *

Urteil:

Entscheidungsformel:

1) § 1 des Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaltshaltsplans für das Haushaltsjahr 2004 ist in der Gesetzesfassung vom 18.Februar 2004 (Bundesgesetzblatt I S.230) und in der Fassung des Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2004 vom 21. Dezember 2004 (Bundesgesetzblatt I S.3662) mit dem Grundgesetz vereinbar gewesen.

2) § 2 Absatz 1 des Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaltshaltsplans für das Haushaltsjahr 2004 in der Fassung des Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2004 vom 21.Dezember 2004 (Bundesgesetzblatt I S.3662) ist mit dem Grundgesetz vereinbar gewesen.

§§§

07.030 Entziehung gesetzlicher Richter

  1. BVerfG,     B, 20.07.07,     – 1_BvR_3084/06 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.101 Abs.1 S.2

  4. gesetzlicher Richter / Entziehung / fehlerhafte Rechtsanwendung / Verfassungsverstoß / Zuständigkeitsnorm / Willkür / Befangenheitsantrag

T-07-12

LB 1) Eine "Entziehung" des gesetzlichen Richters durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß angesehen werden (vgl BVerfGE_82,286 <299>).

Abs.21

LB 2) Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art.101 Abs.1 Satz 2 GG grundlegend verkennt.

Abs.24

LB 3) Auch wenn im Befangenheitsantrag unter anderem eine unrichtige Sachbehandlung gerügt worden ist, folgt hieraus noch nicht die Unzulässigkeit des Antrags.

Abs.28

LB 4) Die Schutzwirkung des Art.101 Abs.1 Satz 2 GG gebietet es, das Urteil nicht nur hinsichtlich der Verwerfung des Befangenheitsantrags, sondern auch hinsichtlich der getroffenen Sachentscheidungen über die Erledigung der Berufung und der Kosten und damit insgesamt aufzuheben.

* * *

T-07-12Selbstentscheidung

21

"Eine "Entziehung" des gesetzlichen Richters durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß angesehen werden (vgl BVerfGE_82,286 <299> ). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art.101 Abs.1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl BVerfGE_82,286 <299> ). Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts (vgl BVerfGE_29,45 <49>; BVerfGE_82,159 <197>; BVerfGE_87, 282 <286> ) beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art.101 Abs.1 Satz 2 GG grundlegend verkennt, kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (BVerfGK 5,269 <280>).

22

b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Oberlandesgericht in beiden angefochtenen Entscheidungen die ihm von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen überschritten.

23

aa) Im Beschluss vom 30.Oktober 2006 geht das Gericht davon aus, dass die Beschwerdeführerin ihr Ablehnungsgesuch auf eine für fehlerhaft gehaltene Rechtsauffassung stütze. Die Richterablehnung sei kein Mittel, um sich gegen für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen zu wehren. Ein Befangenheitsgesuch sei unzulässig, wenn es rechtsmissbräuchlich sei oder der Prozessverschleppung diene. Darauf folgen inhaltliche Ausführungen zu den vom Oberlandesgericht getroffenen Sachentscheidungen.

24

Diese Ausführungen werden der Begründung des Befangenheitsgesuchs ersichtlich nicht gerecht. Auch wenn im Befangenheitsantrag unter anderem eine unrichtige Sachbehandlung gerügt worden ist, folgt hieraus noch nicht die Unzulässigkeit des Antrags. Im Widerspruch zur Annahme einer offensichtlichen Unzulässigkeit steht schon, dass das Gericht zur Begründung der Entscheidung über den Befangenheitsantrag ausführlich auf inhaltliche Erwägungen zurückgreifen musste und dies auch getan hat. Hinzu kommt, dass das Gericht keine Begründung für die Absicht einer Prozessverschleppung oder eines sonstigen Rechtsmissbrauchs angeben konnte. Auf den - nicht völlig fernliegenden - Vorwurf der ungewöhnlich emotionalen Art und Weise der Kritik im Beschluss des Gerichts vom 17.August 2006 ist das Gericht bei der Verwerfung des Befangenheitsantrags mit keinem Wort eingegangen. Nachdem der Senat im Beschluss vom 17.August 2006 über vier Seiten hinweg mit harschen Worten das Prozessverhalten der Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin kritisiert hatte, kann er schwerlich übersehen haben, dass das Befangenheitsgesuch auch auf diese Kritik und deren ungewöhnliche Diktion gestützt war und sich somit nicht in einer Kritik an einer für unrichtig gehaltenen Sachentscheidung erschöpfte. Vor diesem Hintergrund ist seine Unterstellung des Rechtsmissbrauchs fernliegend. Die Annahme einer Kompetenz zur Verwerfung des Antrags durch die abgelehnten Richter stellt sich daher als grobe Verkennung des Rechts auf den gesetzlichen Richter dar.

25

bb) Auch die Verwerfung des zweiten Befangenheitsgesuchs im Urteil vom 9.November 2006 verstößt gegen das Recht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs.1 Satz 2 GG.

26

Bei der Prüfung, ob ein Ablehnungsgesuch als unzulässig verworfen werden kann, ist das Gericht in besonderem Maße verpflichtet, das Ablehnungsgesuch seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen, da das Gericht andernfalls leicht dem Vorwurf ausgesetzt sein kann, tatsächlich im Gewande der Zulässigkeitsprüfung in eine Begründetheitsprüfung einzutreten, und sich zu Unrecht zum Richter in eigener Sache zu machen. Überschreitet das Gericht bei dieser Prüfung die ihm gezogenen Grenzen, so kann dies seinerseits die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl BVerfGK 5, 269 <283>).

27

Obwohl der Vorwurf der Selbstentscheidung durch Beschluss vom 30.Oktober 2006 Gegenstand des zweiten Befangenheitsantrags war, hat das Gericht auch in der Entscheidung vom 9.November 2006 wiederum in eigener Sache entschieden, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorgelegen hätten. Dem Vorwurf der unzulässigen, gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter verstoßenden Verwerfung des ersten Gesuchs als unzulässig im Wege der Selbstentscheidung begegnete das Gericht mit der Begründung, es sei zur Verwerfung berechtigt gewesen, weil es der Beschwerdeführerin nur um die Überprüfung einer unanfechtbaren Sachentscheidung gegangen sei. Damit setzt das Gericht die Verkürzung des Vorbringens auf den Aspekt der Prozesskostenbewilligung fort und nimmt erneut nicht zur Kenntnis, dass die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf mehrere Umstände - darunter auch, aber nicht nur die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Gegner - gestützt hatte, aus denen sich aus ihrer Sicht die Voreingenommenheit der Richter ergeben hatte. Der Verfassungsverstoß setzt sich damit im Urteil vom 9.November 2006 fort.

28

2. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Der Beschluss vom 30. Oktober 2006 und das Urteil vom 9.November 2006 werden aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (§ 95 Abs.1 Satz 1, Abs.2 BVerfGG). Die Schutzwirkung des Art 101 Abs.1 Satz 2 GG gebietet es dabei, das Urteil vom 9.November 2006 nicht nur hinsichtlich der Verwerfung des Befangenheitsantrags, sondern auch hinsichtlich der getroffenen Sachentscheidungen über die Erledigung der Berufung und der Kosten und damit insgesamt aufzuheben. Zu dem Zeitpunkt, als die Berufung zurückgewiesen wurde, war das Gericht nicht gesetzlicher Richter im Sinne des Art.101 Abs.1 Satz 2 GG, da es nicht befugt war, den Befangenheitsantrag zu verwerfen, welcher von anderen Richtern vor Erlass einer Sachentscheidung hätte beschieden werden müssen. Daher stellt die Entscheidung in der Sache durch die abgelehnten Richter einen eigenständigen Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters dar, was eine Aufhebung der Sachentscheidung rechtfertigt. Andernfalls hätte es ein die Grenzen der Verwerfung eines Befangenheitsgesuchs verkennendes Gericht in der Hand, durch eine gleichzeitig mit der Verwerfung eines Befangenheitsantrags getroffene nicht anfechtbare Sachentscheidung vollendete Tatsachen zu schaffen."

 

Auszug aus BVerfG B, 20.07.07, - 1_BvR_3084/06 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.21

§§§

07.031 9.Rundfunkurteil

  1. BVerfG,     U, 11.09.07,     – 1_BvR_2270/05 –

  2. BVerfGE_119,181 = www.BVerfG.de = dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.5 Abs.1 S.2; RundfFStV_§_3 Abs.1 S.2

  4. Rundfunkfreiheit / Rundfunkordnung / Ausgestaltung / neue Medien / Gesetzgeber / Befugnis / Abweichung von Kommissionsvorschlag / verfassungskonforme Auslegung § 3 Abs.1 S.2 Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag

 

1) Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen an die gesetzliche Ausgestaltung der Rundfunkordnung zur Sicherung der Rundfunkfreiheit im Sinne des Art.5 Abs.1 Satz 2 GG sind durch die Entwicklung von Kommunikationstechnologie und Medienmärkten nicht überholt.

 

2) Zu der Befugnis des Gesetzgebers, bei der Festsetzung der Rundfunkgebühr von dem Gebührenvorschlag der Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) abzuweichen.

 

3) § 3 Abs.1 Satz 2 des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrages ist bei verfassungskonformer Auslegung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Die Zustimmungsgesetze und Zustimmungsbeschlüsse der Länder zu Artikel 6 Nummer 4 des Achten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Achter Rundfunkänderungsstaatsvertrag) sind mit dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes unvereinbar.

Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.

Die Länder haben den Beschwerdeführern zwei Drittel der notwendigen Auslagen zu erstatten.

§§§

07.032 Teilzeitbeschäftigung

  1. BVerfG,     B, 19.09.07,     – 2_BvF_3/02 –

  2. BVerfGE_119,247 = www.BVerfG.de

  3. GG_Art.33 Abs.4, GG_Art.33 Abs.5; (Ns) LBG_§_80c

  4. Beamter / antragslose Teilzeitbeschäftigung / Unvereinbarkeit / hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums / Einrichtungsgarantie / Funktionsbestimmung des Berufsbeamtentums / Grundstrukturen / Funktionsvorbehalt / innere und äußere Unabhängigkeit / Strukturänderungen / Kampf- und Druckmittel / Alimentation / Diener zweier Herren / Sozialstaatsprinzip

T-07-13

1) Antragslose Teilzeitbeschäftigung von Beamten ohne die Möglichkeit zur Wahl der vollen Beschäftigung verstößt gegen die gemäß Art.33 Abs.5 GG zu beachtenden Grundsätze der Hauptberuflichkeit und der amtsangemessenen Alimentation.

Abs.83

LB 2) Auch nach der Neufassung des Art.33 Abs.5 GG durch das 52.Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.August 2006 (BGBl I S.2034) ändert sich an dieser Beurteilung nichts.

Abs.45

LB 3) Art.33 Abs.5 GG ist unmittelbar geltendes Recht und enthält einen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber sowie eine institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums (Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6.März 2007 - 2 BvR 556/04 -, S.21).

Abs.46

LB 4) Gegenstand der Einrichtungsgarantie ist der Kernbestand von Strukturprinzipien, die sich in der Tradition entwickelt und bewährt haben (vgl BVerfGE_6,132 <164>).

Abs.45

LB 5) Die Übernahme der funktionswesentlichen tradierten Grundstrukturen des Berufsbeamtentums in das Grundgesetz beruht auf einer Funktionsbestimmung des Berufsbeamtentums als Institution, die, gegründet auf Sachwissen, fachliche Leistung und loyale Pflichterfüllung, eine stabile Verwaltung sichern und damit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatswesen gestaltenden politischen Kräften bilden soll (vgl BVerfGE_7,155 <162>; stRspr).

Abs.47

LB 6) Sie trägt gleichzeitig auch der Tatsache Rechnung, dass im demokratischen Staatswesen Herrschaft stets nur auf Zeit vergeben wird und die Verwaltung schon im Hinblick auf die wechselnde politische Ausrichtung der jeweiligen Staatsführung neutral sein muss. Insoweit kann die strikte Bindung an Recht und Gemeinwohl, auf die die historische Ausformung des deutschen Berufsbeamtentums ausgerichtet ist, auch als Funktionsbedingung der Demokratie begriffen werden.

 

LB 7) Zum Gewährleistungsbereich des Art.33 Abs.4 GG gehören jene Aufgaben, deren Wahrnehmung die besonderen Verlässlichkeits-, Stetigkeits- und Rechtsstaatlichkeitsgarantien des Beamtentums erfordert.

Abs.49

LB 8) Seine Aufgabe kann das Berufsbeamtentum nur erfüllen, wenn es rechtlich und wirtschaftlich gesichert ist (vgl BVerfGE_7,155 <163>).

Abs.49

LB 9) Nur wenn die innere und äußere Unabhängigkeit gewährleistet ist und Widerspruch nicht das Risiko einer Bedrohung der Lebensgrundlagen des Amtsträgers und seiner Familie in sich birgt, kann realistischerweise erwartet werden, dass ein Beamter auch dann auf rechtsstaatlicher Amtsführung beharrt, wenn sie (partei-)politisch unerwünscht sein sollte.

Abs.50

LB 10) Die Mütter und Väter des Grundgesetzes verstanden das Berufsbeamtentum insoweit als ein Instrument zur Sicherung von Rechtsstaat und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Hierfür erschien ihnen ein auf Sachwissen gegründeter, unabhängiger Beamtenapparat unerlässlich.

Abs.51

LB 11) Die für den Kerngehalt der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums geltende Beachtenspflicht versperrt den Weg zu tiefgreifenden strukturellen Veränderungen durch den einfachen Gesetzgeber (vgl Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20.März 2007 - 2_BvL_11/04 -, S.12).

 

LB 12) Solange eine strukturelle Veränderung an den für Erscheinungsbild und Funktion des Berufsbeamtentums wesentlichen Regelungen nicht vorgenommen wird, steht Art.33 Abs.5 GG einer Weiterentwicklung des Beamtenrechts nicht entgegen.

 

LB 13) Veränderungen, mit denen die Funktionsfähigkeit des Berufsbeamtentums aufrechterhalten und seine Leistungsfähigkeit gesteigert werden sollen, verstoßen daher nur dann gegen Art.33 Abs.5 GG, wenn sie in den Kernbestand von Strukturprinzipien eingreifen (vgl dazu bereits Jüsgen, DÖV 1951, S.474). Das Grundgesetz erlaubt damit eine stete Fortentwicklung, die das Beamtenrecht in seinen einzelnen Ausprägungen den veränderten Umständen anpasst ( BVerfGE_97,350 <376 f>; vgl auch BVerfGE_43,154 <168>; BVerfGE_67,1 <14>).

Abs.52

LB 14) Bezugspunkt des Art.33 Abs.5 GG ist nicht das gewachsene Berufsbeamtenrecht, sondern das Berufsbeamtentum. Geschützt sind daher nur diejenigen Regelungen, die das Bild des Berufsbeamtentums in seiner überkommenen Gestalt maßgeblich prägen, sodass ihre Beseitigung auch das Wesen des Berufsbeamtentums antasten würde (vgl BVerfGE_43,177 <185>; BVerfGE_114,258 <286>).

Abs.53

LB 15) Die hauptberufliche Beschäftigung auf Lebenszeit und das hiermit korrespondierende Alimentationsprinzip sind prägende Strukturmerkmale des Berufsbeamtentums (vgl BVerfGE_55,207 <240>; BVerfGE_71,39 <59 f> ). Sie konstituieren das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis, dem Art.33 Abs.4 GG die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse vorbehalten hat.

 

LB 16) Die in § 80c NBG vorgesehene Möglichkeit der unfreiwilligen Einstellungsteilzeit ist hiermit nicht zu vereinbaren.

 

LB 17) Zu den Kernpflichten des Beamtenverhältnisses gehört seit jeher die Treuepflicht (vgl BVerfGE_39,334 <346 f>). Der Beamte ist dem Allgemeinwohl und damit zur uneigennützigen Amtsführung verpflichtet und hat bei der Erfüllung der ihm anvertrauten Aufgaben seine eigenen Interessen zurückzustellen.

 

LB 18) Der Einsatz wirtschaftlicher Kampf- und Druckmittel zur Durchsetzung eigener Interessen, insbesondere auch kollektive Kampfmaßnahmen im Sinne des Art.9 Abs.3 GG wie das Streikrecht, sind ihm verwehrt (vgl BVerfGE_8,1 <17>; BVerwGE_73,97 <102>; BVerfGE_69,208 <212 f.>).

 

LB 19) Die Gewährleistung einer rechtlich und wirtschaftlich gesicherten Position soll den Beamten dabei in die Lage versetzen, unsachlichen oder parteilichen Einflussnahmen zu widerstehen und seine Bereitschaft zu einer ausschließlich an Gesetz und Recht orientierten Amtsführung zu fördern (vgl BVerfGE_70,251 <267>).

Abs.57

LB 20 Die Gefahr, dass der Beamte zum "Diener zweier Herren" wird, besteht insbesondere dann, wenn er seine fachliche Kompetenz und Qualifikation gleichzeitig Privaten gegen Entlohnung zur Verfügung stellt. In dieser Konstellation sind Interessenkonflikte angelegt, die Einsatzbereitschaft, Loyalität und Unparteilichkeit des Beamten gefährden können. Dies liegt insbesondere nahe, wenn die ausgeübte Nebentätigkeit unmittelbare Bezüge zu dem dienstlichen Hauptamt aufweist.

Abs.65

LB 21) Dem Anliegen des Sozialstaatsprinzips kann auch ohne Beeinträchtigung der in Art.33 Abs.5 GG gewährleisteten Grundstrukturen Rechnung getragen werden, indem die angestrebten Einstellungen, soweit Art.33 Abs.4 GG dies zulässt, nicht im Beamten-, sondern im Angestelltenverhältnis erfolgen.

 

LB 22) Hinsichtlich der von der angegriffenen Regelung ganz überwiegend betroffenen Berufsgruppe der Lehrer ist die - seit Jahren in großem Umfang praktizierte - Einstellung im Angestelltenverhältnis auch mit den Vorgaben des Art.33 Abs.4 GG vereinbar, weil Lehrer in der Regel nicht schwerpunktmäßig hoheitlich geprägte Aufgaben wahrnehmen, die der besonderen Absicherung durch den Beamtenstatus bedürften.

Abs.73

LB 23) Eine Einschränkung der amtsangemessenen Alimentation kann insbesondere im Falle der familienpolitischen Teilzeitbeschäftigung deshalb hingenommen werden, weil das Teilzeitmodell hier im Interesse des Beamten und auf dessen Antrag hin gewährt wird. Durch diesen konsensualen Charakter hat der Beamte die Möglichkeit, selbst darüber zu entscheiden, inwieweit er für die Sicherung eines angemessenen Unterhalts - gegebenenfalls auch in Ansehung des übrigen Familieneinkommens - auf die volle Besoldung angewiesen ist.

Abs.91

LB 24) Zur verfassungskonformen Interpretation im Zusammenhang mit § 89c NBG.

 

LB 25) Zur abweichenden Meinung des Richters Gerhardt siehe www.BVerfG.de, Abs.108 ff.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 80c des Niedersächsischen Beamtengesetzes - NBG - in der Fassung der Neubekanntmachung vom 19.Februar 2001 (Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 33) ist mit Artikel 33 Absatz 5 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

* * *

T-07-13Hergebrachte Grundsätze

43

"Die in § 80 c NBG vorgesehene Möglichkeit der antragslosen Einstellungsteilzeit von Beamten verstößt gegen die durch Art.33 Abs.5 GG gewährleisteten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (I.). Eine verfassungskonforme Auslegung der Bestimmung ist nicht möglich (II.), so dass die Norm für nichtig erklärt werden muss. I.

44

Maßstab für die verfassungsrechtliche Beurteilung der von der Niedersächsischen Landesregierung zur Prüfung gestellten Norm des Beamtenrechts sind die in Art.33 Abs.5 GG gewährleisteten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, die der Gesetzgeber bei der Regelung des Rechts des öffentlichen Dienstes zu berücksichtigen hat. Mit diesen wird die Einrichtung des Berufsbeamtentums, wie es sich in der deutschen Geschichte herausgebildet und um seiner Funktion willen Eingang in die Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland gefunden hat, institutionell garantiert (1.). Den danach zu beachtenden Strukturprinzipien des Berufsbeamtentums wird die Teilzeitregelung des § 80 c NBG nicht gerecht. Die Regelung verstößt sowohl gegen den Hauptberuflichkeitsgrundsatz (2.) als auch gegen das Alimentationsprinzip (3.). Auch nach der Neufassung des Art.33 Abs.5 GG durch das 52.Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.August 2006 (BGBl I S.2034) ändert sich an dieser Beurteilung nichts (4.).

45

1. Art.33 Abs.5 GG ist unmittelbar geltendes Recht und enthält einen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber sowie eine institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums (Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6.März 2007 - 2 BvR 556/04 -, S.21).

46

a) Gegenstand der Einrichtungsgarantie ist der Kernbestand von Strukturprinzipien, die sich in der Tradition entwickelt und bewährt haben (vgl BVerfGE_6,132 <164>). Die Entwicklung des Berufsbeamtentums ist historisch eng mit derjenigen des Rechtsstaats verknüpft: War der Beamte ursprünglich allein dem Regenten verpflichtet, wandelte er sich mit dem veränderten Staatsverständnis vom Fürsten- zum Staatsdiener. Seine Aufgabe war und ist es, Verfassung und Gesetz im Interesse des Bürgers auch und gerade gegen die Staatsspitze zu behaupten. Die Übernahme der funktionswesentlichen tradierten Grundstrukturen des Berufsbeamtentums in das Grundgesetz beruht auf einer Funktionsbestimmung des Berufsbeamtentums als Institution, die, gegründet auf Sachwissen, fachliche Leistung und loyale Pflichterfüllung, eine stabile Verwaltung sichern und damit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatswesen gestaltenden politischen Kräften bilden soll (vgl BVerfGE_7,155 <162>; stRspr).

47

b) Sie trägt gleichzeitig auch der Tatsache Rechnung, dass im demokratischen Staatswesen Herrschaft stets nur auf Zeit vergeben wird und die Verwaltung schon im Hinblick auf die wechselnde politische Ausrichtung der jeweiligen Staatsführung neutral sein muss (vgl Püttner, in: König/Laubinger/Wagener, Öffentlicher Dienst - Festschrift für Carl Hermann Ule zum 70. Geburtstag, 1977, S.383 ff; Merten, ZBR 1999, S.1 <7>). Insoweit kann die strikte Bindung an Recht und Gemeinwohl, auf die die historische Ausformung des deutschen Berufsbeamtentums ausgerichtet ist, auch als Funktionsbedingung der Demokratie begriffen werden.

48

c) Gerade im Interesse des Bürgers sind im Bereich des Funktionsvorbehalts besondere Anforderungen an die Art und Qualität der beamtlichen Aufgabenerfüllung zu stellen. Zum Gewährleistungsbereich des Art.33 Abs.4 GG gehören jene Aufgaben, deren Wahrnehmung die besonderen Verlässlichkeits-, Stetigkeits- und Rechtsstaatlichkeitsgarantien des Beamtentums erfordert (vgl Leisner, Legitimation des Berufsbeamtentums aus der Aufgabenerfüllung, 1988, abgedruckt in: Beamtentum, 1995, S.163 <166>; Badura, ZBR 1996, S.321 <324>; Isensee, ZBR 1998, S.295 <304> sowie Jachmann/Strauß, ZBR 1999, S.289 <296>).

49

d) Seine Aufgabe kann das Berufsbeamtentum nur erfüllen, wenn es rechtlich und wirtschaftlich gesichert ist (vgl BVerfGE_7,155 <163>). Nur wenn die innere und äußere Unabhängigkeit gewährleistet ist und Widerspruch nicht das Risiko einer Bedrohung der Lebensgrundlagen des Amtsträgers und seiner Familie in sich birgt, kann realistischerweise erwartet werden, dass ein Beamter auch dann auf rechtsstaatlicher Amtsführung beharrt, wenn sie (partei-)politisch unerwünscht sein sollte.

50

e) Die hergebrachten Grundsätze und mithin die Institution des deutschen Berufsbeamtentums werden durch Art.33 Abs.5 GG demnach nicht um ihrer selbst willen geschützt. Die Verfassungsbestimmung konserviert nicht "das Gestrige", sondern übernimmt nur die tradierten und funktionswesentlichen Grundstrukturen des Berufsbeamtentums. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes verstanden das Berufsbeamtentum insoweit als ein Instrument zur Sicherung von Rechtsstaat und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Hierfür erschien ihnen ein auf Sachwissen gegründeter, unabhängiger Beamtenapparat unerlässlich.

51

f) Die für den Kerngehalt der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums geltende Beachtenspflicht versperrt den Weg zu tiefgreifenden strukturellen Veränderungen durch den einfachen Gesetzgeber (vgl Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 2007 - 2 BvL 11/04 -, S. 12). Solange eine strukturelle Veränderung an den für Erscheinungsbild und Funktion des Berufsbeamtentums wesentlichen Regelungen nicht vorgenommen wird, steht Art.33 Abs.5 GG einer Weiterentwicklung des Beamtenrechts nicht entgegen (Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. März 2007 - 2 BvR 556/04 -, S.26 f; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20.März 2007 - 2 BvL 11/04 -, S.11 f). In der Pflicht zur "Berücksichtigung" ist vielmehr eine Entwicklungsoffenheit angelegt, die den Gesetzgeber in die Lage versetzt, die Ausgestaltung des Dienstrechts den jeweiligen Entwicklungen der Staatlichkeit anzupassen und das Beamtenrecht damit "in die Zeit" zu stellen. Die Strukturentscheidung des Art.33 Abs.5 GG belässt ausreichend Raum, die geschichtlich gewachsene Institution in den Rahmen unseres heutigen Staatslebens einzufügen (vgl BVerfGE_3,58 <137>; BVerfGE_62,374 <382>; BVerfGE_70,69 <79>) und den Funktionen anzupassen, die das Grundgesetz dem öffentlichen Dienst in der freiheitlichen, rechts- und sozialstaatlichen Demokratie zuschreibt (vgl BVerfGE_7,155 <162>; BVerfGE_8,1 <16>; BVerfGE_9,268 <286>; BVerfGE_15,167 <195>). Veränderungen, mit denen die Funktionsfähigkeit des Berufsbeamtentums aufrechterhalten und seine Leistungsfähigkeit gesteigert werden sollen, verstoßen daher nur dann gegen Art.33 Abs.5 GG, wenn sie in den Kernbestand von Strukturprinzipien eingreifen (vgl dazu bereits Jüsgen, DÖV 1951, S.474). Das Grundgesetz erlaubt damit eine stete Fortentwicklung, die das Beamtenrecht in seinen einzelnen Ausprägungen den veränderten Umständen anpasst (BVerfGE_97,350 <376 f>; vgl auch BVerfGE_43,154 <168>; BVerfGE_67,1 <14>).

52

Nicht jede Regelung des Beamtenrechts, die sich als hergebracht erweist, wird von der institutionellen Garantie erfasst (vgl Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6.März 2007 - 2 BvR 556/04 -, S.27). Bezugspunkt des Art.33 Abs.5 GG ist nicht das gewachsene Berufsbeamtenrecht, sondern das Berufsbeamtentum (vgl hierzu Thieme, in: Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd.5, 1970, S.301 <320>). Geschützt sind daher nur diejenigen Regelungen, die das Bild des Berufsbeamtentums in seiner überkommenen Gestalt maßgeblich prägen, sodass ihre Beseitigung auch das Wesen des Berufsbeamtentums antasten würde (vgl BVerfGE_43,177 <185>; BVerfGE_114,258 <286>). Dies ergibt sich bereits aus dem Wesen einer Einrichtungsgarantie, deren Sinn gerade darin liegt, den Kernbestand der Strukturprinzipien - mithin die Grundsätze, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass damit zugleich die Einrichtung selbst in ihrem Charakter grundlegend verändert würde - dem gestaltenden Gesetzgeber verbindlich als Rahmen vorzugeben (vgl. Lecheler, AöR 103 <1978>, S. 349 <363>). Das Bundesverfassungsgericht hat dies mit der Formulierung zum Ausdruck gebracht, dass Art.33 Abs.5 GG bei diesen Grundsätzen nicht nur "Berücksichtigung", sondern auch "Beachtung" verlangt (vgl BVerfGE_8,1 <16 f>; BVerfGE_11,203 <210>; BVerfGE_61,43 <57 f> , sowie Merten, ZBR 1996, S.353 <355>). Zu diesem Kernbestand von Strukturprinzipien gehören unter anderem der Grundsatz der Hauptberuflichkeit (vgl BVerfGE_9,268 <286>; BVerfGE_55,207 <240>; BVerfGE_71,39 <61>) und das Alimentationsprinzip (vgl BVerfGE_8,1 <14, 16 ff>; BVerfGE_44,249 <265>; BVerfGE_49,260 <271>; BVerfGE_70,251 <267>; BVerfGE_76,256 <298>; BVerfGE_99,300 <314>; BVerfGE_106,225 <232>).

53

2. Die hauptberufliche Beschäftigung auf Lebenszeit und das hiermit korrespondierende Alimentationsprinzip sind prägende Strukturmerkmale des Berufsbeamtentums (vgl BVerfGE_55,207 <240>; BVerfGE_71,39 <59 f>). Sie konstituieren das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis, dem Art.33 Abs.4 GG die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse vorbehalten hat (a.). Die in § 80c NBG vorgesehene Möglichkeit der unfreiwilligen Einstellungsteilzeit ist hiermit nicht zu vereinbaren (b.). Eine ausreichend gewichtige Rechtfertigung für diesen Einbruch in die Grundstruktur des Berufsbeamtentums liegt nicht vor (c.).

54

a) Mit dem Eintritt in das Beamtenverhältnis wird der Beamte verpflichtet, sich voll für den Dienstherrn einzusetzen und diesem seine gesamte Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen (vgl BVerfGE_21,329 <345>; stRspr). Als Korrelat hat der Dienstherr dem Beamten und seiner Familie in Form von Dienstbezügen sowie einer Alters- und Hinterbliebenenversorgung nach Dienstrang, Bedeutung des Amtes und entsprechend der Entwicklung der allgemeinen Verhältnisse angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren. Denn mit dem Eintritt in das Beamtenverhältnis verliert der Beamte grundsätzlich die Freiheit zu anderweitiger Erwerbstätigkeit, weil der Staat die ganze Arbeitskraft des Beamten und damit seine volle Hingabe fordert (vgl etwa Pannhausen, Das Alimentationsprinzip im Beamtenrecht, 1978, S.14 ff; Summer/Rometsch, Alimentationsprinzip gestern und heute, ZBR 1981, S.1 <4 ff>). Dienstbezüge, Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung bilden also einerseits die Voraussetzung dafür, dass sich der Beamte ganz dem öffentlichen Dienst als Lebensberuf widmen und in rechtlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit zur Erfüllung der dem Berufsbeamtentum vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgabe, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern, beitragen kann. Sie sind zugleich die vom Staat festzusetzende Gegenleistung des Dienstherrn dafür, dass sich der Beamte ihm zur Verfügung stellt und seine Dienstpflichten nach Kräften erfüllt.

55

Zu den Kernpflichten des Beamtenverhältnisses gehört seit jeher die Treuepflicht (vgl BVerfGE_39,334 <346 f>). Der Beamte ist dem Allgemeinwohl und damit zur uneigennützigen Amtsführung verpflichtet und hat bei der Erfüllung der ihm anvertrauten Aufgaben seine eigenen Interessen zurückzustellen. Der Einsatz wirtschaftlicher Kampf- und Druckmittel zur Durchsetzung eigener Interessen, insbesondere auch kollektive Kampfmaßnahmen im Sinne des Art.9 Abs.3 GG wie das Streikrecht, sind ihm verwehrt (vgl.BVerfGE 8, 1 <17>; BVerfGE_73,97 <102>; BVerfGE_69,208 <212 f>).

56

Die Gewährleistung einer rechtlich und wirtschaftlich gesicherten Position soll den Beamten dabei in die Lage versetzen, unsachlichen oder parteilichen Einflussnahmen zu widerstehen und seine Bereitschaft zu einer ausschließlich an Gesetz und Recht orientierten Amtsführung zu fördern (vgl BVerfGE_70,251 <267>).

57

Die Gefahr, dass der Beamte zum "Diener zweier Herren" wird, besteht insbesondere dann, wenn er seine fachliche Kompetenz und Qualifikation gleichzeitig Privaten gegen Entlohnung zur Verfügung stellt. In dieser Konstellation sind Interessenkonflikte angelegt, die Einsatzbereitschaft, Loyalität und Unparteilichkeit des Beamten gefährden können. Dies liegt insbesondere nahe, wenn die ausgeübte Nebentätigkeit unmittelbare Bezüge zu dem dienstlichen Hauptamt aufweist.

58

b) An diesen Maßstäben gemessen erweist sich die in § 80c NBG vorgesehene Möglichkeit der unfreiwilligen Einstellungsteilzeit von Beamten als unzulässig.

59

Die antragslose Einstellungsteilzeit ist dadurch charakterisiert, dass sie den auf eine Teilzeitbeschäftigung gerichteten Willen des Beamten nicht voraussetzt. Der Dienstherr bietet dem Teilzeitbeamten nicht das Maß an beruflicher Auslastung und, damit korrespondierend, an Einkünften, das er einem Vollzeitbeamten gewähren und schulden würde.

60

Im Gegensatz zu anderen Teilzeitformen ist die antragslose Einstellungsteilzeit auch nicht als strukturwahrende Fortentwicklung des Beamtenverhältnisses anzusehen.

61

Im Falle der antragslosen Einstellungsteilzeit wird der betroffene Beamte schon zum Zwecke der gewünschten Einnahmeerzielung - und damit um ein dem Amt wenigstens annähernd angemessenes Einkünfteniveau zu erreichen - typischerweise auf die Ausübung von Nebentätigkeiten ausweichen müssen. Dies war vom Gesetzgeber auch gewollt, weil er den betroffenen Beamten ausdrücklich die Möglichkeit der vollen Nutzung ihrer Arbeitskraft belassen und ihm einen erleichterten Zugang zur Nebentätigkeit ermöglichen wollte (vgl LTDrucks 13/3220, S.47). Durch § 80c Abs.4 NBG ist der Umfang der zulässigen Nebentätigkeit um den Unterschied zwischen der regelmäßigen und der herabgesetzten Arbeitszeit erhöht worden.

62

Es sind Interessenkonflikte zu besorgen, wenn der Teilzeitbeamte zugleich den Aufträgen privater Arbeitgeber nachkommen muss und seine Einnahmen in nicht unerheblichem Ausmaß von der Fortführung eines privaten Arbeitsverhältnisses abhängen. Eine unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung von Beamten mit gleichzeitiger Erhöhung des Nebentätigkeitsumfangs, wie sie vom Niedersächsischen Beamtengesetzgeber vorgesehen war, ist daher mit den grundlegenden Strukturprinzipien des hergebrachten Berufsbeamtentums nicht in Einklang zu bringen. Sie beeinträchtigt Ziel und Funktion der mit dem Hauptberuflichkeitsgrundsatz angelegten Treue- und Loyalitätspflicht des Beamten.

63

c) Eine ausreichend gewichtige Rechtfertigung für diesen Einbruch in die durch Art.33 Abs.5 GG gewährleisteten Grundstrukturen des Berufsbeamtentums liegt nicht vor.

64

Eine Verpflichtung des Staates, einem Überangebot von Bewerbern gerade durch eine Öffnung des öffentlichen Dienstes und eine verstärkte Übernahme gerade ins Beamtenverhältnis abzuhelfen, kann dem als legitimierender Grund allein in Betracht kommenden Sozialstaatsprinzip (Art.20 Abs.1 GG) nicht entnommen werden. Das Sozialstaatsprinzip bestimmt nur das Ziel einer gerechten Sozialordnung, gibt aber einen verbindlichen Weg dorthin oder auch nur eine Ermächtigung, dahin führende Wege zu beschreiten, nicht vor (BVerfGE_22,180 <204>; BVerfGE_40,121 <133>; vgl auch BVerfGE_26,44 <61 f>; BVerfGE_34,118 <136>; BVerfGE_36,73 <84>; BVerfGE_59,287 <301>). Maßnahmen zur Verwirklichung der Staatszielbestimmung des Sozialstaats müssen daher den besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen, die in den jeweiligen Regelungsbereichen gelten, entsprechen (vgl Schwandt, ZBR 1977, S.81 <84>; Lecheler, ZBR 1980, S.1 <6>; Zacher, Das soziale Staatsziel, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, 3.Aufl, 2004, § 28, Rn.121). Auf dem Gebiet des Beamtenrechts können daher nicht die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums als besondere verfassungsrechtliche Kriterien für die Weiterentwicklung geltender Rechtsvorschriften mit der Begründung außer Acht gelassen werden, dass das Vorhaben der Verwirklichung des h Sozialstaatsprinzips Rechnung trage. Das sozialstaatlic t legitime Anliegen, die Arbeitslosigkeit zu steuern, reich für die Legitimierung eines Eingriffs in die Substanz de Berufsbeamtentums nicht aus. Dies gilt umso mehr, als de Anspruch auf amtsangemessene Alimentation dem Beamten al grundrechtsgleiches Recht zuerkannt worden ist (vgl BVerfGE_107,218 <236 f> mwN). Es fehlt daher bereits eine der Familienteilzeit vergleichbare verfassungsrechtliche Position zur Rechtfertigung der arbeitsmarktpolitisch motivierten Teilzeitbeschäftigung von Beamten.

53

Dem Anliegen des Sozialstaatsprinzips kann auch ohne Beeinträchtigung der in Art.33 Abs.5 GG gewährleisteten Grundstrukturen Rechnung getragen werden, indem die angestrebten Einstellungen, soweit Art.33 Abs.4 GG dies zulässt, nicht im Beamten-, sondern im Angestelltenverhältnis erfolgen. Eine derartige Vorgehensweise brächte die Anforderungen des Sozialstaatsprinzips und die Gewährleistungen des Art.33 Abs.5 GG zur praktischen Konkordanz. Hinsichtlich der von der angegriffenen Regelung ganz überwiegend betroffenen Berufsgruppe der Lehrer ist die - seit Jahren in großem Umfang praktizierte - Einstellung im Angestelltenverhältnis auch mit den Vorgaben des Art.33 Abs.4 GG vereinbar, weil Lehrer in der Regel nicht schwerpunktmäßig hoheitlich geprägte Aufgaben wahrnehmen, die der besonderen Absicherung durch den Beamtenstatus bedürften (vgl Masing, in: Dreier , Grundgesetz-Kommentar, 2.Aufl, 2006, Art.33, Rn.67 mwN). Der Dienstherr hat daher die Möglichkeit, Lehrer im Angestelltenverhältnis einzustellen. Er ist dann den besonderen institutionellen Vorgaben nicht unterworfen, die das Grundgesetz mit der Einrichtung des Berufsbeamtentums verbindet.

66

Entscheidet er sich indes für eine Verbeamtung der Lehrer, so ist das begründete Beamtenverhältnis auch den Bindungen des Art.33 Abs.5 GG unterworfen. Die Übernahme der Lehrkräfte ins Beamtenverhältnis hat für den Dienstherrn viele - auch finanzielle - Vorteile. Sie befreit ihn von dem Zwang, Arbeits- und Entgeltbedingungen mit den Tarifparteien auszuhandeln und abzustimmen. Die Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses ist der einseitigen Regelungskompetenz des Beamtengesetzgebers unterstellt. Dementsprechend liegt es in seinem Gestaltungsspielraum, die wöchentliche Arbeitszeit oder die Festsetzung des Ruhestandsalters zu bestimmen. Das Beamtenverhältnis erlaubt dem Dienstherrn einen flexiblen Einsatz der Beschäftigten. Dies gilt in zeitlicher Hinsicht, da ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung grundsätzlich nicht besteht. Der Handlungsspielraum besteht auch in Bezug auf die örtliche Verwendung, weil das Beamtenrecht die Versetzung eines Beamten auch gegen seinen Willen im dienstlichen Interesse ermöglicht. Der Beamte ist seinem Dienstherrn zur Treue verpflichtet und zum Einsatz kollektiver Druckmittel wie des Streiks nicht befugt. Er hat seinen Dienstherrn loyal zu unterstützen und ist auch bei der Aufnahme von Nebentätigkeiten nicht frei. Schließlich untersteht der Beamte der Disziplinargewalt des Dienstherrn.

67

Mit diesen Vorteilen für den Dienstherrn sind die Bindungen verbunden, die sich aus Art.33 Abs.5 GG ergeben, insbesondere auch die Anforderungen des Hauptberuflichkeitsgrundsatzes und des Alimentationsprinzips. Ein "Rosinenpicken" erlaubt die Verschiedenheit der Beschäftigungssysteme dem Gesetzgeber nicht.

68

Schließlich ist nicht ersichtlich, dass die Einführung der Einstellungsteilzeit erforderlich wäre, um die "Einrichtung des Berufsbeamtentums unter den gewandelten Verhältnissen lebensfähig zu erhalten" (Ule, Öffentlicher Dienst, in: Bettermann/Nipperdey, Die Grundrechte, Bd.IV/2, 1962, S.568). Eine Fortentwicklung des Berufsbeamtentums im Interesse von Funktionsbedürfnissen ist zwar grundsätzlich möglich, etwa wenn ohne entsprechende Flexibilisierungsangebote ausreichender und qualifizierter Nachwuchs für den öffentlichen Dienst nicht mehr rekrutiert werden könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat stets betont, dass der öffentliche Dienst mit Konditionen werben muss, die einem Vergleich mit der privaten Wirtschaft standhalten können (vgl BVerfGE_114,258 <294>; mwN). Eine derartige Begründung scheidet im Falle der antragslosen Einstellungsteilzeit aber schon deshalb aus, weil die Reduzierung der Beschäftigung hier gerade nicht im Interesse des Beamten erfolgt und daher nicht geeignet ist, das Beamtenverhältnis attraktiver zu gestalten, wie dies bei der Antragsteilzeit der Fall ist.

69

3. Die Regelung des § 80c NBG steht nicht mit dem durch Art.33 Abs.5 GG garantierten Alimentationsprinzip in Einklang. Hiernach sind Dienstverpflichtung und Dienstleistung des Beamten einerseits und die dafür vom Dienstherrn gewährte Besoldung andererseits wechselseitig aufeinander bezogen (a). Das Alimentationsprinzip lässt eine Absenkung der Besoldung unter das vom Besoldungsgesetzgeber als amtsangemessen festgesetzte Niveau im Interesse der Funktionszuordnung des Berufsbeamtentums nur im Einverständnis und auf Antrag des betroffenen Beamten zu (b). Diesen Anforderungen entspricht § 80c NBG nicht (c).

70

a) Das Alimentationsprinzip, welches der Gesetzgeber zu beachten hat (vgl Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6.März 2007 - 2 BvR 556/04 -, S.29 f; stRspr), verpflichtet den Dienstherrn, den Beamten und seine Familie lebenslang angemessen zu alimentieren und ihm nach seinem Dienstrang, nach der mit seinem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren. Der Beamte muss über ein Nettoeinkommen verfügen, das seine rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit und Unabhängigkeit gewährleistet und ihm über die Befriedigung der Grundbedürfnisse hinaus einen seinem Amt angemessenen Lebenskomfort ermöglicht (vgl BVerfGE_8,1 <14>; BVerfGE_114,258 <287 f>; stRspr).

71

Zwar ist die Beamtenbesoldung kein Entgelt im Sinne einer Entlohnung für konkrete Dienste. Sie ist aber Gegenleistung des Dienstherrn dafür, dass sich der Beamte ihm zur Verfügung stellt und seine Dienstpflichten nach Kräften erfüllt (vgl BVerfGE_114,258 <288>; stRspr).

72

b) Im Hinblick auf die Funktion des Alimentationsgrundsatzes, der gemeinsam mit dem Lebenszeitprinzip die persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Beamten sichern soll (vgl BVerfGE_7,155 <162>; BVerfGE_114,258 <288>; stRspr), sind der Absenkung der Bezüge, wie sie mit einer unfreiwilligen Teilzeitbeschäftigung verbunden ist, aber Grenzen gesetzt. Denn durch die entsprechend der Arbeitszeit reduzierte Besoldung erreicht der betroffene Beamte nicht das Einkommensniveau, das der Besoldungsgesetzgeber selbst als dem jeweiligen Amt angemessen eingestuft hat.

73

aa) Eine Einschränkung der amtsangemessenen Alimentation kann insbesondere im Falle der familienpolitischen Teilzeitbeschäftigung deshalb hingenommen werden, weil das Teilzeitmodell hier im Interesse des Beamten und auf dessen Antrag hin gewährt wird. Durch diesen konsensualen Charakter hat der Beamte die Möglichkeit, selbst darüber zu entscheiden, inwieweit er für die Sicherung eines angemessenen Unterhalts - gegebenenfalls auch in Ansehung des übrigen Familieneinkommens - auf die volle Besoldung angewiesen ist (vgl Battis/Grigoleit, ZBR 1997, S.237 <245 f>).

74

Anders liegen die Dinge dagegen, wenn der Beamte - obwohl er die volle Alimentation erstrebt und sie möglicherweise etwa angesichts seiner familiären Situation auch dringend benötigt - auf eine entsprechende Teilalimentierung verwiesen wird. In dieser Situation sind zusätzliche Einkünfte erforderlich, um ein dem Amt angemessenes Einkünfteniveau erreichen zu können. Allein aus den Bezügen des Dienstherrn erhält der Beamte kein Einkommen, das als Grundlage wirtschaftlicher Unabhängigkeit für das konkrete Amt mit seiner Verantwortung und Bedeutung angesehen werden kann.

75

Die Kürzung der Bezüge im Falle der Teilzeitbeschäftigung schlägt sich insbesondere dann als potentielle Gefährdung für die Unabhängigkeit der Amtsführung des Beamten nieder, wenn dieser nicht aus anderen Gründen über entsprechende wirtschaftliche Absicherungen verfügt. Insoweit erscheint das Merkmal der Freiwilligkeit als funktionsadäquates Sicherungskriterium erforderlich. Die Absenkung der Bezüge und damit die Einschränkung des Alimentationsprinzips kann im Falle der freiwilligen Teilzeitbeschäftigung daher als Ausdruck einer eigenverantwortlichen Entscheidung des Beamten noch hingenommen werden.

76

bb) Bereits aus der Zweckbestimmung des Alimentationsgrundsatzes, die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Beamten sicherzustellen, folgt, dass eine unfreiwillige Schmälerung der Besoldungsbezüge nicht zur Absenkung des Lebensniveaus unter das vom Gesetzgeber als amtsangemessen bewertete Bild führen darf. Aus der Eigenart des Alimentationsanspruchs folgt, dass die öffentliche Hand sich hinsichtlich ihrer Alimentationspflicht nicht dadurch entlasten kann, dass sie den Beamten auf Einkünfte verweist, die er von privater Seite erhält (vgl BVerfGE_55,207 <239>).

77

c) Die in § 80c NBG niedergelegte Form der antragslosen Einstellungsteilzeit ist mit dem Alimentationsgrundsatz nicht vereinbar, weil die Einschränkung der amtsangemessenen Besoldung hier nicht durch den Willen des Beamten getragen wird (aa) und diesen, will er einen dem Amt angemessenen Lebenszuschnitt erreichen, faktisch auf die Ausübung einer Nebentätigkeit verweist (bb).

78

aa) Die Sicherung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit des Beamten, die als strukturelle Voraussetzung für die Gewährleistung einer unabhängigen und nur Gesetz und Recht verpflichteten Amtsführung von grundlegender Bedeutung ist, gebietet, dass die vom Gesetzgeber für das jeweilige Amt als angemessen bewertete Besoldung nur im Einverständnis mit dem Betroffenen unterschritten werden darf. Wenn dagegen der Beamte selbst der Auffassung ist, auf einen Teil der Bezüge verzichten zu können, wird er sich kaum in einer wirtschaftlichen Lage befinden, die ihn Einflussnahmen in besonderer Weise zugänglich macht.

79

Dies gilt umso mehr, wenn durch die Ausgestaltung der einfachgesetzlichen Regelungen die Dauer der Teilzeitbeschäftigungsphase nicht von vornherein feststeht. Bei einer möglichen individuellen Dauer von acht Jahren etwa, die üblicherweise jedoch nur für einen Teilzeitraum von vier Jahren festgesetzt wird, liegt die Entscheidung über die tatsächliche Dauer der Phase verringerter Bezüge in den Händen der personalverwaltenden Stellen. Diese Konstellation trägt nicht dazu bei, den Beamten in der Unabhängigkeit und Gesetzestreue seiner Amtsführung zu stärken, wenn dieser in Konflikt mit möglicherweise parteilichen Vorgaben gerät. Es ist gerade Anliegen des Alimentationsgrundsatzes, einen Beamten vor Situationen zu schützen, in denen die Unparteilichkeit der Amtsführung mit dem Risiko persönlicher Nachteile verbunden ist.

80

bb) Interessenkonflikte sind auch dadurch zu besorgen, dass der Beamte zur Erreichung eines dem Amt wenigstens annähernd angemessenen Einkommensniveaus auf die Ausübung einer Nebentätigkeit verwiesen wird. Der Niedersächsische Gesetzgeber geht davon aus, dass die betroffenen Beamten zum Zwecke der Einnahmeerzielung - und um ein dem Amt wenigstens annähernd angemessenes Einkünfteniveau zu erreichen - typischerweise auf die Ausübung von Nebentätigkeiten zurückgreifen muss. Er wollte den betroffenen Beamten ausdrücklich die Möglichkeit der vollen Nutzung ihrer Arbeitskraft belassen (vgl LTDrucks 13/3220, S.47) und hat in § 80c Abs.4 NBG den Umfang der zulässigen Nebentätigkeit daher um den Unterschied zwischen der regelmäßigen und der herabgesetzten Arbeitszeit erhöht.

81

In der getroffenen Regelung ist daher angelegt, dass der Beamte in einen Interessenkonflikt gerät und zum "Diener zweier Herren" wird. Denn er wird faktisch dazu gezwungen, zusätzliche Einkünfte zu erzielen. Angesichts der genannten Zeitdauer muss sich der Beamte zudem nicht nur in den Jahren seiner Existenzgründung vorübergehend auf eine reduzierte Besoldung einstellen, sondern darüber hinaus auch Abstriche in seinen Versorgungsbezügen hinnehmen.

82

Die in § 80c NBG vorgesehene Teilzeitregelung verstößt mithin sowohl gegen den Hauptberuflichkeitsgrundsatz als auch gegen das Alimentationsprinzip und ist daher mit den Vorgaben des Art.33 Abs.5 GG nicht vereinbar.

 

Auszug aus BVerfG B, 19.09.07, - 2_BvF_3/02 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.43 ff

§§§

07.033 Familienzuschlag

  1. BVerfG,     B, 20.09.07,     – 2_BvR_855/06 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.6 Abs.1, GG_Art.33 Abs.5; BBesG_§_40 Abs.1 Nr.1; EGV_Art.234 Abs.3

  4. Familienzuschlag / Ungleichbehandlung / hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentum / Alimentation

T-07-14

LB 1) Die Erstreckung des Familienzuschlags nach § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG lediglich auf Verheiratete im Sinne des Art.6 Abs.1 GG ist keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Beschwerdeführerin iSd Art.3 Abs.1 GG.

Abs.24

LB 2) Die Regelung des § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG verstößt, soweit sie Beamte in eingetragener Lebenspartnerschaft vom Familienzuschlag der Stufe 1 ausschließt, auch nicht gegen Art.33 Abs.5 GG. Die Regelung verletzt insbesondere nicht das Alimentationsprinzip. § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG verstößt, soweit sie Beamte in eingetragener Lebenspartnerschaft vom Familienzuschlag der Stufe 1 ausschließt, auch nicht gegen Art.33 Abs.5 GG. Die Regelung verletzt insbesondere nicht das Alimentationsprinzip.

Abs.27

LB 3) Unterlässt es ein deutsches Gericht, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof zu stellen, obwohl es gemeinschaftsrechtlich dazu verpflichtet ist, werden die Rechtsschutzsuchenden des Ausgangsverfahrens ihrem gesetzlichen Richter entzogen (vgl BVerfGE_73,339 <366 ff>; BVerfGE_75,223 <233 ff>; BVerfGE_82,159 <192 ff>). Gemessen an diesem Maßstab fehlt es vorliegend an einer Verletzung von Art.101 Abs.1 Satz 2 GG.

* * *

T-07-14Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde

11

"Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Dem steht der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen.

12

Der subsidiäre Charakter der Verfassungsbeschwerde fordert, dass der Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergriffen hat, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl BVerfGE_81,22 <27> ). Die Verfassungsbeschwerde ist nur zulässig, soweit sie erforderlich ist, um eine Grundrechtsverletzung auszuräumen. Dies ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn eine anderweitige Möglichkeit besteht, die Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder ohne Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen (vgl BVerfGE_33,247 <258>; BVerfGE_51,130 <139 f>; BVerfGE_59,63 <83> ). Die von der Beschwerdeführerin gerügte Grundrechtsverletzung durch die Verweigerung des Familienzuschlags nach § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG, der allen verheirateten Beamten unabhängig vom Einkommen ihres Ehegatten gewährt wird, hätte nicht dadurch verhindert werden können, dass man die Beschwerdeführerin auf einen möglicherweise gegebenen Anspruch auf den Familienzuschlag nach § 40 Abs.1 Nr.4 BBesG verweist. Dieser Anspruch hat andere, im Wesentlichen höhere Voraussetzungen als der Familienzuschlag nach § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG. Er setzt voraus, dass der Beamte einer in seine Wohnung aufgenommenen Person Unterhalt gewährt und das Einkommen dieser Person bestimmte Grenzen nicht überschreitet; es ist daher auch erforderlich, das Einkommen im Antrag offen zu legen. Die Beschwerdeführerin macht mit ihrer Verfassungsbeschwerde aber geltend, dass die Verweigerung des Familienzuschlags nach § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG, der nicht von diesen zusätzlichen Voraussetzungen abhängt, eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung sei. Eine solche Grundrechtsverletzung wäre - wenn die Ansicht der Beschwerdeführerin zuträfe - nicht zu beseitigen, indem man die Beschwerdeführerin im Gegensatz zu verheirateten Beamten auf eine andere Anspruchsgrundlage verweist. II.

13

Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in den in § 90 Abs.1 BVerfGG genannten Rechten. Die Entscheidungen verletzen weder Art.3 Abs.1 GG (1.) noch Art.33 Abs.5 GG (2.) oder Art.101 Abs.1 Satz 2 GG (3.).

14

1. Die Erstreckung des Familienzuschlags nach § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG lediglich auf Verheiratete im Sinne des Art.6 Abs.1 GG ist keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Beschwerdeführerin.

15

a) Verfassungsrechtlicher Maßstab für die behauptete ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft ist der allgemeine Gleichheitssatz, nicht dagegen sind es die speziellen Gleichheitssätze des Art.3 Abs.3 Satz 1 GG. Die Ungleichbehandlung von verheirateten Beamten und solchen Beamten, die eine Lebenspartnerschaft geschlossen haben, knüpft nicht an eines der dort genannten Merkmale an. Es handelt sich insbesondere nicht um eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts. § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG bindet die Gewährung des Familienzuschlags an die Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Damit erfüllt die Vorschrift den Schutzauftrag des Art.6 Abs.1 GG, wonach neben der Familie nur die Ehe unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung steht. Wenn die Verfassung eine bestimmte Form des Zusammenlebens unter besonderen Schutz stellt, diskriminiert sie damit nicht andere Lebens- und Gemeinschaftsformen, die nicht in jeder Hinsicht an besonderen Schutz- oder Fördermaßnahmen teilhaben. Das Merkmal "Geschlecht" in Art.3 Abs.3 Satz 1 GG bezieht sich zudem auf Ungleichbehandlungen von Frauen und Männern. Es ist keine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts, wenn ein Gesetz Rechte oder Pflichten nicht vom Geschlecht einer Person, sondern von der Geschlechtskombination einer Personenverbindung abhängig macht (vgl BVerfGE_105,313 <351 f.>).

16

Auch im Übrigen ist Art.3 Abs.3 Satz 1 GG nicht berührt. Unabhängig davon, dass die Regelung des § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG tatbestandlich jedenfalls nicht unmittelbar am Merkmal der sexuellen Orientierung anknüpft, gehört diese auch nicht zu den in Art.3 Abs.3 Satz 1 GG genannten Unterscheidungsmerkmalen. Eine erweiternde Auslegung des Art.3 Abs.3 Satz 1 GG scheidet aus, da sein Wortlaut abschließend ist und der Vorschlag, ihn im Wege der Verfassungsänderung um das Merkmal der sexuellen Orientierung zu erweitern, abgelehnt wurde (vgl Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BTDrucks 12/6000, S.54).

17

b) Die Vorschrift des § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG in Verbindung mit Art.6 Abs.1 GG vereinbar. Prüfungsmaßstab ist insofern Art.3 Abs.1 GG, wobei die in Art.6 Abs.1 GG enthaltene Grundsatzentscheidung für den Schutz der Ehe mit zu beachten ist (BVerfGE_67,186 <195 f>; vgl auch für die Familie BVerfGE_82,60 <86>).

18

aa) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln (BVerfGE_74,9 <24>), und verpflichtet die Grundrechtsadressaten, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln (vgl bereits BVerfGE_1,14 <52>; stRspr). Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl BVerfGE_76,256 <329>; BVerfGE_83,89 <107 f>; BVerfGE_103,310 <318>; BVerfGE_107,218 <244> ). Dies gilt uneingeschränkt für den Fall, dass die Verfassung nicht selbst eine bestimmte Gruppe hervorhebt, ihre Ungleichbehandlung erlaubt oder ihre besondere Förderung gebietet. Wenn die Verfassung selbst eine Unterscheidung vornimmt, bleibt es zwar Sache des Gesetzgebers, wie er diese Unterscheidung handhabt, ihm darf aber nicht schon eine willkürliche Ungleichbehandlung gleicher Lebenssachverhalte entgegengehalten werden, wenn er dem verfassungsrechtlichen Unterscheidungsmuster folgt. Allenfalls hat der Gesetzgeber eine vom Grundgesetz selbst vorgenommene Unterscheidung mit anderen auf Gleichheit ausgerichteten Verfassungsgeboten im Sinne praktischer Konkordanz zum Ausgleich zu bringen, soweit ein Vorrang nicht festgestellt werden kann. Wenn das Grundgesetz aber etwa wie mit Art.12a Abs.1 GG eine spezielle Pflicht nur für Männer einführt, scheidet wegen der Spezialität dieser Vorschrift ein Verstoß gegen Art.3 Abs.1, Abs.2 oder Abs.3 GG insofern aus, als dass Frauen von dieser Pflicht nicht erfasst werden (vgl BVerfGE_48,127 <161 f> ). In diesem Sinne ist auch Art.6 Abs.1 GG ein Differenzierungsgebot, spezieller als der allgemeine Gleichheitssatz. Allerdings darf die Art und Weise der Unterscheidung im Hinblick auf die tatsächlichen Lebensverhältnisse und die auferlegten Rechtspflichten im Vergleich beider Gruppen nicht unverhältnismäßig ausfallen.

19

bb) Hieran gemessen verstößt die Beschränkung des Familienzuschlags der Stufe 1 in § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG auf verheiratete Beamte nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art.3 Abs.1 GG in Verbindung mit Art.6 Abs.1 GG.

20

Die Begünstigung verheirateter Beamter gegenüber Beamten in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft durch § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG beschränkt sich darauf, dass Verheiratete den Familienzuschlag der Stufe 1 bereits aufgrund ihres Familienstandes und ohne Berücksichtigung des Einkommens ihres Ehegatten erhalten. Beamte in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft erhalten dagegen gemäß § 40 Abs.1 Nr.4 Satz 1 BBesG den Familienzuschlag der Stufe 1, wenn sie einen erweiterten Haushalt führen, um ihre Unterhaltspflichten gegenüber dem Lebenspartner zu erfüllen. Nach der Auslegung des § 40 Abs.1 Nr.4 Satz 1 BBesG durch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 26.Januar 2006 - 2 C 43.04 -, das insoweit mit der Verfassungsbeschwerde nicht angegriffen wird, kommt es für die in dieser Vorschrift genannte Aufnahme in die Wohnung des Beamten nicht darauf an, in welcher zeitlichen Reihenfolge der Beamte und der Aufzunehmende in die Wohnung eingezogen sind, sondern nur darauf, dass der Beamte inzwischen die Kosten der Wohnung allein trägt. Die Grenze für Eigenmittel der aufgenommenen Person, ab der gemäß § 40 Abs.1 Nr.4 Satz 2 BBesG kein Anspruch auf den Familienzuschlag mehr besteht, soll dabei sicherstellen, dass der Zuschlag nur gewährt wird, wenn er erforderlich ist. Während bei Verheirateten also die typischerweise unterstellten finanziellen Belastungen aus der Ehe zur pauschalen Gewährung des Familienzuschlags führen, bedarf es bei der eingetragenen Lebenspartnerschaft des Nachweises dieser Belastungen im Einzelfall.

21

Diese Ungleichbehandlung knüpft unmittelbar am Merkmal des Familienstandes an. § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG unterscheidet zwischen verheirateten Beamten und solchen Beamten, die entweder ledig sind oder in einer anderen Lebensgemeinschaft als der Ehe leben. Beamte, die eine Lebenspartnerschaft gemäß § 1 LPartG geschlossen haben, werden damit anders behandelt als verheiratete Beamte. Im Gegensatz zu ledigen Beamten ist den Beamten, die eine Ehe oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sind, gemeinsam, dass sie eine grundsätzlich unauflösbare Lebensgemeinschaft unter staatlicher Mitwirkung geschlossen haben, die mit gegenseitigen Unterhaltspflichten der Partner einhergeht. Eheleute sind gemäß § 1360 Satz 1 BGB verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. Lebenspartner trifft gemäß § 5 Satz 1 LPartG eine solche Unterhaltspflicht auch für die Lebenspartnerschaft. § 5 Satz 2 LPartG erklärt die Vorschriften über Inhalt und Umfang des ehelichen Unterhalts in § 1360 Satz 2, § 1360a, § 1360b BGB für entsprechend anwendbar. Unmittelbares Unterscheidungsmerkmal zwischen den beiden Gruppen ist die Gleichgeschlechtlichkeit oder Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner dieser Lebensgemeinschaften. Voraussetzung für das Eingehen der Ehe oder der Lebenspartnerschaft (§ 1 Abs.1 Satz 1 LPartG) ist die Geschlechtskombination der Partner, nicht eine bestimmte sexuelle Orientierung (vgl BVerfGE_115,1 <16> ). Eine heterosexuelle Orientierung ist keine rechtliche Voraussetzung, um eine Ehe zu schließen, ebenso wenig wie eine homosexuelle Orientierung Voraussetzung für eine Lebenspartnerschaft wäre. Mittelbar werden dagegen durch Leistungen, die mit dem Bestand einer Ehe verknüpft sind und bei Bestand einer Lebenspartnerschaft nicht gewährt werden, Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung ungleich behandelt, da die Ehe typischerweise von Heterosexuellen, die Lebenspartnerschaft typischerweise von Homosexuellen eingegangen wird.

22

Bei einer solchen Ungleichbehandlung von Personengruppen unterliegt der Gesetzgeber zwar grundsätzlich einer strengeren Bindung. Die Begünstigung verheirateter Beamter findet ihre Rechtfertigung jedoch in Art.6 Abs.1 GG. Dieser Verfassungssatz stellt die Ehe als Vereinigung eines Mannes und einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft (BVerfGE_10,59 <66>; BVerfGE_105,313 <345>; BVerfGE_112,50 <65>) unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung; er enthält neben dem Grundrecht als Abwehrrecht im klassischen Sinne eine Institutsgarantie für die Ehe und verpflichtet als wertentscheidende Grundsatznorm den Staat, die Ehe zu schützen und zu fördern (BVerfGE_6,55 <71 f>; BVerfGE_24,119 <135>; BVerfGE_31,58 <67>; BVerfGE_51,386 <396>; BVerfGE_55,114 <126>; BVerfGE_62,323 <329>; BVerfGE_76,1 <41>; BVerfGE_82,60 <81>; BVerfGE_87,1 <35>; stRspr).

23

Dieser verfassungsrechtliche Förderauftrag berechtigt den Gesetzgeber, die Ehe als die förmlich eingegangene Lebensgemeinschaft von Frau und Mann gegenüber anderen Lebensformen herauszuheben und zu begünstigen (vgl BVerfGE_105,313 <348>). Die Verfassung selbst bildet mit Art.6 Abs.1 GG den sachlichen Differenzierungsgrund, der die hier vorliegende Ungleichbehandlung von verheirateten Beamten und den Beamten, die eine eingetragene Lebenspartnerschaft geschlossen haben, nach Art.3 Abs.1 GG rechtfertigt. Die Unterscheidung ist auch im Hinblick auf tatsächliche Lebensverhältnisse und ihre rechtliche Ausgestaltung nicht unverhältnismäßig. Denn auch nicht verheiratete Beamte erhalten nach § 40 Abs.1 Nr.4 BBesG den Familienzuschlag der Stufe 1, wenn sie eine andere Person nicht nur vorübergehend in ihre Wohnung aufnehmen und für diese unterhaltsverpflichtet sind.

24

2. Die Regelung des § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG verstößt, soweit sie Beamte in eingetragener Lebenspartnerschaft vom Familienzuschlag der Stufe 1 ausschließt, auch nicht gegen Art.33 Abs.5 GG. Die Regelung verletzt insbesondere nicht das Alimentationsprinzip.

25

a) Das Alimentationsprinzip gehört zu den hergebrachten und vom Gesetzgeber zu beachtenden Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art.33 Abs.5 GG (vgl BVerfGE_8,1 <16 f>; BVerfGE_29,1 <9>; BVerfGE_81,363 <375>; BVerfGE_99,300 <314>). Es gibt dem einzelnen Beamten ein grundrechtsähnliches Individualrecht gegenüber dem Staat (vgl. BVerfGE 8, 1 <17>) und verpflichtet den Dienstherrn, dem Beamten und seiner Familie amtsangemessenen Unterhalt zu leisten (vgl BVerfGE_21,329 <345>; BVerfGE_29,1 <9>; BVerfGE_44,249 <267>; BVerfGE_49,260 <271>; BVerfGE_81,363 <375>; BVerfGE_99,300 <314 f>). Im Rahmen seiner Verpflichtung zur amtsangemessenen Alimentation hat der Gesetzgeber dafür Sorge zu tragen, dass jeder Beamte auch seine Unterhaltspflichten gegenüber seiner Familie erfüllen kann (vgl BVerfGE_99,300 <315>). Zur Beamtenfamilie werden dabei Ehegatten und die Gemeinschaft eines Beamten mit seinen Kindern gezählt (vgl BVerfGE_29,1 <9>).

26

b) Zwar war die Ehe bis zum Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes am 1.August 2001 die einzige grundsätzlich unauflösbare, unter staatlicher Mitwirkung geschlossene und mit gegenseitigen Unterhaltspflichten verbundene Lebensgemeinschaft, so dass der hergebrachte Grundsatz der Alimentationspflicht sich bis dahin nur auf Ehegatten beziehen konnte. Doch auch nach Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft als neuer Familienstand erfasst der Begriff der Familie im Sinne des Alimentationsprinzips nicht den Lebenspartner des Beamten. Art.33 Abs.5 GG ist im Zusammenhang mit Art.6 Abs.1 GG auszulegen (vgl BVerfGE_44,249 <267>; BVerfGE_81,363, <376> ). Die Alimentation ist nach Maßgabe von Art. 33 Abs. 5 und der aus Art.6 Abs.1 GG abzuleitenden Wertentscheidung zu gewähren (vgl.BVerfGE 49, 260 <273>; 71, 39 <62> ). Die Wertentscheidung des Art.6 Abs.1 GG, den Staat zum Schutz und zur Förderung der Ehe zu verpflichten, steht einer Erstreckung des Alimentationsprinzips als Grundsatz im Sinne von Art.33 Abs.5 GG auf den Lebenspartner des Beamten entgegen. Selbst wenn dies anders wäre, ergäbe sich daraus im Übrigen auch keine Verletzung der Alimentationspflicht. Wenn Beamte nicht nur vorübergehend eine andere Person in ihre Wohnung aufnehmen und für diese unterhaltsverpflichtet sind, erhalten sie ungeachtet des Familienstandes nach § 40 Abs.1 Nr.4 BBesG den Familienzuschlag der Stufe 1.

27

3. Die angegriffenen Entscheidungen entziehen die Beschwerdeführerin nicht entgegen Art.101 Abs.1 Satz 2 GG ihrem gesetzlichen Richter.

28

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Europäische Gerichtshof gesetzlicher Richter im Sinne von Art.101 Abs.1 Satz 2 GG. Unterlässt es ein deutsches Gericht, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof zu stellen, obwohl es gemeinschaftsrechtlich dazu verpflichtet ist, werden die Rechtsschutzsuchenden des Ausgangsverfahrens ihrem gesetzlichen Richter entzogen (vgl BVerfGE_73,339 <366 ff.>; BVerfGE_75,223 <233 ff>; BVerfGE_82,159 <192 ff> ). Allerdings stellt nicht jede Verletzung der sich aus Art.234 Abs.3 EGV ergebenden Vorlagepflicht einen Verstoß gegen Art.101 Abs.1 Satz 2 GG dar. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (vgl BVerfGE_82,159 <194> ). Die Vorlagepflicht nach Art.234 EGV wird insbesondere in denjenigen Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der - seiner Auffassung nach bestehenden - Entscheidungserheblichkeit der gemeinschaftsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht). Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft). Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit, wird Art.101 Abs.1 Satz 2 GG nur dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (Unvollständigkeit der Rechtsprechung). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (BVerfGE_82,159 <195 f>).

29

b) Gemessen an diesem Maßstab fehlt es vorliegend an einer Verletzung von Art.101 Abs.1 Satz 2 GG.

30

aa) Eine grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Voraussetzungen der Vorlagepflicht nach Art.234 Abs.3 EGV in seiner Entscheidung zwar nicht ausdrücklich erörtert. Es hat jedoch geprüft, ob die Beschränkung der Familienzuschlagsgewährung auf verheiratete Beamte in § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG gegen primäres oder sekundäres Gemeinschaftsrecht verstößt, und kam dabei zu dem nach seiner Auslegung eindeutigem Ergebnis, dass das deutsche Recht insoweit mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang steht. Es ergaben sich für das Bundesverwaltungsgericht keine Auslegungszweifel, die aus seiner Sicht Anlass für eine Vorlage hätten sein können.

31

bb) Das Gericht ist auch nicht bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs abgewichen. Das Bundesverwaltungsgericht hat vielmehr dargelegt, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Verschiedenbehandlung von Eheleuten und eingetragenen Lebenspartnern bei Vergütungsbestandteilen, die gezahlt werden, weil der Beschäftigte in einer Gemeinschaft mit einer weiteren Person lebt, keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung sei (EuGH, Urteil vom 31.Mai 2001 - Rs.C-122/99 P und C-125/99 P, NvwZ 2001, 1249 = Slg.2001, I-4319). Gegenstand des zitierten Urteils war eine Vorschrift des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften, die - im entscheidungsrelevanten Zeitraum - verheirateten Beamten, nicht jedoch Beamten in eingetragener Lebenspartnerschaft eine Haushaltszulage gewährte. Der Europäische Gerichtshof entschied, dass die maßgebende Statutsbestimmung keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts des Betroffenen und daher auch keinen Verstoß gegen Art.119 EGV aF (Art.141 EGV nF) darstelle, da es für die Gewährung der Hauhaltszulage keine Rolle spiele, ob der Beamte ein Mann oder eine Frau sei (Slg.2001, I-4319 <4356>). Die Vorschrift verletze auch nicht das Gleichbehandlungsgebot, da es in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft an einer allgemeinen Gleichstellung der Ehe mit den übrigen Formen gesetzlicher Lebenspartnerschaften fehle und sich ein Beamter in eingetragener Lebenspartnerschaft daher für die Zwecke der Anwendung des Statuts nicht in der gleichen Lage befinde wie ein verheirateter Beamter (Slg.2001, I-4319 <4356 f>).

32

cc) Die zitierte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs befasste sich nur mit der Vereinbarkeit des Beamtenstatuts mit dem primären Gemeinschaftsrecht. Zu der Frage, ob die Richtlinie 2000/78/EG es verbietet, Vergütungsbestandteile wie den Familienzuschlag nur Verheirateten unter Ausschluss von Beschäftigten in eingetragener Lebenspartnerschaft zu gewähren, liegt dagegen noch keine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat seinen Beurteilungsspielraum, der angesichts dieser Unvollständigkeit der Rechtsprechung eröffnet war, nicht in unvertretbarer Weise überschritten. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Entscheidung unausgesprochen davon aus, dass die Voraussetzungen einer unmittelbaren Anwendung der Richtlinie seit Ablauf der Umsetzungsfrist vorgelegen hätten. Es ist jedoch der Ansicht, die Richtlinie 2000/78/EG gebiete es nicht, Vergütungsbestandteile, die verheirateten Beschäftigten gewährt werden, auch den Beschäftigten zukommen zu lassen, die eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sind. Das Bundesverwaltungsgericht begründet dies damit, dass der Familienzuschlag der Stufe 1 für Verheiratete eine Leistung sei, die allein wegen des Familienstandes gewährt werde. Die Richtlinie 2000/78/EG lasse aber nach Nr.22 der Begründungserwägungen einzelstaatliche Rechtsvorschriften über den Familienstand und davon abhängige Leistungen unberührt. Diese Begründungserwägung sei wesentlicher Bestandteil der Richtlinie und damit nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mitentscheidend für ihre Auslegung (EuGH, Urteil vom 23.Februar 1988 - Rs.131/86, Slg.1988, 905 <935>). Dies gelte auch dann, wenn die Begründungserwägung nicht in den Text der Richtlinie aufgenommen worden sei.

33

Das Bundesverwaltungsgericht überschreitet damit nicht den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise. Der Europäische Gerichtshof zieht in seiner Rechtsprechung immer wieder die Begründungserwägungen eines Sekundärrechtsakts heran, um Sinn und Zweck der Richtlinie oder Verordnung zu ermitteln und unter Berücksichtigung dieses Zwecks die einzelnen Vorschriften der Richtlinie oder Verordnung auszulegen (vgl EuGH, Urteil vom 18.Februar 1975 - Rs.69/74, Slg.1975, 171 <175>; Urteil vom 13. März 1980 - Rs.124/79, Slg.1980, 813 <823>; Urteil vom 10.Dezember 1985 - Rs.290/84, Slg.1985, 3909 <3930 f>; Urteil vom 20.September 2001 - Rs. C-184/99, Slg.2001, I-6193 <6245>; zur Einschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2000/78/EG aufgrund der Begründungserwägungen siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Mazák vom 15.Februar 2007 zur Rs.C-411/05, Palacios, Ziff.51, 65). Es entspricht daher dieser Methode zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, wenn das Bundesverwaltungsgericht den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG unter Berücksichtigung der Begründungserwägung Nr.22 bestimmt. Auch der Einwand, die Entstehungsgeschichte der Begründungserwägung Nr. 22 zeige, dass damit nur eine Regelung hinsichtlich des Verhältnisses von Ehe und eheähnlicher Lebensgemeinschaft getroffen werden sollte (vgl Stüber, NJW 2006, S.1774 <1776>), vermag dabei nicht zu überzeugen. Es wurde in diesem Zusammenhang darauf ) hingewiesen, dass die im Vorschlag der Kommission (KOM (1999 565 endg.) noch nicht enthaltene Begründungserwägung zunächst von der Gruppe "Sozialfragen" des Rates als Begründungserwägung Nr. 11b mit folgendem Wortlaut in den Entwurf eingeführt worden sei: "Die vorliegende Richtlinie lässt die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über den Familienstand unberührt und verpflichtet die Mitgliedstaaten daher nicht dazu, Leistungen, die Ehepartnern gewährt werden, auch in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Personen zu gewähren" (Dok.6434/00 SOC 54 JAI 20). Nach dieser Ansicht beinhalte die letztlich als Begründungserwägung Nr.22 verabschiedete kürzere Fassung keine Änderung des mit der Langfassung beabsichtigten Inhalts und zeige, dass nur eine Unterscheidung zwischen der Ehe und unverbindlichen Lebensgemeinschaften gemeint gewesen sei. Dieses Verständnis der Begründungserwägung berücksichtigt jedoch nicht, dass es nicht erforderlich gewesen wäre, Leistungen, die nur Ehepartnern und nicht den Partnern "eheähnlicher" im Sinne rechtlich unverbindlicher Lebensgemeinschaften gewährt werden, vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen. Eine Ungleichbehandlung von Ehepartnern und Partnern einer nichtehelichen, verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaft berührt schon keines der in Art.1 der Richtlinie genannten Merkmale. Ehepartner und Partner einer nichtehelichen, gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft unterscheiden sich dagegen im Regelfall hinsichtlich ihrer in Art.1 der Richtlinie genannten sexuellen Ausrichtung, allerdings auch bezüglich der Rechtsnatur ihrer Bindungen, so dass eine Ungleichbehandlung, die am Unterscheidungsmerkmal der rechtlichen Bindungen ansetzt, auch ohne entsprechende einschränkende Begründungserwägung keine verbotene Diskriminierung im Sinne der Richtlinie darstellte. Die deutsche Fassung der zunächst vorgeschlagenen Begründungserwägung Nr.11b, die zwischen "Ehepartnern" und "in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Personen( unterschied, wich zudem von der englischen und französischen Fassung ab, derzufolge Leistungen, die "married partners" beziehungsweise "partenaires mariés" gewährt werden, nicht auch den "non-married partners" beziehungsweise "partenaires non mariés" zu gewähren sind. In diesen Sprachen wurde das Unterscheidungsmerkmal verheiratet/nicht verheiratet deutlicher herausgestellt. Der Begriff Ehe bezeichnet aber auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Lebensgemeinschaft zweier Personen verschiedenen Geschlechts (EuGH, Urteil vom 31.Mai 2001 - Rs C-122/99 P und C-125/99 P, Slg 2001, I-4319 <4353>). Obwohl die Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag vom 25.November 1999 (KOM (1999) 565 endg.) noch keine entsprechende Begründungserwägung vorsah, enthielt der Vorschlag in der Erläuterung zu Art.1 der Richtlinie bereits den Hinweis: "Hervorzuheben ist auch, dass der Vorschlag den Status von Eheleuten nicht berührt und daher auch deren Anspruch auf bestimmte Leistungen nicht beschneidet" (aaO, S.8).

34

In der Literatur wurde bereits zur Zeit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts mehrfach die Auffassung vertreten, die Richtlinie erlaube die Beschränkung des Familienzuschlags auf Verheiratete (Thüsing, NZA 2001, S.1061 <1062>; Högenauer, Die europäischen Richtlinien gegen Diskriminierung im Arbeitsrecht, 2002, S.108; Mohr, Schutz vor Diskriminierungen im Europäischen Arbeitsrecht, 2004, S.199; Lingscheid, Antidiskriminierung im Arbeitsrecht, 2004, S.268; Bergwitz, ZTR 2004, S.512 <518>). Der Anwendungsbereich der Richtlinie (Art.3 Abs.1) sei unter Berücksichtigung der Begründungserwägung Nr.22 so auszulegen, dass es Sache der Mitgliedstaaten bleibe, ob und inwieweit andere Lebensformen der Ehe rechtlich gleichgestellt werden (Högenauer aaO). Nach einer anderen rechtlichen Konstruktion wäre die Beschränkung des Familienzuschlags auf Verheiratete zwar eine mittelbare Diskriminierung im Sinne der Richtlinie, die aber durch das sachliche Ziel der Unterstützung von Familien und solchen Partnerschaften, die Familien werden können, im Sinne von Art.2 Abs.2 b, i der Richtlinie gerechtfertigt sei, was , durch die Begründungserwägung Nr. 22 belegt werde (Thüsing aaO, Lingscheid, aaO). Nach diesem Verständnis bedeute eine Berücksichtigung der Begründungserwägung Nr. 22 bei der Auslegung der Richtlinie, wie sie da g Bundesverwaltungsgericht vorgenommen hat, keine Beschränkun der Richtlinie entgegen ihrem Wortlaut. Da Bundesarbeitsgericht und der Bundesgerichtshof haben sich später der Auslegung der Richtlinie durch das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen (BAG, Urteil vom 26.Oktober 2006 - 6 AZR 307/06 - JURIS; BGH, Urteil vom 14.Februar 2007 - IV ZR 267/04 - JURIS).

35

dd) Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass Art.101 Abs.2 Satz 2 GG nicht deswegen verletzt ist, weil die Gegenauffassung der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts in dieser Sache eindeutig vorzuziehen wäre. Zwar wurde in der Literatur zur Zeit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auch die Gegenauffassung vertreten, die Richtlinie verbiete es, den Familienzuschlag nur Verheirateten unter Ausschluss von eingetragenen Lebenspartnerschaften zu gewähren (Powietzka, BB 2002, S.146 <148>; Stüber, NJW 2003, S.2721 <2723>; in dieselbe Richtung - ohne sich ausdrücklich zum Familienzuschlag nach § 40 Abs.1 Nr.1 BBesG zu äußern - auch I. Schmidt, in: Kothe ua (Hrsg), Festschrift für Hellmut Wissmann, 2005, S.80 <84>). Es lässt sich allerdings nicht feststellen, dass diese Gegenauffassung der vom Bundesverwaltungsgericht gewählten Auslegung eindeutig vorzuziehen wäre. Die Begründungserwägung Nr.22 wird hier zum einen so verstanden, dass sie im Zusammenhang mit der Bereichsausnahme des Art.3 Abs.3 der Richtlinie (Leistungen jeder Art seitens der staatlichen Systeme) und nicht mit dem Arbeitsentgelt stehe (so Schmidt, aaO). Dies ist eine mögliche Auslegung, die jedoch nicht mit einer Begründung verbunden ist, die sie als der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts eindeutig vorzugswürdig erscheinen ließe. Nach einer anderen Auffassung kommt der Begründungserwägung Nr. 22 keine rechtliche Bedeutung zu, da eine Ausnahmebestimmung im Richtlinientext selbst erforderlich gewesen sei, um den Familienzuschlag vom Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung beim Arbeitsentgelt auszunehmen (Stüber, aaO). Dieser Ansicht steht allerdings EuGH-Rechtsprechung entgegen, die bei der Auslegung einer Richtlinienvorschrift auch Einschränkungen berücksichtigt, die in den Begründungserwägungen, nicht aber im Wortlaut der Richtlinienvorschrift enthalten sind (vgl. EuGH, Urteil vom 20.September 2001 - Rs.C-184/99, Slg.2001, I-6193 <6245>)."

 

Auszug aus BVerfG B, 20.09.07, - 2_BvR_855/06 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.11 ff

§§§

07.034 Anforderungsprofil

  1. BVerfG,     B, 20.09.07,     – 2_BvR_1972/07 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.33 Abs.2

  4. Anforderungsprofil / Bestimmung / Bestenauslese / Oranisationsgewalt Eingrenzung Bewerberfeld

 

LB 1) Bei der Bestimmung des Anforderungsprofils ist die öffentliche Verwaltung an die gesetzlichen Vorgaben gebunden; eine Einengung des Kreises der nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu vergleichenden Bewerber um ein öffentliches Amt kann deshalb nur aufgrund sachlicher Erwägungen erfolgen.

 

LB 2) Auch die Organisationsgewalt ist dem Dienstherrn nicht schrankenlos zugesprochen; dieser hat vielmehr die gesetzlichen Vorgaben - und damit insbesondere den Grundsatz der Bestenauslese (vgl BVerwGE_122,147 <153>; BVerwG_110,363 <368>) - zu berücksichtigen und darf sich nicht von sachwidrigen Erwägungen leiten lassen.

 

LB 3) Durch die Bestimmung des Anforderungsprofils legt der Dienstherr die Kriterien für die Auswahl der Bewerber fest, an ihnen werden die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerber um den Dienstposten gemessen (vgl BVerwGE_115,58 <60 f>).

 

LB 4) Fehler im Anforderungsprofil führen daher grundsätzlich auch zur Fehlerhaftigkeit des Auswahlverfahrens, weil die Auswahlerwägungen dann auf sachfremden, nicht am Leistungsgrundsatz orientierten Gesichtspunkten beruhen.

 

LB 5) Die Eingrenzung des Bewerberfeldes nach dem innegehabten Amt ist mit Art.33 Abs.2 GG grundsätzlich vereinbar und entspricht dem Grundgedanken des Laufbahnrechts.

§§§

07.035 Versorgungsanpassungsgesetz 1999-2000

  1. BVerfG,     B, 24.09.07,     – 2_BvR_1673/03 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.33 Abs.5; BBesG_§_14a

  4. Besoldungsanpassung / Verminderung / hergebrachte Grundsätze

 

LB 1) Die Verminderung der Besoldungs- und Versorgungsanpassungen durch die Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetze 1999 und 2000 ist mit den durch Art.33 Abs.5 GG garantierten, hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums vereinbar.

 

LB 2) Bei der Konkretisierung der aus Art.33 Abs.5 GG resultierenden Pflicht zur amtsangemessenen Alimentierung hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum (vgl BVerfGE_8,1 <22 f>; BVerfGE_76,256 <295>; BVerfGE_81,363 <375 f>; BVerfGE_114,258 <288>; stRspr).

 

LB 3) Der Anstieg der Versorgungslasten, mit dem der Gesetzgeber die Einführung der Versorgungsrücklage begründet hat, ist danach geeignet, die Verminderungen der Besoldungs- und Versorgungsanpassungen zu rechtfertigen. LB 3) Der Anstieg der Versorgungslasten, mit dem der

 

LB 4) Darüber hinaus erscheinen die Verminderungen der Besoldungs- und Versorgungsanpassungen durch die Bundesbesoldungs-und -versorgungsanpassungsgesetze 1999 und 2000 auch im Hinblick auf die Reformmaßnahmen im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung als sachlich gerechtfertigt.

§§§

07.036 Unterhaltsbeihilfe

  1. BVerfG,     B, 24.09.07,     – 2_BvR_442/06 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.6 Abs.1, GG_Art.20 Abs.1, G_Art.33 Abs.5; UnterhaltsbeihilfeVO_§_3;

  4. Anrechnungspflicht / Familienstand / Diensterbringungspflicht / Verältnismäßigkeit / Alimantationsprinzip / Sozialstaatsprinzip

 

LB 1) Durch die Statuierung einer Anrechnungspflicht unabhängig vom Familienstand des Referendars wird nicht gegen Art.6 Abs.1 GG verstoßen.

 

LB 2) Die Pflicht des Staates zur Förderung der Familie nicht so weit, dass er gehalten wäre, jegliche die Familie treffende finanzielle Belastung auszugleichen (BVerfGE_75,348 <360>; BVerfGE_82,60 <81>).

 

LB 3) Die Anrechnungsregelung ist auch im Hinblick auf den Umstand, dass der Referendar zu erheblich reduzierter oder im Einzelfall gänzlich entfallender Unterhaltsbeihilfe zur fortbestehenden Diensterbringungspflicht gehalten ist, verhältnismäßig. Insbesondere stehen der verfolgte Zweck - Haushaltskonsolidierung - und die in Kauf genommene Belastung infolge der Anrechnung anderweitiger Einkünfte nicht außer Verhältnis zueinander. LB 3) Die Anrechnungsregelung ist auch im Hinblick auf den Umstand, dass der Referendar zu erheblich reduzierter oder im Einzelfall gänzlich entfallender Unterhaltsbeihilfe zur

 

LB 4) Wird der Referendar als Beamter auf Widerruf beschäftigt, ist anerkannt, dass das aus Art.33 Abs.5 GG folgende Alimentationsprinzip für diesen nicht gilt.

 

LB 5) Die Anrechnungsregelung verstößt auch nicht gegen das Sozialstaatsprinzip des Art.20 Abs.1 GG. Dieses enthält zwar einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Angesichts seiner Weite und Unbestimmtheit lässt sich aus ihm jedoch regelmäßig kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren.

§§§

07.037 Ernennung trotz Rechtsschutzankündigung

  1. BVerfG,     B, 24.09.07,     – 2_BvR_1586/07 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.19 Abs.4, GG_Art.33 Abs.2

  4. Dienstherr / Urkundenaushändigung / Rechtsschutzankündigung / effektiver Rechtsschutz

 

LB 1) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass aus Art.19 Abs.4 GG iVm Art.33 Abs.2 GG eine Verpflichtung des Dienstherrn folgt, vor Aushändigung der Ernennungsurkunde einen ausreichenden Zeitraum abzuwarten, um dem unterlegenen Mitbewerber die Möglichkeit zu geben, Eilantrag, Beschwerde oder Verfassungsbeschwerde zu erheben, wenn nur so die Möglichkeit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes besteht (vgl BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9.Juli 2007 - 2_BvR 206/07 -).

 

LB 2) Die trotz bereits angekündigter Absicht der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts unmittelbar nach Zustellung der Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts erfolgte Aushändigung der Ernennungsurkunde verletzt den Beschwerdeführer daher in seinen Rechten aus Art.33 Abs.2 iVm Art.19 Abs.4 GG. LB 2) Die trotz bereits angekündigter Absicht der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts unmittelbar nach Zustellung der Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts erfolgte Aushändigung der Ernennungsurkunde verletzt den

 

LB 3) Zur Verfolgung seiner Rechte steht dem Beschwerdeführer jedoch zunächst die Hauptsacheklage vor den Verwaltungsgerichten offen. Angesichts der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die in verschiedenen Konstellationen die Durchführung des Hauptsacheverfahrens trotz bereits erfolgter Ernennung eines Mitbewerbers für zulässig hält, kann die Durchführung des grundsätzlich vorgängigen Hauptsacheverfahrens der Fachgerichtsbarkeit nicht als offensichtlich aussichtslos bewertet werden. Dem Beschwerdeführer ist die Erschöpfung des Rechtswegs daher zuzumuten.

§§§

07.038 Nebentätigkeitsgenehmigung

  1. BVerfG,     B, 28.09.07,     – 2_BvR_1121/06 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.33 Abs.5; (Bl) LBG_§_29 Abs.2 S.5, LBO_§_29 Abs.2 S.2 Nr.3

  4. Nebentätigkeitsgenehmigung / Widerruf / Tätigkeitsbereich der Behörde / Organisationsgewalt / Hauptamt / Nebenamt / Nebentätigkeit

 

LB 1) Der Widerruf der Nebentätigkeitsgenehmigung findet seine gesetzliche Grundlage in § 29 Abs.2 Satz 5 in Verbindung mit Abs.2 Satz 2 Nr.3 LBG. Danach ist eine Nebentätigkeitsgenehmigung zu widerrufen, wenn die Nebentätigkeit in einer Angelegenheit ausgeübt wird, in der die Behörde, der der Beamte angehört, tätig wird oder tätig werden kann. Diese Voraussetzungen für den Widerruf einer Nebentätigkeitsgenehmigung des Beschwerdeführers waren im vorliegenden Fall erfüllt.

 

LB 2) Dem Dienstherrn steht es insbesondere frei, bestimmte Aufgaben dem jeweiligen Hauptamt zuzuordnen oder eine Ausgestaltung durch Nebenamt oder Nebentätigkeit vorzunehmen (vgl BVerwG, Beschluss vom 31.Oktober 1995 - 2_NB_1/95 -, NVwZ-RR_96,337 f).

 

LB 3) Nach allgemeinen Grundsätzen des Beamtenrechts ist der Dienstherr berechtigt, die dienstlichen Aufgaben eines Beamten, also Bestand und Umfang des dem Beamten übertragenen Amtes jederzeit zu verändern, solange dem Beamten ein seinem statusrechtlichen Amt entsprechender Dienstposten verbleibt (vgl BVerwG, Beschluss vom 31.Oktober 1995 - 2_NB 1/95 -, NVwZ-RR_96,337 f.).

 

LB 4) Die Schlechterstellung des Beschwerdeführers gegenüber seinen Kollegen, die die Fremdleistungen auch weiterhin im Rahmen einer Nebentätigkeit erbringen durften oder dürfen, erscheint sachlich gerechtfertigt, da diesen im Gegensatz zu ihm diesen das Recht, Leistungen für andere Krankenhäuser im Rahmen einer Nebentätigkeit zu erbringen, entweder bereits im Rahmen von Berufungsvereinbarungen oder später durch Vertrag zugesichert worden ist.

§§§

07.039 Kostendämpfungspauschale Ns

  1. BVerfG,     B, 02.10.07,     – 2_BvR_1715/03 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.33 Abs.5; (Ns) LBG_§_87c Abs.4

  4. Beihilfe / Reduzierung / Befugnisse Landesgesetzgeber

 

LB 1) Mit der Einführung des § 87c Abs.4 NBG aF hat der Landesgesetzgeber seine Befugnisse nicht überschritten.

 

LB 2) Wird die Beihilfengewährung reduziert, so muss der aus der Fürsorgepflicht folgende Standard durch die entsprechende Bemessung der Dienst- oder Ruhestandsbezüge gewährleistet werden (vgl BVerfGE_06,225 <232> ). Ob dabei an einen Pauschalbetrag angeknüpft wird oder an aufwendungsbezogene Einsparungen, ist im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ohne Bedeutung.

 

LB 3) Das System der Beihilfengewährung gehört nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (vgl BVerfGE_44,249 <263>; BVerfGE_58,68 <77>; BVerfGE_83,89 <98>; BVerfGE_106,225 <232>).

 

LB 4) Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, den Beamten und Versorgungsempfängern für Krankheitsfälle oder vergleichbare Belastungen Unterstützung gerade in Form von Beihilfen zu gewähren, besteht nicht. Auch die in § 87c NBG a.F. vorgesehenen Abschläge an der Beihilfengewährung sind daher insoweit nicht zu beanstanden.

§§§

07.040 Verwendungsentscheidung

  1. BVerfG,     B, 02.10.07,     – 2_BvR_2457/04 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.33 Abs.2, GG_Art.87a Abs.2

  4. Beförderungsdienstposten / Verwendung Soldaten / Mindestanforderungen / Einhaltung objektiver Rechtsnormen

 

LB 1) Sollte - wie von ihr vorgetragen - die Verwendung eines Soldaten auf dem von ihr angestrebten Beförderungsdienstposten tatsächlich gegen Art.87a Abs.2 GG verstoßen, wäre die Auswahlentscheidung zugunsten des Mitbewerbers mit Art.33 Abs.2 GG nicht zu vereinbaren. Denn in diesem Falle erfüllte der ausgewählte Konkurrent die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestanforderungen nicht.

 

LB 2) Dem steht nicht entgegen, dass Art.87a GG nicht beruflichen Interessen eines Beamten zu dienen bestimmt ist. Auf diese Frage kommt es vielmehr nicht an, weil sich die subjektive Berechtigung der Bewerberin nicht aus Art.87a GG, sondern aus Art.33 Abs.2 GG ergibt. Der aus dieser Bestimmung folgende Anspruch auf eine fehlerfreie Entscheidung über die Bewerbung bringt es jedoch mit sich, dass inzident auch die Einhaltung objektiver Rechtsnormen geprüft werden muss, soweit diese maßgebend für die Eignung des ausgewählten Konkurrenten sind (vgl Bayerischer VGH, Beschluss vom 29.Juli 1993 - 3_CE_93/1964 -, ZBR_94,350 <352>). LB 2) Dem steht nicht entgegen, dass Art.87a GG nicht beruflichen Interessen eines Beamten zu dienen bestimmt ist. Auf diese Frage kommt es vielmehr nicht an, weil sich die subjektive Berechtigung der Bewerberin nicht aus Art.87a

§§§

07.041 Witwengeld-Anrechnung

  1. BVerfG,     B, 11.12.07,     – 2_BvR_797/04 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.33 Abs.5; BeamtVG_§_53

  4. Witwengeld / Anrechnung / privates Erwerbseinkommen / Änderungskompetenz gesetzgeberischer Wille / vorzeitiger Ruhestand / hergebrachte Grundsätze

 

LB 1) Die Vorschrift des § 53 BeamtVG steht - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - auch insoweit im Einklang mit den durch Art.33 Abs.5 GG geschützten hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, als sie eine Anrechnung privatwirtschaftlichen Erwerbseinkommens einer Beamtenwitwe auf das Witwengeld vorsieht.

 

LB 2) Der hat Beamte grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass ihm die für die Bemessung der Bezüge maßgeblichen Regelungen, unter denen er in das Beamten- und Ruhestandsverhältnis eingetreten ist, unverändert erhalten bleiben. Vielmehr darf der Gesetzgeber das Besoldungs- und Versorgungsrecht auch zu Lasten der Beamten und ihrer Hinterbliebenen ändern, wenn dies aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist.

 

LB 3) Dem Gesetzgeber kam es bei der Schaffung des § 53 BeamtVG allerdings nicht nur auf die Ersparnis von Versorgungsaufwendungen an, die sich - unmittelbar - aus jeder Verschärfung des Anrechnungsregimes ergibt. Die Begrenzung der Hinzuverdienstmöglichkeiten aus privatwirtschaftlicher Erwerbstätigkeit bis zur allgemeinen Altersgrenze soll nach dem Willen des Gesetzgebers auch die wirtschaftliche Attraktivität von Frühpensionierungen verringern und so dazu beitragen, die Bezugsdauer von Versorgungsleistungen abzusenken (vgl BTDrucks 13/9527, S.28 und 40).

 

LB 4) Insgesamt verschiebt eine Zurruhesetzung vor Erreichen der allgemeinen Altersgrenze also das Pflichtengefüge im Beamtenverhältnis zu Lasten des Dienstherrn. Aus diesem Grund und wegen der engen Verknüpfung der Alimentationspflicht des Dienstherrn und der Pflicht des Beamten zur vollen Hingabe war es dem Gesetzgeber daher gestattet, die durch einen Wegfall der Dienstleistungsverpflichtung vor Erreichen der Altersgrenze eintretende Verschiebung des Pflichtengefüges im Beamtenverhältnis durch eine Anrechnungsregelung, wie sie § 53 BeamtVG vorsieht, auszugleichen.

 

LB 5) Eine Anrechnung privatwirtschaftlichen Erwerbseinkommens kommt nach § 53 BeamtVG nur in der Zeitspanne zwischen der vorzeitigen Zurruhesetzung und dem Erreichen der allgemeinen Altersgrenze und auch nur dann in Betracht, wenn das zusätzliche Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen zusammen mit den Versorgungsbezügen die Grenzen des § 53 Abs.2 BeamtVG übersteigt. Von der Anrechnungsregelung werden also nur solche Beamte betroffen, die vorzeitig in den Ruhestand treten und dennoch in der Lage sind, privatwirtschaftliche Erwerbseinkünfte in erheblichem Umfang zu erzielen.

 

LB 6) Ist mithin die durch § 53 BeamtVG angeordnete Anrechnung von privatwirtschaftlichem Erwerbseinkommen des Ruhestandsbeamten selbst mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums vereinbar, so begegnet auch die hier streitgegenständliche Anrechnung privatwirtschaftlichen Erwerbseinkommens einer Beamtenwitwe auf das Witwengeld im Hinblick auf Art.33 Abs.5 GG keinen durchgreifenden Bedenken.

§§§

07.042 Gerichtsfernsehen

  1. BVerfG,     B, 19.12.07,     – 1_BvR_620/07 –

  2. BVerfGE_119,309 = www.BVerfG.de = dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.5 Abs.1 S.2; GVG_§_169 S.1, GVG_§_169 S.2, GVG_§_176

  4. Rundfunkfreiheit / sitzungspolizeiliche Anordnung / Ton- und Bildaufnahmen / Untersagung / Kontrolle der Gerichtsverfahren durch Öffentlichkeit / Ermessen / Verhältnismäßigkeit

 

1) Zur Berücksichtigung der Rundfunkfreiheit des Art.5 Abs.1 Satz 2 GG beim Erlass sitzungspolizeilicher Anordnungen über Ton- und Bildaufnahmen unmittelbar vor und nach einer mündlichen Verhandlung sowie in Sitzungspausen.

 

LB 2) Die Anordnung des Vorsitzenden der 8.Großen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 21.Februar 2007, die eine Berichterstattung über eine Hauptverhandlung dahingehend beschränkt, dass Ton- und Bewegtbildaufnahmen unmittelbar vor und nach einer mündlichen Verhandlung ausgeschlossen sind, verstößt gegen das der Beschwerdeführerin aus Art.5 Abs.1 Satz 2 GG gewährleistete Grundrecht der Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk.

 

LB 3) Es entspricht grundsätzlich dem im Rechtsstaats- und Demokratieprinzip enthaltenen objektivrechtlichen Auftrag zur Sicherung der Möglichkeit der Wahrnehmung und gegebenenfalls Kontrolle von Gerichtsverfahren durch die Öffentlichkeit, die Medien darüber berichten zu lassen und dem Fernsehen audiovisuelle Aufnahmen zu ermöglichen, soweit dies nicht durch eine besondere Regelung allgemein oder wegen gegenläufiger Interessen im konkreten Fall ausgeschlossen ist. Unter den gegenwärtigen Bedingungen öffentlicher Meinungsbildung vermag die in § 169 Satz 1 GVG vorgesehene Saalöffentlichkeit der Verhandlung das öffentliche Interesse an Medienberichterstattung für sich allein nicht stets in hinreichendem Umfang zu sichern.

 

LB 4) Das Gerichtsverfassungsrecht schließt die Berichterstattung durch Rundfunk in dem zwar zur Sitzung, aber nicht zur Verhandlung im Sinne des Gerichtsverfassungsrechts gehörenden Zeitraum vor Beginn und nach Schluss einer mündlichen Verhandlung sowie in den Verhandlungspausen nicht aus (vgl BGHSt_23,123 <125>). Es können aber Beschränkungen durch sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden gemäß § 176 GVG vorgesehen werden (vgl BVerfGE_91,125 <136>).

 

LB 5) Die Gestaltung der gerichtlichen Verhandlung und der sitzungspolizeilichen Anordnungen liegt, soweit das Verfahrensrecht keine gegenläufigen Vorkehrungen trifft, im Ermessen des Vorsitzenden.

 

LB 6) Dieses Ermessen hat er unter Beachtung der Bedeutung der Rundfunkberichterstattung für die Gewährleistung öffentlicher Wahrnehmung und Kontrolle von Gerichtsverhandlungen sowie der einer Berichterstattung entgegenstehenden Interessen auszuüben und dabei sicherzustellen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.

 

LB 7) Überwiegt das Interesse an einer Berichterstattung unter Nutzung von Ton- und Bewegtbildaufnahmen andere bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Interessen, ist der Vorsitzende verpflichtet, eine Möglichkeit für solche Aufnahmen zu schaffen (vgl BVerfGE_91,125 <138 f>).

 

LB 8) Bei der Gewichtung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit ist der jeweilige Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bedeutsam. Bei Strafverfahren ist insbesondere die Schwere der zur Anklage stehenden Straftat zu berücksichtigen, aber auch die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie etwa aufgrund besonderer Umstände und Rahmenbedingungen, der beteiligten Personen, der Furcht vor Wiederholung solcher Straftaten oder auch wegen des Mitgefühls mit den Opfern und ihren Angehörigen gewonnen hat.

§§§

07.043 Arbeitsgemeinschaften

  1. BVerfG,     U, 20.12.07,     – 2_BvR_2433/04 –

  2. BVerfGE_119,331 = www.BVerfG.de

  3. GG_Art.28 Abs.2; SGB-II_§_44b

  4. Aufgabenwahrnehmung / eigenverantwortliche / eigene Verwaltungseinrichtung

 

1) Arbeitsgemeinschaften gemäß § 44b SGB II widersprechen dem Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung, der den zuständigen Verwaltungsträger verpflichtet, seine Aufgaben grundsätzlich durch eigene Verwaltungseinrichtungen, also mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrzunehmen.

 

LB 2) Zur abweichenden Meinung der Richter Broß, Osterloh und Gerhardt, siehe www.BVerfG.de, Abs.212 ff oder BVerfGE_119/386 ff.

§§§

2006 RS-BVerfG - 2007       2008       [ › ]

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