1996 | ||
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1995 1997 | [ ] |
96.001 | Gemeinderat |
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Ein Verbot gleichzeitiger Mitgliedschaft früherer Ehegatten im Gemeinderat, wie es die Gemeindeordnung für Baden-Württemberg bei Gemeinden mit nicht mehr als 20000 Einwohnern vorsieht, ist mit Art.28 Abs.1 Satz 2 GG nicht vereinbar. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
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T-96-01 | Früherer Ehegatte |
"Die Vorlage ist zulässig. Das Verwaltungsgericht hat in einer den Anforderungen des Art.100 Abs.1 GG und des § 80 Abs.2 Satz 1 BVerfGG genügenden Weise dargetan, daß es für seine Entscheidung auf die Wirksamkeit von § 29 Abs.2 Satz 1 iVm § 18 Abs.1 Nr.1 GemO BW ankommt. Es hat auch seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit dieser Regelung hinreichend dargelegt und begründet. | |
§ 29 Abs.2 Satz 1 GemO BW in Verbindung mit 18 Abs.1 Nr.1 GemO BW ist mit Art.28 Abs.1 Satz 2 GG unvereinbar und nichtig, soweit danach in Gemeinden mit nicht mehr als 20.000 Einwohnern frühere Ehegatten nicht gleichzeitig Gemeinderäte sein können. | |
1. Der Grundsatz der gleichen Wahl ist in den Gemeinden durch Art.28 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet. Er gilt gleichermaßen für das aktive und das passive Wahlrecht (vgl BVerfGE_11,266 <272>; BVerfGE_48,64 <81>; BVerfGE_57,43 <56>). Er besagt, daß jedermann sein Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben können soll (vgl BVerfGE_11,266 <272>; BVerfGE_41,399 <413>; BVerfGE_69,92 <105 f>; BVerfGE_71,81 <94>; BVerfGE_82,322 <337>; BVerfGE_85,148 <157>; zuletzt BVerfGE_89,266 <270<). Zwar sind Differenzierungen, bei denen insbesondere die in der jeweiligen Rechtsgemeinschaft bestehenden Anschauungen und Verhältnisse Beachtung finden können (vgl BVerfGE_1,208 <249>; BVerfGE_82,322 <338>), auch in diesem Bereich nicht vollständig ausgeschlossen. Doch bleibt dem Gesetzgeber angesichts der Bedeutung des gleichen Wahlrechts für die freiheitliche demokratische Grundordnung hierfür nur ein eng bemessener Spielraum. Differenzierungen bedürfen darum stets eines zwingenden Grundes (stRspr, vgl BVerfGE_4,375 <382 f>; BVerfGE_6,84 <94>; zuletzt BVerfGE_82,322 <338>). | |
Der Grundsatz, daß jedermann von seinen staatsbürgerlichen Rechten in formal möglichst gleicher Weise soll Gebrauch machen können, gilt nicht nur für die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts im engeren Sinn, sondern in gleichem Maße für die Annahme und die Ausübung eines errungenen Mandats (vgl BVerfGE_38,326 <338>; BVerfGE_40,296 <317>; BVerfGE_48,64 <88>; BVerfGE_57,43 <67>; BayVerfGHE nF 29, 143 <147>). Er schließt es - auch auf kommunaler Ebene (Art.28 Abs.1 Satz 2 GG) - aus, einem gewählten Bewerber die Annahme und die Ausübung des errungenen Mandats zu verwehren, sofern hierfür kein zwingender Grund vorliegt. | |
2. Für die Benachteiligung geschiedener Ehegatten gemäß § 29 Abs.2 Satz 1 in Verbindung mit § 18 Abs.1 Nr.1 GemO BW besteht kein zwingender Grund. | |
a) Mit der Untersagung einer gleichzeitigen Ratsmitgliedschaft von Personen, die durch Ehe oder Verwandtschaft verbunden sind, soll nach allgemeiner Auffassung der Gefahr einer unlauteren Protektionswirtschaft als Folge übermäßigen Einflusses einzelner Familien ("Vettern- und Cliquenwirtschaft") entgegengewirkt und so von vornherein Mißtrauen der Einwohner gegenüber der Arbeit des Gemeinderats verhütet werden (vgl StGH Baden-Württemberg, ESVGH 31, 167 <168 f>; Urteil des VG Karlsruhe vom 15. Januar 1982, - 5 K 248/80 -, S.8; Kunze/Bronner/Katz/von Rotberg, Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, 4.Aufl | |
b) Ob das Anliegen, diesen Gefahren in Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern durch einen generellen Ausschlußtatbestand vorzubeugen, einen zwingenden Grund für ein Verbot gemeinsamer Ratszugehörigkeit verheirateter, verlobter oder eng verwandter Personen darstellt, bedarf hier nicht der Entscheidung. Jedenfalls bei geschiedenen Eheleuten sind diese Gefahren, die insoweit auch im Gesetzgebungsverfahren nicht besonders erörtert wurden (vgl LTDrucks Beilage 1060 vom 4.Dezember 1954, S.1376, sowie die Verhandlungen des Landtags von Baden-Württemberg 1/3203 ff. <3212 f>), so gering, daß sie - auch bei Berücksichtigung eines gewissen Einschätzungsspielraums, den die Grundsätze der formalen Wahlrechtsgleichheit einem Gesetzgeber belassen - sich nicht als zwingender Grund für ein generelles Verbot gleichzeitiger Ratsmitgliedschaft darstellen können. | |
aa) Nach einer Scheidung verfolgen Ehegatten erfahrungsgemäß nicht mehr in nennenswertem Umfang gemeinsame persönliche Interessen, da die eheliche Lebensgemeinschaft, die Anlaß zu vereintem Handeln im Gemeinderat bieten kann, beendet ist. Jedenfalls ist die Gefahr einer sachfremden gemeinschaftlichen Förderung von Eigen- oder Drittinteressen hier weit geringer einzuschätzen als bei Gemeinderatsmitgliedern, zwischen denen enge persönliche oder berufliche Beziehungen bestehen. Solche Interessengemeinschaften werden darum den Gemeindebürgern eher Anlaß zu Mißtrauen geben als nach Auflösung einer Ehe etwa noch fortbestehende Bindungen unter geschiedenen Eheleuten. Einer derart begründeten Befangenheit mag im Einzelfall durch das Mitwirkungsverbot des § 18 Abs.1 Nr.1 GemO BW Rechnung getragen werden; sie rechtfertigt aber nicht eine Ausnahme vom Prinzip formaler Wahlrechtsgleichheit. | |
bb) Auch die Gefahr, daß ein Ratsmitglied um seiner persönlichen Bindungen willen im Gemeinderat gegen seine politische Überzeugung stimmen könnte, ist bei geschiedenen Ehegatten als gering zu veranschlagen. Typischerweise kommt es zur Scheidung einer Ehe gerade darum, weil derartige persönliche Bindungen nicht mehr bestehen. Sollten im Einzelfall "menschliche Beziehungen mit negativen Vorzeichen" fortbestehen (vgl Masson/Samper, aaO, § 31, Rn.7), so ist gleichwohl die Vorstellung eher fernliegend, ein geschiedener Ehegatte werde entgegen seiner Überzeugung Entschließungen, die der andere Ehegatte befürwortet, aus Abneigung diesem gegenüber im Rat ablehnen. Eine solche Ausnahmelage, in der das Gemeinderatsmitglied in besonderer Weise seine ihm gemäß § 32 Abs.3 GemO BW auferlegte Bindung an das öffentliche Wohl verletzen würde, kann nicht Anlaß sein, einen zwingenden Grund zur Durchbrechung der Wahlrechtsgleichheit anzunehmen. | |
cc) Eine überkommene, im Bewußtsein der Bevölkerung lebendige Rechtsanschauung, die geeignet sein könnte, eine abweichende Beurteilung zu rechtfertigen, besteht hinsichtlich geschiedener Eheleute auch in Baden-Württemberg nicht. Eine derartige Tradition ist nur für das Verbot gleichzeitiger Ratsmitgliedschaft eng verwandter Personen und wohl auch der Ehegatten während bestehender Ehe festzustellen. | |
Bereits § 6 Abs.3 und 4 des Württembergischen Verwaltungsedikts für die Gemeinden, Oberämter und Stiftungen vom 1.März 1822 sowie § 13 Nr.4 Satz 1 und 2 des (badischen) Gesetzes über die Verfassung und Verwaltung der Gemeinden vom 31. Dezember 1831 hatten die gleichzeitige Mitgliedschaft naher Verwandter im Gemeinderat untersagt (vgl Engeli/Haus, Quellen zum modernen Gemeindeverfassungsrecht in Deutschland, 1975, S.164 <165>; S. 208 [210 | |
Für geschiedene Ehegatten ist eine vergleichbare Rechtstradition auch in Baden-Württemberg nicht erkennbar. Vor der Gemeindeordnung vom 25.Juli 1955 hat im badischen und württembergischen Kommunalrecht ein Verbot gleichzeitiger Ratsmitgliedschaft geschiedener Ehegatten nie bestanden. Noch bei der Schaffung des "Gesetzes zur vorläufigen Angleichung des Kommunalrechts" im Jahr 1953 hatte die Verfassunggebende Landesversammlung einer derartigen, im Gesetzesentwurf vorgesehenen Erstreckung des Verbots (s die Beilage Nr.852 vom 13.Juni 1953 zu den Sitzungsprotokollen der Verfassunggebenden Landesversammlung) wegen verfassungsrechtlicher Bedenken mit Blick auf Art.3 Abs.1 GG ausdrücklich eine Absage erteilt (vgl Bd.III der Protokolle der Verhandlungen der Verfassunggebenden Landesversammlung von Baden-Württemberg, 47.Sitzung vom 7.Juli 1953, S.2152 f). | |
Schließlich hat sich der Gesetzgeber auch bei der Einbeziehung der geschiedenen Ehegatten in das Verbot im Jahr 1955 nicht etwa von in der Öffentlichkeit erhobenen rechtspolitischen Forderungen, sondern allein von rechtssystematischen Erwägungen leiten lassen. | |
Da schon nach damals geltendem Recht (Art.10 Abs.1 Nr.3 des Gesetzes zur vorläufigen Angleichung des Kommunalrechts) Verschwägerte kraft entsprechender Anwendung des § 1590 Abs.2 BGB ungeachtet der Auflösung der die Schwägerschaft vermittelnden Ehe weiterhin als befangen im Sinn von § 18 Abs.1 GemO BW galten, erschien es dem Gesetzgeber aus Gründen der Folgerichtigkeit geboten, daß für geschiedene Ehegatten als die "unmittelbar Beteiligten" nichts anderes gelten konnte (vgl dazu LTDrucks. Baden-Württemberg, Beilage 1060 vom 4.Dezember 1954, S.1373). Diese auf das konkrete Mitwirkungsverbot des § 18 Abs.1 Nr.1 GemO BW zugeschnittene Erweiterung wurde dann ohne nähere Diskussion auf das generelle Verbot gleichzeitiger Ratsmitgliedschaft übertragen (vgl LTDrucks Beilage 1060 vom 4.Dezember 1954, S.1376, sowie die Verhandlungen des Landtags von Baden-Württemberg 1/3203 ff <3212 f>)." | |
Auszug aus BVerfG B, 16.01.96, - 2_BvL_4/95 -, www.dfr, Abs.15 ff | |
§§§ | |
96.002 | Parabolantenne IV |
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LB 1) Die Verfassungsbeschwerde als außerordentlicher Rechtsbehelf hemmt die Rechtskraft des angegriffenen Räumungsurteil für eine Parabolantenne nicht. | |
LB 2) Wer nach Vollstreckung eines rechtskräftig, mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteils auf Entfernung einer eigenmächtig installierten Parabolantenne den ursprünglichen Zustand postwendend wiederherstellt, ist von fristloser Kündigung des Mietverhältnisses gemäß § 554a BGB bedroht. | |
LB 3) Die Frage, ob und gegebenenfalls wie das Landgericht bei seiner Entscheidung über die fristlose Kündigung nach § 554a BGB in Rechnung stellen mußte, daß das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts im Erstverfahren über die Anbringung der Parabolantenne inzwischen wegen eines Verstoßes gegen Art.5 Abs.1 Satz 1 Halbsatz 2 GG aufgehoben worden war, bedarf hier keiner Entscheidung. | |
LB 4) Selbst wenn dieser Umstand bei der von § 554a BGB verlangten Interessenabwägung hätte berücksichtigt werden müssen, wäre im vorliegenden Fall kein anderes Entscheidungsergebnis zu erwarten. Das ergibt sich aus dem aus dem Gewicht, das das Landgericht dem Verhalten der Beschwerdeführer nach Erlaß des rechtskräftigen Urteils im Erstverfahren im Rahmen des § 554 a BGB beigemessen hat. Die Auffassung des Gerichts, die Beschwerdeführer hätten das Urteil des Amtsgerichts befolgen müssen, solange es rechtskräftig war, begegnet keinen Bedenken. | |
§§§ | |
96.003 | Auslandszuschlag |
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Zur Vereinbarkeit der Regelung über die Gewährung eines erhöhten Auslandszuschlags an Soldaten in integrierten militärischen Stäben mit Art.3 Abs.1 GG (§ 55 Abs.5 Satz 6 BBesG). | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
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T-96-02 | Gleichheitssatz |
" Die Vorlagen sind zulässig (I.), die Vorlagefrage bedarf jedoch der Präzisierung (II.). I. | |
1. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts genügen den Begründungsanforderungen (§ 80 Abs.2 Satz 1 BVerfGG). Insbesondere wird in den Vorlagebeschlüssen ausreichend dargetan, daß es für die Entscheidung der Ausgangsverfahren auf die Verfassungsmäßigkeit des § 55 Abs.5 Satz 6 BBesG ankommt und das Gericht - je nach der Beantwortung der Vorlagefrage - entweder die Verpflichtungsklagen abweisen oder die Ausgangsverfahren bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber weiter aussetzen müßte. Auch die Aussetzung der Verfahren wäre eine andere Entscheidung als die im Falle der Gültigkeit des Gesetzes gebotene (stRspr seit BVerfGE_17,210 <215 f>, vgl nur BVerfGE_71,39 <49 f>). | |
2. Der Einwand der Bundesregierung, Beamte seien berufsspezifischen Belastungen infolge mehrfacher Auslandsverwendungen, die ihre Vergleichbarkeit mit den Angehörigen des Auswärtigen Dienstes und damit nach der Gesetzesbegründung ihre Einbeziehung in den Kreis der Begünstigten rechtfertigen könnten, nicht ausgesetzt und könnten deshalb selbst bei einer - gemessen an der Gesetzesbegründung - "zu Unrecht" erfolgten Begünstigung der Soldaten keinesfalls in den Genuß des erhöhten Auslandszuschlags kommen, steht der Annahme der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht entgegen. Insoweit erweist sich die Auffassung des vorlegenden Gerichts von der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagen nicht als offensichtlich unhaltbar (zum Maßstab vgl BVerfGE_7,171 <175>; BVerfGE_88,187 <194>). | |
Beanstandet der Kläger des Ausgangsverfahrens die Vorenthaltung einer gesetzlichen Begünstigung als gleichheitswidrig, genügt es für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage, daß ihm die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Bestimmung die Chance offenhält, eine für ihn günstigere Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen (vgl BVerfGE_74,182 <195 f>; stRspr). Daß eine solche Chance besteht, zeigen Vorüberlegungen des Bundesministeriums des Innern zu einer Neufassung des § 55 Abs.5 Satz 6 BBesG: Danach soll der erhöhte Auslandszuschlag zwar erst nach insgesamt fünfjähriger Auslandsverwendung in integrierten Stäben oder bei Beratergruppen gewährt werden; allerdings ist nunmehr auch die Einbeziehung der von den Klägern repräsentierten Gruppe in den Anwendungsbereich der Vorschrift beabsichtigt (vgl den von der Bundesregierung vorgelegten Vermerk vom 25.November 1993 über eine Besprechung im Bundesministerium des Innern am 15.November 1993 zu Fragen der Auslandsbesoldung). Darüber hinaus wäre es dem Gesetzgeber im Rahmen seiner - vom Bundesverfassungsgericht zu respektierenden - Gestaltungsfreiheit unbenommen, an der Regelung des erhöhten Auslandszuschlags grundsätzlich festzuhalten, jedoch die Kriterien für die Leistungsberechtigung zu ändern (zu den grundsätzlichen Möglichkeiten der Heilung eines Gleichheitsverstoßes BVerfGE_22,349 <361 f>). | |
Mithin kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, daß die Entscheidung des Gesetzgebers - zumindest in einem gewissen Umfang - zu einer auch die Kläger der Ausgangsverfahren begünstigenden Regelung führt. Dies gilt um so mehr, als im Bereich des Richter- und Beamtenbesoldungsrechts wegen der unmittelbaren Auswirkungen einer differenzierenden Neuregelung hinsichtlich einer Gruppe von Beamten oder Richtern auf die Stellung vergleichbarer Bediensteter an die Zulässigkeit der Rüge einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung weniger strenge Maßstäbe anzulegen sind (vgl BVerfGE_26,116 <134 f>; BVerfGE_49,1 <9>). Die Wechselbezüglichkeiten besoldungsrechtlicher Regelungen sind um so eher zu berücksichtigen, je enger die Vergleichsgruppen durch gemeinsame Merkmale miteinander verknüpft sind. Angesichts der gemeinsamen Zugehörigkeit der beiden Vergleichsgruppen zu dem relativ kleinen Kreis der in integrierten militärischen Stäben im Ausland verwendeten Beschäftigten des öffentlichen Dienstes liegt es auf der Hand, daß die zur Prüfung gestellte Regelung die von den Klägern repräsentierte Gruppe "betrifft" und sich deren Interesse nicht in der Beseitigung einer Drittbegünstigung erschöpft. II. | |
In den Fällen des gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses, wie er hier geltend gemacht wird, verstößt für sich genommen weder die Begünstigung der einen Gruppe, der in integrierten militärischen Stäben tätigen Soldaten, noch das Unterlassen der Begünstigung der anderen Gruppe, der in solchen Stäben tätigen Beamten, gegen den Gleichheitssatz. Die mögliche Verfassungswidrigkeit liegt vielmehr ausschließlich in der Unterschiedlichkeit der Regelung als solcher, mithin in der Berücksichtigung der einen und der Nichtberücksichtigung der anderen Gruppe in der Gesetzesnorm, begründet (grundlegend Maurer, Zur Verfassungswidrigerklärung von Gesetzen, in: Im Dienst an Recht und Staat, Festschrift für Werner Weber zum 70.Geburtstag, Berlin 1974, S.345 ff <354>). Zu prüfen ist deshalb, ob § 55 Abs.5 Satz 6 BBesG idF von Art.2 Nr.4 b) BGAD mit Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes vereinbar ist, soweit danach Soldaten, die im Ausland unter Fortzahlung ihrer Dienstbezüge in integrierten militärischen Stäben verwendet werden, ein erhöhter Auslandszuschlag gewährt, Beamten in gleicher Verwendung diese Leistung aber vorenthalten wird. C. | |
Die zur Prüfung gestellte Regelung verstößt gegen Art.3 Abs.1 GG. I. | |
1. Nach Art.3 Abs.1 GG ist der Gesetzgeber gehalten, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Es verbleibt ihm freilich - zumal bei Regelungen des Besoldungs- und Versorgungsrechts - ein weiter Gestaltungsspielraum (vgl BVerfGE_71,39 <52 f>; BVerfGE_76,256 <330>; stRspr). | |
Der Gesetzgeber hat die Grenzen der ihm zustehenden weiten Gestaltungsfreiheit - mit der Folge einer Verletzung des Art.3 Abs.1 GG - allerdings überschritten, wenn die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, das heißt, wenn die gesetzliche Differenzierung sich - sachbereichsbezogen - nicht auf einen vernünftigen oder sonst einleuchtenden Grund zurückführen läßt (vgl BVerfGE_71,39 <58>; BVerfGE_75,108 <157>; BVerfGE_76,256 <329>; stRspr). Ein solcher Fall liegt auch vor, wenn eine Gruppe von Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfGE_71,39 <58 f> mwN; BVerfGE_82,126 <146>; BVerfGE_88,87 <97>; BVerfGE_90,46 <56>). | |
2. Mißt man die vom vorlegenden Gericht beanstandete Regelung an diesem Maßstab, so ergibt sich, daß sie gegen Art.3 Abs.1 GG verstößt. | |
Mit Recht vergleichen die Vorlagebeschlüsse die Gruppe der in integrierten militärischen Stäben im Ausland tätigen Beamten, die vom Bezug des erhöhten Auslandszuschlags ausgeschlossen ist, mit der Gruppe der in den gleichen Einrichtungen verwendeten Soldaten, die in den Genuß dieser Leistung kommen. Die in der Vorenthaltung des Anspruchs auf erhöhten Auslandszuschlag gemäß § 55 Abs.5 Satz 6 BBesG liegende Ungleichbehandlung der von den Klägern repräsentierten Gruppe entbehrt - bezogen auf den Sachbereich Besoldungsregelung - eines hinreichenden sachlichen Grundes. Zwischen den - in integrierten militärischen Stäben im Ausland tätigen - Soldaten und Beamten bestehen keine Verschiedenheiten von solcher Beschaffenheit und solchem Gewicht, daß es mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, an sie die genannten verschiedenartigen Rechtsfolgen zu knüpfen. | |
a) Konkrete Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber bei der Einführung der zur Prüfung gestellten Regelung von einem für die Gewährung des erhöhten Auslandszuschlags bedeutsamen Unterschied zwischen den beiden Gruppen ausging, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil deuten die amtliche Begründung des Regierungsentwurfs wie auch die Begründungen vorangegangener Entwürfe darauf hin, daß den gesetzgeberischen Überlegungen die Annahme zugrundelag, Soldaten und Beamte seien bei mehrfacher Auslandsverwendung im wesentlichen den gleichen berufstypischen Sonderbelastungen ausgesetzt, beide Gruppen hätten deshalb gleichermaßen in den Genuß des erhöhten Auslandszuschlags zu kommen. | |
Allerdings wurden die "Beamten in integrierten militärischen Stäben" im Text des Entwurfs der Bundesregierung vom 5. Januar 1990 nicht mehr erwähnt, sie waren jedoch in der Formulierung "Beamte an zwischenstaatlichen und überstaatlichen Einrichtungen" mitenthalten. Infolge dieser Unstimmigkeit zwischen Entwurfstext und Entwurfsbegründung wurde die Zuordnung der von den Klägern repräsentierten Gruppe zu den "Beamten in zwischenstaatlichen und überstaatlichen Einrichtungen" nicht deutlich. Deshalb spricht vieles dafür, daß die gesetzgebenden Organe bei der auf Vorschlag des Bundesrates vorgenommenen Streichung der Worte "in zwischenstaatlichen und überstaatlichen Einrichtungen" sich nicht bewußt waren, damit zugleich die "Beamten in integrierten Stäben" vom Anwendungsbereich der Norm auszunehmen, deren Begünstigung ausweislich der amtlichen Begründung für geboten erachtet wurde. Für diese Würdigung spricht auch die nachträgliche Bewertung durch das Bundesministerium des Innern, wie sie sich aus dem von der Bundesregierung vorgelegten Vermerk über die Ressortbesprechung im Bundesinnenministerium am 15.November 1993 ergibt (vgl auch Schwegmann/Summer, Bundesbesoldungsgesetz, Kommentar, Bd.2, § 55 BBesG Rn.5 Fn.16a). | |
Ob das Zustandekommen der zur Prüfung gestellten Norm tatsächlich auf einem Versehen beruhte, bedarf indes keiner Entscheidung. Jedenfalls kann den über die parlamentarischen Verhandlungen vorliegenden Unterlagen nichts entnommen werden, was das "Herausfallen" der Gruppe der Beamten in integrierten militärischen Stäben aus dem Kreis der Begünstigten im Verlaufe der Gesetzgebungsarbeiten als Ergebnis einer bewußten Differenzierung im Verhältnis zur Gruppe der Soldaten erscheinen ließe. Die Annahme der Bundesregierung, im Gesetzgebungsverfahren sei die Vergleichbarkeit der berufsspezifischen Belastungen der in integrierten militärischen Stäben verwendeten Soldaten und Beamten geprüft worden, wird durch die vorliegenden Materialien nicht bestätigt. | |
Im Zusammenhang mit dem auf den Bundesrat zurückgehenden Vorschlag, in § 55 Abs.5 Satz 6 (damals noch Satz 4) BBesG die Worte "in zwischenstaatlichen und überstaatlichen Einrichtungen" zu streichen, wurde weder in den damit befaßten Ausschüssen noch in den Plenarsitzungen des Bundestages und des Bundesrates gerade auf die Lage der Soldaten und Beamten in integrierten militärischen Stäben eingegangen; insbesondere wurden dort keine Gründe für deren unterschiedliche Behandlung erörtert, obwohl dies im Blick auf die ausdrückliche Gleichstellung beider Gruppen in der Begründung des Regierungsentwurfs angezeigt gewesen wäre (vgl Bundesrat: Niederschrift über die 215.Sitzung des Unterausschusses "Besoldungsrecht" des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates am 25.Januar 1990, S.69; Protokoll der 592. Sitzung des Finanzausschusses des Bundesrates am 1.Februar 1990, S.45 - 48; Niederschrift über die 607.Sitzung des Ausschusses für Innere Angelegenheiten am 30. und 31.Januar 1990, S.118; Plenarprotokolle der 609. Sitzung des Bundesrates vom 16. Februar 1990, S.35 f | |
b) Lassen sich den Motiven des Gesetzgebers zureichende Gründe für die ungleiche Behandlung beider Gruppen nicht entnehmen, so könnten doch andere Erwägungen geeignet sein, die beanstandete Regelung zu rechtfertigen. Nicht eine subjektive Willkür des Gesetzgebers führt zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Norm, sondern nur deren objektive, das heißt tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation, die sie regeln soll (stRspr, vgl zuletzt BVerfGE_80,48 <51>; BVerfGE_86,59 <63>). So liegt es hier. | |
aa) Grund für die Gewährung des erhöhten Auslandszuschlags sollte die "Vergleichbarkeit der berufsspezifischen Belastungen durch wiederkehrende Auslandsverwendungen" mit den Belastungen sein, denen die Beamten des Auswärtigen Dienstes aufgrund des dort geübten "Rotationsprinzips" ausgesetzt sind (vgl die amtliche Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks 11/6543, S.9). Mit Blick darauf lassen sich nach den von der Bundesregierung dem Bundesverfassungsgericht vorgelegten tabellarischen Übersichten über Häufigkeit und Dauer der Auslandsverwendungen zwar gewisse tatsächliche Unterschiede zwischen der Gruppe der in integrierten militärischen Stäben verwendeten Soldaten und der dort beschäftigten Beamten feststellen: | |
"Die durchschnittliche Gesamtdauer der Auslandsaufenthalte liegt bei Beamten tendenziell höher als bei Soldaten. Hinsichtlich der Häufigkeit der Auslandsverwendungen ergibt sich: Während aus der Gruppe der Beamten, bezogen auf den Zeitraum von 1974 bis 1994, keiner mehrfach im Ausland verwendet wurde, kam es bei der Gruppe der Soldaten, bezogen auf den Zeitraum von 1978 bis 1994, in knapp 30 vH der Fälle zu mehr als einer Auslandsverwendung, ganz selten aber zu mehr als zwei Verwendungen im Ausland. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Soldaten, nämlich in über zwei Dritteln der Fälle, traten besondere Belastungen infolge mehrfacher Auslandsverwendungen allerdings ebensowenig auf wie bei den Beamten." | |
Das Kriterium der Dauer der Auslandsverwendung spricht mithin nicht für die Zulässigkeit einer "Bevorzugung" der Soldaten. Dagegen können unterschiedliche Belastungen infolge unterschiedlicher Häufigkeit von Auslandsverwendungen es ihrer Art nach an sich rechtfertigen, daß der Gesetzgeber den erhöhten Auslandszuschlag der einen Gruppe gewährt und der anderen vorenthält. Es reicht aber zur Begründung einer unterschiedlichen Behandlung von Personengruppen nicht aus, daß der Gesetzgeber ein seiner Art nach geeignetes Unterscheidungsmerkmal berücksichtigt hat. Vielmehr muß auch für das Maß der Differenzierung ein innerer Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung bestehen, der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht anführen läßt (vgl BVerfGE_71,39 <58 f> mwN; BVerfGE_81,208 <224>; BVerfGE_82,126 <146, 148>; BVerfGE_88,87 <97>). | |
Angesichts der festgestellten, allenfalls geringfügigen Belastungsunterschiede wird die zu prüfende Regelung diesen Anforderungen des Gleichheitssatzes nicht gerecht. Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich eine gruppenspezifische Sonderbelastung der Soldaten in integrierten militärischen Stäben aufgrund mehrfacher Auslandsverwendungen nicht. Derartigen Belastungen durch eine mehr als einmalige, auch in diesen Fällen die Dauer von fünf Jahren in aller Regel nicht erreichende Verwendung im Ausland ist nur ein Teil der Normbetroffenen ausgesetzt, nämlich weniger als 30 vH der im Ausland verwendeten Soldaten. Für die überwiegende Mehrzahl der betroffenen Soldaten läßt sich insoweit ein Unterschied zu der von den Klägern repräsentierten Gruppe nicht feststellen. Deshalb ist der Hinweis auf besondere Belastungen durch mehrfache Auslandsverwendungen nicht geeignet, die Gewährung des erhöhten Auslandszuschlags an die gesamte Gruppe der Soldaten in integrierten militärischen Stäben und damit die pauschale Ungleichbehandlung der dort Verwendung findenden Beamten und Soldaten zu rechtfertigen. Das gilt auch bei Berücksichtigung der dem Gesetzgeber zukommenden Befugnis zur Typisierung (vgl BVerfGE_11,245 <254>; BVerfGE_71,146 <157>; BVerfGE_77,275 <285>; BVerfGE_78,214 <226 f> mwN). | |
bb) Auch andere Gesichtspunkte können diese Ungleichbehandlung nicht begründen: | |
Wie sich aus der von der Bundesregierung vorgelegten Aufstellung ergibt, stehen den 627 im Zeitraum von 1978 bis 1994 in integrierten militärischen Stäben verwendeten Soldaten lediglich 17 im Zeitraum von 1974 bis 1994 dort verwendete Beamte gegenüber. Eine dem Gesetzgeber grundsätzlich erlaubte generalisierende Regelung rechtfertigt indessen eine durch sie entstehende Ungereimtheit allenfalls dann, wenn sie nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wäre (vgl BVerfGE_45,376 <390>; BVerfGE_63,119 <128>; BVerfGE_84,348 <360>; BVerfGE_87,234 <255 f>). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Gesetzestechnisch wäre es ohne weiteres möglich, die Gruppe der Beamten in den begünstigten Personenkreis einzubeziehen. Angesichts der im Verhältnis zu den Soldaten sehr geringen Anzahl der in integrierten militärischen Stäben verwendeten Beamten läßt sich auch nicht erkennen, daß die Erstreckung des erhöhten Auslandszuschlags auf diese mit einem besonderen Verwaltungsaufwand verbunden wäre. | |
Schließlich sind auch finanzielle Überlegungen nicht geeignet, die Ungleichbehandlung als hinnehmbar erscheinen zu BVerfGE_37,217 <261>; BVerfGE_55,100 <110>; BVerfGE_61,319 <356>; BVerfGE_73,40 <101 f>; BVerfGE_82,126 <155>). Besonderheiten, die es ausnahmsweise aus verfassungsrechtlichen Gründen notwendig machen, die verfassungswidrige Vorschrift zugunsten der Soldaten in integrierten militärischen Stäben als Regelung für die Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung fortbestehen zu lassen (vgl hierzu BVerfGE_61,319 <356 f> mit Hinweis auf BVerfGE_37,217 <261>; BVerfGE_73,40 <101 f>; BVerfGE_82,126 <155>), sind angesichts des Betrages des erhöhten Auslandszuschlags von etwa 3 vH der Auslandsdienstbezüge nicht ersichtlich. | |
Bis der Gesetzgeber eine den Anforderungen der Verfassung entsprechende Regelung getroffen hat, wird das Verwaltungsgericht die Verfahren weiter aussetzen müssen." | |
Auszug aus BVerfG B, 31.01.96, - 2_BvL_39/93 -, www.dfr, Abs.29 ff | |
§§§ | |
96.004 | ICD 10 |
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LF: Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die gesetzliche Verschlüsselungspflicht sämtlicher für die Abrechnung erforderlicher Angaben nach den "ICD 10" sind angesichts der den Datenzugriff zweckbezogen und bereichsspezifisch regelnden und Vorsorge gegen zweckwidrige Verwendung treffenden Nutzungs- und Weitergaberegelungen der §§ 284, 285, 295 bis 298 SGB-V nicht ohne weiteres erkennbar. | |
§§§ | |
96.005 | Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) |
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Zur verfassungsgerichtlichen Prüfung der Deutung einer Äußerung durch die Fachgerichte. | |
LB 2) Der Schutzumfang des Art.5 Abs.1 S.1 GG bezieht sich auf Werturteile, erfaßt Tatsachenbehauptungen aber jedenfalls dann, wenn diese im konkreten Fall Voraussetzung der Meinungsbildung sind. | |
LB 3) Die durch Art.5 Abs.1 S.1 GG in bezug auf die Prüfungskompetenz des BVerfG bei fachgerichtlichen Deutungen gestellte Anforderungen beschränken sich auf eine Kontrolle der Einhaltung verfassungsrechtlicher Bestimmungen. Es ist nicht Aufgabe des BVerfG, eine umstrittene Interpretation - hier zu der Frage, ob eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung vorliegt - selbst abschließend festzulegen oder eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende fachgerichtliche Auslegung durch eine eigene zu ersetzen. | |
LB 4) Das OLG hat die Ernsthaftigkeit des Anliegens des Beschwerdeführers und seine Berechtigung, die Aktivitäten der DGHS argumentativ zu bekämpfen, nicht in Zweifel gezogen, sondern nur die Aufrechterhaltung der herabsetzenden, aber nicht erweislich wahren Passage für die Zukunft gemäß § 823 Abs.1, § 1004 BGB und § 186 StGB untersagt, weil dem Beschwerdeführer der Wahrheitsbeweis nicht gelungen ist, | |
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T-96-03 | Deutung einer Äußerung |
"Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Das angegriffene Urteil verstößt nicht gegen Art.5 Abs.1 GG. | |
1. Die Äußerung, die der Beschwerdeführer nach dem Urteil nicht wiederholen darf, wird allerdings vom Schutz dieses Grundrechts umfaßt. Das gilt unabhängig von der im Ausgangsverfahren unterschiedlich beurteilten Frage, ob es sich um ein Werturteil oder eine Tatsachenbehauptung handelt. Denn der Schutz des Grundrechts beschränkt sich nicht auf Werturteile. Tatsachenbehauptungen werden jedenfalls dann vom Grundrechtsschutz umfaßt, wenn sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind (vgl BVerfGE_61,1 <8>). Das ist bei der vorliegenden Äußerung, die zur Meinungsbildung über die DGHS und das Problem der Sterbehilfe beitragen will, der Fall. | |
2. Die Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Gemäß Art.5 Abs.2 GG findet sie ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen, den Bestimmungen zum Schutz der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Dazu gehören auch die Vorschriften von § 823 Abs.2 BGB, § 1004 BGB und § 186 StGB, auf die das Oberlandesgericht sein Urteil gestützt hat. Diese müssen jedoch ihrerseits wieder im Licht des eingeschränkten Grundrechts ausgelegt und angewandt werden, damit der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts auch auf der Rechtsanwendungsebene Rechnung getragen wird (vgl BVerfGE_7,198 <205 ff>; stRspr). Das erfordert eine Abwägung zwischen der in dem Verbot liegenden Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit auf der einen und der Gefährdung des von § 823 Abs.2 BGB und § 186 StGB geschützten Rechtsguts durch die Äußerung auf der anderen Seite. Sie ist im Rahmen der Tatbestandsmerkmale der anzuwendenden Gesetze und unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles vorzunehmen. | |
Das Ergebnis der Abwägung ist wegen ihres Fallbezugs verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Doch hat das Bundesverfassungsgericht eine Reihe von Kriterien entwickelt, die bei der Abwägung maßgeblich sind. Dabei spielt auch der Unterschied zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen eine Rolle. Insbesondere fällt bei Tatsachenbehauptungen ihr Wahrheitsgehalt ins Gewicht, der für reine Werturteile irrelevant ist. An der Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen, die unwahr sind, besteht unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Interesse (vgl BVerfGE_61,1 <8>). | |
Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert (vgl BVerfGE_90,241 <247>). Gerade unabhängig von den subjektiven Auffassungen des sich Äußernden soll etwas als objektiv gegeben hingestellt werden. Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (vgl. BVerfGE 90, 241 [247 | |
Die Einstufung einer Äußerung als Werturteil oder Tatsachenbehauptung durch die Fachgerichte wird wegen ihrer Bedeutung für den Schutzumfang des Grundrechts sowie für die Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern vom Bundesverfassungsgericht nachgeprüft (vgl BVerfGE_82,272 <281>). | |
Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist allerdings, daß ihr Sinn vom Gericht zutreffend erfaßt worden ist. Fehlt es bei der Verurteilung wegen eines Äußerungsdelikts daran, so kann das im Ergebnis zur Unterdrückung einer zulässigen Äußerung führen, also gerade zu derjenigen Folge, die Art.5 Abs.1 GG zu verhindern bestimmt ist. Überdies droht sich eine solche Verurteilung nachteilig auf die Ausübung der grundrechtlich gesicherten Freiheit im allgemeinen auszuwirken, weil die Bereitschaft sich zu äußern abnimmt, wenn Äußerungswillige selbst wegen fernliegender oder unhaltbarer Deutungen ihrer Äußerungen Sanktionen riskieren (vgl BVerfGE_43,130 <136>). | |
Aus diesem Grund stellt Art.5 Abs.1 Satz 1 GG, dessen Schutzgut die Äußerungsfreiheit ist, nicht nur Anforderungen an die Auslegung und Anwendung grundrechtsbeschränkender Gesetze, sondern auch an die Deutung der in ihrem Wortlaut feststehenden oder vom Gericht festgestellten Äußerungen. Insbesondere dürfen die Gerichte der Äußerung keinen Sinn beilegen, den sie nach ihrem Wortlaut objektiv nicht haben kann. Bei Äußerungen, die mehrere Deutungen zulassen, dürfen sie sich nicht für den zur Verurteilung führenden Sinn entscheiden, ohne zuvor die Alternativen mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen zu haben (vgl BVerfGE 85,_1 <13 f>). Dabei darf eine Äußerung nicht aus ihrem auch für die Rezipienten wahrnehmbaren Zusammenhang gerissen werden, sofern dieser ihren Sinn mitbestimmt. | |
Auch diese aus Art.5 Abs.1 Satz 1 GG folgenden Anforderungen an die Deutung von Äußerungen unterliegen wegen ihres den Grundrechtsschutz und die Abwägung bestimmenden Gewichts der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht (vgl BVerfGE_43,130 <136 f>; BVerfGE_54,129 <136 f>; BVerfGE_61,1 <6, 9 f>; BVerfGE_82,43 <50>; BVerfGE_82,272 <280>; BVerfGE_85,1 <13 f>). Es hat dabei allerdings nur die Beachtung der verfassungsrechtlichen Anforderungen zu gewährleisten. Dagegen ist es nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, den jeweiligen Rechtsstreit, der trotz des grundrechtlichen Einflusses seine Eigenart als Zivil- oder Strafverfahren nicht verliert, selbst zu entscheiden. Deswegen reicht die Kontrollbefugnis nicht weiter als die Anforderungen, die das Grundrecht an die Deutung von Äußerungen stellt. Es ist nicht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, den Sinn einer umstrittenen Äußerung abschließend zu bestimmen oder eine unter Beachtung der grundrechtlichen Anforderungen erfolgte Deutung durch eine andere zu ersetzen, die es für treffender hält. | |
3. Das angegriffene Urteil wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht. | |
a) Im Unterschied zum Landgericht, das die umstrittene Äußerung als Werturteil eingestuft hat, ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, daß es sich um eine Tatsachenbehauptung handele. Die jeweilige Qualifizierung beruht auf einem unterschiedlichen Verständnis des Textes. Während das Landgericht in dem Fälschungsvorwurf eine Bewertung der in den folgenden Sätzen benannten Tatsachen gesehen hat, entnimmt das Oberlandesgericht dem textlichen Zusammenhang, daß der umstrittene Satz selber zusammenfassender Ausdruck eines Tatsachenkomplexes sei. Die Differenz wurzelt also letztlich in einer unterschiedlichen Sicht des Verhältnisses zwischen dem umstrittenen dritten Satz der Textpassage, der den Fälschungsvorwurf enthält, und den anschließenden Sätzen, nach denen die lebenswillige, hoffnungsvolle Seite der Suizidenten in der Berichterstattung der DGHS nicht vorkommt. Für das Landgericht bildet der umstrittene Satz eine zwar auf die folgenden Sätze bezogene, inhaltlich aber darüber hinausgehende, neue Aussage. Dagegen sieht das Oberlandesgericht in beiden Sätzen dieselbe Aussage, die nur einmal abstrakter, einmal konkreter formuliert ist. | |
Die Deutung des Oberlandesgerichts ist verfassungsrechtlich ebensowenig zu beanstanden wie diejenige des Landgerichts. Die gegensätzlichen Ergebnisse finden ihren Grund nicht darin, daß eines der Gerichte die Anforderungen, die Art.5 Abs.1 Satz 1 GG an die Deutung von Äußerungen richtet, außer acht gelassen hat. Beide Gerichte haben die umstrittene Äußerung unter Einbeziehung des Kontextes ausgelegt und ihr keinen Sinn zugeschrieben, den sie ihrem Wortlaut nach objektiv nicht haben kann. Beide Gerichte haben sich auch im Bewußtsein der Mehrdeutigkeit des Textes mit den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten auseinandergesetzt und für ihre jeweilige Entscheidung nachvollziehbare Gründe angegeben. | |
b) Auf der Grundlage der Deutung, die dem angegriffenen Urteil zugrunde liegt, hält auch die Qualifizierung der Äußerung als Tatsachenbehauptung der verfassungsrechtlichen Nachprüfung stand. Hat der umstrittene Satz, wie vom Oberlandesgericht vertretbar angenommen worden ist, im textlichen Zusammenhang nur die Funktion, die an anderer Stelle mitgeteilten Tatsachenbehauptungen zusammenfassend auszudrücken, so begegnet es keinen Bedenken, daß ihm selber ebenfalls überwiegend tatsächlicher Charakter zugeschrieben wird. | |
c) Ferner läßt es sich verfassungsrechtlich nicht beanstanden, daß das Oberlandesgericht die der Äußerung entnommene Tatsachenbehauptung für nicht erweislich wahr gehalten hat. Weder die Annahme des Oberlandesgerichts, daß Anzeichen von Lebenswillen, die von dem Zeitpunkt des Selbstmordes relativ entfernt seien, die Behauptung des Beschwerdeführers nicht hinreichend zu stützen vermöchten, noch die Begründung, daß Beweisangebote, die sich nur auf einen Fall von Sterbehilfe durch die DGHS bezögen, nicht den pauschalen Fälschungsvorwurf zu begründen vermöchten, ist verfassungsrechtlich zu beanstanden. | |
d) Unter diesen Umständen hält auch die vom Oberlandesgericht vorgenommene Abwägung den verfassungsrechtlichen Anforderungen stand. Es hat die Ernsthaftigkeit des Anliegens des Beschwerdeführers und seine Berechtigung, die Aktivitäten der DGHS argumentativ zu bekämpfen, nicht in Zweifel gezogen, sondern nur die Aufrechterhaltung der herabsetzenden, aber nicht erweislich wahren Passage für die Zukunft untersagt, weil dem Beschwerdeführer der Wahrheitsbeweis nicht gelungen ist. | |
e) Schließlich läßt sich auch der Umfang der Untersagung nicht beanstanden. Das Oberlandesgericht hat zwar die dem Fälschungsvorwurf vorangehenden Sätze in das Verbot einbezogen, obwohl diese für sich genommen keinen Grund zur Untersagung gaben. Es hat aber in den Entscheidungsgründen, die zur Auslegung des Tenors herangezogen werden müssen, keine Zweifel daran gelassen, daß der Beschwerdeführer diese Äußerungen weiterhin verbreiten darf, wenn sie nicht zusammen mit dem Fälschungsvorwurf vorgebracht werden." | |
Auszug aus BVerfG B, 13.02.96, - 1_BvR_262/91 -, www.dfr, Abs.24 | |
§§§ | |
96.006 | Wortprotokoll |
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LB: Die Verfassung gebietet nicht zwingend über mündliche Prüfungen ein Wortprotokoll zu führen. | |
§§§ | |
96.007 | Kindererziehungszeiten |
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Zur Auswirkung des Gleichheitssatzes (Art.3 Abs.1 GG) auf die Bewertung von Kindererziehungszeiten beim Zusammentreffen mit beitragsbelegten Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. | |
LB 2) Die Vorschrift des § 32a Abs.5 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes in der Fassung des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes, auf der die angegriffenen Entscheidungen beruhen, ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. | |
LB 3) Der mit den Verfassungsbeschwerden ebenfalls angegriffenen Vorschrift des § 32a Abs.1 Satz 1 Nr.3 AVG kommt daneben keine selbständige rechtliche Bedeutung zu. | |
LB 4) Mit der angegriffenen Vorschrift des § 32a Abs.5 Satz 2 AVG hat der Gesetzgeber eine Regelung getroffen, die zu einer ungleichen Behandlung verschiedener Personengruppen insoweit führt, als sich Kindererziehungszeiten nicht bei allen Versicherten in gleicher Weise günstig auf die Rente auswirken. Sie benachteiligt insbesondere jene Versicherten, die auch während der ersten Lebensphase ihres Kindes die Solidargemeinschaft durch die Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen unterstützt und für ihr Alter eigenständig Vorsorge getroffen haben. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
96.008 | DDR-Enteignung |
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Der in Art.143 Abs.3 GG für bestandskräftig erklärte Restitutionsausschluß für die in den Jahren 1945 bis 1949 in der sowjetischen Besatzungszone auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage durchgeführten Enteignungen ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (Bestätigung von BVerfGE_84,90). | |
§§§ | |
96.009 | Wissenschaftliches Personal |
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1) Das Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen vom 14.Juni 1985 (BGBl.I S.1065) ist mit Art.9 Abs.3 GG vereinbar. | |
2) Bei der gesetzlichen Ordnung von Materien, die herkömmlicherweise in Tarifverträgen geregelt werden, ist Art.9 Abs.3 GG zu beachten. | |
3) Der Grundrechtsschutz des Art.9 Abs.3 GG ist nicht für alle koalitionsmäßigen Betätigungen im Bereich der Tarifautonomie gleich intensiv. | |
4) Bestehende tarifvertragliche Regelungen genießen grundsätzlich einen stärkeren Schutz als die Tarifautonomie in Bereichen, die die Koalitionen ungeregelt gelassen haben. | |
LB 5) Zur abweichenden Meinung des Richters Kühling, siehe BVerfGE_94,294 = www.dfr/BVerfGE Abs.124 ff. | |
§§§ | |
96.010 | Krankenhausdaten |
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LF1: Der Untersuchungsauftrag eines verfassungsrechtlich verankerten Kontrollorgans steht dem grundrechtlich verbürgten Datenschutz grundsätzlich gleichrangig gegenüber. In Kollisionsfällen (hier: Einsichtnahme in Krankenhausunterlagen eines in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft betriebenen Krankenhauses durch den Landesrechnungshof) ist das Verhältnis der grundrechtlich geschützten Positionen Abwägungssache, wobei der Zugriff auf grundsätzlich geheimhaltungsbedürftige Unterlagen regelmäßig nicht verwehrt werden darf, wenn ansonsten die Wirksamkeit der Kontrolle gefährdet würde und den Belangen des Geheimnisschutzes durch Schutzvorkehrungen gegen eine zweckwidrige Weitergabe der Information Rechnung getragen werden kann. | |
LF2: Der verfassungsrechtlich verankerte Kontrollauftrag des LRH und der grundrechtlich verbürgte Schutz von Patientengeheimnissen stehen sich grundsätzlich gleichrangig gegenüber. Dabei darf der Zugriff auf grundsätzlich geheimhaltungsbedürftige Unterlagen regelmäßig nicht verwehrt werden, wenn ansonsten die Wirksamkeit der Kontrolle gefährdet würde und den Belangen des Geheimnisschutzes durch Schutzvorkehrungen gegen eine zweckwidrige Weitergabe der Informationen Rechnung getragen werden kann. | |
§§§ | |
96.011 | Flughafenverfahren |
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1) Art.16a Abs.4 GG nimmt bei eindeutig aussichtslosen Asylanträgen das im Asylgrundrecht wurzelnde Recht des Asylbewerbers, bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über sein Asylbegehren in der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben, ein Stück weit zurück. | |
2) a) Das Verwaltungsgericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Einschätzung des Bundesamtes, daß der geltend gemachte Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht bestehe, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen. | |
3) a) Die Begrenzung des Aufenthalts von Asylsuchenden während des Verfahrens nach § 18a AsylVfG auf die für ihre Unterbringung vorgesehenen Räumlichkeiten im Transitbereich eines Flughafens stellt keine Freiheitsentziehung oder Freiheitsbeschränkung im Sinne von Art.2 Abs.2 Satz 2 und Art.104 Abs.1 und 2 GG dar. | |
4) a) Effektiver Rechtsschutz ( Art.19 Abs.4 GG) verlangt im Flughafenverfahren Vorkehrungen des Bundesamtes und der Grenzschutzbehörden, daß die Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes nicht durch die obwaltenden Umstände unzumutbar erschwert oder gar vereitelt wird. | |
5) a) Die nach Art.93 Abs.1 Nr.4a GG bestehende Verfassungsrechtslage ist nicht so zu verstehen, daß sie dem Beschwerdeführer unter allen Umständen die Möglichkeit gewährleistet, vor Vollzug des angegriffenen Hoheitsaktes eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, sei es im Verfassungsbeschwerde-Verfahren, sei es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 32 BVerfGG, zu erhalten. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
96.012 | Sichere Herkunftsstaaten |
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1) a) Art.16a Abs.3 in Verbindung mit Abs.4 GG enthält keine Beschränkung des persönlichen Geltungsbereichs des Grundrechts aus Art.16a Abs.1 GG und seines Schutzziels, wohl aber eine Beschränkung seines verfahrensbezogenen Gewährleistungsinhalts. | |
2) a) Für die Bestimmung eines Staates zum sicheren Herkunftsstaat muß Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen. | |
3) Für die Bestimmung eines Staates zum sicheren Herkunftsstaat hat sich der Gesetzgeber anhand von Rechtslage, Rechtsanwendung und allgemeinen politischen Verhältnissen aus einer Vielzahl von einzelnen Faktoren ein Gesamturteil über die für politische Verfolgung bedeutsamen Verhältnisse in dem jeweiligen Staat zu bilden. | |
4) a) Das Gesetz, mit dem ein Staat zum sicheren Herkunftsstaat bestimmt wird, ist ein grundrechtsausfüllendes Gesetz. Es erfordert die Beurteilung der Verhältnisse in einem anderen Staat und - dem vorausgehend - die Erhebung der für die gesetzgeberische Feststellung notwendigen tatsächlichen Grundlagen. | |
5) Inhalt der in Art.16a Abs.3 Satz 2 GG aufgestellten Vermutung ist nicht, daß einem Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat dort keine unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung droht. Zur Ausräumung der Vermutung ist nur ein Vorbringen zugelassen, das die Furcht vor politischer Verfolgung auf ein individuelles Verfolgungsschicksal des Antragstellers gründet. | |
LB 6) Die Aufnahme von Ghana in Anlage II zu § 29a AsylVfG ist mit dem Grundgesetz vereinbar. | |
Zur abweichenden Meinung der Richterin Limbach siehe BVerfGE_94,157 = www.dfr/BVerfGE, Abs.127 ff. | |
Zur abweichenden Meinung des Richters Böckenförde sie he BVerfGE_94,163 = www.dfr/BVerfGE, Abs.140 | |
Zur abweichenden Meinung des Richters Sommer siehe BVerfGE_94,164 = www.dfr/BVerfGE, Abs.141 ff. . | |
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Urteil | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
96.013 | Sichere Drittstaaten |
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1) a) Mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.Juni 1993 hat der verfassungsändernde Gesetzgeber eine Grundlage geschaffen, um eine europäische Gesamtregelung der Schutzgewährung für Flüchtlinge mit dem Ziel einer Lastenverteilung zwischen den an einem solchen System beteiligten Staaten zu erreichen. | |
2) Art.16a Abs.2 GG beschränkt den persönlichen Geltungsbereich des in Art.16a Abs.1 GG nach wie vor gewährleisteten Grundrechts auf Asyl. Wer aus einem sicheren Drittstaat im Sinne des Art.16a Abs.2 Satz 1 GG anreist, bedarf des Schutzes der grundrechtlichen Gewährleistung des Absatzes 1 in der Bundesrepublik Deutschland nicht, weil er in dem Drittstaat Schutz vor politischer Verfolgung hätte finden können. | |
3. Die jeweiligen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften sind unmittelbar kraft Verfassung sichere Drittstaaten. | |
4. a) Die für eine Bestimmung zum sicheren Drittstaat durch Gesetz (Art.16a Abs.2 Satz 2 GG) erforderliche Sicherstellung der Anwendung von Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK) setzt insbesondere voraus, daß der Staat den beiden Konventionen beigetreten ist und nach seiner Rechtsordnung einen Ausländer nicht in den angeblichen Verfolgerstaat abschieben darf, ohne vorher geprüft zu haben, ob ihm dort Verfolgung im Sinne von Art.33 GFK oder Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung im Sinne von Art.3 EMRK drohen. | |
5. a) Der Ausländer, der in den Drittstaat zurückgewiesen oder zurückverbracht werden soll, kann den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort in seinem Einzelfall - trotz normativer Vergewisserung - die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Demgemäß kommen für ihn entsprechend dem mit Art.16a Abs.2 GG verfolgten Konzept normativer Vergewisserung über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann (insbesondere §§ 51 Abs.1, 53 AuslG), nicht in Betracht. | |
6) a) Art.16a Abs.2 Satz 3 GG wendet sich nicht nur an den Gesetzgeber sondern auch unmittelbar an Behörden und Gerichte: Rechtsbehelfe gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen sollen keine aufschiebende Wirkung entfalten; Anträge an die zuständigen Gerichte mit dem Ziel, den Vollzug dieser Maßnahmen vorläufig auszusetzen, sollen ohne Erfolg bleiben. | |
LB 7) Zur abweichenden Meinung der Richterin Limbach, siehe BVerfGE_94,157 = www.dfr/BVerfGE Abs.127 ff. | |
LB 8) Zur abweichenden Meinung des Richters Böckenförde, siehe BVerfGE_94,163 = www.dfr/BVerfGE Abs.140. | |
LB 9) Zur abweichenden Meinung des Richters Sommer, siehe BVerfGE_94,164 = www.dfr/BVerfGE Abs.141 ff. | |
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Urteil | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
96.014 | Flächenerwerbsprogramm |
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Die Folgenabwägung nach § 32 Abs.1 BVerfGG führt nicht dazu, das Flächenerwerbsprogramm nach § 3 des Ausgleichsleistungsgesetzes außer Vollzug zu setzen. | |
LB 2 Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht entgegen, daß die Beschwerdeführer zunächst fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen könnten. Die unmittelbare Anrufung des Bundesverfassungsgerichts mit der Verfassungsbeschwerde ist hier jedenfalls deshalb zulässig, weil sie im Sinne des insoweit entsprechend anwendbaren § 90 Abs.2 Satz 2 BVerfGG von allgemeiner Bedeutung ist. Die Frage, ob die Eigentumslage, die durch die angegriffenen Regelungen geschaffen werden soll, Bestand hat, betrifft eine Vielzahl von Fällen und hat erheblichen Einfluß auf den Wiederaufbau der Land- und Forstwirtschaft in den neuen Bundesländern. Eine Vorabentscheidung des Bundesverfassungsgerichts schafft insoweit eine im Allgemeininteresse liegende Klarheit. | |
LB 3) Die Erträge aus der Privatisierung des von der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben gehaltenen land- und forstwirtschaftlichen Vermögens werden benötigt, um den Bundeshaushalt von Folgekosten der deutschen Wiedervereinigung zu entlasten, wie sie in den Stellungnahmen der Äußerungsberechtigten genannt sind und von den Beschwerdeführern der Höhe nach nicht in Frage gestellt werden. Durch jede Verzögerung der Privatisierung entstehen dem Bund zusätzliche Kosten. | |
§§§ | |
96.015 | Abgeordnetenprüfung |
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1) a) Der verfassungsrechtliche Status eines Abgeordneten ist auch berührt, wenn die Legitimität seines Mandats im Rahmen einer Kollegialenquete in Abrede gestellt wird. Er gestattet nur in Ausnahmefällen die Einführung eines Verfahrens, mit dem der Bundestag zur Wahrung seiner Integrität und politischen Vertrauenswürdigkeit ein der Wahl vorausliegendes Verhalten von Abgeordneten untersuchen will. | |
2) Ein solches Verfahren muß von Verfassungs wegen Sicherungen zum Schutz des Abgeordnetenstatus enthalten. Dem betroffenen Abgeordneten müssen Beteiligungsrechte eingeräumt sein, die ihm gestatten, aktiv an der Herstellung des Beweisergebnisses mitzuwirken. Die abschließende Auskunft über den ermittelten Sachverhalt muß der Eigenart des gewählten Verfahrens sowie der zugelassenen Beweismittel Rechnung tragen | |
LB 3) Die Einleitung des Überprüfungsverfahrens nach § 44b Abs.2 AbgG berührt zwar den verfassungsrechtlichen Status des davon betroffenen Abgeordneten. Sein Status wird jedoch nicht durch die Schaffung eines Überprüfungsverfahrens und auch nicht durch dessen normative Ausgestaltung verletzt oder unmittelbar gefährdet. | |
§§§ | |
96.016 | Apothekenwerbung |
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Zur Vereinbarkeit von Werbeverboten mit der Berufsfreiheit (Art.12 Abs.1 GG) der Apotheker. | |
LB 2) Soweit die Berufsordnungen auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und die Zugabeverordnung Bezug nehmen (vgl §§ 9, 10 BO BW 1970, § 8 BO WestfL 1978, § 9 BO Bayern 1983), stehen sie mit Art.12 GG in Einklang. | |
LB 3) Von den für den Beschwerdeführer zu 1) maßgeblichen Normen sind § 8 Abs.1 und § 9 BO BW 1970 verfassungsrechtlich unbedenklich. | |
LB 4) § 10 Nr.11 BO BW 1970 ist verfassungsrechtliche bedenktlich, soweit er die Versendung von Werbebriefen sowie die Verteilung von Flugblättern und Werbemitteln außerhalb der Apotheke ausnahmslos verbietet. | |
LB 5) Ob Werbung außerhalb der Apotheken mittels Werbebriefen oder Flugblättern übertrieben erscheint, läßt sich vielmehr nur aus der Verbindung von Werbeträger und Werbeaussage unter Berücksichtigung ihrer Gestaltung und ihrer Häufigkeit entscheiden. Auch solche Werbung außerhalb der Apotheke sowie ortsfeste Unternehmenswerbung kann sachliche Aussagen enthalten und über das Angebot sowie die Lage der Apotheke in einer Form informieren, die weder zum Arzneimittelfehlgebrauch verleitet noch die ordnungsgemäße Berufsausübung des Apothekers gefährdet oder sein Ansehen in der Öffentlichkeit herabmindert. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
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T-96-04 | Berufsfreiheit |
"Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1) ist begründet, ebenso die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 2). Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 3) hat nur teilweise Erfolg. Die angegriffenen Urteile verletzen die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 GG. Einzelne Bestimmungen, auf die sie sich stützen, sind mit dieser Verfassungsnorm unvereinbar. Im übrigen hält die Rechtsanwendung durch die Berufsgerichte nicht in allen Punkten der verfassungsrechtlichen Prüfung stand. | |
Die berufsgerichtlichen Verurteilungen durch die in den Ländern Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern eingerichteten Berufsgerichte beeinträchtigen die Berufsausübung der Beschwerdeführer. Sie sind daher an Art.12 Abs.1 Satz 1 GG zu messen, gegenüber dem Art.2 Abs.1 GG als Prüfungsmaßstab zurücktritt (BVerfGE_60,215 <229>; stRspr). | |
1. Art.12 Abs.1 Satz 1 GG schützt die Freiheit der Berufsausübung. Zu dieser gehört nicht nur die berufliche Praxis selbst, sondern auch jede Tätigkeit, die mit der Berufsausübung zusammenhängt und dieser dient. Sie schließt die Außendarstellung von selbständig Berufstätigen ein, soweit sie auf die Förderung des beruflichen Erfolges gerichtet ist. Staatliche Maßnahmen, die geschäftliche oder berufliche Werbung beschränken, sind Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung (vgl BVerfGE_85,248 <256> mwN). | |
Um solche Eingriffe handelt es sich bei den angegriffenen Entscheidungen. Sämtliche Verfahren betreffen Handlungen der Beschwerdeführer, mit denen sie für ihre Apotheke oder das dort vertriebene Randsortiment geworben haben. Die Urteile beruhen auf Vorschriften in den Kammersatzungen, die den Umfang zugelassener Werbung festlegen. Diese sind darauf angelegt, die Außendarstellung von Apotheken in ihrer Gesamtheit zu reglementieren. Sie beanspruchen für Unternehmenswerbung, Produktwerbung für Arzneimittel und Produktwerbung für das Nebensortiment Geltung. | |
2. Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung bedürfen gemäß Art.12 Abs.1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Grundlage, die den Anforderungen der Verfassung an grundrechtsbeschränkende Gesetze genügt (a). Die gesetzlichen Grundlagen sind nur dann mit Art.12 Abs.1 GG vereinbar, wenn sie durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden und wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, wenn also das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und auch erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl BVerfGE_76, 196 <207>; BVerfGE_85,248 <259> mwN). Diese Voraussetzungen sind bei einem Teil der angewandten Vorschriften nicht erfüllt (b und c). | |
a) Die Berufsgerichte haben den Eingriff auf Berufsordnungen gestützt, die als Kammersatzungen auf der Grundlage der Ermächtigung in den jeweiligen Kammer- und Heilberufsgesetzen der Länder (§ 31 Nr.8 KaG BW; § 26 Nr.8 HeilBerG NW 1975; Art.54 Abs.1, Art.19 Nr.7 BayKaG 1978) Werbeverbote aufstellen. Gegen Berufsausübungsregelungen in Gestalt von Satzungen öffentlich-rechtlicher Berufsverbände bestehen grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl BVerfGE_71,162 <172 f>). Das zulässige Ausmaß von Beschränkungen hängt im einzelnen von der Intensität des Eingriffs ab. Es muß vom Gesetzgeber den Berufsverbänden in der Ermächtigung um so deutlicher vorgegeben werden, je empfindlicher Berufsangehörige in ihrer freien beruflichen Betätigung beeinträchtigt werden. Gerade die herkömmlichen Beschränkungen der Werbefreiheit sind für eine eigenverantwortliche Ordnung durch Berufsverbände geeignet. Für diesen Bereich bedarf es keiner zusätzlichen inhaltlichen Vorgaben. | |
b) Soweit die Berufsordnungen auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und die Zugabeverordnung Bezug nehmen (vgl §§ 9, 10 BO BW 1970, § 8 BO WestfL 1978, § 9 BO Bayern 1983), stehen sie mit Art.12 GG in Einklang. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb enthält eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Regelung der Berufsausübung (vgl. BVerfGE 32, 311 [317 | |
c) Soweit die Berufspflichten hinsichtlich der Werbung durch eine Vielzahl von detaillierten, inhaltlichen, gestalterischen und zeitlichen Vorgaben eigenständig geregelt sind, genügen die entsprechenden Bestimmungen den verfassungsrechtlichen Vorgaben nur zum Teil. | |
aa) Der Zweck der Norm ist allerdings nicht zu beanstanden. Werbeverbote und Werbeeinschränkungen für freie Berufe sollen als Teil der Berufsordnung mit dazu beitragen, daß der Berufsstand seine Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt. Sie sollen das berufliche Verantwortungsgefühl ebenso stärken wie das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand. Dem Apotheker ist die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung überantwortet (§ 1 Abs.1 ApG, § 1 Abs.1 der Bundes- Apothekerordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.Juli 1989 | |
bb) Von den für den Beschwerdeführer zu 1) maßgeblichen Normen sind § 8 Abs.1 und § 9 BO BW 1970 verfassungsrechtlich unbedenklich, nicht jedoch § 10 Nr.11 BO BW 1970. | |
(1) Soweit die §§ 8, 9 und 10 BO BW 1970 auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, die Vorschriften des allgemeinen Wettbewerbs, auf das Heilmittelwerberecht und die Zugabeverordnung verweisen und diese den Besonderheiten des Apothekenwesens anpassen, verbieten sie unlautere Werbung sowie solche, die zu übermäßigem Arzneimittelverbrauch verleitet. Diese Regelungen sind ersichtlich geeignet und auch erforderlich, dem genannten Gemeinwohlbelang zu dienen. Es ist auch nicht erkennbar, daß solche Verbote den Apotheker unverhältnismäßig belasten. | |
(2) Dies trifft jedoch nicht für § 10 Nr.11 BO BW 1970 zu, soweit dieser die Versendung von Werbebriefen sowie die Verteilung von Flugblättern und Werbemitteln außerhalb der Apotheke ausnahmslos verbietet. Generell lassen die Berufsordnungen erkennen, daß die Außendarstellung nicht wie diejenige von Ärzten oder Rechtsanwälten auf sachliche Informationen über die berufliche Betätigung beschränkt und somit von allen Elementen der Anpreisung und Reklame freigehalten werden soll (vgl hierzu die Rechtsprechung zur Außendarstellung von Freiberuflern: BVerfGE_33,125 <169>; BVerfGE_71,183 <194>; BVerfGE_82,18 <26>). Das ist in § 8 Satz 1 BO Bayern 1983 ausdrücklich festgehalten, kommt aber auch in den übrigen Berufsordnungen dadurch zum Ausdruck, daß verbotene Werbung durch die Beiworte "übertrieben", "unangemessen", "geeignet zur Förderung des Arzneimittelfehlgebrauchs" gekennzeichnet wird. § 10 Nr.11 BO BW 1970 schließt hingegen bestimmte Werbeträger ohne Rücksicht auf den Inhalt der Werbung aus. Es ist nicht ersichtlich, wie die genannten Gemeinwohlbelange eine Beschränkung der Berufsausübung von solcher Reichweite rechtfertigen könnten. Auch die Berufsverbände nennen in ihren Stellungnahmen im wesentlichen nur solche Rechtfertigungsgründe, mit denen im allgemeinen das Verbot übertriebener Werbung begründet wird. Ausführungen dazu, warum bestimmte Werbemittel generell als unsachlich, übertrieben oder gar marktschreierisch zu gelten hätten, fehlen. | |
Ob Werbung außerhalb der Apotheken mittels Werbebriefen oder Flugblättern übertrieben erscheint, läßt sich vielmehr nur aus der Verbindung von Werbeträger und Werbeaussage unter Berücksichtigung ihrer Gestaltung und ihrer Häufigkeit entscheiden. Auch solche Werbung außerhalb der Apotheke sowie ortsfeste Unternehmenswerbung kann sachliche Aussagen enthalten und über das Angebot sowie die Lage der Apotheke in einer Form informieren, die weder zum Arzneimittelfehlgebrauch verleitet noch die ordnungsgemäße Berufsausübung des Apothekers gefährdet oder sein Ansehen in der Öffentlichkeit herabmindert. Es ist nicht ersichtlich, daß bestimmte Werbeträger - entgegen ihrem erklärten Zweck und abweichend von der sonstigen Werbepraxis - generell geeignet wären, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die berufliche Integrität des Werbenden zu schmälern. | |
(3) Selbst wenn der Zweck der Regelung den Ausschluß bestimmter Werbeträger noch rechtfertigen sollte, führt jedenfalls eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe zu dem Ergebnis, daß die Grenzen der Zumutbarkeit überschritten sind, wenn die Berufsordnung keinen Raum für eine Prüfung der konkreten Werbung läßt. Der Apotheker ist nicht nur Angehöriger eines freien Berufs, sondern zugleich Kaufmann. Er steht hinsichtlich der apothekenfreien Arzneimittel und des Randsortiments im allgemeinen Wettbewerb und muß werbend auf sich aufmerksam machen dürfen. Setzt das Verbot allein an der Form der Werbung an, schwächt sich die Beziehung zum rechtfertigenden Gemeinwohlbelang ab. Aus dem Werbeträger unmittelbar auf eine Gefährdung der Arzneimittelversorgung oder mittelbar auf einen Schwund des Vertrauens der Öffentlichkeit in die berufliche Integrität der Apotheker zu schließen, ist schwerlich möglich, solange sich die Werbemittel im Rahmen des Üblichen bewegen. Hieran lassen die Berufsordnungen generell auch keinen Zweifel. Nur übertriebene und marktschreierische Werbung, die auf eine Vernachlässigung der Pflichten hindeuten könnte, soll vermieden werden. | |
cc) Die der Verurteilung des Beschwerdeführers zu 2), soweit sie von der Verfassungsbeschwerde angegriffen ist, zugrunde gelegten Normen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. | |
(1) Die in § 8 BO WestfL 1978 enthaltenen Werbebeschränkungen sind unbedenklich, soweit sie die in anderen Gesetzen enthaltenen Verbote (irreführende Aussagen, wettbewerbswidrige Absprachen und Verstöße gegen die Zugabeverordnung) präzisieren (vgl oben unter 2.b). | |
(2) Auch das originäre Werbeverbot in § 8 Satz 1 BO WestfL 1978, auf das die Verurteilung des Beschwerdeführers zu 2) wegen der Zeitungswerbung gestützt ist, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Vorschrift verbietet Werbung, die nach Form, Inhalt oder Häufigkeit übertrieben wirkt. Insoweit wird die gebotene Verbindung zwischen Aussage, Träger und Intensität der Werbung hergestellt. Die Regelung trifft die Apotheker auch nicht unzumutbar. | |
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers bestehen gegen die Norm auch keine Bedenken aus Art.103 Abs.2 GG. Eine jede Einzelheit berücksichtigende Aufzählung der mit einem Beruf verbundenen Pflichten ist nicht möglich. Der Gesetzgeber muß daher auf allgemein formulierte Regeln zurückgreifen und darf auch Generalklauseln verwenden, die die Berufspflichten pauschal umschreiben. Das für ihre Auslegung maßgebliche Leitbild wird in § 1 BO WestfL 1978 deutlich umrissen: Der Apotheker ist verpflichtet, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Anhand dieser Leitlinie und der Normkonkretisierung durch die Rechtsprechung der Berufsgerichte ist es den Betroffenen möglich, die Rechtslage zu erkennen und ihr Verhalten danach einzurichten (vgl BVerfGE_60,215 <230> mwN). | |
dd) (1) Die im Falle des Beschwerdeführers zu 3) maßgebliche Norm des § 8 Satz 1 BO Bayern 1983 ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesberufsgericht hat ihr ein Verbot unangemessener Werbung entnommen. Dabei handelt es sich um eine Generalklausel, die nach den vorstehenden Ausführungen zu § 8 Satz 1 BO WestfL 1978 dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot noch genügt. Auf § 8 Satz 2 BO Bayern 1983, der eine nähere Regelung durch Werberichtlinien vorsieht, die von der Delegiertenversammlung als Bestandteil der Berufsordnung beschlossen werden, sowie auf die hier einschlägigen Teile dieser Richtlinien hat das Landesberufsgericht sein Urteil nicht gestützt, vielmehr die Wirksamkeit der Nr.3 dieser Richtlinien ausdrücklich offengelassen. Demgemäß bedarf es insoweit keiner Erörterung der gegen Teile dieser Richtlinien bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl oben 2 c bb <2> und <3> zu § 10 Nr.11 BO BW 1970). | |
(2) Dagegen gibt das erstinstanzliche Urteil Veranlassung, auf die Richtlinien einzugehen. Das Berufsgericht hat seine Verurteilung teilweise auf die Werberichtlinien gestützt. Es hat ihnen in Nr.3 das Verbot der Trikotwerbung und auch das Verbot von solchen Zeitungsanzeigen entnommen, die zwar inhaltlich nicht zu beanstanden sind, jedoch 40 qcm überschreiten. Werbeverbote schränken Apotheker in ihrer Berufsfreiheit jedenfalls dann unverhältnismäßig ein, wenn sie bestimmte Werbeträger ohne Rücksicht auf Form und Inhalt der Werbung vollständig ausschließen oder wenn sie als strikte Regelung einer Würdigung aller maßgeblichen Umstände keinen Raum lassen (vgl oben 2c bb). Auf der von der Bayerischen Berufsordnung anerkannten Grundlage, daß nur unangemessene und übertriebene Werbung verboten ist, die das besondere Vertrauen der Bevölkerung zum Apotheker gefährdet oder den Mehr- und Fehlgebrauch von Arzneimitteln begünstigt, wird nicht deutlich, inwiefern die beim Sponsoring eingesetzten Werbemethoden generell solche Gefahren heraufbeschwören könnten. Insbesondere bei der Werbung für die Betriebsstätte mit Namen und Anschrift der Apotheke liegt es eher fern, eine Gefährdung des Berufsbildes in der Öffentlichkeit zu besorgen. | |
Sofern die Werbeverbote vornehmlich dem Konkurrentenschutz zu dienen bestimmt sein sollten, was in den Richtlinien unter Nr.3 Abs.1 am Ende anklingt ("... und im Hinblick auf die benachbarten Apotheken als unbedenklich anzusehen ..."), wären die Apothekerkammern nicht legitimiert, mit ihren Berufsordnungen in den Wettbewerb allein zum Zwecke des Konkurrenzschutzes einzugreifen. Weder genießen die sonstigen ortsansässigen Apotheker aus Art.12 Abs.1 GG Schutz vor den werbeaktiven Konkurrenten (BVerfGE_34,252 <256>; BVerfGE_55, 261 <269>) noch darf dies aus dem herkömmlichen Berufsbild gefolgert werden (vgl hierzu BVerfGE_76,171 <185>), weil das Berufsbild des Apothekers nicht Selbstzweck ist, sondern zum Schutz der Volksgesundheit entwickelt und aufrechterhalten worden ist. Das öffentliche Interesse, das das "Sonderrecht" für Apotheken legitimiert, ist auf die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung gerichtet; daran müssen sich Beschränkungen der Berufsfreiheit messen lassen (vgl BVerfGE_75,166 <181>). | |
3. Im übrigen beruhen die berufsgerichtlichen Entscheidungen auf verfassungsrechtlich unbedenklichen Normen. Deren Auslegung und Anwendung hält jedoch den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht in vollem Umfang stand. Auslegung und Anwendung ist Aufgabe der Fachgerichte und wird vom Bundesverfassungsgericht nur darauf überprüft, ob sie Fehler enthält, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Norm die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl BVerfGE_85,248 <258>). Zu einer solchen Beschränkung kommt es insbesondere, wenn die Gerichte bei Auslegung und Anwendung der Norm nicht alle Umstände des Einzelfalles würdigen, die für die Verhältnismäßigkeitsprüfung von Belang sind. | |
a) Der Beschwerdeführer zu 1) ist vom Berufsgericht und vom Landesberufsgericht wegen übertriebener Werbung verurteilt worden, weil er eine mehr als 40 qcm große Annonce in einer Vereinsfestschrift veröffentlicht hat. Sie haben die Größe beanstandet, sind aber auf die näheren Umstände der Inserierung nicht eingegangen. Ob eine Anzeigenwerbung übertrieben ist, läßt sich allein an der Größe des Inserats nicht ohne weiteres festmachen. Dem Schutz der Berufsfreiheit kann vielmehr nur durch eine Würdigung aller maßgeblichen Umstände angemessen Rechnung getragen werden. Format, Auflage und Leserkreis der Zeitung können dabei ebenso bedeutsam sein wie ihr Charakter und ihre Aufmachung. Hier hätte insbesondere bedacht werden müssen, daß eine Vereinsschrift nur einmalig erscheint, für einen ausgewählten Personenkreis in einem begrenzten Umfeld bestimmt ist und sich in ihrer Aufmachung deutlich von anderen Presseerzeugnissen unterscheidet. Daß die beanstandete Anzeige auch in diesem Rahmen geeignet war, die Seriosität des Beschwerdeführers zu 1) in Frage zu stellen, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls hätte eine solche Würdigung näherer Darlegungen bedurft. | |
b) Dem Beschwerdeführer zu 2) haben Berufsgericht und Landesberufsgericht angelastet, daß er über 13 Monate mit ungefähr 30 Zeitungsanzeigen und über weitere 13 Monate mit 34 Zeitungsanzeigen für seine Apotheke und das Randsortiment geworben hat. Form und Inhalt der Anzeigen sind nicht beanstandet worden. Die Serie habe jedoch nach ihrer Häufigkeit übertrieben gewirkt, weil solche Veröffentlichungen nicht häufiger als einmal im Monat erfolgen sollten. Was darüber hinausgehe, weise auf ein übersteigertes kaufmännisches Geschäftsgebaren hin. Die Verurteilungen sind auf § 1 in Verbindung mit § 8 Satz 1 BO WestfL 1978 gestützt worden, wonach der Apotheker dem ihm entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen und im Wettbewerb Werbung zu unterlassen hat, die nach ihrer Häufigkeit übertrieben wirkt. Auch die Berufsgerichte haben erkannt, daß unter denkbaren vernünftigen Zwecken des Gemeinwohls, die zur Rechtfertigung der Werbebeschränkung herangezogen werden können, hier nicht die Arzneimittelversorgung und der Schutz der Volksgesundheit im Vordergrund stehen, sondern allein der Gefahr vorgebeugt werden soll, daß das Ansehen des Apothekerberufs in der Öffentlichkeit Schaden nimmt und dieser Schaden auf seine für die Arzneimittelversorgung notwendige Vertrauensstellung ausstrahlt. | |
Mit ihrer Auslegung haben die Berufsgerichte die durch Art.12 Abs.1 Satz 1 GG gebotene berufs- und wettbewerbsfreundliche Auslegung der Berufsordnung verfehlt. Sie haben nicht beachtet, daß Erwägungen zum Berufsbild an Gewicht verlieren, soweit Apotheker mit ihrem Warenangebot in Konkurrenz zu sonstigen Berufsgruppen stehen. Dies hat der Senat in der Entscheidung zum Selbstbedienungsverbot bereits ausgeführt ( BVerfGE_75,166 <180>). Es kann keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, daß die Werbung in unterschiedlichen Tageszeitungen, die etwas häufiger als zweimal im Monat erscheint und Produktgruppen wie Heilkräuter, Biokost, Gewürze für die Weihnachtsbäckerei oder Sortimentsgruppen für Sportler, für den Urlaub oder für Mutter und Kind betrifft, weit unterhalb der Schwelle liegt, die heute im seriösen Einzelhandel üblich ist. Insoweit genügt es daher nicht, auf eine eigene "Faustregel" zu verweisen. Vielmehr hätte es der Darlegung bedurft, inwiefern zwei bis drei Zeitungsanzeigen pro Monat für das Randsortiment auf den Konsumenten massiv einwirken und den Eindruck vermitteln, daß das Randsortiment und die Ausweitung des Warenumsatzes im Vordergrund des Geschäfts stünden. Welche Werbeformen und welche Häufigkeit der Werbung als üblich, als angemessen oder als übertrieben bewertet werden, unterliegt zeitbedingten Veränderungen. Hier haben die Berufsgerichte dem Wandel im Werbeverhalten des Handels Rechnung zu tragen. Denn durch dieses Verhalten ändern sich Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungsbereitschaft der Verbraucher und damit auch die Beurteilung der Frage, welche Werbung übertrieben ist. Insoweit können aus dem Werbeverhalten der Verkaufsstellen für apothekenfreie Arzneimittel und demjenigen der Heilmittelhersteller Anhaltspunkte gewonnen werden. Auch diese Gewerbetreibenden haben Belange der Arzneimittelversorgung und damit zugleich der Volksgesundheit zu berücksichtigen und müssen aus diesem Grunde mit gesteigerter Seriosität um Vertrauen in der Bevölkerung werben. | |
c) Auch bei der Verurteilung des Beschwerdeführers zu 3) durch das Bayerische Landesberufsgericht ist die Berufsordnung nicht in allen Fällen verfassungsgemäß angewandt worden. | |
aa) Nicht zu beanstanden ist die Verurteilung allerdings hinsichtlich der Vorfälle, die oben unter A.II.3. Nr.1 bis 8 und Nr.14 aufgeführt sind. | |
Ob mit der Teilnahme an einem Faschingsumzug (Vorwurf zu 14) mit eigenem Wagen zu Werbezwecken plump aufdringliche Werbung marktschreierischer Art betrieben wird, unterliegt in erster Linie der Beurteilung der Tatsachengerichte, die mit den örtlichen Gepflogenheiten vertraut sind. Substantiierte Einwendungen hat die Verfassungsbeschwerde insoweit nicht vorgebracht. | |
An solchen Einwendungen fehlt es auch, soweit die berufsgerichtlichen Maßnahmen auf Verstöße gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und die Zugabeverordnung gestützt worden sind (Vorwürfe zu 1 bis 8). | |
bb) Im übrigen hält die Verurteilung der verfassungsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. | |
(1) Soweit der Werbeaufdruck auf Trainingsanzügen des örtlichen Radsportvereins (Vorwurf zu 13) schlechthin als in hohem Maße vertrauensschädigend bezeichnet worden ist, läßt die Entscheidung eine Auseinandersetzung mit den allgemeinen Gepflogenheiten der seriösen geschäftlichen Werbung im Rahmen von Sponsoring vermissen. Der Sportler als Werbeträger gehört inzwischen zum alltäglichen Erscheinungsbild. Zahlreiche in der Apotheke vertriebene Artikel des Randsortiments und der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel weisen Bezug zum Sport im Sinne von Fitneß und Gesunderhaltung, aber auch zu den alltäglichen Risiken des Sports auf. Sportbekleidung und Sportstätten gänzlich als Werbeträger auszunehmen, wird der Bedeutung dieses Mediums für angemessene und seriöse Werbung nicht gerecht; auch Pharmafirmen und Krankenversicherungen bedienen sich ihrer. Wann diese Werbung wegen Form und Inhalt mit dem Erscheinungsbild des Apothekers in der Öffentlichkeit unvereinbar ist, haben die Berufsgerichte unter Würdigung der jeweils besonderen Umstände des Einzelfalles festzustellen. | |
(2) Soweit das Landesberufsgericht seine Entscheidung darauf stützt, daß der Beschwerdeführer zu 3) in massiver Häufung inseriert habe (Vorwürfe zu 11 und 12), verkennt es Bedeutung und Tragweite des Art.12 Abs.1 GG. Seine Würdigung, daß dadurch beim Publikum der Eindruck entstanden sei, die Apotheke des Beschwerdeführers zu 3) befasse sich nicht mehr vorrangig mit der Arzneimittelversorgung, sondern habe das Schwergewicht des Geschäfts auf das Randsortiment verlagert, wird nicht genügend belegt. Insoweit kann auf die Ausführungen unter 2.c bb (3) verwiesen werden. | |
Auch der vom Landesberufsgericht zusätzlich herangezogene Gesichtspunkt des Konkurrenzschutzes vermag die Maßregelung des Beschwerdeführers zu 3) wegen des Umfangs und der Häufigkeit seiner Anzeigenwerbung nicht zu rechtfertigen. Soweit ausgeführt wird, daß häufige Werbung zugleich unkollegiales Verhalten darstelle, hat das Landesberufsgericht die Tragweite von Art.12 Abs.1 Satz 1 GG verkannt. Konkurrenzschutz und Schutz vor Umsatzverlagerungen sind im vorliegenden Zusammenhang keine legitimen Zwecke, die Einschränkungen in der Berufsausübung rechtfertigen können. Der eigentliche Zweck der Werbung liegt darin, Kunden zu Lasten der Konkurrenz zu gewinnen. Da jeder Apotheker gehalten ist, dem Arzneimittelfehlgebrauch entgegenzuwirken, darf keine Werbemaßnahme auf eine Ausweitung des insgesamt umgesetzten Volumens im Arzneimittelbereich abzielen; es geht vielmehr um eine Umsatzverlagerung zugunsten der eigenen Apotheke. Wenn nach den Berufsordnungen Werbung zulässig ist, kann erfolgreiche Werbung nicht unkollegial sein. | |
(3) Unvereinbar mit Art.12 Abs.1 GG ist auch die Verurteilung wegen des Aufstellens von Werbetafeln und Verkaufsschütten auf dem Gehsteig (Vorwürfe zu 9 und 10). Hinreichende Gründe dafür, daß dieses Verhalten den legitimen Zielen der Berufsordnung zuwiderläuft, lassen sich dem Urteil des Landesberufsgerichts nicht entnehmen. Der Umstand, daß sich die auf dem Gehsteig aufgestellten Werbeträger den Passanten buchstäblich in den Weg stellen, beschreibt lediglich die Art ihrer Wirkung, rechtfertigt für sich genommen aber noch nicht den Schluß, daß es sich um übertriebene Werbung handelt. Ob der Hinweis des Landesberufsgerichts, derartige Werbemethoden entsprächen eher den Gepflogenheiten eines "Billigladens" und rückten die Apotheke in die Nähe eines "Drugstores", sachlich zutrifft, mag dahingestellt bleiben. Werbung für das Randsortiment ist jedenfalls nicht allein deshalb aufdringlich, weil sich der Apotheker derselben Methoden bedient, die auch von anderen Kaufleuten beim Handel mit denselben Artikeln verwendet werden. | |
Im Umfang der Beanstandung werden die angegriffenen Berufungsentscheidungen aufgehoben; von einer Aufhebung der erstinstanzlichen Urteile wird im Interesse der Beschwerdeführer an einem raschen Abschluß des Verfahrens abgesehen (vgl BVerfGE_84,1 <5>)." | |
Auszug aus BVerfG B, 22.05.96, - 1_BvR_744/88 -, www.dfr, Abs.90 ff | |
§§§ | |
96.017 | Brief-Strafvollzug |
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LF: Die Rechtsprechung des Ersten Senats des BVerfG zur Vertraulichkeit von Äußerungen im Strafvollzug (BVerfGE_90,255 = NJW_95,1015) gilt auch für die briefliche Kommunikation von Untersuchungsgefangenen mit Personen, zu denen eine "eheähnliche Beziehung" besteht. Das Anhalten des Briefes eines Untersuchungsgefangenen an eine solche Person verletzt deshalb trotz des beleidigenden Inhalts das Grundrecht aus Art.5 Abs.1 S.1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art.2 Abs.1 iV mit Art.1 Abs.1 GG), wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die Weitergabe des Briefes an Dritte oder für eine reale Gefährdung der Anstaltsordnung vorliegen. | |
§§§ | |
96.018 | Parabolantenne |
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LF 1) Art.5 Abs.1 S.1 Hs.2 GG ist bei der Anwendung einfachen Rechts sowohl im Verhältnis zwischen Mieter und vermietendem Wohnungseigentümer als auch zwischen diesem und den übrigen Wohnungseigentümern oder der Eigentümergemeinschaft als solche Geltung zu verschaffen, nicht aber zwingend in Fällen der unmittelbaren Inanspruchnahme des Mieters auf Beseitigung der von ihm selbst installierten Parabolantenne durch die Eigentümergemeinschaft. | |
LF 2) Eine instanzgerichtliches Urteil braucht in dieser Prozeßsituation über die klagweise Inanspruchnahme des vermietenden Wohnungseigentümers als Bindeglied zur Eigentümergemeinschaft erfolgen, und die in dieser verfahrensrechtlichen Komplizierung zu Lasten des Wohnungsmieters liegende Erschwernis ist weder mit Art.5 Abs.1 S.1 Hs.1 GG noch mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar. | |
§§§ | |
96.019 | Südumfahrung Stendal II |
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LB: Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Verfahren 2_BvF_2/93 unter Berücksichtigung des Vortrags der Stadt Stendal durch Beschluß vom 17.Juli 1996 entschieden, daß das Gesetz über den Bau der "Südumfahrung Stendal" der Eisenbahnstrecke Berlin-Oebisfelde vom 29.Oktober 1993 mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Damit ist auch festgestellt, daß das Gesetz nicht gegen die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung aus Art.28 Abs.2 Satz 1 GG verstößt | |
§§§ | |
96.020 | Südumfahrung Stendal I |
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1) Staatliche Planung ist weder eindeutig der Legislative noch eindeutig der Exekutive zugeordnet. | |
2) Auch Detailpläne im Bereich der anlagenbezogenen Fachplanung sind einer gesetzlichen Regelung zugänglich. Das Parlament darf durch Gesetz eine solche Entscheidung freilich nur dann an sich ziehen, wenn hierfür im Einzelfall gute Gründe bestehen. | |
3) Entfaltet eine Legalplanung enteignungsrechtliche Vorwirkungen, hat sie vor der Verfassung jedenfalls dann Bestand, wenn sie nicht nur - wie jede Enteignung - im Sinne des Art.14 Abs.3 Satz 1 GG zum Wohle der Allgemeinheit erforderlich ist, sondern auch triftige Gründe für die Annahme bestehen, daß die Durchführung einer behördlichen Planfeststellung mit erheblichen Nachteilen für das Gemeinwohl verbunden wäre, denen nur durch eine gesetzliche Regelung begegnet werden kann. | |
LB 4) Die in Art.20 Abs.2 Satz 2 GG normierte Teilung der Gewalten ist für das Grundgesetz ein tragendes Organisations- und Funktionsprinzip. Sie dient der gegenseitigen Kontrolle der Staatsorgane und damit der Mäßigung der Staatsherrschaft (vgl BVerfGE_3,225 <247>; stRspr). | |
LB 5) Dabei zielt die Gewaltenteilung auch darauf ab, daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen (vgl BVerfGE_68,1 <86>). | |
LB 6) Das Grundgesetz fordert nicht eine absolute Trennung, sondern die gegenseitige Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten. Allerdings muß die in der Verfassung vorgenommene Verteilung der Gewichte zwischen den drei Gewalten gewahrt bleiben. | |
LB 7) Keine Gewalt darf der für die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben erforderlichen Zuständigkeiten beraubt werden (vgl BVerfGE_9,268 <279 f>; BVerfGE_22,106 <111>; BVerfGE_34,52 <59>; stRspr). | |
LB 8) Im freiheitlich-demokratischen System des Grundgesetzes fällt dem Parlament als Legislative die verfassungsrechtliche Aufgabe der Normsetzung zu. Nur das Parlament besitzt hierfür die demokratische Legitimation (vgl BVerfGE_34,52 <59>; BVerfGE_49,89 <124 ff>; BVerfGE_68,1 <87>). | |
LB 9) Der Exekutive obliegt die Regierung und die Verwaltung (vgl BVerfGE_30,1 <28>). Zu ihren Aufgaben gehört die Vollziehung von Gesetzen im Einzelfall, wie sich bereits aus der Bezeichnung "vollziehende Gewalt" in Art.20 Abs.2 Satz 2 GG ergibt (vgl auch BVerfGE_83,60 <72>; BVerfGE_93,37 <67>). | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
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T-96-05 | Normenkontrollantrag-Südumfahrung stendal |
"B. Der zulässige Normenkontrollantrag (Art.93 Abs.1 Nr.2 GG, § 76 Nr.1 BVerfGG) ist unbegründet. I. | |
Nach § 24 Satz 1 BVerfGG kann das Gericht auch ohne mündliche Verhandlung einen offensichtlich unbegründeten Antrag verwerfen. Die Beurteilung, ein Antrag sei offensichtlich unbegründet, setzt dabei nicht voraus, daß seine Unbegründetheit auf der Hand liegt; sie kann auch - wie im vorliegenden Fall - das Ergebnis einer vorgängigen gründlichen Prüfung unter allen rechtlichen Gesichtspunkten sein (vgl BVerfGE_79,223 <231>; BVerfGE_82,316 <319 f>). Demgemäß ist festzustellen (vgl BVerfGE_1,14 <64>), daß das Gesetz über den Bau der "Südumfahrung Stendal" der Eisenbahnstrecke Berlin-Oebisfelde mit dem Grundgesetz vereinbar ist. II. | |
1. a) Die in Art.20 Abs.2 Satz 2 GG normierte Teilung der Gewalten ist für das Grundgesetz ein tragendes Organisations- und Funktionsprinzip. Sie dient der gegenseitigen Kontrolle der Staatsorgane und damit der Mäßigung der Staatsherrschaft (vgl BVerfGE_3,225 <247>; stRspr). Dabei zielt sie auch darauf ab, daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen (vgl BVerfGE_68,1 <86>). | |
Das Prinzip der Gewaltenteilung ist nirgends rein verwirklicht. Es bestehen zahlreiche Gewaltenverschränkungen und -balancierungen. Das Grundgesetz fordert nicht eine absolute Trennung, sondern die gegenseitige Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten. Allerdings muß die in der Verfassung vorgenommene Verteilung der Gewichte zwischen den drei Gewalten gewahrt bleiben. Keine Gewalt darf ein von der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht über eine andere Gewalt erhalten. Keine Gewalt darf der für die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben erforderlichen Zuständigkeiten beraubt werden (vgl BVerfGE_9,268 <279 f>; BVerfGE_22,106 <111>; BVerfGE_34,52 <59>; stRspr). Der Kernbereich der verschiedenen Gewalten ist unveränderbar. Damit ist ausgeschlossen, daß eine der Gewalten die ihr von der Verfassung zugeschriebenen typischen Aufgaben verliert (vgl BVerfGE_34,52 <59>). | |
b) Für das Verhältnis von Legislative und Exekutive bedeutet dies: | |
Im freiheitlich-demokratischen System des Grundgesetzes fällt dem Parlament als Legislative die verfassungsrechtliche Aufgabe der Normsetzung zu. Nur das Parlament besitzt hierfür die demokratische Legitimation (vgl BVerfGE_34,52 <59>; BVerfGE_49,89 <124 ff>; BVerfGE_68,1 <87>). Der Exekutive obliegt die Regierung und die Verwaltung (vgl BVerfGE_30,1 <28>). Zu ihren Aufgaben gehört die Vollziehung von Gesetzen im Einzelfall, wie sich bereits aus der Bezeichnung "vollziehende Gewalt" in Art.20 Abs.2 Satz 2 GG ergibt (vgl auch BVerfGE_83,60 <72>; BVerfGE_93,37 <67>). | |
c) Nach diesen Merkmalen kann staatliche Planung weder eindeutig der Legislative noch eindeutig der Exekutive zugeordnet werden. Zum einen kann Planung nicht als ein Vorgang der Subsumtion eines bestimmten Lebenssachverhalts unter die Tatbestandsmerkmale einer generell-abstrakten Norm verstanden werden. Zum andern stellt die Planungsentscheidung auch keine generell-abstrakte Vorgabe für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen dar. Es handelt sich vielmehr um einen komplexen Prozeß der Gewinnung, Auswahl und Verarbeitung von Informationen, der Zielsetzung und der Auswahl einzusetzender Mittel. Planung hat mithin finalen und keinen konditionalen Charakter (vgl BVerfGE_80,137 <162>; vgl auch Hoppe in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd.III, § 71, Rn.19, 43). | |
Ist staatliche Planung von vornherein keiner der beiden Staatsgewalten eindeutig zugeordnet, so obliegt der Exekutive jedenfalls die Planvorbereitung. Das Parlament verfügt hingegen über Informations- und Kontrollrechte. Soweit es sich nicht um "Kernbereiche exekutivischer Eigenverantwortung" der Regierung handelt (vgl dazu etwa BVerfGE_67,100 <139<; BVerfGE_68,1 <85 ff, 87>), vermag das Parlament grundlegende Fragen auch selbst zu entscheiden. Dies gilt im besonderen - kraft des dem Parlament historisch zukommenden Haushaltsbewilligungsrechts - für den Haushalt (vgl Hoppe in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd.III, § 71, Rn.37). Der Gesetzgeber darf dementsprechend - auf Initiative und Vorbereitung von Regierung und Verwaltung hin - durch Gesetz einen Plan beschließen, sofern die Materie ihrer Natur nach geeignet ist, gesetzlich geregelt zu werden (vgl. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd.III, § 62, Rn.65), und sonstige verfassungsrechtliche Gründe nicht entgegenstehen. | |
d) Auch Detailpläne im Bereich der anlagenbezogenen Fachplanung, die konkrete Regelungen hinsichtlich eines einzelnen Vorhabens treffen, sind einer gesetzlichen Regelung zugänglich. | |
aa) Dem Grundgesetz kann nicht entnommen werden, daß es von einem Gesetzesbegriff ausgeht, der nur generelle Regelungen zuläßt. Dies bestätigen sowohl Art.19 Abs.1 Satz 1 GG, der Einzelfallgesetze nicht generell, sondern nur in seinem Gewährleistungsbereich ausschließt, als auch Art.14 Abs.3 Satz 2 GG, der dem Gesetzgeber ausdrücklich die Möglichkeit der Enteignung durch Gesetz eröffnet. Mit der Planung eines einzelnen Vorhabens greift der Gesetzgeber mithin nicht notwendig in die Funktion ein, die die Verfassung der vollziehenden Gewalt oder der Rechtsprechung vorbehalten hat (vgl BVerfGE_25,371 <398>). | |
bb) Parlamente sind auch nach ihren Aufgaben und ihren Verfahren durchaus zu einer anlagenbezogenen Fachplanung in der Lage. Der parlamentarische Gesetzgeber vollzieht mit seiner Entscheidung für oder gegen die planerische Zulassung eines Vorhabens nicht andere Gesetze, insbesondere des Planungsrechts, sondern trifft eine eigenständige gestaltende Regelung, die das Vorhaben von der Zulassungsbedürftigkeit nach anderen Gesetzen befreit und der Entscheidung zugleich die sonst an einen Planfeststellungsbeschluß gesetzlich geknüpften materiellen Wirkungen verleiht. Deshalb sind auch Planfeststellungen einer Mehrheitsentscheidung zugänglich. | |
cc) Weitere Schranken ergeben sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung insofern, als diese auf die gegenseitige Mäßigung und Kontrolle der Staatsorgane ausgerichtet ist und mithin auch grundrechtsschützende Funktionen erfüllt. Eine Entscheidung über eine konkrete Fachplanung ist nach den einschlägigen Fachplanungsgesetzen üblicherweise der Verwaltung vorbehalten, die dafür den erforderlichen Verwaltungsapparat und Sachverstand besitzt. Das Parlament darf durch Gesetz eine solche Entscheidung nur dann an sich ziehen, wenn hierfür im Einzelfall gute Gründe bestehen, etwa weil die schnelle Verwirklichung des Vorhabens von besonderer Bedeutung für das Gemeinwohl ist. Insofern steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungs- und Einschätzungsspielraum zu. | |
Schließlich können sich auch noch Schranken im Hinblick auf die vertikale Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern ergeben. Dem braucht vorliegend aber nicht nachgegangen zu werden. Hinsichtlich der Bundeseisenbahnen und des Baues von Schienennetzen steht dem Bund sowohl gemäß Art. 73 Nr. 6a GG die Gesetzgebungskompetenz als auch gemäß Art.87 Abs.1 Satz 1 GG aF, ebenso aber auch gemäß Art.87e GG, eingefügt durch Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 20.Dezember 1993 (BGBl.I S.2089), die Verwaltungskompetenz zu. Für die Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs kann er sie auf Antrag eines Landes übernehmen (Art.90 Abs.3 GG). | |
2. Gemessen an dem dargelegten Maßstab verletzt das Gesetz nicht die durch Art.20 Abs.2 Satz 2 GG gebotene Gewaltenteilung. | |
a) Das Gesetz geht auf eine Initiative der Bundesregierung zurück, die ein in ihrem Auftrag von der Planungsgesellschaft ausgearbeitetes Plankonzept vorgelegt hat. Zu diesem Plankonzept waren vor der Einbringung in den Bundestag Auslegungen, Anhörungen und Erörterungen nach Art eines Planfeststellungsverfahrens durchgeführt worden. Bundestag und Bundesrat haben dieses Konzept nach weiteren Anhörungen ohne Änderungen gebilligt. | |
b) Der Gesetzgeber beansprucht auch nicht generell eine Kompetenz zur Zulassung von Verkehrsvorhaben anstelle der Verwaltung. Vergleichbare Gesetze waren von Anfang an nur für einzelne, besonders ausgewählte Abschnitte von Fernverkehrswegen vorgesehen, so daß es an jedem Anhaltspunkt für eine Verlagerung von originären Verwaltungsfunktionen auf die Legislative fehlt. | |
Für die Planfeststellung des Streckenabschnitts "Südumfahrung Stendal" durch Gesetz bestanden gute Gründe: | |
aa) Die Entscheidung des Gesetzgebers war ausweislich der Gesetzesbegründung (vgl BTDrucks 12/3477, S.5 ff) von der Erwägung geleitet, auf schnellstmöglichem Wege die Wirtschaft in den neuen Ländern zu stärken und auf die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hinzuwirken (vgl auch § 1 Abs.1 Satz 1 des Gesetzes). Dieses Ziel verlangte einen unverzüglichen Aufbau der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Ländern, deren Verkehrswege sich nach jahrzehntelanger Vernachlässigung zum Teil in einem desolaten Zustand befanden und den Anforderungen des modernen Verkehrs nicht gewachsen waren. | |
Vor diesem Hintergrund maß der Gesetzgeber den vom Bundesminister für Verkehr erarbeiteten 17 Verkehrsprojekten "Deutsche Einheit" eine Schlüsselfunktion sowohl für den wirtschaftlichen Aufschwung als auch für das Zusammenwachsen der alten und der neuen Länder bei. Als herausragendes Vorhaben betrachtete er den Neubau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover-Berlin. Ihr wird nach den gesetzgeberischen Vorstellungen auch eine zentrale Rolle im internationalen Ost-West-Verkehr zukommen (vgl aaO, S.6). | |
bb) In diesem Rahmen wollte der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur annähernd zeitgleichen Fertigstellung der gesamten Hochgeschwindigkeitsstrecke und ihrer Inbetriebnahme im Jahre 1997 beitragen; er erwartete sich einen erheblichen Zeitgewinn (vgl aaO, S.7 f). | |
(1) Für behördliche Planfeststellungsverfahren entlang der Stammstrecke Berlin-Oebisfelde rechnete der Gesetzgeber auch bei Nutzung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes in Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Verwaltungen in den neuen Ländern mit einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von zwei Jahren bis zum Ergehen von Planfeststellungsbeschlüssen. Für den Streckenabschnitt "Südumfahrung Stendal" sah er eine Verfahrensdauer von drei Jahren voraus. Dies leitete er daraus ab, daß in dem Streckenabschnitt in stärkerem Maß öffentliche und private Belange berührt würden und auch die Stadt Stendal bereits im Vorfeld der Planungen aus ökologischen Gründen erheblichen Widerstand angekündigt habe. Eine zeitgleiche Fertigstellung und Inbetriebnahme aller Streckenabschnitte im Jahre 1997 war damit in Frage gestellt. | |
(2) Den Zeitbedarf für ein Gesetzgebungsverfahren von der Verabschiedung der Vorlage in der Bundesregierung bis zur Verkündung des beschlossenen Gesetzes im Bundesgesetzblatt veranschlagte der Gesetzgeber unter Zugrundelegung der Erfahrungen mit eilbedürftigen Gesetzen auf sechs bis sieben Monate. Zwar hat sich diese gesetzgeberische Prognose nicht bestätigt. Denn tatsächlich dauerte das Gesetzgebungsverfahren erheblich länger. Gleichwohl war die grundsätzliche Einschätzung des Gesetzgebers, daß die Planfeststellung durch Gesetz zur zeitgleichen Fertigstellung der Hochgeschwindigkeitsstrecke und ihrer angestrebten Inbetriebnahme im Jahre 1997 beitrage, vertretbar und hat sich als richtig erwiesen. So wurde nach Inkrafttreten des Gesetzes noch im Dezember 1993 im Streckenabschnitt "Südumfahrung Stendal" mit den Bauarbeiten begonnen. Dies ermöglichte nach den Angaben der Bundesregierung den termingerechten Abschluß der Erd-, Straßen- und Brückenbauarbeiten bis zum Juni 1995. Die Ausrüstung der Strecke soll bis Ende 1996 abgeschlossen sein. Ab Januar 1997 beginnen Abnahmefahrten und - anschließend - der Probebetrieb, so daß der Streckenabschnitt - wie geplant - zum Fahrplanwechsel 1997 zugleich mit den anderen Streckenabschnitten in Betrieb genommen werden kann. Daß dieses Ziel des Gesetzgebers auch bei einer behördlichen Planfeststellung zu erreichen gewesen wäre, erscheint wenig wahrscheinlich. Bei einer - von der Bundesregierung vertretbar angenommenen - Dauer von drei Jahren hätte ein Planfeststellungsbeschluß, ausgehend von der Zuleitung des Plans an die Träger öffentlicher Belange Mitte November 1991, erst Mitte November 1994 vorgelegen. Dementsprechend hätten die Bauarbeiten auch frühestens zu diesem Zeitpunkt beginnen können. Die Fertigstellung des Streckenabschnitts hätte sich gegenüber den anderen Streckenabschnitten dann um mindestens ein Jahr verzögert. | |
(3) Im Rahmen des dem Gesetzgeber zustehenden Beurteilungsspielraums hält sich auch seine Einschätzung, eine Weiterbenutzung der vorhandenen Stammstrecke durch den Bahnhof Stendal sei nicht einmal übergangsweise hinnehmbar. Nach den Untersuchungen der Planungsgesellschaft hätte dies nämlich zu erheblichen Geschwindigkeitseinbußen und zu dadurch bedingten längeren Fahrzeiten geführt, zumal auch eine auf zwei Gleise ausgebaute Stammstrecke im Raum Stendal nicht ausreiche, das Betriebsprogramm der Hochgeschwindigkeitsstrecke zu bewältigen (vgl Anlagenband I zum Gesetz, Erläuterungsbericht, Teil II.Punkt 1.1.3., S.63 f). III. | |
Den Prüfungsmaßstab für die weitere verfassungsrechtliche Beurteilung des Gesetzes bilden die grundrechtlichen Vorgaben aus Art.14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GG, Art.19 Abs.1 Satz 1 und Art.3 Abs.1 GG sowie die Gewährleistungen der Selbstverwaltungsgarantie aus Art.28 Abs.2 Satz 1 GG. | |
1. Das Gesetz genügt den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art.14 Abs.1 Satz 1 und Abs.3 GG, denen es wegen seiner enteignungsrechtlichen Vorwirkungen unterliegt. | |
a) Nach Art.14 Abs.3 GG ist eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Enteignung durch Gesetz ist dadurch gekennzeichnet, daß das Gesetz selbst und unmittelbar - ohne weiteren Vollzugsakt - konkrete und individuelle Rechtspositionen entzieht, die einem bestimmbaren Kreis von Personen oder Personengruppen nach dem bis dahin geltenden Recht zustehen (vgl BVerfGE_31,275 <281>; BVerfGE_45,297 <325 f>). | |
Zwar sieht das vorliegende Gesetz selbst keine unmittelbare Enteignung der betroffenen Grundstückseigentümer vor, sondern weist sowohl die Enteignung als auch die Entschädigungsregelung gemäß § 3 des Gesetzes einem besonderen Verwaltungsverfahren zu, für das die Regelungen des Baugesetzbuchs gelten. Indes ist zu berücksichtigen, daß § 3 Abs.1 des Gesetzes die Enteignung zugunsten des Vorhabenträgers bereits dann zuläßt, wenn sie zur Ausführung des gemäß § 1 Abs.1 Satz 2 des Gesetzes festgestellten Plans notwendig ist. Der gesetzlich zugelassene Plan bestimmt - anders als etwa die Bedarfsplanung für den Ausbau des Netzes der Bundesfernstraßen nach der Anlage zu § 1 Abs.1 Satz 2 des Fernstraßenausbaugesetzes - in allen Einzelheiten den Verlauf der Hochgeschwindigkeitsstrecke im Bereich des Streckenabschnitts "Südumfahrung Stendal". Mit Inkrafttreten des Gesetzes steht mithin fest, welche konkreten Grundstücke und in welchem Umfange diese für das Vorhaben in Anspruch genommen werden sollen (vgl BVerfGE_45,297 <327>; BVerfGE_56,249 <264>). Außerdem erzeugt die gesetzliche Projektzulassung dadurch Bindungen für ein nachfolgendes Enteignungsverfahren, daß nach § 1 Abs.2 Satz 3 des Gesetzes mit der planerischen Zulassung des Vorhabens alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen der damaligen Deutschen Reichsbahn als Träger des Vorhabens und den Betroffenen rechtsgestaltend geregelt werden. Der durch Gesetz zugelassene Plan ist mithin dem Enteignungsverfahren zugrundezulegen; er entfaltet insoweit enteignungsrechtliche Vorwirkungen, als er abschließend und für das weitere Verfahren verbindlich über die Zulässigkeit der Enteignungen einzelner Grundstücke entscheidet. Als Legalenteignung im Gewande einer Legalplanung ist das Gesetz folglich an Art.14 Abs.3 GG zu messen (vgl BVerfGE_45,297 <319 f>; BVerfGE_56,249 <264 f>; BVerfGE_74,264 <282>; vgl auch BVerwGE_98,339 <346>). | |
b) Eine Legalenteignung ist nur in eng begrenzten Fällen zulässig, weil sie den durch Art.14 Abs.1 Satz 1 GG und durch Art.19 Abs.4 Satz 1 GG garantierten effektiven Rechtsschutz schmälert (vgl BVerfGE_24,367 <398 ff>; BVerfGE_45,297 <331, 333>). Dies gilt auch für die Legalplanung mit ihren enteignungsrechtlichen Vorwirkungen. Sie entzieht den von dem Vorhaben betroffenen Grundstückseigentümern den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz gegen eine behördliche Planfeststellungsentscheidung. In welchen Fällen eine derartige Verkürzung des Rechtsschutzes verfassungsrechtlich zulässig ist, bedarf vorliegend keiner abschließende Entscheidung. Eine Legalplanung hat vor der Verfassung jedenfalls dann Bestand, wenn eine mit ihr verbunden Enteignung nicht nur - wie jede Enteignung - im Sinne des Art.14 Abs.3 Satz 1 GG zum Wohle der Allgemeinheit erforderlich ist, sondern auch triftige Gründe für die Annahme bestehen, daß die Durchführung einer behördlichen Planfeststellung mit erheblichen Nachteilen für das Gemeinwohl verbunden wäre, denen nur durch eine gesetzliche Regelung begegnet werden kann. | |
c) Bei einer Planungsentscheidung der vorliegenden Art ist dem Gesetzgeber eine Gestaltungsbefugnis und damit die Kompetenz eingeräumt, die erforderliche Abwägung der verschiedenen Belange selbst vorzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht kann nicht seine eigene Abwägung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen; es hat nur zu prüfen, ob sich diese in den verfassungsrechtlich vorgezeichneten Grenzen hält. Hierfür ist maßgebend, daß der Gesetzgeber sich davon hat leiten lassen, den für die Regelung erheblichen Sachverhalt zutreffend und vollständig zu ermitteln, anhand dieses Sachverhalts alle sachlich beteiligten Belange und Interessen der Entscheidung zugrunde zu legen sowie umfassend und in nachvollziehbarer Weise gegeneinander abzuwägen. Das Gebot, den für die beabsichtigte Planung erheblichen Sachverhalt zutreffend und vollständig zu ermitteln, umfaßt insbesondere die Pflicht des Gesetzgebers, die individuell betroffenen Grundstückseigentümer und Gemeinden anzuhören (vgl BVerfGE_50,195 <202 f>; BVerfGE_56,298 <319 ff>; BVerfGE_76,107 <122>; BVerfGE_86,90 <107 f>). Auf der Grundlage eines in dieser Weise ermittelten Sachverhalts und der Gegenüberstellung der daraus folgenden verschiedenen - oft gegenläufigen - Belange ist der Gesetzgeber befugt, sich letztlich für die Bevorzugung eines Belangs (oder mehrerer Belange) und damit zugleich für die Zurückstellung aller anderen betroffenen Gesichtspunkte zu entscheiden. Soweit Ziele, Wertungen und Prognosen in Rede stehen, hat das Bundesverfassungsgericht seine Nachprüfungen darauf zu beschränken, ob diese Einschätzungen und Entscheidungen offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder ob sie den Prinzipien der verfassungsrechtlichen Ordnung widersprechen (vgl BVerfGE_76,107 <121 f>; BVerfGE_86,90 >108 f>; vgl ebenso BVerwGE_67,74 <75 f>; BVerfGE_72,15 <25 f>). | |
d) Das vorliegende Gesetz genügt den unter b) und c) dargelegten Anforderungen. | |
aa) Der Gesetzgeber kann sich auf triftige Gründe stützen, welche die mit der Planfeststellung verbundene Legalenteignung rechtfertigen. Die Wiedervereinigung hat eine außergewöhnliche Situation geschaffen. Zum Aufbau der Wirtschaft in den neuen Ländern war und ist der unverzügliche Aufbau der Verkehrsinfrastruktur unabdingbar. Wenn der Gesetzgeber bei dieser Sachlage zu der Einschätzung gekommen ist, daß eine schnellstmögliche Fertigstellung der Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover- Berlin die Planfeststellung durch Gesetz für den Streckenabschnitt "Südumfahrung Stendal" erforderte, so ist das von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Die bei einer behördlichen Planfeststellung vorausgesehene deutliche Verzögerung hätte angesichts der herausragenden Bedeutung des Vorhabens für die Stärkung der Wirtschaft in den neuen Ländern einen erheblichen Nachteil für das Gemeinwohl dargestellt. | |
bb) Der Gesetzgeber ließ sich davon leiten, den Sachverhalt zutreffend und vollständig zu ermitteln. | |
Der Gesetzgeber hat sich die unter Beteiligung der betroffenen Bürger und Gemeinden ermittelten Ergebnisse des Raumordnungsverfahrens und der Untersuchungen der Planungsgesellschaft zu eigen gemacht und zusätzliche Ermittlungen durch seine Ausschüsse angestellt. | |
Die von der Planung betroffenen Bürger und Gemeinden hatten bereits im Raumordnungsverfahren mehrfach Gelegenheit, zu dem Bau der geplanten Hochgeschwindigkeitsstrecke Stellung zu nehmen (vgl Anlageband I zum Gesetz, Erläuterungsbericht, Teil II, Punkt 1.3, Durchführung und Ergebnis des Raumordnungsverfahrens, S.67 f). Auch im anschließenden Planabstimmungsverfahren durch die Planungsgesellschaft konnten die betroffenen Grundstückseigentümer und Gemeinden bis zum 20.Dezember 1991 Einwendungen gegen den Bau der "Südumfahrung Stendal" erheben (vgl Anlageband I zum Gesetz, Erläuterungsbericht, Teil I, Punkt 1., Verfahrensgang, S.14 f). Sogar verspätete Stellungnahmen wurden bis zum 21.Februar 1992 berücksichtigt; sie sind in die Planunterlagen eingegangen (vgl aaO, Punkt 2., Stellungnahmen, S.16 ff, insbesondere S.42). | |
Weiterhin informierten sich die Berichterstatter der an dem Gesetzgebungsverfahren mitwirkenden Bundestagsausschüsse am 7.Dezember 1992 in Stendal und Umgebung durch Gespräche und Besichtigungen über Einzelheiten des Verkehrsprojekts. Am 10.Februar 1993 führte der Ausschuß für Verkehr sodann unter Beteiligung der mitberatenden Ausschüsse eine öffentliche mündliche Anhörung zu der Frage durch, ob und unter welchen Voraussetzungen die Form eines Gesetzes für die konkrete Festlegung der Trassenführung für einen Abschnitt anstelle eines ansonsten üblichen Planfeststellungsverfahrens rechtlich zulässig sowie tatsächlich zweckmäßig sei (vgl Wortprotokoll der 39.Sitzung des Ausschusses für Verkehr vom 10.Februar 1993, 12.Wahlperiode, Ausschuß für Verkehr - 744 - 2450 -; und Ausschuß für Verkehr, Ausschußdrucks 380/6). Die Stadt Stendal hat hierzu sowohl vorab schriftlich als auch in der öffentlichen Anhörung durch ihren Bürgermeister Stellung genommen. | |
Darüber hinaus gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber seine Pflicht, die Ermittlungen vollständig und zuverlässig durchzuführen, verletzt hat. Dies gilt auch für die Bewertung des Zusammenspiels der Hochgeschwindigkeitsstrecke mit anderen Bahn- und Straßenprojekten (vgl hierzu die Zusammenstellung in der landesplanerischen Beurteilung des Ministeriums für Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen des Landes Sachsen-Anhalt vom 16.Juli 1991, BTDrucks 12/3477, Anlage 1 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, S.690, 701). | |
cc) Das Gesetz stützt sich auf eine umfassende und nachvollziehbare Abwägung aller in Rede stehenden Belange. | |
In das Gesetzgebungsverfahren wurden die Ergebnisse des Raumordnungsverfahrens sowie die Stellungnahmen und Einwendungen einbezogen, welche die Träger öffentlicher Belange, die beteiligten Gemeinden und die betroffenen Bürger gegenüber der Planungsgesellschaft abgegeben hatten (vgl Anlageband I zum Gesetz, Erläuterungsbericht, Teil I, Punkt 2., Stellungnahmen, S.16 ff und Punkt 3., Niederschriften über Informationsveranstaltungen, S.48 ff; vgl. ebenso Teil II, Punkt 1.3, Durchführung und Ergebnis des Raumordnungsverfahrens, S.67 f.). Schließlich war Gegenstand der Beschlußfassung im Bundestag auch die ergänzende Sachverhaltsermittlung durch den Ausschuß für Verkehr (vgl BTDrucks 12/5126, S.4 ff; ebenso Ausschuß für Verkehr, Ausschußdrucks 340, 364 und 380). Mit der Beschlußfassung über den Gesetzentwurf hat der Gesetzgeber auf der Grundlage dieser Vorermittlungen mithin eine eigene Abwägung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange vorgenommen. | |
dd) Hiernach rechtfertigt sich im Blick auf Art.14 GG das Ergebnis der Entscheidung über die konkrete Trassierung der Strecke aus triftigen Gründen des Allgemeinwohls. Die Einschätzungen und Wertungen des Gesetzgebers sind weder offensichtlich fehlerhaft noch eindeutig widerlegbar oder mit den Prinzipien der verfassungsrechtlichen Ordnung unvereinbar. Ebensowenig gibt es Anhaltspunkte dafür, daß der Eingriff in den Bestand der Eigentumsverhältnisse im Einzelfall unverhältnismäßig ausgefallen ist. | |
2. Das Gesetz verstößt nicht gegen Art.19 Abs.1 Satz 1 GG. Art.14 Abs.3 Satz 2 GG gestattet dem Gesetzgeber unter bestimmten - hier gegebenen - Voraussetzungen (siehe oben B. III.1.), eine Enteignung, also den Entzug eines konkreten Eigentums, selbst anzuordnen, so daß er nicht unter allen Umständen darauf verwiesen ist, in einem allgemeinen Gesetz zunächst generell-abstrakt den Enteignungszweck festzulegen, die Verfolgung des Regelungsziels im weiteren aber der Administrativenteignung zu überlassen (vgl BVerfGE_24,367 <403>; BVerfGE_74,264 <297>). Schon diese ausdrückliche Regelung des Art.14 Abs.3 Satz 2 GG rechtfertigt Legalenteignungen und damit auch enteignungsrechtliche Vorwirkungen einer Legalplanung. | |
Auszug aus BVerfG B, 17.07.96, - 2_BvF_2/93 -, www.dfr, Abs.40 ff | |
§§§ | |
96.021 | Telefax-Rechtsmittel |
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LF: Wird durch ein Gericht der Übermittlungsweg für fristwahrende Schriftsätze per Telefax eröffnet, so dürfen die aus den technischen Gegebenheiten dieses Kommunikationsmittels herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden. Insbesondere gilt dies für das Risiko der Störung des gerichtsseitigen Empfangsgeräts. Von einem Anwalt, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingerichtet hat, einen Schriftsatz weder selbst noch durch Boten oder per Post, sondern durch Fax zu übermitteln, kann daher beim Scheitern der gewählten Übermittlung infolge eines Defekts des Empfangsgeräts oder wegen Leitungsstörungen nicht verlangt werden, daß er innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart sicherstellt. | |
§§§ | |
96.022 | Werkszeitung |
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Werkszeitungen genießen den Schutz der Pressefreiheit (Art.5 Abs.1 Satz 2 GG). | |
LB 2) Der Beschluß des Landesarbeitsgerichts ist am Grundrecht der Pressefreiheit und nicht an dem der Meinungsfreiheit zu messen. Die Parteien des Ausgangsverfahrens streiten nicht um die Zulässigkeit einer bestimmten Äußerung, die sich auch dann, wenn die Äußerung in einem Presseerzeugnis gefallen ist, nach Art.5 Abs.1 Satz 1 GG richtet (vgl BVerfGE_85,1 <12 f>). | |
LB 3) Die Pressefreiheit gehört nicht zu denjenigen Grundrechten, die ihrem Wesen nach nur natürlichen Personen zustehen können (vgl BVerfGE_21,271 <277 f>). | |
LB 4) Art.19 Abs.3 GG stellt hinsichtlich der Grundrechtsträgerschaft nicht auf den Zweck der juristischen Person, die das Grundrecht in Anspruch nimmt, sondern auf die Eigenart des Grundrechts ab. Dieses knüpft den Schutz aber nicht an die berufsmäßige oder vorwiegende Betätigung im Pressewesen, sondern allein an das Medium Presse an. | |
LB 5) Der Schutz der Pressefreiheit erstreckt sich auch auf das "Offen-Gesagt-Programm" als Bestandteil der Werkszeitung. Eine Unterscheidung zwischen geschützten und nicht geschützten Teilen einer Zeitung läßt Art.5 Abs.1 Satz 2 GG nicht erkennen. | |
LB 6) Das Grundrecht der Pressefreiheit schützt schließlich auch die Entscheidung, Zuschriften Dritter anonym zu veröffentlichen. Damit wird dem Grundsatz Rechnung getragen, daß sich die Freiheitsgarantie nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form der Publikation bezieht (vgl BVerfGE_60,234 <239 f>). | |
LB 7) Zur Form gehört es auch, ob die Veröffentlichung eines Beitrags mit oder ohne Autorenangabe erfolgt. Soweit die Anonymität den Zweck hat, Autoren vor Nachteilen zu bewahren und der Zeitung den Informationsfluß zu erhalten, fällt ins Gewicht, daß sich die Pressefreiheit auch auf das Redaktionsgeheimnis sowie das Vertrauensverhältnis zwischen Presse und Informant erstreckt (vgl BVerfGE_20,162 <176>). | |
LB 8) Ob es besondere arbeitsrechtliche Gründe geben kann, die Publikation anonymer Zuschriften in Werkszeitungen zu unterbinden, ist keine Frage des Schutzbereichs der Pressefreiheit, sondern ihrer Schranken. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ | |
96.023 | Unlautere Machenschaften |
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Die Auslegung des Vermögensgesetzes, daß zivilrechtliche Ansprüche ausgeschlossen sind, die auf eine unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs.3 dieses Gesetzes gestützt werden, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. | |
LB 2) Die Annahme des Bundesgerichtshofs, das Vermögensgesetz stehe der zivilrechtlichen Anfechtung von Grundstückskaufverträgen entgegen, die vom Eigentümer auf Druck staatlicher Stellen zum Zweck der Erlangung der Genehmigung zur Ausreise aus der Deutschen Demokratischen Republik abgeschlossen worden sind, verletzt nicht Verfassungsrecht. | |
LB 3) Die Ausnahme der Fälle redlichen Erwerbs vom Grundsatz der Restitution ist, soweit Vermögenswerte den früheren Eigentümern vor Erlaß des Vermögensgesetzes unanfechtbar entzogen waren, schon unabhängig von Art.143 Abs.3 GG von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Sie verstößt insbesondere nicht gegen Art.14 GG. | |
LB 4) Dabei kann davon ausgegangen werden, daß die Rückübertragungsansprüche nach dem Vermögensgesetz, die aus rechts- und sozialstaatlichen Gründen zum Zweck der Wiedergutmachung früheren, von einer anderen Staatsgewalt zu verantwortenden Unrechts eingeräumt worden sind (vgl BVerfGE_84,90 <126>), den Schutz des Art.14 Abs.1 GG genießen. | |
LB 5) Die konkrete Reichweite des verfassungsrechtlichen Schutzes ergibt sich jedoch erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums. Sie ist nach Art.14 Abs.1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers (vgl BVerfGE_50,290 <339 f>). | |
LB 6) Die Entscheidung, redlich erworbene Vermögenswerte von der Rückübertragung nach dem Vermögensgesetz auszuschließen, genügt diesen Anforderungen. | |
§§§ | |
96.024 | Nato-Betriebsvertretungen |
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Zur Mitwirkung der Betriebsvertretungen der Zivilbeschäftigten bei den in Deutschland stationierten NATO-Truppen an Personalentscheidungen. | |
LB 2) Gesetze, mit denen gemäß Art.59 Abs.2 GG einem völkerrechtlichen Vertrag zugestimmt wird, sind vom Bundesverfassungsgericht im Verfahren nach Art.100 Abs.1 GG überprüfbar (BVerfGE_29,348 <358>; BVerfGE_72,200 <238>) | |
LB 3) Die Zivilangestellten bei den ausländischen Stationierungskräften sind im Hinblick auf eine Beteiligung ihrer Vertretung bei Einstellungsentscheidungen gegenüber den Zivilangestellten der Bundeswehr benachteiligt, weil deren Vertretungen durch das Mitbestimmungsverfahren ein größerer Einfluß eingeräumt wird. | |
LB 4) Der Widerspruch zu Art.3 Abs.1 GG ist jedoch mit Rücksicht darauf hinzunehmen, daß die Bundesrepublik beim Aushandeln der Stationierungsverträge in ihrer Handlungsfreiheit beschränkt war und es ihr trotz fortlaufender Bemühungen nicht gelungen ist, die Beteiligungsrechte der Zivilangestellten bei den Stationierungskräften denen der Bundeswehr völlig anzugleichen. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
96.025 | Mietpreisbindung |
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Die in Art.4 Abs.2 des Wohnungsbindungsänderungsgesetzes (BGBl 1990 I S.934) angeordnete Rückwirkung verstößt bei verfassungskonformer Auslegung nicht gegen Art.14 Abs.1 GG. | |
LB 2) Auf Fälle, in denen vor dem Gesetzesbeschluß am 29.März 1990 geleistete Rückzahlungen bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Ablösung der Wohnungsbindung und zur Zahlung erhöhter Kostenmiete auf der Grundlage von § 28 WoBindG aF geführt hatten, ist Art.4 Abs.2 WoBindÄndG nicht anzuwenden. Das ergibt sich aus einer verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschrift. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ | |
96.026 | Kopierladen II |
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LF: Die gesetzliche Verpflichtung von Kopierläden, einer Verwertungsgesellschaft (hier: VG WORT) Auskunft über Art und Anzahl der Kopiergeräte zu geben, um die Inanspruchnahme zur urheberrechtlichen Betreibervergütung vorzubereiten, ist verfassungsgemäß. | |
LB 2) Der Kopierladeninhaber wird insbesondere nicht in seiner Berufsfreiheit (Art.12 Abs.1 GG) oder in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art.2 Abs.1 GG) verletzt. Die Pflicht zur Zahlung der Betreibervergütung nach § 54 Abs.2 Satz 2 UrhG aF ist verhältnismäßig. | |
§§§ | |
96.027 | Mauerschützen |
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1) a) Das Rückwirkungsverbot des Art.103 Abs.2 GG ist absolut und erfüllt seine rechtsstaatliche und grundrechtliche Gewährleistungsfunktion durch eine strikte Formalisierung. | |
2) Das strikte Rückwirkungsverbot des Art.103 Abs.2 GG findet seine rechtsstaatliche Rechtfertigung in der besonderen Vertrauensgrundlage, welche die Strafgesetze tragen, wenn sie von einem an die Grundrechte gebundenen demokratischen Gesetzgeber erlassen werden. | |
3) An einer solchen besonderen Vertrauensgrundlage fehlt es, wenn der Träger der Staatsmacht für den Bereich schwersten kriminellen Unrechts die Strafbarkeit durch Rechtfertigungsgründe ausschließt, indem er über die geschriebenen Normen hinaus zu solchem Unrecht auffordert, es begünstigt und so die in der Völkerrechtsgemeinschaft allgemein anerkannten Menschenrechte in schwerwiegender Weise mißachtet. Der strikte Schutz von Vertrauen durch Art.103 Abs.2 GG muß dann zurücktreten. | |
LB 4) Die DDR war im Sinne des Völkerrechts - unabhängig von ihrer völkerrechtlichen Anerkennung durch die Bundesrepublik Deutschland (vgl dazu BVerfGE_36,1 <22>) - ein Staat und als solcher Völkerrechtssubjekt. | |
LB 5) Deshalb können im Verhältnis zur DDR die allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art.25 GG herangezogen werden (vgl BVerfGE_36,1 <23 f>; BVerfGE_92,277 <320>). | |
LB 6) Unter diesen ist vorwiegend das universell geltende Völkergewohnheitsrecht zu verstehen, ergänzt durch anerkannte allgemeine Rechtsgrundsätze (vgl BVerfGE_15,25 <32 f, 34f>; BVerfGE_16,27 <33>; BVerfGE_23,288 <317>). | |
LB 7) Die Entstehung von universellem Völkergewohnheitsrecht erfordert zwar nicht, daß einem Völkerrechtssatz ausnahmslos alle Staaten ausdrücklich oder durch konkludente Handlung zugestimmt haben. Dieses Völkergewohnheitsrecht muß aber auf einer allgemeinen, gefestigten Übung zahlreicher Staaten beruhen, der die Rechtsüberzeugung zugrunde liegt, daß dieses Verhalten Rechtens sei (vgl BVerfGE_92,277 <320>). | |
§§§ | |
96.028 | Eingliederungsprinzip |
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Die Regelung des § 1317 RVO, nach der Berechtigte mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik und später im Beitrittsgebiet keine Rentenleistungen westdeutscher Versicherungsträger erhielten (Eingliederungsprinzip), war mit dem Grundgesetz auch insoweit vereinbar, als sie Ausländer betraf (Weiterführung von BVerfGE_28,104 und BVerfGE_71,66). | |
LB 2) § 1317 RVO verletzt weder Art.3 Abs.1 noch Art.14 Abs.1 GG. | |
* * * | |
Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
96.029 | Deutsches Sportfensehen - DSF |
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LB 1) Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt, daß ein Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinn hinaus auch alle sonstigen prozessualen Möglichkeiten ergreift, die eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzungen versprechen (vgl BVerfGE_86,15 <22>; stRspr). | |
LB 2) Zwar ist gegen die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs kein Rechtsweg eröffnet. Auch kann die Beschwerdeführerin nicht auf den - noch nicht abgeschlossenen - Rechtsweg der verwaltungsgerichtlichen Hauptsache verwiesen werden, weil sich dort die Grundrechtsverletzungen, die die Beschwerdeführerin gerade in der Verhinderung von Eilrechtsschutz durch den Bayerischen Verfassungsgerichtshof erblickt, nicht beheben lassen. | |
LB 3) Die Beschwerdeführerin hat aber die Möglichkeit, Eilrechtsschutz beim Bundesverwaltungsgericht zu erlangen, bei dem sich die Hauptsache derzeit befindet. Die angegriffene Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, die sich ausschlielich auf die Bayerische Verfassung stützen kann, steht dem nicht entgegen. Sie würde sich durch eine antragsgemäße Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erledigen. | |
LB 4) Ein Verweis auf diese Rechtsschutzmöglichkeit ist der Beschwerdeführerin auch zumutbar (vgl BVerfGE_79,275 <279>). | |
LB 5) Es ist auch nicht ersichtlich, daß das Gebot der Vielfaltsicherung durch neuere Entwicklungen an Gewicht verlieren könnte. Vielmehr machen die im Vergleich zu den Printmedien fortgeschrittene und weiter fortschreitende horizontale Verflechtung auf dem Fernsehmarkt, die vertikale Verflechtung von Rundfunkveranstaltern mit Produktionsfirmen, Inhabern von Film- und Sportübertragungsrechten und Eigentümern von (Programm-)Zeitschriften sowie die Privatisierung der Übertragungswege eine Berücksichtigung nach wie vor dringlich. | |
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1995 | RS-BVerfG - 1995 | 1997 [ ] |
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