2002 | ||
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2001 2003 | [ ] |
02.001 | Schächten |
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1) Die Tätigkeit eines nichtdeutschen gläubigen muslimischen Metzgers, der Tiere ohne Betäubung schlachten (schächten) will, um seinen Kunden in Übereinstimmung mit ihrer Glaubensüberzeugung den Genuss von Fleisch geschächteter Tiere zu ermöglichen, ist verfassungsrechtlich anhand von Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.4 Abs.1 und 2 GG zu beurteilen. | |
2) Im Lichte dieser Verfassungsnormen ist § 4a Abs.1 in Verbindung mit Abs.2 Nr.2 Alternative 2 des Tierschutzgesetzes so auszulegen, dass muslimische Metzger eine Ausnahmegenehmigung für das Schächten erhalten können. | |
§§§ | |
02.002 | Rechtliches Gehör |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
02.003 | Apothekenöffnungszeiten |
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Der Ausschluss der Apotheken von der Teilnahme an verkaufsoffenen Sonntagen gemäß § 14 Abs.4 des Ladenschlussgesetzes ist mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art.12 Abs.1 GG unvereinbar. | |
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Urteil | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
02.004 | Parteiverbot NPD |
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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T-02-01 | Aufhebung mündliche Verhandlung |
"Ein Abteilungsleiter des Bundesministeriums des Innern hat den Berichterstatter telefonisch darüber unterrichtet, dass eine der zur mündlichen Verhandlung geladenen Anhörungspersonen eine Aussagegenehmigung eines Landesamtes für Verfassungsschutz vorlegen werde. Dabei handelt es sich um ein langjähriges Mitglied des Bundesvorstandes und des Vorstandes eines Landesverbandes der Antragsgegnerin. Äußerungen dieser Anhörungsperson sind von den Antragstellern mehrfach als Beleg für die Verfassungswidrigkeit der Antragsgegnerin angeführt worden. | |
Die Termine zur mündlichen Verhandlung sind aufzuheben, weil die Mitteilung des Bundesministeriums des Innern prozessuale und materielle Rechtsfragen - auch hinsichtlich des Beschlusses vom 1.Oktober 2001 - aufwirft, die bis zum Verhandlungstermin nicht geklärt werden können. | |
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen." | |
Auszug aus BVerfG B, 22.01.02, - 2_BvB_1/01 -, www.BVerfG.de, Abs.1 ff | |
§§§ | |
02.005 | Familiendoppelnamen |
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Zur Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses von Familiendoppelnamen. | |
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Urteil | Entscheidungsformel:
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§§§ | |
02.006 | Notebookbeschlagnahme |
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LB 2) Die allein fortdauernde, im Sachentzug bestehende Eingriffswirkung einer Notebookbeschlagnahme, die nur mittelbar für die Beschwerdeführerin aus der Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume folgt, unterfällt nicht dem Schutzbereich des Art.13 Abs.1 GG, sondern dem des Art.14 Abs.1 GG. | |
LB 3) Das Eigentumsrecht, ein Notebook jederzeit nutzen zu können, wird durch § 110 StPO eingeschränkt. | |
LB 4) Im Hinblick auf den Richtervorbehalt des Art.13 Abs.2 GG verliert spätestens nach Ablauf eines halben Jahres der Durchsuchungsbeschluss seine rechtfertigende Kraft. (BVerfGE_96,44 <51 ff>). | |
LB 5) Bei der Durchsicht von Unterlagen nach § 110 StPO beschränkt sich die Eingriffswirkung auf die Fortdauer des Sachentzugs, so dass die Gefahr, dass der Richtervorbehalt nach Art.13 Abs.2 GG in Folge Zeitablaufs leer läuft nicht besteht. | |
LB 6) Ob die Durchsicht nach § 110 StPO unzumutbar lange dauert richtet sich danach ob der damit verbundene Eingriff noch als verhältnismäßig anzusehen ist. | |
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T-02-02 | Anspruch auf faires Verfahren |
"Die Beschwerdeführerin wird nicht in ihrem Recht auf eine effektive Verteidigung als Ausprägung des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art.2 Abs.1 iVm Art.20 Abs.3 GG) verletzt. | |
Aus diesem Recht ergibt sich zwar, dass - über den Wortlaut des § 97 Abs.1 StPO hinaus - Unterlagen, die sich ein Beschuldigter erkennbar zu seiner Verteidigung in dem gegen ihn laufenden Strafverfahren anfertigt, weder beschlagnahmt noch gegen seinen Widerspruch verwertet werden dürfen (BGH, NStZ 1998, S.309 ff). Das Medium, auf dem sich diese Unterlagen befinden, ist in entsprechender Anwendung des § 11 Abs.3 StGB gleichgültig (vgl auch Nack, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 4.Aufl, § 97 Rn.11 und 13), so dass darunter auch lesbare Aufzeichnungen von Computerdaten fallen. Allerdings ist es einem Beschuldigten verwehrt, die Beschlagnahme von Unterlagen schon dadurch zu verhindern, dass er diese einfach als Verteidigungsunterlagen bezeichnet oder mit solchen Unterlagen vermischt. Entscheidend ist, ob ein Beschuldigter die Aufzeichnungen erkennbar, also für einen Außenstehenden nachvollziehbar, zum Zwecke der Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45.Aufl, § 110 Rn.2). | |
Vorliegend ist die Durchsicht der Daten auf dem Notebook - die der Regelung des § 110 StPO unterliegt (BGH-Ermittlungsrichter, CR 1999, S. 292 <293>) - noch nicht abgeschlossen. Dass es sich bei den noch nicht entschlüsselten Daten um Verteidigungsunterlagen handelt, ist nicht offensichtlich. Bis zu deren Entschlüsselung besteht ohnehin keine Gefahr, dass zur Umgehung des rechtsanwaltlichen Zeugnisverweigerungsrechts entsprechende Dateien gelesen werden. Tragfähige Anzeichen dafür, dass der zuständige Staatsanwalt nach der Entschlüsselung des Passwortes sich im Falle des Auffindens von Verteidigungsunterlagen nicht an seine oben aufgezeigte Verpflichtung zur Herausgabe - die bei in einem Computer gespeicherten Dateien die Anfertigung von entsprechenden Kopien der Daten und deren anschließende Löschung auf der Festplatte erfordert - halten werde, liegen nicht vor. Überdies könnten Beschlagnahmeverbote auch noch im anschließenden gerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden. | |
2. Die von der Beschwerdeführerin behauptete Verletzung ihres Grundrechts aus Art.13 GG scheidet von vorneherein aus. Gegenstand des fachgerichtlichen Verfahrens und der Verfassungsbeschwerde ist nicht eine Durchsuchung in dem durch Art.13 Abs.1 GG geschützten Bereich, sondern die Dauer der Sichtung von Daten, die auf einem in amtlicher Verwahrung befindlichen Notebook gespeichert sind. Die allein fortdauernde, im Sachentzug bestehende Eingriffswirkung, die nur mittelbar für die Beschwerdeführerin aus der Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume folgt, unterfällt nicht dem Schutzbereich des Art.13 Abs.1 GG, sondern dem des Art.14 Abs.1 GG. | |
Die Beschwerdeführerin ist jedoch auch nicht in ihrem Eigentumsgrundrecht verletzt. § 110 StPO schränkt insoweit das Recht auf jederzeitige Nutzung des Notebooks und ungehinderten Zugriff auf die darauf gespeicherten Daten ein. | |
Die Vorschrift gibt der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Klärung und Entscheidung, ob sichergestellte Unterlagen, wozu auch lesbare Aufzeichnungen von Daten aus der Software von EDV-Anlagen gehören (BGH, CR 1999, S.292 <293>), zurückzugeben sind oder ob die richterliche Beschlagnahme zu erwirken ist. Diese Phase ist noch zum Vollzug der Durchsuchungsanordnung zu rechnen (BGH, NJW 1995, S.3397). In welchem Umfang die inhaltliche Durchsicht des uU umfangreichen und komplexen Materials notwendig ist, wie sie im Rahmen von § 110 StPO im Einzelnen zu gestalten und wann sie zu beenden ist, unterliegt der Entscheidung der Staatsanwaltschaft (BGH, NJW 1995, S.3397). | |
Die Prüfung der Einhaltung dieser Entscheidungsgrenzen obliegt in erster Linie den dafür allgemein zuständigen Fachgerichten. Insoweit steht dem Betroffenen der - auch von der Beschwerdeführerin gewählte - Antrag nach § 98 Abs.2 Satz 2 StPO analog offen (BGH, CR 1999, S.292 <293>, LG Frankfurt, NStZ 1997, S.564 f). Die fachgerichtlichen Entscheidungen unterliegen jedoch keiner allgemeinen Rechtskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht kann hier nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist; dies ist der Fall, wenn die angegriffene Entscheidung willkürlich erscheint (vgl BVerfGE_18,85 <96>) oder auf Auslegungsfehlern beruht, die eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung und Reichweite eines Grundrechts erkennen lassen (vgl BVerfGE_18,85 <92 f>). | |
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin sind die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 27.Mai 1997 zur zeitlichen Geltung von Durchsuchungsbeschlüssen aufgestellten Grundsätze (BVerfGE_96,44 <51 ff.>) auf die Phase der Durchsicht von Unterlagen nach § 110 StPO nicht anzuwenden (aA Hoffmann/Wißmann, NStZ 1998, S.443 <444>). In jener Entscheidung ging es um die Frage, ob die Staatsanwaltschaft eine Wohnungsdurchsuchung auf Grund einer richterlichen Durchsuchungsgestattung durchführen darf, die schon längere Zeit zurück liegt. Das Bundesverfassungsgericht hat im Hinblick auf den Richtervorbehalt des Art.13 Abs.2 GG insoweit die Regel aufgestellt, dass spätestens nach Ablauf eines halben Jahres der Durchsuchungsbeschluss seine rechtfertigende Kraft verliert, weil nach diesem Zeitraum durch den weiteren Gang der Ermittlungen sich regelmäßig die tatsächliche Entscheidungsgrundlage zu weit von dem Entscheidungsinhalt entfernt hat. Diese Grundsätze sind auf die vorliegende Fallkonstellation nicht übertragbar. In der Phase der Durchsicht nach § 110 StPO kommt es zu keinem Eingriff in den Schutzbereich des Art.13 GG. Die Eingriffswirkung beschränkt sich vielmehr auf die Fortdauer des Sachentzugs. Eine Gefahr, dass der Richtervorbehalt nach Art.13 Abs.2 GG in Folge Zeitablaufs leer läuft, besteht mithin nicht. | |
Die Fachgerichte haben sich auch damit auseinander gesetzt, ob die Durchsicht nach § 110 StPO unzumutbar lange andauert oder ob der damit verbundene Eingriff noch als verhältnismäßig anzusehen ist. Sie haben den Grund für die lange Dauer der Maßnahme, den Grad des Eingriffs in Grundrechte der Beschwerdeführerin und das Gewicht der zugrundeliegenden Tatvorwürfe gegeneinander abgewogen. Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Grenzen der Verhältnismäßigkeit gewahrt sind. Gemessen an den oben dargelegten Kriterien zur Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen (vgl BVerfGE_18,85 <92 f, 96>) hält sich die Abwägung im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen und Gebotenen. Deren Ergebnis entzieht sich einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht, denn es hat nicht seine eigene Wertung nach Art eines Rechtsmittelgerichts an die Stelle derjenigen des zuständigen Richters zu setzen. Ob die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte in jeder Hinsicht zutreffend gewichtet worden sind oder ob eine andere Beurteilung näher gelegen hätte, unterfällt daher nicht seiner Entscheidung (vgl BVerfGE_95,96 <141>). | |
Auszug aus BVerfG U, 30.01.02, - 1_BvR_2248/00 -, www.BVerfG.de, Abs.3 f | |
§§§ | |
02.007 | Familienarbeit |
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Zur Gleichwertigkeit von Familien- und Erwerbsarbeit bei der Bemessung nachehelichen Unterhalts. | |
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T-02-03 | Nachehelicher Unterhalt |
"1. a) Art.6 Abs.1 in Verbindung mit Art.3 Abs.2 GG schützt die Ehe als eine Lebensgemeinschaft gleichberechtigter Partner (vgl BVerfGE_35,382 <408>; BVerfGE_103,89 <101>), in der die Ehegatten ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung in gemeinsamer Verantwortung bestimmen (vgl BVerfGE_57,361 <390>; BVerfGE_61,319 <347> ). Zur selbstverantwortlichen Lebensgestaltung gehören neben der Entscheidung, ob die Ehegatten Kinder haben wollen, insbesondere auch die Vereinbarung über die innerfamiliäre Arbeitsteilung und die Entscheidung, wie das gemeinsame Familieneinkommen durch Erwerbsarbeit gesichert werden soll (vgl BVerfGE_61,319 <347>; BVerfGE_66,84 <94>; BVerfGE_68, 256 <268> ). Dabei steht es den Ehepartnern frei, ihre Ehe so zu führen, dass ein Ehepartner allein einer Berufstätigkeit nachgeht und der andere sich der Familienarbeit widmet, ebenso wie sie sich dafür entscheiden können, beide einen Beruf ganz oder teilweise auszuüben und sich die Hausarbeit und Kinderbetreuung zu teilen oder diese durch Dritte durchführen zu lassen (vgl BVerfGE_39,169 <183>; BVerfGE_48,327 <338>; BVerfGE_99,216 <231>). | |
b) Kommen den Ehegatten gleiches Recht und gleiche Verantwortung bei der Ausgestaltung ihres Ehe- und Familienlebens zu, so sind auch die Leistungen, die sie jeweils im Rahmen der von ihnen in gemeinsamer Entscheidung getroffenen Arbeits- und Aufgabenzuweisung erbringen, als gleichwertig anzusehen (vgl BVerfGE_37, 217 <251>; BVerfGE_47,1 <24>; BVerfGE_53, 257 <296>; BVerfGE_66,84 <94>; BVerfGE_79,106 <126> ). Haushaltsführung und Kinderbetreuung haben für das gemeinsame Leben der Ehepartner keinen geringeren Wert als Einkünfte, die dem Haushalt zur Verfügung stehen. Gleichermaßen prägen sie die ehelichen Lebensverhältnisse und tragen zum Unterhalt der Familie bei. | |
Allerdings bemisst sich die Gleichwertigkeit der familiären Unterhaltsbeiträge von Ehegatten nicht an der Höhe des Erwerbseinkommens, das einer oder beide Ehegatten erzielen, oder am wirtschaftlichen Wert der Familienarbeit und an deren Umfang. Sie drückt vielmehr aus, dass die von den Ehegatten für die eheliche Gemeinschaft jeweils erbrachten Leistungen gerade unabhängig von ihrer ökonomischen Bewertung gleichgewichtig sind und deshalb kein Beitrag eines Ehegatten höher oder niedriger bewertet werden darf als der des anderen. Dem tragen auch die Regelungen der §§ 1360 Satz 2 und 1606 Abs.3 Satz 2 BGB Rechnung, die die Gleichwertigkeit der Unterhaltsbeiträge von Ehegatten einfach-rechtlich normieren und einen rechnerischen Leistungsausgleich zwischen den Ehegatten ausschließen. | |
c) Sind die Leistungen, die Ehegatten im gemeinsamen Unterhaltsverband erbringen, gleichwertig, haben beide Ehegatten grundsätzlich auch Anspruch auf gleiche Teilhabe am gemeinsam Erwirtschafteten, das ihnen zu gleichen Teilen zuzuordnen ist. Dies gilt nicht nur für die Zeit des Bestehens der Ehe, sondern entfaltet seine Wirkung auch nach Trennung und Scheidung der Ehegatten auf deren Beziehung hinsichtlich Unterhalt, Versorgung und Aufteilung des gemeinsamen Vermögens (vgl BVerfGE_47,85 <100>; BVerfGE_63,88 <109>). Dem entsprechen die gesetzlichen Regelungen über den Versorgungsausgleich (vgl BVerfGE_53,257 <296>) und den Zugewinnausgleich (vgl BVerfGE_71,364 <386>) bei Scheidung. Insbesondere aber bestimmt der Anspruch auf gleiche Teilhabe am gemeinsam Erarbeiteten auch die unterhaltsrechtliche Beziehung der geschiedenen Eheleute (vgl BVerfGE_63,88 <109> ). Bei der Unterhaltsberechnung ist das Einkommen, das den Lebensstandard der Ehe geprägt hat, den Ehegatten grundsätzlich hälftig zuzuordnen. Seine Höhe ergibt sich regelmäßig aus der Summe der Einkünfte, die den Eheleuten zur gemeinsamen Lebensführung zur Verfügung gestanden hat, gleichgültig, ob sie nur von einem oder beiden Ehegatten erzielt worden sind. Im Allgemeinen stellt die Hälfte dieses gemeinsamen Gesamteinkommens den Teil dar, den es - sofern die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen - unterhaltsrechtlich für denjenigen Ehegatten zu sichern gilt, der nach der Scheidung nicht über ein eigenes Einkommen in entsprechender Höhe verfügt. | |
2. Die ständige Rechtsprechung der Zivilgerichte berücksichtigt bei der Unterhaltsberechnung auch Einkommenszuwächse, die von einem oder beiden Ehegatten erst nach der Ehescheidung erzielt werden, sofern diese Zuwächse einer normalen Entwicklung von Einkommen und beruflichem Verlauf entsprechen (vgl oben A I 1 a). Eine solche Auslegung des Begriffs der ehelichen Lebensverhältnisse, nach denen sich gemäß § 1578 Abs.1 BGB die Höhe des nachehelichen Unterhalts bestimmt, ist dann verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn dabei der aus der Gleichwertigkeit der ehelichen Unterhaltsbeiträge erwachsene Anspruch beider Ehegatten auf Sicherung eines gleichen Lebensstandards auch nach der Ehe bei der Berechnung des nachehelichen Unterhalts im Prinzip gewahrt bleibt. | |
3. Dem werden die angegriffenen Entscheidungen, die sich auf die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stützen, nicht gerecht, wenn sie als Bestandteile des den ehelichen Verhältnissen entsprechenden Gesamteinkommens zwar die Einkommenszuwächse bei der Unterhaltsberechnung berücksichtigen, die der Ehegatte nach der Scheidung erzielt, der schon während der Ehezeit einer Vollerwerbstätigkeit nachgegangen ist, nicht aber diejenigen, die dem in der Ehe nicht oder nur teilweise erwerbstätigen Ehegatten dadurch zufließen, dass er nach der Scheidung eine Teil- oder Vollerwerbstätigkeit wieder aufnimmt. Sie verstoßen damit gegen Art.6 Abs.1 in Verbindung mit Art.3 Abs.2 GG. | |
a) Die Nichtberücksichtigung von nachehelichen Einkommenszuwächsen aus der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit beim Gesamteinkommen, das der Unterhaltsberechnung zu Grunde gelegt wird, führt dazu, dass, gemessen an der ehelichen Einkommenssituation, die auf der Leistung beider Ehegatten beruht, der schon während der Ehezeit erwerbstätige Ehegatte durch die Arbeitsaufnahme des anderen einseitig eine finanzielle Entlastung bei seiner Unterhaltsverpflichtung erfährt. Ihm wird dadurch ein höherer Anteil seines Einkommens belassen als der, der ihm während der Ehe zur Verfügung gestanden hat. Demgegenüber reduziert das zusätzliche Einkommen des in der Ehe nicht oder nur teilweise erwerbstätigen Ehegatten in Höhe dieses Einkommens seinen Unterhaltsanspruch. Es wirkt sich nicht auf seinen Unterhaltsbedarf aus, sondern mindert allein seine Bedürftigkeit. Der von ihm erlangte Einkommenszuwachs kommt damit nicht ihm, sondern lediglich dem anderen geschiedenen Ehepartner zugute. Dieses Ergebnis trägt der Gleichwertigkeit der Leistung, die der nicht erwerbstätige Ehegatte während der Ehezeit erbracht hat, nicht Rechnung. Diese Leistung hat zusätzlich zum Einkommen des anderen Ehegatten in gleicher Weise das eheliche Leben geprägt. Wird diese sich nicht in Geldwert ausdrückende, in der Ehe erbrachte Leistung abgelöst von einer, die entlohnt wird, führt die Nichtberücksichtigung des hierdurch erzielten Einkommens bei der Bestimmung der ehelichen Einkommenssituation im Nachhinein zur Missachtung des Wertes der geleisteten Familienarbeit zu Lasten dessen, der sie in der Ehe erbracht hat. | |
b) Wenn in den angegriffenen Entscheidungen für die Einbeziehung von derartigen Einkommenszuwächsen in das der Unterhaltsberechnung zu Grunde zu legende, die Einkommenssituation der Eheleute bestimmende Gesamteinkommen gefordert wird, eine wieder aufgenommene Erwerbstätigkeit müsse zumindest auf einem gemeinsamen Lebensplan der Ehegatten beruhen, der schon vor der Scheidung wenigstens teilweise verwirklicht worden ist, verkennt dies den Schutz, den Art.6 Abs.1 in Verbindung mit Art.3 Abs.2 GG jedem Ehegatten gewährt. Die Ehegatten können ihre eheliche Beziehung frei und in gemeinsamer gleichberechtigter Entscheidung gestalten. Die Entscheidung über ihre jeweiligen Aufgaben innerhalb der Ehe prägt ihre ehelichen Verhältnisse. Übernimmt dabei einer der Ehegatten die Familienarbeit, verzichtet er auch zugunsten des anderen auf ein eigenes Einkommen. Die Begründung dieses Verzichts liegt in der Ehe. Endet sie durch Scheidung, wird damit der ehelichen Vereinbarung der Grund entzogen. Den während der Ehe auf eigenes Einkommen verzichtenden Ehegatten hieran nach Beendigung der Ehe unterhaltsrechtlich festzuhalten, bedeutet, nunmehr allein ihm die daraus erwachsenden finanziellen Nachteile zuzuweisen, die aufgrund der gemeinsamen Entscheidung in der Ehe beide Ehegatten zu tragen hatten. Dies führt zur Schlechterstellung des die Familienarbeit übernehmenden Ehegatten gegenüber dem, der kontinuierlich einer Erwerbsarbeit auch in der Ehe hat nachgehen können. | |
c) Im Übrigen entspricht die von den Gerichten mit dieser Rechtsauffassung unterstellte Endgültigkeit einer einmal gemeinsam von den Ehegatten getroffenen Arbeitsteilung nicht mehr der Ehewirklichkeit. Seit den siebziger Jahren hat sich das Ausbildungs-, Erwerbs- und Familiengründungsverhalten von Frauen kontinuierlich gewandelt. Während das durchschnittliche Heiratsalter lediger Frauen 1975 noch bei 22,7 Jahren lag, heirateten ledige Frauen 1998 durchschnittlich erst im Alter von 28 Jahren (Statistisches Jahrbuch 1985, S.72 und Statistisches Jahrbuch 2000, S.69). Dies lässt den Schluss zu, dass Frauen heute erst nach Abschluss einer Berufsausbildung und nach einigen Berufsjahren eine Ehe eingehen (vgl Büttner, FamRZ 1999, S.894). Viele Frauen bleiben auch während der Kinderbetreuung berufstätig (Statistisches Jahrbuch 2000, S.108) oder nehmen nach dem Ende der Kinderbetreuungsphase wieder eine Berufstätigkeit auf. So gingen im Mai 2000 74 % der Frauen, deren jüngstes Kind 15 bis 18 Jahre alt war, einer Erwerbstätigkeit nach (Ergebnis des Mikrozensus 2000, vgl Statistisches Bundesamt, Zentralblatt für Jugendrecht 2001, S.278). Dementsprechend ist die Erwerbsquote verheirateter Frauen in der Altersgruppe der 40- bis 45-Jährigen, das heißt in einem Alter, in dem die Kinderbetreuung weitgehend abgeschlossen ist, mit 78 % am höchsten (Statistisches Jahrbuch 2000, S.101). 61 % der Frauen mit mindestens einem minderjährigen Kind arbeiteten im Mai 2000 in einer Teilzeitbeschäftigung (Ergebnis des Mikrozensus 2000, aaO). So zeichnet sich ab, dass inzwischen die noch in den fünfziger und sechziger Jahren dominierende Hausfrauenehe einem nunmehr vorherrschenden Ehebild gewichen ist, das auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie setzt, bei dem nur noch in der Phase aktiver Elternschaft der Typus der Versorgerehe weitgehend erhalten geblieben ist. Dabei strebt die Mehrheit der Frauen eine Verbindung von privater Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit auf der Basis von temporärer Teilzeitarbeit an (vgl Pfau-Effinger, Kultur und Frauenerwerbstätigkeit in Europa 2000, S.144 f). Insoweit wird auch von einer typischen Doppelverdienerehe mit zeitweiliger Aussetzung der Berufstätigkeit wegen der Kinderbetreuung (Gerhardt, FamRZ 2000, S.134) oder von einer Aneinanderreihung der Ehetypen gesprochen (Büttner, FamRZ 1999, S.893 <894>). Deshalb ist davon auszugehen, dass der zeitweilige Verzicht eines Ehegatten auf Erwerbstätigkeit, um die Aufgabe der Kindererziehung zu übernehmen, ebenso die ehelichen Verhältnisse prägt wie die vorher ausgeübte Berufstätigkeit und die danach wieder aufgenommene oder angestrebte Erwerbstätigkeit. Dies verkennen die angegriffenen Entscheidungen, wenn sie allein auf den Zeitpunkt der Scheidung abstellen, vor dem eine Erwerbstätigkeit wieder aufgenommen werden muss, um bei der unterhaltsrechtlichen Bestimmung des die ehelichen Verhältnisse prägenden Gesamteinkommens Berücksichtigung zu finden. | |
4. Wie die von Art.6 Abs.1 in Verbindung mit Art.3 Abs.2 GG gebotene Gleichwertigkeit von geleisteter Familienarbeit und ehelichen Einkünften in Auslegung des Begriffs der ehelichen Lebensverhältnisse nach § 1578 Abs.1 BGB bei der nachehelichen Unterhaltsbemessung zur Geltung zu bringen und wie der Unterhalt zu berechnen ist, haben die Fachgerichte zu beurteilen. Mit seiner Entscheidung vom 13.Juni 2001 (FamRZ 2001, S.986) hat der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung geändert und nunmehr eine Unterhaltsbemessung vorgenommen, die der Gleichwertigkeit der Unterhaltsbeiträge beider Ehegatten Rechnung trägt. Damit, dass er die neue Berufstätigkeit des vorher nicht erwerbstätigen Ehegatten als "Surrogat" der bisher geleisteten Haushaltsführung und Kinderbetreuung angesehen hat, hat der Bundesgerichtshof einen möglichen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Weg aufgezeigt, den Wert, der der Ehe aus der Familienarbeit erwächst, unterhaltsrechtlich zum Tragen zu bringen." | |
Auszug aus BVerfG B, 05.02.02, - 1_BvR_105/95 -, www.BVerfG.de, Abs.28 ff | |
§§§ | |
02.008 | Sozialpfandbrief |
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1) Der Abbau einer nicht mehr gerechtfertigten Steuersubvention dient der folgerichtigen Ausgestaltung der steuergesetzlichen Belastungsgründe und wird so auch im Hinblick auf die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich durch einen hinreichenden Legitimationsgrund getragen. | |
2) Bei unbefristeten und über Jahrzehnte wirkenden Steuervergünstigungen kann der Steuerpflichtige sich nicht darauf berufen, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht zu seinen Lasten verändert werden dürften. | |
§§§ | |
02.009 | KKW-Biblis A |
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1) Der Bund darf im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung (Art.85 GG) alle Aktivitäten entfalten, die er für eine effektive und sachgerechte Vorbereitung und Ausübung seines grundsätzlich unbeschränkten Direktions- und Weisungsrechts für erforderlich hält, soweit er dadurch die Wahrnehmungskompetenz der Länder nicht verletzt. | |
2) Der Bund muß jedoch zuvor die ihm zunächst nur in Form einer "Reservezuständigkeit" verliehene Sachentscheidungsbefugnis erst aktualisieren, indem er diese auf sich überleitet. | |
3) Bestandteil der Aktivitäten des Bundes zur Vorbereitung und Ausübung seines Direktions- und Weisungsrechts können auch unmittelbare Kontakte nach außen, einschließlich etwaiger informaler Absprachen sein. Allerdings ist dem Bund auch auf dem Feld informalen Handelns ein Selbsteintrittsrecht (vgl BVerfGE_81,310 <332>) verwehrt. | |
4) Die Wahrnehmungskompetenz des Landes verletzt der Bund erst dann, wenn er nach außen gegenüber Dritten rechtsverbindlich tätig wird oder durch die Abgabe von Erklärungen, die einer rechtsverbindlichen Entscheidung gleichkommen, die Wahrnehmungskompetenz der Länder an sich zieht. | |
LB 5) Zur abweichenden Meinung der Richter Prof Dr Di Fabio und Mellinghoff, siehe BVerfGE_104,273 = www.BVerfG.de, Abs.96 ff. | |
§§§ | |
02.010 | Vorlageverfahren |
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Ist Gegenstand einer Vorlage nach Art.100 Abs.1 GG die Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung eines Gesetzes, so hat das vorlegende Gericht unter dem Gesichtspunkt der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage vorrangig zu prüfen, ob die Vertrauensschutzregelungen des Verwaltungsverfahrensrechts als Konkretisierungen des Rechtsstaatsprinzips eine rückwirkende Anwendung des Gesetzes auf den dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt erlauben. | |
§§§ | |
02.011 | Wehrpflicht |
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LB 1) Nach § 100 Abs.1 GG iVm § 80 Abs.2 S.1 BVerfGG muß das vorlegende Gericht darlegen inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt. Der Vorlagebeschluss muss mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie das Gericht dieses Ergebnis begründen würde (seit BVerfGE_7,171 <173 f> stRspr, vgl zuletzt BVerfGE_97,49 <60>; BVerfGE_98,169 <199>). Das Gericht muss sich dabei eingehend mit der Rechtslage auseinandersetzen und die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der zur Prüfung vorgelegten Norm von Bedeutung sind (vgl BVerfGE_97,49 <60>; stRspr). | |
LB 2) Zur Darlegungslast des vorlegenden Gerichts bei der konkreten Normenkontrolle, wenn die Vereinbarkeit der Wehrpflicht mit dem Grundgesetz erneut überprüft werden soll. | |
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T-02-04 | Erneute Vorlage an BVerfG |
"1. Hat das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit einer vorgelegten Norm mit dem Grundgesetz bereits in einer früheren Entscheidung bejaht, so ist eine erneute Vorlage nur zulässig, wenn tatsächliche oder rechtliche Veränderungen eingetreten sind, die die Grundlage der früheren Entscheidung berühren und deren Überprüfung nahe legen (vgl BVerfGE_33,199 <203 f>; BVerfGE_39,169 <181>; BVerfGE_65,178 <181>; BVerfGE_78,38 <48>; BVerfGE_87,341 <346>; BVerfGE_94,315 <323> ). An die Begründung einer erneuten Vorlage sind gesteigerte Anforderungen zu stellen. Das vorlegende Gericht muss von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgehen und darlegen, inwiefern sich die für die verfassungsrechtliche Beurteilung maßgebliche Lage verändert haben soll (vgl BVerfGE_87,341 <346> mwN). Diesen Anforderungen genügt die Vorlage nicht. | |
2. Das Landgericht nimmt zwar auf die Entscheidungen Bezug, in denen das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Vereinbarkeit der allgemeinen Wehrpflicht (§ 1 Abs.1 WPflG) mit dem Grundgesetz bejaht hat (vgl BVerfGE_12,45 <49 ff>; BVerfGE_12,311 <316>; BVerfGE_28,243 <261>; BVerfGE_38,154 <167>; BVerfGE_48,127 <159 ff>; BVerfGE_69,1 <21 f>). Es setzt sich aber mit den Begründungen dieser Entscheidungen nicht auseinander. | |
a) Das gilt insbesondere für die Rechtsansicht des Bundesverfassungsgerichts, dass die allgemeine Wehrpflicht verfassungsrechtlich verankert (vgl BVerfGE_12,45 <50 f>; BVerfGE_28,243 <261>; BVerfGE_38,154 <167>; BVerfGE_48,127 <161>) und diese Pflicht daher nicht an dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen ist. | |
In dem Vorlagebeschluss wird dagegen die Auffassung vertreten, dass Art.12a Abs.1 GG eine bloße Eingriffsermächtigung darstelle und die durch das Wehrpflichtgesetz vom 21.Juli 1956 (BGBl I S.651) eingeführte allgemeine Wehrpflicht eine nur einfachgesetzlich begründete Pflicht sei. Das Landgericht erörtert nicht die dem entgegenstehende Rechtsansicht des Bundesverfassungsgerichts (vgl BVerfGE_12,45 <51>; BVerfGE_38,154 <167>; BVerfGE_48,127 <161> ), die weitgehend Zustimmung in der Literatur gefunden hat (vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art.12a Rn 16 - Stand März 2001; Gubelt, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd.1, 5.Aufl 2000, Art.12a Rn 1; Gornig, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd.1, 4.Aufl 1999, Art.12a Rn 6, 7, 20; Heun, in: Dreier, Grundgesetz, Bd.I, 1996, Art.12a Rn 6; K Ipsen/J Ipsen, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art.12a Rn 28 - Stand August 1976). | |
Darüber hinaus misst das Landgericht die allgemeine Wehrpflicht mit der schlichten Feststellung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die dem entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht überzeuge, da jener Grundsatz wie das Übermaßverbot Leitregel allen staatlichen Handelns sei. Die Frage, ob auch Verfassungsnormen am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips überprüft werden dürfen, stellt sich das Gericht nicht. | |
b) Zwar geht auch das Landgericht zunächst davon aus, dass dem Gesetzgeber eine weitgehende, "gerichtlich kaum überprüfbare" Einschätzungsprärogative zukomme. Doch schließt es aus einer vermeintlich einmütigen Analyse der Sicherheitslage durch die politische und militärische Führung darauf, dass dem Gesetzgeber keine andere Wahl bleibe, als die allgemeine Wehrpflicht abzuschaffen. Dabei lässt das Landgericht außer Acht, dass der Verfassungsgeber die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht - im Gegensatz zu den anderen in Art.12a Abs.3, 4 und 6 GG geregelten Dienstpflichten - nicht von weiteren Voraussetzungen, insbesondere nicht vom Vorliegen einer bestimmten sicherheitspolitischen Lage abhängig gemacht hat. | |
c) Das Landgericht übersieht zudem, dass es weitere Gründe geben könnte, an der Wehrpflicht festzuhalten. Hier sei nur beispielhaft auf die bestehenden Bündnisverpflichtungen verwiesen (vgl BVerfGE_48,127 <160>). | |
Die gegenwärtige öffentliche Diskussion für und wider die allgemeine Wehrpflicht zeigt sehr deutlich, dass eine komplexe politische Entscheidung in Rede steht. Die Fragen beispielsweise nach Art und Umfang der militärischen Risikovorsorge, der demokratischen Kontrolle, der Rekrutierung qualifizierten Nachwuchses sowie nach den Kosten einer Wehrpflicht- oder Freiwilligenarmee sind solche der politischen Klugheit und ökonomischen Zweckmäßigkeit, die sich nicht auf eine verfassungsrechtliche Frage reduzieren lassen. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Urteil vom 13.April 1978 ausgeführt hat, ist die dem Gesetzgeber eröffnete Wahl zwischen einer Wehrpflicht- und einer Freiwilligenarmee eine grundlegende staatspolitische Entscheidung, die auf wesentliche Bereiche des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens einwirkt und bei der der Gesetzgeber neben verteidigungspolitischen Gesichtspunkten, auch allgemeinpolitische, wirtschafts- und gesellschaftspolitische Gründe von sehr verschiedenem Gewicht zu bewerten und gegeneinander abzuwägen hat (BVerfGE_48,127 <160 f>). Darum obliegt es nach der gewaltenteilenden Verfassungsordnung des Grundgesetzes zunächst dem Gesetzgeber und | |
den für das Verteidigungswesen zuständigen Organen des Bundes, diejenigen Maßnahmen zu beschließen, die zur Konkretisierung des Verfassungsgrundsatzes der militärischen Landesverteidigung erforderlich sind. Welche Regelungen und Anordnungen notwendig erscheinen, um gemäß der Verfassung und im Rahmen bestehender Bündnisverpflichtungen eine funktionstüchtige Verteidigung zu gewährleisten, haben diese Organe nach weitgehend politischen Erwägungen in eigener Verantwortung zu entscheiden." | |
Auszug aus BVerfG B, 20.02.02, - 2_BvL_5/99 -, www.BVerfG.de, Abs.40 ff | |
§§§ | |
02.012 | Beamtenpension |
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1) Die unterschiedliche Besteuerung der Beamtenpensionen nach § 19 EStG und der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 22 Nr.1 Satz 3 Buchstabe a EStG ist seit dem Jahr 1996 mit dem Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG unvereinbar (Anschluss an BVerfGE_54,11; BVerfGE_86,369). | |
2) Sollen nichtfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele den rechtfertigenden Grund für steuerliche Vergünstigungen bilden, so ist neben einer erkennbaren Entscheidung des Gesetzgebers auch ein Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung des Vergünstigungstatbestands erforderlich. | |
3) Der Gesetzgeber hat im Rahmen der gebotenen Neuregelung die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird. | |
* * * | |
Urteil | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
02.013 | Vermögensstrafe |
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1) Das Gebot der Gesetzesbestimmtheit gilt (Art.103 Abs.2 GG) auch für die Strafandrohung. Strafe als missbilligende hoheitliche Reaktion auf schuldhaftes kriminelles Unrecht muss in Art und Maß durch den parlamentarischen Gesetzgeber normativ bestimmt werden, die für eine Zuwiderhandlung gegen eine Strafnorm drohende Sanktion muss für den Normadressaten vorhersehbar sein. | |
2) Bei der Entscheidung über die Strafandrohung darf der Gesetzgeber nicht nur Bestimmtheit und Rechtssicherheit anstreben. Er muss auch das rechtsstaatliche Schuldprinzip hinreichend berücksichtigen und es dem Richter durch die Ausgestaltung der Sanktion ermöglichen, im Einzelfall eine gerechte und verhältnismäßige Strafe zu verhängen. Schuldprinzip und Rechtsfolgenbestimmtheit stehen in einem Spannungsverhältnis, das in einen verfassungsrechtlich tragfähigen Ausgleich gebracht werden muss. | |
3) Hinsichtlich des Maßes der in Frage kommenden Strafe hat der Gesetzgeber einen Strafrahmen zu bestimmen, dem sich grundsätzlich das Mindestmaß einer Strafe ebenso wie eine Sanktionsobergrenze entnehmen lassen. | |
4) Führt der Gesetzgeber - wie bei der Vermögensstrafe nach § 43a StGB - eine neue Strafart ein, die zudem einen intensiven Grundrechtseingriff zulässt, so ist er gehalten, dem Richter - über die herkömmlichen Strafzumessungsgrundsätze hinaus - besondere Leitlinien an die Hand zu geben, die dessen Entscheidung hinsichtlich der Auswahl und der Bemessung der Sanktion vorhersehbar machen. | |
LB 5) Zur abweichenden Meinung der Richter Jentsch, Di Fabio und Mellinghof siehe BVerfGE_105,172 = www.BVerfG.de, Abs.118 ff. | |
§§§ | |
02.014 | UMTS-Erlöse |
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Art.106 Abs.3 GG verteilt Einnahmen, deren Rechtsqualität feststeht. Nichtsteuerliche Einnahmen können sich auch durch außergewöhnlich hohe Erträge, wie sie herkömmlich nur bei Steuern anfallen, nicht in steuergleiche Einnahmen verwandeln. | |
* * * | |
Urteil | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
02.015 | Qualifizierte Minderheiten |
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1) Die nach Art.44 Abs.1 Satz 1 GG einsetzungsberechtigte Minderheit bestimmt über die Beweiserhebung im Rahmen des Untersuchungsauftrags und innerhalb des Mehrheitsprinzips mit. Der Umfang des Mitgestaltungsanspruchs reicht nicht weiter als derjenige der Mehrheit, ist diesem aber grundsätzlich vom Gewicht her gleich zu erachten. | |
2) Das Recht der qualifizierten Minderheit auf angemessene Berücksichtigung ihrer Beweisanträge besteht auch in einer Mehrheitsenquête. | |
3) Den Beweisanträgen der potentiell einsetzungsberechtigten Minderheit ist grundsätzlich Folge zu leisten, soweit das Antragsrecht nicht sachwidrig oder missbräuchlich ausgeübt wird. | |
4) Die Ablehnung eines Beweisantrags bedarf der Begründung. Das von der Minderheit angerufene Gericht hat sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Begründung der Mehrheit nachvollziehbar und der Wertungsrahmen insbesondere bei der Auslegung des Untersuchungsauftrags in vertretbarer Weise ausgefüllt worden ist. | |
5) Können nach Auffassung der Mehrheit nicht mehr alle Beweisanträge bearbeitet werden, hat sie durch geeignete Verfahrensregeln sicherzustellen, dass die Minderheit angemessen berücksichtigt wird und zu Gehör kommt. | |
§§§ | |
02.016 | Schulgesetz |
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LB 1) Ist ein Hauptsacheverfahren noch nicht anhängig, ist ein Eilantrag nur zulässig, wenn der Streitfall als Hauptsache in zulässiger Weise vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden könnte (vgl BVerfGE_3,267 <277>; BVerfGE_7,367 <371>). | |
LB 2) Soweit eine Einstweilige Anordnung darauf abzielt, den Gesetzgeber von der Beratung über einen eingebrachten Gesetzentwurf abzuhalten, feht es derzeit an einem Hoheitsakt, durch den die Antragsteller in Grundrechten beschwert sein könnten. | |
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T-02-05 | Eingebrachter Gesetzentwurf |
"Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. | |
1. Nach § 32 Abs.1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Eine einstweilige Anordnung kann danach unter anderem dann erlassen werden, wenn sie notwendig ist, um die Effektivität der künftigen Entscheidung in der Hauptsache zu sichern, insbesondere den Eintritt irreversibler Zustände zu verhindern (vgl BVerfGE_42,103 <119> ). Ist ein Hauptsacheverfahren noch nicht anhängig, ist ein Eilantrag nur zulässig, wenn der Streitfall als Hauptsache in zulässiger Weise vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden könnte (vgl BVerfGE_3,267 <277>; BVerfGE_7,367 <371>). | |
2. Danach ist für den Erlass einer einstweiligen Anordnung hier kein Raum. | |
Soweit die Antragsteller mit ihr erreichen wollen, dass der brandenburgische Gesetzgeber über den von der Landesregierung eingebrachten Gesetzentwurf nicht berät, fehlt es derzeit an einem Hoheitsakt, durch den die Antragsteller in Grundrechten - insbesondere gegenwärtig - beschwert sein könnten (zum Zulässigkeitserfordernis einer Beschwer vgl BVerfGE_18,1 <11 f>; BVerfGE_38,326 <335>; BVerfGE_48,64 <79>). Es ist auch noch nicht absehbar, dass und in welcher Weise die Antragsteller durch den Gesetzesbeschluss, den sie verhindern wollen, beschwert sein werden. Die Antragsteller tragen dazu Substantiiertes nicht vor. Offenbar ist ihr eigentliches Antragsziel, den Verfahrensgegenstand zu erhalten, gegen den sich die Verfassungsbeschwerde der Antragsteller zu 1 bis 12 richtet. Darauf haben sie aber - unabhängig davon, dass die Antragsteller zu 13 bis 15 am anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren ohnehin nicht beteiligt sind - keinen Anspruch. Eine Verfassungsbeschwerde vor der Beschlussfassung über ein Änderungsgesetz zum Brandenburgischen Schulgesetz wäre danach unzulässig. Auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt deshalb nicht in Betracht. | |
Das Bundesverfassungsgericht wird im Übrigen über die Anträge in den anhängigen Verfahren entscheiden, soweit diese nach einer Änderung des Brandenburgischen Schulgesetzes nicht durch entsprechende Erklärungen beendet werden. Es ist über das bereits Ausgeführte hinaus nicht ersichtlich, dass es dazu der Sicherung durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung bedürfte." | |
Auszug aus BVerfG B, 23.04.02, - 1_BvR_1412/97 -, www.BVerfGE.de, Abs.7 ff | |
§§§ | |
02.017 | Richtervorbehalt |
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1) Aus Art.104 Abs.2 GG folgt für den Staat die Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters - jedenfalls zur Tageszeit - zu gewährleisten und ihm auch insoweit eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zu ermöglichen. | |
2) Art.104 Abs.2 Satz 3 GG setzt dem Festhalten einer Person ohne richterliche Entscheidung mit dem Ende des auf das Ergreifen folgenden Tages eine äußerste Grenze, befreit aber nicht von der Verpflichtung, eine solche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen. | |
§§§ | |
02.018 | Datenspeicherung |
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LB 1) Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und hat damit Verfassungsrang. | |
LB 2) Sie ist kraft Art.6 Abs.2 EMRK zugleich Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland. | |
LB 3) Die Berücksichtigung und Bewertung von Verdachtsgründen - etwa bei der Auslagenentscheidung nach § 467 Abs.4 StPO - stellt jedoch keine durch die Unschuldsvermutung verbotene Schuldfeststellung oder -zuweisung dar. Die Feststellung des Tatverdachts ist etwas substantiell anderes als eine Schuldfeststellung. | |
LB 4) Die weitere Speicherung und Verwendung in Strafermittlungsverfahren gewonnener Daten zur Verhütung oder Verfolgung künftiger Straftaten steht der Unschuldsvermutung grundsätzlich auch dann nicht entgegen, wenn der Betroffene rechtskäftig freigesprochen worden ist, sofern die Verdachtsmomente dadurch nicht ausgeräumt sind. | |
LB 5) Die Vermutung der Unschuld gilt bis zu einem etwaigen richterlichen Schuldspruch. Kommt es nicht dazu gilt sie fort. Bei der Verfahrensbeendigung durch Einstellung nach § 153 ff StPO oder bei einem Freisspruch, der ausweislich der Gründe aus Mangel an Beweisen erfolgt, ist der Straftatverdacht nicht notwendig ausgeräumt. Darf er Grundlage für Maßnahmen der weiteren Datenspeicherung sein, so steht die Unschuldsvermutung als solche dem nicht entgegen. | |
LB 6) Eine unverzichtbare Voraussetzung der Speicherung ist nach § 39 Abs.3 Satz 1 des NGefAG der Straftatverdacht. | |
LB 7) Im Falle eines Freispruchs oder der Verfahrenseinstellung bedarf es daher der Überprüfung, ob noch Verdachtsmomente gegen den Betroffenen bestehen, die eine Fortdauer der Speicherung zur präventiv-polizeilichen Verbrechensbekämpfung rechtfertigen. | |
LB 8) Weitere Voraussetzung der Datenspeicherung ist eine Wiederholungsgefahr. Deren Feststellung ist einer schematischen Betrachtung nicht zugänglich, sondern bedarf der eingehenden Würdigung aller hierfür relevanten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Gründe für den Freisspruch. | |
§§§ | |
02.019 | Glykool |
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1) Marktbezogene Informationen des Staates beeinträchtigen den grundrechtlichen Gewährleistungsbereich der betroffenen Wettbewerber aus Art.12 Abs.1 GG nicht, sofern der Einfluss auf wettbewerbserhebliche Faktoren ohne Verzerrung der Marktverhältnisse nach Maßgabe der rechtlichen Vorgaben für staatliches Informationshandeln erfolgt. Verfassungsrechtlich von Bedeutung sind dabei das Vorliegen einer staatlichen Aufgabe und die Einhaltung der Zuständigkeitsordnung sowie die Beachtung der Anforderungen an die Richtigkeit und Sachlichkeit von Informationen. | |
2) Die Bundesregierung ist auf Grund ihrer Aufgabe der Staatsleitung überall dort zur Informationsarbeit berechtigt, wo ihr eine gesamtstaatliche Verantwortung zukommt, die mit Hilfe von Informationen wahrgenommen werden kann. | |
§§§ | |
02.020 | Sektenwarnung |
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1) Das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit aus Art.4 Abs.1 und 2 GG bietet keinen Schutz dagegen, dass sich der Staat und seine Organe mit den Trägern dieses Grundrechts sowie ihren Zielen und Aktivitäten öffentlich - auch kritisch - auseinander setzen. Diese Auseinandersetzung hat allerdings das Gebot religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates zu wahren und muss daher mit Zurückhaltung geschehen. Diffamierende, diskriminierende oder verfälschende Darstellungen einer religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaft sind dem Staat untersagt. | |
2) Die Bundesregierung ist aufgrund ihrer Aufgabe der Staatsleitung überall dort zur Informationsarbeit berechtigt, wo ihr eine gesamtstaatliche Verantwortung zukommt, die mit Hilfe von Informationen wahrgenommen werden kann. | |
3) Für das Informationshandeln der Bundesregierung im Rahmen der Staatsleitung bedarf es über die Zuweisung der Aufgabe der Staatsleitung hinaus auch dann keiner besonderen gesetzlichen Ermächtigung, wenn es zu mittelbar-faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen führt. | |
§§§ | |
02.021 | Oberfinanzdirektion |
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Zur Zulässigkeit einer Übertragung aller Bundesaufgaben von der Oberfinanzdirektion eines Landes auf die eines anderen Landes durch Rechtsverordnung des Bundes. | |
§§§ | |
02.022 | Bonnbons |
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LB 2) Zur verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung des § 823 BGB. | |
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T-02-06 | Abgrenzung Meinungsfreiheit + Kunstfreiheit |
"Die angegriffenen Entscheidungen sind an dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit gemäß Art.5 Abs.1 Satz 1 GG zu messen und nicht auch an dem Grundrecht auf Kunstfreiheit gemäß Art.5 Abs.3 GG. Allein der Umstand, dass es sich bei einer Veröffentlichung um eine glossierende, etwa satirische, Darstellung handelt, eröffnet noch nicht den Schutzbereich nach Art.5 Abs.3 GG. Satire kann zwar Kunst sein, nicht jede Satire ist jedoch zugleich Kunst (vgl BVerfGE_86,1 <9>; vgl auch BVerfG, 1.Kammer des ersten Senats, NJW 1998, S.1386). Ebenso wie bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Karikaturen (vgl BVerfGE_75,369 <376 ff>) kommt es für die rechtliche Einordnung als Kunst maßgeblich darauf an, ob die Darstellung das geformte Ergebnis einer freien schöpferischen Gestaltung ist. Dies ist nicht schon bei jeder bloßen Übertreibung, Verzerrung und Verfremdung der Fall. Vorliegend handelt es sich aber um eine derartige bloße Verzerrung, für die nicht einmal die Beschwerdeführerin selbst das Grundrecht der Kunstfreiheit in Anspruch nehmen möchte. Durch eine solche Betrachtungsweise geht dem Grundrechtsträger der verfassungsrechtliche Schutz nicht verloren. Auch bei Anwendung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit muss nämlich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Deutungsebene stets der spezifische Charakter der einzelnen Meinungskundgabe berücksichtigt werden (vgl BVerfGE_86,1 <9>). | |
Ob neben dem Grundrecht der Meinungsfreiheit auch das Grundrecht der Pressefreiheit (vgl zur Abgrenzung zwischen den beiden Grundrechten BVerfGE_85,1 <11 ff>) berührt ist, kann offen bleiben, da sich hieraus im vorliegenden Zusammenhang keine weiter gehenden Ansprüche der Beschwerdeführerin ergeben würden." | |
Durch die Zuerkennung einer Geldentschädigung haben die Gerichte in den Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin eingegriffen. Die Rubrik "Bonnbons" enthielt - wie auch die Gerichte nicht verkannt haben - eine wertende Stellungnahme und damit eine Meinungsäußerung zur Personalpolitik der CSU einschließlich der Person des damaligen Generalsekretärs. | |
Die Meinungsfreiheit ist jedoch nicht vorbehaltlos gewährleistet. Sie findet gemäß Art.5 Abs.2 GG ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen. Dazu gehören auch § 823 Abs.1 und 2 BGB in Verbindung mit den §§ 22, 23 KUG, auf die die Gerichte die angegriffenen Entscheidungen gestützt haben. Die Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften ist Sache der Zivilgerichte. Sie müssen dabei jedoch Bedeutung und Tragweite der von ihren Entscheidungen berührten Grundrechte beachten, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt wird. | |
Mit Art.5 Abs.1, 2 GG wäre es nicht vereinbar, § 823 Abs.2 BGB in Verbindung mit §§ 22 f KUG dahingehend auszulegen, dass eine belastende Sanktion, wie hier die Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz, an eine Meinungsäußerung auf Grund einer Deutung geknüpft wird, die dem objektiven Sinn der Aussage nicht entspricht. Ist eine Äußerung mehrdeutig, kommt eine Verurteilung nur in Betracht, wenn das Gericht eine alternative, nicht zur Verurteilung führende Deutung in nachvollziehbarer Weise ausgeschlossen hat (vgl BVerfGE_94,1 <9>). Bei der Deutung einer glossierenden, satirischen oder karikaturhaft übersteigerten Äußerung sind darauf bezogene "werkgerechte Maßstäbe" anzulegen. Um ihren Aussagegehalt festzustellen, sind derartige Äußerungen nach einer schon auf das Reichsgericht zurückführenden Rechtsprechung (RGSt_62,183 ff) ihrer in Wort oder Bild gewählten formalen Verzerrung zu entkleiden. Eine Satire oder ähnliche Übersteigerung darf als Stilmittel der Kommunikation grundsätzlich nicht schon selbst als Kundgabe der Missachtung gewürdigt werden (vgl grundlegend BVerfGE_75,369 <377 f>; BVerfGE_86,1 <12 f>). Der Aussagekern und seine Einkleidung sind vielmehr gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Missachtung gegenüber der betroffenen Person enthalten (vgl BVerfG, aaO, sowie aus der zivilgerichtlichen Rechtsprechung etwa BGHZ_143,199 ff). | |
Enthält die Äußerung einen ehrkränkenden Inhalt, so dass ein Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht besteht, muss eine Abwägung unter Berücksichtigung der Schwere der Beeinträchtigung vorgenommen werden, die jedem der beiden Rechtsgüter droht. Diese Abwägung ist im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften vorzunehmen und hat die besonderen Umstände des Falles zu berücksichtigen. | |
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen tragen die angegriffenen Entscheidungen nicht hinreichend Rechnung. Sie verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit. | |
a) Dies gilt zunächst in Bezug auf die von den Gerichten vorgenommene Deutung der in Rede stehenden Äußerung. Zwar hat das Oberlandesgericht im Ausgangspunkt berücksichtigt, dass bei der Deutung werkgerechte Maßstäbe anzulegen sind. In der konkreten Anwendung hat es jedoch die verfassungsrechtlichen Maßstäbe verfehlt. | |
aa) Die mit Sprechblasen versehene gemeinsame Darstellung des Klägers mit dem damaligen Bundesfinanzminister war Teil einer ständigen Rubrik des "Stern". In ihr werden Politikern Worte in den Mund gelegt ("BonnBons"), die diese erkennbar tatsächlich nicht geäußert haben. Dies ergibt sich eindeutig aus dem neben den Fotos enthaltenen Hinweis "Prominenten in den Mund geschoben". Damit ist für jeden unvoreingenommenen Betrachter klar, dass Ziel der Rubrik und der Kombination von Fotos mit eindeutig fiktiven Äußerungen das politisch motivierte Verspotten der jeweilig betroffenen Prominenten ist. Weitere auf den Fotos zu sehende, ihrerseits nicht prominente Personen dienen regelhaft nur als Beiwerk und sind damit von lediglich untergeordneter Bedeutung für das Ziel, Witz über Prominente zu ermöglichen. Die diesem Ziel untergeordnete Rolle zeigt sich auch im vorliegenden Fall nicht zuletzt daran, dass lediglich der Name des abgebildeten Prominenten mitgeteilt wird. Die in der Sprechblase eingefügten Worte sind so gewählt, dass sie den Leser auf Kosten des Prominenten und der von ihm repräsentierten Partei/Parteivertreter zum Lachen reizen sollen. Dies ist ein typisches Stilmittel von Glosse oder Satire (vgl BVerfGE_86,1 <11>). Entkleidet man vorliegend die Darstellung ihres in Wort und Bild gewählten Gewandes, so verbleibt als Kernaussage eine kritische Bewertung der Personalpolitik der CSU und deren Generalsekretärs. Dadurch ist das Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht verletzt. | |
Die Gerichte sehen die Persönlichkeitsverletzung des Klägers darin, dass sie der Montage von Bild und Sprechblase eine Aussage über die konkreten intellektuellen oder sonstigen Fähigkeiten des neben dem Bundesfinanzminister abgebildeten Klägers entnehmen. Dieser Aussagegehalt ist jedoch nicht näher dargelegt und eine alternative, dem Beschwerdeführer günstigere Deutung ist nicht in nachvollziehbarer Weise ausgeschlossen worden. Dies gilt insbesondere für die Feststellung des Oberlandesgerichts, der Kläger werde "auf die Stufe eines primitiven und satten Bayers herabgewürdigt". Zumindest in gleicher Weise plausibel ist die von der Beschwerdeführerin für sich in Anspruch genommenen Deutung, wonach es nicht um den Kläger als Person, sondern als Typus ging. Auf Grund seines äußeren Erscheinungsbildes entsprach der Kläger einer bestimmten Klischeevorstellung eines Bayern. Der eigentliche Aussagekern bestünde hiernach in der Botschaft, dass der Generalsekretär der CSU eine Fehlbesetzung ist und man besser daran täte, einen "Bilderbuchbayern" wie den abgebildeten Kläger zu nehmen, dessen Ausdrucksweise für den Nichtbayern sowieso unverständlich sei. Hierbei war die Person des Klägers ohne weiteres durch jede andere Person, die von ihrem äußeren Erscheinungsbild der Klischeevorstellung eines Bayern entspricht, austauschbar. Vor diesem Hintergrund fehlt es an einer hinreichenden Begründung der Gerichte, warum sich aus den mit den Texten versehenen Bildern eine Diffamierung gerade des Klägers ergeben solle und es sich bei seiner Darstellung nicht lediglich um die spöttische Einkleidung der Aussage handelte. Auch in dieser "Instrumentalisierung" des Klägers kann zwar eine Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung liegen; sie ist jedoch von einer anderen Qualität als eine unmittelbar auf ihn bezogene Äußerung. | |
Darüber hinaus ist die Deutung der Gerichte, in der Rubrik werde der Kläger als Repräsentant des "doofen lederbehosten Bayern" dargestellt, aus einem weiteren Grund verfassungsrechtlich nicht tragfähig begründet worden. Die Gerichte gehen offenbar davon aus, dass mit der Formulierung "... versteht ihn keiner" dem Kläger jegliche intellektuelle Fähigkeiten abgesprochen werden und dieser als geistig unterbemittelt dargestellt werden soll. In gleicher Weise plausibel ist aber auch die Deutung, dass die Unverständlichkeit des Klägers nicht auf dem Inhalt seiner Worte, sondern auf dem typisch bayerischen Dialekt beruht. Mit dieser Alternative haben sich die Gerichte aber nicht hinreichend auseinander gesetzt. | |
Unabhängig von den vorangegangenen Ausführungen leiden die angegriffenen Entscheidungen aber auch an Abwägungsdefiziten. Ausgangspunkt ist die in der zivilrechtlichen Rechtsprechung entwickelte Auffassung, dass nicht jede Persönlichkeitsbeeinträchtigung einen Anspruch auf Geldentschädigung rechtfertigt. Ist die Persönlichkeitsverletzung durch eine Meinungsäußerung erfolgt, sind die Anforderungen an die Schwere der Beeinträchtigung auch unter Berücksichtigung des Art.5 GG zu bestimmen. Vorliegend haben die Gerichte aus der Zusammenschau von Fotos und Text eine Persönlichkeitsrelevanz hergeleitet und darauf verwiesen, dass die Äußerung auf Kosten eines unbeteiligten Dritten, nämlich des Klägers, gehe. Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Bei der Qualifizierung als schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung und der Bejahung des Vorranges gegenüber der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin haben sie jedoch wesentliche Abwägungsgesichtspunkte, die einer solchen Bewertung entgegenstehen, außer Acht gelassen: | |
Das Persönlichkeitsrecht räumt dem Einzelnen kein allgemeines und umfassendes Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person ein. Es gibt dem Einzelnen nicht den Anspruch, nur so von anderen dargestellt zu werden, wie er sich selber sieht oder gesehen werden möchte (vgl BVerfGE_101,361 <380>). Vorliegend entspricht der Kläger durch das von ihm selbst gewählte äußere Erscheinungsbild der Klischeevorstellung eines "Urbayers" und muss sich deshalb auch - wenn auch nicht grenzenlos - hieran anknüpfende spöttische oder auch satirische Bemerkungen gefallen lassen. Auf diesen Gesichtspunkt ist das Oberlandesgericht nicht näher eingegangen. | |
Die Fotos als solche sind nicht ehrenrührig, zeigen den Kläger vielmehr nicht einmal unvorteilhaft in freundlicher Pose. Die Veröffentlichung wirkt nicht in die Privat- oder Intimsphäre des Klägers ein; vielmehr stammen die Bilder aus der Sozialsphäre (vgl zu dem unterschiedlichen Schutz verschiedener Persönlichkeitssphären nur BVerfGE_80,367 <373 f>). Die Teilnahme des Klägers an einer Veranstaltung, bei der mit einer Berichterstattung durch die Presse gerechnet werden muss, ist Teil der von ihm selbst gewählten Beziehungen zu seiner Umwelt und berührt entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts. Hierauf weist auch das Bayerische Staatsministerium der Justiz in seiner Stellungnahm zutreffend hin. Zu berücksichtigen ist bei der Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsverletzung auch, dass der Kläger erkennbar nichts dagegen hatte, gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister abgelichtet zu werden, wie sein fröhlicher Blick in die Kamera belegt. Wenn er auch nach den Feststellungen der Gerichte nicht darin eingewilligt hat, dass die Fotos im Zusammenhang mit den Sprechblasen veröffentlicht wurden, so muss das grundsätzliche Einverständnis mit der Veröffentlichung der Fotos - wenn es nicht sogar auch andere übliche Formen der publizistischen Verwendung von Politikerfotos mitumfasst haben sollte - jedenfalls im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen und der Gewichtung der Persönlichkeitsbeeinträchtigung mit einbezogen werden. Auch hieran fehlt es in den angegriffenen Entscheidungen. | |
Die Entscheidungen beruhen auch auf der Verletzung des Art.5 Abs.1 Satz 1 GG. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte zu einem der Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis gekommen wären, wenn sie bei der Prüfung der Voraussetzungen des von dem Kläger geltend gemachten Geldentschädigungsanspruchs die Ausstrahlungswirkung des Grundrechts der Meinungsfreiheit nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze berücksichtigt hätten. Auch wenn deshalb gemäß § 95 Abs.1 Satz 1 BVerfGG die Grundrechtsverletzung durch beide angegriffenen Urteile festzustellen ist, wird es den Erfordernissen des zu beurteilenden Falles gerecht, wenn lediglich die Entscheidung des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache gemäß § 95 Abs.2 BVerfGG an dieses Gericht zurückverwiesen wird." | |
Auszug aus BVerfG B, 10.07.02, - 1_BvR_354/98 -, www.BVerfG.de, Abs.8 ff | |
§§§ | |
02.023 | Lebenspartnerschaft |
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1) Voraussetzung für die ausnahmsweise Zulässigkeit der Berichtigung eines Gesetzesbeschlusses ist dessen offensichtliche Unrichtigkeit. Diese kann sich nicht allein aus dem Normtext, sondern insbesondere auch unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs und der Materialien des Gesetzes ergeben. | |
2) Teilt die Bundesregierung oder der Bundestag eine Materie in verschiedene Gesetze auf, um auszuschließen, dass der Bundesrat Regelungen verhindert, die für sich genommen nicht unter dem Vorbehalt seiner Zustimmung stehen, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. | |
3) Die Einführung des Rechtsinstituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare verletzt Art.6 Abs.1 GG nicht. Der besondere Schutz der Ehe in Art.6 Abs.1 GG hindert den Gesetzgeber nicht, für die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft Rechte und Pflichten vorzusehen, die denen der Ehe gleich oder nahe kommen. Dem Institut der Ehe drohen keine Einbußen durch ein Institut, das sich an Personen wendet, die miteinander keine Ehe eingehen können. | |
4) Es verstößt nicht gegen Art.3 Abs.1 GG, dass nichtehelichen Lebensgemeinschaften verschiedengeschlechtlicher Personen und verwandtschaftlichen Einstandsgemeinschaften der Zugang zur Rechtsform der eingetragenen Lebenspartnerschaft verwehrt ist. | |
LB 5) Zur abweichenden Meinung des Richters Papier siehe BVerfGE_105,357 = www.BVerfG.de, Abs.125 ff. | |
LB 6) Zur abweichenden Meinung der Richterin Haas siehe BVerfGE_105,359 = www.BVerfG.de, Abs.128 ff. | |
§§§ | |
02.024 | Computerdateien |
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LB 1) Überwiegend erfolgreicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend, dass näher bezeichnete Computer und die darauf gespeicherten Daten oder externe Datenträger mit davon gefertigten Datenkopien sowie die Datenträger mit Kopien der Daten, die im Sicherstellungsverzeichnis als "diverse Daten auf eigenen Medien gespeichert" bezeichnet wurden, ungesichtet und unausgewertet versiegelt bei dem Amtsgericht Hamburg zu hinterlegen seien. | |
LB 2) Zur Folgenabwägung, die bei Ablehnung der einstweiligen Anordnung eintreten würde. | |
* * * | |
T-02-07 | Beschlagnahme von Datenbeständen |
" Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist im Wesentlichen stattzugeben. | |
1. Gemäß § 32 Abs.1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Kann letzteres nicht festgestellt werden, muss der Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens also als offen angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE_91,70 <74 f>; BVerfGE_92,126 <129 f>; BVerfGE_93,181 <186 f>; stRspr). | |
2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Sie wirft insbesondere die in der Rechtsprechung noch nicht geklärte Frage auf, ob und inwieweit eine Beschlagnahme von Datenbeständen bei Berufsgeheimnisträgern verfassungsrechtlich von Bedeutung ist, wenn dieser Eingriff sowohl Beschuldigte als auch Nichtbeschuldigte trifft und die erfassten Daten zum Teil wegen Tatverstrickung im Sinne von § 97 Abs.2 Satz 3 StPO einem Beschlagnahmezugriff unterliegen, zum Teil aber auch gemäß §§ 53 Abs.1 Satz 1 Nr.2 und 3, 97 Abs.1, 148 StPO rechtlich besonders geschützt sind. Dabei kann im Zusammenhang mit der Frage der Verhältnismäßigkeit von Beschlagnahmehandlungen (vgl BVerfGE_44,353 <373>) auch die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertrauensbeziehung zwischen bestimmten Berufsgeheimnisträgern und ihren Mandanten zu klären sein. Diese Vertrauensbeziehung könnte verfassungsrechtlich durch das Recht des Berufsgeheimnisträgers aus Art.12 Abs.1 Satz 2 GG und durch das Persönlichkeitsrecht des Mandanten geschützt sein. Dabei wäre in Betracht zu ziehen, ob die besondere Schutzwürdigkeit des Mandats zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens für den Mandanten des Berufsgeheimnisträgers von Belang ist (vgl speziell zum Schutz des Verhältnisses eines Strafverteidigers zum Beschuldigten: Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30.Januar 2002 - 2 BvR 2248/00 -; sa BGHSt_44,46 <47 f>). Fraglich wäre insoweit, ob Berufsgeheimnisträger diese Rechtsposition unmittelbar für sich in Anspruch nehmen können (§ 90 Abs.1 BVerfGG). | |
3. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens hängt die Entscheidung gemäß § 32 Abs.1 BVerfGG von einer Abwägung der Folgen ab, die bei Ablehnung der einstweiligen Anordnung eintreten würden. | |
a) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, hätte die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Beschlagnahmebestätigung des Datenbestandes jedoch später Erfolg, so könnten den Beschwerdeführern - möglicherweise irreparable - Beeinträchtigungen rechtlich geschützter Vertrauensbeziehungen auch zu Mandanten, die mit dem Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer zu 2. und die Mitbeschuldigten in keinem Zusammenhang stehen, erwachsen. Durch die Befürchtung, dass Strafverfolgungsbehörden die dort befindlichen Daten sichten, könnte das Vertrauen zwischen den Beschwerdeführern und ihren Auftraggebern so nachhaltig gestört werden, dass diese den Beschwerdeführern ihre Mandate entziehen. | |
b) Erginge die einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde in Bezug auf die Beschlagnahme der Datenträger und Dateien aber später keinen Erfolg, dann wäre im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer zu 2. kein Beweisverlust hinsichtlich der Informationen aus dem sichergestellten Datenbestand zu befürchten. Allerdings bliebe den Ermittlungsbehörden vorerst die Möglichkeit versperrt, mit Hilfe dieser Informationen weitere Ermittlungshandlungen vorzunehmen, die der Beweiserhebung oder der Verfahrenssicherung dienen könnten. | |
c) Bei Abwägung der jeweiligen Folgen wiegen die möglichen Nachteile für die Beschwerdeführer, soweit es sich um nicht beschuldigte Berufsgeheimnisträger oder um Mandate handelt, die von dem Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer zu 2. und die Mitbeschuldigten nicht betroffen sind, grundsätzlich schwerer. Die Beschränkungen der staatlichen Strafverfolgung sind insoweit auch mit Blick auf die Aufbewahrung der Dateien weniger schwerwiegend. | |
d) Die Abwägung fällt jedoch zum Nachteil der Beschwerdeführer aus, soweit es sich um Dateien handelt, die äußerlich in einem engen thematischen Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ermittlungsverfahrens stehen. Von der vorläufigen Verwendungsbeschränkung auszunehmen sind deshalb zur angemessenen Berücksichtigung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses diejenigen Dateien, die wegen einer erkennbaren Tatverstrickung der Beschlagnahme unterliegen. In einer Differenzierung, die im Wesentlichen derjenigen in der Beschlagnahmeentscheidung des Amtsgerichts entspricht, haben auch die Beschwerdeführer einen Ansatz zur Lösung des Zielkonflikts zwischen der Berücksichtigung des staatlichen Interesses an bestmöglicher Wahrheitserforschung und des Interesses der Berufsgeheimnisträger an der Wahrung des Geheimnisschutzes gesehen. Daher sind von der vorläufigen Sperrung des Datenbestandes vor weiterer Verwendung durch die Ermittlungsbehörden Kopien derjenigen Dateien auszunehmen, die nach dem Dateienverzeichnis mit den Bezeichnungen "T." oder "T.", "J.", "d.", "s.", "F.", "G.", "C.", "M." und "B." versehen sind. Sie eröffnen die konkrete Möglichkeit eines thematischen Bezuges zu den verfolgten Taten, der sie gemäß § 97 Abs.2 Satz 3 StPO dem Beschlagnahmezugriff aussetzt. Nicht auszunehmen sind hingegen Dateien mit der Bezeichnung "R.", weil diese Bezeichnung allgemein die Beschwerdeführerin zu 4. kennzeichnet." | |
Auszug aus BVerfG B, 17.07.02, - 2_BvR_1027/02 -, www.BVerfG.de, Abs.2 ff | |
§§§ | |
02.025 | Drogenscreening |
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LB: Die einmalige Feststellung des Besitzes einer kleinen Menge Haschisch (1,2 gr) rechtfertigt keinen hinreichend konkreter Gefahrenverdacht und ist somit kein berechtigter Anlass, die Fahreignung nach § 15b Abs.2 StVZO zu überprüfen. | |
* * * | |
T-02-08 | Fahreignung und Haschisch |
"Die gegenüber dem Beschwerdeführer verfügte Fahrerlaubnisentziehung und die darauf bezogenen, mit der vorliegenden Verfassungsbeschwerde angegriffenen Gerichtsentscheidungen enthalten einen verfassungswidrigen Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art.2 Abs.1 GG). Denn allein aus der einmaligen Feststellung, dass der Beschwerdeführer unerlaubt eine kleine Menge Haschisch besessen hat, ergab sich kein hinreichend konkreter Gefahrenverdacht und somit kein berechtigter Anlass, die Fahreignung des Beschwerdeführers nach § 15b Abs.2 StVZO zu überprüfen. Seine Weigerung, sich der geforderten Begutachtung zu stellen und die mit ihr verbundene Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts hinzunehmen, durfte im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren daher nicht zu seinen Lasten gewürdigt werden. Dies ist jedoch geschehen. Zur weiteren Begründung wird auf den beigefügten Abdruck des Beschlusses der Kammer vom 20.Juni 2002 - 1_BvR_2062/96 - Bezug genommen. | |
Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen, mit denen die Fahrerlaubnisentziehungsverfügung der Verkehrsbehörde vom 11.Mai 1995 bestätigt worden ist, beruhen auf der festgestellten Grundrechtsverletzung. Die Entscheidungen sind daher aufzuheben (§ 95 Abs.2 BVerfGG). Da die angegriffenen Entscheidungen keinen Bestand haben, braucht der Frage nicht nachgegangen zu werden, ob mit ihnen auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG) verstoßen worden ist." | |
Auszug aus BVerfG B, 01.08.02, - 1_BvR_1143/98 -, www.BVerfG.de, Abs.14 ff | |
§§§ | |
02.026 | Flugblattwerbung-REP |
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LB 1) Die Werbung mit Flugblättern fällt in den Schutzbereich der Parteifreiheit. | |
LB 2) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn eine politische Partei unter Androhung von Ordnungsgeld dazu verurteilt wird, den Einwurf ihrer Flugblattwerbung in einen Hausbriefkasten zu unterlassen, solange er mit dem Aufkleber "keine Werbung einwerfen" versehen ist. | |
* * * | |
T-02-09 | Parteiwerbung mit Flugblättern |
"Art.21 Abs.1 Satz 1 GG garantiert den Parteien das Recht, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. In den Schutzbereich der Parteifreiheit fällt dementsprechend auch die Werbung mit Plakaten und mittels Informationsständen sowie die Verteilung und Zusendung von Flugblättern und anderem Werbematerial (vgl Beschluss der 3.Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15.Januar 1991, NJW_91,910 f; ebenso: Morlok in: Dreier | |
Die angegriffene Entscheidung des Kammergerichts hat dies nicht verkannt; sie lässt keine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung und der Tragweite des Rechts der politischen Parteien auf freie Betätigung erkennen. Das Gericht hat das Interesse der Beschwerdeführerin an der Verbreitung und Verteilung von Flugblättern mit ihren politischen Ansichten (Art.5 Abs.1 GG, Art.21 Abs.1 Satz 1 GG) und das Interesse des Betroffenen, von unerwünschter politischer Werbung in seinem Hausbriefkasten verschont zu bleiben (Art.2 Abs.1 GG), in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise gegeneinander abgewogen. Dass das Kammergericht trotz des geringen Gewichts des Eingriffs in die Rechte des Betroffenen aus Art.2 Abs.1 GG - der Betroffene wird durch den Einwurf der Werbesendung nicht gezwungen, deren Inhalt zur Kenntnis zu nehmen oder sich gar mit ihm auseinanderzusetzen - zu keinem anderen Ergebnis bei seiner Abwägung gelangte, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. | |
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin führt das angegriffene Urteil nicht zu einem faktischen Verbot der Flugblattwerbung oder zu einer Benachteiligung gegenüber politischen Mitbewerbern. Das Kammergericht hat allein entschieden, dass die Beschwerdeführerin es zu unterlassen hat, Wahlwerbung in den Hausbriefkasten des Klägers des Ausgangsverfahrens einzuwerfen oder einwerfen zu lassen, solange dort der Aufkleber "keine Werbung einwerfen" angebracht ist. Dass dies praktisch darauf hinausliefe, der Beschwerdeführerin eine Flugblattwerbung generell unmöglich zu machen, ist nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführerin hat nach dem angegriffenen Urteil allein für die ihrem Einfluss unterliegende unerwünschte und damit rechtswidrige Flugblattverteilung und Versendung von Informationsmaterial durch ihre Mitglieder und mit der Verteilung oder Versendung von Werbematerial beauftragte Dritte einzustehen. Die angegriffene Entscheidung fußt auf der Annahme, dass die Beschwerdeführerin sich das Verhalten der in ihre Werbemaßnahmen eingeschalteten Organisationen und Personen zurechnen lassen muss, sofern sie sich nicht durch die Darlegung entlasten kann, dass sie alles ihr Zumutbare unternommen hat, um Rechtsbeeinträchtigungen des Klägers des Ausgangsverfahrens auszuschließen. | |
Dass das Kammergericht insoweit die bloße nicht näher substantiierte Anweisung der Beschwerdeführerin an ihren Landesverband, Briefkastenaufkleber mit der Aufschrift "keine Werbung einwerfen" zu beachten, nicht als ausreichend erachtet hat, begegnet angesichts der in Rede stehenden gegenläufigen Rechte der betroffenen Personen aus Art.2 Abs.1 und Art.14 Abs.1 GG keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken." | |
c) Die Frage, ob bei einem wiederholten Einwurf von Werbematerial der Beschwerdeführerin in den Briefkasten des Klägers des Ausgangsverfahrens ein zurechenbarer Verstoß der Beschwerdeführerin gegen ihre Unterlassungspflicht vorliegt, wird in einem etwaigen Vollstreckungsverfahren zu klären sein. Ein Ordnungsgeld kann gegen sie nur dann verhängt werden, wenn sie schuldhaft gegen diese Pflicht verstoßen hat (vgl BVerfGE_84,82 <87> mwN). | |
Auszug aus BVerfG B, 01.08.02, - 2_BvR_2135/01 -, www.BVerfG.de, Abs.7 ff | |
§§§ | |
02.027 | Gesetzlicher Richter |
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LB 1) Zur grundrechtsähnlichen Gewährleistung des gesetzlichen Richters. | |
LB 2) § 522 Abs.2 S.1 ZPO verstößt nicht gegen die Gewährleistung des gesetzlichen Richters. | |
* * * | |
T-02-10 | Gesetzlicher Richter |
"Diese grundrechtsähnliche Gewährleistung gewährt einen subjektiven Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeits- und Prozessnormen im Hinblick auf Art.101 Abs.1 Satz 2 GG jedoch nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind, also die Verfahrensvorschrift willkürlich und unrichtig angewandt wurde (vgl BVerfGE_82,159 <195 f>; 86,133 <143>; Jarass/Pieroth, GG, 6.Aufl Rn.11 mwN). | |
Danach ist die angegriffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Zwar beeinflusst die Auslegung und Anwendung des § 522 Abs.2 Satz 1 Nr.1 ZPO durch die angegriffene Entscheidung den Anwendungsbereich des Beschlussverfahrens gemäß § 522 Abs.2 ZPO und damit auch die Anfechtbarkeit der Berufungsentscheidung mit Rechtsmitteln. Liegen die Voraussetzungen des § 522 Abs.2 ZPO nach der Überzeugung des Berufungsgerichts vor, weist das Gericht die Berufung im Beschlussverfahren zurück mit der Folge, dass dieser Beschluss nach § 522 Abs.3 ZPO unanfechtbar ist, also nicht, wie bei einer Entscheidung im Urteilsverfahren durch Revision (§ 542 ff ZPO) oder durch Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO, § 26 Nr.8 EGZPO), angefochten werden kann. Der gesetzliche Richter für die Entscheidung über die Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde wird durch die Anwendung des § 522 Abs.2 Satz 1 Nr.1 ZPO in der angegriffenen Entscheidung aber nicht (mittelbar) entzogen. § 522 Abs.2 Satz 1 ZPO räumt dem Berufungsgericht kein Handlungsermessen ein, mittelbar über die Wahl des Beschluss- oder Urteilsverfahrens die Anfechtbarkeit seiner Entscheidung zu steuern. Die angegriffene Entscheidung geht vielmehr - zumindest vertretbar - davon aus, dass das Berufungsgericht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 522 Abs.2 ZPO durch Beschluss entscheiden muss (vgl Thomas/Putzo, ZPO, 24.Aufl, § 523 Rn.13; Piekenbrock, JZ_02,540 <541>). | |
Die vom Berufungsgericht im angegriffenen Beschluss vorgenommene Auslegung der Voraussetzungen des § 522 Abs.2 Satz 1 Nr.1 ZPO, wonach die Zurückweisung der Berufung nicht auf Fälle beschränkt ist, in denen die fehlende Erfolgsaussicht besonders deutlich ins Auge springt, (iS einer "offensichtlichen" Unbegründetheit der Berufung), ist im Hinblick auf die Gewährleistung des gesetzlichen Richters verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese Auslegung der einfachgesetzlichen Vorschrift - die in erster Linie Aufgabe der zuständigen Fachgerichte ist - ist weder willkürlich unrichtig noch offensichtlich unhaltbar. Sie ist mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar, weil der Gesetzgeber die Anforderungen der "Offensichtlichkeit" nicht ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommen hat. Dem entspricht auch die Entstehungsgeschichte der Norm. Nach der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg, wenn das Berufungsgericht aufgrund des Akteninhalts zu der Überzeugung gelangt, dass die Berufung unbegründet ist (vgl im Einzelnen: Deutscher Bundestag, Drucks 14/4722, S.97). | |
Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer nicht hinreichend begründet, dass die angegriffene Entscheidung auf einem Verstoß gegen die Gewährleistung des gesetzlichen Richters beruhe (vgl BVerfGE_64,1 (21); BVerfGE_96,68 <86> ). Der Beschwerdeführer setzt sich nämlich nicht mit den Darlegungen in der angegriffenen Entscheidung auseinander, wonach im konkreten Fall die Berufung ohnehin offensichtlich unbegründet gewesen sei. Aufgrund dessen wäre das Berufungsgericht also auch nicht zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt, wenn es § 522 Abs.2 Satz 1 Nr.1 ZPO entsprechend der Ansicht des Beschwerdeführers ausgelegt hätte. | |
Aus dem Sachvortrag des Beschwerdeführers ergibt sich auch nicht mit hinreichender Deutlichkeit eine Verletzung von Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ist für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes abzuleiten. Eine Gewährleistung von Rechtsmittelzügen folgt indes hieraus nicht (vgl BVerfGE_54,277 <291>; BVerfGE_89,381 <390> ). Es liegt in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, ob er in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten Rechtsmittelzüge einrichtet. Sieht der Gesetzgeber allerdings ein Rechtsmittel vor, darf der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht durch eine gerichtliche Auslegung und Anwendung von Prozessvorschriften in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl BVerfGE_77,275 <284> ; Beschluss der 2.Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23.Juni 2000, NVwZ 2000, S.1163). Diesem Maßstab wird die Auslegung des § 522 Abs.2 Satz 1 Nr.1 ZPO in der angegriffenen Entscheidung gerecht. Sie ist - wie dargelegt - insbesondere mit dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte vereinbar und erschwert den Zugang zu den von der Zivilprozessordnung unter bestimmten Voraussetzungen eingeräumten Rechtsmitteln der Revision bzw der Nichtzulassungsbeschwerde nicht unzumutbar." | |
Auszug aus BVerfG B, 05.08.02, - 2_BvR_1108/02 -, www.BVerfG.de, Abs.5 ff | |
§§§ | |
02.028 | Befangener Beurteiler |
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LB 1) Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war. | |
LB 2) Die Voreingenommenheit eines Beurteilers unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung. | |
LB 3) Die Beurteilung durch einen voreingenommenen Vorgesetzten stellt einen Verfahrensfehler dar. | |
LB 4) Eine dienstliche Beurteilung ist aufzuheben, wenn der Dienstherr gegen seine selbstverständliche Pflicht verstoßen hat, den Beamten gerecht, unvoreingenommen und möglichst objektiv zu beurteilen. | |
LB 5) Zum Anspruch auf rechtliches Gehör bei der Beurteilung durch einen Befangenen Beurteiler. | |
* * * | |
T-02-11 | Befangenheit + rechtliches Gehör |
"Der angegriffene Beschluss verletzt den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art.103 Abs.1 GG. | |
1.Der Anspruch auf rechtliches Gehör fordert, dass das erkennende Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht (vgl BVerfGE_83,24 <35>; BVerfGE_96,205 <216>; stRspr). Maßgebend für diese Pflichten des Gerichts ist der Gedanke, dass der Verfahrensbeteiligte Gelegenheit haben muss, durch einen sachlich fundierten Vortrag die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen (vgl BVerfGE_94,166 <207>). Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (vgl BVerfGE_70,215 <218>). Es ist als Regel davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegen genommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Das Bundesverfassungsgericht kann deshalb nur dann feststellen, dass ein Gericht seine Pflicht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, verletzt hat, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Einzelfalles ergibt (vgl BVerfGE_96,205 <217>; stRspr). | |
Die Bescheidungspflicht ist namentlich bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen begrenzt (vgl BVerfGE_65,293 <295>). Geht das Gericht allerdings auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl BVerfGE_86,133 <146>; ähnlich BVerwG, Beschluss vom 16.November 2001 - 1 B 211.01 -, InfAuslR_02,150)." | |
2.a) Hieran gemessen hat das Oberverwaltungsgericht gegen die Pflicht zur Kenntnisnahme und Erwägung dadurch verstoßen, dass es die in den Berufungszulassungsanträgen unter dem Gesichtspunkt der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Urteile ausführlich und unter Anführung einer Vielzahl von Ansatzpunkten geltend gemachte Befangenheit des Beurteilers nur unter einem unwesentlichen Teilaspekt gewürdigt hat. Das Oberverwaltungsgericht hat ausgeführt, auf eine Befangenheit des Beurteilers könne nicht schon deshalb geschlossen werden, weil die angefochtene Beurteilung eine erhebliche Verschlechterung der Beurteilung vom 3.Juni 1994 darstelle. Der Beschwerdeführer hatte demgegenüber in den Zulassungsanträgen Anhaltspunkte für die Voreingenommenheit der Beurteiler insbesondere in der dienstlichen Vorgeschichte ("Rahmenhandlung"), den zeitlichen Zusammenhängen zwischen der dienstlichen Beurteilung vom 22.April 1997, der Verwaltungsvorlage vom 18.März 1997 und der Einreichung der Klage auf Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit am 8.April 1997, der Übergehung des Beschwerdeführers und des Personalrats sowie der Herabsetzung des Beschwerdeführers im Entlassungsbescheid vom 24.Juni 1997 erblickt und dies ausführlich dargelegt." | |
b) Dieses Vorbringen war geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Urteile zu wecken. Die Voreingenommenheit eines Beurteilers unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung. Dem Dienstherrn steht bei der dienstlichen Beurteilung zwar eine sogenannte Beurteilungsermächtigung zu. In Anbetracht dessen hat sich die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle darauf zu beschränken, ob die Verwaltung gegen Verfahrensvorschriften oder Regeln verstoßen, den gesetzlichen Rahmen oder anzuwendende Begriffe verkannt, einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat (vgl BVerwGE_60,245 <246>; stRspr). Die Beurteilung durch einen voreingenommenen Vorgesetzten stellt einen Verfahrensfehler dar (vgl Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, Rn.478). Eine dienstliche Beurteilung ist aufzuheben, wenn der Dienstherr gegen seine selbstverständliche Pflicht verstoßen hat, den Beamten gerecht, unvoreingenommen und möglichst objektiv zu beurteilen ( vgl BVerwG, Urteil vom 12.März 1987, NVwZ_88,66; BVerwGE_106,318 <319> mwN; stRspr). Die Besorgnis der Befangenheit aus der subjektiven Sicht des zub eurteilenden Beamten genügt insoweit allerdings nicht, vielmehr ist die tatsächliche Voreingenommenheit eines Beurteilers aus der Sicht eines objektiven Dritten festzustellen. Die Feststellung einer tatsächlichen Voreingenommenheit des Beurteilers kann sich aus der Beurteilung selbst, aber auch aus seinem Verhalten in Angelegenheiten des zu beurteilenden Beamten oder diesemg egenüber während des Beurteilungszeitraums und des Beurteilungsverfahrens ergeben (vgl BVerwGE_106,318 <320>). | |
Hiervon ausgehend war das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den ihn betreffenden Vorkommnissen in seiner Dienststelle während des Beurteilungszeitraums, insbesondere zu den gegen ihn ergriffenen, von der Kommunalaufsicht bzw vom Verwaltungsgericht beanstandeten und erst verzögert rückgängig gemachten Maßnahmen für die Frage einer Befangenheit des Beurteilers entscheidungserheblich und hätte vom Oberverwaltungsgericht in Erwägung gezogen werden müssen. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Oberverwaltungsgericht diese Ausführungen zwar erwogen, aber von seinem Rechtsstandpunkt als nicht entscheidungserheblich beurteilt haben könnte. Aus dem Fehlen einer Würdigung des Vortrags des Beschwerdeführers ist danach zu schließen, dass das Gericht das Vorbringen nicht in Erwägung gezogen hat. | |
Eine solche Schlussfolgerung scheidet hier nicht deshalb aus, weil an die Begründung einer letztinstanzlichen Entscheidung geringere Anforderungen zu stellen wären. Zwar kann das Oberverwaltungsgericht nach § 124a Abs.2 Satz 2 VwGO aF unter den dort genannten Voraussetzungen von einer Begründung seines Beschlusses absehen. Es hat von dieser Möglichkeit hier aber keinen Gebrauch gemacht. Es ist lediglich auf einen untergeordneten Teilaspekt, nicht aber auf den Kern des nach Auffassung des Beschwerdeführers die Befangenheit begründenden Vorbringens eingegangen." | |
c) Die Entscheidung beruht auch auf dem Gehörsverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Oberverwaltungsgericht bei Erwägung der vom Beschwerdeführerv orgebrachten Gründe zu einer diesem günstigeren Entscheidung gelangt wäre." | |
Auszug aus BVerfG B, 06.08.02, - 2_BvR_2357/00 -, www.BVerfG.de, Abs.28 ff | |
§§§ | |
02.029 | Spesen |
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LB 2) Angesichts der Bedeutung, die das Entgelt für die Berufsausübung hat, können nichtige Nebenabreden den Entgeltanspruch aufgrund § 139 BGB nur dann in Frage stellen, wenn hierfür gewichtige, die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte berücksichtigende Argumente ins Feld geführt werden können. | |
* * * | |
T-02-12 | Spesen-Bestimmtheit |
"Die Annahme des Gerichts, der Begriff "Spesen" sei nicht bestimmbar, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar. | |
Nach allgemeinem Sprachgebrauch werden als Spesen Auslagen oder Kosten begriffen , die in Verbindung mit der Erledigung eines Geschäfts entstehen (vgl Brockhaus Enzyklopädie, 19.Aufl, Bd.20, 1993, S.643, Stichwort "Spesen"). Soweit in einzelnen gesetzlichen Regelungen dieser Begriff Verwendung findet, wird er in diesem Sinn verstanden (vgl § 34 Abs.1 Nr.3 des Gesetzes über den Wertpapierhandel). | |
Nicht anders hat auch das Oberlandesgericht selbst den Begriff definiert. Es gibt im Urteil keinen Hinweis darauf, welche Bedeutung dem Begriff noch beigelegt werden könnte, um ihm seine Bestimmtheit zu nehmen. Das Oberlandesgericht geht da von aus, dass es sich bei Spesen um Auslagen handelt, die bei Ausführung des Auftrags entstehen. In der Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen AnwaltVereins wird in gleicher Weise ausgeführt, dass mit dem Begriff Spesen in der Honorarvereinbarung die in den §§ 26 bis 28 BRAGO genannten Auslagen gemeint waren - mit Ausnahme der vorliegend gesondert erwähnten Kopierkosten. Auch aus den Umständen des Falles ergibt sich kein Anhaltspunkt, dass hier etwas anderes gewollt sein könnte; schließlich sind vorliegend Spesen weder angefallen noch abgerechnet worden. | |
Die angegriffene Entscheidung wird der verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung auch insoweit nicht gerecht, als sie sich darauf stützt, es sei keine Obergrenze der zulässigen Auslagen vereinbart und auch im Übrigen bei Abschluss der Honorarvereinbarung keine Eingrenzung der abrechnungsfähigen Kosten vorgenommen worden . Damit stellt das Gericht auf eine nicht zu erfüllende Voraussetzung ab. Bei Abschluss einer Honorarvereinbarung vor Beginn des Prozesses lässt sich nicht absehen, wie viele Verhandlungstage bevorstehen, welche Beweisaufnahmen - auch außerhalb des Gerichtsorts - erforderlich werden und ob sich das Verfahren in einer Instanz erledigen wird. Die Obergrenze für Auslagen ergibt sich letztlich daraus, dass nur die erforderlichen Aufwendungen erstattungsfähig sind. Für Kosten, Auslagen oder Spesen gilt nichts anderes als für die Gebührenforderung selbst; erst nach Abschluss der Tätigkeit des Rechtsanwalts steht ihre Höhe endgültig fest. Die gerichtliche Überprüfbarkeit der Aufwendungen darauf, ob sie erforderlich und angemessen sind, begrenzt das Kostenrisiko des Mandanten hinsichtlich der Auslagen und der Honorare in gleicher Weise. | |
Der Tragweite der Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführerin ist auch in soweit nicht hinreichend Rechnung getragen, als in der Entscheidung nicht auf die Regelung des § 139 BGB (Teilnichtigkeit) eingegangen wird. Diese Prüfung drängt sich im vorliegenden Fall schon deshalb auf, weil gar keine Spesen angefallen sind und geltend gemacht werden. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts hat zur Folge, dass ein vollständig bedeutungsloser Teil der Gesamtregelung den Honoraranspruch zu Fall bringt. In welchen Fällen die Nichtigkeit einer Regelung über Auslagenerstattung auch die Vereinbarung über das Entgelt für erbrachte Dienstleistungen erfassen kann, bedarf hier keiner abschließenden Erörterung. Jedenfalls können angesichts der Bedeutung, die das Entgelt für die Berufsausübung hat, nichtige Nebenabreden den Entgeltanspruch nur dann in Frage stellen, wenn hierfür gewichtige, die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte berücksichtigende Argumente ins Feld geführt werden können. In der angegriffenen Entscheidung fehlt eine solche Abwägung schon im Ansatz." | |
Auszug aus BVerfG B, 12.08.02, - 1_BvR_328/02 -, www.BVerfG.de, Abs.14 ff | |
§§§ | |
02.030 | Anwaltshaftung |
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LB 1) Auch als "Organe der Rechtspflege" (§ 1 BRAO) haften die Rechtsanwälte nicht ersatzweise für Fehler der Rechtsprechung, nur weil sie haftpflichtversichert (§ 51 BRAO) sind. | |
LB 2) Hat ein Rechtsanwalt eine durch Richterspruch verfestigte ungünstige Rechtsposition seines Mandanten mitverschuldet, muss er ihn auf die Rechtsmittelmöglichkeit und die einzuhaltende Frist hinweisen, wenn eine Korrektur des Fehlers im vorgesehenen Instanzenzug noch zu erreichen ist. | |
* * * | |
T-02-13 | Grenzen der Anwaltshaftung |
"aa) Verfassungsrechtlich bedenklich ist ist allerdings die Auffassung des Bundesgerichtshofs, dass rechtsfehlerhaftes Unterlassen eines Gerichts, das die Folgen eines anwaltlichen Fehlers perpetuiert, obwohl ihr Eintritt durch prozessordnungsgemäße Beweisaufnahme hätte verhindert werden können, haftungsrechtlich unbeachtlich ist. Vorliegend hätte sich dem Bundesgerichtshof die Frage aufdrängen müssen, ob in die Berufsausübungsfreiheit eines Rechtsanwalts eingegriffen wird, wenn er für eine missverständliche Formulierung haftbar gemacht wird, obwohl sie bei fehlerfreiem Verhalten des Gerichts nicht zum Schadenseintritt geführt hätte. Auch wenn eine Amtshaftung wegen des Richterprivilegs regelmäßig ausscheidet, legitimiert dies nicht die Haftungsverschiebung zu Lasten der Rechtsanwälte, ohne in Rechnung zu stellen, dass hierbei deren Grundrechte berührt werden. Auch als "Organe der Rechtspflege" (§ 1 BRAO) haften die Rechtsanwälte nicht ersatzweise für Fehler der Rechtsprechung, nur weil sie haftpflichtversichert (§ 51 BRAO) sind. | |
Das Gleiche gilt, soweit der Bundesgerichtshof dem Beschwerdeführer anlastet, es pflichtwidrig unterlassen zu haben, das Gericht auf dessen falsche Rechtsauffassung im Zusammenhang mit § 323 ZPO hinzuweisen. Auch in diesem Zusammenhang wird die Haftung zu Lasten des Rechtsanwalts verschoben, ohne den Grundrechtsbezug zu thematisieren. Rechtskenntnis und -anwendung sind vornehmlich Aufgabe der Gerichte. Fehler der Richter sind - soweit möglich - im Instanzenzug zu korrigieren. Soweit dies aus Gründen des Prozessrechts ausscheidet, greift grundsätzlich nicht im Sinne eines Auffangtatbestandes die Anwaltshaftung ein. Kein Rechtsanwalt könnte einem Mandanten mehr zur Anrufung der Gerichte raten, wenn er deren Fehler zu verantworten hätte. Nach der Zivilprozessordnung treffen die Gerichte Hinweis- und Belehrungspflichten. Die Parteien und ihre Anwälte vor dem erstinstanzlichen Familiengericht tragen im Wesentlichen Verantwortung hinsichtlich des unterbreiteten Sachverhalts und der Antragstellung oder - wie hier - bei der Formulierung von Vergleichsverträgen. Die Gerichte sind verfassungsrechtlich nicht legitimiert, den Rechtsanwälten auf dem Umweg über den Haftungsprozess auch die Verantwortung für die richtige Rechtsanwendung zu überbürden. | |
"bb) Trotz dieser Bedenken ist die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die weitere Begründung des Bundesgerichtshofs, der Beschwerdeführer habe es pflichtwidrig unterlassen, den Kläger über die Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels zu belehren, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Zwar gehört die Beratung über die Erfolgsaussichten einer Berufung gebührenrechtlich nicht zu dem für die Vorinstanz erteilten Mandat. Es ist jedoch nachvollziehbar, dass ein Rechtsanwalt nicht nur auf die Rechtsmittelmöglichkeit und die einzuhaltende Frist hinweisen muss, wenn er eine durch Richterspruch verfestigte ungünstige Rechtsposition seines Mandanten mitverschuldet hat, eine Korrektur des Fehlers im vorgesehenen Instanzenzug aber noch zu erreichen ist. Damit liegt die Fortsetzung des Rechtsstreits auch im eigenen Interesse des Anwalts." | |
Auszug aus BVerfG B, 12.08.02, - 1_BvR_399/02 -, www.BVerfG.de, Abs.13 ff | |
§§§ | |
02.031 | Marktbeschicker |
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LB 1) Zu den Voraussetzungen des Einstweiligen Rechtsschutzes für Marktbeschicker. | |
LB 2) Zur Berufung auf fehlende Platzkapazitäten im Einstweiligen Rechtsschutzverfahren des Markbeschickers. | |
* * * | |
T-02-14 | Einstweiliger Rechtsschutz |
"a) Art.19 Abs.4 GG eröffnet den Rechtsweg gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt. Gewährleistet wird nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl BVerfGE_35,263 <274>; 35,382 <401 f> mwN; 93,1 <13>). Dieser muss die vollständige Nachprüfung des angegriffenen Hoheitsakts in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht durch ein Gericht ermöglichen (vgl BVerfGE_15,275 <282>; stRspr). Praktische Schwierigkeiten allein sind kein ausreichender Grund, den durch Art 19 Abs.4 GG gewährleisteten Rechtsschutz einzuschränken (vgl BVerfGE_84,34 <55>). | |
In Eilverfahren dürfen sich die Fachgerichte dem Bedürfnis nach wirksamer Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht dadurch entziehen, dass sie überspannte Anforderungen an die Voraussetzungen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes stellen. Das Erfordernis effektiven Rechtsschutzes gebietet, dass gerichtlicher Rechtsschutz namentlich in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich die Maßnahme bei endgültiger rechtlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können (vgl BVerfGE_93,1 <13>). Daher ist einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, wenn anders dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (vgl BVerfGE_46,166 <179>; 79,69 <74 f>). | |
b) Nach diesem Maßstab verletzen die angegriffenen Entscheidungen die Rechte des Beschwerdeführers aus Art.19 Abs.4 GG. | |
Die im Ausgangsverfahren angerufenen Verwaltungsgerichte haben bei der Auslegung von § 70 GewO und § 123 VwGO die Anforderungen wirksamen Rechtsschutzes im Sinne des Art.19 Abs.4 GG nicht hinreichend beachtet, indem sie die inhaltliche Überprüfung des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruchs auf Teilnahme am Jahrmarkt ablehnten und zur Begründung ohne materielle Prüfung der Vergabeentscheidung allein auf die Erschöpfung der Platzkapazität abstellten. Auf diesen tatsächlichen Umstand hätte das Verwaltungsgericht seine Entscheidung schon deshalb nicht stützen dürfen, weil zum Zeitpunkt des Eingangs des Eilantrags noch nicht alle Plätze vergeben waren. Auch nach den Kriterien des Verwaltungsgerichts wäre effektiver Rechtsschutz also noch möglich gewesen. Selbst wenn aber zu diesem Zeitpunkt bereits alle Standplätze vergeben gewesen wären, hätte die Ablehnung einstweiligen Rechtsschutzes nicht alleine auf diesen Umstand gestützt werden dürfen. Vielmehr war die angegriffene Vergabeentscheidung jedenfalls einer summarischen inhaltlichen Prüfung zu unterziehen. | |
Die von den Verwaltungsgerichten vertretene Rechtsauffassung unterläuft einen effektiven Primärrechtsschutz für abgelehnte Marktstandbewerber. Sie führt dazu, dass die veranstaltende Gemeinde eine inhaltliche Kontrolle ihrer Entscheidung nur im Verfahren einer Fortsetzungsfeststellungsklage oder im Rahmen eines Schadensersatzprozesses wegen eines Amtshaftungsanspruchs zugewärtigen hätte. Das von Art.12 Abs.1 GG geschützte Recht des Beschwerdeführers auf Ausübung seines Berufes als Marktbeschicker oder Teilnahme an einer korrekten Bewerberauswahl zu diesem Jahrmarkt ist aber bereits mit der verzögerten oder verweigerten Sachentscheidung im einstweiligen Rechtsschutz unwiederbringlich verloren, ohne dass eine von Art.19 Abs.4 GG geforderte inhaltliche Überprüfung der Vergabeentscheidung durch ein Gericht stattgefunden hätte. | |
Ausnahmsweise bestehende besondere Gründe, welche die endgültige Vereitelung dieses Rechts des Beschwerdeführers rechtfertigten, sind nicht erkennbar: | |
Eine eventuelle Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigt es nicht, die Erfordernisse eines effektiven Rechtsschutzes hintanzustellen. Die von der Rechtsprechung im Hinblick auf Art.19 Abs.4 GG entwickelten Grundsätze zu Ausnahmen vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache stellen zu Recht regelmäßig auch auf den irreparablen Rechtsverlust als solchen oder das Zeitmoment ab, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät käme (vgl Kopp/Schenke, VwGO, 12.Aufl München 2000, § 123 Rn.14 ff mwN). | |
Auch die Erschöpfung der Platzkapazität rechtfertigt nicht die Versagung effektiven einstweiligen Rechtsschutzes. Ergibt die Überprüfung der versagenden Vergabeentscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, dass ein Standplatz zu Unrecht vorenthalten wurde, hat das Fachgericht eine entsprechende Verpflichtung des Marktanbieters auszusprechen. Es ist dann die im Einzelnen vom Gericht nicht zu regelnde Sache des Marktanbieters, diese Verpflichtung umzusetzen. Sowohl das öffentliche Recht wie das Privatrecht halten mit Widerruf und Rücknahme oder der Möglichkeit der (außerordentlichen) Kündigung, gegebenenfalls gegen Schadensersatz für den rechtswidrig bevorzugten Marktbeschicker, Vorkehrungen für den Fall bereit, dass die öffentliche Hand eine zunächst gewährte Rechtsposition entziehen muss. Die Bescheidung von (vorerst) erfolgreichen Mitbewerbern oder der Abschluss von Mietverträgen mit ihnen ist demnach weder ein rechtliches noch ein faktisches Hindernis, das die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes für einen zu Unrecht übergangenen Antragsteller unmöglich machte. Die Marktanbieter haben es in der Hand, durch die Regelung entsprechender Widerrufsvorbehalte oder die Vereinbarung entsprechender Kündigungsklauseln für diese Fälle vorzusorgen." | |
Auszug aus BVerfG B, 15.08.02, - 1_BvR_1264/02 -, www.BVerfG.de, Abs.12 ff | |
§§§ | |
02.032 | Erdgasleitungen |
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LB 1) Die vom BGH parktizierte weite Auslegung des Anlagenbegriffs iSd § 57 Abs.1 Nr.1 TKG, wonach er den gesamte von der Dienstbarkeit für die unterirdische Verlegung von Erdgasleitungen und Zubehör geschützten Bereich einschließlich der verlegten Rohre und Zubehöreinrichtungen umfasst, ist mit Art.14 Abs.1 S.1 GG vereinbar. | |
LB 2) Auch unter Zugrundelegung des vom BGH angenommenen weiten Anlagenbegriffs stellt § 57 Aba.1 Nr.1 TKG keine Enteigung, sondern eine zulässige Inhaltsbestimmung iSv Art.14 Abs.1 S.2 GG dar. | |
LB 3) Waren bisher keine Leitungen vorhanden, die zu Zwecken der Telekommunikation genutzt werden konnten, kann der Eigentümer für eine entsprechende erweiterte Nutzung zu Zwecken der Telekommunikation gemäß § 57 Abs.2 S.2 TKG einen Ausgleich in Geld verlangen. | |
§§§ | |
02.033 | Obliegenheitsverletzung |
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LB 1) Zum mitwirkenden Verschulden gemäß § 254 BGB im Rahmen eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletztung. | |
LB 2) Durch die Auferlegung einer Obliegenheit im Rahmen eines Staatshaftungsrechtsverhältnisses wird in das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes eingegriffen. § 254 BGB muß deshalb im Lichte des Art.12 Abs.1 S.1 GG ausgelegt werden. Ein Mitverschulden setzt deshalb voraus, daß die Obliegenheitsverletzung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung trägt. | |
LB 3) Zur Nichtberücksichtigung eines Beweisangebotes dass ein Orts- und Schulwechsel während des laufenden Schuljahres das Kind der Beschwerdeführerin in seiner psychischen und allgemeinen Entwicklung geschadet hätte. | |
§§§ | |
02.034 | TV-Duell-Kanzlerkandidaten |
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LB 1) Bei dem TV-Duell der Kanzlerkandidaten handelt es sich um eine redaktionell gestaltete, von den Rundfundanstalten verantwortete Sendung, die trotz einer von ihr möglicherweise ausgehenden Werbewirkung nicht als Wahlwerbesendung qualifiziert werden kann. | |
LB 2) Da der Vorsitzende der FDP keine realistische Aussicht hat nach der Wahl das Bundeskanzleramt zu übernehmen, scheidet seine Teilnahme nach dem redaktionnellen Konzept aus. Diese Tatsache ist von der FDP als Folge der bestehenden politischen Kräfteverhältnisse hinzunehmen und verstößt als solche nicht gegen das Recht einer politischen Partei auf Wahrung der Chancengleichheit. | |
§§§ | |
02.035 | Irrläufer |
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LB 1) Gibt der Rechtsbehelfsführer die Behörde, bei der der Rechtsbehelf anzubringen ist, fehlerhaft an, begründet dies nach der ständigen Rechtsprechung der obersten Gerichte regelmäßig die Annahme subjektiv vorwerfbarer Außerachtlassung der zumutbaren Sorgfalt. | |
LB 2) Die Behörde hat grundsätzlich die Verpflichtung, leicht und einwandfrei als fehlgeleitete fristwahrende Einspruchsschreiben erkennbare Schriftstücke im Zuge des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs ohne schuldhaftes Zögern an die zuständige Behörde weiterzuleiten. | |
LB 3) Hat die unzuständige Behörde die Übermittlung schuldhaft verzögert oder überhaupt unterlassen, kommt im Falle willkürlichen, offenkundig nachlässigen und nachgewiesenen Fehlverhaltens der Behörde die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht. | |
§§§ | |
02.036 | Konkurrentenstreit |
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LB 1) Zum grundrechtsgleichen Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung iSD Art.33 Abs.2 GG . | |
LB 2) Zum Maßstab, der an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs zu stellen ist. | |
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T-02-15 | Zugang zu einem Amt |
Art.33 Abs.2 GG gewährt jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (vgl BVerfGE_1,167 <184>). Daraus folgt der Anspruch eines Beförderungsbewerbers auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung (vgl BVerwGE 101,112 <114>). Dieser Anspruch (Bewerbungsverfahrensanspruch) lässt sich nach der bisherigen, verfassungs rechtlich nicht beanstandeten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nur vor ei ner Ernennung des ausgewählten Konkurrenten mittels einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs.1 Satz 1 VwGO effektiv sichern. Wird hingegen die im Streit stehende Stelle besetzt, bleibt dem unterlegenen Bewerber sowohl die erfolgreiche Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes als auch primärer Rechtsschutz in der Hauptsache in Form der Bescheidungsklage nach § 113 Abs.5 Satz 2 VwGO versagt (vgl BVerwGE_80,127 <129 f>; Beschluss der 3.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19.September 1989 - 2 BvR 1576/88 -, NJW 1990, S.501 f; vgl hierzu allerdings jetzt auch BVerwG, DVBl 2002, S.203 <204>). | |
b) Aufgrund dieser Verfahrensabhängigkeit des sich aus Art.33 Abs.2 GG ergeben den subjektiven Rechts sind die Verwaltungsgerichte bei der Auslegung und Anwendung des § 123 Abs.1 Satz 1 VwGO im so genannten beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit gehalten, den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes gerade im Eilverfahren besonders Rechnung zu tragen. Art.19 Abs.4 GG garantiert nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl BVerfGE_35,263 <274>; BVerfGE_40,272 <275>; BVerfGE_61,82 <110 f>; BVerfGE_77,275 <284>; BVerfGE_79,69 <74 f>; BVerfGE_93,1 <13 >; BVerfGE_97,298 <315>; BVerfGE_101,106 <122 f>; BVerfGE_103,142 <156>; stRspr). Droht dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über den Randbereich hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, wenn nicht ausnahmsweise gewichtige Gründe entgegenstehen. Hierbei muss das Gericht das Verfahrensrecht in einer Weise auslegen und anwenden , die dem Gebot effektiven Rechtsschutzes Rechnung trägt (vgl BVerfGE_79,69 <75>; BVerfGE_97,298 <315>). | |
2. Diesen Vorgaben aus Art.19 Abs.4 GG in Verbindung mit Art.33 Abs.2 GG wird der angegriffene Beschluss nicht gerecht. Er überspannt die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs zu Lasten des Beschwerdeführers, indem er für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht nur die Glaubhaftmachung einer Fehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung fordert, sondern darüber hinaus auch die Glaubhaftmachung der realistischen, nicht nur entfernten Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer bei Vermeidung des Fehlers einem der ausgewählten Mitbewerber vorgezogen wird. Dadurch wird dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer erfolgreichen Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes, der nach der bisherigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Abwendung vollendeter Tatsachen und somit zur effektiven Sicherung des Anspruchs aus Art.33 Abs.2 GG ausschließlich in Betracht kommt, in unzumutbarer Weise erschwert. | |
Der Maßstab, der an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und damit des zu sichernden Rechts, dessen Verwirklichung ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung vereitelt oder wesentlich erschwert würde, anzulegen ist, hat sich an dem Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Beschwerdeführer mit seinem Begehren verfolgt. Ist die geltend gemachte materielle Rechtsposition grundsätzlich sicherungsfähig, hängt die Bejahung eines Anordnungsanspruchs nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte regelmäßig davon ab, welche Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren bestehen. Diese verwaltungsgerichtliche Praxis ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich (vgl BVerfGE_79,69 <74 f>). | |
Im Rahmen einer auf Art.33 Abs.2 GG gestützten Bescheidungsklage, mit der sich der unterlegene Beamte gegen die Ablehnung seiner Bewerbung richtet, ist die gerichtliche Überprüfung der Auswahlentscheidung - verfassungsrechtlich unbeanstandet - regelmäßig darauf beschränkt, ob der Dienstherr ermessens- und beurteilungsfehlerfrei über die Bewerbung entschieden hat. Dagegen kann der unterlegene Bewerber - von dem unwahrscheinlichen Fall einer Reduzierung des Beurteilungsspielraumes bzw. des Ermessens auf Null abgesehen - unter Berufung auf Art.33 Abs.2 GG nicht gerichtlich feststellen lassen, dass er an Stelle des ihm vorgezogenen Konkurrenten hätte ausgewählt werden müssen. Streitgegenstand ist mithin nicht ein möglicher Anspruch auf Beförderung, sondern allein das dahinter zurückbleibende Recht auf fehlerfreie Entscheidung über die Bewerbung. Wird dieses subjektive Recht aus Art.33 Abs.2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt, folgt daraus, dass der unterlegene Beamte eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung zumindest dann beanspruchen kann, wenn seine Aussichten, beim zweiten Mal ausgewählt zu werden, offen sind, dh wenn seine Auswahl möglich erscheint. Dementsprechend wird der Dienstherr mit einer der Klage stattgebenden Entscheidung verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Bewerbung des Klägers zu entscheiden. | |
Derselbe Maßstab wie im Hauptsacheverfahren ist auch anzulegen, wenn der bei der Auswahl eines Beförderungsbewerbers unterlegene Beamte verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz zur vorläufigen Sicherung seines Anspruchs aus Art.33 Abs.2 GG begehrt. Da hier effektiver Rechtsschutz letztlich nur im Wege einer einstweiliger Anordnung zu leisten ist, dürfen die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs mit Blick auf Art.19 Abs.4 GG nicht über das hinausgehen, was für ein Obsiegen des unterlegenen Bewerbers im Hauptsacheverfahren gefordert werden könnte. | |
Das Postulat des Oberverwaltungsgerichts in der angegriffenen Entscheidung, der Beschwerdeführer habe glaubhaft zu machen, dass er in einem erneuten Auswahlverfahren bei Vermeidung des unterstellten Fehlers anstelle eines ausgewählten Mitbewerbers zum Zuge komme, führt zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer auch bei unterstellter Verletzung von Art.33 Abs.2 GG - und dementsprechend gegebener Erfolgsaussicht in der Hauptsache - vorläufiger Rechtsschutz versagt bleibt. Die unterstellte Rechtsverletzung könnte jedoch im Hauptsacheverfahren nach erfolglos durchgeführtem Eilverfahren und einer sich daran anschließenden Ernennung der ausgewählten Mitbewerber nicht mehr korrigiert werden, weil nach dem gegenwärtigen Stand der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung das Rechtsschutzinteresse an einer erneuten Entscheidung entfallen wäre. Die nach der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren zu überwindende Hürde ist wegen der Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs zu hoch; zu einer Entscheidung in der Hauptsache könnte es allein aus prozessualen Gründen nicht mehr kommen, so dass der Beschwerdeführer letztlich schutzlos bleibt. | |
An diesem Ergebnis ändert auch die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts nichts, es bestehe nicht die realistische Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer neuen, das Spektrum der Beurteilungsnoten besser ausnutzenden Beurteilungsaktion im Vergleich zu den ausgewählten Mitbewerbern um eine ganze Notenstufe besser abschneiden würde, weil sich die bessere Eignung des Beschwerdeführers weder aus den Texten der zuletzt erteilten Beurteilung noch aus den davor erteilten Beurteilungen ergebe. Zum einen erscheint es nicht tragfähig, dass das Oberverwaltungsgericht die Chancen des Beschwerdeführers in einem erneuten Auswahlverfahren aufgrund der vorhandenen dienstlichen Beurteilungen überprüft, obwohl es deren Rechtswidrigkeit wegen eines Verstoßes gegen den Leistungsgrundsatz unterstellt. Zum anderen ist es im Hinblick auf den dem Dienstherrn bei der Auswahlentscheidung zustehenden Beurteilungs- und Ermessensspielraum grundsätzlich nicht Aufgabe des Gerichts, den besser geeigneten Bewerber zu bestimmen und eine eigene Prognose der Erfolgsaussichten der Bewerbung vorzunehmen. | |
Die angegriffene Entscheidung, die auf die Aussichten des Bewerbers im erneuten Auswahlverfahren abstellt, wäre gemessen an Art.19 Abs.4 GG nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Beschwerdeführer - über den regelmäßigen Gewährleistungsinhalt des Art.33 Abs.2 GG hinausgehend - als Rechtsschutzziel ausdrücklich seine Beförderung beansprucht hätte; das ist aber nicht der Fall. | |
Ob - wie der Beschwerdeführer meint - die Beurteilungspraxis des Niedersächsischen Ministeriums für Arbeit, Frauen und Soziales rechtswidrig ist und die Auswahlentscheidung gegen den Leistungsgrundsatz verstößt, bedarf hier keiner Entscheidung. Die festgestellte Verletzung von Art.19 Abs.4 GG in Verbindung mit Art.33 Abs.2 GG beruht darauf, dass das Oberverwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung offen gelassen und den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes trotz unterstellter Rechtswidrigkeit unter Heranziehung eines gegen den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verstoßenden Prüfungsmaßstabs abgelehnt hat. | |
Auszug aus BVerfG B, 24.09.02, - 2_BvR_857/02 -, www.BVerfG.de, Abs.9 | |
§§§ | |
02.037 | Telekommunikation |
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1) Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses (Art.10 Abs.1 GG) erstreckt sich auf die von Privaten betriebenen Telekommunikationsanlagen. | |
2) Art.10 Abs.1 GG begründet ein Abwehrrecht gegen die Kenntnisnahme des Inhalts und der näheren Umstände der Telekommunikation durch den Staat und einen Auftrag an den Staat, Schutz auch insoweit vorzusehen, als private Dritte sich Zugriff auf die Kommunikation verschaffen. | |
3) Die Gewährleistung des Rechts am gesprochenen Wort als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG schützt vor der Nutzung einer Mithöreinrichtung, die ein Gesprächsteilnehmer einem nicht an dem Gespräch beteiligten Dritten bereitstellt. Art.10 Abs.1 GG umfasst diesen Schutz nicht. | |
4) Auf das Recht am gesprochenen Wort kann sich auch eine juristische Person des Privatrechts berufen. | |
5) Zur Verwertung von Zeugenaussagen im Zivilverfahren, die auf dem rechtswidrigen Mithören von Telefongesprächen Dritter beruht. | |
§§§ | |
02.038 | Aktenvorlage |
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LB 1) Dem Begehren der Landesregierun auf vorläufigen Rechtsschutz im Organstreit über ein von den Antragsgegnern (Fraktion im Ausschuss) geltend gemachtes Recht auf Vorlage der Haushaltsvoranschläge wurde stattgegeben. | |
LB 2) Zur Folgenabwägung hinsichtlich der Funktionsfähigkeit der Regierung und derjenigen des Parlaments. | |
* * * | |
T-02-16 | Abwehr schwerer Nachteile |
"Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Abwehr schwerer Nachteile und zum gemeinen Wohl dringend geboten (§ 75 iVm § 32 Abs.1 BVerfGG). | |
1. Bei der Beantwortung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs.1 BVerfGG vorliegen, ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (vgl BVerfGE_82,310 <312>; BVerfGE_99,57 <66>; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22.Mai 2001 - 2 BvQ 48/00 -, NJW 2001, S.3253 <3253>). Ob dies auch für den hier zu entscheidenden Fall gilt oder ob die Umkehr der Klagelast eine Änderung dieses Maßstabs veranlasst, weil mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung hier gerade derjenige Zustand herbeigeführt würde, der bei normaler Klagelastverteilung ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung bestünde, kann offenbleiben, denn die genannten Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind hier auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs gegeben. | |
2. Der in der Hauptsache gestellte Antrag erweist sich nicht als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE_82,310 <313>; BVerfGE_91,140 <144>; BVerfGE_99,57 <66>; BVerfGE_103,41 <42>; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22.Mai 2001 - 2 BvQ 48/00 -, NJW 2001, S.3253 <3253>). | |
a) Die Zulässigkeit auch des in der Hauptsache gestellten Antrags scheitert nicht, wie von den Antragsgegnern geltend gemacht, an fehlender Parteifähigkeit und passiver Prozessführungsbefugnis der Antragsgegner (vgl. oben unter B.I). | |
Auch soweit sie sich gegen das formulierte Antragsziel richten, sind die Einwände der Antragsgegner gegen die Zulässigkeit des Antrags in der Hauptsache nicht begründet. Die Antragstellerin hat ihre Antragsformulierung in der Hauptsache, nach der sie die Feststellung erstrebt, das Vorlagebegehren der Antragsgegner verstoße gegen näher bezeichnete Bestimmungen der Landesverfassung, mit Rücksicht auf § 64 Abs.1 BVerfGG gewählt. Nach dieser Bestimmung erfordert ein zulässiger Antrag im Organstreitverfahren die Bezeichnung einer Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners, durch die der Antragsteller sich in seinen im Organstreit verfolgbaren Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet sieht. | |
Für Organstreitigkeiten innerhalb eines Landes gilt diese Regelung nicht unmittelbar, sie ist aber sinngemäß anzuwenden (vgl BVerfGE_4,144 <147 f>; BVerfGE_27,44 <51> - stRspr); letzteres wird damit begründet, dass das Erfordernis, eine Verletzung oder Gefährdung verfassungsrechtlich geschützter Rechte des Antragstellers durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners geltend zu machen, sich "notwendig aus dem Wesen des Verfassungsstreits" ergebe (vgl BVerfGE_1,208 <229>; BVerfGE_60,53 <63> ). Dieser Beurteilung liegt der von der bisherigen Rechtsprechung allein ins Auge gefasste Fall der üblichen Klagelastverteilung zugrunde. Auf den vorliegenden Fall einer Umkehrung der Klagelast passt sie nur eingeschränkt. Auch insoweit mag es zum Wesen der nach Art.99 GG dem Bundesverfassungsgericht zuweisbaren Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes gehören, dass sie um die Wahrung eines verfassungsrechtlich geschützten und durch ein bestimmtes Verhalten des jeweils anderen Verfahrensbeteiligten verletzten oder gefährdeten Rechts eines der Verfahrensbeteiligten geführt werden. Dies ist hier der Fall. Dass es sich dabei, wie in § 64 Abs.1 BVerfGG gefordert, um die Wahrung eines verletzten oder gefährdeten Rechts des Antragstellers handeln und dementsprechend dieser die Rechtswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens des Antragsgegners geltend machen muss, folgt dagegen nicht schon aus dem Wesen der Verfassungsstreitigkeit, sondern erst aus der dabei üblichen Klagelastverteilung. | |
Die sinngemäße Anwendung des § 64 Abs.1 BVerfGG auf den vorliegenden Fall ergibt daher nicht, dass die Antragstellerin in der Hauptsache die Rechtswidrigkeit des Vorlagebegehrens der Antragsteller geltend machen muss. Sollte sich im Hauptsacheverfahren ergeben, dass der Antrag in diesem Punkt nicht richtig formuliert ist, wäre dies unschädlich. Das Bundesverfassungsgericht ist an die Wortfassung der gestellten Anträge nicht gebunden (vgl BVerfGE_1,14 <39>; BVerfGE_68,1 <68> ). Die Antragstellerin hat in ihrer Antragsschrift zur Hauptsache dargelegt, dass sie ein - bei sinngemäßer, auch die Umkehr der Klagelast berücksichtigender Anwendung des § 64 Abs.1 BVerfGG - zulässiges, nämlich das in Art.23 Abs.3 Satz 4 LV auch für das Verfahren in der Hauptsache vorgezeichnete Antragsziel verfolgt. | |
b) Der in der Hauptsache gestellte Antrag ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Die Begründetheit des Hauptsacheantrags hängt von der Reichweite des Vorbehalts der "Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung" der Landesregierung ab, der nach Art.23 Abs.3 Satz 1 LV die Aktenvorlagepflicht der Landesregierung begrenzt. Mit der Formulierung dieses Vorbehalts knüpft Art.23 Abs.3 Satz 1 LV an den aus dem Gewaltenteilungsprinzip abgeleiteten Grundsatz an, dass ein "Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" dem Zugriff parlamentarischer Kontrollrechte entzogen ist (s Bericht und Beschlussempfehlung des Sonderausschusses "Verfassungs- und Parlamentsreform", LTDrs 12/620, S.66; Hübner in: v Mutius/Wuttke/Hübner, Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, Bd.I, 1995, Art.23 Rn.19). Die Reichweite dieses Grundsatzes und seiner landesverfassungsrechtlichen Umschreibungen durch den Vorbehalt der "Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung" der Landesregierung ist in Rechtsprechung und Literatur im Einzelnen umstritten und insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht so weit geklärt, dass das Ergebnis seiner Anwendung auf einen Fall wie den vorliegenden eindeutig wäre. | |
3. Ist der Antrag in der Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet, so kommt es auf eine Folgenabwägung an. Abzuwägen sind die Nachteile, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, sich später aber in der Hauptsache ergäbe, dass damit eine zu Recht behauptete Verfassungsrechtsposition vorläufig ungeschützt geblieben ist, gegen die Nachteile, die einträten, wenn die Anordnung erginge, sich in der Hauptsache aber erwiese, dass damit einstweilig Schutz für eine zu Unrecht behauptete Verfassungsrechtsposition gewährt wurde (vgl BVerfGE_88,173 <179 f>; BVerfGE_99,57 <66> ; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22.Mai 2001 - 2 BvQ 48/00 -, NJW 2001, S.3253 <3253 f> - stRspr). Diese Abwägung fällt hier zugunsten des Erlasses der beantragten einstweiligen Anordnung aus. | |
Wird der Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, stellt sich aber in der Hauptsache heraus, dass die Landesregierung nach Art.23 Abs.3 Satz 1 LV zur Verweigerung der Aktenvorlage berechtigt war, so ist die Landesregierung nach Art.23 Abs.3 Satz 4 LV zunächst verpflichtet, Akten vorzulegen, deren Vorlage sie an sich aus Gründen ihrer Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung verweigern dürfte. Folge der Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wäre daher eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Landesregierung. | |
Wird dagegen eine einstweilige Anordnung wie beantragt erlassen, stellt sich aber im Hauptsacheverfahren heraus, dass ein Verweigerungsrecht nach Art.23 Abs.3 Satz 1 LV nicht besteht, so kann die Landesregierung trotz eines an sich gegebenen Anspruchs der Antragsteller die Vorlage der Akten bis zur Entscheidung in der Hauptsache verweigern. Der Erlass der einstweiligen Anordnung hätte in diesem Fall eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit auf Seiten des Parlaments zur Folge, da die qualifizierte Minderheit, der Art.23 Abs.2 LV die Ausübung parlamentarischer Kontrollfunktionen ermöglicht, an der Ausübung dieser Kontrollfunktionen im konkreten Fall bis zur Entscheidung in der Hauptsache gehindert wäre. | |
Gegeneinander abzuwägen sind also der Nachteil einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Regierung auf der einen und der einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Parlaments auf der anderen Seite. Keiner dieser beiden Belange kann abstrakt als höherrangig eingestuft werden. Daraus ergibt sich aber für den vorliegenden Fall keine Gleichgewichtigkeit der alternativ drohenden Nachteile. Wird die Landesregierung durch die Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Anordnung zur Vorlage von Akten genötigt, deren Vorlage sie nach dem späteren Entscheidungsergebnis in der Hauptsache im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung verweigern darf, so sind die durch das Verweigerungsrecht geschützten Belange irreversibel beeinträchtigt, denn die mit der Vorlage ermöglichte Kenntnisnahme und deren sämtliche Folgen können durch die spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die Behinderung der Ausübung parlamentarischer Kontrollfunktionen durch eine einstweilige Nichtvorlage von Akten, auf deren Vorlage nach dem Ergebnis des Hauptsacheverfahrens ein Anspruch besteht, wäre dagegen zeitlich begrenzt. Zwar können Verzögerungen die Wirksamkeit der Ausübung parlamentarischer Kontrollrechte beeinträchtigen. Jedenfalls wenn sich die Kontrolle auf einen abgeschlossenen Vorgang bezieht und die Hauptsacheentscheidung noch innerhalb derselben Legislaturperiode fällt, wird die Ausübung parlamentarischer Kontrollfunktionen durch eine gewisse zeitliche Verschiebung aber normalerweise nicht so grundlegend beeinträchtigt, dass sie ihren Sinn verlöre und die verzögerte Erfüllung eines bestehenden Aktenvorlagerechts daher einem irreversiblen Rechtsverlust gleichkäme. | |
So liegt es hier. Im Falle eines inhaltlichen Auseinanderfallens von vorläufiger und endgültiger Entscheidung wäre deshalb die Funktionsfähigkeit der Landesregierung von einer vorläufigen Entscheidung zu ihren Ungunsten deutlich schwerer nachteilig betroffen als die Funktionsfähigkeit des Parlaments von einer vorläufigen Entscheidung zuungunsten der Antragsgegner." | |
Auszug aus BVerfG B, 10.10.02, - 2_BvK_1/01 -, www.BVerfGE.de, Abs.17 ff | |
§§§ | |
02.039 | Altenpflege |
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1) a) Der Gesetzgeber ist hinsichtlich der Festlegung des Berufsbildes der Altenpflege nicht starr an bestehende, traditionelle Vorprägungen gebunden; er ist vielmehr befugt, zur Durchsetzung wichtiger Gemeinschaftsinteressen die Ausrichtung des überkommenen Berufsbildes zeitgerecht zu verändern. | |
b) Der Beruf des Altenpflegers ist, anders als der Beruf des Altenpflegehelfers, ein "anderer Heilberuf" im Sinne des Art.74 Abs.1 Nr.19 GG. | |
2) a) Ein von verfassungsgerichtlicher Kontrolle freier gesetzgeberischer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Voraussetzungen des Art.72 Abs.2 GG besteht nicht. | |
b) Die Erforderlichkeitsklausel unterscheidet alternativ drei mögliche Ziele als Voraussetzung zulässiger Bundesgesetzgebung. Deren Konkretisierung muss sich am Sinn der besonderen bundesstaatlichen Integrationsinteressen orientieren. | |
aa) Das Erfordernis der "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" ist nich t schon dann erfüllt, wenn es nur um das Inkraftsetzen bundeseinheitlicher Regel ungen geht. Das bundesstaatliche Rechtsgut gleichwertiger Lebensverhältnisse ist vielmehr erst dann bedroht und der Bund erst dann zum Eingreifen ermächtigt, we nn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwicke lt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet. | |
bb) Die "Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit" betrifft unmittelbar institutionelle Voraussetzungen des Bundesstaats und erst mittelbar die Lebensverhältnisse der Bürger. Eine Gesetzesvielfalt auf Länderebene erfüllt die Voraussetzungen des Art.72 Abs.2 GG erst dann, wenn sie eine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen darstellt, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann. | |
cc) Die "Wahrung der Wirtschaftseinheit" liegt im gesamtstaatlichen Interesse, wenn es um die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik durch bundeseinheitliche Rechtssetzung geht. Der Erlass von Bundesgesetzen zur Wahrung der Wirtschaftseinheit steht dann im gesamtstaatlichen, also im gemeinsamen Interesse von Bund und Ländern, wenn Landesregelungen oder das Untätig bleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich bringt. | |
§§§ | |
02.040 | Kindergeld |
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Zur Gleichbehandlung unterschiedlicher Familienformen im Kindergeldrecht. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
02.041 | Gebietsbezeichnung |
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1) Die Freiheit der Berufsausübung aus Art.12 Abs.1 GG umfasst das Recht, die Öffentlichkeit über erworbene berufliche Qualifikationen wahrheitsgemäß und in angemessener Form zu informieren (Anschluss an . BVerfGE_33,125). | |
2) Ärzte mit der Gebietsbezeichnung Allgemeinmedizin, die sich in weiteren Gebieten spezialisieren und betätigen dürfen, sind berechtigt, dies öffentlich bekannt zu geben. | |
§§§ | |
02.042 | Zinszuschlag |
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Die Rückforderung des Zinszuschlags nach § 349 Abs.4 Satz 1 in Verbindung mit Satz 3 des Lastenausgleichsgesetzes im Zuge einer Restitution nach dem Vermögensgesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar. | |
§§§ | |
02.043 | Verfahrenseinstellung |
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LB 1) Das Verfahren 1_BvF_1/96 ist infolge der Rücknahme des Normenkontrollantrags - als solche versteht der Senat die Erledigterklärung durch die Antragsteller - einzustellen. | |
LB 2) Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde als Voraussetzung für eine Entscheidung zur Sache muss noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde gegeben sein (vgl - speziell zum Erfordernis des Bestehens eines Rechtsschutzinteresses - BVerfGE_21,139 <143>; BVerfGE_30,54 <58>; BVerfgE_56,99 <106>; stRspr). | |
LB 3) Daran fehlt es, weil die Beschwerdeführer zu IV 1 bis 4 und 12 bis 19 durch die angegriffenen Regelungen nicht mehr beschwert sind. Diese Vorschriften sind, soweit sie den Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen des Landes Brandenburg betreffen, durch die umfassende Neuregelung in § 9 Abs.2 bis 7 BbgSchulG ersetzt worden, die der Landesgesetzgeber durch das Änderungsgesetz vom 10.Juli 2002 mit Wirkung vom 1.August 2002 geschaffen hat. | |
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T-02-17 | Brandenburgisches Schulgesetz |
"Eine Sachentscheidung kommt nicht mehr in Betracht. I. 5 | |
Das Verfahren 1_BvF_1/96 ist infolge der Rücknahme des Normenkontrollantrags - als solche versteht der Senat die Erledigterklärung durch die Antragsteller - einzustellen. Gründe für eine Fortführung des Verfahrens im öffentlichen Interesse (vgl BVerfGE_87,152 <153> mwN) sind nicht mehr gegeben, nachdem der brandenburgische Landesgesetzgeber eine Neuregelung über den Verfahrensgegenstand getroffen hat, die zu der Vereinbarung zwischen den Beteiligten und zu der Prozesserklärung der Antragsteller geführt hat. II. | |
Die Verfahren 1_BvR_1697/96, 1_BvR_1718/96, 1_BvR_1783/96 und das Verfahren 1_BvR_1412/97 hinsichtlich der Beschwerdeführer zu IV 5 bis 11 und 20 bis 26 sind mit der Rücknahme der Verfassungsbeschwerden ebenfalls beendet. Die Rücknahmen sind wirksam. Zwar hat der Senat über die Verfahren mündlich verhandelt (vgl BVerfGE_98,218 <243>), doch sind das öffentliche Interesse an diesen Verfahren und die allgemeine Bedeutung der Verfassungsbeschwerden mit der Neuregelung des Religionsunterrichts an den brandenburgischen Schulen und der außerdem geschaffenen Möglichkeit, sich unter erleichterten Bedingungen von der Teilnahme an dem Unterrichtsfach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde befreien zu lassen, entfallen. III. | |
Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu IV 1 bis 4 und 12 bis 19 im Verfahren 1_BvR1412/97 ist zu verwerfen. Dies kann der Senat gemäß § 24 BVerfGG durch Beschluss entscheiden. | |
1. Nach § 24 Abs.1 Satz 1 BVerfGG können unzulässige oder offensichtlich unbegründete Anträge durch einstimmigen Beschluss des Gerichts verworfen werden. Die Anwendung dieser Regelung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn in der Sache eine mündliche Verhandlung noch gar nicht stattgefunden hat (vgl dazu BVerfGE_95,1 <14 f>; BVerfGE_95,243 <248>). Auf der Grundlage des § 24 Abs.1 Satz 1 BVerfGG kann vielmehr auch dann entschieden werden, wenn zwar - wie hier - mündlich verhandelt worden ist, nach Durchführung der mündlichen Verhandlung jedoch der Angriffsgegenstand entfallen ist, so dass das Gericht nicht mehr aufgrund der in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse, sondern unter Berücksichtigung der erst danach entstandenen Sachlage entscheidet (vgl auch Fröhlinger, Die Erledigung der Verfassungsbeschwerde, 1982, S.61 f). | |
2. Die Voraussetzungen des § 24 Abs.1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. | |
Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu IV 1 bis 4 und 12 bis 19 des Verfahrens 1_BvR_1412/97 ist nach Durchführung der mündlichen Verhandlung am 26.Juni 2001 und nach Verkündung des Senatsbeschlusses vom 11.Dezember 2001 unzulässig geworden. Dahingestellt bleiben kann, ob ihre Verfassungsbeschwerde - insbesondere im Hinblick auf die Beschwerdebefugnis - von Anfang an zulässig war. Denn jedenfalls ist die Zulässigkeit im Zuge der weiteren Entwicklung entfallen. | |
Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde als Voraussetzung für eine Entscheidung zur Sache muss noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde gegeben sein (vgl - speziell zum Erfordernis des Bestehens eines Rechtsschutzinteresses -BVerfGE_21,139 <143>; BVerfGE_30,54 <58>; BVerfGE_56,99 <106>; stRspr). Daran fehlt es, weil die Beschwerdeführer zu IV 1 bis 4 und 12 bis 19 durch die angegriffenen Regelungen nicht mehr beschwert sind. Diese Vorschriften sind, soweit sie den Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen des Landes Brandenburg betreffen, durch die umfassende Neuregelung in § 9 Abs.2 bis 7 BbgSchulG ersetzt worden, die der Landesgesetzgeber durch das Änderungsgesetz vom 10.Juli 2002 mit Wirkung vom 1. August 2002 geschaffen hat. Allenfalls von dieser Neuregelung kann - vom Zeitpunkt ihres In-Kraft-Tretens an - für die Beschwerdeführer eine (neue) Beschwer ausgehen. Darüber ist im Zusammenhang mit der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 1406/02 zu entscheiden, welche die Beschwerdeführer zu IV 1 bis 4 und 12 bis 19 des Verfahrens 1_BvR_1412/97 zusammen mit anderen Beschwerdeführern inzwischen auch gegen § 9 Abs.2 bis 7 Bbg-SchulG nF eingelegt haben. | |
Im Ergebnis nichts anderes gilt, soweit sich die Beschwerdeführer zu IV 1 bis 4 und 12 bis 19 gegen die Bestimmungen über das Unterrichtsfach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde in § 11 Abs.2 bis 4 und § 141 BbgSchulG wenden. Zwar sind die grundlegenden Regelungen über dieses Fach in § 11 Abs.2, Abs.3 Satz 1 bis 3 sowie Abs. 4 BbgSchulG unverändert geblieben. Doch sind durch das Änderungsgesetz vom 10.Juli 2002 § 141 BbgSchulG aufgehoben und dem § 11 Abs.3 BbgSchulG zwei neue Sätze angefügt worden. Nach der angefügten Neuregelung sind Schülerinnen und Schüler, deren Eltern oder die nach Vollendung des 14.Lebensjahres selbst gegenüber der Schule erklären, dass die Schülerin oder der Schüler Religionsunterricht anstelle des Faches Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde erhalten soll, beim Nachweis des Besuchs eines solchen Unterrichts von der Verpflichtung zur Teilnahme am Unterricht in dem Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde befreit. Damit ist sichergestellt, dass niemand, der am Religionsunterricht teilnehmen kann und will und diesen Unterricht anstelle des Unterrichtsfachs Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde besuchen möchte, gegen seinen Willen am Unterricht in diesem Unterrichtsfach teilnehmen muss. Die Beschwerdeführer haben nichts dazu vorgetragen, dass in ihrem Fall die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 11 Abs.3 Satz 4 und 5 BbgSchulG nicht erfüllt werden können." | |
Auszug aus BVerfG B, 31.10.02, - 1_BvF_1/96 -, www.BVerfG.de, Abs.4 ff | |
§§§ | |
02.044 | Singularzulassung |
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Zur Singularzulassung der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof nach § 171 der Bundesrechtsanwaltsordnung. | |
§§§ | |
02.045 | JUVE-Handbuch |
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LB 2) Die Einordnung einer Äußerung als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung ist für die rechtliche Beurteilung von Eingriffen in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nach der Rechtsprechung der Fachgerichte und des Bundesverfassungsgerichts von weichenstellender Bedeutung (vgl BVerfGE_61,1 <7 f>; BVerfGE_99,185 <196 f>; stRspr). | |
LB 3) Eine Meinung ist im Unterschied zur Tatsachenbehauptung durch das Element des Wertens, insbesondere der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt (vgl BVerfGE_61,1 <9>; BVerfGE_85,1 <14>). | |
LB 3) Beim Anwaltsranking handelt es sich nicht um eine Tatsachenäußerung sondern um eine durch die Meinungsfreiheit des Art.5 Abs.1 GG unfasste Wertung. | |
LB 4) Eine auf § 1 UWG gestützte Einschränkung der Meinungsfreiheit setzt im konkreten Fall Feststellungen zur Gefährdung des Leistungswettbewerbs durch sittenwidriges Verhalten voraus. | |
LB 5) Anzeigenfinanzierte Medien sind regelmäßig darauf angewiesen, zur Schaltung von Anzeigen zu motivieren. Die Bewertung als sittenwidrig erfordert die Feststellung zusätzlicher Umstände, die etwa gegeben sind, wenn durch Vortäuschung einer neutralen redaktionellen Leistung ein werbender, auf die Akquisition gerichteter Inhalt verborgen wird. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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T-02-18 | Meinungsfreiheit + § 1 UWG |
"1. Das Oberlandesgericht hat bei Auslegung und Anwendung von § 1 UWG Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der Meinungsfreiheit aus Art.5 Abs.1 GG verkannt. | |
a) Die untersagten Ranglisten enthalten schwerpunktmäßig wertende Äußerungen, nicht jedoch Tatsachenbehauptungen. | |
Eine Meinung ist im Unterschied zur Tatsachenbehauptung durch das Element des Wertens, insbesondere der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt (vgl BVerfGE_61,1 <9>; BVerfGE_85,1 <14> ). Die Listen geben eine von der Redaktion erstellte Rangordnung der aufgeführten Kanzleien wieder. Sie lassen erkennen, dass dadurch über deren Leistungen ein Werturteil abgegeben wird. Dieses baut allerdings auf Interviews auf, also auf Auskünften Dritter, wie der jeweils am Ende wiedergegebene Hinweis zeigt. Die Fundierung der Wertungen in tatsächlichen Erhebungen ändert aber nichts daran, dass Werturteile formuliert werden. Auch in den Interviews wurden wertende Äußerungen erhoben und zur Grundlage der Auswertung genommen. | |
Soweit sich den Entscheidungsgründen Anhaltspunkte entnehmen lassen, geht das Oberlandesgericht demgegenüber davon aus, bei den Ranglisten handele es sich um die Äußerung von Tatsachen. Den aus den Ranggruppen zu ersehenden Angaben zur Qualifikation der genannten Rechtsanwälte wird ausdrücklich tatsächlicher Charakter beigemessen. Im gleichen Zusammenhang ist von objektiven Vergleichskriterien die Rede. An anderer Stelle werden die Ranggruppen als objektiv nicht zu rechtfertigende und als unrichtige Information charakterisiert, deren sachliche Richtigkeit auch von den Beschwerdeführern nicht behauptet werde. Dies alles setzt ein Verständnis der Tabellen als Tatsachenäußerung voraus. | |
b) Auf der unzutreffenden Einordnung der Äußerungen als Tatsachenbehauptungen beruht das Berufungsurteil. Werden die Äußerungen bei erneuter Verhandlung der Sache als Werturteil eingeordnet, besteht die Möglichkeit, dass ein dem Beschwerdeführer günstigeres Ergebnis erzielt wird. Die dahingehende Möglichkeit reicht für die Annahme eines Zusammenhangs zwischen der Grundrechtsverletzung und der angegriffenen Entscheidung aus (vgl BVerfGE_61,1 <13>; BVerfGE_99,185 <201 f>). | |
aa) Die Einordnung einer Äußerung als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung ist für die rechtliche Beurteilung von Eingriffen in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nach der Rechtsprechung der Fachgerichte und des Bundesverfassungsgerichts von weichenstellender Bedeutung (vgl BVerfGE_61,1 <7 f>; BVerfGE_99,185 <196 f>; stRspr). Führt eine Tatsachenbehauptung zu einer Rechtsverletzung, hängt das Ergebnis der Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter vom Wahrheitsgehalt der Äußerung ab. Bewusst unwahre Tatsachenäußerungen genießen den Grundrechtsschutz überhaupt nicht (vgl BVerfGE_54,208 <219> ). Ist die Wahrheit nicht erwiesen, wird die Rechtmäßigkeit der Beeinträchtigung eines anderen Rechtsguts davon beeinflusst, ob besondere Anforderungen, etwa an die Sorgfalt der Recherche, beachtet worden sind. Werturteile sind demgegenüber keinem Wahrheitsbeweis zugänglich. Sie sind grundsätzlich frei und können nur unter besonderen Umständen beschränkt werden (vgl BVerfGE_85,1 <16 f>). | |
bb) Wird die Rangliste zutreffend als Werturteil eingeordnet, lässt sich nach den bisherigen Erkenntnissen des Oberlandesgerichts nicht feststellen, dass sie ein in § 1 UWG geschütztes Rechtsgut gefährdet und dessen Schutz Vorrang vor der Freiheit der Meinungsäußerung hat. | |
(1) Schutzgut des § 1 UWG ist nach der fachrichterlichen Rechtsprechung insbesondere der Leistungswettbewerb. Zum Schutz der Wettbewerber und sonstiger Marktbeteiligter, aber gegebenenfalls auch gewichtiger Interessen der Allgemeinheit, werden durch die Norm Verhaltensweisen missbilligt, welche die Funktionsfähigkeit des an der Leistung orientierten Wettbewerbs im wettbewerblichen Handeln einzelner Unternehmen oder als Institution stören, so zum Beispiel durch unlautere Einflussnahmen auf die freie Entschließung der Kunden (vgl BGHZ_140,134 <138 f>; BGH NJW 2000, S.864; BGHZ_144,255 <265 f.>; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., München 2001, Einl UWG, Rn. 100 ff.). Diese Schutzgutbestimmung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl BVerfG, NJW 2001, S.3403 <3404>; 2002, S.1187 <1188>). Ob § 1 UWG noch weitere Schutzgüter umfasst (so, wenn auch ohne Spezifizierung, BGH, VersR 2002, S.456 <462> - "H.I.V.Positive" II), brauchte vom Bundesverfassungsgericht in den bisher entschiedenen Sachen nicht erörtert zu werden; auch der vorliegende Fall bietet hierzu keinen Anlass. Die Auslegung des einfachen Rechts und damit auch die Herleitung von Schutzgütern aus einer Rechtsnorm ist Aufgabe der Fachgerichte (BVerfGE_18,85 <92 f>; BVerfGE_84,372 <379>; BVerfGE_85,248 <257 f>; BVerfGE_102,347 <362>). | |
(2) Berührt ist vorliegend der Wettbewerb zwischen Rechtsanwälten. Die streitigen Ranglisten betreffen insbesondere die Transparenz des Anwaltsmarktes. Durch Beschränkung auf verhältnismäßig wenige Kanzleien, insbesondere auf Großkanzleien, geben die Ranglisten diesen einen Wettbewerbsvorsprung. Die Listen beeinflussen auch die Offenheit des Anwaltsmarktes, weil sie neu gegründete Kanzleien im Regelfall nicht oder doch nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung einbeziehen. | |
(3) Eine auf § 1 UWG gestützte Einschränkung der Meinungsfreiheit setzt im konkreten Fall Feststellungen zur Gefährdung des Leistungswettbewerbs durch sittenwidriges Verhalten voraus. Das Oberlandesgericht stellt unter Bezugnahme auf die vom Bundesgerichtshof in den Urteilen "Die Besten" I und II (BGH, NJW 1997, S.2679; 2681) erarbeiteten Grundsätze tragend auf die Fallgruppe der getarnten Werbung ab, also eine Fallgruppe, die einen Bezug auf den auch im Medienrecht enthaltenen Grundsatz der Trennung von redaktionellem Text und Werbung herstellt. Allein auf die Anwendbarkeit dieser Fallgruppe wird die Annahme der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 1 UWG gestützt. Das ist mit den sich aus Art.5 Abs.1 Satz 1 GG herleitenden Vorgaben nicht vereinbar. | |
Die Orientierung an Fallgruppen und damit an typischen Situationen der Gefährdung des Schutzguts ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die betreffenden Fallgruppen den miteinander kollidierenden grundrechtlichen Positionen hinreichend Rechnung tragen. Dies kann in abstrakter Weise geschehen. Verweist die Fallgruppe aber auf Prognosen und die Anwendung unbestimmter, insbesondere wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe, ist die Rechtsanwendung nicht eindeutig vorgegeben. Dann sind auf den konkreten Fall bezogene Feststellungen zur Gefährdung des von § 1 UWG geschützten Rechtsgutes und bei Kollisionen unterschiedlicher Rechtsgüter eine die betroffenen Interessen erfassende Abwägung erforderlich (vgl BVerfG, NJW 2002, S.1187 <1188>). Dementsprechend ist das Bundesverfassungsgericht im Benetton-Urteil nicht von den Tatbestandselementen der einschlägigen Fallgruppe ausgegangen, sondern hat das angegriffene Unterlassungsgebot selbständig am Maßstab des Art.5 Abs.1 Satz 1 GG bewertet (vgl BVerfGE_102,347 <364 ff.>). | |
Von den Tatbestandselementen der von der Rechtsprechung zu § 1 UWG entwickelten Fallgruppen kann eine aus praktischer Erfahrung gewonnene Indizwirkung für die Gefährdung des Leistungswettbewerbs und damit zusammenhängend die Sittenwidrigkeit ausgehen. Allerdings müssen die Fachgerichte prüfen, ob die Indizwirkung im konkreten Fall ausreicht, um die Rechtsfolge, eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, zu rechtfertigen (vgl BVerfG, NJW 2002, S.1187 <1188>). | |
Die Fallgruppe der getarnten Werbung ist nicht eindeutig eingegrenzt, sondern bei der Rechtsanwendung in hohem Maße auf wertende Einschätzungen und Prognosen der Folgen einer solchen Werbung angewiesen. Das gilt insbesondere für die Merkmale der sachlichen Unterrichtung, der Werbewirkung und deren Übermaß beziehungsweise Einseitigkeit. Wird die Fallgruppe der getarnten Werbung auf die journalistische Tätigkeit durch ein Medienunternehmen angewandt, bieten die im Wettbewerbs- und Medienrecht entwickelten Grundsätze über die Trennung von redaktionellem Teil und Anzeigenteil Anhaltspunkte der Bewertung und damit der Feststellung einer Gefährdung des Schutzgutes im konkreten Fall. | |
Eine spezifische Gefahr für den Leistungswettbewerb, die von den Ranglisten als solchen ausgeht, wird in den Entscheidungsgründen nicht dargelegt. Dass ein journalistischer Beitrag über Anwaltskanzleien mit Werbewirkung allgemein oder im konkreten Fall dem Leistungswettbewerb in der Anwaltschaft zuwiderläuft, etwa mit Rücksicht auf die Funktion der Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO), hätte der näheren Begründung bedurft. Soweit das Oberlandesgericht auf die begrenzte Offenlegung der Bewertungsgrundlagen und -kriterien abstellt, fehlen im Berufungsurteil Feststellungen insbesondere dazu, dass die angesprochenen Kreise die Erläuterungen nicht selbst angemessen zu werten wissen oder dass die verbleibenden Unklarheiten Gefahren für den Leistungswettbewerb bedingen. | |
Es ist auch nicht festgestellt worden, dass durch die Veröffentlichung von Ranglisten in sittenwidriger Weise auf die Aufgabe von Inseraten hingewirkt wird. Auch dies hätte einer die spezifische Gefährdung des Leistungswettbewerbs einbeziehenden Begründung bedurft. Dafür reicht der Hinweis auf das Interesse der Beschwerdeführer an der Akquisition von Anzeigenaufträgen nicht aus. Anzeigenfinanzierte Medien sind regelmäßig darauf angewiesen, zur Schaltung von Anzeigen zu motivieren. Die Bewertung als sittenwidrig erfordert die Feststellung zusätzlicher Umstände, die etwa gegeben sind, wenn durch Vortäuschung einer neutralen redaktionellen Leistung ein werbender, auf die Akquisition gerichteter Inhalt verborgen wird. Entsprechende Feststellungen hat das Oberlandesgericht nicht getroffen. | |
cc) Schließlich fehlt es für den Fall, dass eine hinreichende Gefährdung des Schutzguts festgestellt werden sollte, an tragfähigen Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsgebots. | |
Ein umfassendes Unterlassungsgebot ist nicht erforderlich, wenn klarstellende Zusätze, etwa Hinweise auf die Quellen der Ranglisten, ausreichen, um Irreführungen und eine hierdurch hervorgerufene Beeinträchtigung des Leistungswettbewerbs auszuschließen. Eine dahingehende einschränkende Verurteilung ist, wenn nicht der Klageantrag diese Möglichkeit ohnehin berücksichtigt, nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung auch bei einem umfassenden Unterlassungsbegehren zulässig (vgl BGHZ_78,9 <18 ff>). Im Zuge des Verfahrens über die einstweilige Anordnung haben die Beschwerdeführer zum Teil neue klarstellende Formulierungen für die Neuauflage des Handbuchs angekündigt, mit denen sie den Bedenken des Oberlandesgerichts Rechnung tragen wollen. Bei der Neuverhandlung der Sache wird zu prüfen sein, ob eine vom Oberlandesgericht möglicherweise bejahte Gefährdung des Leistungswettbewerbs auf solche Weise abgewehrt werden kann. Die neuen Formulierungen sind vom Bundesverfassungsgericht bislang allerdings nur im Rahmen der nach § 32 Abs.1 BVerfGG vorzunehmenden Abwägung, nicht hingegen in der Sache selbst einer Würdigung unterzogen worden." | |
Auszug aus BVerfG B, 07.11.02, - 1_BvR_580/02 -, www.BVerfG.de, Abs.7 ff | |
§§§ | |
02.046 | Wahlleistungen II |
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LB 1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle gemäß Art.93 Abs.1 Nr.2 GG nur, wenn und solange ein besonderes objektives Interesse an der Klarstellung der Geltung der zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellten Norm gegeben ist (vgl BVerfGE_6,104 <110>; BVerfGE_96,133 <137>). | |
LB 2) Ein solches Interesse liegt bei einem Antrag auf Normverwerfung gemäß § 76 Abs.1 Nr.1 BVerfGG schon dann vor, wenn ein als Organ oder Organteil auf die Bundesverfassung in besonderer Weise verpflichteter Antragsteller von der Unvereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Bundesrecht überzeugt ist. | |
LB 3) Demgegenüber kann ein besonderer Anlass für die in § 76 Abs.1 Nr.2 BVerfGG geregelte Bestätigung einer Norm, von deren Verfassungsmäßigkeit in der Regel auszugehen ist (vgl BVerfGE_2,143 <158> ), erst dann bestehen, wenn diese Norm von den dafür zuständigen Stellen wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht nicht angewandt, nicht vollzogen oder in sonst relevanter Weise missachtet (vgl BVerfGE_12,205 <221 f>) und ihre Geltung damit in einer Weise in Frage gestellt wird, die ihre praktische Wirksamkeit beeinträchtigt (vgl BVerfGE_2,143 <158>). | |
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T-02-19 | Abstrakte Normenkontrolle |
"Der Antrag ist unzulässig. Die Voraussetzungen, unter denen nach § 76 Abs.1 Nr.2 BVerfGG die Feststellung der Gültigkeit von Bundes- oder Landesrecht beantragt werden kann, sind nicht erfüllt. | |
1. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle gemäß Art.93 Abs.1 Nr.2 GG nur, wenn und solange ein besonderes objektives Interesse an der Klarstellung der Geltung der zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellten Norm gegeben ist (vgl BVerfGE_6,104 <110>; BVerfGE_96,133 <137>). Ein solches Interesse liegt bei einem Antrag auf Normverwerfung gemäß § 76 Abs.1 Nr.1 BVerfGG schon dann vor, wenn ein als Organ oder Organteil auf die Bundesverfassung in besonderer Weise verpflichteter Antragsteller von der Unvereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Bundesrecht überzeugt ist. Demgegenüber kann ein besonderer Anlass für die in § 76 Abs.1 Nr.2 BVerfGG geregelte Bestätigung einer Norm, von deren Verfassungsmäßigkeit in der Regel auszugehen ist (vgl BVerfGE_2,143 <158>), erst dann bestehen, wenn diese Norm von den dafür zuständigen Stellen wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht nicht angewandt, nicht vollzogen oder in sonst relevanter Weise missachtet (vgl BVerfGE_12,205 <221 f>) und ihre Geltung damit in einer Weise in Frage gestellt wird, die ihre praktische Wirksamkeit beeinträchtigt (vgl BVerfGE_2,143 <158>). | |
2. Den hiernach zu stellenden Zulässigkeitsanforderungen genügt der Antrag nicht. | |
a) Zwar ist es unschädlich, dass die zur Begründung des Antrags angeführte Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts sich nicht auf die aktuell zur Überprüfung gestellte Fassung der Hamburgischen Beihilfeverordnung bezieht. Es genügt, dass der Norminhalt im Wesentlichen derselbe geblieben ist (vgl BVerfGE_6,104 <110>). Nach beiden Fassungen des § 6 Nr.6 HmbBeihVO ist die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Wahlleistungen bei stationärer Behandlung ausgeschlossen. | |
b) Ein objektives Interesse an der Klarstellung der Gültigkeit der Norm besteht jedoch zum maßgeblichen Zeitpunkt der beantragten Entscheidung nicht mehr. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass das Hamburgische Oberverwaltungsgericht nach der Entscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichts die Vorschrift des § 6 Nr.6 Sätze 1 und 2 HmbBeihVO wiederum für unvereinbar mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht halten könnte. Die vom Antragsteller begehrte Normbestätigung liefe auf eine nicht statthafte vorbeugende Normenkontrolle hinaus. | |
Für das Hamburgische Oberverwaltungsgericht steht nunmehr bindend fest, dass die fragliche Beihilfevorschrift mit hamburgischem Landesrecht vereinbar ist und sich insbesondere im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage des § 85 Satz 3 HmbBG hält, die den völligen Ausschluss der Beihilfe bei Aufwendungen für Wahlleistungen zulässt. Auch eine Verletzung der in § 84 HmbBG landesrechtlich normierten Fürsorgepflicht des Dienstherrn könnte das Gericht wegen der entgegenstehenden Entscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichts nicht mehr annehmen. Damit ist auch für die Annahme eines Verstoßes gegen Bundesrecht kein Raum mehr. § 84 HmbBG ist die landesrechtliche Umsetzung der in § 48 des Beamtenrechtsrahmengesetzes bundesrahmenrechtlich normierten Fürsorgepflicht. Beide Vorschriften stimmen im Wortlaut überein. Mit gesetzlichen Bestimmungen über die Fürsorgepflicht wird einer der in Art.33 Abs.5 GG gewährleisteten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums konkretisiert (vgl BVerfGE_43,154 <165 f>; BVerfGE_46,97 <117>; BVerfGE_83,89 <100>). Dass das Hamburgische Oberverwaltungsgericht bei der Anwendung des § 85 HmbBG der von Grundgesetz und Bundesrahmenrecht bestimmten Fürsorgepflicht einen vom Hamburger Landesrecht abweichenden Inhalt geben könnte, ist danach nicht zu erwarten. | |
Wollte das Hamburgische Oberverwaltungsgericht weiterhin von der Grundgesetz- oder Bundesrechtswidrigkeit des § 6 Nr.6 Sätze 1 und 2 HmbBeihVO ausgehen, wofür aber keine Anhaltspunkte bestehen, müsste es in Fällen, in denen es auf diese Regelung ankommt, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Vereinbarkeit des § 85 Satz 3 HmbBG mit dem Grundgesetz und sonstigem Bundesrecht gemäß Art.100 Abs.1 GG herbeiführen. | |
Dem im Jahre 1992 vom Hamburgischen Oberverwaltungsgericht angenommenen Verstoß gegen die Fürsorgepflicht durch Ausschluss der Aufwendungen für Wahlleistungen von der Beihilfefähigkeit lag im Übrigen die Annahme eines bundeseinheitlichen Beihilfestandards zugrunde. Nachdem sieben Länder die Aufwendungen für Wahlleistungen von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen haben (vgl dazu näher den Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7.November 2002 im Verfahren 2 BvR 1053/98), kann von einem solchen einheitlichen Standard nicht mehr gesprochen werden." | |
Auszug aus BVerfG B, 07.11.02, - 2_BvF_3/99 -, www.BVerfG.de, Abs.35 ff | |
§§§ | |
02.047 | Wahlleistungen |
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Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums (Art.33 Abs.5 GG) gebietet nicht, einem Beamten Wahlleistungen in der Krankenhausversorgung zu gewährleisten. | |
LB 2) Die Beihilfe in ihrer gegenwärtigen Gestalt gehört nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Das System der Beihilfen kann jederzeit geändert werden, ohne dass dadurch Art.33 Abs.5 GG berührt wird. | |
LB 3) Das gegenwärtige System der Beihilfe ist nicht Bestandteil der verfassungsrechtlich geschuldeten Alimentation des Beamten; von Verfassungs wegen muss die amtsangemessene Alimentation lediglich die Kosten einer Krankenversicherung decken, die zur Abwendung krankheitsbedingter, durch Leistungen aufgrund der Fürsorgepflicht nicht ausgeglichener Belastungen erforderlich ist (vgl BVerfGE_83,89 <98> mwN). | |
LB 5) Der Begriff der "Besoldung" im Sinne des Art.74a Abs.1 GG ist weit zu verstehen. Er umfasst sämtliche in Erfüllung der Alimentationspflicht gewährten Leistungen, also nicht nur Geld-, sondern auch Sachbezüge. Auch Beihilfe und freie Heilfürsorge gehören zum Begriff der Besoldung in diesem Sinne (vgl BVerfGE_62,354 <368>). | |
LB 6) Nach Art.74a Abs.1 GG erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes auf die Besoldung und Versorgung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen, soweit nicht der Bund nach Art.73 Nr.8 GG ausschließlich zuständig ist. Mit dem Bundesbesoldungsgesetz und dem Beamtenversorgungsgesetz hat der Bundesgesetzgeber seine ihm durch Art.74a GG verliehene Gesetzgebungskompetenz nur für den Bereich der Besoldung im engeren Sinne ausgeschöpft. Soweit er von seinem vorrangigen Gesetzgebungsrecht (Art.72 Abs.1 GG) keinen Gebrauch gemacht hat, ist den Ländern Raum zu eigener Gestaltung belassen; sie sind deshalb befugt, die durch die Fürsorgepflicht gebotene Ergänzung der Regelalimentation mittels Beihilfen für Krankheitsfälle durch eigene Vorschriften festzulegen (vgl BVerfGE_62,354 <368 f>). | |
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T-02-20 | Hergebrachte Grundsätze Berufsbeamtentum |
"Art.33 Abs.5 GG ist unmittelbar geltendes Recht (vgl BVerfGE_8,1 <11 ff>; BVerfGE_9,268 <286>; BVerfGE_11,203 <210>) und enthält einen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber (vgl BVerfGE_15,167 <196>) sowie eine institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums. Darüber hinaus begründet die Norm ein grundrechtsgleiches Recht der Beamten, soweit ein hergebrachter Grundsatz ihre persönliche Rechtsstellung betrifft (vgl BVerfGE_8,1 <11 f>; BVerfGE_43,154 <167>; BVerfGE_64,367 <375>). Mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art.33 Abs.5 GG ist der Kernbestand von Strukturprinzipien gemeint, die allgemein oder doch ganz überwiegend während eines längeren, traditionsbildenden Zeitraums, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind (vgl BVerfGE_8,332 <343>; BVerfGE_70,69 <79>; BVerfGE_83,89 <98>). Hierzu gehören die Fürsorgepflicht (vgl BVerfGE_43,154 <165 f>; BVerfGE_46,97 <117>; BVerfGE_83,89 <100>) und das Alimentationsprinzip (vgl BVerfGE_8,1 <14,16 ff>; BVerfGE_76,256 <298>; BVerfGE_99,300 <314>). | |
a) Die Beihilfe in ihrer gegenwärtigen Gestalt gehört nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Das System der Beihilfen kann jederzeit geändert werden, ohne dass dadurch Art.33 Abs.5 GG berührt wird. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, den Beamten und Versorgungsempfängern für Krankheitsfälle oder vergleichbare Belastungen Unterstützung gerade in Form von Beihilfen im Sinn der Beihilfevorschriften oder gar von solchen Beihilfen in bestimmter Höhe zu gewähren, besteht nicht (vgl BVerfGE_58,68 <77 f>; BVerfGE_79,223 <235>; BVerfGE_83,89 <98>). | |
b) Die Gewährung von Beihilfen findet ihre Grundlage in der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (vgl BVerfGE_83,89 <99>). Dieser muss Vorkehrungen treffen, dass der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten bei Eintritt besonderer finanzieller Belastungen durch Krankheits-, Pflege-, Geburts- oder Todesfälle nicht gefährdet wird. Ob er diese Pflicht über eine entsprechende Bemessung der Dienstbezüge, über Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonst geeigneter Weise erfüllt, bleibt von Verfassungs wegen seiner Entscheidung überlassen. Entscheidet sich der Dienstherr, seiner Fürsorgepflicht durch die Zahlung von Beihilfen nachzukommen, die zu der aus der gewährten Alimentation zu bestreitenden Eigenvorsorge ergänzend hinzutreten, so muss er gewährleisten, dass der Beamte nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleibt, die er auch über eine ihm zumutbare Eigenvorsorge nicht absichern kann. Die Beihilfe soll den Beamten von den durch die Besoldung nicht gedeckten notwendigen Aufwendungen in angemessenem Umfang freistellen. Der Dienstherr darf somit die Beihilfe, da er sie als eine die Eigenvorsorge ergänzende Leistung konzipiert hat, nicht ohne Rücksicht auf die vorhandenen Versicherungsmöglichkeiten ausgestalten. Eine lückenlose Erstattung jeglicher Aufwendungen verlangt die Fürsorgepflicht jedoch nicht (vgl BVerfGE_83,89 <100 ff>). | |
c) Das Alimentationsprinzip verpflichtet den Gesetzgeber, für den amtsangemessenen Unterhalt des Beamten und seiner Familie zu sorgen. Das gegenwärtige System der Beihilfe ist nicht Bestandteil der verfassungsrechtlich geschuldeten Alimentation des Beamten; von Verfassungs wegen muss die amtsangemessene Alimentation lediglich die Kosten einer Krankenversicherung decken, die zur Abwendung krankheitsbedingter, durch Leistungen aufgrund der Fürsorgepflicht nicht ausgeglichener Belastungen erforderlich ist (vgl BVerfGE 83,89 <98> mwN). Die Alimentation wäre erst dann nicht mehr ausreichend, wenn die Krankenversicherungsprämien, die zur Abwendung von krankheitsbedingten und nichtv on der Beihilfe ausgeglichenen Belastungen erforderlich sind, einen solchen Umfang erreichten, dass der angemessene Lebensunterhalt des Beamten oder Versorgungsempfängers nicht mehr gewährleistet wäre. Bei einer solchen Sachlage wäre jedoch verfassungsrechtlich nicht eineA npassung der nicht verfassungsverbürgten Beihilfe geboten, sondern eine entsprechende Korrektur der Besoldungs- und Versorgungsgesetze, die das Alimentationsprinzip konkretisieren (vgl BVerfGE 58,68 <78>). | |
2.Hieran gemessen ist die angegriffene Regelung mit Art.33 Abs.5 GG vereinbar. Die Inanspruchnahme sogenannter Krankenhauswahlleistungen ist zur Gewährleistung einer medizinisch zweckmäßigen und ausreichenden Versorgung im Krankheitsfall nicht notwendig. Die Gewährung von Beihilfen zu Aufwendungen, die der Beamte für solche Wahlleistungen getätigt hat, ist deshalb von der Fürsorgepflicht nicht geboten (a). Das Alimentationsprinzip ist ebenfalls nicht - auch nicht mittelbar im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Dienstbezügen und Beihilfeleistungen - verletzt. Entschließt sich der Beamte, für die mögliche Inanspruchnahme von Krankenhauswahlleistungen erhöhte Versicherungsprämien aus seiner Besoldung zu erbringen, so ist dies auf den Umfang der vom Dienstherrn geschuldeten Alimentation ohne Einfluss; denn es handelt sich hierbei nicht mehr um Vorsorge für im Krankheitsfall notwendige Aufwendungen (b). | |
a) Beamte bleiben bei stationärer Behandlung in einem Krankenhaus auch dann im Genuss einer vollen medizinischen Versorgung, wenn sie auf Wahlleistungen verzichten und lediglich die allgemeinen Krankenhausleistungen nach der Bundespflegesatzverordnung in Anspruch nehmen; diese sind weiterhin uneingeschränkt beihilfefähig. | |
aa) Die Inanspruchnahme der allgemeinen Krankenhausleistungen gewährleistet nach der gegenwärtig geltenden Bundespflegesatzverordnung (BPflV) eine medizinische Vollversorgung. Nach § 2 Abs.2 BPflV sind unter "allgemeinen Krankenhausleistungen" alle diejenigen voll- und teilstationären Krankenhausleistungen zu verstehen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Erkrankung des Patienten für dessen medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung notwendig sind (vgl. dazu Dietz/Bofinger, Krankenhausfinanzierungsgesetz, Bundespflegesatzverordnung und Folgerecht, Band 1, Anm.II.1. und 2.zu § 2 BPflV; Tuschen/Quaas, Bundespflegesatzverordnung, 4.Aufl, Erl zu § 2 BPflV). Es handelt sich bei den allgemeinen Krankenhausleistungen nicht etwa um eine Versorgung unterhalb des Maßes des medizinisch Zweckmäßigen oder gar Notwendigen. Dass die Behandlung durch den gewählten Chefarzt statt durch die sonst zuständigen Ärzte des Krankenhauses grundsätzlich medizinisch notwendig wäre, ist nicht ersichtlich. Überdies besagt die Formulierung, die medizinisch zweckmäßige Versorgung sei "unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses" zu erbringen, dass das gesamte im Krankenhaus versammelte medizinische Können und Wissen, auch soweit es nur bei besonders spezialisierten Ärzten oder bei Chefärzten besteht, in die Behandlung des Patienten einzubringen ist, sofern dies im Einzelfall angezeigt ist. Je nach dem Zustand des Patienten kann daher das Eingreifen des Chefarztes auch im Rahmen der allgemeinen Krankenhausleistungen erforderlich und dem Patienten geschuldet sein (vgl Dietz/Bofinger, aaO, Anm.II.6.zu § 2 BPflV). Erfordert etwa eine schwierige Operation die besonderen Erfahrungen u nd Fähigkeiten des Chefarztes, so kann dessen Tätigwerden nicht davon abhängig g emacht werden, dass der Patient - kraft einer besonders großzügigen Beihilferegelung oder einer entsprechenden Versicherung - dafür ein besonderes Honorar zahlt. Auch eine aus medizinischen Gründen notwendige Unterbringung in einem Ein- oder Zweibettzimmer wird durch den allgemeinen Pflegesatz abgegolten (vgl BSG, Urteil vom 2.März 1983 - 9a RV 19/82 -, Breithaupt, Sammlung von Entscheidungena us dem Sozialrecht 1983, S.799). Gleiches gilt für eine aus medizinischen Gründen notwendige Aufnahme einer Begleitperson des Patienten. Übersteigen die an eine medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung zu stellenden Anforderungen die L eistungsfähigkeit des Krankenhauses, muss es den Patienten in ein geeignetes anderes Krankenhaus verlegen (vgl Dietz/Bofinger, aaO, Anm.II.7.,11. zu § 2 BPflV). Es kommt hinzu, dass Unterbringung und Behandlungsmöglichkeiten in der allgemeinen Pflegeklasse der meisten Krankenhäuser in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verbessert worden sind (vgl dazu OVG Bremen, ZBR 1980, S.181 <182>). Dadurch wirda uch bei einem Verzicht auf kostenaufwändige Wahlleistungen eine den heutigen Ansprüchen genügende und den Heilerfolg fördernde stationäreB ehandlung des Beamten im Krankenhaus gewährleistet." | |
Der Dienstherr erfüllt mithin seine Fürsorgepflicht auch dann, wenn er dem Beamten im Fall eines notwendig werdenden Krankenhausaufenthalts lediglich eine an den Regelsätzen für Unterkunft, Verpflegung und ärztliche Behandlung ausgerichtete Beihilfe gewährt. Aus der Fürsorgepflicht schuldet der Dienstherr, soweit die notwendige Absicherung der Beamten für den Krankheitsfall durch ein Beihilfesystem erfolgt, angemessene Beihilfen zu den im Krankheitsfall notwendigen Aufwendungen, dh bei einem Krankenhausaufenthalt zu einer als vollwertig anzusehenden stationären Behandlung. Dem ist genügt, wenn er (weiterhin) für die allgemeinen Krankenhausleistungen Beihilfe gewährt, dh sich auf das Maß des medizinisch Gebotenen beschränkt. | |
bb) Für die Beantwortung der Frage, ob die nach Fürsorgegrundsätzen geleistete ergänzende Beihilfe angemessen ist, kommt es auf ein traditionelles Anspruchsniveau der Beamtenschaft nicht an. Das Bundesverwaltungsgericht hat allerdings in seinem Beschluss vom 28.November 1991 (BVerwGE 89,207 ff) die Auffassung vertreten, die Wahlleistungen bei stationärer Krankenhausbehandlung gehörten zu den von Beamten regelmäßig in Anspruch genommenen Behandlungsformen. Die Erstattungsfähigkeit von Wahlleistungen im stationären Bereich präge seit jeher das Verständnis des Beamten von der ihm zugewandten Fürsorge des Dienstherrn und mache ihn aus der Sicht Dritter zum Privatpatienten schlechthin. Die Beihilfefähigkeit von Wahlleistungen bestimme das gesamte Leistungssystem der Versorgung der privat versicherten Beamten im Krankheitsfalle und unterscheide dieses in seinem Wesen grundlegend vom Leistungsprofil der gesetzlichen Krankenversicherung. Im Hinblick darauf gehöre die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Wahlleistungen zum Kernbereich der Beihilfe (BVerwG, aaO, S.214). | |
Soweit damit zum Ausdruck gebracht werden sollte, die Gewährung von Beihilfen in dem bisherigen Umfang sei unveränderlich, kann dem nicht gefolgt werden. Dies ergibt sich schon aus der historischen Entwicklung. Die Beihilferegelungen, soweit sie Aufwendungen auch für stationäre Wahlleistungen erfassen, gehen zurück auf die Verhältnisse vor Inkrafttreten der Bundespflegesatzverordnung vom 25.April 1973 (BGBl I S.333). Die Krankenhausleistung "Zweibettzimmer" war nur dann beihilfefähig, wenn diese Unterbringung aus medizinischen Gründen notwendig war ( vgl Wienke/Thalau, MedR 1999, S.361 <362>). Zumindest in den letzten Jahren vor Inkrafttreten der Beihilfevorschriften am 1.April 1959 k onnte von den Beihilfeberechtigten aber in aller Regel eine ärztliche Bescheinigung über die medizinische Notwendigkeit der Unterbringung in einem Zweibettzimmer beigebracht werden. Dies mag den Bundesminister des Innern bewogen haben, in denB eihilfevorschriften von 1959 eine Pauschalregelung (mit Abschlag) für alle Fälle der Unterbringung in einer besseren als der dritten Pflegeklasse (heute: allgemeine Pflegeklasse) zu treffen undd ie Aufwendungen hierfür generell als beihilfefähig zu behandeln. Die Grundlage hierfür ist jedoch mit dem Inkrafttreten der Bundespflegesatzverordnung entfallen (vgl oben unter C.I.2.a> aa>). Bei der Anpassung der Beihilfevorschriften an die Bundespflegesatzverordnung blieben zwar die Wahlleistungen bei stationärer Behandlung weiterhin im bisherigen Umfang beihilfefähig; das bedeutete aber nicht, dass diese Wahrung des Besitzstands als verfassungsrechtlich geboten anzusehen wäre (vgl Hoffmann, ZBR 1992, S.207 f)." | |
Die Krankenhausbehandlung nach dem Leistungsniveau der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 2 Abs.2 BPflV stellt im Übrigen nicht nur einen sozialen Mindeststandard dar. Die erbrachten Leistungen sind auch nicht etwa als eine Unterstützung von Hilfsbedürftigen im Krankheitsfall zu verstehen, sondern Inhalt versicherungsrechtlicher Ansprüche. Die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht gebietet gegenwärtig nicht, einem Beamten als Krankenhausversorgung mehr zu gewährleisten als das, was nach der Bundespflegesatzverordnung den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechend dem Inhalt ihrer versicherungsrechtlichen Ansprüche als medizinisch gebotene Behandlung garantiert wird. Der Beamte kann ohne Verstoß gegen die Fürsorgepflicht darauf verwiesen werden, dass er entweder auf die Inanspruchnahme von Wahlleistungen verzichtet oder aber selbst zusätzliche Vorsorge durch Abschluss einer (erweiterten) Versicherung trifft, die auch die Kosten von Wahlleistungen deckt und die zu vertretbaren Konditionen erhältlich ist. Insoweit hat er nach Wegfall der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Wahlleistungen nach Maßgabe des § 178e VVG Anspruch auf Abschluss eines (ergänzenden) Versicherungsvertrages nach dem einschlägigen Tarif für Wahlleistungen bei stationärer Heilbehandlung ohne erneute Risikoprüfung und ohne Wartezeiten sowie ohne einen versicherungsmedizinischen Zuschlag für den Einschluss eventueller Gesundheitsstörungen; dieser bietet ihm im Ergebnis denselben Schutz wie bisher (vgl Präve, VersR 1998, S.397). | |
b) Der Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Wahlleistungen bei stationärer Behandlung verstößt weder unmittelbar noch mittelbar gegen das Alimentationsprinzip. | |
aa) Sind vom Dienstherrn in Konkretisierung der Fürsorgepflicht nur Vorkehrungen zur Abdeckung der Kosten einer medizinisch erforderlichen Behandlung im Krankheitsfall - unter Berücksichtigung zumutbarer Eigenvorsorge - zu treffen und genügt die Ausgestaltung der Beihilfe auch nach Wegfall der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für stationäre Wahlleistungen diesen Anforderungen, so kann eine verfassungswidrige Lücke in der amtsangemessenen Alimentation nicht entstehen. Ein Beamter, der Wahlleistungen weiter in Anspruch nehmen will, muss für die dadurch entstehenden Kosten selbst aufkommen. Die so begründeten finanziellen Einbußen sind nur die Kehrseite seiner Freiheit, seine Dienstbezüge so zu verwenden, wie er es möchte. Verwendet er einen Teil seiner Dienstbezüge für eine auch Wahlleistungen umfassende Krankenversicherung, die dann insoweit gegenüber einer "beihilfekonformen" Versicherung erhöht ist, kann er die ihm daraus erwachsende Belastung nicht seinem Dienstherrn unter Berufung auf das Alimentationsprinzip "in Rechnung stellen" ( vgl BVerfGE 83,89 <99>)." | |
Das gilt auch, soweit die dem Beamten zu gewährende Alimentation den Unterhalt seiner Familie und die Zahl seiner Kinder zu berücksichtigen hat (vgl BVerfGE_44,249 <265 ff>; BVerfGE_81,363 <376 ff>; BVerfGE_99,300 <315 ff>). Dies geschieht bereits durch den je nach Familienstand und Kinderzahl unterschiedlich hohen Familienzuschlag (vgl §§ 39, 40 BBesG iVm Anlage V zum BBesG). Zwar wird ein Beamter mit Familie höhere Krankenversicherungsprämien als ein Alleinstehender aufzuwenden haben. Das ändert aber nichts daran, dass der Dienstherr auch einem Beamten mit Familie nur Vorkehrungen zur Abdeckung der Kosten einer erforderlichen Krankheitsvorsorge schuldet; dem ist durch die hier angegriffene Ausgestaltung der Beihilfe Genüge getan. In welchem Umfang der Beamte sich und seine Familie auch für solche Aufwendungen versichert, die zur medizinisch gebotenen Behandlung im Krankheitsfall nicht erforderlich sind, unterliegt seiner eigenen Disposition. | |
bb) Der angegriffenen Regelung des Landes Berlin steht kein rechtlich zwingender, auch für Vorschriften der Länder geltender bundeseinheitlicher Beihilfestandard entgegen, den das Land bei Konkretisierung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht mit Rücksicht auf die durch Bundesgesetz geregelte Alimentation zu beachten hätte. Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar aus dem wechselseitigen Aufeinanderbezogensein von Alimentation einerseits und ergänzender, von Bund und Ländern je selbst zu regelnder Beihilfe andererseits gefolgert, dass die Länder bei der Gestaltung der ihrer Regelungskompetenz unterliegenden Beihilfevorschriften die den Beamten gewährte Alimentation als einen amtsangemessenen Lebensunterhalt ihrerseits nicht gefährden dürften. Dies geschehe indes, wenn das im Beihilfestandard festgeschriebene Leistungsniveau in quantitativer und qualitativer Hinsicht dadurch eine deutliche Einbuße erleide, dass ganze Aufwendungsarten, für die typischerweise Beihilfen bundesweit gewährt würden, oder Aufwendungen, für die seit jeher, jedenfalls aber während eines langen Zeitraums Beihilfe gewährt worden sei und die zum Kern der Leistungsgewährung gehörten, generell und von vornherein von der Beihilfegewährung ausgeschlossen würden. Zum Beihilfestandard in diesem Sinne, von dem die Regelung einese inzelnen Landes nicht abweichen dürfe, zähle die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Wahlleistungen im Krankenhaus (vgl BVerwGE_89,207 <210 ff>). | |
Dem ist nicht zu folgen. Die Länder haben sich bei ihren Vorschriften nur an das Bundesrecht selbst, nicht auch an die tatsächlichen Voraussetzungen zu halten, von denen der Bundesgesetzgeber jeweils in sachverwandten Regelungsbereichen (hier bei der Bemessung der Alimentation) ausgehen kann und auch ausgegangen ist. Ein Land kann sich bei ihm vorbehaltenen Regelungen zur Ausfüllung der Fürsorgepflicht (vgl dazu unten unter C.IV.), wie hier bei den Vorschriften über die Beihilfe, von einem solchen "Standard" auch dann entfernen, wenn es ihm nicht vorab gelingt, eine Änderung des Standards herbeizuführen. Ein derartiger Zwang zur Vereinheitlichung wäre mit der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren (vgl Schnellenbach, Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Verwaltungsrecht im Dienste der Verfassung <50 Jahre Bundesverfassungsgericht/Hrsg für das Verwaltungsarchiv 2002>, S.2 <22 f>). Eine Pflicht des Bundesgesetzgebers, in Erfüllung der Alimentationspflicht die Besoldung oder Versorgung zu erhöhen, wenn Aufwendungen für Wahlleistungen bei stationärer Behandlung aufgrund von Bestimmungen der Länder nicht mehr beihilfefähig sind, besteht nicht. Wie oben unter C.I.2.a) aa) dargelegt, genügen die Länder der aus der Fürsorgepflicht folgenden Verpflichtung, die Alimentation ergänzende Leistungen zum Ausgleich besonderer Belastungen des Beamten im Krankheitsfall zu gewähren, auch dann, wenn sie Aufwendungen für Krankenhauswahlleistungen von der Beihilfefähigkeit ausnehmen. | |
Die Beihilfefähigkeit von Wahlleistungen im Krankenhaus steht mithin zur Disposition des jeweiligen Landes. Dieses kann unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Grenzen grundsätzlich Beihilfen auch dort reduzieren, wo dies einem überlieferten Bild der Beihilfengewährung nicht entspricht. Das gilt auch für den Wegfall der Beihilfefähigkeit stationärer Wahlleistungen, solange dem Beamten die Möglichkeit bleibt, ohne Gefährdung seines amtsangemessenen Unterhalts die objektiv notwendige medizinische Behandlung zu erlangen. | |
Auszug aus BVerfG B, 07.11.02, - 2_BvR_1053/98 -, www.BVerfG.de, Abs.26 ff | |
§§§ | |
02.048 | Verwaltungsgemeinschaft |
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1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über Verfassunsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden gegen eine landesrechtliche Rechtsverordnung, wenn das Landesverfassungsgericht seine Prüfung auf formelle Landesgesetze beschränkt. | |
2) Eine ordnungsgemäße Anhörung der von einer Kommunalreform betroffenen Gemeinde setzt voraus, dass diese von Art und Umfang sowie den wesentlichen Grundlagen des Gesetzesvorhabens so rechtzeitig Kenntnis erhält, dass sie ihre Einwendungen als amtliche Stellungnahme vortragen kann. | |
3) Die Zuordnung von Gemeinden zu Verwaltungsgemeinschaften in Sachsen-Anhalt auf der Grundlage des § 4a GKG-LSA ist mit Art.28 Abs.2 GG vereinbar. | |
LB 4) Zum Begriff der kommunalen Selbstverwaltung iSd Art.28 Abs.2 S.1 GG. | |
LB 5) Zum Begriff "Gesetze" im Sinne des Art.28 Abs.2 S.1 GG. | |
LB 6) Zum Schutz des Kernbereichs kommunaler Selbstverwaltung. | |
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T-02-21 | Kommunale Selbstverwaltung |
"1.Art.28 Abs.2 Satz 1 GG gewährleistet den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Gewährleistung kommunaler Selbstverwaltung sichert den Gemeinden einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich sowie die Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte in diesem Bereich (vgl BVerfGE_21,117 <128 f>; BVerfGE_23,353 <365>; BVerfGE_26,228 <237 f>; BVerfGE_50,195 <201>; BVerfGE_56,298 <312>; BVerfGE_59,216 <226>; BVerfGE_79,127 <143>; BVerfGE_83,363 <382>; BVerfGE_91,228 <236>). | |
Der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung und Formung der Garantie gemeindlicher Selbstverwaltung die grundgesetzliche Entscheidung für eine dezentral organisierte und bürgerschaftlich getragene Verwaltung zu berücksichtigen. Art.28 GG konstituiert die Gemeinden als einen wesentlichen Bestandteil der staatlichen Gesamtorganisation; sie sind selbst ein Teil des Staates, in dessen Aufbau sie integriert und innerhalb dessen sie mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Indem der Verfassungsgeber die Institution gemeindlicher Selbstverwaltung in den Aufbau des politischen Gemeinwesens eingefügt hat, hat er ihr eine spezifische Funktion beigemessen. Für die örtliche Ebene der Gemeinden fordert Art.28 Abs.2 Satz 1 GG eine mit wirklicher Verantwortlichkeit ausgestattete Einrichtung der Selbstverwaltung, durch die den Bürgern eine wirksame Teilnahme an den Angelegenheiten des Gemeinwesens ermöglicht wird (vgl BVerfGE_79,127 <150>; BVerfGE_91,228 <238>). Hierfür gewährleistet Art.28 Abs.2 Satz 1 GG den Gemeinden eine eigenen Aufgabenbereich sowie die Eigenverantwortlichkeit ihrer Aufgabenwahrnehmung und sichert so die notwendigen Wirkungsbedingungen einer gemeindlichen Selbstverwaltung. | |
Beide Garantieelemente des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts unterliegen dem Gesetzesvorbehalt des Art.28 Abs.2 Satz 1 GG (vgl BVerfGE_22,180 <204 ff>; BVerfGE_23,353 <365 f>; BVerfGE_50,195 <201>; BVerfGE_79,127 <146>). Aufgabenkreis und Organisationsbefugnisse, die den Gemeinden zustehen, werden durch die Vorgaben des Gesetzgebers bestimmt. Die Gewährleistungsbereiche des Art.28 Abs.2 Satz 1 und 3 GG stellen je nach Art und Umfang ihrer gesetzlichen Gestaltung unterschiedliche Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit staatlicher Regelungen." | |
a) Dabei setzt zunächst der Kernbereich des Art.28 Abs.2 Satz 1 GG dem Gesetzgeber eine Grenze (vgl BVerfGE 1,167 <175>; BVerfGE_22,180 <205>; BVerfGE_26,172 <180>; BVerfGE_79,127 <146>). Dieser darf die identitätsbestimmenden Merkmale gemeindlicher Selbstverwaltung weder faktisch noch rechtlich beseitigen (vgl BVerfGE_17,172 <182>; BVerfGE_23,353 <366>; BVerfGE_59,216 <226>; BVerfGE_76,107 <118>; BVerfGE_83,363 < 381>). Zum Kernbereich des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts in seiner Ausprägung als Recht auf einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich gehört kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog. Zu ihm gehört aber die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen (vgl BVerfGE_79,127 <146>). | |
Das Recht zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte im gegebenen Aufgabenbereich bedeutet allgemein die Freiheit vor staatlicher Reglementierung hinsichtlich der Art und Weise der Aufgabenerledigung (vgl BVerfGE_83,363 <382>). Die Gemeinden sind befugt, für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten im Einzelnen festzulegen. Zum Kernbereich dieser Befugnis gehört allerdings nicht die grundsätzlich freie Bestimmung über die Organisation der Gemeinden überhaupt. Insbesondere die Entscheidung über die äußeren Grundbedingungen der Gemeindeverwaltung wurde in allen Ländern stets als Sache des Gesetzgebers angesehen. Art.28 Abs.2 GG verpflichtet ihn, auch insoweit der verfassungsrechtlichen Verbürgung einer mit wirklicher Verantwortlichkeit ausgestatteten dezentralen Verwaltungsebene Rechnung zu tragen und die Gemeinden zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu befähigen. Art.28 Abs.2 Satz 1 GG verbietet daher Regelungen, die eine eigenständige organisatorische Gestaltungsfähigkeit der Kommunen im Ergebnis ersticken würden (vgl BVerfGE_91,228 <238 f>). Dies wäre etwa der Fall bei einer Regelungsdichte, die den Gemeinden die Möglichkeit nähme, eigenverantwortlich eine Hauptsatzung zu erlassen. Eine umfassende Steuerung der kommunalen Organisation durch staatliche Instanzen widerspräche der durch Art.28 Abs.2 GG gesicherten dezentralen und eigenverantwortlichen Wahrnehmung kommunaler Aufgaben. | |
b) Dem Gesetzgeber ist nicht nur durch den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie eine Grenze gesetzt. Art.28 Abs.2 Satz 1 GG enthält hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft auch außerhalb seines Kernbereichs ein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip zugunsten der Gemeinden, das der zuständigkeitsverteilende Gesetzgeber zu berücksichtigen hat (vgl BVerfGE_79,127 <152 ff>; BVerfGE_83,363 <382>). Der Vorrang einer dezentralen Aufgabenverteilung verbürgt den Gemeinden einen Aufgabenbereich, der grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfasst (vgl BVerfGE_26,228 <237 f>; BVerfGE_56,298 <312>; BVerfGE_59,216 <226>; BVerfGE_79,127 <150>). Eine Aufgabe mit relevantem örtlichen Charakter darf der Gesetzgeber den Gemeinden nur aus Gründen des Gemeininteresses entziehen (vgl BVerfGE_79,127 <153>). | |
Auch hinsichtlich der Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte muss der Gesetzgeber den prinzipiellen Vorrang einer dezentralen vor einer zentralen und damit staatlich determinierten Aufgabenwahrnehmung berücksichtigen( vgl BVerfGE_83,363 <382>). Die Gemeinden sind keine beliebigen dezentralen Verwaltungsuntergliederungen, sondern selbständige Gemeinwesen, die auch in der Eigenverantwortlichkeit ihrer Aufgabenerfüllung ihren Bürgern ein überzeugender Anlass für ihre lokale politische Identifikation sein sollen. Für den Umkreis der örtlichen Angelegenheiten schützt Art.28 Abs.2 Satz 1 GG die Gemeinden vor staatlichen Reglementierungen, die die Art und Weise der Aufgabenerledigung betreffen. Darüber hinaus gilt das Recht zur Organisation der Gemeindeverwaltung nicht nur bezüglich bestimmter Sachaufgaben, sondern für die gesamte Verwaltung (vgl BVerfGE_83,363 <382>). Die Garantie der Eigenverantwortlichkeit schützt die Gemeinden auch in einem der Aufgabenerfüllung vorgelagerten gemeindeinternen Bereich. | |
c) Die Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte besteht nur nach Maßgabe der Gesetze, wobei der Gesetzgeber durch Art.28 Abs.2 Satz 1 GG gebunden ist. Inhaltliche Vorgaben müssen durch Gründe des gemeinen Wohls gerechtfertigt sein, etwa durch das Ziel, eine ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung sicherzustellen (vgl BVerfGE_79,127 <153>; BVerfGE_83,363 <382>). Sie sind auf dasjenige zu beschränken, was der Gesetzgeber zur Wahrung des jeweiligen Gemeinwohlbelangs für geboten halten darf. Dabei steht ihm ein weiter Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu (vgl BVerfGE_79,127 <152 ff>; BVerfGE_83,363 <383>). Die unterschiedliche Ausdehnung und Einwohnerzahl sowie voneinander abweichende Sozial- und Wirtschaftsbedingungen der Gemeinden können zu differenzierten Lösungen bei der Gestaltung der für eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung notwendigen Strukturen führen. Insoweit darf der Gesetzgeber typisieren. Er braucht nicht der spezifischen Situation jeder einzelnen Gemeinde und grundsätzlich auch nicht der jeder unbedeutenden Gruppe von Gemeinden Rechnung zu tragen. Dies folgt schon aus dem notwendigerweise generellen Charakter seiner Regelung (vgl BVerfGE_79,127 <154>; BVerfGE_83,363 <382 f>; BVerfGE_91,228 <241>). Die gesetzgeberische Entscheidung für einen bestimmten Organisationstyp gemeindlicher Aufgabenwahrnehmung muss aber eine vertretbare Ausfüllung des Rahmens darstellen, den das in Art.28 Abs.2 Satz 1 GG normierte Prinzip einer eigenverantwortlichen gemeindlichen Verwaltungsebene vorgibt. Indem Art.28 Abs.2 GG den Gemeinden eine eigenverantwortliche Aufgabenerledigung verbürgt, verpflichtet er den Gesetzgeber, bei der Ausgestaltung des Kommunalrechts den Gemeinden eine Mitverantwortung für die organisatorische Bewältigung ihrer Aufgaben einzuräumen. Seine Vorgaben dürfen die Gemeinden aus der ihnen von der Verfassung zugewiesenen Verantwortung nicht verdrängen (vgl BVerfGE_91,228 <241>). | |
2.a) Der Begriff "Gesetze" in Art.28 Abs.2 Satz 1 GG umfasst nicht nur Gesetze im förmlichen Sinn, sondern auch Rechtsverordnungen, die auf einer mit Art.80 Abs.1 Satz 2 GG übereinstimmenden Ermächtigung beruhen (vgl BVerfGE_26,228 <237>; BVerfGE_56,298 <309>). Grundsätzlich scheidet zwar eine unmittelbare Anwendung des Art.80 Abs.1 Satz 2 GG auf die Landesgesetzgebung aus. Die Schutzfunktion des Art.28 Abs.2 GG gebietet aber eine Ausdehnung der Anwendung des Begriffs "Gesetze" auch auf Rechtsverordnungen, die auf einer dem Art.80 Abs.1 Satz 2 GG entsprechenden Ermächtigung beruhen. Die Landesgesetzgebung ist, soweit sie auf die kommunale Selbstverwaltung einwirkt, an die Grundsätze des Art.80 Abs.1 Satz 2 GG gebunden. Das Bundesverfassungsgericht prüft im Rahmen der gegen eine Rechtsverordnung gerichtete Verfassungsbeschwerde auch deren gesetzliche Ermächtigungsgrundlage (vgl BVerfGE_71,25 <36>). | |
b) Die landesverfassungsgerichtliche Zuständigkeit für die Prüfung förmlicher Landesgesetze begrenzt die Kontrollkompetenz des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der Kommunalverfassungsbeschwerde nicht auf untergesetzliches Landesrecht. Mit einer Kontrolle auch des ermächtigenden Landesgesetzes missachtet das Bundesverfassungsgericht nicht die Möglichkeit einer landesverfassungsgerichtlichen Entscheidung zum selben Prüfungsgegenstand. | |
Eine Entscheidung des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt zum selben Prüfungsgegenstand kann es nicht geben, weil weder die angegriffene Verordnung noch das ermächtigende Gesetz Gegenstand einer landesverfassungsgerichtlichen Entscheidung in einem kommunalen Beschwerdeverfahren sein können. | |
c) Die Notwendigkeit einer umfassenden Prüfung ergibt sich vorliegend auch daraus, dass die vom Bundesverfassungsgericht zu schließende Rechtsschutzlücke nicht nur hinsichtlich der konkretisierenden Rechtsverordnung besteht, sondern auch bezüglich des ermächtigenden Gesetzes. Die Gemeinden und Gemeindeverbände können in Sachsen-Anhalt gegen ein Gesetz, das noch der Konkretisierung durch eine Rechtsverordnung bedarf, keine kommunale Verfassungsbeschwerde erheben. Ihnen steht insoweit kein verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz offen. Nach der Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt ist die kommunale Verfassungsbeschwerde nach Art.75 Nr.7 VerfLSA, § 51 LVerfGGL SA nur zulässig, wenn die Gemeinde oder der Gemeindeverband durch das angegriffene Landesgesetz selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sind (vgl LVerfG LSA, LKV 1997, S.411; LVerfGE 10,413 <414 ff>). | |
1. Die zwangsweise Zuordnung der Beschwerdeführerinnen zu Verwaltungsgemeinschaften auf der Grundlage des § 4a GKG-LSA genügt den Anforderungen aus Art.28 Abs.2 GG. | |
a) Die Vorschrift ermächtigt das Innenministerium, aus Gründen des öffentlichen Wohls und nach Maßgabe des § 3 Abs.1 und 2 Satz 1 sowie § 4 Abs.1 und 2 GKG-LSA, Verwaltungsgemeinschaften zu gründen oder Gemeinden gegen ihren Willen Verwaltungsgemeinschaften zuzuordnen. Die mit der Einbindung der betroffenen Gemeinden in eine Verwaltungsgemeinschaft einhergehende Beschränkung ihres Selbstverwaltungsrechts ergibt sich nicht unmittelbar aus der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage in § 4a GKG-LSA, sondern aus den weiteren Vorschriften über Verwaltungsgemeinschaften. Art und Intensität des durch § 4a GKG-LSA legitimierten Eingriffs können daher nur anhand der landesrechtlichen Ausgestaltung des Rechts der Verwaltungsgemeinschaften festgestellt und geprüft werden. Maßgeblich sind die Parallelbestimmungen der §§ 3 bis 13 GKG-LSA und §§ 75 bis 85 Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt (GO LSA) in ihrer Fassung durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeitu nd anderer kommunalrechtlicher Vorschriften vom 3.Februar 1994. | |
b) Die identitätsbestimmenden Merkmale gemeindlicher Selbstverwaltung werden durch die Zuordnung der Beschwerdeführerinnen zu Verwaltungsgemeinschaften nicht beseitigt. Die Verwaltungsgemeinschaft ist keine der Mitgliedsgemeinde übergeordnete Organisationsstufe im Verwaltungsaufbau des Landes Sachsen-Anhalt mit eigenem Aufgabenzugriffsrecht im Bereich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Die Mitgliedsgemeinden von Verwaltungsgemeinschaften bleiben eigenständige Gebietskörperschaften. Betroffen ist in erster Linie die administrative, nicht die bürgerschaftlich-demokratische Dimension kommunaler Selbstverwaltung. Die Universalität des gemeindlichen Wirkungskreises bleibt den Mitgliedsgemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft erhalten. Der Gesetzgeber gibt den Mitgliedsgemeinden für die Erfüllung ihrer Verwaltungsaufgaben vielmehr einen neuen Rechtsrahmen vor. | |
Die Verwaltungsgemeinschaften haben eine wichtige eigenständige Funktion im Verwaltungsaufbau des Landes Sachsen-Anhalt. Sie sind das strukturbestimmende Merkmal der durchgeführten gemeindlichen Verwaltungsreform, mit der das Land Sachsen-Anhalt die Existenz kleiner Gemeinden erhalten wollte, um eine sonst notwendige Gemeindegebietsreform mit größeren Einheitsgemeinden zu vermeiden. Das Schwergewicht ihrer Zuständigkeiten liegt auf verwaltungstechnischem Gebiet und auf den ihnen kraft Gesetzes übertragenen staatlichen Aufgaben. Im Bereich der Selbstverwaltungsangelegenheiten nehmen sie neben der verwaltungstechnischen Abwicklung lediglich im Fall der freiwilligen Übertragung durch die Mitgliedsgemeinden Aufgaben des eigenen Wirkungskreises wahr. | |
aa) Die Gemeindeordnung von Sachsen-Anhalt unterscheidet Aufgaben des eigenen und des übertragenen Wirkungskreises und ordnet sie mit Blick auf die Verwaltungsgemeinschaft den verschiedenen Wahrnehmungsformen der "Erfüllung" und "Besorgung" zu. Zum eigenen Wirkungskreis der Gemeinden (freiwillige Aufgaben und Pflichtaufgaben) gehören alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sowie die Aufgaben, die den Gemeinden als eigene zugewiesen sind (§ 4 Abs.1 Satz 1 GO LSA). Dieser Aufgabenbereich wird von der Verwaltungsgemeinschaft grundsätzlich nur besorgt (vgl § 3 Abs.3 Satz 1, § 5 Abs.5 Satz 1 und Abs.6 GKG-LSA und 75 Abs.2 Satz 1, § 77 Abs.5 und 6 GO LSA). Die n Verwaltungsgemeinschaft handelt als "Dienstleister" im Name und im Auftrag der Mitgliedsgemeinden; sie ist dabei an die Beschlüsse und Weisungen der Organe der Mitgliedsgemeinden gebunden (§ 5 Abs.7 Satz 2 GKG-LSA, § 77 Abs.7 Satz 2 GO LSA). | |
Der nur dienenden Zuständigkeit der Verwaltungsgemeinschaft im Bereich des eigenen Wirkungskreises der Gemeinden entspricht § 5 Abs.7 Satz 3 GKG-LSA (§ 77 Abs.7 Satz 3 GO LSA), wonach der Verwaltungsgemeinschaft nicht d ie Repräsentation der Mitgliedsgemeinden obliegt. Diese bleiben eigenständige Rechtsträger, denen - anders als der Verwaltungsgemeinschaft- das Recht der kommunalen Selbstverwaltung zusteht. Nur soweit alle oder einzelner Mitgliedsgemeinden Aufgaben des eigenen Wirkungskreises de Verwaltungsgemeinschaft zur Erfüllung übertragen (§ 5 Abs.2 GKG-LSA, § 77 Abs.2 GO LSA), besteht eine eigene Zuständigkeit der Verwaltungsgemeinschaft. | |
Bei den Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises, dh den durch Gesetz den Gemeinden zur Erfüllung nach Weisung übertragenen staatlichen Aufgaben (§ 5 Abs.1 GO LSA), handelt die Verwaltungsgemeinschaft im eigenen Namen und aufgrund eigener Zuständigkeit. Insoweit wird das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden nicht berührt, weil sie einen Rechtsanspruch, diese staatlichen Aufgaben wahrzunehmen, nicht aus Art.28 Abs.2 Satz 1 GG ableiten können. | |
bb) Die Zuordnung der Beschwerdeführerinnen zu Verwaltungsgemeinschaften berührt nicht den Kernbereich ihrer Eigenverantwortlichkeit. Die Beschwerdeführerinnen werden durch ihre zwangsweise Eingliederung in eine Verwaltungsgemeinschaft nicht zu einer staatlich fremdgesteuerten Verwaltungseinheit ohne substantielle Freiräume. Im Bereich der Aufgaben des eigenen Wirkungskreises haben sie weiterhin das Entscheidungs- und Weisungsrecht. Der Verwaltungsgemeinschaft sind nur im Bereich der Finanzhoheit und bei der Vorbereitung von Beschlüssen des Gemeinderats sowie seiner Ausschüsse partielle Mitwirkungsrechte eingeräumt (§ 5 Abs.5 und 6 GKG-LSA, § 77 Abs.5 und 6 GO LSA). Die Verwaltungsgemeinschaft ist dabei aber ebenso wie die Gemeinde selbst Träger kommunaler Selbstverwaltung. Eine umfassende Steuerung der Verwaltungsgemeinschaft und ihrer Mitgliedsgemeinden durch übergeordnete staatliche Behörden ist nach der gesetzlichen Regelung ausgeschlossen. | |
Die Übertragung der verwaltungsmäßigen Besorgung gemeindlicher Aufgaben begründet für sich genommen keine Verletzung des Kernbereichs eigenverantwortlicher Aufgabenerledigung. Art.28 Abs.2 Satz 1 GG berechtigt den Gesetzgeber, den Gemeinden Vorgaben zu ihrer Organisation zu machen, und verschafft ihm daher mittelbar auch Einfluss auf die Aufgabenerledigung. Dies ist mit der Regelungskompetenz des Gesetzgebers zur Organisation der Gemeinden unausweichlich verbunden und auch gewollt. Durch die Möglichkeit organisatorischer Rahmensetzung soll der Gesetzgeber auf eine effektive Aufgabenerledigung durch die Gemeinden hinwirken können (vgl BVerfGE 91,228 <240 f.>). | |
Soweit den Beschwerdeführerinnen aufgrund ihrer Einbindung in die Verwaltungsgemeinschaft das Vorhalten einer eigenen hauptamtlichen Verwaltung verwehrt ist, liegt hierin keine Aushöhlung des Selbstverwaltungsrechts, die in ihren Auswirkungen einer von Art.28 Abs.2 Satz 1 GG untersagten staatlich gesteuerten Verwaltung gleichkäme und die Gemeinden nur noch als bloße Verwaltungseinheiten ohne substantielle Spielräume erscheinen ließe. Eine eigene Gemeindeverwaltung ist nur ein Aspekt der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung unter vielen. Gemindert ist in erster Linie die Kompetenz des nur noch ehrenamtlichen Bürgermeisters (§ 57 Abs.1 Satz 1 GO LSA), dessen umfassende Kontroll- und Gestaltungsfunktion als Leiter der Gemeindeverwaltung im engeren Sinne (§ 63 Abs.1 GO LSA) durch ein Stimmrecht imG emeinschaftsausschuss - einem der beiden Organe der Verwaltungsgemeinschaft (vgl §§ 75 Abs.2, 79 GO LSA) - ersetzt wird. Er hat jedochw eiterhin das Recht und die Pflicht, seine Gemeinde nach außen rechtlich wie repräsentativ zu vertreten (§ 57 Abs.2 GO LSA) sowie die Sitzungen des Gemeinderats und seiner Ausschüsse zu leiten (§§ 57 Abs.1 Satz 1, 45 ff GO LSA). Die Kompetenzen des Gemeinderats nach § 44 GO LSA bleiben unberührt. | |
Ein Eingriff in den Kernbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts liegt in dieser Verlagerung der Verwaltungsaufgaben im engeren Sinne auf Verwaltungsgemeinschaften vor allem deshalb nicht, weil gerade sie es ermöglicht, die politisch-demokratische Eigenständigkeit und Identität kleiner Gemeinden im Übrigen zu bewahren. Zudem wird der Verlust einer eigenständigen Aufgabenerfüllung im Bereich der örtlichen Angelegenheiten durch effektive Weisungs- und Mitwirkungsrechte der Gemeinden auf der Ebene der Verwaltungsgemeinschaft kompensiert. | |
c) Die Zuordnung der Beschwerdeführerinnen genügt auch den Anforderungen, die Art.28 Abs.2 Satz 1 GG an gesetzliche Gestaltungen im Vorfeld des Kernbereichs stellt. | |
aa) Mit der Einbindung in eine Verwaltungsgemeinschaft werden einer Gemeinde keine durch Art.28 Abs.2 GG geschützten Aufgaben im Bereich der örtlichen Angelegenheiten entzogen. Eine eigene Zuständigkeit der Verwaltungsgemeinschaft für Aufgaben des eigenen Wirkungskreises kann nur durch gemeinsamen Beschluss aller Mitgliedsgemeinden begründet werden (§ 5 Abs.2 Satz 1 GKG-LSA, § 77 Abs.2 Satz 1 GO LSA). Was zum eigenen Wirkungskreis (§ 4 Abs.1 GO LSA) oder zu den staatlichen Aufgaben (§ 5 Abs.1 GO LSA) gehört, bestimmt der Gesetzgeber außerhalb der Organisationsvorschriften über dieV erwaltungsgemeinschaft, mit denen lediglich über Art und Umfang der Aufgabenwahrnehmung entschieden wird. | |
bb) Trotz der verbleibenden Aufgabenzuständigkeit der Beschwerdeführerinnen für den eigenen Wirkungskreis liegt in der Verlagerung der Aufgabenwahrnehmung auf eine gemeinschaftliche Verwaltung ein erheblicher Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Beschwerdeführerinnen. Die Mitgliedsgemeinde einer Verwaltungsgemeinschaft ist nicht mehr uneingeschränkte Herrin ihrer Selbstverwaltungsaufgaben. Der Gesetzgeber nimmt den Gemeinden weitgehend die Möglichkeit, ihre Aufgaben durch eine eigene Verwaltung zu erfüllen und die Aufgabenwahrnehmung nach eigenen Vorstellungen zu organisieren. | |
Der Zwang zur Gemeinschaft und die Trennung von Aufgaben- und Vollzugszuständigkeit kann die gemeindliche Selbstverwaltung in ihrer Umsetzungskraft schwächen. Ebenso wie eine Eingemeindung führt auch die Bildung von Verwaltungsgemeinschaften zu einer Konzentration von Verwaltungstätigkeiten am Sitz der Verwaltungsgemeinschaft. Sie kann eine bürgerschaftliche Teilhabe in entfernten Gemeinden unter Umständen schwächen. | |
Das Land Sachsen-Anhalt hat den Konflikt zwischen dem Ziel einer möglichst bürgernahen und dem Ziel einer möglichst wirtschaftlichen Selbstverwaltung zu Gunsten einer Zwischenstufe in Form von Verwaltungsgemeinschaften gelöst. Die damit einhergehende Beschränkung des Selbstverwaltungsrechts der Beschwerdeführerinnen ist durch Gemeinwohlgründe gerechtfertigt. Dabei kommt es nicht nur auf die Verhältnisse in einer einzelnen Gemeinde an. Der Gesetzgeberdarf bei seinen organisatorischen Vorgaben typisieren. Es ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber bei der Bildung von Verwaltungsgemeinschaften deren Leistungsfähigkeit bei einer Einwohnerzahl von 5000 als gegeben angesehen hat. Mit der Festlegung der Zahl von 5000 Einwohnern für die Größe hinreichend leistungsfähiger Verwaltungsgemeinschaften wollte der Gesetzgeber den Gemeinden die Verwaltungsgemeinschaft als Alternative zu einer ansonsten unvermeidlichen Gemeindegebietsreform mit Einheitsgemeinden eröffnen. Im Juni 1990 hatten von insgesamt 1345 Gemeinden in Sachsen-Anhalt 1288 Gemeinden weniger als 5000 Einwohner, davon 948 Gemeinden weniger als 1000 Einwohner. Ziel der Regierung war es deshalb, bis zu den Kommunalwahlen im Juli 1994 eine Gebiets- und Verwaltungsreform durchzuführen, welche auch die Gemeindestruktur "durchgreifend verbessern" sollte (vgl LT LSA, Drucks 1/1107). Soweit es bei den kleinen Gemeinden einerseits an der notwendigen Verwaltungskraft fehlte, andererseits die Identifikation der Bürger mit ihrer politisch funktionstüchtigen Heimatgemeinde erhalten bleiben sollte, sollten die kleinen Gemeinden durch das Verwaltungsamt einer Verwaltungsgemeinschaft von Verwaltungsarbeiten entlastet werden. Hierbei handelt es sich um eine vertretbare Ausfüllung des Rahmens, den das in Art.28 Abs.2 Satz 1 GG normierte Aufgaben- und Verantwortungsverteilungsprinzip vorgibt. | |
d) Die Beschwerdeführerinnen sind ferner in ihrer durch Art.28 Abs.2 Satz 1 und 3 GG geschützten Finanzhoheit nicht verletzt. Das gilt auch, soweit die Kassen- und Rechnungsführung von der Verwaltungsgemeinschaft besorgt wird (§ 5 Abs.5 Satz 1 GKG-LSA, § 77 Abs.5 Satz 1 GO LSA) und diese ein Mitwirkungsrecht bei der Vorbereitung, Aufstellung und Durchführung der Haushaltspläne der Mitgliedsgemeinden besitzt (§ 5 Abs.5 Satz 3 GKG-LSA, § 77 Abs.5 Satz 3 GO LSA). Hierdurch wird die gemeindliche Selbstverwaltung zwar für einen Teilbereich eingeschränkt, aber nicht substantiell geschwächt oder gar ausgehöhlt. Die eigenverantwortliche Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft der Gemeinden bleibt bestehen (vgl BVerfGE 71,25 <36>; 83,363 <386>). | |
2.§ 4a Abs.1 GKG-LSA genügt den Anforderungen, die aus den Grundsätzen des Art.80 Abs.1 Satz 2 GG abzuleiten sind. Die gesetzliche Ermächtigung ist nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt. | |
a) Die Ermächtigung geht dahin, dass das Innenministerium mehrere Gemeinden zu einer Verwaltungsgemeinschaft zusammenfassen oder einer solchen zuordnen kann. Wesen und Struktur einer Verwaltungsgemeinschaft und damit auch die Bedeutung der Zuordnung oder Zusammenfassung von Gemeinden zu einer Verwaltungsgemeinschaft sind durch die §§ 3 bis 13 GKG-LSA (§§ 75 bis 85 GO LSA) festgelegt. Damit ist der Inhalt der Ermächtigung genau bestimmt. | |
b) Die Ermächtigung soll die Leistungsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung auf der Gemeindeebene sicherstellen. Zu diesem Zweck sollen Gemeinden, die über eine hinreichende Verwaltungskraft nicht verfügen, zu einer leistungsfähigen Verwaltungsgemeinschaft zusammengefasst oder einer solchen zugeordnet werden. Der Begriff der hinreichenden Verwaltungskraft ist durch den Sinnzusammenhang der Ermächtigungsnorm mit anderen Vorschriften und durch das Ziel, das die gesetzliche Regelung insgesamt verfolgt, näher bestimmt." | |
c) Das Ausmaß der Ermächtigung ist ebenfalls hinreichend bestimmt. Die Regelungsgegenstände sind in der Ermächtigung genannt. Die Exekutive ist in ihrer Befugnis dadurch beschränkt, dass die Ermächtigungsgrundlage konkrete normative Vorgaben macht. Nach § 4a Abs.1 Satz 3 GKG-LSA sind bei der Feststellung der hinreichenden Leistungsfähigkeit im Sinne von § 4 Satz 1 GKG-LSA, die Abs.1 insbesondere an der Einwohnerzahl und der wirtschaftlichen Entwicklung zu messen ist, die Unterschiede zwischen Verwaltungsgemeinschaften einerseits und Gemeinden, die keiner Verwaltungsgemeinschaft angehören, andererseits zu berücksichtigen. Daneben sollen bei Abgrenzung der Verwaltungsgemeinschaft Gesichtspunkte der Raumordnung und Landesplanung sowie die örtlichen Zusammenhänge, insbesondere die Schul-, Wirtschafts- und Verkehrsverhältnisse, aber auch kirchliche, kulturelle und geschichtliche Beziehungen berücksichtigt werden (§ 4 Abs.2 GKG-LSA)." | |
3.§ 19 Abs.1 und 2 der Verordnung des Innenministeriums über die Zuordnung von Gemeinden zu Verwaltungsgemeinschaften vom 23.März 1994 hält sich im Rahmen der Verordnungsermächtigung und ist auch im Übrigen mit der Selbstverwaltungsgarantie vereinbar. | |
a) Die Verordnung trägt den Bedürfnissen einer Effektuierung der Verwaltungskraft Rechnung. | |
Die Beschwerdeführerin zu 1) hat 223 und die Beschwerdeführerin zu 2) 360 Einwohner. Angesichts dieser Zahlen, die nicht annähernd die vom Gesetzgeber typisierend vorgegebene Sollgröße erreichen, durfte der Verordnungsgeber annehmen, dass die Beschwerdeführerinnen nicht über hinreichende Leistungsfähigkeit verfügen. Hat sich der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise für ein an objektiven Kriterien ausgerichtetes Leitbild der kommunalen Organisation entschieden, so können sich die örtlichen Gegebenheiten gegenüber einer generellen gesetzlichen Regelung erst durchsetzen, wenn offenkundige und gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die gesetzliche Leitvorstellung, wie sie in der delegierenden Norm Ausdruck gefunden hat, im Einzelfall zurücktreten muss. Anhaltspunkte hierfür sind nicht ersichtlich. | |
b) Die angegriffene Rechtsverordnung verletzt die Beschwerdeführerinnen schließlich nicht in ihrem in Art.28 Abs.2 GG verankerten Anhörungsrecht. | |
aa) Zum Schutz des Kernbereichs kommunaler Selbstverwaltung gehört, dass Bestands- und Gebietsänderungen nur aus Gründen des öffentlichen Wohls und nach Anhörung der betroffenen Gebietskörperschaften zulässig sind (vgl BVerfGE 50,50 <50>; 50,195 <202>; 86,90 <107>). Das Bundesverfassungsgericht überprüft die Entscheidung über kommunale Neugliederungen darauf hin, ob der Gesetzgeber denf ür seine Maßnahmen erheblichen Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und dem Gesetz zu Grunde gelegt hat, ob er alle Gemeinwohlgründe sowie die Vor- und Nachteile der gesetzlichen Regelung in die vorzunehmende Abwägung eingestellt hat und ob der gesetzgeberische Eingriff geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sowie frei von willkürlichen Erwägungen ist (vgl BVerfGE_50,50 <51>; BVerfGE_50,195 <203>; BVerfGE_86,90 <108 f>). Gleiches gilt, wenn in das Selbstverwaltungsrecht einer einzelnen Gemeinde eingegriffen und ihr hierdurch im Vergleich zu anderen Gemeinden ein Sonderopfer auferlegt wird (vgl BVerfGE_56,298 <313,319 ff>; BVerfGE_76,107 <119,122 f>). | |
Die Anhörung dient der prozeduralen Absicherung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts. Sie soll eine umfassende Ermittlung des Sachverhalts gewährleisten und ist geboten, weil die Gemeinden nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns werden dürfen (vgl BVerfGE_50,195 <202>; 59,216 <227 f>). Sie ermöglicht den Gemeinden, vor einer Entscheidung, die ihre Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen zu können, und dient damit der bestmöglichen Verwirklichung ihrer materiell-rechtlichen Rechtsposition. | |
Die Anhörung von Gemeinden entfaltet ihren verfahrenssichernden Schutz auch dort, wo das Gesetz dem Verordnungsgeber zur Ausfüllung der beschlossenen Leitvorstellung noch Spielräume lässt. Sie soll es den Gemeinden ermöglichen, durch ihren Vortrag die beabsichtigte Maßnahme in eine ihre Interessen wahrende Richtung zu lenken oder durch eigene Initiative selbst dafür Sorge zu tragen, dem gesetzlichen Leitbild zu entsprechen. Sie muss es den Gemeinden daher ermöglichen, ihre Vorstellungen sachgerecht zu äußern. | |
Auszug aus BVerfG B, 19.11.02, - 2_BvR_329/97 -, www.BVerfG.de, Abs.43 ff | |
§§§ | |
02.049 | Zählverfahren |
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LB 1) Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren bedeutet einen Eingriff des Bundesverfassungsgerichts in die Autonomie eines anderen Verfassungsorgans. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs.1 BVerfGG ist deshalb grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen. | |
LB 2) Der Erlass kann allein der vorläufigen Sicherung des strittigen organschaftlichen Rechts der Antragsteller dienen, damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache durch vollendete Tatsachen überspielt werde (BVerfGE_89,38 <44>; BVerfGE_96,223 <229>; BVerfGE_98,139 <144>). | |
LB 3) Gegeneinander abzuwägen sind in diesem Fall demnach der Nachteil einer Beeinträchtigung der autonomen Entscheidungsbefugnis des Antragsgegners und des damit zusammenfallenden möglicherweise bestehenden Anspruchs auf Abbildung der Mehrheitsverhältnisse im Ausschuss mit der Beeinträchtigung des möglicherweise bestehenden Rechts der Antragstellerin auf proportionale Beteiligung an parlamentarischen Gremien. Das Gebot eines formgerechten Gesetzgebungsverfahrens ist auf beiden Seiten mit demselben Gewicht zu berücksichtigen. | |
LB 4) Ein Überwiegen der Interessen der Antragstellerin an der vorläufigen Wahrung der von ihr geltend gemachten Rechte gegenüber den entgegenstehenden korrespondierenden Interessen des Antragsgegners lässt sich nicht feststellen. | |
LB 5) Zur abweichenden Meinung des Richters Broß siehe BVerfGE_106,265 = www.dfr/BVerfGE, Abs.46 ff. | |
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T-02-22 | Einstweilige Anordnung |
"Der Antrag, im Wege einer einstweiligen Anordnung Ziffer 2 Satz 2 des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 30.Oktober 2002 (Plenarprotokoll 15/5, Stenografischer Bericht, S.177 B) bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache für nicht anwendbar zu erklären, hat keinen Erfolg.
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Der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht in der Hauptsache ist gemäß Art.93 Abs.1 Nr.1 GG, § 13 Nr.5 BVerfGG eröffnet. Im Organstreitverfahren ist auch ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung statthaft (vgl BVerfGE_23,42 <48>; BVerfGE_82,353 <363>; stRspr). | |
Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin ist durch die Wahl der Vertreter des Bundestages in den Vermittlungsausschuss am 14.November 2002 nicht entfallen. Der streitgegenständliche Beschluss des Bundestages vom 30. Oktober 2002 bildet die Grundlage für die Aufstellung der Wahlvorschläge der Fraktionen und darauf folgend die "Gesamtwahl" der von den Fraktionen aufgestellten Kandidaten nach Fraktionslisten. Der Beschluss wirkt mithin in der konkreten Entsendung der Vertreter des Bundestages in den Vermittlungsausschuss fort, zumindest in Bezug auf das achte Mitglied der SPD-Fraktion, das nach Auffassung der Antragstellerin zu Lasten ihres Stellenanteils gewählt worden ist. | |
Der Antragstellerin kann auch nicht entgegengehalten werden, dass sie die Ziffer 7 ihres Wahlvorschlages - in der ein siebtes ordentliches und siebtes stellvertretendes Mitglied der Antragstellerin benannt sind - in der Bundestagssitzung am 14. November 2002 ausdrücklich nicht zur Abstimmung gestellt hat. Denn nur durch diese Vorgehensweise konnte die Arbeitsfähigkeit des Vermittlungsausschusses unter der Mitwirkung von zumindest sechs Mitgliedern der Antragstellerin sichergestellt werden. Der Vorschlag zu Ziffer 7 soll zudem nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache erneut zur Abstimmung gestellt werden. | |
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet. | |
1. Nach § 32 Abs.1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, der Antrag in der Hauptsache erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Kann Letzteres nicht festgestellt werden, muss demnach der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag in der Hauptsache aber erfolglos bliebe (BVerfGE_86,390 <395>; BVerfGE_88,173 <179 f>; BVerfGE_91,70 <74 f>; BVerfGE_92,126 <129 f>; BVerfGE_93,181 <186 f>; BVerfGE_94,334 <347>; BVerfGE_99,57 <66>; BVerfGE_104,23 <28 f>; stRspr). | |
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren bedeutet einen Eingriff des Bundesverfassungsgerichts in die Autonomie eines anderen Verfassungsorgans. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs.1 BVerfGG ist deshalb grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (vgl BVerfGE_104,23 <27>; Beschluss des Zweiten Sentas des Bundesverfassungsgerichts vom 10.Oktober 2002 - 2 BvK 1/01, S.12). Der Erlass kann allein der vorläufigen Sicherung des strittigen organschaftlichen Rechts der Antragsteller dienen, damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache durch vollendete Tatsachen überspielt werde (BVerfGE_89,38 <44>; BVerfGE_96,223 <229>; BVerfGE_98,139 <144>). | |
2. Der in der Hauptsache gestellte Antrag ist weder von vornherein unzulässig (a) noch offensichtlich unbegründet (b). | |
a) Der in der Hauptsache gestellte Antrag ist zulässig. Die Antragsbefugnis der Antragstellerin ergibt sich aus den §§ 63 und 64 Abs.1 BVerfGG. Die Antragstellerin ist durch das Grundgesetz und die Geschäftsordnung des Bundestages mit eigenen Rechten ausgestattet. Die Fraktionen im Bundestag sind im Organstreitverfahren gemäß §§ 63 ff BVerfGG parteifähig (vgl BVerfGE_2,143 <159 f>; stRspr). Der Beschluss vom 30. Oktober 2002 ist eine rechtserhebliche Maßnahme im Sinne des § 64 Abs.1 BVerfGG, die Dauerwirkung entfaltet, weil der Vermittlungsausschuss hinsichtlich der Bundestagsbank auf der Grundlage dieses Beschlusses besetzt wurde und in dieser personellen Zusammensetzung bis auf weiteres tätig wird. Das Interesse an der Klärung der mit dem Antrag im Organstreitverfahren aufgeworfenen Rechtsfrage besteht fort. | |
b) Der in der Hauptsache gestellte Antrag ist auch nicht offensichtlich unbegründet. | |
Der Bundestag, der seine Vertreter im Vermittlungsausschuss gemäß Art.42 Abs.2 GG mit Mehrheit wählt, hat den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen zu beachten (vgl BVerfGE_84,304 <323 f>; BVerfGE_96,264 <282>). Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch auch entschieden, dass der Wechsel des Zählsystems mit dem Ziel, die Mehrheitsverhältnisse des Plenums auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses wiederzugeben, keine missbräuchliche Handhabung der Geschäftsordnungsautonomie und verfassungsrechtlich unbedenklich ist (BVerfGE 96, 264 [283 | |
3. Die Folgenabwägung fällt gegen den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung aus. | |
Wird die einstweilige Anordnung erlassen, stellt sich aber in der Hauptsache heraus, dass der Beschluss des Bundestages vom 30.Oktober 2002 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, so wäre der Bundestag zunächst verpflichtet, die Stellenanteile der Fraktionen für die Besetzung von Ausschüssen und Gremien nach einem anderen als dem vorgesehenen Verfahren zu berechnen. Die Folge einer einstweiligen Anordnung wäre demnach eine Beeinträchtigung der autonomen Entscheidungsbefugnis des Bundestages (vgl BVerfGE_79,169 <170 f> zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Wahlrecht und BVerfGE_96,264 <282 f> zur Entscheidung für das bei der Gremienwahl anzuwendende Zählverfahren). Sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass den Fraktionen, die die Regierung tragen, ein Anspruch auf Abbildung der Mehrheit zusteht, wäre dieses Recht bis zur Entscheidung in der Hauptsache beeinträchtigt und Beschlüsse des Vermittlungsausschusses litten an dem Mangel der Fehlbesetzung. | |
Wird dagegen der Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, stellt sich aber im Hauptsacheverfahren heraus, dass der angegriffene Beschluss gegen Verfassungsrecht verstößt, könnte der Bundestag in der Zwischenzeit auf der Grundlage der Wahl vom 14.November 2002 seine Vertreter zu Lasten des Sitzanteils der Antragstellerin in den Vermittlungsausschuss entsenden. Der Vermittlungsausschuss würde damit seine Arbeit mit einer nicht dem Stärkeverhältnis der Fraktionen im Bundestag entsprechenden Sitzverteilung auf der Bundestagsbank aufnehmen. Die Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung hätte somit zur Folge, dass die Antragstellerin im Vermittlungsausschuss nicht entsprechend ihrer Stärke im Bundestag vertreten und ein in dieser Weise fehlerhaft zusammengesetzter Vermittlungsausschuss an einer unbestimmten Zahl von Gesetzgebungsvorhaben beteiligt wäre. | |
Gegeneinander abzuwägen sind in diesem Fall demnach der Nachteil einer Beeinträchtigung der autonomen Entscheidungsbefugnis des Antragsgegners und des damit zusammenfallenden möglicherweise bestehenden Anspruchs auf Abbildung der Mehrheitsverhältnisse im Ausschuss mit der Beeinträchtigung des möglicherweise bestehenden Rechts der Antragstellerin auf proportionale Beteiligung an parlamentarischen Gremien. Das Gebot eines formgerechten Gesetzgebungsverfahrens ist auf beiden Seiten mit demselben Gewicht zu berücksichtigen. | |
Ein Überwiegen der Interessen der Antragstellerin an der vorläufigen Wahrung der von ihr geltend gemachten Rechte gegenüber den entgegenstehenden korrespondierenden Interessen des Antragsgegners lässt sich nicht feststellen. | |
Die Rechte der Antragstellerin werden durch die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gänzlich vereitelt. Erweist sich der Antrag im Hauptsacheverfahren als begründet, so ist die Antragstellerin bis zu diesem Zeitpunkt im Vermittlungsausschuss nicht ohne Einfluss. Auf Seiten des Bundestages wurden sechs Mitglieder der Antragstellerin in den Vermittlungsausschuss gewählt. Sie stellt mithin als zweitstärkste Fraktion im 15. Deutschen Bundestag ein gutes Drittel der Sitze auf der Bundestagsbank. Nach einem erfolgreichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens ließe sich die gegenwärtige Sitzverteilung korrigieren. | |
Die Antragstellerin hat zudem nicht hinreichend dargelegt, dass ihre um einen Sitz verringerte Vertretung im Vermittlungsausschuss die politischen Mehrheiten in diesem Gremium bis zur Entscheidung in der Hauptsache unvertretbar verzerre. Eine solche Sichtweise setzte voraus, dass sich auch die Mitglieder der Bundesratsbank eindeutig entweder der Regierungsmehrheit oder der Opposition zuordnen lassen. In Anbetracht der unterschiedlichen politischen Konstellationen in den Ländern und des Gewichts der Länderinteressen im Bundesrat liegt diese Schlussfolgerung nicht auf der Hand. | |
Bei dieser Sachlage ist es nach § 32 BVerfGG nicht dringend geboten, dass das Bundesverfassungsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung eingreift (BVerfGE_65,101 <103>). Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass in den Fällen, in denen der Vermittlungsausschuss eine Änderung des Gesetzesbeschlusses vorschlägt, der Bundestag erneut Beschluss zu fassen hat (Art.77 Abs.2 Satz 5 GG)." | |
Auszug aus BVerfG B, 03.12.02, - 2_BvE_3/02 -, www.BVerfG.de, Abs.27 ff | |
§§§ | |
02.050 | Doppelte Haushaltsführung |
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1) Für die verfassungsrechtlich gebotene Einkommensbesteuerung nach finanzieller Leistungsfähigkeit kommt es auch auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand andererseits an. | |
2) Der Gesetzgeber hat bei seiner Entscheidung, ob er Aufwand steuermindernd berücksichtigen will, die unterschiedlichen Gründe, die den Aufwand veranlassen, auch dann im Lichte betroffener Grundrechte differenzierend zu würdigen, wenn solche Gründe ganz oder teilweise der Sphäre der privaten Lebensführung zuzuordnen sind. | |
3) Zur Begrenzung des Abzugs der Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung bei einer Beschäftigung am selben Ort auf insgesamt zwei Jahre durch das Jahressteuergesetz 1996. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
02.051 | Wasserverbände |
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1) Außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung und der gemeindlichen Selbstverwaltung ist das Demokratiegebot des Art.20 Abs.2 GG offen für Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt, die vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation aller Entscheidungsbefugten abweichen. Es erlaubt, für abgegrenzte Bereiche der Erledigung öffentlicher Aufgaben durch Gesetz besondere Organisationsformen der Selbstverwaltung zu schaffen. | |
2) Die funktionale Selbstverwaltung ergänzt und verstärkt das demokratische Prinzip. Der Gesetzgeber darf ein wirksames Mitspracherecht der Betroffenen schaffen und verwaltungsexternen Sachverstand aktivieren, einen sachgerechten Interessenausgleich erleichtern und so dazu beitragen, dass die von ihm beschlossenen Zwecke und Ziele effektiver erreicht werden. | |
3) Verbindliches Handeln mit Entscheidungscharakter ist den Organen von Trägern funktionaler Selbstverwaltung aus verfassungsrechtlicher Sicht nur gestattet, weil und soweit das Volk auch insoweit sein Selbstbestimmungsrecht wahrt. Das erfordert, dass die Aufgaben und Handlungsbefugnisse der Organe in einem von der Volksvertretung beschlossenen Gesetz ausreichend vorherbestimmt sind und ihre Wahrnehmung der Aufsicht personell demokratisch legitimierter Amtswalter unterliegt. | |
§§§ | |
02.052 | Arznei- und Hilfsmittel |
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Die in den §§ 35 und 36 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) enthaltene Ermächtigung der Krankenkassenverbände, für Arznei- und Hilfsmittel Festbeträge festzusetzen, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. | |
§§§ | |
02.053 | Zuwanderungsgesetz |
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1) Der Bundesrat ist ein kollegiales Verfassungsorgan des Bundes, das aus Mitgliedern der Landesregierungen besteht. | |
2) Die Länder wirken durch den Bundesrat nicht unmittelbar an der Gesetzgebung und der Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit, sondern vermittelt durch die aus dem Kreis der Landesregierungen stammenden Mitglieder des Bundesrates. Die Länder werden jeweils durch ihre anwesenden Bundesratsmitglieder vertreten. | |
3) Die Stimmen eines Landes im Bundesrat werden durch seine Bundesratsmitglieder abgegeben. Das Grundgesetz erwartet die einheitliche Stimmenabgabe und respektiert die Praxis der landesautonom bestimmten Stimmführer, ohne seinerseits mit Geboten und Festlegungen in den Verfassungsraum des Landes überzugreifen. | |
4) Aus der Konzeption des Grundgesetzes für den Bundesrat folgt, dass der Abgabe der Stimmen durch einen Stimmführer jederzeit durch ein anderes Bundesratsmitglied desselben Landes widersprochen werden kann und damit die Voraussetzungen der Stimmführerschaft insgesamt entfallen. ]e> Abs.141 ]e[ 5) Der die Abstimmung leitende Bundesratspräsident ist grundsätzlich berechtigt, bei Unklarheiten im Abstimmungsverlauf mit geeigneten Maßnahmen eine Klärung herbeizuführen und auf eine wirksame Abstimmung des Landes hinzuwirken. Das insoweit bestehende Recht zur Nachfrage entfällt allerdings, wenn ein einheitlicher Landeswille erkennbar nicht besteht und nach den gesamten Umständen nicht zu erwarten ist, dass ein solcher noch während der Abstimmung zustande kommen werde." | |
5) Der die Abstimmung leitende Bundesratspräsident ist grundsätzlich berechtigt, bei Unklarheiten im Abstimmungsverlauf mit geeigneten Maßnahmen eine Klärung herbeizuführen und auf eine wirksame Abstimmung des Landes hinzuwirken. Das insoweit bestehende Recht zur Nachfrage entfällt allerdings, wenn ein einheitlicher Landeswille erkennbar nicht besteht und nach den gesamten Umständen nicht zu erwarten ist, dass ein solcher noch während der Abstimmung zustande kommen werde." | |
LB 6) Zur Verfassungswidrigkeit des Zuwanderungsgesetzes . | |
LB 8) Zum Klärungsrecht des Bundesratspräsidenten in der Bundesratssitzung. | |
LB 9) Zum Problem der Weisungen und Richtlinienkompetenz im Bundesrat. | |
LB 10) Zur abweichenden Meinung der Richterinnen Osterloh und Lübbe-Wolff siehe BVerfGE_106,337 = www.BVerfG.de, Abs.154 ff. | |
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Urteil | Entscheidungsformel: |
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T-02-23 | Zuwanderungsgesetz - Normenkontrollantrag |
"Der Normenkontrollantrag ist begründet. Das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 20. Juni 2002 - Zuwanderungsgesetz - ( BGBl I S.1946) ist mit Art.78 GG unvereinbar und daher nichtig. Das Zuwanderungsgesetz bedarf wegen der in ihm enthaltenen Bestimmungen über das von den Behörden der Länder durchzuführende Verwaltungsverfahren gemäß Art.84 Abs.1 GG als Ganzes der Stimmen des Bundesrates. Der Bundesratspräsident durfte die Stimmenabgabe für das Land Brandenburg nicht als Zustimmung werten (I). Da es an einer Zustimmung des Landes Brandenburg fehlte, vermochte auch die Feststellung des Bundesratspräsidenten nach Aufruf der weiteren Länder, der Bundesrat habe dem Gesetz zugestimmt, keine Rechtswirkung zu entfalten (II). | |
An einer Zustimmung des Landes Brandenburg zum Zuwanderungsgesetz fehlt es, weil bei Aufruf des Landes die Stimmen nicht einheitlich abgegeben wurden (1). Die Uneinheitlichkeit der Stimmenabgabe Brandenburgs ist durch den weiteren Abstimmungsverlauf nicht beseitigt worden (2). | |
1.a) Der Bundesrat ist ein kollegiales Verfassungsorgan des Bundes, das aus Mitgliedern der Landesregierungen besteht (vgl Art.51 Abs.1 Satz 1 GG). Er wird nicht aus den Ländern gebildet. Art.50 GG umschreibt nur die Funktion dieses Bundesverfassungsorgans: "Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit". Diese Mitwirkung erfolgt nicht unmittelbar, sondern vermittelt durch die aus dem Kreis der Landesregierungen stammenden Mitglieder des Bundesrates (vgl BVerfGE_8,104 <120>). Die Länder werden jeweils durch ihre anwesenden Bundesratsmitglieder vertreten. | |
Die Stimmen eines Landes werden durch seine Bundesratsmitglieder abgegeben. Wer aus dem Kreis dieser Vertreter die Stimmen eines Landes abgibt, bestimmen in der Regel die Vertreter selbst oder im Vorfeld einer Bundesratssitzung die jeweilige Landesregierung. Das Grundgesetz erwartet die einheitliche Stimmenabgabe und respektiert die Praxis der landesautonom bestimmten Stimmführer, ohne seinerseits mit Geboten und Festlegungen in den Verfassungsraum des Landes überzugreifen. | |
Aus dieser Konzeption des Grundgesetzes für den Bundesrat folgt, dass der Abgabe der Stimmen durch einen Stimmführer jederzeit durch ein anderes Bundesratsmitglied desselben Landes widersprochen werden kann und damit die Voraussetzungen der Stimmführerschaft insgesamt entfallen. Der Bundesratspräsident nimmt somit die Stimme eines einzelnen Bundesratsmitglieds als Stimmenabgabe für das ganze Land entgegen, sofern nicht ein anderes Mitglied des jeweiligen Landes abweichend stimmt. | |
b) Die Stimmen eines Landes sind nach Art.51 Abs.3 Satz 2 GG einheitlich abzugeben. Die Stimmabgabe ist die Verlautbarung der Stimmen des Landes durch einen willentlichen Begebungsakt. Mehrere Stimmenabgaben der Bundesratsmitglieder eines Landes müssen übereinstimmen." | |
Das im Abstimmungsverfahren aufgerufene Land Brandenburg hat hier seine vier Stimmen nicht einheitlich abgegeben. Entsprechend der beantragten Abstimmungsart durch Aufruf der Länder gemäß § 29 Abs.1 Satz 2 GOBR richtete der sitzungsleitende Bundesratspräsident durch seinen Schriftführer jeweils die Frage an die anwesenden Bundesratsmitglieder der einzelnen Länder, die für das jeweilige Land dessen Stimmen abgeben. Im vorliegenden Fall hat für Brandenburg zunächst das Bundesratsmitglied Ziel mit "Ja" geantwortet, unmittelbar darauffolgend das Bundesratsmitglied Schönbohm mit "Nein". Der brandenburgische Ministerpräsident Dr.Stolpe und der Minister Prof Dr.Schelter - ebenfalls anwesende Bundesratsmitglieder - haben sich bei Aufruf des Landes nicht geäußert. Aus den eindeutigen Erklärungen der Bundesratsmitglieder Ziel und Schönbohm folgte, dass die Abgabe der Stimmen durch die Bundesratsmitglieder des Landes Brandenburg im Sinne des Art.51 Abs.3 Satz 2 GG uneinheitlich war. Dies hat der Bundesratspräsident zutreffend unmittelbar nach der Stimmenabgabe förmlich festgestellt (Plenarprotokoll 774, Stenografischer Bericht, S.171 C). | |
2.Durch den sich anschließenden Abstimmungsverlauf ist die Uneinheitlichkeit der Stimmenabgabe seitens des Landes Brandenburg nicht beseitigt und in ein einheitliches zustimmendes Votum umgewandelt worden. Der nachfolgende Abstimmungsverlauf ist nicht mehr rechtserheblich, weil er sich außerhalb der verfassungsrechtlich gebotenen Form des Abstimmungsverfahrens bewegte. In einem zu Gesetzgebungsverfahren gehörenden Abstimmungsverfahren vermag das formwidrige Verhalten das ihm vorangehend formgerechte nicht in seiner Rechtswirkung zu verändern. Der sitzungsleitende Bundesratspräsident hatte in diesem besonderen Fall kein Recht zur Nachfrage an Ministerpräsident Dr.Stolpe (a). Unterstellt man dennoch ein solches Recht, hätte die Nachfrage nicht nur an den Ministerpräsidenten, sondern zumindest auch an den Minister Schönbohm gerichtet werden müssen (b). | |
a) Der Bundesratspräsident durfte nach seiner Feststellung, dass das Land Brandenburg uneinheitlich abgestimmt habe, nicht das Bundesratsmitglied Dr. Stolpe fragen, wie das Land Brandenburg abstimme. Eine solche Frage bewegte sich außerhalb der mit dem Abstimmungsverfahren gewählten Form des Aufrufs nach Ländern und bedurfte deshalb der gesonderten Rechtfertigung, an der es hier fehlte." | |
aa) Der die Abstimmung leitende Bundesratspräsident ist grundsätzlich berechtigt, bei Unklarheiten im Abstimmungsverlauf mit geeigneten Maßnahmen eine Klärung herbeizuführen und auf eine wirksame Abstimmung des Landes hinzuwirken. Dies entspricht seiner Pflicht als unparteiischer Sitzungsleiter, dem die Aufgabe obliegt, den Willen des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren klar festzustellen. Art.78 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip gebietet, den Willen der beteiligten Verfassungsorgane zurechenbar festzustellen; dies gilt für den förmlichen Gesetzesbeschluss des Bundestages ebenso wie für die Zustimmung des Bundesrates. Wann insofern von einer Unklarheit als Anlass für Rückfragen auszugehen ist, ist verfassungsgerichtlich nachprüfbar; indes steht dem sitzungsleitenden Bundesratspräsidenten insoweit eine Einschätzungsprärogative zu. Das Recht zur Nachfrage entfällt allerdings, wenn ein einheitlicher Landeswille erkennbar nicht besteht und nach den gesamten Umständen nicht zu erwarten ist, dass ein solcher noch während der Abstimmung zustande kommen werde. | |
Der Wille des Landes Brandenburg zur uneinheitlichen Abstimmung lag klar zu Tage. Das Bundesratsmitglied Schönbohm hatte seine politische Position in unmissverständlicher Form in der der Abstimmung unmittelbar vorausgegangenen Plenardebatte dargelegt. Er werde dem Gesetz nicht zustimmen und er werde seine Ablehnung in Kenntnis von Art.51 Abs.3 GG laut und unzweideutig formulieren (vgl. Plenarprotokoll 774, Stenografischer Bericht, S.147 C - D). Das Bundesratsmitglied Schönbohm hatte zudem auch das Ziel seines Verhaltens klar umrissen. Er wollte mit seinem "Nein" eine einheitliche Abgabe der Stimmen Brandenburgs verhindern (vgl. Plenarprotokoll 774, Stenografischer Bericht, S.148 A - B). Es war zudem allgemein bekannt, dass die brandenburgische Landesregierung über die Abgabe der Stimmen des Landes keinen Beschluss gefasst hatte. Ein Teil der Redebeiträge in der Plenardebatte und die sorgsame rechtliche Vorbereitung der Beteiligten belegen, dass ein einheitlicher politischer Landeswille weder vor der Bundesratssitzung festgelegt war noch im Verlauf der Sitzung erwartet wurde - es bestand Klarheit über den Dissens. Die Uneinheitlichkeit wurde denn auch bei Aufruf des Landes Brandenburg erwartungsgemäß förmlich erklärt. | |
bb) Den Sitzungsleiter traf in diesem atypischen Fall einer vom Beginn der Abstimmung an bestehenden Klarheit über die beabsichtigte Uneinheitlichkeit der Stimmenabgabe lediglich die Pflicht, dies zu protokollieren. Mit der anschließenden Nachfrage an das Bundesratsmitglied Dr.Stolpe griff der Bundesratspräsident in den Verantwortungsbereich des Landes über und erweckte den Anschein, es gelte nunmehr, den "wahren Landeswillen" festzustellen oder doch noch auf eine Einheitlichkeit der Stimmenabgabe hinzuwirken. Zu einer solchen Lenkung des Abstimmungsverhaltens des Landes Brandenburg war der Bundesratspräsident unter den gegebenen Umständen nicht befugt. | |
Anders als in der 10.Sitzung des Bundesrates vom 19.Dezember 1949 konnte nicht angenommen werden, dass lediglich eine Irritation vorlag, die zur Herstellung eindeutiger Verhältnisse im Abstimmungsvorgang nach einer Klarstellung verlangte. In der damaligen Abstimmung hatte es keinen Anhaltspunkt dafür gegeben, dass politische Kräfte in der nordrhein-westfälischen Landesregierung im Hinblick auf die Zustimmung oder Ablehnung des Gesetzes im Bundesrat in einem unüberbrückbaren Gegensatz gestanden hätten. Aus den gesamten Umständen musste jeder folgern, dass nicht klar war, zu welcher Haltung sich das Land Nordrhein-Westfalen im Kabinett entschieden hatte (vgl insoweit Bundesrat, Sitzungsbericht vom 23.12.1949, S.116 B - C). Ob das Verhalten des damaligen Bundesratspräsidenten im Einzelnen den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprach, bedarf vorliegend keiner Erörterung. Jedenfalls durfte der Präsident in einem solchen Fall der nicht beabsichtigten und im Vorhinein angekündigten Uneinheitlichkeit Maßnahmen zur Klärung ergreifen, damit ein mutmaßlich einheitlicher Landeswille nicht lediglich wegen eines möglichen Irrtums ohne Wirkung blieb. | |
In der hier zu beurteilenden 774.Sitzung des Bundesrates lag der Fall anders. Ein einheitlicher Landeswille hatte ersichtlich nicht bestanden - im Gegenteil. Davon gingen auch alle rechtlichen Überlegungen der Beteiligten aus. Da angesichts dieser Ausgangslage auch nicht erwartet werden konnte, dass ein solcher noch während der Abstimmung zustande kommen würde, war für eine Rückfrage an den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg kein Raum. | |
Die gezielte Rückfrage des Bundesratspräsidenten nur an den Ministerpräsidenten eines Landes ließe sich mangels Klärungsbedarfs nur rechtfertigen, wenn ein Ministerpräsident sich in der Abstimmung über die Stimmenabgabe durch die anderen Bundesratsmitglieder des Landes hätte hinwegsetzen dürfen, sei es, dass er ein Weisungsrecht im Bundesrat beanspruchen könnte, sei es, dass nur so ein drohender Verstoß gegen die Bundesverfassung hätte abgewendet werden können. | |
Beide Voraussetzungen waren nicht gegeben. Rangverhältnisse des Landesverfassungsrechts spielen auf der Bundesebene keine Rolle. Der Inhaber einer landesrechtlichen Richtlinienkompetenz hat keine bundesverfassungsrechtlich herausgehobene Stellung, die es ihm erlaubte, einen Abstimmungsdissens zweier anderer anwesender Mitglieder allein durch seine Willensbekundung zu überwinden. Die landesrechtliche Weisung an Bundesratsmitglieder, die das Grundgesetz im Bundesrat - anders als im Gemeinsamen Ausschuss (Art.53a Abs.1 Satz 3 GG) oder im Vermittlungsausschuss (Art.77 Abs.2 Satz 3 GG) - erlaubt, ist die der Landesregierung, nicht die des Inhabers der Richtlinienkompetenz. Besteht keine Weisung der Landesregierung und stimmen die ein Land und dessen Landesregierung repräsentierenden Mitglieder uneinheitlich ab, ist dies nicht verfassungswidrig. Art.51 Abs.3 Satz 2 GG verbietet es lediglich, einen gespaltenen Landeswillen im Abstimmungsergebnis des Bundesrates durch Aufteilung der Stimmen des Landes zu berücksichtigen. | |
b) Selbst wenn dem Bundesratspräsidenten grundsätzlich ein Nachfragerecht zugestanden hätte, hätte er es nur in der gebotenen neutralen Form ausüben dürfen. Dazu hätte erneut das Land Brandenburg aufgerufen und damit die Frage, wie das Land abstimme, an alle anwesenden Bundesratsmitglieder des Landes gerichtet werden müssen. Entschied sich der sitzungsleitende Präsident jedoch zu einer direkt an ein Mitglied gerichteten Frage, so war es unabdingbar, nach dem "Ja" des Ministerpräsidenten anschließend zumindest an Minister Schönbohm die Frage zu richten, ob er nach der Stimmabgabe des Ministerpräsidenten bei seinem "Nein" bleibe. Denn durch die Frage an Ministerpräsident Dr. Stolpe und dessen Antwort war möglicherweise Klärungsbedarf entstanden, ob Minister Schönbohm an seinem "Nein" auch in unmittelbarer Konfrontation mit seinem Ministerpräsidenten festhalte. Die Pflicht zur Frage an beide Anwesenden wurde noch durch den Zwischenruf des Bundesratsmitglieds Schönbohm verstärkt. Ungeachtet der Frage, ob ein Zwischenruf, der weder durch einen - erneuten - Aufruf des Landes noch durch ein vom Sitzungsleiter an Minister Schönbohm gerichtetes Wort die gehörige Form fand, überhaupt eine rechtserhebliche Bekundung im förmlichen Abstimmungsvorgang sein kann, durfte jedenfalls aus dem Inhalt des Zwischenrufs nicht ohne klärende Nachfrage auf eine Abänderung der Nein-Stimme in eine Ja-Stimme oder eine Anerkennung der Stimmführerschaft des Ministerpräsidenten geschlossen werden. II. | |
1. Die unmittelbar nach dem im Protokoll verzeichneten Zwischenruf des Bundesratsmitglieds Schönbohm förmlich getroffene Feststellung des Bundesratspräsidenten, dass das Land Brandenburg mit "Ja" abgestimmt habe (vgl. Plenarprotokoll 774, Stenografischer Bericht, S. 171 D), war fehlerhaft, weil ein einheitliches Abstimmungsverhalten Brandenburgs nicht vorlag. 152 | |
Die Abstimmung wurde nach dieser ungültigen Feststellung des Bundesratspräsidenten für das Land Brandenburg nicht wieder eröffnet. Auf Vorhaltungen aus dem Plenum formulierte der Bundesratspräsident lediglich folgende Frage: "Ich kann auch Herrn Ministerpräsidenten Stolpe nochmal fragen, ob das Land noch Klärungsbedarf hat." Dies war keine der Form der Abstimmung genügende Frage. Weder wurde das Land erneut aufgerufen noch auch nur ein einzelnes Mitglied um die Abgabe der Stimmen des Landes gebeten. Die auf die erneute bejahende Erklärung des Bundesratsmitglieds Dr. Stolpe folgende Aussage des Bundesratspräsidenten: "So, dann ist das so festgestellt" bekräftigte lediglich die zuvor getroffene förmliche Feststellung einer Zustimmung des Landes Brandenburg (vgl. Plenarprotokoll 774, Stenografischer Bericht, S.172 C). Dass Minister Schönbohm auf die Aussage von Ministerpräsident Dr. Stolpe seinerseits nicht noch einmal das Wort ergriff, um den fortbestehenden Dissens zu bekräftigen, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Minister Schönbohms Schweigen kann weder ein rechtlicher Erklärungswert zugesprochen werden, noch gibt es eine Pflicht zum ungefragten Zwischenruf. | |
2. Da es an einer gültigen Zustimmung des Landes Brandenburg fehlte, hatte auch die nach Aufruf der weiteren Länder erfolgende Feststellung, der Bundesrat habe dem Gesetz zugestimmt, keine Rechtswirkung." | |
Auszug aus BVerfG U, 18.12.02, - 2_BvF_1/02 -, www.BVerfG.de, Abs.134 ff | |
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2001 | RS-BVerfG - 2002 | 2003 [ ] |
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