2006 | ||
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2005 2007 | [ ] |
06.001 | Effektiver Rechtsschutz | |
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Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz (Art.19 Abs.4 GG) gegen Rechtsverordnungen. | ||
LB 2) Trotz Rechtswegerschöpfung einer Verpflichtungsklage wurde die Verfassungsbeschwerde als unzulässig verworfen, da ihr der Grundsatz der Subsidiarität entgegensteht. | ||
LB 3) Verstößt eine Rechtsverordnung gegen Art.3 Abs.1 GG, ist die Verpflichtungsklage mit Incidentprüfung ungeeignet eine Grundsrechtsverletzung zu beseitigen. | ||
LB 4) Zur Problematik von Gleichheitssatzverletzungen durch Rechtsverordnungen. | ||
LB 5) In derartigen Fallkonstellationen bietetet die Feststellungsklage effektiven Rechtsschutz. | ||
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T-06-01 | Subsidiarität trotz Rechtswegerschöfung | |
"1. Die Beschwerdeführer haben zwar in der von ihnen gewählten verwaltungsgerichtlichen Verfahrensart den Rechtsweg erschöpft, wie es § 90 Abs.2 Satz 1 BVerfGG verlangt. Der Grundsatz der Subsidiarität erfordert jedoch, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl BVerfGE_74,102 <113> mwN; BVerfGE_104,65 <70>; stRspr). | ||
Die Verfassungsbeschwerde ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kein zusätzlicher Rechtsbehelf zum fachgerichtlichen Verfahren, sondern ein außerordentlicher Rechtsbehelf, mit dem der Träger des vermeintlich verletzten Grundrechts Eingriffe der öffentlichen Gewalt abwehren kann (vgl BVerfGE_94,166 <213 f>; BVerfGE_107,395 <413>; stRspr). Sie besitzt eine andere Qualität als die an die Fachgerichte adressierten Rechtsbehelfe. Das gilt sowohl im Hinblick auf den besonderen Prüfungsmaßstab wie auch wegen der Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs.2 BVerfGG (vgl BVerfGE_107,395 <413>). | ||
Die dem Grundsatz der Subsidiarität zugrunde liegende Erwägung, zunächst dem sachnäheren Fachgericht die Kontrolle auch der Einhaltung der Verfassung zu überlassen (vgl BVerfGE_69,122 <125 f>; BVerfGE_74,69 <74 f>; s auch BSGE_72,15 <20>), spricht dagegen, die Verfassungsbeschwerde für den Bereich der untergesetzlichen Rechtsetzung als Primärrechtsschutz anzuerkennen. Dies gilt selbst dann, wenn die untergesetzliche Norm einer unmittelbaren verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht zugänglich ist (vgl BVerfG, 1.Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 2.April 1997 - 1 BvR 446/96 -, NVwZ_98,169 <170>). | ||
2. Die Beschwerdeführer konnten ihr Ziel allein auf dem von ihnen eingeschlagenen Weg einer Verpflichtungsklage mit inzidenter Prüfung der Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung nicht erreichen. Sie hätten aber effektiven Rechtsschutz vor den Fachgerichten durch die zusätzliche Erhebung einer Feststellungsklage erlangen können. | ||
a) Die Notwendigkeit der Anerkennung einer solchen fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeit gegen untergesetzliche Rechtssätze folgt aus Art.19 Abs.4 GG. Auch die Rechtsetzung der Exekutive in der Form von Rechtsverordnungen und Satzungen ist Ausübung öffentlicher Gewalt und daher in die Rechtsschutzgarantie einzubeziehen (offen gelassen in BVerfGE_31,364 <367 f>). | ||
b) Dieser Rechtsschutz wird in der Regel durch die inzidente Überprüfung der Rechtmäßigkeit der untergesetzlichen Rechtssätze im Rahmen von Verfahren gegen deren Anwendung im Einzelfall erfolgen (aa). Ist dies nicht möglich oder führt eine inzidente Prüfung allein nicht zur Beseitigung der Grundrechtsverletzung, so kommt außerhalb des Anwendungsbereichs von § 47 VwGO insbesondere die Feststellungsklage als Rechtsschutzmittel in Betracht (bb). | ||
aa) Im vorliegenden Fall haben die Beschwerdeführer mit der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage zwar einen zulässigen Rechtsweg beschritten, der auch zu einer inzidenten Überprüfung der Rechtsverordnung führte, auf dem sie aber ihre Grundrechte nicht effektiv verteidigen konnten. | ||
Denn die Verwaltungsgerichte haben die Klagen der Beschwerdeführer zu Recht abgewiesen, obwohl sie die Rechtsverordnung wegen eines Verstoßes gegen Art.3 Abs.1 GG für verfassungswidrig hielten. Die Auffassung der Verwaltungsgerichte, sie könnten den Verpflichtungsklagen nicht stattgeben, da es dem Ermessen des Normgebers überlassen bleiben müsse, wie die aus der Verfassungswidrigkeit resultierende Lücke zu schließen sei, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. | ||
Dies entspricht vielmehr der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Folgen von Verstößen gegen Art.3 Abs.1 GG. Kann der Gesetzgeber zwischen mehreren denkbaren und verfassungsrechtlich gleichermaßen zulässigen Lösungen wählen, griffe eine Ausdehnung der begünstigenden Regelung durch das Bundesverfassungsgericht in die dem Gesetzgeber vorbehaltene Gestaltungsfreiheit ein (vgl BVerfGE_37,217 <260 f>; BVerfGE_39,316 <332 f>; BVerfGE_88,87 <101>; BVerfGE_93,165 <178> ). Nichts anderes gilt für die Fachgerichte, soweit sie im Rahmen der ihnen zustehenden Kontroll- und Verwerfungskompetenz über untergesetzliche Normen einen Gleichheitsverstoß feststellen (vgl BVerwGE_102,113 <117 f>). | ||
Etwas anderes würde allein dann gelten, wenn ausnahmsweise nur eine Ausdehnung der begünstigenden Regelung verfassungsgemäß gewesen wäre. Im vorliegenden Fall gab es als Alternative zu der von den Verwaltungsgerichten für verfassungswidrig gehaltenen Regelung jedoch nicht nur die für die Beschwerdeführer günstige Variante (keine Regionalisierung unterhalb der Landesebene), sondern mehrere Varianten, die bei entsprechender Ausgestaltung verfassungsgemäß sein könnten (großräumige Regionalisierung unterhalb der Landesebene, kleinräumige Regionalisierung, Regionalisierung ohne Rücksicht auf Ländergrenzen). Darüber hinaus hatten die Verwaltungsgerichte zu berücksichtigen, dass bei einer Neuregelung der Bundesverordnungsgeber erneut zu überprüfen hätte, ob er die Verordnungsermächtigung auf die Länder delegiert. Als mögliche gesetzgeberische Reaktionen auf die Verfassungswidrigkeit der Bundesrechtsverordnung waren daher auch Landesrechtsverordnungen in Betracht zu ziehen. Damit konnte der Verordnungsgeber zwischen mehreren denkbaren und verfassungsrechtlich zulässigen Lösungen wählen. | ||
Bei Gleichheitsverstößen, die wie die hier beanstandeten in der Vergangenheit liegen, stellt sich die Problematik zwar insofern anders dar, als die begünstigte Vergleichsgruppe - soweit die begünstigenden Bescheide bestandskräftig geworden sind - nicht rückwirkend schlechter gestellt werden kann, so dass eine umfassende Neuregelung für die Vergangenheit ausscheidet (vgl BVerfGE_99,69 <83> ). Der Normgeber kann diese Fälle zusammen mit einer Neuregelung des Gebiets im Wege einer Übergangsregelung für Altfälle bewältigen. Aber auch für Altfälle gilt, dass die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit gewahrt bleiben muss; soweit daher trotz des Ausschlusses einer umfassenden Neuregelung für die Vergangenheit noch verschiedene Möglichkeiten für den Gesetzgeber bleiben, eine verfassungsgemäße Übergangsregelung zu schaffen, darf das Gericht dem Normgeber nicht vorgreifen. Die Verwaltungsgerichte sahen sich daher aus verfassungsrechtlichen Gründen zu Recht außer Stande, dem Rechtsschutzbegehren der Beschwerdeführer durch eine Stattgabe zu entsprechen. | ||
Während das Bundesverfassungsgericht bei Gleichheitsverstößen die Möglichkeit hat, den Normgeber durch eine mit der Unvereinbarkeitserklärung verbundene Anordnung einer Neuregelung zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung zu zwingen, ist dies den Verwaltungsgerichten im Rahmen einer Verpflichtungsklage nach der derzeitigen verwaltungsprozessualen Rechtslage nicht möglich. Zwar könnte der Normgeber, in diesem Fall die Bundesregierung, die inzidente Feststellung der Verfassungswidrigkeit zum Anlass nehmen, die Norm zu korrigieren; angesichts der durch die inter-partes-Wirkung beschränkten Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Urteile und der unterschiedlichen Auffassung verschiedener Gerichte zur Frage der Verfassungswidrigkeit der Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung ist er dazu jedoch nicht gezwungen. | ||
bb) Diese Rechtslage steht nicht im Widerspruch zum Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art.19 Abs.4 GG, da die Beschwerdeführer auf anderem Wege wirksameren Rechtsschutz hätten erhalten können. | ||
So hätten die Beschwerdeführer vor den Verwaltungsgerichten eine Feststellungsklage nach § 43 Abs.1 VwGO unmittelbar gegen die Bundesrepublik Deutschland richten können mit dem Ziel festzustellen, dass sie durch die Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung in ihren subjektiven Rechten, nämlich ihrem Grundrecht aus Art.3 Abs.1 GG, verletzt worden sind. Diese Überprüfung der Rechtmäßigkeit untergesetzlicher Rechtssätze mit Hilfe der Feststellungsklage ist nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung möglich (vgl BVerwGE_111,276 <278 f>; BSGE_72,15 <17 ff>). Die Anerkennung einer solchen Feststellungsklage mit einem derartigen Klageziel stellt keinen Bruch mit dem System des Rechtsschutzes in der Verwaltungsgerichtsordnung dar und führt insbesondere nicht zur Einführung einer der Verwaltungsgerichtsordnung bisher nicht bekannten Klageart. Sie rechtfertigt sich im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art.19 Abs.4 GG daraus, dass Streitgegenstand die Anwendung der Rechtsnorm auf einen bestimmten Sachverhalt ist, so dass die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Norm lediglich als - wenn auch streitentscheidende - Vorfrage aufgeworfen wird (vgl BVerwG, aaO). Es handelt sich daher bei einer solchen, auf Feststellung einer Rechtsverletzung gerichteten Klage gegen den Normgeber nicht um eine Umgehung der in § 47 VwGO nur für Landesrechtsverordnungen vorgesehenen prinzipalen Normenkontrolle. § 47 VwGO entfaltet gegenüber der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Rechtsverordnung im Wege der Feststellungsklage keine Sperrwirkung (vgl. BVerwG, aaO, S.278). Dem System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes kann nicht entnommen werden, dass außerhalb des § 47 VwGO die Überprüfung von Rechtsetzungsakten ausgeschlossen sein soll (vgl BVerwG, Urteil vom 9.Dezember 1982 - BVerwG 5 C 103.81 -, Buchholz 310 § 43 VwGO Nr.78). | ||
(Abs.51) Auf dieser Grundlage kann im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegenüber dem Normgeber auch die Feststellung begehrt werden, dass das Recht der Kläger auf Gleichbehandlung den Erlass oder die Änderung einer Rechtsverordnung gebiete. Auch bei dieser, das Verpflichtungsinteresse der Kläger berücksichtigenden Variante eines Feststellungsantrags bleibt die Anknüpfung an ein zugrunde liegendes Rechtsverhältnis zwischen den Parteien erhalten (vgl BVerwG, Urteil vom 4.Juli 2002 - BVerwG 2 C 13.01 -, NVwZ_02,1505 <1506>). | ||
Der Gesichtspunkt der Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 Abs.2 VwGO) steht einem Verweis auf diese Verfahrensart nicht entgegen. Eine Verpflichtungsklage allein kann im vorliegenden Fall nicht zum Erfolg führen, und es droht daher keine Umgehung der für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Bestimmungen über Fristen und Vorverfahren (vgl. dazu BVerwGE_111,276 <279>; BVerwG, Urteil vom 4.Juli 2002, aaO). | ||
Gegenüber den von den Beschwerdeführern im Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten verfolgten Verpflichtungsklagen hat die auf Feststellung des Anspruchs auf Erlass oder Änderung einer Rechtsverordnung gerichtete Klage den Vorteil, den Normgeber als Partei in die Rechtskraftwirkung einzubeziehen, ohne auf seine Entscheidungsfreiheit mehr als in dem für den Rechtsschutz des Bürgers unumgänglichen Umfang einzuwirken (vgl BVerwG, Urteil vom 4.Juli 2002, aaO). Dem Umstand der fehlenden Vollstreckbarkeit eines Feststellungsurteils im Vergleich zu einem Leistungsurteil kommt hingegen kein Gewicht zu, weil zum einen ein Leistungsurteil aus den beschriebenen Gründen der Gewaltenteilung in der vorliegenden Konstellation nicht ergehen kann, und zum anderen generell davon auszugehen ist, dass öffentliche Stellen als Beklagte einem Urteil auch ohne Vollstreckungsdruck Folge leisten werden. | ||
c) Die Voraussetzungen für eine Vorabentscheidung entsprechend § 90 Abs.2 Satz 2 BVerfGG liegen nicht vor. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der den Beschwerdeführern durch den Verweis auf die Erhebung einer Feststellungsklage entstehende Nachteil schwer und unabwendbar ist. Die Verfassungsbeschwerden sind nicht von allgemeiner Bedeutung. Angesichts des Außerkrafttretens der Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung würde eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Rechtslage nicht über den Einzelfall hinaus allgemein klären (vgl hierzu BVerfGE_19,268 <273>; BVerfGE_62,338 <342> ). Das Vorhandensein einer begrenzten Anzahl gleichgelagerter Fälle, denen noch nicht bestandskräftig gewordene Bescheide zugrunde liegen, ändert hieran nichts." | ||
Auszug aus BVerfG B, 17.01.06, - 1_BvR_541/02 -,www.dfr/BVerfGE, Abs.37 ff | ||
§§§ |
06.002 | Halbteilungsgrundsatz | |
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Zu der Frage, ob Art.14 Abs.1 Satz 1 und Abs.2 Satz 2 GG eine absolute Obergrenze in der Nähe einer hälftigen Teilung ("Halbteilungsgrundsatz") für die Belastung mit Einkommen- und Gewerbesteuer bestimmt. | ||
§§§ |
06.003 | Luftsicherheitsgesetz | |
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1) Der Bund hat unmittelbar aus Art.35 Abs.2 Satz 2 und Abs.3 Satz 1 GG das Recht zur Gesetzgebung für Regelungen, die das Nähere über den Einsatz der Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen nach diesen Vorschriften und über das Zusammenwirken mit den beteiligten Ländern bestimmen. Der Begriff des besonders schweren Unglücksfalls umfasst auch Vorgänge, die den Eintritt einer Katastrophe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. | ||
2) Art.35 Abs.2 Satz 2 und Abs.3 Satz 1 GG erlaubt es dem Bund nicht, die Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen mit spezifisch militärischen Waffen einzusetzen. | ||
3) Die Ermächtigung der Streitkräfte, gemäß § 14 Abs.3 des Luftsicherheitsgesetzes durch unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ein Luftfahrzeug abzuschießen, das gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, ist mit dem Recht auf Leben nach Art.2 Abs.2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art.1 Abs.1 GG nicht vereinbar, soweit davon tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden. | ||
§§§ |
06.004 | Verbindungsdaten | |
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1) Die nach Abschluss des Übertragungsvorgangs im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherten Verbindungsdaten werden nicht durch Art.10 Abs.1 GG, sondern durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG) und gegebenenfalls durch Art.13 Abs.1 GG geschützt. | ||
2) §§ 94 ff und §§ 102 ff StPO genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen auch hinsich tlich der Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den hierauf gespeicherten Daten und entsprechen der vor allem für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geltenden Vorgabe, wonach der Gesetzgeber den Verwendungszweck der erhobenen Daten bereichsspezifisch, präzise und für den Betroffenen erkennbar bestimmen muss. Dem wird durch die strenge Begrenzung aller Maßnahmen auf den Ermittlungszweck Genüge getan (vgl Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12.April 2005 - 2 BvR 1027/02 -). | ||
3) Beim Zugriff auf die bei dem Betroffenen gespeicherten Verbindungsdaten ist auf deren erhöhte Schutzwürdigkeit Rücksicht zu nehmen. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung muss dem Umstand Rechnung tragen, dass es sich um Daten handelt, die außerhalb der Sphäre des Betroffenen unter dem besonderen Schutz des Fernmeldegeheimnisses stehen und denen im Herrschaftsbereich des Betroffenen ein ergänzender Schutz durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zuteil wird. | ||
§§§ |
06.005 | Geschäftsgeheimnis | |
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Zum Verhältnis des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen einerseits und der Sicherung effektiven Rechtsschutzes andererseits im Rahmen eines Zwischenverfahrens nach § 99 Abs.2 VwGO zu einem Verwaltungsrechtsstreit über die Genehmigung des Entgelts, das ein marktbeherrschendes Unternehmen für den Zugang Dritter zu seinem Telekommunikationsnetz fordert. | ||
LB 2) Zur abweichenden Meinung des Richters Gaier siehe BVerfGE_115,250 = www.BVerfG.de, Abs.144 ff. | ||
§§§ |
06.006 | Beschäftigungsverbote | |
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Es ist mit Art.6 Abs.4 GG unvereinbar, wenn Zeiten, in denen Frauen wegen der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote ihre versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrechen, bei der Berechnung der Anwartschaftszeit in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung nicht berücksichtigt werden. | ||
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Beschluss: | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
06.007 | Sportwettenmonopol | |
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Ein staatliches Monopol für Sportwetten ist mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Art.12 Abs.1 GG nur vereinbar, wenn es konsequent am Ziel der Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtet ist. | ||
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Urteil: | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
06.008 | Rasterfahndung | |
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1) Eine präventive polizeiliche Rasterfahndung der in § 31 PolG NW 1990 geregelten Art ist mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG) nur vereinbar, wenn eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person gegeben ist. Im Vorfeld der Gefahrenabwehr scheidet eine solche Rasterfahndung aus. | ||
2) Eine allgemeine Bedrohungslage, wie sie im Hinblick auf terroristische Anschläge seit dem 11.September 2001 durchgehend bestanden hat, oder außenpolitische Spannungslagen reichen für die Anordnung der Rasterfahndung nicht aus. Vorausgesetzt ist vielmehr das Vorliegen weiterer Tatsachen, aus denen sich eine konkrete Gefahr, etwa für die Vorbereitung oder Durchführung terroristischer Anschläge, ergibt. | ||
LB 3) Zur abweichenden Meinung der Richterin Haas, siehe BVerfGE_115,371 = www.BVerfG.de, Abs.167 ff. | ||
§§§ |
06.009 | Dauerpflegschaften | |
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Zur Verfassungsmäßigkeit des Kostensatzes bei Dauerpflegschaften nach § 92 Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 1 der Kostenordnung. | ||
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Beschluss: | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
06.010 | Insolvenzverwalter | |
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1) Art.3 Abs.1 GG vermittelt dem Bewerber um das Amt eines Insolvenzverwalters einen Rechtsanspruch auf fehlerfreie Ausübung des Auswahlermessens nach § 56 Abs.1 InsO. | ||
2) Es ist mit dem grundgesetzlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes vereinbar, eine Anfechtung der Bestellung zum Insolvenzverwalter durch Mitbewerber und einen vorläufigen Rechtsschutz zur Verhinderung der Bestellung zu versagen. | ||
§§§ |
06.011 | Einbürgerung | |
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1) Art.16 Abs.1 Satz 1 GG schließt die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung nicht grundsätzlich aus. | ||
2) Eine Auslegung des Art.16 Abs.1 Satz 2 GG, nach der das Verbot der Inkaufnahme von Staatenlosigkeit sich auch auf den Fall der erschlichenen Einbürgerung erstreckte, entspricht nicht dem Willen des Verfassungsgebers; sie liegt außerhalb des Schutzzwecks der Norm. | ||
3) Für den Fall der zeitnahen Rücknahme einer Einbürgerung, über deren Voraussetzungen der Eingebürgerte selbst getäuscht hat, bietet § 48 Verwaltungsverfahrensgesetz für Baden-Württemberg eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage. | ||
LB 4) Zur abweichenden Meinung der Richterinnen und Richter Broß, Osterloh, Lubbe-Wolff und Gerhardt siehe www.BVerfG.de Abs.90 ff. | ||
§§§ |
06.012 | Jugendstrafvollzug | |
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Zum Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für den Jugendstrafvollzug. | ||
LB 2) Für Maßnahmen, die in Grundrechte des Gefangenen eingreifen, ist auch im Jugendstrafvollzug eine gesetzliche Grundlage erforderlich. Diese besteht bislang weder für die Kontrolle der Gefangenenpost noch für die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen. Für eine begrenzte Übergangszeit bis zum Inkrafttreten der erforderlichen gesetzlichen Regelungen müssen jedoch eingreifende Maßnahmen hingenommen werden, soweit sie zur Aufrechterhaltung eines geordneten Jugendstrafvollzuges unerlässlich sind. Nach diesem Maßstab haben die angegriffenen Beschlüsse Bestand. | ||
§§§ |
06.013 | Fremdrentengesetz | |
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1) Die durch das Fremdrentengesetz begründeten Rentenanwartschaften unterliegen nicht dem Schutz des Art.14 Abs.1 Satz 1 GG, wenn ihnen ausschließlich Beitrags- und Beschäftigungszeiten zugrunde liegen, die in den Herkunftsgebieten erbracht oder zurückgelegt wurden. | ||
2) Die durch § 22 Abs.4 des Fremdrentengesetzes in der Fassung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25.September 1996 (BGBl I S.1461) erfolgte Absenkung der auf dem Fremdrentengesetz beruhenden Entgeltpunkte um 40 vom Hundert ist auch dann verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Rentenanwartschaft der Berechtigten, die auf rentenrechtlichen Zeiten sowohl in den Herkunftsgebieten als auch in der Bundesrepublik Deutschland beruht, als Gesamtrechtsposition insgesamt dem Schutz des Art.14 Abs.1 GG unterstellt würde. | ||
3) Zum verfassungsrechtlichen Erfordernis einer Übergangsregelung für die von § 22 Abs.4 des Fremdrentengesetzes in der Fassung von 1996 betroffenen, zum damaligen Zeitpunkt rentennahen Jahrgänge. | ||
§§§ |
06.014 | Vergabe öffl Aufträge | |
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1) Der Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG bindet staatliche Stellen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. | ||
2) Die in der Rechtsordnung dem übergangenen Konkurrenten eingeräumten Möglichkeiten des Rechtsschutzes gegen Entscheidungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge mit Auftragssummen unterhalb der Schwellenwerte genügen den Anforderungen des Justizgewährungsanspruchs (Art.20 Abs.3 GG). | ||
3) Es verletzt nicht den Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG), dass der Gesetzgeber den Rechtsschutz gegen Vergabeentscheidungen unterhalb der Schwellenwerte anders gestaltet hat als den gegen Vergabeentscheidungen, die die Schwellenwerte übersteigen. | ||
§§§ |
06.015 | § 32c EStG | |
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Zur Verfassungsmäßigkeit des § 32c EStG. | ||
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Beschluss: | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
06.016 | Kopftuch im Gerichtssaal | |
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LB 1) Eine Ungebühr und damit eine Störung der Sitzung liegt nicht vor, wenn das Aufbehalten eines Hutes oder Kopftuchs lediglich aus religiösen Gründen erfolgt und auszuschließen ist, dass mit ihm zugleich Missachtung gegenüber der Richterbank oder anderen Anwesenden ausgedrückt werden soll. | ||
LB 2) Verträgt sich ein der Religionsausübung dienendes Verhalten mit einem störungsfreien Ablauf der Sitzung, ist es vom Gericht mit Blick auf Art.4 GG hinzunehmen. | ||
LB 3) Vor Erlass von sitzungspolizeilichen Maßnahmen muß eine konkrete Störung der Verhandlung vorliegen. Bei der insoweit vorzunehmenden Prüfung können grundrechtliche Positionen des Einzelnen von Bedeutung sein. | ||
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Beschluss: | Entscheidungsformel: | |
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T-06-02 | Sitzunspolizeiliche Generalklausel | |
"1. In dem Rahmen, in dem sie zulässig ist, ist die Verfassungsbeschwerde auch begründet. Mit dem Hinweis auf seine Praxis, das Tragen von Kopfbedeckungen in seinen Verhandlungen prinzipiell nicht zuzulassen, hat der Jugendrichter der Beschwerdeführerin verboten, im Gerichtssaal ihr Kopftuch zu tragen. Dieses Verbot verstößt gegen Art.3 Abs.1 GG in seiner Ausprägung als allgemeines Willkürverbot in Verbindung mit Art.4 Abs.1 und 2 GG. | ||
Als Rechtsgrundlage des Verbots, ein Kopftuch zu tragen, kommt - da die Beschwerdeführerin wegen ihrer Kleidung nicht ausdrücklich gemäß § 175 GVG aus dem Saal gewiesen wurde (zur Anwendung des § 175 GVG auf Fälle nachträglicher Zutrittsversagung vgl. Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, 4.Aufl 2005, § 175 Rn.2) - nur die sitzungspolizeiliche Generalklausel des § 176 GVG in Betracht. | ||
Nach § 176 GVG obliegt die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung dem Vorsitzenden. Die Ordnung besteht dabei nicht nur in der Sicherung des ungestörten Verlaufs der Verhandlung (vgl BGH, NJW_98,1420). Auch die Würde des Prozesses ist Teil der Sitzungsordnung (vgl Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 63. Aufl 2004, § 176 GVG Rn.2). Zur Aufrechterhaltung der Ordnung und damit auch zur Wahrung äußerer Formen (vgl. Wickern, in: Löwe/Rosenberg, Strafprozessordnung, 25. Aufl. 2003, § 176 GVG Rn.16), wozu auch das Tragen angemessener Kleidung gehören kann (vgl Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3.August 1966 - 1 BvR 441/96 -, zit in DRiZ_66,356; OLG Karlsruhe, NJW_77,311, 312), hat der Vorsitzende die erforderlichen Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen (vgl Beschluss der 3.Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11.Mai 1994 - 1 BvR 733/94 -, NJW_96,310 ; Albers, aaO, Rn.3; Wolf, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Aufl 2001, § 176 GVG Rn.9). Um sein Ermessen ausüben zu können, muss der Richter zuvor allerdings prüfen, ob eine Beeinträchtigung der Ordnung der Sitzung durch das Verhalten eines Prozessbeteiligten oder Zuschauers überhaupt vorliegt oder konkret zu besorgen ist (Wolf, aaO, Rn.8)." (Abs.19) | ||
Diese Prüfung hat der Jugendrichter nicht vorgenommen. Als Grund für das gegenüber der Beschwerdeführerin ausgesprochene Verbot hat er angeführt, das Tragen von Kopfbedeckungen in seinen Verhandlungen prinzipiell nicht zu dulden. Eine solch pauschalisierende Betrachtung lässt außer Acht, dass nicht in jedem Aufbehalten von Hüten oder Kopftüchern in geschlossenen Räumen eine Missachtungskundgebung gegenüber anderen anwesenden Personen und damit ein "ungebührliches" Verhalten liegen muss. Das Tragen von Kopfbedeckungen in Anwesenheit anderer kann auch billigenswerte Gründe haben. Unter anderem kann es - wie das Bundesverfassungsgericht auch schon entschieden hat (vgl BVerfGE_108,282 <298 und 305>) - Ausdruck von Religionsausübung sein, womit es den Schutz des Art.4 GG genießt. | ||
Des Schutzes aus Art.4 GG geht der Einzelne nicht deshalb verlustig, weil er sich als Zuhörer in einem Gerichtssaal befindet. Verträgt sich das der Religionsausübung dienende Verhalten mit einem störungsfreien Ablauf der Sitzung, ist es vom Gericht mit Blick auf Art.4 GG hinzunehmen (vgl. Kissel/Mayer, aaO, § 178 Rn.14). Für den konkreten Fall des Tragens von Kopfbedeckungen im Gerichtssaal gilt daher, dass eine Ungebühr und damit eine Störung der Sitzung nicht vorliegt, wenn das Aufbehalten eines Hutes oder Kopftuchs lediglich aus religiösen Gründen erfolgt und auszuschließen ist, dass mit ihm zugleich Missachtung gegenüber der Richterbank oder anderen Anwesenden ausgedrückt werden soll (vgl Kissel/Mayer, aaO, § 175 Rn.8) und solange der Zuhörer als Person identifizierbar bleibt. | ||
Der Jugendrichter hat dies bei seiner Würdigung des Verhaltens der Beschwerdeführerin nicht berücksichtigt, obwohl hierfür Anlass bestanden hätte. Ihrem äußeren Erscheinungsbild nach war die Beschwerdeführerin deutlich als Muslima zu erkennen, was es nahe legte, dass sie ihr Kopftuch aus religiösen Gründen trug. Dass die Beschwerdeführerin nicht ausdrücklich auf den religiösen Bezug ihrer Kleidung hingewiesen hat, ist deshalb unerheblich. | ||
Das Verhalten des Jugendrichters verletzt Art.3 Abs.1 GG. Der Jugendrichter hat verkannt, dass für den Erlass einer sitzungspolizeilichen Maßnahme eine Störung der Verhandlung konkret festzustellen ist und dass bei der insoweit vorzunehmenden Prüfung grundrechtliche Positionen des Einzelnen von Bedeutung sein können. Daneben trägt die Maßnahme der besonderen Bedeutung des Grundsatzes der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen als Bestandteil sowohl des Rechtsstaatsprinzips wie des Demokratieprinzips (vgl BVerfGE_103,44 <63> ) nicht ausreichend Rechnung. Dieser Grundsatz gilt zwar nicht ausnahmslos; insbesondere besagt er noch nichts zu den Modalitäten, unter denen die Öffentlichkeit zugelassen wird. Ungeachtet der einfachgesetzlichen Konkretisierung in § 176 GVG zwingt sein verfassungsrechtlicher Rang den Richter jedoch dazu, im Rahmen der Wahrnehmung der sitzungspolizeilichen Gewalt nach pflichtgemäßem Ermessen auch die hinter der Öffentlichkeit stehenden Belange angemessen zu berücksichtigen. Dem wird eine undifferenzierte Handhabung der Frage des Tragens von Kopfbedeckungen nicht gerecht. | ||
Da die Verfassungsbeschwerde überwiegend Erfolg hat, hat das Land Berlin der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen in vollem Umfang zu erstatten (vgl BVerfGE_32,1 <39>). | ||
Mit dieser Anordnung erledigt sich der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (vgl BVerfGE_104,220 <238>). | ||
Auszug aus BVerfG B, 27.06.06, - 2_BvR_677/05 -,www.dfr/BVerfGE, Abs.16 ff | ||
§§§ |
06.017 | Zwischenverfahren | |
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1) Bei strittiger gemeinschaftsrechtlicher und verfassungsrechtlicher Rechtslage gibt es keine feste Rangfolge unter den vom Gericht gegebenenfalls einzuleitenden Zwischenverfahren (Vorabentscheidung nach Art.234 EG und Vorlage nach Art.100 Abs.1 GG). | ||
2) Die Tariftreueregelung des § 1 Abs.1 Satz 2 VgG Bln berührt das Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus Art.9 Abs.3 GG nicht und verletzt nicht das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art.12 Abs.1 GG. | ||
§§§ |
06.018 | Schmerzensgeldeinsatz | |
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Es ist mit dem Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG unvereinbar, dass Asylbewerber auf Grund von § 7 Abs.1 Satz 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes Schmerzensgeld nach § 253 Abs.2 BGB für ihren Lebensunterhalt einsetzen müssen, bevor sie staatliche Leistungen erhalten. | ||
Beschluss: |
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§§§ |
06.019 | Ethikunterricht | |
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LB 1) Auch wenn Gesetze den Beschwerdeführer gegenwärtig und unmittelbar betreffen, ist die Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz unzulässig, wenn der Beschwerdeführer die Möglichkeit hat einen Befreiungsantrag zu stellen und gegebenenfalls fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann. | ||
LB 2) Zur Frage, ob eine generelle Befreiung vom Ethikunterricht möglich ist. | ||
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T-06-03 | Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde | |
"Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze sind, auch wenn der Beschwerdeführer durch sie - wie hier jedenfalls die Beschwerdeführerin zu 1. - selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen wird, wegen des Grundsatzes der Subsidiarität dann unzulässig, wenn der Beschwerdeführer in zumutbarer Weise Rechtsschutz durch die Anrufung der Gerichte erlangen kann. | ||
Damit soll erreicht werden, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weit reichende Entscheidungen trifft (vgl BVerfGE_79,1 <20>; BVerfGE_97,157 <165>; BVerfGE_102,197 <207>). Der in § 90 Abs.2 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität gewährleistet so unter anderem, dass dem Bundesverfassungsgericht in der Regel nicht nur die abstrakte Rechtsfrage und der Sachvortrag des Beschwerdeführers unterbreitet werden, sondern auch die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch ein für diese Materie zuständiges Gericht. Der Vorklärung durch die Fachgerichte kommt insbesondere dort Bedeutung zu, wo die Beurteilung der mit der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen die Prüfung tatsächlicher oder einfachrechtlicher Fragen voraussetzt, für die das Verfahren vor den Fachgerichten besser geeignet ist. Der Subsidiaritätsgrundsatz stellt sicher, dass dem Bundesverfassungsgericht in solchen Fällen infolge der fachgerichtlichen Vorprüfung der Beschwerdepunkte ein bereits eingehend geprüftes Tatsachenmaterial vorliegt und ihm auch die Fallanschauung und die Rechtsauffassung der Fachgerichte vermittelt werden (vgl BVerfGE_86,382 <386 f>). Allerdings kann einem Beschwerdeführer die Durchführung eines Erlaubnisverfahrens und anschließend die Anrufung der Fachgerichte nicht zugemutet werden, wenn dies offensichtlich aussichtslos wäre (vgl_BVerfGE_102,197 <208>). | ||
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die Verfassungsbeschwerde als unzulässig, weil den Beschwerdeführern die Möglichkeit offen steht, zunächst um eine Befreiung der Beschwerdeführerin zu 1. vom Ethikunterricht nachzusuchen und dann gegebenenfalls fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. | ||
Die von den Beschwerdeführern mit der Verfassungsbeschwerde in Bezug auf das Gesetz geltend gemachte Beschwer besteht in der fehlenden Möglichkeit, den Ethikunterricht zugunsten des Religionsunterrichts abwählen zu können. Diese Beschwer entfiele für die Beschwerdeführer, wenn die Beschwerdeführerin zu 1. eine Befreiung vom Ethikunterricht erlangen könnte. | ||
Ob § 46 Abs.5 Satz 1 SchulG die generelle Befreiung eines Schülers vom Ethikunterricht ermöglicht, ist nicht zweifelsfrei, durch den Gesetzeswortlaut aber jedenfalls nicht ausgeschlossen. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport des Landes Berlin hat in ihrer Stellungnahme zum Antrag der Beschwerdeführer auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dargelegt, dass § 46 Abs.5 Satz 1 SchulG zwar nicht die generelle Abwahl einzelner Unterrichtsfächer erlaube, aber die Möglichkeit eröffnen solle, individuellen Glaubens- oder Gewissenskonflikten im Einzelfall begegnen zu können, um so dem Spannungsverhältnis zwischen dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag und der Religionsfreiheit sowie dem Erziehungsrecht der Eltern Rechnung zu tragen und dieses Spannungsverhältnis durch den jeweils schonendsten Ausgleich zu lösen. | ||
Der Verweis der Beschwerdeführer auf diese Befreiungsmöglichkeit nach § 46 Abs.5 Satz 1 SchulG ist danach nicht von vornherein aussichtslos und deshalb nicht unzumutbar. Er erfüllt auch den Zweck des Subsidiaritätsgrundsatzes, dem Bundesverfassungsgericht ein bereits eingehend geprüftes Tatsachenmaterial sowie die Fallanschauung und die Rechtsauffassung der Fachgerichte zu vermitteln. | ||
Es ist zunächst Sache der zuständigen Schulverwaltung, die Befreiungsvorschrift in ihren tatbestandlichen Voraussetzungen und hinsichtlich des ihr darin eingeräumten Ermessensspielraums auf Anträge von Schülern zur Befreiung vom Ethikunterricht, die auf Glaubensgründe gestützt werden, im Lichte des Art.4 Abs.1, 2 und Art.6 Abs.2 GG näher zu bestimmen und anzuwenden. Bliebe ein entsprechender Befreiungsantrag der Beschwerdeführerin zu 1. erfolglos, stünde ihr hiergegen verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz, insbesondere auch Eilrechtsschutz nach § 123 VwGO, offen. | ||
Erst die Auslegung der Befreiungsvorschrift durch die hierzu in erster Linie berufenen Fachgerichte wird zeigen, ob das Freistellungsziel der Beschwerdeführerin zu 1. auf der Grundlage dieser Bestimmung überhaupt erreichbar ist, welche Anforderungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an die Gewährung der Befreiung zu stellen sind und inwieweit der Behörde in Fällen dieser Art noch ein Ermessensspielraum verbleibt. In diesem Zusammenhang dürfte die Intensität des von dem jeweiligen Schüler geltend gemachten Glaubens- und Gewissenskonflikts im Falle der Versagung einer Befreiung vom Ethikunterricht eine Rolle spielen. Durch den Verweis auf die Notwendigkeit, zunächst um eine Befreiung vom Ethikunterricht nachzusuchen, werden die Beschwerdeführer zugleich gehalten, vor der Behörde und den Gerichten die Gründe für den von ihnen geltend gemachten Konflikt, den der Besuch des Ethikunterrichts mit ihrer Glaubensfreiheit und dem Erziehungsrecht der Eltern hervorrufen würde, näher zu konkretisieren und präzisieren. Das Maß der geforderten Konkretisierung und Präzisierung wird auch von der - gleichfalls in erster Linie der fachgerichtlichen Beurteilung unterliegenden - Frage abhängen, ob konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es der Schulverwaltung nicht gelingen könnte, die im Gesetz geforderte weltanschauliche und religiöse Neutralität des Ethikunterrichts (vgl § 12 Abs.6 Satz 6 SchulG) in der Schulpraxis sicherzustellen. | ||
Von Bedeutung ist ferner, inwieweit für die Beschwerdeführerin zu 1. nach den konkreten Umständen des Einzelfalls eine zumutbare Möglichkeit zum Besuch einer privaten Schule gegeben ist, in der Ethik nicht als Pflichtfach unterrichtet wird. | ||
Es entspricht dem Subsidiaritätsprinzip, die genannten tatsächlichen Grundlagen des Konflikts der Beschwerdeführer mit dem angegriffenen Gesetz durch die Schulbehörde und die Fachgerichte zu ermitteln und aufzuarbeiten und dem Bundesverfassungsgericht hierbei zugleich die fachgerichtliche Sicht zur Auslegung und Anwendung der in diesem Zusammenhang in Frage kommenden Befreiungsvorschrift für eine etwa nachfolgende Verfassungsbeschwerde zu vermitteln." | ||
Auszug aus BVerfG B, 14.07.06, - 1_BvR_1017/06 -,www.dfr/BVerfGE, Abs.17 ff | ||
§§§ |
06.020 | Transsexuellengesetz | |
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§ 1 Abs.1 Nr.1 des Transsexuellengesetzes verstößt gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art.3 Abs.1 GG) in Verbindung mit dem Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit (Art.2 Abs.1 iVm Art.1 Abs.1 GG), soweit er ausländische Transsexuelle, die sich rechtmäßig und nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, von der Antragsberechtigung zur Änderung des Vornamens und zur Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit nach § 8 Abs.1 Nr.1 TSG ausnimmt, sofern deren Heimatrecht vergleichbare Regelungen nicht kennt. | ||
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Beschluss: | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
06.021 | Bleibeverhandlungen | |
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LB 1) Soll im Rahmen einer Bleibeverhandlung eine Nachbesetzung eines vacanten Lehrstuhls erfolgen, muss die Stelle ausgeschrieben werden. | ||
LB 2) Anders als Berufungsvereinbarungen enthalten Bleibzusagen keine Verpflichtung zur Berufung in ein bestimmtes Beamtenverhältnis. | ||
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T-06-04 | Bleibeverhandlung + Art.33 Abs.2 GG | |
"2. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art.19 Abs.4 in Verbindung mit Art.33 Abs.2 des Grundgesetzes. | ||
a) Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Ansicht zu folgen ist, die Anhebung der Besoldung im Rahmen von Bleibeverhandlungen unterfalle mangels Vorliegens einer Konkurrenzsituation sowie aufgrund hochschulspezifischer Besonderheiten nicht dem Anwendungsbereich des Art.33 Abs.2 GG und sei folglich entgegen § 4 Abs.3 des Gesetzes über die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung (GFÖV) nicht auszuschreiben. Eine endgültige Festlegung in dieser Frage erforderte weitere tatsächliche Feststellungen, die zu treffen vorrangig den Fachgerichten obliegt. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Frage in der angefochtenen Entscheidung dahingestellt gelassen und damit zugunsten des Beschwerdeführers unterstellt, ein Bewerbungsverfahren habe durchgeführt werden müssen. Die Notwendigkeit eines Auswahlverfahrens ist jedenfalls nicht offensichtlich zu verneinen. Von ihr ist deshalb auch im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts auszugehen. | ||
aa) § 4 Abs.3 Satz 1 GFÖV schreibt - ebenso wie § 14 Abs.1 Satz 2 Hamburgisches Hochschulgesetz (HmbHG) - vor, dass Professuren, die wiederbesetzt werden sollen, von der Hochschule öffentlich auszuschreiben sind. Es bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Beigeladenen des Ausgangsverfahrens der zuvor von Prof A innegehabte und derzeit vakante C 3-Lehrstuhl übertragen werden sollte. Hierfür spricht, dass sie die dem ehemaligen Lehrstuhl Prof A unterfallenden Aufgaben wahrnehmen und dessen Stelle von der Besoldungsgruppe C 3 nach C 2 abgewertet werden soll; die beabsichtigte Maßnahme geht damit über eine bloße Aufwertung der von der Beigeladenen innegehabten Professur hinaus und erweckt den Anschein, dass im Rahmen der "Bleibeverhandlungen" eine Nachbesetzung der Stelle von Prof A erfolgte. Bestärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass auch in den Stellungnahmen des Personalrats der Polizei Hamburg vom 27.Oktober 2003 und der Präsidialabteilung vom 24.Oktober 2003 sowie in einem Schreiben des Rektors der Fachhochschule an den Hamburger Innensenator vom 28.Oktober 2003 von einer Umsetzung der Beigeladenen auf die vorhandene C 3-Professur ausgegangen wird. Die Beigeladene hat im Verfahren 2 BvQ 70/03 selbst von ihrer Umsetzung auf die ehemals von Prof A besetzte Stelle gesprochen. Auch das Verwaltungsgericht hat festgestellt, der Beigeladenen solle die "neu gewidmete C 3-Stelle (ehemals Prof A)" zugewiesen werden. | ||
bb) Der Umstand, dass die Absprachen mit der Beigeladenen im Rahmen so genannter Bleibeverhandlungen getroffen wurden, berührt nicht die Anwendbarkeit des § 4 Abs.3 Satz 1 GFÖV. Die Bleibevereinbarung ist nicht geeignet, entgegenstehendes Gesetzesrecht zu überspielen." | ||
"(1) Es kann dahingestellt bleiben, ob es einen hergebrachten Grundsatz des Hochschullehrerbeamtenrechts gibt, wonach die Rechtsstellung der Professoren durch Sonderzusagen in Form von Berufungsvereinbarungen bestimmt wird (vgl BVerfGE_43,242 <277 f> ). Bleibezusagen sind eine besondere Art der Berufungsvereinbarungen. In ihnen können mit einem Professor, der nach auswärts berufen wird, Absprachen über Bedingungen getroffen werden, unter denen er sich verpflichtet, den Ruf abzulehnen. Wie auch bei Berufungsvereinbarungen, werden hierin häufig die besoldungsrechtliche Stellung des Hochschullehrers, die sachliche Ausstattung der Professur und der wissenschaftlichen Einrichtung sowie anderes Arbeitsbedingungen geregelt (vgl Thieme, Deutsche Hochschulrecht, 3.Aufl 2004, Rn.721 ff). Anders als bei Berufungsvereinbarungen enthalten Bleibezusagen jedoch keine Verpflichtung zur Berufung in ein bestimmte Beamtenverhältnis (vgl Thieme, Berufungszusagen und Hochschulreform, S.9) | ||
(2) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund § 33 Abs.1 Satz 1 Nr.1 BBesG. Danach können in den Besoldungsgruppen W 2 und W 3 unter anderem aus Anlass von Bleibeverhandlungen neben dem Grundgehalt variable Leistungsbezüge vergeben werden. Abgesehen davon, dass deren nähere Ausgestaltung gemäß § 33 Abs.4 BBesG dem Landesgesetzgeber vorbehalten bleibt, die Hamburgische Verordnung über Leistungsbezüge sowie Forschungs- und Lehrzulagen für Hochschulbedienstete (HmbHLeistBVO) jedoch erst am 4.Januar 2005 erlassen wurde, widerspricht diese Vorschrift der Annahme, der Besoldungsgesetzgeber habe die Vergabe eines Beförderungsamtes zum möglichen Inhalt von Bleibeverhandlungen erklären wollen. § 33 Abs.1 BBesG spricht lediglich von der Vergabe von Leistungsbezügen. Zudem beschränkt § 33 Abs.3 BBesG die Ruhegehaltfähigkeit der zusätzlich vereinbarten Bezüge auf 40 vH; nach § 8 Abs.3 HmbHLeistBVO kann dieser Satz unter bestimmten Voraussetzungen auf maximal 80 vH angehoben werden. Die Bezüge eines Beförderungsamtes sind hingegen in voller Höhe ruhegehaltfähig. | ||
(3) Gegen eine einschränkende Auslegung des § 4 Abs.3 Satz 1 GFÖV spricht schließlich auch, dass die Parallelvorschrift des § 14 Abs.1 Satz 2 HmbHG bereits eine - hier nicht einschlägige - Ausnahme von der Ausschreibungspflicht enthält. Dass der Gesetzgeber nur in diesem Fall eine Vergabe ohne vorherige Ausschreibung vorgesehen hat, steht der Annahme einer weiteren Ausnahme zusätzlich entgegen. | ||
b) Ist mithin für die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung von der Notwendigkeit eines Auswahlverfahrens und damit der Anwendbarkeit des Art.33 Abs.2 GG auszugehen, so hat das Oberverwaltungsgericht die aus Art.19 Abs.4 iVm Art.33 Abs.2 GG folgenden Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs in verfassungswidriger Weise überspannt. Aus Art.33 Abs.2 GG folgt der Anspruch eines Beförderungsbewerbers auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung (Bewerbungsverfahrensanspruch). Der verwaltungsgerichtliche Eilrechtsschutz setzt zur Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs lediglich voraus, dass die Aussichten des Beschwerdeführers, im Falle eines ordnungsgemäßen Auswahlverfahrens zum Zuge zu kommen, offen sind, dh seine Auswahl muss als möglich erscheinen (BVerfG, DÖD_03,17 <18>). | ||
Dem trägt der angegriffene Beschluss nicht hinreichend Rechnung. Zwar hat sich das Oberverwaltungsgericht auf diesen Maßstab berufen. Die vom Gericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen jedoch nicht die von ihm gezogene Schlussfolgerung, der Beschwerdeführer sei bei einer Ausschreibung der C 3-Stelle offensichtlich chancenlos. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Oberverwaltungsgericht zugunsten des Beschwerdeführers unterstellt hat, er habe bereits zahlreiche Klausuren beanstandungslos auch in den Fächern Allgemeines Verwaltungs-, Polizei- sowie Öffentliches Dienstrecht korrigiert, verfüge darüber hinaus über Erfahrungen in Staatsprüfungen, in denen er regelmäßig auch in den vorgenannten Fächern als stimmberechtigtes Mitglied der Prüfungskommission teilnehme, habe seine Kenntnisse auf den entsprechenden Gebieten aufgefrischt, erweitert und erheblich vertieft und sich verstärkt mit diesen Rechtsbereichen befasst. Vor diesem Hintergrund sowie unter Berücksichtigung der langjährigen lehrenden Tätigkeit des Beschwerdeführers findet die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, die Möglichkeit einer Ernennung des Beschwerdeführers sei ausgeschlossen, allein in der vom Gericht herangezogenen fehlenden Lehrerfahrung auf diesen Fachgebieten keine hinreichende Grundlage, zumal sich das Gericht nicht mit der - vom Beschwerdeführer bestrittenen - Qualifikation der Beigeladenen auseinandergesetzt und in dem Verfahren aus dem Jahr 1997/98 entschieden hat, der Beschwerdeführer sei für alle Rechtsfächer einsetzbar." | ||
Auszug aus BVerfG B, 01.08.06, - 2_BvR_2364/03 -,www.dfr/BVerfGE, Abs.10 ff | ||
§§§ |
06.022 | Erneute Berufung | |
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Ist ein Beamter im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des § 45 Abs.1 S.2 BBG in der Fassung des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts (01.07.97) noch keine 5 Jahre im Ruhestand, hat er keine gesicherte Rechtsposition in die der Gesetzgeber nicht eingreifen durfte. Insoweit genießt er keinen Vertrauensschutz, und kann wieder reaktiviert wirden. | ||
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T-06-05 | Erneute Berufung - Beamtenverhältnis | |
"1. Entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung verstößt seine erneute Berufung in das Beamtenverhältnis nicht gegen das auch im Beamtenrecht zu berücksichtigende Vertrauensschutzprinzip. | ||
Das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze beruht auf den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte (vgl BVerfGE_45,142 <167 f>; BVerfGE_101,239 <262> ). "Echte" Rückwirkungen, bei denen ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift, sind daher grundsätzlich unzulässig (vgl_BVerfGE_11,139 <145 f> ; stRspr). Einen größeren Spielraum besitzt der Gesetzgeber dagegen im Falle der "unechten" Rückwirkung. Diese liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Auch hier hat der Gesetzgeber Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen; diese sind jedoch erst verletzt, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (vgl_BVerfGE_101,239 <263>; stRspr). | ||
An diesen Maßstäben gemessen begegnet die Reaktivierung des Beschwerdeführers keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Beschwerdeführer durfte nicht mit dem Fortbestand seiner Ruhestandsversetzung rechnen, so dass sich ein ausreichend gewichtiger Vertrauensschutztatbestand nicht herausbilden konnte (vgl dazu BVerfGE_95,64 <87> ). Im maßgeblichen Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des § 45 Abs.1 Satz 2 BBG in der Fassung des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts vom 24. Februar 1997 (BGBl I S.322) am 1.Juli 1997 war der Beschwerdeführer erst seit 19 Monaten in den Ruhestand versetzt. Auch unter der Geltung des § 45 Abs.1 Satz 4 BBG aF hatte er daher mit seiner erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis zu rechnen, weil die hierfür maßgebliche Fünf-Jahres-Schwelle noch nicht überschritten war. Eine gesicherte Rechtsposition, in die nicht mehr ändernd hätte eingegriffen werden können, lag im Zeitpunkt der Gesetzesänderung beim Beschwerdeführer daher nicht vor. Er durfte weder vor In-Kraft-Treten der Neufassung des § 45 Abs.1 Satz 4 BBG (mangels Erreichen der Fünf-Jahres-Schwelle) noch unter der Geltung der Neuregelung auf den Fortbestand der Ruhestandsversetzung vertrauen. Dies gilt im Falle des Beschwerdeführers nicht nur im Hinblick auf die gesetzlichen Grundlagen; vielmehr war bereits in dem für die Ruhestandsversetzung maßgeblichen bahnärztlichen Gutachten vom 24. Juli 1995 ausgeführt worden, dass angesichts der Unberechenbarkeit der Erkrankung eine Nachuntersuchung in einem Jahr erforderlich sei (vgl.Bl.51 der Akten). Dementsprechend war der Beschwerdeführer auch bei Einleitung des Verfahrens zur Zurruhesetzung darauf hingewiesen worden, dass die Möglichkeit einer Reaktivierung geprüft werden würde (vgl Bl.49 der Akten). Ein ausreichend gewichtiger Vertrauensschutztatbestand, der das gesetzgeberische Ziel, durch Verringerung des vorzeitigen Ruhestandes zur Senkung der Versorgungsleistungen beizutragen (vgl BTDrucks 13/3994, S.2), überwinden könnte, liegt im Falle des Beschwerdeführers daher nicht vor." | ||
Auszug aus BVerfG B, 10.08.06, - 2_BvR_563/05 -,www.dfr/BVerfGE, Abs.13 ff | ||
§§§ |
06.023 | maxem.de | |
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LB 1) Hat ein Pseudonym noch keine allgemeine Verkehrsgeltung erlangt, verletzt die Verwendung des Pseudonyms als Internet-Domain-Name das Namensrecht iSd § 12 BGB derjenigen, die das Pseudonym als bürgerlichen Namen tragen. | ||
LB 2) Das Prioritätsprinzip als Regel der Konfliktbewältigung ist verfassungsrechtlich zwar erlaubt, aber nicht geboten. | ||
LB 3) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn dem Träger des bürgerlichen Namens das bessere Recht eingeräumt wird, trotz früherer Registrierung durch den Pseudonym-Namensinhaber. | ||
LB 4) Wird der Name lediglich als Zeichen zur technischen Adressierung bestimmter Inhalte, hier im Internet, genutzt, berührt das Verbot des Zeichengebrauchs die Identität und Individualität des Namensträgers grundsätzlich nicht und verletzt ihn nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. | ||
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T-06-06 | Alias-Name - Internetadresse | |
"1. Das angegriffene Urteil verletzt nicht das in Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers. | ||
Der grundrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts in Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG bewirkt, dass der Staat gehalten ist, den Einzelnen vor Gefährdungen dieses Rechts durch Dritte zu schützen. Bei der Anwendung der diesem Schutz dienenden zivilrechtlichen Normen sowie der Normen, auf die sich gegebenenfalls der Dritte beruft, haben die Gerichte die grundrechtlichen Maßgaben zu beachten. Vorausgesetzt ist allerdings, dass der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berührt ist. Das ist vorliegend nicht der Fall. | ||
a) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass der Schutz des Namens Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist. Der Name eines Menschen hat nicht nur Ordnungs- und Unterscheidungsfunktion. Er ist auch Ausdruck der Identität und Individualität. Als solcher lässt er sich nicht beliebig austauschen. Der Name begleitet vielmehr die Lebensgeschichte seines Trägers. Diese wird unter dem Namen als Person identifizierbar (vgl BVerfGE_97,391 <399> ). Dementsprechend kann der Einzelne verlangen, dass die Rechtsordnung seinen Namen respektiert und schützt (vgl BVerfGE_78,38 <49>; BVerfGE_84,9 <22>; BVerfGE_104,373 <385>; BVerfGE_109,256 <266>). | ||
Der verfassungsrechtlich durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistete Schutz des Namens erschöpft sich nicht im Schutz des bürgerlichen Namens. Auch der von einem Menschen tatsächlich geführte Name kann verfassungsrechtlichen Schutz genießen, wenn sich mit ihm eine Identität und Individualität des Namensträgers herausgebildet und verfestigt haben und auch herausbilden durften (vgl BVerfG, 3.Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 11.April 2001 - 1 BvR 1646/97 -, NJWE-FER 2001, S.193 <194>). Diese Funktion kann auch ein Pseudonym übernehmen (vgl BVerfGE_78,38 <52>). | ||
b) Hier muss nicht entschieden werden, unter welchen Voraussetzungen ein Pseudonym verfassungsrechtlichen Schutz aus Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG genießt. Insbesondere kann offen bleiben, ob es dafür bei Pseudonymen, die nicht aus einem früheren bürgerlichen Namen gebildet sind, auf eine Verkehrsgeltung ankommt und welche Anforderungen an eine solche Verkehrsgeltung zu stellen sind. | ||
Jedenfalls ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hier deshalb nicht berührt, weil dieses Grundrecht nach seiner Schutzrichtung den vorliegenden Fall nicht erfasst. | ||
aa) Der verfassungsrechtliche Schutz des Namens kann sich auch gegen das Verlangen richten, den Namen in bestimmten Zusammenhängen nicht zu verwenden (vgl BVerfGE_97,391 <399>). Eine Maßnahme, die den Gebrauch des Zeichens einschränkt, das einer Person als Name dient, berührt jedoch nur dann den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wenn das Zeichen gerade in seiner Identität und Individualität stiftenden Funktion als Name benutzt werden soll. Das ist der Fall, wenn der Namensträger gehindert wird, am kommunikativen Verkehr unter seinem Namen teilzunehmen, so dass für andere Kommunikationsteilnehmer die Zurechnung bestimmter persönlicher Verhältnisse wie Lebensgeschichte, Äußerungen oder Handlungen zu dem Namensträger beeinträchtigt oder sogar verhindert wird. | ||
Wird dagegen der Name lediglich als Zeichen zur technischen Adressierung bestimmter Inhalte, hier im Internet, genutzt, berührt das Verbot des Zeichengebrauchs die Identität und Individualität des Namensträgers grundsätzlich nicht. Er ist nicht daran gehindert, die Inhalte, die unter der von ihm genutzten Adresse verfügbar sind, als Äußerungen seiner durch seinen Namen benannten Person zu kennzeichnen. Es steht ihm weiterhin frei, den Namen auch in anderen Zusammenhängen als Kennzeichnung seiner Person zu benutzen. | ||
bb) Nach diesem Maßstab berührt das angegriffene Urteil nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers. | ||
Aufgrund der in dem Urteil ausgesprochenen Unterlassungspflicht ist der Beschwerdeführer nicht daran gehindert, sein Pseudonym allgemein zu benutzen oder in dem Verkehr, dem er als "Maxem" bekannt ist, unter dem Pseudonym aufzutreten. Ihm ist nicht einmal vollständig verwehrt, das Pseudonym in seiner Internetadresse zu benutzen. Zu unterbleiben hat lediglich die Verwendung des Zeichens "Maxem" als alleiniger Domain-Name unter der Top-Level Domain ".de". Dem Beschwerdeführer ist dagegen der Gebrauch dieses Zeichens in Verbindung mit einem klarstellenden Zusatz als Domain-Name, etwa in der Form "maxem-lach.de", nicht untersagt worden. | ||
2. Die Beschränkung der Möglichkeit, den Domain-Namen allein nach eigenen Vorstellungen und unter ausschließlicher Verwendung eines Pseudonyms auszuwählen und nach Registrierung zu nutzen, berührt allerdings die allgemeine Handlungsfreiheit des Art.2 Abs.1 GG. Sie ist vorliegend aber durch die verfassungsmäßige Ordnung gerechtfertigt. | ||
a) Ein Namensgebrauch kann zu einer Zuordnungs- und Identitätsverwirrung führen (vgl BVerfG, 1.Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 31.März 1994 - 1 BvR 29/94 -, NJW_94,2346 f). Im Fall der Verwendung eines Namens als Internet-Domain liegen zudem Konflikte mit dem Namensgebrauch anderer besonders nahe. Dieselbe Second-Level-Domain (etwa "maxem") kann unter einer Top-Level-Domain (etwa ".de") aus technischen Gründen nur einmal vergeben werden. Dies führt zu einem Konflikt, wenn mehrere Namensträger desselben Namens ein Interesse daran haben, ihren Namen als Domain zu benutzen. | ||
b) Vorliegend hat der Bundesgerichtshof den Konflikt zwischen dem Interesse des Klägers an einem Schutz vor Zuordnungsverwirrungen und dem Interesse des Beschwerdeführers an der Nutzung der eingetragenen Domain, bei der das gewählte Pseudonym nach Auffassung des Gerichts keine Verkehrsgeltung erlangt hatte, in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zugunsten des Klägers gelöst. | ||
Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der Bundesgerichtshof in der Verwendung des Domain-Namens "maxem.de" durch den Beschwerdeführer einen Eingriff in das durch § 12 BGB geschützte Namensrecht des Klägers sieht. Verfassungsrechtlich ist auch nicht zu beanstanden, dass der Bundesgerichtshof dem Kläger als dem Träger des bürgerlichen Namens Maxem trotz früherer Registrierung des Domain-Namens durch den Beschwerdeführer das bessere Recht eingeräumt hat. Das Prioritätsprinzip als Regel der Konfliktentscheidung ist verfassungsrechtlich zwar erlaubt (vgl BVerfG, 1.Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 31.März 1994 - 1 BvR 29/94 -, NJW_94,2346 f), aber nicht geboten. Der von dem Bundesgerichtshof aus dem einfachen Recht abgeleitete Vorrang des bürgerlichen Namens ist angesichts von dessen Bedeutung für die Bezeichnung der Person als Entscheidungsregel verfassungsrechtlich jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn das Pseudonym noch keine allgemeine Verkehrsgeltung erlangt hat, wovon der Bundesgerichtshof ausgegangen ist, und es dem Betroffenen nicht verwehrt wird, es zusammen mit einem weiteren Zusatz als Internetadresse zu nutzen." | ||
Auszug aus BVerfG B, 21.08.06, - 1_BvR_2047/03 -,www.dfr/BVerfGE, Abs.12 ff | ||
§§§ |
06.024 | IMSI-Catcher | |
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LB 2) Die Datenerhebung nach § 100i StPO greift nicht in den Schutzbereich der Telekommunikationsfreiheit ein. Sie steht nicht im Zusammenhang mit einem Kommunikationsvorgang und betrifft auch keinen Kommunikationsinhalt im Sinne des Art.10 Abs.1 GG. | ||
LB 3) Da der Einsatz des IMSI-Catchers nicht in den Schutzbereich des Art.10 Abs.1 eingreift, liegt auch kein Verstoß gegen das Zitiergebot vor. | ||
LB 4) Zum Verhältnis von Fernmeldegeheimnis und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. | ||
LB 5) Zu den IMSI und IMEI-Daten als personenbezogene Daten. | ||
LB 6) Zur Einschränkung des Rechts auf informationnelle Selbstbestimmung. | ||
LB 7) Wirksame Strafverfolgung ist ein legitimer Zweck zur Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. | ||
LB 7) Der Einsatz des IMSI-Cachers ist ein geeinetes und verhältnismäßiges Mittel zur Verfolgung und Aufklärung von Straftaten. | ||
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T-06-07 | Fernmeldegeheimnis - Schutzbereich | |
"1. Die Beschwerdeführer sind durch die Bestimmung des § 100i Abs.1 StPO nicht in ihrem Grundrecht aus Art.10 Abs.1 GG verletzt. Die Erhebung der Daten, durch die aufgrund dieser Vorschrift zugegriffen werden darf, fällt nicht in den Schutzbereich des Art.10 Abs.1 GG. | ||
a) Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gewährleisten die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch einen privaten, vor der Öffentlichkeit verborgenen Austausch von Nachrichten, Gedanken und Meinungen als Informationen (vgl BVerfGE_67,157 <171>; 106, 28 <35 f.>; 110, 33 <53> ; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2.März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, NJW_06,976 <977>; Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Loseblatt | ||
aa) Art.10 GG schützt die private Fernkommunikation. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gewährleisten die Vertraulichkeit der individuellen Kommunikation, wenn diese wegen der räumlichen Distanz zwischen den Beteiligten auf eine Übermittlung durch andere angewiesen ist und deshalb in besonderer Weise einen Zugriff Dritter - einschließlich staatlicher Stellen - ermöglicht. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis sind wesentlicher Bestandteil des Schutzes der Privatsphäre; sie schützen vor ungewollter Informationserhebung und gewährleisten eine Privatheit auf Distanz (vgl Gusy, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Grundgesetz, 5.Aufl 2005, Art.10 Rn.19). Das Fernmeldegeheimnis schützt die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mit Hilfe des Telekommunikationsverkehrs (vgl BVerfGE_67,157 <172>; BVerfGE_106,28 <35 f> ; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2.März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, NJW_06,976 <978>). Die Beteiligten sollen weitestgehend so gestellt werden wie sie bei einer Kommunikation unter Anwesenden stünden. Das Grundrecht ist entwicklungsoffen und umfasst nicht nur die bei Entstehung des Gesetzes bekannten Arten der Nachrichtenübertragung, sondern auch neuartige Übertragungstechniken (vgl BVerfGE_46,120 <144> ; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2.März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, aaO). Die Reichweite des Grundrechts beschränkt sich daher nicht auf die früher von der Deutschen Bundespost angebotenen Fernmeldedienste, sondern erstreckt sich auf jede Übermittlung von Informationen mit Hilfe der e verfügbaren Telekommunikationstechniken. Auf die konkret Übermittlungsart (Kabel oder Funk, analoge oder digital Vermittlung) und Ausdrucksform (Sprache, Bilder, Töne Zeichen oder sonstige Daten) kommt es nicht an (vg BVerfGE_106,28 <36> ; Urteil des Zweiten Senats de , Bundesverfassungsgerichts vom 2.März 2006 - 2 BvR 2099/04 - aaO). Der Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses umfasst sowohl den Inhalt der Telekommunikation als auch die näheren Umstände des Fernmeldevorgangs, allerdings nur, soweit diese überhaupt auf Kommunikationsinhalte beziehbar sind (vgl Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2.März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, aaO). | ||
bb) Das Fernmeldegeheimnis schützt in erster Linie die Vertraulichkeit der ausgetauschten Informationen und damit den Kommunikationsinhalt gegen unbefugte Kenntniserlangung durch Dritte (vgl BVerfGE_100,313 <358>; BVerfGE_107,299 <312> ). Als Folge der Digitalisierung hinterlässt vor allem jede Nutzung der Telekommunikation personenbezogene Spuren, die gespeichert und ausgewertet werden können. Auch der Zugriff auf diese Daten fällt in den Schutzbereich des Art.10 GG; das Grundrecht schützt auch die Vertraulichkeit der näheren Umstände des Kommunikationsvorgangs (vgl BVerfGE 67,157 <172>; BVerfGE_85,386 <396>; BVerfGE_100,313 <358>; BVerfGE_107,299 <312> BVerfGE_110,33 <53>; BVerfGE_113,348 <364 f> ). Dazu gehört insbesondere, ob, wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Endeinrichtungen Telekommunikationsverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist (BVerfGE_100,313 <358>; BVerfGE_107,299 <312 f>). Auch insoweit kann der Staat grundsätzlich keine Kenntnis beanspruchen. Die Nutzung des Kommunikationsmediums soll in allem vertraulich sein (BVerfGE_100,313 <358>; Beschluss der 3.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17.Juni 2006 - 2 BvR 1085/05, 2 BvR 1189/05 -). Häufigkeit, Dauer und Zeitpunkt von Kommunikationsverbindungen geben Hinweise auf Art und Intensität von Beziehungen und ermöglichen auf den Inhalt bezogene Schlussfolgerungen (vgl dazu BVerfGE_107,299 <314, 320>; Urteil des Zweiten Senats des , Bundesverfassungsgerichts vom 2.März 2006 - 2 BvR 2099/04 - aaO) (Abs.53) Post und Telekommunikation bieten die Voraussetzungen für die private Kommunikation zwischen Personen, die nicht am selben Ort sind, und eröffnen so eine neue Dimension der Privatsphäre (vgl Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5.Aufl 2005, Art.10 Rn.18 f). Damit verbunden ist ein Verlust an Privatheit; denn die Kommunizierenden müssen sich auf die technischen Besonderheiten eines Kommunikationsmediums einlassen und sich dem eingeschalteten Kommunikationsmittler anvertrauen. Inhalt und Umstände der Nachrichtenübermittlung sind dadurch dem erleichterten Zugriff Dritter ausgesetzt. Die Beteiligten, die ihre Kommunikation mit Hilfe von technischen Hilfsmitteln über Distanz unter Nutzung fremder Kommunikationsverbindungswege ausüben, haben nicht die Möglichkeit, die Vertraulichkeit der Kommunikation sicherzustellen. | ||
Art.10 Abs.1 GG soll einen Ausgleich für die technisch bedingte Einbuße an Privatheit schaffen und will den Gefahren begegnen, die sich aus dem Übermittlungsvorgang einschließlich der Einschaltung eines Dritten ergeben (vgl BVerfGE_85,386 <396>; BVerfGE_106,28 <36>; BVerfGE_107, 299 <313>). Das Fernmeldegeheimnis knüpft an das Kommunikationsmedium an (vgl BVerfGE_100,313 <363> ; Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5.Aufl 2005, Art.10 Rn.32 und 40; Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, 2.Aufl. 2004, Art.10 Rn.25). | ||
b) Die Datenerhebung nach § 100i StPO greift nicht in den Schutzbereich der Telekommunikationsfreiheit ein. Sie steht nicht im Zusammenhang mit einem Kommunikationsvorgang und betrifft auch keinen Kommunikationsinhalt im Sinne des Art.10 Abs.1 GG. | ||
aa) Im Falle einer Maßnahme nach § 100i Abs.1 Nr.2 StPO sind den Strafverfolgungsbehörden die Betriebsdaten bereits bekannt. Es wird lediglich der genaue Standort des Mobiltelefons bestimmt. | ||
bb) Die Feststellung einer Geräte- oder Kartennummer im Sinne des § 100i Abs.1 Nr.1 StPO eines im Bereich einer simulierten Funkzelle befindlichen Mobiltelefons durch den Einsatz eines "IMSI-Catchers" ist unabhängig von einem tatsächlich stattfindenden oder zumindest versuchten Kommunikationsvorgang zwischen Menschen (vgl Günther, NStZ_05,485 Fn 1, 491; Jordan, Kriminalistik 2005, S.514 <515 f>; Demko, NStZ_04,57 <61>; Eisenberg/Singelnstein, NStZ_05,62 <66>; Bernsmann, NStZ_02,103; Günther, Kriminalistik 2004, S. 11 <14>; Weßlau, ZStW Bd.113 <2001>, S.681 <690>; Kudlich, JuS_01,1165 <1168>). Beim Einsatz des "IMSI-Catchers" "kommunizieren" ausschließlich technische Geräte miteinander. Es fehlt an einem menschlich veranlassten Informationsaustausch, der sich auf Kommunikationsinhalte bezieht. Das Aussenden der Daten erfolgt unabhängig von einem konkreten Kommunikationsvorgang oder dem Aufbau einer Kommunikationsverbindung, die einen personalen Bezug hat; der Datenaustausch ist ausschließlich zur Sicherung der Betriebsbereitschaft nötig, trägt aber keine individuellen und kommunikativen Züge. Die erfassten Daten fallen nicht anlässlich eines Kommunikationsvorgangs an, sondern im Bereitschaftszustand eines Mobiltelefons, der erst technische Voraussetzung eines Kommunikationsvorgangs ist. Die bloße technische Eignung eines Geräts, als Kommunikationsmittel zu dienen, sowie die von dem Gerät ausgehenden technischen Signale zur Gewährleistung der Kommunikationsbereitschaft stellen noch keine Kommunikation dar. Sie ermöglichen - anders als Kommunikationsumstände - keinen Rückschluss auf Kommunikationsbeziehungen und -inhalte, sondern lediglich über die Position eines Endgeräts auf den Standort einer Person. Erst die tatsächliche Nutzung zum Austausch von Informationen und Meinungen qualifiziert die mittels Telekommunikationseinrichtungen übertragenen Daten als Kommunikationsinhalte und -umstände, die den Schutz des Art.10 Abs.1 GG genießen (vgl Günther, Kriminalistik 2004, S.11 <14>) und auf die nur unter den engeren Voraussetzungen der §§ 100a, 100b, 100g und 100h StPO zugegriffen werden darf. Die technischen Signale, die die Kommunikationsbereitschaft gewährleisten, stellen dagegen lediglich Spuren derselben dar (vgl Weßlau, aaO). | ||
Für diese Ansicht spricht zudem, dass nach § 88 Abs.1 TKG - ungeachtet der jeweils unterschiedlichen Regelungsbereiche von Telekommunikationsgesetz, Strafprozessordnung und Grundgesetz - der Inhalt der Telekommunikation und ihre näheren Umstände dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, insbesondere, ob "jemand" an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist, wobei auch erfolglose Verbindungsversuche erfasst werden. Auch diese Formulierung bringt den personalen Bezug des Fernmeldegeheimnisses und des Schutzbereichs der Telekommunikationsfreiheit zum Ausdruck. (Abs.59) | ||
cc) Die Positionsmeldungen eines Mobiltelefons unter den Schutz des Art.10 Abs.1 GG fassende Gegenansicht (vgl Bundesgerichtshof, Ermittlungsrichter, Beschluss vom 21.Februar 2001 - 2 BGs 42/01 -, NJW_01,1587 mit Anm Bernsmann, NStZ_02,103 f; Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.März 2003 - 2 StR 341/02 -, NJW_03,2034 <2035>; Landgericht Dortmund, Beschluss vom 28.Oktober 1997 - 79 Js 449-97 -, NStZ_98,577; Landgericht Aachen, Beschluss vom 24.November 1998 - 64 Qs 78/98 -, StV 1999, S.590 <591>; Verwaltungsgericht Darmstadt, Gerichtsbescheid vom 16.November 2000 - 3 E 915/99 -, NJW_01,2273 <2274>; Gercke, MMR 2003, S.453 <455>; ders, StraFo 2003, S.76 <78>; Schenke, AöR 125 <2000>, S.1 <20>; hierzu auch Roggan, KritV 2003, S.76 <89>; Gundermann, K&R 1998, S.48 <55>; Wolter, in: Systematischer Kommentar zur StPO, 2004, § 100i Rn.18; von Denkowski, Kriminalistik 2002, S.117 <119>; Löwnau-Iqbal, DuD 2001, S. 578; Dix, Kriminalistik 2004, S.81 <83>; vgl auch Schäfer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25.Aufl, § 100i Rn.5) lässt außer Acht, dass eine technische Kommunikation zwischen Geräten nicht das spezifische Gefahrenpotential aufweist, vor dem Art.10 Abs.1 GG Schutz gewährleistet. Art.10 Abs.1 GG folgt nicht dem rein technischen Telekommunikationsbegriff des Telekommunikationsgesetzes (vgl § 3 Nr.22 TKG), sondern knüpft personal an den Grundrechtsträger und dessen Schutzbedürftigkeit aufgrund der Einschaltung Dritter in den Kommunikationsvorgang an. Die Erfassung der IMSI und der IMEI mag somit zwar die Bereitschaft zur Nutzung eines Mobiltelefons beeinträchtigen, realisiert aber nicht die spezifischen Gefahren für die Privatheit der Kommunikation, die in der Nutzung des Telekommunikationsmediums begründet liegen. | ||
Dass der Besitzer eines Mobiltelefons gewärtigen muss, schon seine Bereitschaft zu einem Kommunikationsvorgang könnte dazu benutzt werden, sich in Kenntnis der Geräte- und Kartennummer seines Mobiltelefons, seiner Identität sowie seines ungefähren Aufenthaltsorts zu setzen, betrifft zwar gegebenenfalls sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung und seine allgemeine Handlungsfreiheit, schränkt aber nicht die Bedingungen freier Telekommunikation ein. | ||
Zwar verfügt der potentielle Kommunikationsteilnehmer nicht über die gleiche Sicherheit, die bestünde, wenn er sich bei der beabsichtigten Kommunikation keines technischen Mediums bediente. Die Privatheit der Kommunikation in Bezug auf ihre konkreten Umstände ist aber nicht bereits durch die Ausforschung der Kommunikationsbereitschaft gefährdet. Neben dem eigentlichen Kommunikationsvorgang verdient die vorgelagerte Kommunikationsanbahnung nicht den gleichen Schutz. Ein "Für-möglich-halten" von Kommunikation stellt noch keine solche dar (vgl hierzu Jordan, aaO, S.516). (Abs.62) | ||
dd) Beim Einsatz des "IMSI-Catchers" werden die IMSI- und IMEI-Daten zudem nicht innerhalb des Herrschaftsbereichs eines Telekommunikationsunternehmens, sondern ohne dessen Mitwirkung durch die Strafverfolgungsbehörden selbst und unmittelbar erhoben. Mit dem Einsatz des "IMSI-Catchers" schaffen diese eine netzexterne, gleichsam virtuelle Funkzelle, die die Erhebung der Daten ermöglicht. Nach dem Grundverständnis des Art.10 Abs.1 GG, der insbesondere die erhöhte Verletzlichkeit und Überwachungsanfälligkeit des Übertragungsvorgangs durch die Einschaltung Dritter schützt, unterfallen die hierbei erhobenen Daten nicht dem Telekommunikationsgeheimnis. | ||
c) Ist der Schutzbereich des Art.10 GG nicht eröffnet, so liegt auch kein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art.19 Abs.1 Satz 2 GG vor. Zwar hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 27.Juli 2005 (1 BvR 668/04, BVerfGE_113,348 <372> ) ausgeführt, der Bundesgesetzgeber habe die Überwachung der Telekommunikation zu Zwecken der Strafverfolgung in den §§ 100a, 100b, 100g, 100h und 100i StPO nach Umfang, Zuständigkeit und Zweck sowie hinsichtlich der für die jeweilige Maßnahme erforderlichen Voraussetzungen umfassend geregelt. Aus dem Zusammenhang der Ausführungen ergibt sich jedoch, dass der Senat die besonderen Gegebenheiten der § 100i StPO zugrunde liegenden Maßnahmen nicht näher behandelt hat, zumal die Maßnahme nach § 100i StPO unter anderem der Vorbereitung einer Telekommunikationsüberwachung dient und daher einfachgesetzlich den entsprechenden Regelungen zugerechnet werden kann. Das bedeutet aber nicht, dass die Maßnahme selbst dem Schutzbereich des Art.10 Abs.1 GG unterfällt. | ||
2. Im Übrigen haben die Beschwerdeführer weder ausdrücklich vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass § 100i Abs.1 StPO, soweit Daten unbeteiligter Dritter erhoben werden, ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG verletzt. Der Eingriff in dieses Recht durch die Erhebung und die kurzzeitige Speicherung der IMSI- und IMEI-Kennung der Mobiltelefone der Beschwerdeführer als unbeteiligte Dritte bei Einsatz eines "IMSI-Catchers" beruht mit § 100i StPO auf einer wirksam zu Stande gekommenen gesetzlichen Grundlage und ist nicht unverhältnismäßig. | ||
a) Die freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist von dem Grundrecht aus Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG verbürgt. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl BVerfGE_65,1 <43> ). Das Grundrecht dient dabei auch dem Schutz vor einem Einschüchterungseffekt, der entstehen und zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung anderer Grundrechte führen kann, wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Die Freiheit des Einzelnen, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden, kann dadurch wesentlich gehemmt werden. Ein von der Grundrechtsausübung abschreckender Effekt fremden Geheimwissens muss nicht nur im Interesse der betroffenen Einzelnen vermieden werden. Auch das Gemeinwohl wird hierdurch beeinträchtigt, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist (vgl BVerfG, aaO). | ||
aa) Fernmeldegeheimnis und Recht auf informationelle Selbstbestimmung stehen, soweit es um den Schutz der technischen Kommunikationsdaten geht, in einem Ergänzungsverhältnis. In seinem Anwendungsbereich enthält Art. 10 GG bezogen auf den Fernmeldeverkehr eine spezielle Garantie, die die allgemeine Gewährleistung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verdrängt (vgl BVerfGE_67,157 <171>; BVerfGE_100, 313 <358>; BVerfGE_107,299 <312>; BVerfGE_110,33 <53>; BVerfGE_113,348 <364> ; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2.März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, NJW_06,976 <979>). Soweit der Eingriff in das Fernmeldegeheimnis die Erlangung personenbezogener Daten betrifft, sind dabei die Maßgaben, die das Bundesverfassungsgericht aus Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG entwickelt hat (vgl BVerfGE_65,1 <44 ff>), grundsätzlich auch auf die speziellere Garantie in Art.10 Abs.1 GG zu übertragen (vgl BVerfGE_100,313 <359>; BVerfGE_110,33 <53>; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2.März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, NJW_06,976 <979 f>). | ||
bb) Greift Art.10 GG nicht ein, werden die technischen Kommunikationsdaten durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG geschützt. Damit wird der besonderen Schutzwürdigkeit der Daten im Zusammenhang mit Telekommunikation Rechnung getragen. | ||
cc) Bei IMSI und IMEI eines Mobiltelefons handelt es sich um personenbeziehbare Daten, die - gegebenenfalls mittels eines Auskunftsersuchens an den Telekommunikationsanbieter - einen Schluss darauf zulassen, welche Person sich im Bereich der virtuellen Funkzelle aufhält. Durch die Maßnahme nach § 100i Abs.1 Nr.2 StPO kann der genaue Standort einer Person bestimmt werden. | ||
b) Beschränkungen des Art.2 Abs.1 GG bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht (vgl Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12.April 2005 - 2 BvR 1027/02 -, NJW_05,1917 <1919>). Das Zustandekommen des § 100 i Abs. 1 StPO entspricht den verfassungsrechtlichen Vorgaben (aa); auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten hält die Norm hinsichtlich des Betroffenseins unbeteiligter Dritter verfassungsrechtlicher Prüfung stand (bb). | ||
aa) Die Vorschrift ist in einem Gesetzgebungsverfahren zu Stande gekommen, das nicht an einem durchgreifenden Fehler leidet. Weil die Notwendigkeit und die nähere Ausgestaltung einer gesetzlichen Regelung zum Einsatz des "IMSI-Catchers" bereits Gegenstand eines Änderungsvorschlags des Bundesrats zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz vom 23. Mai 1997 war, hatten Parlament und Öffentlichkeit bis zum Gesetzgebungsverfahren im Jahre 2002 ausreichend Gelegenheit, sich mit einer solchen Regelung auseinanderzusetzen. Im Hinblick auf das Zustandekommen des Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung vom 6.August 2002 entspricht es parlamentarischer Übung, Änderungen und Ergänzungen nach der ersten Lesung eines Gesetzentwurfs in den Ausschussberatungen anzubringen. Auch wenn eine Behandlung des vollständigen Gesetzentwurfs bereits in der ersten Lesung dem Gebot der Öffentlichkeit und Transparenz des Gesetzgebungsvorgangs in höherem Maße gerecht geworden wäre, kommt es für das Wirksamwerden des Gesetzes zunächst nur auf den nach der parlamentarischen Beratung nach Art.77 Abs.1 Satz 1 in Verbindung mit Art.42 Abs.2 Satz 1 GG gefassten Gesetzesbeschluss des Bundestags an. In der Gestaltung des dahin führenden Verfahrens ist der Bundestag im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie frei (vgl BVerfGE_10,4 <19>; BVerfGE_80,188 <220>; BVerfGE_84,304 <322>). | ||
bb) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die jeweilige Maßnahme einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck verfolgt und zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und im engeren Sinne verhältnismäßig ist; der Eingriff darf den Betroffenen nicht übermäßig belasten, muss diesem also zumutbar sein (vgl BVerfGE_63,131 <144>). | ||
(1) Wirksame Strafverfolgung ist ein legitimer Zweck zur Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Die Sicherung des Rechtsfriedens durch Strafrecht ist seit jeher eine wichtige Aufgabe staatlicher Gewalt. Die Aufklärung von Straftaten, die Ermittlung des Täters, die Feststellung seiner Schuld und seine Bestrafung wie auch der Freispruch des Unschuldigen sind die wesentlichen Aufgaben der Strafrechtspflege, die zum Schutz der Bürger den staatlichen Strafanspruch in einem justizförmigen und auf die Ermittlung der Wahrheit ausgerichteten Verfahren in gleichförmiger Weise durchsetzen soll. Die Schaffung von Strafnormen und deren Anwendung in einem rechtsstaatlichen Verfahren sind Verfassungsaufgaben (vgl BVerfGE_107,104 <118 f> mwN). Der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kommt daher nach dem Grundgesetz eine hohe Bedeutung zu (vgl BVerfGE_100,313 <388>). | ||
(2) Die Möglichkeit, zur Vorbereitung einer Maßnahme nach § 100a StPO die Geräte- und Kartennummer oder zur vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs.2 StPO oder Ergreifung des Täters aufgrund eines Haftbefehls oder Unterbringungsbefehls den Standort eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgeräts zu ermitteln, ist zur Erreichung dieses Ziels nicht nur geeignet und erforderlich, sondern auch angemessen. | ||
Der Einsatz des "IMSI-Catchers" ist zum Zwecke der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten geeignet. Er ermöglicht die Feststellung bislang unbekannter Geräte- und SIM-Kartennummern und erlaubt damit eine Zuordnung der Rufnummer zu dem von einem Tatverdächtigen benutzten Mobiltelefon als notwendige Voraussetzung für die Anordnung und Durchführung einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO. Berichte aus der kriminalistischen Praxis belegen die Geeignetheit und Erforderlichkeit des kriminaltechnischen Hilfsmittels "IMSI-Catcher" (vgl von Denkowski, Kriminalistik 2002, S.117 <118 f>; Albrecht/ Dorsch/Krüpe, Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100 a, 100 b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, Freiburg 2003, S.199 f, 216). Dies wird auch durch die im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren abgegebenen Stellungnahmen des Generalbundesanwalts und des Bundeskriminalamts bestätigt, die die Bedeutung dieser Ermittlungsmaßnahme hervorheben. Technische und faktische Schwierigkeiten, die etwa durch den Wechsel von Telefonen und SIM-Karten oder die Verwendung ausländischer SIM-Karten durch die Beschuldigten sowie durch den sachlichen und personellen Aufwand der Maßnahme verursacht sein können, stellen die grundsätzliche Geeignetheit und die Erforderlichkeit des Mittels zur Erreichung des angestrebten Zwecks nicht in Frage. | ||
Die Beschwerdeführer werden durch den Einsatz des "IMSI-Catchers" auch nicht übermäßig in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass auch die technischen Kommunikationsdaten einen schutzwürdigen Aussagegehalt haben, weil sie - wenn auch nur nach vorausgegangener Identifizierung der Person über eine Zuordnung der IMSI- oder IMEI-Nummer - einen Schluss darauf zulassen, welche Person sich im Bereich der virtuellen Funkzelle aufhält und ein betriebsbereites Mobiltelefon mit sich führt. Andererseits ist in Rechnung zu stellen, dass die vermehrte Nutzung elektronischer oder digitaler Kommunikationsmittel und deren Vordringen in nahezu alle Lebensbereiche die Strafverfolgung erschwert hat. Moderne Kommunikationstechniken werden bei der Begehung unterschiedlichster Straftaten zunehmend eingesetzt und tragen dort zur Effektivierung krimineller Handlungen bei (vgl Hofmann, NStZ_05,121). Das Schritthalten der Strafverfolgungsbehörden mit dem technischen Fortschritt kann daher nicht lediglich als sinnvolle Abrundung des Arsenals kriminalistischer Ermittlungsmethoden begriffen werden, die weiterhin wirkungsvolle herkömmliche Ermittlungsmaßnahmen ergänzt, sondern ist vor dem Hintergrund der Verlagerung herkömmlicher Kommunikationsformen hin zum elektronischen Nachrichtenverkehr einschließlich der anschließenden digitalen Verarbeitung und Speicherung zu sehen (vgl. Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2.März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, NJW_06,976 <980 f>). | ||
(Abs.76) Bei der Durchführung von Maßnahmen nach § 100i StPO haben die Ermittlungsbehörden darauf Bedacht zu nehmen, dass die Grundrechtspositionen der unbeteiligten Dritten nicht über das unbedingt notwendige Maß hinaus berührt werden. Anhaltspunkte für eine Missachtung dieses Gebots haben sich aus den Stellungnahmen der Äußerungsberechtigten im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht ergeben. Die technischen Kommunikationsdaten werden automatisch und anonym abgeglichen und unverzüglich gelöscht. Unbeteiligte Dritte werden nach Auskunft des Bundeskriminalamts nicht identifiziert. Die Speicherung ihrer Daten erfolgt maximal für die Dauer des Messeinsatzes. Danach werden die Daten von der Festplatte des Messsystems ohne weitere Bearbeitung und Prüfung unverzüglich und unwiderruflich gelöscht. | ||
(3) Angesichts der geringen Eingriffsintensität ist es nicht unverhältnismäßig, auf die Benachrichtigung mitbetroffener Dritter zu verzichten (vgl § 98b Abs.4 Satz 1, § 163d Abs.5 StPO, hierzu Schoreit, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5.Aufl 2003, § 163 d Rn.44 StPO). Die IMSI- und die IMEI-Nummer können erst mit Hilfe der Netzbetreiber einer Rufnummer bzw. einer Person zugeordnet werden. Eine Benachrichtigung würde daher erfordern, diesen Personenbezug zu ermitteln, was den Grundrechtseingriff noch vertiefen würde (vgl BVerfGE_109,279 <365> ). In einer solchen Deanonymisierung läge ein schwerer wiegender Eingriff für die auf diese Weise mit Ort, Zeit und Empfangsbereitschaft ihres Mobiltelefons identifizierten Dritten gegenüber der kurzzeitigen Aufnahme der Gerätekennung, die keiner Person zugeordnet ist und nach anonymem Abgleich mit anderen Kennungen sofort unter strikter Beachtung des § 100 i Abs. 3 StPO zu löschen ist. Außerdem würden die Nachforschungen zur Identität des mitbetroffenen Dritten einen erheblichen Aufwand verursachen, zumal der Benutzer des Telefons im Zeitpunkt des Einsatzes des "IMSI-Catchers" nicht mit derjenigen Person identisch sein muss, auf deren Namen das Mobiltelefon oder die SIM-Karte registriert sind. | ||
cc) Sollten bei den Ermittlungsbehörden "IMSI-Catcher" vorhanden sein, die technisch ein Mithören von Telefongesprächen in Echtzeit ermöglichen, so wäre die Nutzung dieser Funktion nicht durch § 100i StPO gedeckt. | ||
3. Auch ein Eingriff in die durch Art.2 Abs.1 GG ewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit der Beschwerdeführer ist weder ausdrücklich vorgetragen noch onst ersichtlich. | ||
a) Soweit durch den Einsatz des "IMSI-Catchers" für einige Sekunden die Herstellung einer Telekommunikationsverbindung für ein einzelnes Mobiltelefon nicht möglich ist, handelt es sich um eine Verhinderung von Telekommunikation, die nicht unter Art.10 Abs.1 GG fällt (vgl Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 8.Aufl 2006, Art.10 Rn.12). Das Unterbinden von Telekommunikation ist daher am Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit zu messen, das Betätigungen jedweder Art schützt (vgl. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, 2.Aufl 2004, Art.2 Rn.27). | ||
b) Die Beeinträchtigung der Grundrechtsposition unbeteiligter Dritter ist jedenfalls gerechtfertigt. | ||
aa) Laufende Gespräche oder anderweitige Kommunikationsverbindungen werden wegen der Funktionsweise des "IMSI-Catchers" nicht gestört, so dass insoweit schon kein Eingriff vorliegt. Angesichts der engen Anwendungsvoraussetzungen und des infolge des erheblichen Aufwands - nach den vom Generalbundesanwalt und dem Bundeskriminalamt mitgeteilten Zahlen - eher seltenen Einsatzes des "IMSI-Catchers" ist auch nicht zu befürchten, dass die Regelung des § 100i StPO die Bereitschaft zur Nutzung von Mobiltelefonen einschränkt. Im Übrigen sind die Ermittlungsbehörden bereits aus kriminaltaktischen Erwägungen und zur Erleichterung der Auswertung bemüht, den "IMSI-Catcher" nur im unmittelbaren Nahbereich der Zielperson einzusetzen, so dass die Anzahl der erfassten Mobiltelefone unbeteiligter Dritter und die dadurch verursachten Störungen möglichst gering gehalten werden. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die IMSI- und IMEI-Nummern jeweils nur nacheinander erfasst werden können, so dass jeweils nur ein Funktelefon, nicht aber alle Telefone in einer Funkzelle zugleich von dem Einsatz betroffen sind. | ||
bb) Sollte es dennoch zu einer kurzfristigen Versorgungslücke beim Erfassen der IMSI- oder IMEI-Nummer eines unbeteiligten Dritten kommen, so geht dieser Eingriff nicht über das Maß an Empfangs- und Sendestörungen hinaus, die im Mobilfunkbetrieb alltäglich auftreten. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ein Mobiltelefon nach Freigabe durch den "IMSI-Catcher" erst nach einer gewissen Zeit wieder zu seiner ursprünglichen Funkzelle zurückkehrt. Eine solche geringfügige Störung bei der Nutzung von Telekommunikationseinrichtungen ist jedenfalls angesichts der Bedürfnisse der Strafrechtspflege hinzunehmen (vgl BVerfGE_100,313 <388 ff>; BVerfGE_107,299 <316 ff>)." | ||
Auszug aus BVerfG B, 22.08.06, - 2_BvR_1345/03 -,www.dfr/BVerfGE, Abs.49 ff | ||
§§§ |
06.025 | Anwaltskanzlei | |
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LB 1) Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung ist jedenfalls der Verdacht, dass eine Straftat begangen worden sei. Das Gewicht des Eingriffs verlangt Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. | ||
LB 2) Die herausgehobene Bedeutung der unkontrollierten Berufsausübung eines Rechtsanwalts (vgl BVerfGE_110,226 <251 ff>) gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung von Kanzleiräumen (vgl BVerfGE_44,353 <371>) die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. | ||
LB 3) Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen. | ||
LB 4) Dass der Ermittlungsrichter diese Eingriffsvoraussetzung selbständig und eigenverantwortlich geprüft hat (vgl BVerfGE_103,142 <151 f>), muss in dem Beschluss zum Ausdruck kommen. Dazu ist zu verlangen, dass ein dem Beschuldigten angelastetes Verhalten geschildert wird, das - wenn es wirklich begangen worden sein sollte - den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. | ||
* * * | ||
T-06-08 | Richtervorbehalt + Durchsuchung | |
"Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung des Art.13 Abs.1 GG rügen, sind die Verfassungsbeschwerden in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet (§ 93c Abs.1 BVerfGG). | ||
1. Amts- und Landgericht sind den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Richtervorbehalts aus Art.13 Abs.2 GG nicht gerecht geworden. Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung ist jedenfalls der Verdacht, dass eine Straftat begangen worden sei. Das Gewicht des Eingriffs verlangt Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Die herausgehobene Bedeutung der unkontrollierten Berufsausübung eines Rechtsanwalts (vgl BVerfGE_110,226 <251 ff>) gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung von Kanzleiräumen (vgl BVerfGE_44,353 <371> ) die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen (vgl BVerfGE_44,353 <371 f>; BVerfGE_59,95 <97>). | ||
Dass der Ermittlungsrichter diese Eingriffsvoraussetzung selbständig und eigenverantwortlich geprüft hat (vgl BVerfGE_103,142 <151 f>), muss in dem Beschluss zum Ausdruck kommen. Dazu ist zu verlangen, dass ein dem Beschuldigten angelastetes Verhalten geschildert wird, das - wenn es wirklich begangen worden sein sollte - den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Die Schilderung braucht nicht so vollständig zu sein wie die Formulierung eines Anklagesatzes (vgl § 200 Abs.1 Satz 1 StPO) oder gar die tatsächlichen Feststellungen eines Urteils (vgl § 267 Abs.1 1 Satz 1 StPO). Aber die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes, die die Strafbarkeit des zu subsumierenden Verhaltens kennzeichnen, müssen berücksichtigt werden. Es müssen ein Verhalten oder sonstige Umstände geschildert werden, die - wenn sie erwiesen sein sollten - diese zentralen Tatbestandsmerkmale erfüllen. | ||
2. Dem wird der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts bei weitem nicht gerecht, und die Beschwerdeentscheidung behebt diese Mängel nicht. Der in den Beschlüssen mitgeteilte Vorwurf einer versuchten Nötigung (§ 240 Abs.1 bis 3 StGB) verlangt ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes (§ 22 StGB) als ein wesentliches Merkmal der Strafbarkeit des Versuchs in Abgrenzung zur straflosen Vorbereitungshandlung. Dazu muss der Täter mit der Anwendung der Nötigungsmittel beginnen (vgl Tröndle/Fischer, StGB, 53.Aufl 2006, § 240 Rn.56). Das Amtsgericht hat indes nicht dargelegt, dass die Beschwerdeführer irgendetwas unternommen hätten, um dem Richter zu drohen, also das Zufügen eines Übels in Aussicht zu stellen. Als ihnen angelastetes Verhalten werden Recherchen im persönlichen Lebensbereich des Richters genannt. Als Drohung hätte der Richter dieses Verhalten allenfalls dann verstehen können, wenn es ihm bekannt gewesen wäre. Das Amtsgericht legt aber nicht dar, dass die Beschwerdeführer damit begonnen hätten, es ihm zur Kenntnis gelangen zu lassen. Das Landgericht behebt diesen Mangel nicht durch den Verweis auf den Anruf einer dritten Person bei dem Richter, die kompromittierende Veröffentlichungen in Aussicht gestellt habe. Es hätte einer Schilderung bedurft, auf welche Weise die Beschwerdeführer diesen Anruf veranlasst haben könnten. | ||
Die befassten Gerichte schildern zudem keinen Tatplan oder ein Verhalten, mit dessen Ausführung begonnen worden wäre, das als eine verwerfliche Nötigungshandlung bewertet werden könnte. Anträge in einem Strafverfahren, an dem die Beschwerdeführer als Verteidiger beteiligt sind, und Eingaben an Behörden sind grundsätzlich erlaubt und kommen als verwerfliche Drohung nur in Betracht, wenn die dabei mitgeteilten Darstellungen grob wahrheitswidrig sind oder keinen Zusammenhang zu dem dem vermeintlichen Opfer angesonnenen Verhalten haben (vgl Tröndle/Fischer, aaO, Rn.52). Auch hierzu fehlen Darlegungen in den angegriffenen Beschlüssen. Den Beschwerdeführern wird angelastet, den Ausschluss des früher als Rechtsanwalt tätigen Richters aus einem Strafverfahren gegen dessen früheren Mandanten zu betreiben. Um den mit einer Durchsuchung von Kanzleiräumen verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die räumlich geschützte Sphäre der Berufsausübung eines Rechtsanwalts rechtfertigen zu können, hätten die Gerichte sorgfältiger erwägen müssen, ob es sich dabei um ein erlaubtes Prozessverhalten im Interesse des Mandanten handelte. | ||
3. Ob das in den angegriffenen Beschlüssen geschilderte Verhalten der Beschwerdeführer einen anderen als den dort angegebenen Tatbestand erfüllt, braucht nicht geprüft zu werden. Beschlüsse nach Art.13 Abs.2 GG, § 105 StPO müssen den gesetzlichen Tatbestand, auf dessen Verwirklichung sich der Verdacht richtet, selbst benennen. Nur wenn der zur Kontrolle des Eingriffs berufene Richter sich den in Frage kommenden Straftatbestand vergegenwärtigt, kann die Verhältnismäßigkeit vollständig geprüft werden, weil die Zumutbarkeit des Eingriffs auch von der Schwere der vorgeworfenen Tat abhängt, für die die Strafdrohung von wesentlicher Bedeutung ist." | ||
Auszug aus BVerfG B, 07.09.06, - 2BvR_1141/05 -,www.dfr/BVerfGE, Abs.14 ff | ||
§§§ |
06.026 | Konsularrechtsübereinkommen | |
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LB 1) Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet in Verbindung mit der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art.2 Abs.1 GG das Recht des Beschuldigten auf ein rechtsstaatliches, faires Strafverfahren (BVerfGE_26,66 <71>; BVerfGE_38,105 <111>; BVerfGE_40,95 <99>; BVerfGE_65,171 <174>; BVerfGE_66,313 <318>; BVerfGE_77,65 <76>; BVerfGE_86,288 <317 f>). | ||
LB 2) Der Anspruch auf ein faires Verfahren ist durch das Verlangen nach verfahrensrechtlicher Waffengleichheit zwischen Ankläger und Beschuldigtem gekennzeichnet. Er dient in besonderem Maße dem Schutz des Beschuldigten, für den bis zur Verurteilung die Vermutung seiner Unschuld streitet (BVerfGE_38,105 <111>). | ||
LB 3) Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung, dass das Recht auf ein faires Verfahren keine in allen Einzelheiten bestimmten Gebote und Verbote enthält (vgl nur BVerfGE_63,45 <61>). | ||
LB 4) Vielmehr ist es Regelungsauftrag an den Gesetzgeber und Leitlinie für den das Strafverfahren im Rahmen der von der Strafprozessordnung vorgegebenen Regeln gestaltenden Richter, seine Konkretisierung Pflicht der zuständigen Fachgerichte bei der ihnen obliegenden Gesetzesauslegung und -anwendung (BVerfGE_64,135 <146>; BVerfGE_92,277 <326 f>). | ||
LB 5) Die Verkennung des Schutzgehalts einer verletzten Verfahrensnorm kann danach ebenso in das Recht des Beschuldigten eingreifen wie eine Überspannung der weiteren Voraussetzungen für die Annahme eines Verwertungsverbots hinsichtlich rechtswidrig gewonnener Beweise (dazu vgl Beschluss der 2.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7.Juli 1995 - 2 BvR 326/92 -, NStZ 1995, S.555). | ||
LB 6) Das faire Verfahren wird allerdings nicht nur durch die Normen der Strafprozessordnung, sondern auch durch völkervertragsrechtliche Vorschriften ausgestaltet. Bundesgesetze im Sinne von Art.59 Abs.2 Satz 1 GG erteilen innerstaatlich den Befehl zur Anwendung der betreffenden völkerrechtlichen Verträge bzw. setzen diese in nationales Recht um. | ||
LB 7) Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen völkerrechtliche Verträge wie das Konsularrechtsübereinkommen, denen die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist, im Range eines Bundesgesetzes (vgl BVerfGE_74,358 <370>; BVerfGE_82,106 <120>; BVerfGE_111,307 <317>). | ||
LB 8) Diese Rangzuweisung führt in Verbindung mit Art.20 Abs.3 GG dazu, dass deutsche Gerichte das anwendbare Völkervertragsrecht wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben (vgl nur BVerfGE_111,307 <317>). | ||
LB 9) Ist eine völkerrechtliche Norm in den Rang des Gewohnheitsrechts erwachsen, sind die Behörden und Gerichte der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art.25 GG grundsätzlich daran gehindert, innerstaatliches Recht in einer die Norm verletzenden Weise auszulegen und anzuwenden (vgl BVerfGE_112,1 <27>). | ||
LB 10) Das Grundgesetz legt die deutsche öffentliche Gewalt programmatisch auf die internationale Zusammenarbeit (Art.24 GG) und die europäische Integration (Art.23 GG) fest und bindet sie darüber hinaus an das Völkervertrags- (Art.20 Abs.3 GG in Verbindung mit Art.59 Abs.2 Satz 1 GG) und Völkergewohnheitsrecht (Art.20 Abs.3 GG in Verbindung mit Art.25 GG). | ||
LB 11) Ungeachtet des Umstands, dass die Gewährleistungen der Menschenrechtskonvention in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab sind (BVerfGE_74,102 <128>; BVerfGE_111,307 <317>), hat das Bundesverwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass die deutschen Gerichte eine Pflicht zur vorrangigen Beachtung gefestigter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Menschenrechtskonvention treffe (BVerwGE_110,203 <210>). | ||
LB 12) Im Hinblick auf die internationale Strafgerichtsbarkeit bestimmt Art.16 Abs.2 Satz 2 GG, dass ein Deutscher an einen internationalen Gerichtshof ausgeliefert werden darf, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind. | ||
LB 13) Eine Berücksichtigungspflicht trifft die Fachgerichte auch hinsichtlich der hier relevanten Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs auf dem Gebiet des Konsularrechts. | ||
LB 14) Für Staaten, die nicht an einem Verfahren beteiligt sind, haben die Urteile des Internationalen Gerichtshofs Orientierungswirkung, da die darin vertretene Auslegung Autorität bei der Auslegung der Konvention entfaltet. | ||
LB 15) Hat der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen Art.36 WÜK gerügt, folgt die Beschwerdebefugnis aus seinem Recht auf ein rechtstaatliches, faires Verfahren gemäß Art.2 Abs.1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip. | ||
LB 16) Die Verletzung der Belehrungspflicht gegenüber dem unmittelbaren Betroffenen kann zu einem Verbot der Verwertung der verfahrensfehlerhaft erlangten Aussage auch zugunsten Dritter führen (vgl BGHSt_33,148 <154>). | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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T-06-09 | Grundsatz des fairen Verfahrens | |
"Im Übrigen nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung an und gibt ihnen nach § 93c Abs.1 Satz 1 BVerfGG in Verbindung mit § 93a Abs.2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig und offensichtlich begründet. Ihre Annahme ist zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführer aus Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip angezeigt (§ 93a Abs.2 Buchstabe b BVerfGG). Die in den Verfassungsbeschwerden aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt oder lassen sich ohne weiteres auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung beantworten. | ||
Das Bundesverfassungsgericht hat sich mehrfach mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes befasst und daraus die Pflicht der Fachgerichte zur Berücksichtigung der Entscheidungen eines völkervertraglich ins Leben gerufenen internationalen Gerichts abgeleitet (vgl BVerfGE_74,358 <370>; BVerfGE_111,307 <315 ff> zur Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte). Es hat festgestellt, dass diese verfassungsunmittelbare Berücksichtigungspflicht, die auch bei der Anwendung der Grundrechte zum Tragen kommt (BVerfGE 111, 307 <329>), nicht für jede Bestimmung des Völkerrechts anzunehmen ist, sondern nur, soweit dies von dem in den Art.23 bis 26 GG sowie in den Art.1 Abs.2, Art.16 Abs.2 Satz 2 GG niedergelegten Konzept des Grundgesetzes verlangt wird (BVerfGE_112,1 <25>). Sind diese Bereiche betroffen, muss es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls möglich sein, gestützt auf das einschlägige Grundrecht, in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu rügen, staatliche Organe hätten eine Entscheidung des zuständigen internationalen Gerichts missachtet oder nicht berücksichtigt (BVerfGE_111,307 <329 f>). | ||
1. Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. | ||
a) Im Hinblick auf die Rüge des Verstoßes gegen Art.36 WÜK folgt die Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführer zu II.1. und III. aus ihrem Recht auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren gemäß Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Es ist nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass sich aus der engen Auslegung des Schutzzwecks von Art.36 Abs.1 Buchstabe b Satz 3 WÜK eine Grundrechtsverletzung ergibt. Auch die Beschwerdebefugnis der nicht unmittelbar von dem behaupteten Verfahrensfehler betroffenen Beschwerdeführer zu I.1., I.2. und II.2. ist gegeben. Es ist rechtlich jedenfalls möglich, dass die Verletzung der Belehrungspflicht gegenüber dem unmittelbar Betroffenen zu einem Verbot der Verwertung der verfahrensfehlerhaft erlangten Aussage auch zugunsten Dritter führt. Aus dem rechtsstaatlichen, fairen Verfahren kann sich ergeben, dass sich der Staat eines rechtswidrig erlangten Beweises generell nicht bedienen darf (vgl BGHSt_33,148 <154>). Der diesbezügliche Vortrag der Beschwerdeführer zu I.1., I.2. und II.2. ist auch hinreichend substantiiert, weil er sich mit den insoweit in der Rechtsprechung vertretenen Ansichten auseinandersetzt. | ||
b) Den Verfassungsbeschwerden steht auch nicht der Grundsatz der materiellen Subsidiarität entgegen. Die Beschwerdeführer haben die Verletzung des Art. 36 Abs. 1 WÜK im Instanzenzug ordnungsgemäß gerügt und der Verwertung der Angaben der Beschwerdeführer zu II.1. und III. widersprochen. Im Revisionsrechtszug haben sie die Verfahrensrügen gemäß § 344 Abs.2 StPO auf Verletzungen von Art.36 Abs.1 WÜK gestützt. Sie haben ferner den maßgeblichen Verfahrensgang dargestellt und auch das Urteil des Internationalen Gerichtshofs im "LaGrand-Fall" ordnungsgemäß in die Revision eingeführt. | ||
2. Die Verfassungsbeschwerden sind offensichtlich begründet. Die angegriffenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf ein faires Verfahren gemäß Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. | ||
Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Bedeutung von Verfahrensfehlern im Strafprozess stellt das Recht auf ein faires Verfahren den maßgeblichen Anknüpfungspunkt dar (a). Es ist grundsätzlich Aufgabe des Gesetzgebers, das Recht auf ein faires Verfahren zu konkretisieren (b). Die Fachgerichte sind gemäß Art.59 Abs.2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art.20 Abs.3 GG verpflichtet, Art.36 WÜK ebenso wie das nationale Strafprozessrecht anzuwenden und auszulegen (c). Obwohl der Bundesgerichtshof als zuständiges Fachgericht von Verfassungs wegen verpflichtet war, die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs zum Konsularrechtsübereinkommen zu berücksichtigen (d), hat er Art.36 Abs.1 Buchstabe b Satz 3 WÜK in den angegriffenen Beschlüssen in einer Weise ausgelegt, die derjenigen des Internationalen Gerichtshofs widerspricht (e). Die Missachtung der Berücksichtigungspflicht können die Beschwerdeführer als Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip rügen. Der Bundesgerichtshof hat daher zu klären, welche Folgen sich aus dem Verfassungsverstoß für die strafprozessualen Verfahren ergeben (f). ]8) 49 ]8[ a) Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet in Verbindung mit der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art.2 Abs.1 GG das Recht des Beschuldigten auf ein rechtsstaatliches, faires Strafverfahren (BVerfGE_26,66 <71>; BVerfGE_38,105 <111>; BVerfGE_40,95 <99>; BVerfGE_65,171 <174>; BVerfGE_66,313 <318>; BVerfGE_77,65 <76>; BVerfGE_86,288 <317 f>). Es schützt die Subjektstellung, die dem Beschuldigten im rechtlich geordneten Strafprozess zukommt. Der Beschuldigte darf nicht nur Objekt des Verfahrens sein; ihm muss vielmehr auch praktisch die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte aktiv auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl BVerfGE_57,250 <274 f>; BVerfGE_63,332 <337>; BVerfGE_64,135 <145>). Damit ist der Anspruch auf ein faires Verfahren durch das Verlangen nach verfahrensrechtlicher Waffengleichheit zwischen Ankläger und Beschuldigtem gekennzeichnet. Er dient in besonderem Maße dem Schutz des Beschuldigten, für den bis zur Verurteilung | ||
a) Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet in Verbindung mit der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art.2 Abs.1 GG das Recht des Beschuldigten auf ein rechtsstaatliches, faires Strafverfahren (BVerfGE_26,66 <71>; BVerfGE_38,105 <111>; BVerfGE_40,95 <99>; BVerfGE_65,171 <174>; BVerfGE_66,313 <318>; BVerfGE_77,65 <76>; BVerfGE_86,288 <317 f>). Es schützt die Subjektstellung, die dem Beschuldigten im rechtlich geordneten Strafprozess zukommt. Der Beschuldigte darf nicht nur Objekt des Verfahrens sein; ihm muss vielmehr auch praktisch die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte aktiv auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl BVerfGE_57,250 <274 f>; BVerfGE_63,332 <337>; BVerfGE_64,135 <145>). Damit ist der Anspruch auf ein faires Verfahren durch das Verlangen nach verfahrensrechtlicher Waffengleichheit zwischen Ankläger und Beschuldigtem gekennzeichnet. Er dient in besonderem Maße dem Schutz des Beschuldigten, für den bis zur Verurteilung die Vermutung seiner Unschuld streitet (BVerfGE_38,105 <111>). ]9) 50 ]9[ Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung das Erfordernis der Möglichkeit des Beschuldigten, sich wirksam zu verteidigen (vgl nur BVerfGE_56,37 <49>). Dies umfasst zunächst das Recht, in der Hauptverhandlung anwesend zu sein und sich selbst zu verteidigen (BVerfGE_41,246 <249 f> ). Der ausländische Angeklagte hat einen Anspruch, in seiner Muttersprache oder mit einem Dolmetscher den Prozess verfolgen zu können (vgl BVerfGE_40,95 <99>). Gewährleistet ist ferner das Recht, sich in jedem Stadium des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers zu bedienen (BVerfGE_38,105 <118>; BVerfGE_39,156 <168>; BVerfGE_66,313 <323>). Der Angeklagte muss in jeder Situation des Verfahrens auf dessen Durchführung und damit auf die Wahrheitsermittlung Einfluss nehmen können. ]0) 51 ]0[ b) Der Grundsatz des fairen Verfahrens gehört indes zu den Verfassungsprinzipien abstrakter Natur, der die Heranziehung konkreter Vorschriften des einfachen Rechts nicht ersetzt (vgl dazu Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 39.Lieferung, , P# Stand | ||
Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung das Erfordernis der Möglichkeit des Beschuldigten, sich wirksam zu verteidigen (vgl nur BVerfGE_56,37 <49>). Dies umfasst zunächst das Recht, in der Hauptverhandlung anwesend zu sein und sich selbst zu verteidigen (BVerfGE_41,246 <249 f> ). Der ausländische Angeklagte hat einen Anspruch, in seiner Muttersprache oder mit einem Dolmetscher den Prozess verfolgen zu können (vgl BVerfGE_40,95 <99>). Gewährleistet ist ferner das Recht, sich in jedem Stadium des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers zu bedienen (BVerfGE_38,105 <118>; BVerfGE_39,156 <168>; BVerfGE_66,313 <323>). Der Angeklagte muss in jeder Situation des Verfahrens auf dessen Durchführung und damit auf die Wahrheitsermittlung Einfluss nehmen können. | ||
b) Der Grundsatz des fairen Verfahrens gehört indes zu den Verfassungsprinzipien abstrakter Natur, der die Heranziehung konkreter Vorschriften des einfachen Rechts nicht ersetzt (vgl dazu Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 39.Lieferung, Stand: Juli 2001, Art.2 Abs.1 Rn.72). Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung, dass das Recht auf ein faires Verfahren keine in allen Einzelheiten bestimmten Gebote und Verbote enthält (vgl nur BVerfGE_63,45 <61>). Vielmehr ist es Regelungsauftrag an den Gesetzgeber und Leitlinie für den das Strafverfahren im Rahmen der von der Strafprozessordnung vorgegebenen Regeln gestaltenden Richter, seine Konkretisierung Pflicht der zuständigen Fachgerichte bei der ihnen obliegenden Gesetzesauslegung und -anwendung (BVerfGE_64,135 <146>; BVerfGE_92,277 <326 f>). Demzufolge ist es zunächst Aufgabe des Gesetzgebers, das Recht auf ein faires Verfahren auszugestalten. Er kann dabei zwischen möglichen Alternativen bei der normativen Konkretisierung der grundgesetzlichen Anforderungen wählen. Er kann Rechtsfolgen ihrer Verletzung normieren (vgl § 136a Abs.3 Satz 2 StPO), muss dies aber nicht, da lückenfüllend das Recht auf ein faires Verfahren zur Anwendung gelangt. Die Fachgerichtsbarkeit hat sodann den Schutzgehalt der jeweils in Frage stehenden Verfahrensnorm und anschließend die Rechtsfolgen ihrer Verletzung zu bestimmen. Die Verkennung des Schutzgehalts einer verletzten Verfahrensnorm kann danach ebenso in das Recht des Beschuldigten eingreifen wie eine Überspannung der weiteren Voraussetzungen für die Annahme eines Verwertungsverbots hinsichtlich rechtswidrig gewonnener Beweise (dazu vgl Beschluss der 2.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7.Juli 1995 - 2 BvR 326/92 -, NStZ 1995, S.555). 52 | ||
c) Das faire Verfahren wird allerdings nicht nur durch die Normen der Strafprozessordnung, sondern auch durch völkervertragsrechtliche Vorschriften ausgestaltet. Bundesgesetze im Sinne von Art.59 Abs.2 Satz 1 GG erteilen innerstaatlich den Befehl zur Anwendung der betreffenden völkerrechtlichen Verträge bzw. setzen diese in nationales Recht um. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen völkerrechtliche Verträge wie das Konsularrechtsübereinkommen, denen die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist, im Range eines Bundesgesetzes (vgl BVerfGE_74,358 <370>; BVerfGE_82,106 <120>; BVerfGE_111,307 <317> ). Diese Rangzuweisung führt in Verbindung mit Art.20 Abs.3 GG dazu, dass deutsche Gerichte das anwendbare Völkervertragsrecht wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben (vgl nurBVerfGE_111,307 <317>). Ist eine völkerrechtliche Norm in den Rang des Gewohnheitsrechts erwachsen, sind die Behörden und Gerichte der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art.25 GG grundsätzlich daran gehindert, innerstaatliches Recht in einer die Norm verletzenden Weise auszulegen und anzuwenden (vgl BVerfGE_112,1 <27>). | ||
Art.36 WÜK, der in der deutschen Rechtsordnung damit im Range eines Bundesgesetzes gilt, enthält Vorgaben, die unmittelbar für den deutschen Strafprozess einschließlich des Ermittlungsverfahrens relevant sind, wenn - wie vorliegend - Staatsangehörige eines anderen Vertragsstaats verfolgt werden. Die Norm ist hinreichend bestimmt, um von den Strafverfolgungsbehörden unmittelbar angewendet zu werden; sie bedarf keiner Ausführungsgesetzgebung, sondern ist self-executing (vgl auch Supreme Court of the United States, Sanchez-Llamas v Oregon, Dissenting Opinion Justice Breyer of 28 June 2006 - No.04-10566, im Umdruck S.8; Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 <2005>, S.312 <318>). Daran ändert nichts, dass mit den RiVASt der Normgehalt des Art.36 WÜK innerstaatlich konkretisiert wurde. Denn als Verwaltungsvorschriften haben die RiVASt unmittelbar nur interne Bedeutung. | ||
d) Das Grundgesetz legt die deutsche öffentliche Gewalt programmatisch auf die internationale Zusammenarbeit (Art.24 GG) und die europäische Integration (Art.23 GG) fest und bindet sie darüber hinaus an das Völkervertrags- (Art.20 Abs.3 GG in Verbindung mit Art.59 Abs.2 Satz 1 GG) und Völkergewohnheitsrecht (Art.20 Abs.3 GG in Verbindung mit Art.25 GG). Es ist Ausdruck der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, dass dieses nach Möglichkeit so auszulegen ist, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht. Hieraus ergibt sich eine verfassungsunmittelbare Pflicht der deutschen Gerichte, einschlägige Judikate der für Deutschland zuständigen internationalen Gerichte zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. | ||
aa) Ungeachtet des Umstands, dass die Gewährleistungen der Menschenrechtskonvention in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab sind (BVerfGE_74,102 <128>; BVerfGE_111,307 <317>), hat das Bundesverwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass die deutschen Gerichte eine Pflicht zur vorrangigen Beachtung gefestigter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Menschenrechtskonvention treffe (BVerwGE_110,203 <210>). Der Auslegung der Konvention durch den Gerichtshof kann über den entschiedenen Einzelfall hinaus eine normative Leitfunktion beigemessen werden, an der sich die Vertragsparteien zu orientieren haben. Diesem Ansatz hat sich der Bundesgerichtshof angeschlossen (vgl BGHSt_45,321 <328 ff>; BVerfgE_47,44 <47 ff>). | ||
bb) Im Hinblick auf die internationale Strafgerichtsbarkeit bestimmt Art.16 Abs.2 Satz 2 GG, dass ein Deutscher an einen internationalen Gerichtshof ausgeliefert werden darf, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind. Die Norm bezieht sich primär auf die internationalen Strafgerichtshöfe im Rahmen der Vereinten Nationen (vgl BTDrucks 14/2668 vom 10.Februar 2000, S.4). Neben die vom UN-Sicherheitsrat als Nebenorgane gegründeten Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda tritt nunmehr der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag. Ebenso wie die genannten Vorgänger ist er für die Anwendung der Normen des Völkerstrafrechts zuständig, ohne territorial auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt zu sein. Internationale Gerichtshöfe im Sinne von Art.16 Abs.2 Satz 2 GG können Urteile mit unmittelbarer Wirkung für Einzelne erlassen. Ihre Rechtsprechung ist von deutschen Gerichten zu beachten, die das internationale Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland anzuwenden haben (vgl. Beschluss der 4.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12.Dezember 2000 - 2 BvR 1290/99 -, NJW 2001, S.1848 <1849>). Für den Bereich der internationalen Strafgerichtsbarkeit bildet Art.16 Abs.2 Satz 2 GG damit die Grundlage der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Berücksichtigung der Entscheidungen der zuständigen internationalen Gerichte und Tribunale auch bei der Auslegung der Grundrechte (vgl BVerfGE_112,1 <25>). | ||
cc) Eine solche Berücksichtigungspflicht trifft die Fachgerichte auch hinsichtlich der hier relevanten Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs auf dem Gebiet des Konsularrechts. | ||
Zwar ordnet das Grundgesetz nicht allgemein die Unterwerfung der deutschen Rechtsordnung unter das Völkerrecht und einen Geltungsvorrang der Völkerrechtsordnung vor dem Verfassungsrecht an. Nur soweit das Grundgesetz die Staatsorgane mittelbar in den Dienst der Durchsetzung des Völkerrechts stellt und dadurch das Risiko der Nichtbefolgung internationalen Rechts vermindert, kann von einer verfassungsunmittelbaren und rügefähigen Pflicht der deutschen Behörden zur Berücksichtigung der Entscheidungen der zuständigen internationalen Gerichtsbarkeit auch bei der Auslegung der Grundrechte ausgegangen werden. Die Pflicht der Fachgerichte, die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs zum Konsularrechtsübereinkommen zu berücksichtigen, ergibt sich vorliegend indes aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes in Verbindung mit der Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art.20 Abs.3 GG iVm Art.59 Abs.2 GG), welche die Entscheidungen eines völkerrechtlich ins Leben gerufenen internationalen Gerichts nach Maßgabe des Inhalts des inkorporierten völkerrechtlichen Vertrags umfasst (vgl BVerfGE_111,307 <319>; Beschluss der 1.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1.März 2004 - 2 BvR 1570/03 -, NVwZ 2004, S.852 <853>). Daher kann dahinstehen, ob es sich bei Art. 36 WÜK um ein Menschenrecht im Sinne von Art.1 Abs.2 GG handelt, wie dies die Bundesrepublik
Deutschland im LaGrand-Verfahren ebenso wie Mexiko im Avena-Fall vertreten hatte (dazu Oellers-Frahm, Die Entscheidung des IGH im Fall LaGrand - ein Markstein in der Rechtsprechung des IGH, in: Marauhn | ||
(1) Gemäß Art.60 IGH-Statut sind die Urteile des Internationalen Gerichtshofs endgültig und unterliegen keinen Rechtsmitteln. Sie erwachsen damit in formelle Rechtskraft. In materieller Hinsicht erstreckt sich ihre Bindungswirkung ausschließlich auf die Parteien des Rechtsstreits in Bezug auf die konkrete Sache (vgl Art.94 Abs.1 UN-Charta, Art.59 IGH-Statut). Die materielle Rechtskraft der Urteile ist damit grundsätzlich durch die personellen und sachlichen Grenzen des Streitgegenstandes begrenzt. Andererseits hat der Internationale Gerichtshof im Avena-Fall festgestellt, dass die im US-amerikanischen Recht bestehende Möglichkeit eines Gnadengesuchs (so genannte clemency procedure) nicht den völkerrechtlichen Anforderungen an das Vorliegen eines Rechtsweges genügt, der dem Beschuldigten hinsichtlich möglicher Verletzungen von Art.36 Abs.1 WÜK offenstehen müsse (IGH, aaO, S.619 f, Ziffer 143). Dies zeigt, dass Urteile des Internationalen Gerichtshofs jedenfalls dann in die innerstaatliche Rechtsordnung hineinwirken, wenn - wie hier - individualschützende Normen in Rede stehen. Sie verfügen allerdings nicht über eine die Rechtskraft nationaler Entscheidungen beseitigende Wirkung. Insofern kann die genaue Art und Weise des Hineinwirkens nicht allein auf der Grundlage des Völkerrechts beurteilt werden. | ||
(2) Diesbezüglich ergibt sich aus dem Zusammenspiel der sachgebietsbezogen obligatorischen Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs auf dem Gebiet des Konsularrechts, der begrenzten materiellen Rechtskraft seiner Entscheidungen, dem Status der Bundesrepublik Deutschland als Vertragspartei des Konsularrechtsübereinkommens und des Fakultativprotokolls sowie der innerstaatlichen Umsetzung dieser völkerrechtlichen Verträge, dass die nationalen Gerichte jedenfalls solche Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs zu berücksichtigen haben, die auf dem Gebiet des Konsularrechts in konkreten Rechtsstreitigkeiten gegenüber der Bundesrepublik Deutschland ergehen. Dieses Ergebnis folgt zwingend aus der verfassungsrechtlichen Bindung der Träger der deutschen öffentlichen Gewalt an die von der Bundesrepublik Deutschland geschlossenen völkerrechtlichen Verträge in ihrer Auslegung durch die zuständige internationale Gerichtsbarkeit (Art.59 Abs.2 GG iVm Art.20 Abs.3 GG). Hat sich die Bundesrepublik Deutschland hingegen nicht der sachgebietsbezogen obligatorischen Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs unterworfen, kommt eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Berücksichtigung seiner Entscheidungen nicht in Betracht. ]A0) 61 ]A0[ (3) Die innerstaatlichen Wirkungen der Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs erschöpfen sich jedoch nicht in einer aus Art.20 Abs.3 GG in Verbindung mit Art.59 Abs.2 GG abzuleitenden und auf die den konkreten Entscheidungen zugrunde liegenden Lebenssachverhalte begrenzten Berücksichtigungspflicht. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes begegnete eine Begrenzung der Berücksichtigungspflicht auf die unter deutscher Beteiligung entschiedenen Einzelfälle Bedenken. Für Staaten, die nicht an einem Verfahren beteiligt sind, haben die Urteile des Internationalen Gerichtshofs Orientierungswirkung, da die darin vertretene Auslegung Autorität bei der Auslegung der Konvention entfaltet. Die besondere Bedeutung der Entscheidungen ergibt sich ferner aus der institutionellen Stellung des Internationalen Gerichtshofs als "Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen" (Art.92 UN-Charta), das nach Art.I des Fakultativprotokolls zum Konsularrechtsübere | ||
(3) Die innerstaatlichen Wirkungen der Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs erschöpfen sich jedoch nicht in einer aus Art.20 Abs.3 GG in Verbindung mit Art.59 Abs.2 GG abzuleitenden und auf die den konkreten Entscheidungen zugrunde liegenden Lebenssachverhalte begrenzten Berücksichtigungspflicht. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes begegnete eine Begrenzung der Berücksichtigungspflicht auf die unter deutscher Beteiligung entschiedenen Einzelfälle Bedenken. Für Staaten, die nicht an einem Verfahren beteiligt sind, haben die Urteile des Internationalen Gerichtshofs Orientierungswirkung, da die darin vertretene Auslegung Autorität bei der Auslegung der Konvention entfaltet. Die besondere Bedeutung der Entscheidungen ergibt sich ferner aus der institutionellen Stellung des Internationalen Gerichtshofs als "Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen" (Art.92 UN-Charta), das nach Art.I des Fakultativprotokolls zum Konsularrechtsübereinkommen zur gerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung des Übereinkommens berufen ist. Faktisch müssen sich die Vertragsstaaten, schon um die künftige Feststellung von Konventionsverletzungen gegen sich zu vermeiden, daher auch nach Urteilen richten, die gegen andere Staaten ergangen sind. | ||
Würde eine Berücksichtigungspflicht hinsichtlich der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs auf den unter deutscher Beteiligung entschiedenen Einzelfall begrenzt, könnte vor dem Hintergrund der jedenfalls faktischen Präzedenzwirkung seiner Entscheidungen (vgl Shahabuddeen, Precedent in the World Court, 1996, S.26 ff) regelmäßig nicht verhindert werden, dass Konflikte zwischen den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland und dem nationalen Recht entstehen. Dergleichen Konflikte will das Grundgesetz mit seinen nach außen blickenden Verfassungsbestimmungen jedoch gerade vermeiden (vgl BVerfGE_74,358 <370>; BVerfgE_111,307 <318>). Deshalb muss der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrags durch den Internationalen Gerichtshof über den entschiedenen Einzelfall hinaus eine normative Leitfunktion beigemessen werden, an der sich die Vertragsparteien zu orientieren haben. Voraussetzung hierfür ist, dass die Bundesrepublik Deutschland Partei des einschlägigen, die in Rede stehenden materiell-rechtlichen Vorgaben enthaltenen völkerrechtlichen Vertrags ist und sich - sei es, wie im Falle des Fakultativprotokolls zum Konsularrechtsübereinkommen, vertraglich, sei es durch einseitige Erklärung - der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs unterworfen hat. Denn andernfalls würde die Art.59 Abs.2 GG zugrunde liegende Wertung, nach der das Völkervertragsrecht in seiner Auslegung durch die zuständige internationale Gerichtsbarkeit innerstaatlich nicht unmittelbar anwendbar ist, missachtet. | ||
e) Der Bundesgerichtshof hat Art.36 WÜK in den angegriffenen Beschlüssen restriktiver als der Internationale Gerichtshof in den Fällen "LaGrand" und "Avena" ausgelegt (aa), ohne sich mit dieser Rechtsprechung hinreichend auseinander gesetzt zu haben (bb). | ||
aa) Die Auslegung von Art.36 WÜK durch den Bundesgerichtshof steht im Zusammenhang mit der Frage, ob sich aus dem Verstoß gegen eine Beweisgewinnungsvorschrift ein Beweisverwertungsverbot ergibt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt ein solches Verbot nur dann in Betracht, wenn die verletzte Verfahrensnorm die Verfahrensstellung des Beschuldigten konstituiert (vgl nur BGHSt_38,214 <219 ff>). Daher wendet er sich in dem angegriffenen Beschluss vom 7. November 2001 ausschließlich der Schutzzweckbestimmung des Art.36 Abs.1 WÜK zu und gelangt zu dem Ergebnis, dass die Norm nicht die Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren berühre. | ||
Diese Auslegung ist nicht mit derjenigen des Internationalen Gerichtshofs in den Urteilen "LaGrand" und "Avena" vereinbar. Anders als der Bundesgerichtshof kam der Internationale Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass Art.36 Abs.1 WÜK ein subjektives Recht auf konsularische Unterstützung bei der effektiven Wahrnehmung der eigenen Verteidigungsrechte einräume. Zur Belehrung über dieses Recht seien alle Strafverfolgungsbehörden einschließlich der vernehmenden Polizeibeamten im Ermittlungsverfahren verpflichtet. Eine Verletzung dieser Rechte ziehe von Völkerrechts wegen die Revisibilität des Strafurteils nach sich. Zweck der Belehrung nach Art.36 Abs.1 Buchstabe b Satz 3 WÜK sei es, dass der Einzelne in den Genuss der in Art.36 Abs.1 Buchstabe c WÜK geregelten Unterstützung seines Heimatstaats kommen könne. Art.36 Abs.1 WÜK verkörpere insofern ein geschlossenes Regelungssystem, das den umfassenden Schutz der Staatsangehörigen des Konsularstaats, die im Empfangsstaat von einer Freiheitsentziehung betroffen sind, gewährleisten wolle. Art.36 Abs.1 Buchstabe c Satz 1 WÜK konstituiere somit die Verteidigungsmöglichkeit und folglich die verfahrensrechtliche Stellung des Beschuldigten. ]B5) 66 ]B5[ Einer teleologischen Reduktion des Art.36 Abs.1 Buchstabe b WÜK gegenüber Ausländern, die im Empfangsstaat ihren Lebensmittelpunkt haben, steht der eindeutige Wortlaut der Norm entgegen, der allein an das formale Kriterium der ausländischen Staatsangehörigkeit anknüpft. Der Internationale Gerichtshof lehnte eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Belehrungspflicht implizit ab, indem er im LaGrand-Fall dem Umstand, dass die Brüder LaGrand ihren Lebensmittelpunkt seit frühester Jugend in den USA hatten, keine rechtliche Bedeutung zumaß. Im Avena-Fall setzte er sich eingehend mit der Frage der Beweislastverteilung hinsichtlich der Frage der Staatsangehörigkeit der betroffenen Individuen auseinander, ohne die Frage des Lebensmittelpunktes auch nur aufzuwerfen (vgl IGH, aaO, S.602 f, Ziffer 54 ff). ]B6) 67 ]B6[ Die Belehrungspflicht obliegt bei alledem allen zuständigen Strafverfolgungsorganen des Empfangsstaats einschließlich der festnehmenden Polizeibeamten. Der Internationale Ger | ||
Einer teleologischen Reduktion des Art.36 Abs.1 Buchstabe b WÜK gegenüber Ausländern, die im Empfangsstaat ihren Lebensmittelpunkt haben, steht der eindeutige Wortlaut der Norm entgegen, der allein an das formale Kriterium der ausländischen Staatsangehörigkeit anknüpft. Der Internationale Gerichtshof lehnte eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Belehrungspflicht implizit ab, indem er im LaGrand-Fall dem Umstand, dass die Brüder LaGrand ihren Lebensmittelpunkt seit frühester Jugend in den USA hatten, keine rechtliche Bedeutung zumaß. Im Avena-Fall setzte er sich eingehend mit der Frage der Beweislastverteilung hinsichtlich der Frage der Staatsangehörigkeit der betroffenen Individuen auseinander, ohne die Frage des Lebensmittelpunktes auch nur aufzuwerfen (vgl IGH, aaO, S.602 f, Ziffer 54 ff). | ||
Die Belehrungspflicht obliegt bei alledem allen zuständigen Strafverfolgungsorganen des Empfangsstaats einschließlich der festnehmenden Polizeibeamten. Der Internationale Gerichtshof stellte im Fall "Avena" klar, dass die Belehrungspflicht nach Art.36 Abs.1 Buchstabe b Satz 3 WÜK ab dem Moment relevant werde, ab welchem die Strafverfolgungsbehörden Kenntnis von der ausländischen Staatsangehörigkeit des Betroffenen erlangten bzw. sich Anhaltspunkte dafür ergäben, dass der Betroffene wahrscheinlich nicht US-Amerikaner sei (IGH, aaO, S.608, Ziffer 88). Dies wird in aller Regel bereits im Zuge der Festnahme - im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung - der Fall sein. | ||
Mit Blick auf die Rechtsfolgen einer Verletzung der Belehrungspflicht aus Art.36 Abs.1 Buchstabe b Satz 3 WÜK konkretisierte der Internationale Gerichtshof Art.36 Abs.2 Halbsatz 2 WÜK dahingehend, dass der Belehrungsausfall das Strafurteil in seiner Gesamtheit, das heißt hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs, revisibel machen müsse. Dem Beschuldigten müsse ein Verfahren offen stehen, welches gewährleiste, dass der Konventionsverletzung ungeachtet des konkreten Ergebnisses der Nachprüfung vollständig Rechnung getragen werde ("which guarantees that full weight is given to the violation of the rights set forth in the Vienna Convention, whatever may be the actual outcome of such review and reconsideration", IGH, aaO, S.619, Ziffer 139). Es dürfe keine Regel des nationalen Prozessrechts bestehen, die die Möglichkeit der Rüge eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht des Wiener Konsularrechtsübereinkommens spezifisch ausschließe. Gleiches habe dann zu gelten, wenn eine allgemeine Regel wie die US-amerikanische procedural default rule mit dem Ergebnis angewendet werde, dass die Rechte des Beschuldigten nicht zum Tragen kommen könnten (IGH, aaO, S.617 f, Ziffern 131, 133 f). Von einer Konventionsverletzung ist vor diesem Hintergrund immer dann auszugehen, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Einzelne ein bestimmtes prozessuales Recht wie die Aussagefreiheit aufgrund der fehlenden konsularischen Unterstützung nicht in vollem Umfang wahrnehmen konnte, und dies nicht revisibel ist. Daraus folgt allerdings nicht, dass im Falle eines Belehrungsfehlers nach Art. 36 Abs.1 Buchstabe b Satz 3 WÜK zwingend von der Unverwertbarkeit der zustande gekommenen Beweisergebnisse auszugehen ist (vgl auch Paulus, Anmerkung zum Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 7.November 2001, StV 2003, S.57 <58>). | ||
bb) Der Bundesgerichtshof hat in dem angegriffenen Beschluss vom 7.November 2001 zwar einführend auf das LaGrand-Urteil verwiesen und zutreffend festgestellt, dass Art.36 Abs.1 WÜK auch subjektive Rechte eines einzelnen Staatsangehörigen begründen könne. Im Zusammenhang mit der eigentlich entscheidungserheblichen Frage nach dem Schutzzweck der Belehrungspflicht hat er sich jedoch nicht mit den Schlussfolgerungen des Internationalen Gerichtshofs auseinandergesetzt. Weder hat der Senat seine abweichende Auffassung hinsichtlich des hinter Art.36 Abs.1 WÜK stehenden Zwecks offengelegt, noch ist er in sonstiger Form auf das LaGrand-Urteil eingegangen. Er hat sich auch nicht auf Grundrechte Dritter oder sonstige Verfassungsbestimmungen gestützt, die gegebenenfalls eine vom Internationalen Gerichtshof abweichende Auslegung des Art.36 WÜK erforderlich gemacht hätten. Die angegriffenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs sind daher nicht mit der verfassungsunmittelbaren Pflicht zur Berücksichtigung der Urteile des Internationalen Gerichtshofs in den Fällen "LaGrand" und "Avena" vereinbar. | ||
f) Die sich aus dem Verstoß gegen die Berücksichtigungspflicht ergebenden Rechtsfolgen sind verfassungsrechtlich nicht festgelegt (vgl BVerfGK 4, 283 <285> zum Verstoß gegen § 136a Abs.1 StPO). Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts beschränkt sich vorliegend auf die Prüfung, ob das fachgerichtliche Auslegungsergebnis die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten verletzt. Soweit der Bundesgerichtshof im Rahmen der erneut auf Grundlage der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs vorzunehmenden Auslegung von Art.36 WÜK zu dem Ergebnis gelangt, dass die schwurgerichtlichen Urteile verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sind, ist es seine Aufgabe, die sich aus diesem Verfahrensfehler ergebenden Konsequenzen festzustellen. | ||
aa) In diesem Sinne ist es dem Bundesgerichtshof nicht genommen, auf seine zu den Folgen von Verstößen gegen Belehrungspflichten entwickelte Rechtsprechung zurückzugreifen (vgl BGHSt_38,214 <219 ff>; BGHSt_47,172 <173 ff>). Danach zieht nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot ist vielmehr aufgrund einer Abwägung der im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen Gebote und Ziele zu treffen. Dabei wird die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Verstößen gegen die in § 136 Abs.1 StPO geregelten Belehrungspflichten nicht ohne Weiteres auf den vorliegenden Fall einer Verletzung von Art.36 WÜK übertragbar sein, zumal die - hier erfolgte - Belehrung über das Recht auf Hinzuziehung eines Verteidigers sich mit der Funktion der Belehrung nach Art.36 Abs.1 WÜK, mit Hilfe des Konsulats einen Rechtsbeistand für den Beschuldigten zu beauftragen, überschneidet. Anders als § 136 Abs.1 StPO knüpft Art.36 Abs.1 WÜK die Belehrungspflicht auch nicht an den Beginn der Vernehmung des Beschuldigten, sondern an seine Festnahme. So entschied der Internationale Gerichtshof im Fall "Avena", dass die Pflicht zur unverzüglichen Belehrung | ||
des Betroffenen nicht dahingehend ausgelegt werden könne, dass die Belehrung einer Vernehmung unbedingt vorauszugehen habe, so dass der Beginn einer Vernehmung vor der Belehrung eine Verletzung von Art.36 WÜK wäre ("cannot be interpreted to signify that the provision of such information must necessarily precede any interrogation, so that the commencement of interrogation before the information is given would be a breach of Article 36", IGH, aaO, S.608, Ziffer 87). | ||
Bei der Beantwortung der Frage, ob hinsichtlich der Aussagen der Beschwerdeführer zu II.1. und III. im Ermittlungsverfahren ein Beweisverwertungsverbot zum Tragen kommt, wird sich der Bundesgerichtshof ferner damit zu beschäftigen haben, dass die Beschwerdeführer in der tatrichterlichen Hauptverhandlung der Verwertung ihrer polizeilichen Aussagen lediglich generell bzw unter Hinweis auf §§ 163a Abs.4 Satz 1, 136 Abs.2 StPO widersprochen haben. Es wird zu klären sein, ob es sich hierbei um allgemeine, die Rüge der Verletzung von Art.36 WÜK umfassende beweisthemenbezogene Verwertungswidersprüche oder lediglich um beweismittelbezogene Verwertungswidersprüche handelte, die sich ausschließlich auf die Rüge der fehlenden anwaltlichen Vertretung bezogen (vgl BGH, Beschluss vom 3.Dezember 2003 - 5 StR 307/03 -, NStZ 2004, S.389 f; BGHSt_39,349 <352 f>). Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass sich keiner der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung ausdrücklich auf einen Verstoß gegen Art.36 WÜK berufen hat. | ||
Für den Fall der Annahme eines Beweisverwertungsverbots wird der Bundesgerichtshof schließlich die Frage nach möglichen Fernwirkungen des Verfahrensfehlers zugunsten der übrigen Beschwerdeführer beantworten müssen. Unter Gesichtspunkten des Rechts auf ein faires Verfahren ist dem Schutzzweck der verletzten Verfahrensnorm maßgebliche Bedeutung zuzumessen. Daher wird unter anderem zu berücksichtigen sein, dass Art.36 Abs.1 WÜK in der - von Verfassungs wegen zu beachtenden - Auslegung durch den Internationalen Gerichtshof primär an die ausländische Staatsangehörigkeit des Betroffenen anknüpft. Die Norm dient in erster Linie dem Schutz des ausländischen Staatsangehörigen im Hinblick auf seine im Vergleich zu Inländern regelmäßig schwächere rechtliche und psychische Position. Diese Auslegung knüpft in der Tendenz an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Reichweite der §§ 53, 53 a, 55, 136 Abs.1 Satz 2 StPO (vgl BGHSt_33,148 <150 ff>) an. | ||
bb) Der Verstoß gegen das Grundrecht der Beschwerdeführer auf ein faires Verfahren nötigt das Bundesverfassungsgericht auch unter dem Gesichtspunkt des Beruhens nicht zu einer Aufhebung der schwurgerichtlichen Urteile. Es ist nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit feststellbar, ob ein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen den möglichen Verfahrensfehlern und den Urteilen besteht. Dies zeigt sich bereits darin, dass sich die Schwurgerichte für die maßgeblichen Feststellungen zwar im Schwerpunkt, jedoch nicht ausschließlich auf die Aussagen der Beschwerdeführer zu II.1. und zu III. gestützt haben. Im Übrigen sind Feststellung und Würdigung des Tatbestands ebenso wie die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall grundsätzlich allein Sache der dafür zuständigen Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht ist keine Superrevisionsinstanz, die in Rechtskraft erwachsene Gerichtsentscheidungen in vollem Umfang auf Rechtsfehler hin überprüft. | ||
Für den Fall der Annahme eines Beweisverwertungsverbots wird der Bundesgerichtshof daher am Maßstab des einfachen Rechts zu prüfen haben, ob die schwurgerichtlichen Urteile auf dem Verfahrensfehler beruhen (vgl § 337 Abs.1 StPO). Von Verfassungs wegen ist es nur dann geboten, einen Verfahrensfehler mit der Folge der zwingenden Aufhebung der mit der Revision angegriffenen Entscheidungen zu versehen, wenn eine Beruhensprüfung wegen Unmöglichkeit oder besonderer Schwierigkeit der Feststellung des Beruhens oder einer vergleichbaren Zusatzbedingung dazu führen würde, dass Verfahrensfehler der betreffenden Art regelmäßig sanktionslos blieben (vgl dazu Lübbe-Wolff, Stufen des Grundrechtsschutzes gegen Verfahrensverstöße, in: Schwarze/Graf Vitzthum | ||
Auszug aus BVerfG B, 19.09.06, - 2_BvR_2115/01 -, www.dfr/BVerfGE, Abs.42 | ||
§§§ |
06.027 | Männliche Bewerber bevorzugt | |
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LB 1) § 611a BGB ist im Lichte des Art.3 Abs.2 GG so auszulegen und anzuwenden, dass Arbeitsuchende bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses wirksam vor Benachteiligungen wegen des Geschlechts geschützt werden (vgl BVerfGE_89,276). | ||
LB 2) Die Auslegung der Norm darf nicht dazu führen, dass es der Arbeitgeber in der Hand hat, durch eine geeignete Verfahrensgestaltung die Chancen von Bewerbern wege ihres Geschlechts so zu mindern, dass seine Entscheidung praktisch unangreifbar wird. | ||
LB 3) Wenn die geschlechtsbedingte Benachteiligung nicht offen zu Tage tritt, muss der Arbeitnehmer zunächst Tatsachen glaubhaft machen, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lassen. Es genügt die Überzeugung des Gerichts von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Geschlechtszugehörigkeit und Nachteil. Solche Vermutungstatsachen können in Äußerungen des Arbeitgebers beziehungsweise anderen Verfahrenshandlungen begründet sein, die die Annahme einer Benachteiligung wegen des Geschlechts nahe legen. | ||
LB 4) Ist die Benachteiligung aus geschlechtsspezifischen Gründen nach diesen Grundsätzen überwiegend wahrscheinlich, muss nunmehr der Arbeitgeber den vollen Beweis führen, dass die Benachteiligung aus rechtlich zulässigen Gründen erfolgte. | ||
LB 5) Zur Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers führt beispielsweise die Verletzung des Gebots zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung gemäß § 611b BGB. | ||
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T-06-10 | Geschlechtsspezifische Diskriminierung | |
"Die Beschwerdeführerin wird durch das Urteil Landesarbeitsgerichts in ihrem Grundrecht aus Art.3 Abs.2 GG verletzt. | ||
a) Nach Art.3 Abs.2 GG sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Über das Diskriminierungsverbot des Art.3 Abs.3 GG hinaus stellt Art.3 Abs.2 GG ein Gleichberechtigungsgebot auf und erstreckt dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit (vgl BVerfGE_85,191 <207>; 92, 91 <109>). Das ist durch die Anfügung von Satz 2 in Art.3 Abs.2 GG ausdrücklich klargestellt worden (vgl BVerfGE_92,91 <109>). Art.3 Abs.2 GG zielt auf die Angleichung der Lebensverhältnisse und die Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter (vgl BVerfGE_85,191 <207>; BVerfGE_89,276 <285>; BVerfGE_109,64 <89>). | ||
Der Erreichung dieser von Art.3 Abs.2 GG gesetzten Ziele dient auch § 611a BGB. Er erstreckt das Diskriminierungsverbot auf private Arbeitsbeziehungen und unternimmt es, Frauen gleiche Chancen im Beruf, insbesondere bei der Begründung eines Arbeits- beziehungsweise Ausbildungsverhältnisses, zu sichern (vgl BVerfGE_89,276 <285>). § 611a BGB ist danach im Lichte des Art. 3 Abs. 2 GG so auszulegen und anzuwenden, dass Arbeitsuchende bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses wirksam vor Benachteiligungen wegen des Geschlechts geschützt werden (vgl BVerfGE_89,276). Die Auslegung der Norm darf nicht dazu führen, dass es der Arbeitgeber in der Hand hat, durch eine geeignete Verfahrensgestaltung die Chancen von Bewerbern wegen ihres Geschlechts so zu mindern, dass seine Entscheidung praktisch unangreifbar wird (vgl BVerfGE_89,276 <288>). | ||
Der Nachweis einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung wird durch die Beweislastregel des § 611a Abs.1 Satz 3 BGB erleichtert. Diese Beweislastregel bezieht sich auf den Benachteiligungsgrund, also auf die Tatsache der Benachteiligung gerade aus geschlechtsspezifischen Gründen. Wenn die geschlechtsbedingte Benachteiligung nicht offen zu Tage tritt, muss der Arbeitnehmer zunächst Tatsachen glaubhaft machen, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lassen. Es genügt die Überzeugung des Gerichts von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Geschlechtszugehörigkeit und Nachteil. Solche Vermutungstatsachen können in Äußerungen des Arbeitgebers beziehungsweise anderen Verfahrenshandlungen begründet sein, die die Annahme einer Benachteiligung wegen des Geschlechts nahe legen. Ist die Benachteiligung aus geschlechtsspezifischen Gründen nach diesen Grundsätzen überwiegend wahrscheinlich, muss nunmehr der Arbeitgeber den vollen Beweis führen, dass die Benachteiligung aus rechtlich zulässigen Gründen erfolgte (vgl BAG, Urteil vom 5.Februar 2004 - 8 AZR 112/03 -, EzA § 611a BGB 2002 Nr.3 mit Anm Herresthal = AP Nr.23 zu § 611a BGB mit Anm Westenberger). | ||
Zur Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers führt beispielsweise die Verletzung des Gebots zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung gemäß § 611 b BGB (vgl BVerfGE_89,276 <287>; Schlachter, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 6.Aufl 2006, § 611b BGB Rn.4). Ein solcher Verstoß begründet grundsätzlich die Vermutung, dass ein Arbeitnehmer eines bestimmten Geschlechts, unabhängig davon, ob noch andere Gründe für die Einstellungsentscheidung maßgeblich waren, wegen seines Geschlechts benachteiligt worden ist (vgl BAG, Urteil vom 27.April 2000 - 8 AZR 295/99 -, Juris; Urteil vom 5.Februar 2004 - 8 AZR 112/03 -, aaO). | ||
Die Auslegung und Anwendung der Gesetze ist allerdings zunächst Sache der Fachgerichte und einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen. Dieses kontrolliert vielmehr nur, ob bei Auslegung und Anwendung einfachen Rechts der Einfluss der Grundrechte grundlegend verkannt ist (vgl BVerfGE_18,85 <92 f>; BVerfGE_89,276 <285>). Das ist nicht nur bei der Auslegung und Anwendung grundrechtsbeschränkender Normen möglich, sondern auch bei Normen, die der Gesetzgeber zur Ausgestaltung des Grundrechtsschutzes erlassen hat (vgl BVerfGE_53,30 <57 f, 62 f>; BVerfGE_89,276 <286>). Bei Vorschriften, die wie § 611a BGB grundrechtliche Schutzpflichten erfüllen sollen, ist das maßgebende Grundrecht dann verletzt, wenn ihre Auslegung und Anwendung den vom Grundrecht vorgezeichneten Schutzzweck grundlegend verfehlt. Dagegen ist es nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts zu kontrollieren, wie die Gerichte den Schutz im Einzelnen auf der Grundlage des einfachen Rechts gewähren und ob ihre Auslegung den bestmöglichen Schutz sichert (vgl BVerfGE_89,276 <286>). | ||
b) Das Landesarbeitsgericht hat den Schutzzweck von Art.3 Abs.2 GG bei der Auslegung und Anwendung des § 611a BGB nicht ausreichend berücksichtigt, sondern grundlegend verfehlt. § 611a BGB gewährt in der Auslegung, die dem angegriffenen Urteil zugrunde liegt, keinen wirksamen Schutz vor einer Diskriminierung wegen des Geschlechts bei der Arbeitsplatzsuche. Eine andere Auslegung, die ein solches Ergebnis vermeidet und dem Diskriminierungsverbot zur Wirksamkeit verhilft, ist aber möglich und mit Wortlaut und Sinn der Vorschrift vereinbar. | ||
Mit der Bezugnahme auf den Text der im Online-Stellendienst der Bundesanstalt für Arbeit erschienenen Anzeige, die auf eine offene Ausbildungsstelle bei der Beklagten und eine Bevorzugung männlicher Bewerber hinwies, hat die Beschwerdeführerin Tatsachen glaubhaft gemacht, die geeignet waren, eine Benachteiligung wegen des Geschlechts gemäß § 611a Abs.1 Satz 3 BGB vermuten zu lassen. Es handelte sich hierbei um eine gegen § 611b BGB verstoßende Stellenausschreibung, die die Vermutung begründen konnte, die Beschwerdeführerin sei wegen ihres Geschlechts von der Beklagten abgelehnt und somit bei einer Stellenbesetzung benachteiligt worden. | ||
Das Landesarbeitsgericht hat sich dieser Erkenntnis bereits deshalb verschlossen, weil es als benachteiligende Maßnahme im Sinne des § 611a Abs.1 Satz 1 BGB fälschlich nicht die zweifellos der Beklagten zuzurechnende Zurückweisung der Bewerbung der Beschwerdeführerin, sondern die Aufnahme des Hinweises auf eine Bevorzugung männlicher Bewerber in die Stellenanzeige angesehen und geprüft hat, ob die darin liegende geschlechtsbezogene Benachteiligung von der Beklagten veranlasst und gewollt war. Diese Rechtsanwendung beruht auf einem grundlegenden Fehlverständnis der Norm, da die benachteiligende Maßnahme im Sinne des § 611a Abs.1 Satz 1 BGB und die Vermutungsbasis für einen geschlechtsbezogenen Benachteiligungsgrund im Sinne des § 611a Abs.1 Satz 3 BGB verwechselt wurden. | ||
Ausgehend von diesem fehlerhaften Standpunkt hat das Landesarbeitsgericht den Verantwortungsbereich der Beklagten für die auf ihre Ausbildungsstelle hinweisende Stellenausschreibung zu eng gezogen, indem es davon ausgegangen ist, dass die Beklagte den Zusatz "Männliche Bewerber bevorzugt" nicht gewollt beziehungsweise nicht in zurechenbarer Weise veranlasst habe und dass deshalb der Tatbestand des § 611a BGB nicht erfüllt sei. Diese Sichtweise würde es dem potentiellen Arbeitgeber ermöglichen, die Verantwortung für ein geschlechtsneutrales Verhalten bei Ausschreibungen, die ihm durch § 611b BGB auferlegt ist, durch die Behauptung, andere Personen seien für den Inhalt der Ausschreibung verantwortlich, auf Dritte abzuwälzen. Damit würde der grundsätzlich anerkannte Indizwert einer Stellenausschreibung mit geschlechtsbezogener Formulierung ausgehebelt. Der Bewerber wird in der Regel kaum in der Lage sein zu ermitteln, wie es im Einzelnen zu der Stellenausschreibung gekommen ist und ob Zeugen vorhanden sind, welche die Behauptung des Arbeitgebers, der Text der Anzeige gehe nicht auf seine Veranlassung zurück, widerlegen können. Dadurch wäre die Möglichkeit, sich auf eine vom Arbeitgeber zu verantwortende Stellenausschreibung als Vermutungsbasis für eine geschlechtsbezogene Diskriminierung zu berufen, erheblich eingeschränkt. Der Arbeitgeber kann die Gesetzmäßigkeit der Ausschreibung ohne weiteres überwachen. Ihn trifft im Falle der Fremdausschreibung eine entsprechende Sorgfaltspflicht (vgl BAG, Urteil vom 5.Februar 2004 - 8 AZR 112/03 -, EzA § 611a BGB 2002 Nr.3). Das Landesarbeitsgericht hat demgegenüber fälschlich angenommen, es sei nicht Aufgabe der Beklagten gewesen, die Ausschreibungen in der elektronischen Stellenbörse der Bundesanstalt für Arbeit zu überprüfen. Bei einer derartigen Anwendung der §§ 611a, 611b BGB ergäbe sich aus diesen, den Grundrechtsschutz des Art.3 Abs.2 GG ausgestaltenden Vorschriften kein ausreichender, wirkungsvoller Schutz vor geschlechtsbezogener Diskriminierung mehr, weil sich der Arbeitgeber seiner Verantwortung unschwer entziehen könnte. Die Auslegung der Norm durch das Landesarbeitsgericht ist daher mit dem Schutzzweck des Art.3 Abs.2 GG nicht zu vereinbaren. | ||
c) Das Berufungsurteil des Landesarbeitsgerichts beruht auf der grundlegenden Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art.3 Abs.2 GG für die Auslegung und Anwendung der §§ 611a, 611b BGB. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landesarbeitsgericht zu einem für die Beschwerdeführerin günstigen Ergebnis gekommen wäre, wenn es nicht angenommen hätte, dass es bereits an einer dem Arbeitgeber zurechenbaren, geschlechtsbezogenen Benachteiligung der Beschwerdeführerin fehle, weil der Arbeitgeber den Hinweis auf eine Bevorzugung männlicher Bewerber in der Stellenausschreibung weder gewollt noch veranlasst habe. War die vorliegende Stellenausschreibung grundsätzlich geeignet, die Vermutung für eine Diskriminierung wegen des Geschlechts zu begründen, so kann es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die weiteren, vom Landesarbeitsgericht ausdrücklich offen gelassenen Umstände ankommen, etwa ob das Stellenbesetzungsverfahren zum Zeitpunkt der Bewerbung der Beschwerdeführerin bereits abgeschlossen war, wie viele Ausbildungsplätze welcher Art zu besetzen waren und Bewerber welchen Geschlechts letztlich eingestellt wurden. Das Landesarbeitsgericht hat, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, diese Tatsachen nicht weiter aufgeklärt und die vom Arbeitsgericht erhobenen Beweise, soweit sie sich auf diese Tatsachen bezogen, nicht gewürdigt." | ||
Auszug aus BVerfG B, 21.09.06, - 1_BvR_308/03 -,www.dfr/BVerfGE, Abs.11 ff | ||
§§§ |
06.028 | Wohnungsdurchsuchung | |
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LB 1) Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei in einer Großstadt gewöhnlicherweise am späten Nachmittag oder frühen Abend nicht zu erlangen. | ||
LB 2) Die Ermittlungsbehörden haben auch eine erlaubte Durchsuchung auf das erforderliche Maß zu begrenzen, um die Integrität der Wohnung nicht mehr als nötig zu beeinträchtigen. Es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, zur Suche nach der Tatwaffe einer Messerstecherei einen Drogenspürhund einzusetzen. | ||
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T-06-11 | Wohnungsdurchsuchung - ohne richterlichen Beschluss | |
"Die nicht durch einen richterlichen Beschluss angeordnete Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers durch Polizeibeamte an einem Montag im Juni 2005 gegen 18.00 Uhr verletzte den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art.13 Abs.1 und 2 GG. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen das Grundrecht, indem sie die Durchsuchung für rechtmäßig erklären. | ||
1. Der Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung bedarf der vorherigen richterlichen Genehmigung. Nur bei Gefahr im Verzug darf die richterliche Genehmigung durch die Anordnung eines Staatsanwalts oder eines Ermittlungsbeamten ersetzt werden (Art.13 Abs.2 GG, § 105 Abs.1 Satz 1 StPO). | ||
Das Amtsgericht hat Gefahr im Verzug angenommen, weil um 18.00 Uhr ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss nicht mehr zu erwirken gewesen sei. Das ist von Verfassungs wegen zu beanstanden. Es kann nicht hingenommen werden, dass in einer Stadt der Größe Münchens am frühen Abend gegen 18.00 Uhr eine Wohnung allein auf Grund der Anordnung von Polizeibeamten ohne Gefahr im Verzug und ohne den Versuch, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken, durchsucht wird. | ||
Sowohl die Strafverfolgungsbehörden als auch die Ermittlungsrichter und die Gerichtsorganisation haben im Rahmen des Möglichen sicherzustellen, dass auch in der Masse der Alltagsfälle die in der Verfassung vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters gewahrt bleibt. Die Strafverfolgungsbehörden müssen regelmäßig versuchen, eine Anordnung des instanziell und funktionell zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie eine Durchsuchung beginnen. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei in einer Großstadt gewöhnlicherweise am späten Nachmittag oder frühen Abend nicht zu erlangen. Dem korrespondiert die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters, auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes, zu sichern (vgl BVerfGE_103,142 <155 f> ). Bei Tage (vgl § 104 Abs.3 StPO) muss die Regelzuständigkeit des Ermittlungsrichters uneingeschränkt gewährleistet sein. Deshalb verpflichtet der Richtervorbehalt aus Art.13 Abs.2 GG die Länder insoweit dazu, sowohl innerhalb als auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten für die Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei Tage Sorge zu tragen. Gleichzeitig müssen dem Richter die notwendigen Hilfsmittel für eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zur Verfügung gestellt werden (vgl BVerfGK_2,176 <178>; vgl für den richterlichen Haftdienst: BVerfGE_105,239 <248> ). Soweit es erforderlich erscheint, ist auch sicherzustellen, dass der nichtrichterliche Dienst für den Richter erreichbar ist und gegebenenfalls zur Verfügung steht. | ||
2. Gründe, die die Polizeibeamten selbst bei - unterstelltem - Bestehen eines richterlichen Eildienstes zum sofortigen Durchsuchen der Wohnung des Beschwerdeführers berechtigt hätten, sind weder ersichtlich noch von den Gerichten ansatzweise geprüft worden. | ||
Die Art und Weise der Durchsuchung, nämlich der Einsatz eines Drogenspürhundes, verletzte den Beschwerdeführer ebenfalls in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG. Die Ermittlungsbehörden haben auch eine erlaubte Durchsuchung auf das erforderliche Maß zu begrenzen, um die Integrität der Wohnung nicht mehr als nötig zu beeinträchtigen. Es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, zur Suche nach der Tatwaffe einer Messerstecherei einen Drogenspürhund einzusetzen." | ||
Auszug aus BVerfG B, 28.09.06, - 2_BvR_876/06 -,www.dfr/BVerfGE, Abs.10 ff | ||
§§§ |
06.029 | EG-Anlastungen | |
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1) Art.104a Abs.5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ist in den Fällen der gemeinschaftsrechtlichen Anlastung eine unmittelbar anwendbare Haftungsgrundlage. Die Haftung ist verschuldensunabhängig. | ||
2) Der Bund hat sich in diesen Fällen mögliche Mitverursachungsbeiträge anrechnen zu lassen. | ||
§§§ |
06.030 | Ergänzungszuweisungen | |
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1) Ergänzungszuweisungen des Bundes gemäß Art.107 Abs.2 Satz 3 GG sind abschließender Bestandteil des mehrstufigen Systems zur Verteilung des Finanzaufkommens im Bundesstaat. Diese Verteilung zielt insgesamt darauf ab, Bund und Ländern die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben in staatlicher Eigenständigkeit und Eigenverantwortung finanziell zu ermöglichen. | ||
2) Sanierungspflichten des Bundes und korrespondierende Ansprüche eines Not leidenden Landes erweisen sich nach Zweck und Systematik des Art.107 Abs.2 Satz 3 GG als Fremdkörper innerhalb des geltenden bundesstaatlichen Finanzausgleichs. Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Sanierung eines Not leidenden Landeshaushalts unterliegen einem strengen Ultima-Ratio-Prinzip. | ||
3) Sanierungshilfen sind nur dann verfassungsrechtlich zulässig und geboten, wenn die Haushaltsnotlage eines Landes relativ - im Verhältnis zu den übrigen Ländern - als extrem zu werten ist, und absolut - nach dem Maßstab der dem Land ver fassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben - ein so extremes Ausmaß erreicht hat, dass ein bundesstaatlicher Notstand eingetreten ist. | ||
4) Ein bundesstaatlicher Notstand im Sinne einer nicht ohne fremde Hilfe abzuwehrenden Existenzbedrohung des Landes als verfassungsgerecht handlungsfähigen Trägers staatlicher Aufgaben setzt voraus, dass das Land alle ihm verfügbaren Möglichkeiten der Abhilfe erschöpft hat, so dass sich eine Bundeshilfe als einzig verbliebener Ausweg darstellt. | ||
§§§ | ||
06.031 | Schweigepflichtentbindung | |
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LB 1) Zur einer dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung entsprechenden Auslegung einer Vertragskausel über die Schweigepflichtentbindung im Rahmen einer Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung. | ||
LB 2) Zu dem Begriff "Sachdienlichkeit" im Zusammenhang mit der Informationserhebenung und der Möglichkeit des Betroffenen diese überprüfen zu können. | ||
§§§ |
06.032 | Prepaid-Karte | |
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LB 1) Zu einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil das eine Klage auf sofortige Löschung von Telekommunikations-Verkehrsdaten nach Ende der Verbindung abwies. | ||
LB 2) Bei der Nutzung einer Prepaid-Karte wird das geschuldete Entgelt unmittelbar nach Verbindungsende ermittelt und von dem Kartenguthaben abgezogen. Dementsprechend ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar, warum eine bis zu einem fiktiven Abrechnungsdatum fortdauernde Speicherung der Verkehrsdaten erheblich kostengünstiger oder gar technisch erforderlich sein soll. | ||
§§§ |
06.033 | Erbschaftssteuer | |
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1) Die durch § 19 Abs.1 ErbStG angeordnete Erhebung der Erbschaftsteuer mit einheitlichen Steuersätzen auf den Wert des Erwerbs ist mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil sie an Steuerwerte anknüpft, deren Ermittlung bei wesentlichen Gruppen von Vermögensgegenständen (Betriebsvermögen, Grundvermögen, Anteilen an Kapitalgesellschaften und land- und forstwirtschaftlichen Betrieben) den Anforderungen des Gleichheitssatzes aus Art.3 Abs.1 GG nicht genügt. | ||
2) a) Die Bewertung des anfallenden Vermögens bei der Ermittlung der erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage muss wegen der dem geltenden Erbschaftsteuerrecht zugrunde liegenden Belastungsentscheidung des Gesetzgebers, den durch Erbfall oder Schenkung anfallenden Vermögenszuwachs zu besteuern, einheitlich am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel ausgerichtet sein. Die Bewertungsmethoden müssen gewährleisten, dass alle Vermögensgegenstände in einem Annäherungswert an den gemeinen Wert erfasst werden.
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Beschluss | Entscheidungsformel: | |
§§§ |
06.034 | Besondere Schwere der Schuld | |
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Die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe über den durch die besondere Schwere der Schuld bedingten Zeitpunkt hinaus aus Gründen der Gefährlichkeit des Straftäters verletzt weder die Garantie der Menschenwürde (Art.1 Abs.1 GG) noch das Freiheitsgrundrecht aus Art.2 Abs.2 Satz 2 GG. Die konkrete und grundsätzlich auch realisierbare Chance des Verurteilten auf Wiedererlangung der Freiheit ist durch strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Entscheidung über die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe sicherzustellen. | ||
§§§ |
06.035 | Vorformulierter Arbeitsvertrag | |
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LB 1) Zur Unvereinbarkeit eine Klausel des Arbeitsvertrages mit § 307 BGB. | ||
LB 2) Nachder stRspr des BVerfG befindet sich der einzelne Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen typischerweise in einer Situation struktureller Unterlegenheit. (vgl BVerfGE_84,212 <229>, BVerfGE_98,365 <395>. | ||
LB 3) Im Bereich des Arbeitslebens steht nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch der Arbeitnehmer unter dem Schutz des Art.12 Abs.1. Vor diesem Hintergrund schützt Art.12 Abs.1 GG auch das Interesse des Arbeitnehmers an zumutbaren Arbeitsbedingungen. | ||
§§§ |
06.036 | Vertrauensverhältnis | |
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LB 1) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass auch schriftliche Äußerungen von Strafgefangenen, deren Post der Briefkontrolle unterliegt, dem Schutz der Vertrauensbeziehung unterfallen können (vgl BVerfGE_90,255 <261>). | ||
LB 2) Der Kreis möglicher Vertrauenspersonen ist dabei nicht auf Ehegatten oder Eltern oder Liebesverhältnisse beschränkt, sonder erstreckt sich auf ähnlich enge Vertrauensverhältnisse. | ||
LB 3) Ist ein Gefangenenbrief an einen Familienangehörigen gerichtet, oder rührt er von einem solchen her, kann Art.6 Abs.1 GG diesen Schutz noch verstärken. | ||
§§§ |
06.037 | Diplomatische Immunität | |
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Zu Anforderungen an den Verzicht auf diplomatische Immunität. | ||
§§§ |
06.038 | Nutzungsentgelt | |
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LB 1) Es gibt keinen durch Art.33 Abs.5 GG geschützten hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums mit dem Inhalt, dass der Dienstherr den Beamten Einkünfte aus Nebentätigkeiten ungeschmäler belassen muss, wenn zu ihrer Erzielung sich der Beamte der Sachausstattung oder des Personals des Dienstherrn bedient. | ||
LB 2) Dies gilt auch für so genannte atypische Nebentätigkeiten (vgl BVerwGE_59,38 <40>), die mit dem Hauptamt eng verzahnt sind, wie dies bei leitenden Klinikärzten mit eigenem Liquidationsrecht der Fall ist. | ||
LB 3) Die Nichtberücksichtigung des Wahlarztabschlags bei einem Vorteilsvergleich mit der Einkommenssituation freiberuflicher Ärzte beruht auf sachlichen Erwägungen und kann nicht als willkürlich betrachtet werden. | ||
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T-06-12 | Nutzung Klinikeinrichtung - Entgelt | |
"1. Die angegriffenen behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen verstoßen nicht gegen Art. 33 Abs.5 GG. Durch die Festsetzung eines Nutzungsentgelts hat sich das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst nicht über das den leitenden Krankenhausärzten zustehende Liquidationsrecht hinweggesetzt. Es gibt keinen durch Art.33 Abs.5 GG geschützten hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums mit dem Inhalt, dass der Dienstherr dem Beamten Einkünfte aus Nebentätigkeiten ungeschmälert belassen muss, wenn zu ihrer Erzielung sich der Beamte der Sachausstattung oder des Personals des Dienstherrn bedient. Dies gilt auch für so genannte atypische Nebentätigkeiten (vgl BVerwGE_59,38 <40>), die mit dem Hauptamt eng verzahnt sind, wie dies bei leitenden Klinikärzten mit eigenem Liquidationsrecht der Fall ist. Die Einräumung eines solchen Rechts, innerhalb des dienstlichen Tätigkeitsfeldes gleichsam privatwirtschaftlich tätig zu sein, wird hier herkömmlich als erforderlich angesehen, um auch für universitäre Klinikeinrichtungen hochqualifiziertes Leitungspersonal zu gewinnen. Dieser besondere Zweck des atypischen Nebenamtes ändert aber nichts an der Tatsache, dass der liquidationsberechtigte Klinikarzt aus der durch den Dienstherrn bereitgestellten personellen und sachlichen Infrastruktur besonderen Nutzen zieht, der dem Beamten dann auch angemessen in Rechnung gestellt werden darf. Ebensowenig besteht ein allgemeiner Bestands- oder Vertrauensschutz der liquidationsberechtigten Ärzte dahingehend, dass sie wegen der Inanspruchnahme von Personal, Material oder Einrichtungen des Krankenhauses zu keinen weitergehenden Zahlungen verpflichtet werden als zu dem Zeitpunkt, zu dem ihnen die Berechtigung eingeräumt worden ist (vgl BVerfGE_52,303 <343 f>; BVerwGE_112,170 <177>). | ||
2. Mit der Ausgestaltung des Nutzungsentgelts für ärztliche Nebentätigkeiten in den Universitätskliniken hat der hessische Beamtengesetz- und -verordnungsgeber den ihm von Verfassungs wegen zukommenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten. | ||
a) Es ist dem Beamten grundsätzlich nicht verwehrt, seine Schaffenskraft auch außerhalb des Dienstverhältnisses einzusetzen und gegebenenfalls auch wirtschaftlich zu verwerten; dabei ist er grundrechtlich geschützt. Derartige Betätigungen des Beamten unterliegen jedoch den verfassungsimmanenten Schranken des Art.33 Abs.5 GG. Der Grundrechtsbetätigung des Beamten sind daher verfassungsunmittelbare Grenzen gezogen, die sich aus den allgemeinen Anforderungen an den öffentlichen Dienst und aus den besonderen Erfordernissen des jeweiligen öffentlichen Amtes ergeben (vgl BVerfGE_39,334 <366 f>; BVerfGE_108,282 <296> ). Zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, die eine privatnützige Erwerbstätigkeit des Beamten danach beschränken können, zählt insbesondere der das besondere Dienst- und Treueverhältnis prägende Grundsatz, dass der Beamte verpflichtet ist, dem Dienstherrn seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen und sich dem ihm anvertrauten Hauptamt mit voller Hingabe zu widmen (vgl BVerfGE_21,329 <345> ). Im Interesse der pflichtgemäßen und vollwertigen Diensterfüllung ist der Beamtengesetzgeber daher zur Einschränkung von Nebentätigkeiten befugt (vgl BVerwGE_84,299 <301 f>; Papier, DÖV_84,536 <539>). Es ist ihm dabei auch unbenommen, neben dem Instrumentarium der Genehmigungsversagung bei konkreter Besorgnis der Beeinträchtigung dienstlicher Interessen auf andere Gestaltungsformen, wie etwa die Verringerung von Nebentätigkeitsvergütungen, zurückzugreifen (vgl BVerfGE_55,207 <238>). | ||
b) Dem stehen auch mit Blick auf die Alimentationsverpflichtung des Dienstherrn verfassungsrechtliche Bedenken nicht entgegen. Vielmehr stellt der Alimentationsgrundsatz eine Verpflichtung dar, die sich von ihrer Grundlage her prinzipiell nicht aufteilen lässt und dem seiner Struktur nach als umfassende Einheit zu verstehenden Dienstverhältnis entspricht (vgl BVerfGE_55,207 <237> ). Eine verfassungskräftige Verpflichtung, dem Beamten jedenfalls den überwiegenden Anteil der in privater Nebentätigkeit erzielten Einkünfte zu belassen, besteht demnach nicht. Der vom Beschwerdeführer in den Vordergrund gerückte "Halbteilungsgrundsatz" entbehrt damit bereits einer im Verfassungsrecht wurzelnden Grundlage. Eine Absicherung durch die Vorschriften des Grundgesetzes erfährt vielmehr nur der dem Beamten zustehende Anspruch auf amtsangemessene Alimentierung. Danach kann der Gesetzgeber die Struktur der Bezüge ändern und auch kürzen, solange sie nicht an der Untergrenze der verbürgten Alimentierung liegen (vgl VerfGE_44,249 <263> ). Dass die den beamteten Krankenhausärzten insgesamt verbleibenden Beträge diese Grenze nicht unterschreiten, liegt auf der Hand und ist auch vom Beschwerdeführer nicht bestritten worden. | ||
c) Auch aus den besonderen Eigenheiten des konkreten Amtes eines leitenden Krankenhausarztes folgt nichts anderes. Dies ergibt sich schon daraus, dass es sich bei den in Rede stehenden Nebentätigkeiten beamteter Krankenhausärzte um Tätigkeiten handelt, die zu den originären Hauptpflichten der leitenden Ärzte zählen. Denn die Versorgung von Patienten in der Klinik ist der Zweck dieser Einrichtung, gleichgültig ob es sich dabei um Kassen- oder Privatpatienten handelt. Die praktizierte Aufspaltung, nach der die Behandlung von Kassenpatienten dem Hauptamt zugeordnet, die traditionell entstandene Versorgung der Privatpatienten dagegen als Nebentätigkeit mit getrennter honorarmäßiger Eigenliquidation behandelt wird, erweist sich in beamtenrechtlicher Hinsicht daher als "atypisch" und nur eingeschränkt systemgerecht (vgl BVerwGE_59,38 <40>; Geis, in: Fürst | ||
Dies gilt um so mehr, als dem Beschwerdeführer ein weit über die bloße Kostenersparnis hinausgehender Nutzungsvorteil verbleibt, der darin besteht, dass er auf die hoch technisierte Infrastruktur der Universitätsklinik zugreifen kann, die dem jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisstand angepasst ist und von einem freiberuflich tätigen Arzt nicht finanziert werden könnte. Insoweit ist auch das Berufsrisiko minimiert, weil der leitende Krankenhausarzt weder die Betriebsstruktur vorhalten noch die Unkosten für Praxisräume, Personal und Einrichtung aufbringen muss (vgl BVerfGE_16,286 <295>) und die Nebentätigkeit auf der gesicherten Grundlage seines voll alimentierten Hauptamtes ausüben kann. | ||
Die Nutzung der Klinikreinrichtungen, für die vom Beschwerdeführer das hier in Rede stehende Entgelt erhoben wird, liegt indessen - wie bereits erwähnt und vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof in dem angegriffenen Urteil zutreffend ausgeführt - auch im Interesse des Dienstherrn, weil für die öffentlich-rechtlichen Körperschaften hochqualifizierte leitende Ärzte, die freiberuflich ein Mehrfaches der besoldungsrechtlich vorgesehenen Einkünfte erzielen, ohne Einräumung des Privatliquidationsrechts möglicherweise nicht zu gewinnen sind. Es liegt nahe, dass die Tätigkeit solcher in besonderem Maße qualifizierter Bediensteter zu einem Reputationszuwachs der jeweiligen Einrichtung führt, die wiederum dem Dienstherrn zugute kommt. | ||
Im Hinblick auf die hier maßgeblichen Regelungen des hessischen Beamtenrechts und die darauf gestützten Entscheidungen, gegen die sich die Verfassungsbeschwerde richtet, kann jedoch nicht festgestellt werden, dass die erwähnten Belange nicht hinreichend berücksichtigt würden. Das Nutzungsentgelt, das der Beschwerdeführer zu entrichten hat, schmälert seine Einnahmen aus der Privatliquidation nicht in einem Umfang, der über die sachlich gerechtfertigte Abschöpfung der dem Beschwerdeführer zufließenden Vorteile hinausginge. Mit dem sich aus den einschlägigen Regelungen ergebenden Satz von 20 vH der Bruttoeinnahmen erreicht das Nutzungsentgelt keine unangemessene, den dargelegten Zielsetzungen widersprechende Höhe. | ||
3. Auch soweit die Verfassungsbeschwerde die Handhabung des gerichtlichen Verfahrens betrifft, erweist sie sich als unbegründet. | ||
a) Die Behauptung, die Verwaltungsgerichte seien systemwidrig von der eigenen Prämisse des "Halbteilungsgrundsatzes" abgewichen, trifft nicht zu. Denn der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat in der angegriffenen Entscheidung nachvollziehbar und unter Bezugnahme auf das einschlägige Schrifttum dargelegt, dass für die insoweit anzustellende Vergleichsberechnung zwar die Abgabe an den Mitarbeiterfonds nach § 14 Abs.4 des Hessischen Krankenhausgesetzes von den Einnahmen abgezogen werden könne, nicht aber die übrigen Kosten für die Ausübung der Nebentätigkeit (wie etwa die Aufwendungen für Versicherungen, eine Sekretärin oder die Privatärztliche Verrechnungsstelle). Denn diese seien nicht in der Sphäre des Dienstherrn, sondern als Folge der Geschäftsorganisation des Beschwerdeführers entstanden. Diese Auffassung ist schlüssig und lässt verfassungsrechtlich erhebliche Fehler bei der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts nicht erkennen. Im Übrigen entspricht sie auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl BVerwGE_109,283 <290>). | ||
b) Entsprechendes gilt für den vom Beschwerdeführer beanstandeten Vorwegabzug des Wahlarztabschlages nach § 6a Abs.1 GOÄ bei der Berechnung des dem Beschwerdeführer verbleibenden Vorteils. Denn entgegen der mit der Beschwerde vorgetragenen Auffassung wird insoweit nicht ein Einnahmebestandteil mit Entgeltcharakter abgeschöpft; vielmehr kommt dem Abschlag ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs die Funktion zu, einen (teilweisen) Ausgleich für die bei wahlärztlichen Leistungen nicht entstehenden Praxiskosten niedergelassener Ärzte zu schaffen, der dort mit durchschnittlich mehr als 50 vH angesetzt worden war (vgl BTDrucks 12/3608, S.153). Die Nichtberücksichtigung dieses Anteils bei einem Vorteilsvergleich mit der Einkommenssituation freiberuflicher Ärzte beruht damit auf sachlichen Erwägungen und kann jedenfalls nicht als willkürlich betrachtet werden. | ||
c) Schließlich dringt die Beschwerde auch nicht mit der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs durch. Wie das Bundesverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, war der vom Beschwerdeführer gestellte Beweisantrag zur Höhe des "Risiko-Unternehmerlohns" auf Basis der - für die Beurteilung einer Aufklärungsrüge maßgeblichen - Rechtsauffassung der Instanzgerichte unerheblich. Auf Grundlage der vom Verwaltungsgerichtshof gebilligten Pauschalierung nach dem "Erlass des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst vom 30.Juni 1994 über das Nutzungsentgelt bei ärztlichen Nebentätigkeiten in den hessischen Universitätskliniken" kommt es auf einen entsprechenden Einzelnachweis nicht an. Der Sache nach richtete sich der Vortrag daher gegen die von den Gerichten vertretene Rechtsauffassung. Art.103 Abs.1 GG schützt aber nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (vgl BVerfGE_64,1 <12>; BVerfGE_76,93 <98>)." | ||
Auszug aus BVerfG B, 08.12.06, - 2_BvR_385/05 -,www.dfr/BVerfGE, Abs.8 ff | ||
§§§ |
06.039 | Erfolgshonorar | |
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Das Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare einschließlich des Verbotes der "quota litis" (§ 49b Abs.2 BRAO aF, § 49b Abs.2 Satz 1 BRAO) ist mit Art.12 Abs.1 GG insoweit nicht vereinbar, als es keine Ausnahme für den Fall zulässt, dass der Rechtsanwalt mit der Vereinbarung einer erfolgsbasierten Vergütung besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers Rechnung trägt, die diesen sonst davon abhielten, seine Rechte zu verfolgen. | ||
§§§ |
06.040 | Adhäsionsverfahren |
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LB 1) Nach § 404 Abs.2 StPO treten mit Eingang des Antrags bei Gericht die Wirkungen der Klageerhebung im bürgerlichen Rechtsstreit ein. Mit Einreichung der Klage bei Gericht ist im bürgerlichen Rechtsstreit die Möglichkeit eröffnet, ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 42 ZPO zu stellen. | |
LB 2) Die Rechtsfolgenverweisung des § 404 Abs.2 StPO ist damit in verfassungskonformer Auslegung so zu verstehen, dass sie sich auf die Begründung eines Ablehnungsrechts des Adhäsionsklägers mit Eingang seines Antrags bei Gericht erstreckt. Über ein Ablehnungsgesuch des Adhäsionsklägers ist dann nach den für den Strafprozess geltenden Vorschriften der §§ 22 ff StPO zu entscheiden. | |
§§§ |
2005 | RS-BVerfG - 2006 | 2007 [ ] |
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§§§