1998 (2) | ||
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[ 1997 ] [ « ] [ ] [ 1999 ] | [ ] |
98.031 | Kommunale Wählervereinigung II | |
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LB 1) Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, daß der Staat politische Parteien bei der Erfüllung der ihnen allgemein nach dem Grundgesetz übertragenen Aufgaben unmittelbar finanziell unterstützt, eine solche Unterstützung kommunalen Wählervereinigungen jedoch verweigert. | ||
LB 2) Zur Substantiierungspflicht einer Verfassungsbeschwerde gehört dass dargelegt wird, inwieweit durch die angeggriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt wird. | ||
LB 3) Dazu hätte der Beschwerdeführer substantiiert vortragen müssen, | ||
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T-07-15 | Finanzielle Unterstützung | |
"Der Senat nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an (§ 93a BVerfGG). Sie ist unzulässig, weil es ihr an einer substantiierten Begründung (§§ 23 Abs.1 Satz 2, 92 BVerfGG) mangelt. | ||
1. § 23 Abs.1 Satz 2, § 92 BVerfGG enthalten Mindestanforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde. So muß ein Beschwerdeführer innerhalb der Beschwerdefrist die Grundrechtsverletzung durch Bezeichnung des angeblich verletzten Rechts und des die Verletzung enthaltenden Vorgangs substantiiert und schlüssig vortragen (vgl BVerfGE_81,208 <214>; BVerfGE_81,347 <355>; stRspr). Dabei hat er auch darzulegen, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll. | ||
2. Hiernach hätte der Beschwerdeführer substantiiert vortragen müssen, (a) daß die unterschiedliche staatliche Förderung politischer Parteien und kommunaler Wählervereinigungen auf der kommunalen Ebene zu einer Ungleichbehandlung führt, die in den Bereich hineinwirkt, in dem eine Beachtung gleicher Wettbewerbschancen auch unter Berücksichtigung der begrenzten politischen Zielsetzung des Beschwerdeführers verfassungsrechtlich geboten sein kann (vgl BVerfGE_85,264 <328>), und (b) daß die Ungleichbehandlung ein Ausmaß erreicht, das geeignet ist, die vorgegebene Wettbewerbslage in einer ernsthaft ins Gewicht fallenden Weise zu verändern (vgl BVerfGE_69,92 <109>; BVerfGE_85,264 <313>). Dies hat der Beschwerdeführer nicht dargetan. | ||
a) Nach den Ausführungen in der Verfassungsbeschwerde muß davon ausgegangen werden, daß (auch) die Kosten der im Bereich des Beschwerdeführers geführten Kommunalwahlkämpfe im wesentlichen von den Kandidaten der mit ihm um die Wählergunst streitenden Parteien selbst getragen werden und den Parteikandidaten auf Kommunalebene lediglich Wahlmittel von ihrer Partei zur Verfügung gestellt werden. Dabei bleibt allerdings offen, in welchem Umfang dies geschieht und ob es unentgeltlich erfolgt. Danach ist nicht hinreichend deutlich, daß und inwieweit die staatliche Förderung den örtlichen Parteigliederungen und ihren Kandidaten in den Wahlkämpfen zugute kommt. Eine Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers und der Parteien im kommunalpolitischen Bereich ist auch im übrigen nicht konkret dargelegt. | ||
b) Schließlich legt die Verfassungsbeschwerde auch nicht dar, daß die unterschiedliche staatliche Förderung im konkreten kommunalen Tätigkeitsbereich des Beschwerdeführers zu einer ernsthaft ins Gewicht fallenden Veränderung der Wettbewerbslage mit den politischen Parteien führt." | ||
Auszug aus BVerfG B, 29.09.98, - 2_BvR_1790/94 -, www.BVerfG.de, Abs.13 ff | ||
§§§ |
98.032 | Verlustverrechnung | |
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Der völlige Ausschluß der Verlustverrechnung bei laufenden Einkünften aus der Vermietung beweglicher Gegenstände nach § 22 Abs.3 Satz 3 EStG verstößt gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art.3 Abs.1 GG. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ |
98.033 | St.Salvator Kirche | |
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LB 1) Art.140 GG iVm Art.138 Abs.2 WRV gewährleistet den Religionsgesellschaften und religiösen Vereinen das Eigentum und andere Rechte an ihrem für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Vermögen. | ||
LB 2) Inhalt und Bedeutung dieser Kirchengutsgarantie erschließen sich nur im Kontext der durch Art.140 GG dem Grundgesetz eingefügten Kirchenartikel, welche wiederum im Zusammenhang mit der Gewährleistung der kollektiven Religionsfreiheit aus Art.4 Abs.1 und 2 GG zu lesen sind. Die dem Grundgesetz inkorporierten Kirchenartikel der Weimarer Verfassung bilden mit diesem Grundgesetz ein organisches Ganzes (vgl BVerfGE_19,226 <236>; BVerfGE_53,366 <400>; BVerfGE_70,138 <167>). | ||
LB 3) Art.138 Abs.2 WRV hat die Aufgabe, den durch Art.4 Abs.1 und 2 GG und Art.137 WRV zugesagten Schutz der Stellung und der Freiheit der Kirchen in ihren sächlichen Grundlagen zu gewährleisten. LB 10) Art.138 Abs.2 WRV gewährleistet kirchliche Vermögensrechte in ihrem Bestand und nach Maßgabe ihrer vorhandenen rechtlichen Qualität, erweitert sie aber nicht. Die Bestimmung dieser Qualität obliegt als Auslegung und Anwendung einfachen Rechts zunächst den Fachgerichten. | ||
LB 4) Die Kirchengutsgarantie des Art.140 GG iVm Art.138 Abs.2 WRV erstreckt sich auf alle Religionsgesellschaften unabhängig von deren Organisationsform. LB 11) Ist ein von Art.138 Abs.2 WRV geschütztes Recht auf eine bestimmte verfaßte Kirche bezogen, so richtet sich die Zugehörigkeit einzelner Gemeinden zu dieser Kirche zunächst nach dem Selbstverständnis der Kirche. | ||
LB 5) Art.138 Abs.2 WRV schützt neben dem für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Eigentum auch "andere Rechte", soweit diese dem Vermögen der Religionsgesellschaften mit entsprechender Zweckbestimmung zugehören. Der Schutz der Kirchengutsgarantie ist auf das gesamte zu religiösen Zwecken bestimmte Vermögen der Religionsgesellschaften gerichtet. | ||
LB 6) Zu den "anderen Rechten" im Bereich der Kirchengutsgarantie gehören auch Besitz- und Nutzungsrechte an Immobilien, namentlich Gebrauchsüberlassungsrechte an Kirchengebäuden. | ||
LB 7) Für den Schutz, den Art.138 Abs.2 WRV gewährt, ist nicht entscheidend, ob das einer Religionsgesellschaft eingeräumte Gebrauchsrecht im Privatrecht oder im öffentlichen Recht wurzelt. | ||
LB 8) Die bei Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung bestehenden Gebrauchsüberlassungsrechte, sollten von Art.138 Abs.2 WRV geschützt werden. | ||
LB 9) Ein Widerruf der Gebrauchsüberlassung, der, wie hier, nur auf die weitere Verwirklichung des Stifterwillens abstellt, ist keine mit dem Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den Religionen und Bekenntnissen (vgl BVerfGE_93,1 <16> mwN) unvereinbare Einmischung in eine rein innerkirchliche Streitigkeit. | ||
§§§ |
98.034 | Schwangerenhilfeergänzungsgesetz | |
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1) Eine Kompetenz des Bundesgesetzgebers kraft Sachzusammenhangs setzt voraus, daß eine ihm zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne daß zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird, wenn also das Übergreifen in den Kompetenzbereich der Länder für die Regelung der zugewiesenen Materie unerläßlich ist (so schon BVerfGE_3,407 <421>). | ||
2) Der Bund kann von einer Kompetenz kraft Sachzusammenhangs auch durch erkennbaren, absichtsvollen Regelungsverzicht mit Sperrwirkung gegenüber den Ländern Gebrauch machen. | ||
3) Da der Bundesgesetzgeber den strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens nur dann partiell zurücknehmen darf, wenn er an dessen Stelle ein anderes wirksames Schutzkonzept setzt, werden die der ausschließlichen Landesgesetzgebung unterfallenden punktuellen Regelungen, die für die Verwirklichung dieses Konzepts unerläßlich sind, von der Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs umfaßt. | ||
3) Das Verfahren der Verfassungsbeschwerde gegen ein Landesgesetz eröffnet im Rahmen der Überprüfung der Gesetzgebungskompetenz des Landes nicht die Kontrolle der materiellen Verfassungsmäßigkeit eines Bundesgesetzes, durch das der Bund von seiner den Landesgesetzgeber ausschließenden Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat. | ||
4) Zur Verfassungsmäßigkeit des bayerischen Gesetzes über ergänzende Regelungen zum Schwangerschaftskonfliktgesetz und zur Ausführung des Gesetzes zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen (Bayerisches Schwangerenhilfeergänzungsgesetz - BaySchwHEG) vom 9.August 1996 (BayGVBl S.328). | ||
LB 5) Zur abweichenden Meinung des Vizepräsidenten Paoier sowie der Richterinnen Graßhof und Haas, siehe BVerfGE_98,329 = www.BVerfG.de, Abs,245 ff. | ||
LB 6) Zur abweichenden des Richters Kühling und der Richterin Jaeger siehe BVerfGE_98,359 = = www.BVerfG.de, Abs,354 ff. | ||
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Urteil | Entscheidungsformel:
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§§§ |
98.035 | DDR-Erbaurecht | |
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Es ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG nicht vereinbar, Erbbaurechte, die zu einem in der Deutschen Demokratischen Republik rechtsstaatswidrig enteigneten Unternehmen gehörten und später im Grundbuch gelöscht wurden, im Rahmen des § 6 Abs. 6a Satz 1 des Vermögensgesetzes nicht an den Berechtigten zurückzugeben und damit anders zu behandeln als Grundeigentum. | ||
§§§ |
98.036 | Rückführungsanträge | |
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1) Das Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKiEntÜ) gewährleistet die Beachtung des Kindeswohls im Zusammenspiel von Rückführung als Regelfall und Ausnahmen nach Art.13 und Art.20 HKiEntÜ. Die restriktive Auslegung dieser Ausnahmeklauseln ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. | ||
2) Im Sonderfall gegenläufiger Rückführungsanträge ist eine nähere Prüfung des Kindeswohls anhand von Art.13 HKiEntÜ verfassungsrechtlich geboten. | ||
3) Aus der verfassungsrechtlichen Verankerung des Kindeswohls in Art.6 Abs.2 und Art.2 Abs.1 GG iVm dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.103 Abs.1 GG) ergibt sich die Pflicht, das Kindeswohl verfahrensrechtlich dadurch zu sichern, daß den Kindern bereits im familiengerichtlichen Verfahren ein Pfleger zur Wahrung ihrer Interessen zur Seite gestellt wird, wenn zu besorgen ist, daß die Interessen der Eltern in einen Konflikt zu denen ihrer Kinder geraten. | ||
§§§ |
98.037 | Ausbildungsförderung | |
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Es ist mit Art.3 Abs.1 GG unvereinbar, auf den Bedarf von Auszubildenden, die bereits eine Ausbildung berufsqualifizierend abgeschlossen haben, Einkommen und Vermögen der Eltern nach § 11 Abs.2 BAföG anzurechnen, sie aber von der Ausbildungsförderung nach § 36 Abs.1 Satz 1 BAföG auszuschließen, wenn die Eltern den angerechneten Unterhaltsbetrag nicht leisten. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ |
98.038 | Kinderbetreuungskosten | |
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1) Art.6 Abs.1 GG enthält einen besonderen Gleichheitssatz. Er verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen. Dieses Benachteiligungsverbot steht jeder belastenden Differenzierung entgegen, die an die Existenz einer Ehe (Art.6 Abs.1 GG) oder die Wahrnehmung des Elternrechts in ehelicher Erziehungsgemeinschaft (Art.6 Abs.1 und 2 GG) anknüpft. | ||
2) Die Leistungsfähigkeit von Eltern wird, über den existentiellen Sachbedarf und den erwerbsbedingten Betreuungsbedarf des Kindes hinaus, generell durch den Betreuungsbedarf gemindert. Der Betreuungsbedarf muß als notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums (vgl BVerfGE_82,60 <85>; BVerGE_87,153 <169 ff>) einkommensteuerlich unbelastet bleiben, ohne daß danach unterschieden werden dürfte, in welcher Weise dieser Bedarf gedeckt wird. | ||
3) a) Der Gesetzgeber muß bei der gebotenen Neugestaltung des Kinderleistungsausgleichs auch den Erziehungsbedarf des Kindes unabhängig vom Familienstand bei allen Eltern, die einen Kinderfreibetrag oder ein Kindergeld erhalten, berücksichtigen.
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ |
98.039 | Kinderexistenzminimum I | |
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Art.6 Abs.1 GG gebietet, bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei zu belassen:
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ |
98.040 | Kinderexistenzminimum II | |
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Zum von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden einkommensteuerlichen Kinderexistenzminimum für ein Kind in dem Veranlagungszeitraum 1985. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ |
98.041 | Kinderexistenzminimum III | |
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Zum von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden einkommensteuerlichen Kinderexistenzminimum für zwei Kinder in den Veranlagungszeiträumen 1987 und 1988. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ |
98.042 | Scientologe | |
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1) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art.2 Abs.1 iVm Art.1 Abs.1 GG) schützt den einzelnen auch gegenüber der fälschlichen Zuschreibung von Mitgliedschaften in Vereinigungen oder Gruppen, sofern diese Zuschreibung Bedeutung für die Persönlichkeit und deren Bild in der Öffentlichkeit hat. | ||
2) Es ist mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht unvereinbar, daß dem von einer Tatsachenbehauptung nachteilig Betroffenen die Möglichkeit, die Unwahrheit der Behauptungen im gerichtlichen Verfahren geltend zu machen, unter Berufuung darauf abgeschnitten wird, der sich Äußernde habe im Prozeß für seine Behauptungen Belegtatsachen beigebracht. | ||
LB 3) Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, daß unrichtige Information unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Gut sei (vgl BVerfGE_54,208 <219>). | ||
LB 4) Außerhalb des Schutzbereichs von Art.5 Abs.1 Satz 1 GG liegen aber nur bewußt unwahre Tatsachenbehauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht. Alle übrigen Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug genießen den Grundrechtsschutz, auch wenn sie sich später als unwahr herausstellen (vgl BVerfGE_61,1 <8>; BVerfGE_90,1 <15>; BVerfGE_90,241 <254>). | ||
LB 5) Bei völlig haltlosen oder aus der Luft gegriffenen Behauptungen kann die Meinungsfreiheit das Persönlichkeitsrecht nicht verdrängen. | ||
LB 6) ES gibt kein legitimes Interesse, nach Feststellung der Unwahrheit an einer Behauptung festzuhalten (vgl BVerfGE_97,125 <149>). | ||
LB 7) Da die Ermittlung der Wahrheit von Tatsachenbehauptungen oft außerordentlich schwierig ist, haben die Zivilgerichte demjenigen, der sich nachteilig über einen Dritten äußert, außerdem eine erweiterte Darlegungslast auferlegt, die ihn anhält, Belegtatsachen für seine Behauptung anzugeben (vgl BGH, NJW 1974, S.1710 <1711>). | ||
LB 8) Stellen Privatpersonen Tatsachenbehauptungen auf, die nicht ihrem persönlichen Erfahrungsbereich entstammen, genügt danach regelmäßig die Berufung auf unwidersprochene und zur Stützung der Behauptung geeignete Presseberichte zur Erfüllung der Darlegungslast, weil andernfalls Presseberichte, die nachteilige Aussagen über Personen enthalten, trotz ihres meinungsbildenden Charakters im individuellen Meinungsaustausch kaum noch verwertet werden könnten (vgl BVerfGE_85,1 <22>). | ||
LB 9) Die Erfüllung der Darlegungslast macht aber die Wahrheitsermittlung nicht entbehrlich. | ||
LB 10) Auch eine durch Belegtatsachen gestützte Behauptung kann falsch sein. Daher verlangt das allgemeine Persönlichkeitsrecht, daß dem von der Tatsachenbehauptung nachteilig Betroffenen die Möglichkeit, die Unwahrheit der Behauptung im Verfahren geltend zu machen, nicht unter Berufung auf die Erfüllung der Darlegungslast abgeschnitten wird. | ||
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T-98-16 | Belegbare Tatsachenbehauptungen | |
"Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG, soweit es seine Klage abgewiesen hat. Zwar richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil insgesamt. Im Umfang der Stattgabe beschwert es den Beschwerdeführer indessen nicht. Da seine Verfassungsbeschwerde insoweit auch keine Ausführungen enthält, ist sein Begehren dahingehend auszulegen, daß es sich auf die ihn belastenden Teile des Urteilsausspruchs beschränkt (vgl BVerfGE_1,14 <39>; BVerfGE_7,99 <105 f>; BVerfGE_68,1 <68>). I. | ||
Der Beschwerdeführer wird durch die angegriffene Entscheidung in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht berührt. | ||
1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht entfaltet seinen Schutz auch gegenüber Zuschreibungen von Gruppenmitgliedschaften, sofern diesen Bedeutung für die Persönlichkeit zukommt und deren Bild in der Öffentlichkeit nachteilig beeinflußt. | ||
Das Grundrecht schützt Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand besonderer Freiheitsgarantien sind, aber diesen in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen (vgl BVerfGE_54,148 <153>; stRspr). Dazu gehört auch die soziale Anerkennung des Einzelnen. Aus diesem Grund umfaßt das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf sein Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken. Derartige Äußerungen gefährden die von Art.2 Abs.1 GG gewährleistete freie Entfaltung der Persönlichkeit, weil sie das Ansehen des Einzelnen schmälern, seine sozialen Kontakte schwächen und infolgedessen sein Selbstwertgefühl untergraben können. Allerdings reicht der Schutz dieses Grundrechts nicht so weit, daß es dem Einzelnen einen Anspruch darauf verliehe, in der Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie er sich selber sieht oder von anderen gesehen werden möchte. Jedenfalls wird er aber vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen seiner Person geschützt, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind (vgl BVerfGE_97,125 <148 f>; BVerfGE_97,391 <403>). | ||
Die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen oder Vereinigungen hat in der Regel eine derartige Persönlichkeitsrelevanz. Gehört ihnen jemand durch Geburt oder Sozialisation an, so besitzt sie meist identitätsbildenden Einfluß auf die Person. Ist er ihnen durch freien Entschluß beigetreten, weist das in der Regel auf einen hohen Identifikationsgrad mit ihren Zielen und Verhaltensweisen hin und kann persönlichkeitsbestimmende Kraft annehmen. Von seiner Umwelt wird der Einzelne mit Organisationen oder Gruppen, zu denen er sich bekennt, mehr oder weniger identifiziert. Sein Ansehen hängt nicht allein von seinen individuellen Eigenschaften und Leistungen, sondern auch von der Einschätzung der Gruppen ab, denen er angehört (vgl BVerfGE_93,266 <299>). Das gilt im besonderen für Gruppen oder Vereinigungen, die sich religiös oder weltanschaulich definieren, und zwar in gesteigertem Maß, wenn sie nicht zu den traditionellen Religions- oder Weltanschauungsgruppen zählen, sondern eine Minderheitenposition einnehmen und in der Gesellschaft kritisch oder gar ablehnend betrachtet werden. | ||
2. Die angegriffene Entscheidung beeinträchtigt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG. | ||
Der grundrechtliche Schutz gegenüber nachteiligen Behauptungen wirkt freilich nicht unmittelbar gegenüber Dritten. Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht entfaltet direkte Wirkung nur gegenüber dem Staat. Dieser ist aber grundrechtlich gehalten, den Einzelnen vor Persönlichkeitsgefährdungen durch Dritte zu schützen (vgl BVerfGE_73,118 <201>; BVerfGE_97,125 <146>). Soweit die Gerichte Normen anwenden, die diesem Schutz dienen, haben sie die grundrechtlichen Maßgaben zu beachten. Verfehlen sie sie, so liegt darin nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur eine Verletzung objektiven Verfassungsrechts, sondern auch ein Verstoß gegen die subjektiven Grundrechte des Betroffenen (vgl BVerfGE_7,198 <206 f>). | ||
Gerichtliche Entscheidungen, die persönlichkeitsrelevante Aussagen zulassen, gegen die sich der Betroffene mit der Begründung wehrt, sie seien falsch, beeinträchtigen daher das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Das ist bei der Abweisung der Klage des Beschwerdeführers auf Unterlassung der Äußerungen, er sei Mitglied der Scientology-Gruppe, habe sich selbst als Geistlicher dieser Gemeinschaft bezeichnet und sei auch Geistlicher, der Fall. Die ihm vorgeworfene enge Verbindung zu Scientology kann das Bild negativ beeinflussen, das sich die Öffentlichkeit von ihm macht. Das gilt um so mehr, als gerade diese Organisation in der Gesellschaft äußerst umstritten ist und des öfteren Gegenstand staatlicher Warnungen und kritischer Presseberichte war. Es ist auch nicht auszuschließen, daß die Behauptung, der Beschwerdeführer sei Scientologe in führender Position, seine künstlerische Betätigung erschwert, weil sich eine Rufschädigung bei Aufträgen oder Ankäufen nachteilig auswirken kann. II. | ||
Die angegriffene Entscheidung verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht. | ||
1. Dieses ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art.2 Abs.1 GG wird es durch die verfassungsmäßige Ordnung einschließlich der Rechte anderer beschränkt. Zu diesen Rechten gehört auch die Freiheit der Meinungsäußerung, die Art.5 Abs.1 Satz 1 GG jedermann gewährleistet. Ebensowenig wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist jedoch die Meinungsfreiheit vorbehaltlos garantiert. Sie findet nach Art.5 Abs.2 GG ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen und im Recht der persönlichen Ehre. Als zivilrechtliche Grundlage für Unterlassungsbegehren gegenüber Äußerungen kommen §§ 1004 Abs.1, 823 Abs.2 BGB in Verbindung mit § 186 StGB in Betracht, von denen das Oberlandesgericht bei seinem Urteil ausgegangen ist. Die Belange der Meinungsfreiheit finden demgegenüber vor allem in § 193 StGB Ausdruck (vgl BVerfGE_12,113 <125 f>; BVerfGE_93,266 <290 f>), der bei Wahrnehmung berechtigter Interessen eine Verurteilung wegen ehrverletzender Äußerungen ausschließt und - vermittelt über § 823 Abs.2 BGB, sonst seinem Rechtsgedanken nach - auch im Zivilrecht zur Anwendung kommt. | ||
Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften sind Sache der dafür zuständigen Gerichte. Doch müssen diese die betroffenen Grundrechte interpretationsleitend berücksichtigen, damit deren wertsetzender Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl BVerfGE_7,198 <205 ff>). Das verlangt in der Regel eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch die Untersagung der Äußerung andererseits, die im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale des einfachen Rechts vorzunehmen ist und die besonderen Umstände des Falles zu berücksichtigen hat. | ||
Das Ergebnis dieser Abwägung läßt sich wegen der Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls nicht generell und abstrakt vorausbestimmen. In der Rechtsprechung haben sich im Lauf der Zeit aber einige Vorzugsregeln herausgebildet. So geht bei Werturteilen der Persönlichkeitsschutz regelmäßig der Meinungsfreiheit vor, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde, als Schmähkritik oder als Formalbeleidigung darstellt (vgl BVerfGE_93,266 <293 f>). Bei Tatsachenbehauptungen hängt die Abwägung vom Wahrheitsgehalt ab. Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht (vgl BVerfGE_97,391 <403>). | ||
Diese Formel ist allerdings differenzierungsbedürftig. Auch bei wahren Aussagen können ausnahmsweise Persönlichkeitsbelange überwiegen und die Meinungsfreiheit in den Hintergrund drängen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Aussagen die Intim-, Privat- oder Vertraulichkeitssphäre betreffen und sich nicht durch ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit rechtfertigen lassen (vgl BVerfGE_34,269 <281 ff>; BVerfGE_66,116 <139>) oder wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten drohen, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht (vgl BVerfGE_35,202 <232>; BVerfGE_97,391 <403 ff>). | ||
Für die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen gibt es dagegen in der Regel keinen rechtfertigenden Grund. Das bedeutet aber nicht, daß unwahre Tatsachenbehauptungen von vornherein aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausfallen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß unrichtige Information unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Gut sei (vgl BVerfGE_54,208 <219>). Außerhalb des Schutzbereichs von Art.5 Abs.1 Satz 1 GG liegen aber nur bewußt unwahre Tatsachenbehauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht. Alle übrigen Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug genießen den Grundrechtsschutz, auch wenn sie sich später als unwahr herausstellen (vgl BVerfGE_61,1 <8>; BVerfGE_90,1 <15>; BVerfGE_90,241 <254>). | ||
Der Wahrheitsgehalt fällt dann aber bei der Abwägung ins Gewicht (vgl BVerfGE_94,1 <8>). Grundsätzlich tritt die Meinungsfreiheit bei unwahren Tatsachenbehauptungen hinter das Persönlichkeitsrecht zurück. Dabei muß aber bedacht werden, daß die Wahrheit im Zeitpunkt der Äußerung oft ungewiß ist und sich erst als Ergebnis eines Diskussionsprozesses oder auch einer gerichtlichen Klärung herausstellt (vgl BVerfGE_97,125 <149> ). Würde angesichts dieses Umstands die nachträglich als unwahr erkannte Äußerung immer mit Sanktionen belegt werden dürfen, so stünde zu befürchten, daß der Kommunikationsprozeß litte, weil risikofrei nur noch unumstößliche Wahrheiten geäußert werden könnten. Damit wäre ein vom Grundrechtsgebrauch abschreckender Effekt verbunden, der aus Gründen der Meinungsfreiheit vermieden werden muß (vgl BVerfGE_43,130 <136>). | ||
Die Rechtsprechung der Zivilgerichte hat deswegen zwischen den Anforderungen der Meinungsfreiheit und den Belangen des Persönlichkeitsschutzes dadurch einen Ausgleich herzustellen versucht, daß sie demjenigen, der nachteilige Tatsachenbehauptungen über andere aufstellt, Sorgfaltspflichten auferlegt, die sich im einzelnen nach den Aufklärungsmöglichkeiten richten und etwa für die Medien strenger sind als für Privatleute (vgl BGH, NJW 1966, S.2010 <2011>; NJW 1987, S.2225 <2226>). Gegen die Entwicklung derartiger Pflichten bestehen verfassungsrechtlich keine Einwände (vgl BVerfGE_12,113 <130>). Sie können im Gegenteil als Ausdruck der Schutzpflicht angesehen werden, die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt. Von Verfassungs wegen kommt es lediglich darauf an, daß die Wahrheitspflicht nicht überspannt wird und so den freien Kommunikationsprozeß, den Art.5 Abs.1 GG im Sinn hat, einschnürt (vgl BVerfGE_54,208 <219 f>; BVerfGE_61,1 <8>; BVerfGE_85,1 <15, 17>). | ||
Die Abwägung hängt von der Beachtung dieser Sorgfaltspflichten ab. Bei völlig haltlosen oder aus der Luft gegriffenen Behauptungen kann danach die Meinungsfreiheit das Persönlichkeitsrecht nicht verdrängen. Im übrigen kommt es auf den im Einklang mit den grundgesetzlichen Anforderungen entwickelten Umfang der Sorgfaltspflichten an. Sind sie eingehalten, stellt sich aber später die Unwahrheit der Äußerung heraus, ist die Äußerung als im Äußerungszeitpunkt rechtmäßig anzusehen, so daß weder Bestrafung noch Widerruf oder Schadensersatz in Betracht kommt. Dagegen gibt es kein legitimes Interesse, nach Feststellung der Unwahrheit an der Behauptung festzuhalten (vgl BVerfGE_97,125 <149>). Besteht die Gefahr, daß die Äußerung dessen ungeachtet aufrechterhalten wird (sogenannte Erstbegehungsgefahr, vgl BGH, NJW 1986, S.2503 <2505>), kann der sich Äußernde folglich zur Unterlassung verurteilt werden. Wirkt die Beeinträchtigung des von der Äußerung Betroffenen fort, kann dieser eine Richtigstellung verlangen (vgl BVerfGE_97,125 <149>). | ||
Da die Ermittlung der Wahrheit von Tatsachenbehauptungen oft außerordentlich schwierig ist, haben die Zivilgerichte demjenigen, der sich nachteilig über einen Dritten äußert, außerdem eine erweiterte Darlegungslast auferlegt, die ihn anhält, Belegtatsachen für seine Behauptung anzugeben (vgl BGH, NJW 1974, S.1710 <1711>). Diese Darlegungslast bildet die prozessuale Entsprechung der materiellrechtlichen Regel, daß bei haltlosen Behauptungen der Schutz der Meinungsfreiheit hinter dem Persönlichkeitsschutz zurückzutreten hat. Ist der sich Äußernde nicht in der Lage, seine Behauptung mit Belegtatsachen zu erhärten, wird sie wie eine unwahre behandelt. | ||
Auch dagegen ist verfassungsrechtlich nichts einzuwenden, wenn die Anforderungen an die Darlegungslast nicht zu Lasten der Meinungsfreiheit überspannt werden. Eine solche Überspannung war vom Bundesverfassungsgericht im Fall der Kritischen Bayer-Aktionäre (BVerfGE 85, 1) beanstandet worden, auf den sich das Oberlandesgericht in der angegriffenen Entscheidung berufen hat. Stellen Privatpersonen Tatsachenbehauptungen auf, die nicht ihrem persönlichen Erfahrungsbereich entstammen, genügt danach regelmäßig die Berufung auf unwidersprochene und zur Stützung der Behauptung geeignete Presseberichte zur Erfüllung der Darlegungslast, weil andernfalls Presseberichte, die nachteilige Aussagen über Personen enthalten, trotz ihres meinungsbildenden Charakters im individuellen Meinungsaustausch kaum noch verwertet werden könnten (vgl BVerfGE_85,1 <22>). | ||
Die Erfüllung der Darlegungslast macht aber die Wahrheitsermittlung nicht entbehrlich. Darlegungsstufe und Beweisstufe müssen vielmehr unterschieden werden. Auch eine durch Belegtatsachen gestützte Behauptung kann falsch sein. Daher verlangt das allgemeine Persönlichkeitsrecht, daß dem von der Tatsachenbehauptung nachteilig Betroffenen die Möglichkeit, die Unwahrheit der Behauptung im Verfahren geltend zu machen, nicht unter Berufung auf die Erfüllung der Darlegungslast abgeschnitten wird. Nur wenn er den Belegtatsachen seinerseits nichts entgegenzusetzen hat, kann die Wahrheit der Äußerung unterstellt werden. Im übrigen ist der Wahrheitsgehalt aufzuklären, sofern die prozessualen Voraussetzungen dafür vorliegen. | ||
Das gilt auch, wenn die behauptete Tatsache Presseberichten entnommen ist. Aus der Bayer-Entscheidung ergibt sich insoweit nichts anderes. Das dort angegriffene Urteil war vom Bundesverfassungsgericht vielmehr aufgehoben worden, weil das Gericht die Anforderungen an die Darlegungslast unter Verstoß gegen Art.5 Abs.1 Satz 1 GG überdehnt und deshalb die behaupteten Tatsachen ohne weiteres unwahren Tatsachen gleichgestellt hatte. Daraus folgt aber nicht, daß die Wahrheit oder Unwahrheit unerheblich wäre und der Kläger eines Unterlassungsbegehrens die Unrichtigkeit der Presseberichte seinerseits nicht mehr konkret darlegen und gegebenenfalls unter Beweis stellen dürfte. | ||
2. Diesen Anforderungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist das Oberlandesgericht nicht gerecht geworden. | ||
a) Die Abweisung des Unterlassungsbegehrens hinsichtlich der Äußerung zu 1) hält der verfassungsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. | ||
Es begegnet verfassungsrechtlich allerdings keinen Bedenken, daß das Oberlandesgericht die Äußerung zu 1), der Beschwerdeführer bezeichne sich selbst als Geistlicher von Scientology, als Tatsachenbehauptung angesehen hat. Sie ist dem Beweis zugänglich. Dagegen durfte es die Wahrheit dieser Behauptung nicht offen lassen. Vielmehr hätte es die Darlegung des Beschwerdeführers, der Artikel, aus dem sich die Selbstbezeichnung als Geistlicher ergebe, sei von ihm nicht gebilligt worden und - was die Auditoreigenschaft angehe - falsch, sowie seine Angabe, er habe sich 1992 von Scientology distanziert, im Verfahren berücksichtigen müssen. | ||
Insbesondere hinsichtlich der Distanzierung hätte das Oberlandesgericht beachten müssen, daß es auch Ausdruck der Persönlichkeit des Einzelnen ist, seine Anschauungen zu ändern und sich neu zu orientieren. In diesem Fall kann er verlangen, daß Dritte sein verändertes Selbstverständnis nach einer ernst gemeinten und öffentlichen Distanzierung von einer Organisation, mit der er in Verbindung stand, respektieren und seine Zugehörigkeit nur noch für die Vergangenheit behaupten. Da die beanstandete Äußerung im Präsens formuliert ist, spielt die behauptete Distanzierung für die Aufrechterhaltung der Behauptung ebenso eine Rolle wie die Frage, ob die Selbstbezeichnung für die Vergangenheit zutrifft. | ||
b) Auch die Abweisung des Unterlassungsbegehrens bezüglich der Äußerung zu 2) verletzt den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Das Oberlandesgericht hat sie zwar in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als Tatsachenbehauptung angesehen. Es durfte die Wahrheit oder Unwahrheit der Behauptung, der Beschwerdeführer sei Auditor IV, aber nicht durch den Hinweis auf die Berichterstattung in "Celebrity" für unerheblich erklären. Vielmehr hätte es berücksichtigen müssen, daß der Beschwerdeführer unter Vorlage von Erklärungen der Scientology Kirche Deutschland bestreitet, eine Ausbildung zum Auditor gemacht und eine derartige Funktion innegehabt zu haben. Auch auf die behauptete Distanzierung von Scientology, insbesondere ihre Ernsthaftigkeit, hätte das Gericht eingehen müssen. | ||
c) Schließlich verletzt auch die Abweisung des Unterlassungsbegehrens hinsichtlich der Äußerung zu 3) den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. | ||
Zwar hat das Oberlandesgericht insoweit die Wahrheitsfrage nicht offen gelassen, sondern für erwiesen angesehen, daß der Beschwerdeführer Scientologe sei, und in der entsprechenden Behauptung zusammen mit den über die Tätigkeit der Organisation gemachten Aussagen auch eine Herabsetzung seiner Person erblickt. Es ist jedoch vom Vorrang der Meinungsfreiheit vor dem Persönlichkeitsschutz ausgegangen. Dabei hat es aber nicht berücksichtigt, daß der Beschwerdeführer den Darlegungen der Beklagten seine Abkehr von Scientology entgegengesetzt hat. Da diese Übergehung ebenfalls in dem unzutreffenden Verständnis von Schutzgehalt und Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wurzelt, leidet die Entscheidung insoweit an demselben Mangel, der bereits für die beiden anderen Äußerungen festgestellt worden ist, ohne daß es darauf ankäme, ob sie überdies gegen Art.103 Abs.1 GG verstößt. | ||
3. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem Grundrechtsverstoß. Die Parteien haben für ihre Behauptungen Beweis angeboten. Die danach jedenfalls bei Bejahung der Erstbegehungsgefahr notwendige Beweisaufnahme ist auch nicht an anderer Stelle, insbesondere nicht bei der vom Berufungsgericht vorgenommenen Würdigung der Äußerung zu 3), nachgeholt worden. Dort hat das Oberlandesgericht lediglich | ||
Auszug aus BVerfG B, 10.11.98, - 1_BvR_1531/96 -, www.BVerfG.de, Abs.39 ff | ||
§§§ |
98.043 | Aufwandsentschädigung Ost | |
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1) Zahlt ein Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Stellenzulage, die einen Anreiz für die Übernahme einer bestimmten Tätigkeit bietet, so unterliegen nach dem Grundsatz der Besteuerungsgleichheit auch diese Erwerbseinnahmen der Regelbesteuerung, die das Einkommensteuergesetz jeweils bestimmt. | ||
2) § 3 Nr.12 Satz 1 EStG verstößt in seiner Anwendung auf Zulagen für Besoldungsempfänger des Bundes wegen ihrer dienstlichen Tätigkeit bei einer Dienststelle in dem in Art.3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet gegen Art.3 Abs.1 GG, weil der Aufwandstatbestand in § 3 Nr.12 Satz 1 EStG nicht nur erwerbsdienliche, als Werbungskosten oder Betriebsausgaben berücksichtigungsfähige Ausgaben, sondern auch Amts- und Stellenzulagen umfaßt. | ||
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ |
98.044 | Beamtenkinder |
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LB 1) Die im Rubrum näher bezeichneten Vorschriften der Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetze in Verbindung mit der jeweiligen Anlage 2, die Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetze 1987 und 1988 auch in Verbindung mit Art.14 § 3 des Reformgesetzes vom 24.Februar 1997, waren mit Art.33 Abs.5 GG nicht vereinbar, soweit der Gesetzgeber es unterlassen hat, die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile bei verheirateten Beamten und Richtern der im Entscheidungsausspruch im einzelnen bezeichneten Besoldungsgruppen mit mehr als zwei Kindern in einer dem Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation entsprechenden Höhe festzusetzen. | |
LB 2) Das Alimentationsprinzip gehört zu den hergebrachten und vom Gesetzgeber zu beachtenden Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art.33 Abs.5 GG (vgl nur BVerfGE_81,363 <375>; stRspr). | |
LB 3) Es gibt dem einzelnen Beamten ein grundrechtsähnliches Individualrecht gegenüber dem Staat (vgl BVerfGE_8,1 <17>). Der Dienstherr ist danach verpflichtet, dem Beamten amtsangemessenen Unterhalt zu leisten. | |
LB 4) Dies umfaßt auch die Pflicht, die dem Beamten durch seine Familie entstehenden Unterhaltspflichten realitätsgerecht zu berücksichtigen. Damit trägt der Dienstherr nicht zuletzt der Aufgabe des Berufsbeamtentums Rechnung, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern (vgl BVerfGE_11,203 <216 f>; BVerfGE_39,196 <201>; BVerfGE_44,249 <265>). | |
LB 5) Im Rahmen seiner Verpflichtung zur amtsangemessenen Alimentation hat der Gesetzgeber die Attraktivität des Beamtenverhältnisses für qualifizierte Kräfte und das Ansehen des Amtes in der Gesellschaft zu festigen, Ausbildungsstand, Beanspruchung und Verantwortung des Amtsinhabers zu berücksichtigen und dafür Sorge zu tragen, daß jeder Beamte außer den Grundbedürfnissen ein "Minimum an Lebenskomfort" befriedigen (vgl BVerfGE_44,249 <265 f>; BVerfGE_76,256 <324>; BVerfGE_81,363 <376>) und seine Unterhaltspflichten gegenüber seiner Familie erfüllen kann. | |
LB 6) Bei der Beurteilung und Regelung dessen, was eine amtsangemessene Besoldung ausmacht, kann die Zahl der Kinder eines Beamten deshalb nicht ohne Bedeutung sein. Art.33 Abs.5 GG beläßt dem Gesetzgeber insoweit allerdings einen Gestaltungsspielraum (vgl BVerfGE_44,249 <267>; BVerfGE_81,363 <376 f>). | |
LB 7) Ob die Dienstbezüge des Beamten amtsangemessen sind, beurteilt sich nach dem Nettoeinkommen. | |
LB 8) Dem Gesetzgeber steht es frei, das von der Verfassung vorgegebene Ziel durch eine entsprechende Bemessung der Bruttobezüge zu erreichen, die Beamten an einem allgemein gewährten Kindergeld teilhaben zu lassen steuerrechtlich die durch den Kindesunterhalt verminderte Leistungsfähigkeit auszugleichen oder diese Möglichkeiten miteinander zu verbinden (vgl BVerfGE_81,363 <375 f>). | |
LB 9) Das Bundesverfassungsgericht ist in seinen Entscheidungen vom 30.März 1977 und vom 22.März 1990 davon ausgegangen, daß die Einkommensverhältnisse der Beamtenfamilie mit einem oder zwei Kindern in allen Stufen der Besoldungsordnung zum damaligen Zeitpunkt im wesentlichen amtsangemessen waren, der bei größerer Kinderzahl entstehende Mehrbedarf hingegen durch zusätzliche Leistungen gedeckt werden muß (vgl BVerfGE_81,363 <377 f>). | |
LB 10) Der Gesetzgeber überschreitet seinen Gestaltungsspielraum, wenn er dem Beamten zumutet, für den Unterhalt seines dritten und weiterer Kinder auf die familienneutralen Bestandteile seines Gehalts zurückzugreifen, um den Bedarf seiner Kinder zu decken. Die damit verbundene, mit wachsender Kinderzahl fortschreitende Auszehrung der familienneutralen Gehaltsbestandteile ist nicht hinnehmbar, weil so der Beamte mit mehreren Kindern den ihm zukommenden Lebenszuschnitt nicht oder nur zu Lasten seiner Familie erreichen kann (vgl BVerfGE_81,363 <378>). | |
LB 11) Die Bedarfssätze der Rechtsordnung, die an dem äußersten Mindestbedarf eines Kindes ausgerichtet sind, also insbesondere die Sozialhilfesätze, sind staatliche Hilfen zur Erhaltung eines Mindestmaßes sozialer Sicherung. | |
LB 12) Die Alimentation des Beamten und seiner Familie ist demgegenüber etwas qualitativ anderes. Diesen Unterschied muß die Bemessung der kinderbezogenen Bestandteile des Beamtengehalts deutlich werden lassen (BVerfGE_81,363 <378>). | |
LB 13) Die Berücksichtigung der Kinderzahl bei der Besoldung ist daher kein "Beamtenprivileg", sondern Inhalt der geschuldeten Alimentation. | |
LB 14) Gemeinwohlbelange darf der Gesetzgeber bei der Regelung der Besoldung im Rahmen seines ihm in diesem Bereich grundsätzlich zustehenden weiten Gestaltungsspielraums berücksichtigen. Allerdings hat er zu beachten, daß die vom Dienstherrn nach Maßgabe der Verfassung geschuldete Alimentation nicht eine dem Umfang nach beliebig variable Größe ist (vgl BVerfGE_44,249 <264>). | |
LB 15) Nur kinderreichen Beamten einen "Sonderbeitrag" abzuverlangen, ist von Verfassungs wegen nicht zulässig. | |
LB 16) Ein um 15 vH über dem sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf liegender Betrag ("15 vH-Betrag") läßt den verfassungsgebotenen Unterschied zwischen der der Sozialhilfe obliegenden Befriedigung eines äußersten Mindestbedarfs und dem dem Beamten (und seiner Familie) geschuldeten Unterhalt derzeit hinreichend deutlich werden (vgl BVerfGE_81,363 <382 f>). | |
LB 17) Dem "15 vH-Betrag", der den verfassungsgebotenen Unterschied zwischen der Alimentation und der Deckung eines äußersten Mindestbedarfs derzeit deutlich werden läßt, wird der durchschnittliche Nettomehrbetrag gegenübergestellt, den der Beamte für sein drittes und jedes weitere Kind erhält. Dies entspricht der Vorgabe an den Gesetzgeber, nach der das Nettoeinkommen ausreichend sein muß, um den Beamten einschließlich seiner Familie amtsangemessen zu alimentieren. | |
LB 18) In seinem Beschluß vom 22.März 1990 (vgl BVerfGE_81,363 <383 ff>) hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, der Gesetzgeber sei - nachdem die Entscheidung vom 30.März 1977 (BVerfGE_44,249) im Juli desselben Jahres bekannt geworden war - verpflichtet gewesen, die in jener Entscheidung als seit dem 1.Januar 1975 verfassungswidrig beanstandete Rechtslage mit Wirkung vom 1.Januar 1977 mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. | |
LB 19) Eine allgemeine rückwirkende Behebung dieses Verfassungsverstoßes sei nicht (mehr) geboten gewesen. Die rückwirkende Korrektur habe sich auf solche Beamte beschränken können, die ihren Anspruch auf amtsangemessene Alimentation zeitnah, also während des laufenden Haushaltsjahres, gerichtlich oder durch Widerspruch geltend gemacht hätten (vgl BVerfGE_81,363 <385>). | |
LB 20) Die Entscheidungsformel zu 2. beruht auf § 35 BVerfGG. Die Maßnahme ist geboten, weil der Gesetzgeber trotz der ihm in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 30.März 1977 und vom 22.März 1990 gegebenen Handlungsaufträge die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile von Beamten mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern bis zum Jahre 1996 (und möglicherweise auch danach) nicht in einer mit dem Grundsatz der Alimentation vereinbaren Höhe festgesetzt hat. | |
LB 21) Erfüllt der Gesetzgeber seine durch diese Entscheidung erneut festgestellte Verpflichtung nicht bis zum 31.Dezember 1999, so sind die Dienstherren verpflichtet, für das dritte und jedes weitere unterhaltsberechtigte Kind familienbezogene Gehaltsbestandteile in Höhe von 115 vH des durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes zu gewähren (vgl oben C. III. 3.). Die Fachgerichte sind befugt, familienbezogene Gehaltsbestandteile nach diesem Maßstab zuzusprechen. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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T-98-17 | Alimentation |
"Die im Rubrum näher bezeichneten Vorschriften der Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetze in Verbindung mit der jeweiligen Anlage 2, die Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetze 1987 und 1988 auch in Verbindung mit Art.14 § 3 des Reformgesetzes vom 24.Februar 1997, waren mit Art.33 Abs.5 GG nicht vereinbar, soweit der Gesetzgeber es unterlassen hat, die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile bei verheirateten Beamten und Richtern der im Entscheidungsausspruch im einzelnen bezeichneten Besoldungsgruppen mit mehr als zwei Kindern in einer dem Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation entsprechenden Höhe festzusetzen. I. | |
Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur amtsangemessenen Alimentation von Beamten mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen vom 30.März 1977 (BVerfGE_44,249) und vom 22.März 1990 (BVerfGE_81,363) entwickelt. Hieran wird festgehalten. | |
1. a) Das Alimentationsprinzip gehört zu den hergebrachten und vom Gesetzgeber zu beachtenden Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art.33 Abs.5 GG (vgl nur BVerfGE_81,363 <375>; stRspr). Es gibt dem einzelnen Beamten ein grundrechtsähnliches Individualrecht gegenüber dem Staat (vgl BVerfGE_8,1 <17> ). Der Dienstherr ist danach verpflichtet, dem Beamten amtsangemessenen Unterhalt zu leisten. Dies umfaßt auch die Pflicht, die dem Beamten durch seine Familie entstehenden Unterhaltspflichten realitätsgerecht zu berücksichtigen. Damit trägt der Dienstherr nicht zuletzt der Aufgabe des Berufsbeamtentums Rechnung, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern (vgl BVerfGE_11,203 <216 f>; BVerfGE_39,196 <201>; BVerfGE_44,249 <265>). | |
b) Im Rahmen seiner Verpflichtung zur amtsangemessenen Alimentation hat der Gesetzgeber die Attraktivität des Beamtenverhältnisses für qualifizierte Kräfte und das Ansehen des Amtes in der Gesellschaft zu festigen, Ausbildungsstand, Beanspruchung und Verantwortung des Amtsinhabers zu berücksichtigen und dafür Sorge zu tragen, daß jeder Beamte außer den Grundbedürfnissen ein "Minimum an Lebenskomfort" befriedigen (vgl BVerfGE_44,249 <265 f>; BVerfGE_76,256 <324>; BVerfGE_81,363 <376> ) und seine Unterhaltspflichten gegenüber seiner Familie erfüllen kann. Aus der Sicherungsfunktion, welche die Alimentation für das Berufsbeamtentum hat, folgt daher, daß der Beamte nicht vor die Wahl gestellt werden darf, entweder ein "Minimum an Lebenskomfort" zu befriedigen oder, unter Verzicht darauf, eine Familie zu haben und diese entsprechend den damit übernommenen Verpflichtungen angemessen zu unterhalten. Bei der Beurteilung und Regelung dessen, was eine amtsangemessene Besoldung ausmacht, kann die Zahl der Kinder eines Beamten deshalb nicht ohne Bedeutung sein. Art.33 Abs.5 GG beläßt dem Gesetzgeber insoweit allerdings einen Gestaltungsspielraum (vgl BVerfGE_44,249 <267>; BVerfGE_81,363 <376 f>). | |
c) Ob die Dienstbezüge des Beamten amtsangemessen sind, beurteilt sich nach dem Nettoeinkommen. Daher steht es dem Gesetzgeber frei, das von der Verfassung vorgegebene Ziel durch eine entsprechende Bemessung der Bruttobezüge zu erreichen, die Beamten an einem allgemein gewährten Kindergeld teilhaben zu lassen, steuerrechtlich die durch den Kindesunterhalt verminderte Leistungsfähigkeit auszugleichen oder diese Möglichkeiten miteinander zu verbinden (vgl BVerfGE_81,363 <375 f>). | |
2. Das Bundesverfassungsgericht ist in seinen Entscheidungen vom 30.März 1977 und vom 22.März 1990 davon ausgegangen, daß die Einkommensverhältnisse der Beamtenfamilie mit einem oder zwei Kindern in allen Stufen der Besoldungsordnung zum damaligen Zeitpunkt im wesentlichen amtsangemessen waren, der bei größerer Kinderzahl entstehende Mehrbedarf hingegen durch zusätzliche Leistungen gedeckt werden muß (vgl BVerfGE_81,363 <377 f>). | |
Der Gesetzgeber überschreitet seinen Gestaltungsspielraum, wenn er dem Beamten zumutet, für den Unterhalt seines dritten und weiterer Kinder auf die familienneutralen Bestandteile seines Gehalts zurückzugreifen, um den Bedarf seiner Kinder zu decken. Die damit verbundene, mit wachsender Kinderzahl fortschreitende Auszehrung der familienneutralen Gehaltsbestandteile ist nicht hinnehmbar, weil so der Beamte mit mehreren Kindern den ihm zukommenden Lebenszuschnitt nicht oder nur zu Lasten seiner Familie erreichen kann (vgl BVerfGE_81,363 <378>). | |
3. Bei der Bemessung des zusätzlichen Bedarfs, der für das dritte und die weiteren Kinder des Beamten entsteht und vom Dienstherrn über die Alimentation der Zwei-Kinder-Familie hinaus zu decken ist, kann der Gesetzgeber von denjenigen Regelsätzen für den Kindesunterhalt ausgehen, die die Rechtsordnung zur Verfügung stellt. Allerdings sind diese Sätze auf die Befriedigung unterschiedlicher Bedürfnisse hin ausgerichtet. Ihre ungleiche Aussagekraft für die Höhe des dem Beamten von seinem Dienstherrn geschuldeten amtsangemessenen Unterhalts hat der Gesetzgeber in Rechnung zu stellen. So sind etwa Bedarfssätze, die an dem äußersten Mindestbedarf eines Kindes ausgerichtet sind, also insbesondere die Sozialhilfesätze, staatliche Hilfen zur Erhaltung eines Mindestmaßes sozialer Sicherung. Die Alimentation des Beamten und seiner Familie ist demgegenüber etwas qualitativ anderes. Diesen Unterschied muß die Bemessung der kinderbezogenen Bestandteile des Beamtengehalts deutlich werden lassen (BVerfGE_81,363 <378>). II. | |
Die hiergegen erhobenen Einwände greifen nicht durch. Die Gewährung kinderbezogener Gehaltsbestandteile ist weder ein "Beamtenprivileg" noch handelt es sich dabei um "doppeltes Kindergeld" (1). Die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitraum 1988 bis 1996 lassen nicht den Schluß zu, es sei eine Verschlechterung der allgemeinen Lebensverhältnisse eingetreten, die auf das dem Beamten zu gewährleistende "Minimum an Lebenskomfort" durchgegriffen hätte (2). Der als Vergleichsmaßstab herangezogene verheiratete Beamte mit zwei Kindern war auch im hier zur Überprüfung stehenden Zeitraum nicht überalimentiert (3). Aus der vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandeten Absenkung der Eingangsbesoldung durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 ergeben sich für die vorliegenden Verfahren keine Konsequenzen (4). Schließlich rechtfertigen die aufgrund der Deutschen Einheit und der europäischen Währungsunion veränderten Rahmenbedingungen keine "Sonderbelastung" der Beamten mit mehr als zwei Kindern (5). | |
1. Es wird den durch Art.33 Abs.5 GG gewährleisteten Besonderheiten des Beamtenverhältnisses nicht gerecht, in der Zuwendung kinderbezogener Gehaltsbestandteile ein "Beamtenprivileg" oder ein "doppeltes Kindergeld" zu sehen. Das Beamtenverhältnis ist kein Dienstvertrag im herkömmlichen Sinne, insbesondere ist es kein entgeltliches Arbeitsverhältnis, aufgrund dessen eine nach Inhalt, Zeit und Umfang begrenzte Arbeitsleistung geschuldet wird und als Entgelt dafür ein Anspruch auf Entlohnung erwächst. Das Beamtenverhältnis begründet vielmehr für den Beamten und den Dienstherrn je selbständige Pflichten. Diese folgen unmittelbar aus dem Gesetz, sie werden nicht vertraglich vereinbart. Der Beamte hat die Pflicht, dem Dienstherrn seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Der Dienstherr ist verpflichtet, dem Beamten den amtsangemessenen Unterhalt für sich und seine Familie zu gewähren (vgl BVerfGE_11,203 <216 f.>; BVerfGE_39,196 <201>; BVerfGE_44, 249 <265>). Die Berücksichtigung der Kinderzahl bei der Besoldung ist daher kein "Beamtenprivileg", sondern Inhalt der geschuldeten Alimentation. | |
2. Eine Neubestimmung des "Minimums an Lebenskomfort" ist nicht geboten. | |
a) In den Jahren 1978 bis 1996 sind die Einkommen in der Bundesrepublik Deutschland regelmäßig stärker gestiegen als die Preise. Dies ergibt sich zunächst aus den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes im Rahmen der Einkommens- und Verbrauchsstichproben 1978, 1983, 1988 und 1993 zu dem Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit und zum Haushaltsnettoeinkommen (vgl Statistisches Bundesamt, Wirtschaftsrechnungen, Fachserie 15, jeweils Heft 4 - Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte -). Ein Vergleich mit dem Preisindex für die Lebenshaltung (vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1997, S.650) zeigt, daß sich Einkommensentwicklung und Preisentwicklung in den Erhebungsjahren bis zum Jahre 1988 im wesentlichen die Waage hielten, während im Jahre 1993 die Einkommenssteigerung größer war als die Preissteigerung. | |
Bestätigt wird dies durch die Einkommens- und Preisentwicklung von 1978 bis 1996. Die entsprechenden Nachweisungen des Haushaltsnettoeinkommens durch das Statistische Bundesamt in den laufenden Wirtschaftsrechnungen lassen eine im wesentlichen stärkere Steigerung des Einkommens als der Preise erkennen (vgl Statistische Jahrbücher 1978, S.436 f; 1983, S.448 f; 1988, S.460 f; 1991, S.534 f; 1996, S.546 f; 1997, S.566 f). | |
b) Auch ein Blick auf das Volkseinkommen je Einwohner (vgl. Statistische Jahrbücher 1993, S.694; 1996, S.655; 1997, S.680), der die Veränderungen am Arbeitsmarkt einbezieht, weist nicht auf eine allgemeine Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen hin. Es fällt auf, daß das Volkseinkommen je Einwohner trotz zunehmender Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland stetig angestiegen ist. Dies gilt sowohl für das frühere Bundesgebiet als auch für das wiedervereinigte Deutschland. Eine Ausnahme bildet insoweit nur das Jahr 1993, in dem eine gewisse Stagnation festzustellen ist. Der leichte Rückgang des Volkseinkommens je Einwohner (im früheren Bundesgebiet) ist jedoch bereits im Jahre 1994 durch eine erhebliche Steigerung mehr als nur aufgefangen worden. | |
Das Volkseinkommen je Einwohner ist regelmäßig auch stärker angestiegen als die Preise. Von einer "Aufzehrung" durch die Preissteigerung kann daher nicht die Rede sein. Insoweit bilden lediglich die Jahre 1993 und 1994 eine Ausnahme. Eine nachhaltige Verschlechterung der gegebenen wirtschaftlichen Gesamtsituation läßt sich hieraus jedoch nicht ableiten. Schon im Jahre 1995 ist das Volkseinkommen je Einwohner wieder stärker gestiegen als die Preise. | |
Folgerichtig hat auch der Gesetzgeber nicht auf eine vermeintliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Gesamtsituation reagiert. Vielmehr wurden nach den Begründungen zu den Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzen auch in den Jahren 1993 und 1994 die Besoldungs- und Versorgungsbezüge erhöht, um diese an die Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse anzupassen (vgl die jeweilige Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BBVAnpG 93 | |
c) Abgerundet wird dieses Bild durch die Ausgaben und Aufwendungen privater Haushalte für den Privaten Verbrauch. Diese sind in den Einkommens- und Verbrauchsstichproben 1978, 1983, 1988 und 1993 des Statistischen Bundesamtes nachgewiesen (vgl Statistisches Bundesamt, Wirtschaftsrechnungen, Fachserie 15, jeweils Heft 4 - Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte - und Heft 5 - Aufwendungen privater Haushalte für den Privaten Verbrauch -). Den dortigen Nachweisungen können die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 30. März 1977 genannten Beispiele zur Erläuterung dessen, was im Hinblick auf den allgemeinen Lebensstandard und die allgemeinen Verbrauchs- und Lebensgewohnheiten zum "Minimum an Lebenskomfort" gehört (vgl BVerfGE_44,249 <265 f>), entnommen werden. Dabei zeigt sich, daß der prozentuale Anteil der Ausgaben für den jeweiligen Gegenstand, gemessen an den Gesamtausgaben und -aufwendungen, im wesentlichen auf gleichem Niveau geblieben ist. | |
d) Schließlich ändert auch die Lage am Arbeitsmarkt nichts an dem oben gewonnenen Befund. Zwar sind Beamte - soweit sie auf Lebenszeit ernannt sind - weitgehend vor Entlassung geschützt. Rückschlüsse auf das "Minimum an Lebenskomfort" sind jedoch schon deshalb nicht möglich, weil sich dieses nach den Bedürfnissen bestimmt, die der arbeitende Mensch befriedigen können soll (vgl BVerfGE_44,249 <265>). | |
3. Ist das "Minimum an Lebenskomfort" nach alledem nicht deshalb neu zu bestimmen, weil sich die allgemeinen Verhältnisse verschlechtert hätten, so kann im zu beurteilenden Zeitraum auch nicht von einer "Überalimentation" der bislang als Maßstab dienenden vierköpfigen Beamtenfamilie ausgegangen werden. Auch die Besoldung dieser Beamtengruppe wurde lediglich entsprechend den allgemeinen finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnissen erhöht (vgl die jeweilige Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BBVAnpG 93 | |
4. Aus der vom Bundesverfassungsgericht (Vorprüfungsausschuß) im Beschluß vom 15.Januar 1985 - 2 BvR 1148/84 - (NVwZ 1985, S.333) nicht beanstandeten Absenkung der Eingangsbesoldung durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I S.1532) ergibt sich nichts anderes. Das Bundesverfassungsgericht hat dort lediglich seine ständige Rechtsprechung wiederholt, nach der dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt (vgl. nur BVerfGE_13,356 <362>; BVerfGE_56,87 <95>; BVerfGE_64,367 <378 f> ). Mit der hier in Rede stehenden Frage der amtsangemessenen Alimentation kinderreicher Beamter hatte sich das Bundesverfassungsgericht in dem genannten Beschluß nicht zu befassen. | |
5. Die amtsangemessene Alimentation ist schließlich auch nicht wegen der Auswirkungen der Deutschen Einheit sowie des Vertrags von Maastricht auf die öffentlichen Haushalte neu zu bestimmen. Dabei wird die vom Staat zu bewältigende historische Ausnahmesituation nicht verkannt. Gemeinwohlbelange dieser Art darf der Gesetzgeber bei der Regelung der Besoldung im Rahmen seines ihm in diesem Bereich grundsätzlich zustehenden weiten Gestaltungsspielraums berücksichtigen. Allerdings hat er zu beachten, daß die vom Dienstherrn nach Maßgabe der Verfassung geschuldete Alimentation nicht eine dem Umfang nach beliebig variable Größe ist (vgl BVerfGE_44,249 <264>). | |
Nur kinderreichen Beamten einen "Sonderbeitrag" abzuverlangen, ist von Verfassungs wegen nicht zulässig. Eine amtsangemessene Alimentation läßt sich auch ohne Erhöhung der Gesamtausgaben für die Besoldung der Beamten erreichen. III. | |
1. Der Gesetzgeber hat seinen ihm im Besoldungs- und Versorgungsrecht grundsätzlich zustehenden weiten Gestaltungsspielraum überschritten, wenn er es dem Beamten zumutet, für den Unterhalt seines dritten und jedes weiteren Kindes auf die familienneutralen Bestandteile des Gehalts zurückzugreifen, soweit es sich um die Deckung des Bedarfs handelt, wie er in den von der Rechtsordnung vorgesehenen Regelsätzen für den Kindesunterhalt als angemessen erachtet wird. Die mit wachsender Kinderzahl verbundene fortschreitende Auszehrung der familienneutralen Gehaltsbestandteile ist nicht hinnehmbar, weil so der Beamte mit mehreren Kindern den ihm zukommenden Lebenszuschnitt nicht oder nur zu Lasten seiner Familie erreichen kann (vgl BVerfGE_81,363 <378>). | |
2. Die hierzu notwendigen Berechnungen beruhen auf den - vom Bundesministerium des Innern ermittelten - jeweiligen Nettoeinkommen (vgl BVerfGE_81,363 <376> ). Es ist dabei von den jährlichen Bezügen ausgegangen. Dazu gehören das Grundgehalt (in der Endstufe), der Ortszuschlag, die Stellenzulage nach Nr.27 der Vorbemerkungen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B, die jährliche Sonderzuwendung und das Urlaubsgeld sowie etwaige Einmalzahlungen. Die Nettobezüge ergeben sich nach Abzug der Lohnsteuer (nach Maßgabe der besonderen Lohnsteuertabellen), der Kirchensteuer (Kirchensteuersatz: 8 vH) und des Solidaritätszuschlags (soweit dieser im maßgeblichen Jahr erhoben wurde) und unter Hinzurechnung des Kindergeldes. | |
3. Ob der Gesetzgeber mit den zur Prüfung vorgelegten Besoldungsvorschriften eine ausreichende Alimentation von Beamten mit mehr als zwei Kindern sichergestellt hat, beurteilt sich auf der Basis des sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht bereits ausgeführt, daß die Alimentation des Beamten demgegenüber etwas qualitativ anderes ist (vgl BVerfGE_44,249 <264 f>). Dieser Unterschied muß bei der Bemessung der kinderbezogenen Bestandteile des Beamtengehalts sichtbar werden. Ein um 15 vH über dem sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf liegender Betrag ("15 vH-Betrag") läßt den verfassungsgebotenen Unterschied zwischen der der Sozialhilfe obliegenden Befriedigung eines äußersten Mindestbedarfs und dem dem Beamten (und seiner Familie) geschuldeten Unterhalt derzeit hinreichend deutlich werden (vgl BVerfGE_81,363 <382 f>). Diese Berechnungsmethode führt nicht zu einer absoluten Bestimmung dessen, was die dem Beamten zu gewährende Alimentation ausmacht. Weisen die dem Beamten für sein drittes und jedes weitere Kind gewährten Zuschläge nicht einmal einen Abstand von 15 v.H. zum sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf auf, so hat der Gesetzgeber den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten. | |
Vorliegend errechnet sich der sozialhilferechtliche Gesamtbedarf zunächst durch Bildung eines Durchschnitts-Regelsatzes nach § 22 Bundessozialhilfegesetz für das bisherige Bundesgebiet (vgl hierzu den Bericht der Besoldungskommission Bund/ | |
Länder über besoldungsrechtliche Folgerungen aus der am 1.Januar 1983 in Kraft getretenen einkommensabhängigen Kürzung des Kindergeldes vom 30.Januar 1984, | |
4. Dem "15 vH-Betrag", der den verfassungsgebotenen Unterschied zwischen der Alimentation und der Deckung eines äußersten Mindestbedarfs derzeit deutlich werden läßt, wird der durchschnittliche Nettomehrbetrag gegenübergestellt, den der Beamte für sein drittes und jedes weitere Kind erhält. Dies entspricht der Vorgabe an den Gesetzgeber, nach der das Nettoeinkommen ausreichend sein muß, um den Beamten einschließlich seiner Familie amtsangemessen zu alimentieren. Die Heranziehung des durchschnittlichen Nettomehrbetrages trägt ferner dem Umstand Rechnung, daß wegen der bis zum Jahre 1995 geltenden einkommensabhängigen Kindergeldminderung ab dem zweiten Kind zum Teil - statt des zu erwartenden gleichmäßigen Verlaufs - Sprünge bei der Ermittlung des Nettomehrbetrages von Kind zu Kind auftraten. Dieser durch den Wegfall der einkommensabhängigen Kindergeldminderung entstehende höhere Mehrbetrag kann allerdings nicht als Nettomehrbetrag für das Kind angesehen werden, das zum Wegfall der Kindergeldminderung geführt hat. Insofern ist er auf das dritte, vierte, fünfte (usw) Kind zu verteilen. IV. | |
Diesen Maßstäben wurden die im Rubrum näher bezeichneten Regelungen nicht gerecht. Dies zeigen die folgenden Vergleichsberechnungen pro Monat. | |
(Tabelle siehe Urteile im Internet www.BVerfG.de) | |
Diese Vergleichsberechnungen zeigen, daß die Besoldung verheirateter Beamter mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern in den die Vorlageverfahren betreffenden Besoldungsgruppen in bezug auf das dritte und jedes weitere Kind den verfassungsgebotenen Mindestabstand von 15 vH zur Sozialhilfe nicht eingehalten hat. Es wurde nicht einmal der sozialhilferechtliche Gesamtbedarf für ein Kind durch die bei steigender Kinderzahl gewährten Nettomehrbeträge ausgeglichen. Dies gilt in den Jahren 1988 und 1989 für die hier allein zu überprüfende Besoldungsgruppe B 2 auch unter Hinzurechnung von 50,-- DM je Kind im Monat (Art.14 § 3 Reformgesetz). | |
Nach alledem hat der Gesetzgeber den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten. Er ist mit den zur Prüfung vorgelegten Regelungen deutlich unterhalb der Grenze geblieben, welche die den Beamten der jeweiligen Besoldungsgruppen mit mehr als zwei Kindern geschuldete Alimentation nicht unterschreiten darf. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch den "Bericht der Besoldungskommission Bund/Länder über besoldungsrechtliche Folgerungen für eine verfassungskonforme kinderbezogene Besoldung aus dem Beschluß des BVerfG vom 22.März 1990 (2 BvL 1/86)" aus dem Jahre 1992 (BLK-Bericht 1992). Dort wird eine erhebliche Unteralimentierung über den gesamten Zeitraum 1.Februar 1981 bis 31.Dezember 1989 und ab 1.Januar 1990 festgestellt (vgl S.24 des Berichts). Auch in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1995 (BTDrucks 13/2210, S. 22) wird ausgeführt, daß "die im Hinblick auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990 - 2 BvL 1/86 - zur amtsangemessenen Alimentation von Beamten mit drei und mehr Kindern gebotene Erhöhung des Ortszuschlags ab dem dritten Kind (...) noch nicht umgesetzt werden" konnte. V. | |
Angesichts des festgestellten Verstoßes gegen Art.33 Abs.5 GG kommt es nicht mehr darauf an, ob der Gesetzgeber auch gegen Art.3 Abs.1 GG verstoßen hat. Diese Frage kann, wie in den Entscheidungen vom 30.März 1977 und vom 22.März 1990, offen bleiben. D. | |
Die im Rubrum näher bezeichneten Vorschriften über den Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Art.I § 1 und Art.I der BBVAnpG halten der verfassungsrechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht stand. Auch sie verstoßen gegen Art.33 Abs.5 GG. I. | |
In seinem Beschluß vom 22.März 1990 (vgl BVerfGE_81,363 <383 ff>) hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, der Gesetzgeber sei - nachdem die Entscheidung vom 30.März 1977 (BVerfGE 44, 249) im Juli desselben Jahres bekannt geworden war - verpflichtet gewesen, die in jener Entscheidung als seit dem 1. Januar 1975 verfassungswidrig beanstandete Rechtslage mit Wirkung vom 1.Januar 1977 mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. Allerdings sei eine allgemeine rückwirkende Behebung dieses Verfassungsverstoßes nicht (mehr) geboten gewesen. Die rückwirkende Korrektur habe sich auf solche Beamte beschränken können, die ihren Anspruch auf amtsangemessene Alimentation zeitnah, also während des laufenden Haushaltsjahres, gerichtlich oder durch Widerspruch geltend gemacht hätten (vgl BVerfGE 81, 363 <385>). Das Bundesverfassungsgericht hat dies aus den Besonderheiten des Beamtenverhältnisses gefolgert (vgl BVerfGE_81,363 <384 ff>). Hieran wird festgehalten. II. | |
Für die hier zu entscheidenden Verfahren folgt daraus: | |
1. Soweit Besoldungsansprüche der Jahre 1988 und 1989 in Rede stehen (Verfahren 2 BvL 26/91), war der Gesetzgeber aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 22.März 1990 (BVerfGE 81, 363) gegenüber solchen Beamten, die ihre Ansprüche zeitnah geltend gemacht hatten, verpflichtet, eine der Verfassung entsprechende Besoldungsrechtslage herzustellen. Dieser Verpflichtung ist er nicht nachgekommen. Der mittlerweile in Art.14 § 3 Abs.1 des am 1.Juli 1997 in Kraft getretenen Reformgesetzes vorgesehene Erhöhungsbetrag von 50,-- DM je Kind und Monat ist hierzu nicht geeignet. | |
2. Für Besoldungsansprüche ab 1990 gilt: Der Gesetzgeber war - nachdem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.März 1990 im Juli 1990 bekannt geworden war - verpflichtet, die in dieser Entscheidung als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage mit Wirkung zum 1. Januar 1990 mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. Dies ist nicht geschehen. | |
3. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die in dieser Entscheidung als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. Eine allgemeine rückwirkende Behebung des Verfassungsverstoßes ist mit Blick auf die bereits im Beschluß vom 22.März 1990 näher erläuterten Besonderheiten des Beamtenverhältnisses nicht geboten. Eine rückwirkende Behebung ist jedoch - jeweils soweit der Anspruch auf amtsangemessene Alimentation zeitnah gerichtlich geltend gemacht worden ist - sowohl hinsichtlich der Kläger der Ausgangsverfahren als auch solcher Kläger, über deren Anspruch noch nicht abschließend entschieden worden ist, erforderlich. Eine später eintretende Rechtshängigkeit ist unschädlich, wenn die Klage wegen der für ein erforderliches Vorverfahren benötigten Zeit nicht rechtzeitig erhoben werden konnte. E. | |
Die Entscheidungsformel zu 2. beruht auf § 35 BVerfGG. Die Maßnahme ist geboten, weil der Gesetzgeber trotz der ihm in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 30.März 1977 und vom 22. März 1990 gegebenen Handlungsaufträge die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile von Beamten mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern bis zum Jahre 1996 (und möglicherweise auch danach) nicht in einer mit dem Grundsatz der Alimentation vereinbaren Höhe festgesetzt hat. Erfüllt der Gesetzgeber seine durch diese Entscheidung erneut festgestellte Verpflichtung nicht bis zum 31. Dezember 1999, so sind die Dienstherren verpflichtet, für das dritte und jedes weitere unterhaltsberechtigte Kind familienbezogene Gehaltsbestandteile in Höhe von 115 v.H. des durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes zu gewähren (vgl. oben C. III. 3.). Die Fachgerichte sind befugt, familienbezogene Gehaltsbestandteile nach diesem Maßstab zuzusprechen." | |
Auszug aus BVerfG E, 24.11.98, - 2_BvL_26/91 -, www.BVerfG.de, Abs.33 ff | |
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