1969  
  1968                   1970 [ ‹ ]
69.001 Verfassungsfeindliche Äußerung

  1. BVerfG,     B, 14.01.69,     – 1_BvR_176/66 –

  2. BVerfGE_25,69 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.5 Abs.1, GG_Art.21 Abs.3; StGB_§_90a, StGB_§_100d Abs.2

 

Art.5 Abs.1 GG steht der Bestrafung wegen an sich nicht verfassungsfeindlicher Äußerungen im Rahmen der mitgliedschaftlichen Tätigkeit in einer verbotenen Partei oder einer ihrer Ersatzorganisationen nicht entgegen.

 

LB 2) Der Bundesgerichtshof hat bei der Bestrafung des Beschwerdeführers wegen seiner "legalen" Propagandatätigkeit seit Juli 1964 nach § 90a Abs.1 und 3 StGB idF des VereinsG die Ausstrahlungswirkung des Art.5 Abs.1 Satz 1 und Satz 2 GG nicht verkannt.

§§§

69.002 Parteiverbote-Durchsetzung

  1. BVerfG,     B, 14.01.69,     – 1_BvR_553/64 –

  2. BVerfGE_25,44 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.5 Abs.1, GG_Art.18, GG_Art.21 Abs.2; BVerfGG_§_42, BVerfGG_§_47

 

1) Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes ist nicht verletzt, wenn ein nicht als Mitglied einer verbotenen Partei Handelnder nach §§ 42, 47 BVerfGG wegen Meinungsäußerungen bestraft wird, die unmittelbar den organisatorischen Zusammenhalt der verbotenen Partei unterstützen. Die Beschränkung der Meinungsfreiheit eines Außenstehenden ist jedoch nicht schon deshalb zulässig, weil er Ansichten gleichen Inhalts wie die verbotene Partei vertritt und sie damit fördern will.

 

2) Art.18 des Grundgesetzes dient der Bekämpfung individueller verfassungsfeindlicher Tätigkeit. Er steht Normen nicht entgegen, die Handlungen des Einzelnen wegen ihres Bezugs auf eine nach Art.21 Abs.2 GG verbotene Organisation unter Strafe stellen.

§§§

69.003 Niedersächsisches Deichgesetz

  1. BVerfG,     B, 15.01.69,     – 1_BvL_3/66 –

  2. BVerfGE_25,112 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.14 Abs.1 S.2, GG_Art.14 Abs.3 S.2; (Ns) NDG_§_14 Abs.1 S.1

 

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber die Bebauung eines Deichgrundstücks verbieten darf.

 

LB 2) Das Bauverbot des § 14 Abs.1 Satz 1 NDG ist eine zulässige Inhaltsbestimmung des Eigentums im Sinne des Art.14 Abs.1 Satz 2 GG.

 

LB 3) Der Gesetzgeber steht bei der Erfüllung des ihm in Art.14 Abs.1 Satz 2 GG erteilten Auftrages, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, vor der Aufgabe, den Freiheitsraum des Einzelnen im Bereich der Eigentumsordnung und die Belange der Allgemeinheit in einen gerechten Ausgleich zu bringen.

 

LB 4) Hierzu hat das Grundgesetz selbst in Art.14 Abs.2 GG dem Gesetzgeber ausdrücklich eine verbindliche Richtschnur gegeben ( BVerfGE_21,73 <83>). Er muß bei der Regelung des Eigentumsinhalts das Wohl der Allgemeinheit beachten und die Befugnisse und Pflichten des Eigentümers am Sozialstaatsprinzip orientieren. Das gilt -- wie in der vorgenannten Entscheidung ausgeführt ist -- vor allem bei Vorschriften, die den Grund und Boden betreffen.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 14 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 14 Absatz 2 Satz 2 des Niedersächsischen Deichgesetzes vom 1.März 1963 (Nieders GVBl.S.81) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

§§§

69.004 Beamtenwitwe

  1. BVerfG,     B, 21.01.69,     – 2_BvL_11/64 –

  2. BVerfGE_25,142 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.33 Abs.5; (Nw) LBG_§_173 Abs.4; BBG_§_164 Abs.3

 

Ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums, daß einer Beamtenwitwe nach Auflösung einer späteren Ehe Witwengeld ohne Anrechnung von Renten aus dieser späteren Ehe zusteht, besteht nicht.

 

LB 2) § 173 Abs.4 LBG (NW) verstößt nicht gegen Art.33 Abs.5 GG.

 

LB 3) Ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums, daß einer Witwe nach Auflösung einer weiteren Ehe Witwengeld ohne Anrechnung von Renten zusteht, kann schon deswegen nicht bestehen, weil es "während eines längeren, Tradition bildenden Zeitraums, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar" ( BVerfGE_8,332 ), überhaupt kein Recht auf das Wiederaufleben von Witwengeld gab, sondern in der Weimarer Zeit lediglich "Gnadenzuwendungen" unter bestimmten Voraussetzungen eingeführt wurden, die nur "bei Bedürftigkeit" gewährt wurden, nachdem "die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin klarzulegen" waren.

 

LB 4) Auch der Grundsatz der Alimentationspflicht des öffentlichrechtlichen Dienstherrn gegenüber seinen Beamten und deren Hinterbliebenen ist hier ohne Bedeutung, da sich diese Pflicht nur auf die Angehörigen der Beamtenfamilie im engeren Sinne erstreckt (BVerfGE_21,329 <347 f>).

 

LB 5) Die Beamtenwitwe tritt mit der Wiederheirat in einen anderen Familienverband ein und scheidet damit aus dem Kreis derer aus, für die dem Dienstherrn die Fürsorgepflicht obliegt (vgl RGZ_151,187 <190>).

 

LB 6) Das Wiederaufleben des Witwengeldes nach Auflösung der neuen Ehe folgt nicht aus einem Grundsatz des Beamtenversorgungsrechts, sondern hat familienpolitische Gründe.

 

LB 7) § 173 Abs.4 LBG 1962 ist mit § 88 Abs.3 BRRG 1961 vereinbar.

 

LB 8) § 88 Abs.3 BRRG 1961 verfolgt mit dem Wiederaufleben des Anspruchs auf das Witwengeld für den Fall, daß die neue Ehe aufgelöst wird, den Zweck, es der Witwe zu erleichtern, die neue Ehe einzugehen; der Witwe soll die Befürchtung genommen werden, daß sie bei einer Beendigung der neuen Ehe unversorgt sein würde.

 

LB 9) Die Entstehungsgeschichte des Beamtenrechtsrahmengesetzes bestätigt, daß der "Versorgungsanspruch" des § 88 Abs.3 BRRG 1961 dem erweiterten Begriff der Versorgungsbezüge in § 85 BRRG 1961 entspricht, und zeigt zugleich, was unter einer "ähnlichen Versorgung" zu verstehen ist.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 173 Absatz 4 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Juni 1962 (GVBl. S. 271) ist auch nach dem 31.Dezember 1963 mit dem Bundesrecht vereinbar, soweit danach ein von der Witwe infolge Auflösung einer späteren Ehe erworbener Rentenanspruch aus einer gesetzlichen Rentenversicherung auf das Witwengeld aus einer früheren Ehe anzurechnen ist.

§§§

69.005 Nichtehelichkeit

  1. BVerfG,     B, 29.01.69,     – 1_BvR_26/66 –

  2. BVerfGE_25,167 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.6 Abs.1, GG_Art.6 Abs.5

 

1) Erfüllt der Gesetzgeber den ihm von der Verfassung in Art.6 Abs.5 GG erteilten Auftrag zur Reform des Unehelichenrechts auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts nicht bis zum Ende der laufenden (5.) Legislaturperiode des Bundestages, so ist der Wille der Verfassung soweit wie möglich von der Rechtsprechung zu verwirklichen. Die Verfassungsnorm erlangt insoweit derogierende Kraft gegenüber entgegenstehendem einfachen Recht.

 

2) Art.6 Abs.5 GG gewährt ein Grundrecht, das als eine besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes anzusehen ist.

 

3) Zwischen Art.6 Abs.1 GG und Art.6 Abs.5 GG besteht keine Antinomie.

 

4) Es ist mit Art.6 Abs.5 GG nicht vereinbar, auf den Anspruch des unehelichen Kindes nach § 1712 BGB eine Waisenrente aus der Sozialversicherung anzurechnen, die dem Kind wegen des Todes seines Vaters gewährt wird.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Das Urteil des Landgerichts Kiel vom 16. Dezember 1965 - 3 S.65/65 - verletzt Artikel 6 Absatz 5 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Kiel zurückverwiesen.

§§§

69.006 Blinkfüer

  1. BVerfG,     B, 26.02.69,     – 1_BvR_619/63 –

  2. BVerfGE_25,256 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.5 Abs.1

 

Eine auf politischen Motiven beruhende Aufforderung zum Boykott eines Presseunternehmens, der vornehmlich mit wirtschaftlichen Machtmitteln durchgesetzt werden soll, ist nicht durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung geschützt und verstößt gegen das Grundrecht der Pressefreiheit.

Abs.24

LB 2) Ein Boykottaufruf, dem eine bestimmte Meinungskundgabe zugrunde liegt, ist durch Art.5 Abs.1 Satz 1 GG insbesondere dann geschützt, wenn er als Mittel des geistigen Meinungskampfes in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage eingesetzt wird, wenn ihm also keine private Auseinandersetzung, sondern die Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit zugrunde liegt ( BVerfGE_7,198 <212>).

Abs.24

LB 3) Die Aufforderung zu einem Boykott kann selbst dann im Schutzbereich des Art.5 Abs.1 GG liegen, wenn der Verrufer zu dem Boykottierten in einem beruflichen, gewerblichen oder sonstigen geschäftlichen Konkurrenzverhältnis steht, weil diese Situation eine geistige Auseinandersetzung an sich noch nicht ausschließt.

Abs.25

LB 4) Ein Boykottaufruf wird durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung dann nicht geschützt, wenn er nicht nur auf geistige Argumente gestützt wird, sich also auf die Überzeugungskraft von Darlegungen, Erklärungen und Erwägungen beschränkt, sondern darüber hinaus sich solcher Mittel bedient, die den Angesprochenen die Möglichkeit nehmen, ihre Entscheidung in voller innerer Freiheit und ohne wirtschaftlichen Druck zu treffen. Dazu gehören insbesondere Androhung oder Ankündigung schwerer Nachteile und Ausnutzung sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit, wenn dies dem Boykottaufruf besonderen Nachdruck verleihen soll.

 

LB 5) Die Mittel, die die Beklagten zur Durchsetzung des Boykottaufrufs angewandt haben, stehen mit dem Grundrecht aus Art.5 Abs.1 Satz 1 GG nicht in Einklang.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Juli 1963 - I b ZR 214/62 - verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben; die Sache wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

* * *

T-69-01Baykottaufruf

24

"Ein Boykottaufruf, dem eine bestimmte Meinungskundgabe zugrunde liegt, ist durch Art.5 Abs.1 Satz 1 GG insbesondere dann geschützt, wenn er als Mittel des geistigen Meinungskampfes in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage eingesetzt wird, wenn ihm also keine private Auseinandersetzung, sondern die Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit zugrunde liegt (BVerfGE_7,198 <212>). Die Aufforderung zu einem Boykott kann selbst dann im Schutzbereich des Art.5 Abs.1 GG liegen, wenn der Verrufer zu dem Boykottierten in einem beruflichen, gewerblichen oder sonstigen geschäftlichen Konkurrenzverhältnis steht, weil diese Situation eine geistige Auseinandersetzung an sich noch nicht ausschließt. Besitzt der Verrufer eine gewisse wirtschaftliche Machtstellung, so kann seiner Meinungsäußerung und dem ihr dienenden Boykottaufruf schon aus diesem Grunde zwar ein bedeutendes Gewicht zukommen. Diese wirtschaftliche Ungleichheit der Positionen allein macht aber die Aufforderung zum Boykott noch nicht unzulässig, weil es nach der Verfassung auch dem wirtschaftlich Stärkeren nicht verwehrt ist, einen geistigen Meinungs kampf zu führen.

25

Jedoch müssen die Mittel, deren sich der Verrufer zur Durchsetzung der Boykottaufforderung bedient, verfassungsrechtlich zu billigen sein. Ein Boykottaufruf wird durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung dann nicht geschützt, wenn er nicht BVerfGE_25,256 (264) nur auf geistige Argumente gestützt wird, sich also auf die Überzeugungskraft von Darlegungen, Erklärungen und Erwägungen beschränkt, sondern darüber hinaus sich solcher Mittel bedient, die den Angesprochenen die Möglichkeit nehmen, ihre Entscheidung in voller innerer Freiheit und ohne wirtschaftlichen Druck zu treffen. Dazu gehören insbesondere Androhung oder Ankündigung schwerer Nachteile und Ausnutzung sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit, wenn dies dem Boykottaufruf besonderen Nachdruck verleihen soll. Die Freiheit der geistigen Auseinandersetzung ist eine unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren der freiheitlichen Demokratie , weil nur sie die öffentliche Diskussion über Gegenstände von allgemeinem Interesse und staatspolitischer Bedeutung gewährleistet (vgl BVerfGE_5,85 <205>; BVerfGE_7,198 <212, 219>; BVerfGE_20,162 <174 ff.>). Die Ausübung wirtschaftlichen Druckes, der für den Betroffenen schwere Nachteile bewirkt und das Ziel verfolgt, die verfass ungsrechtlich gewährleistete Verbreitung von Meinungen und Nachrichten zu verhin dern, verletzt die Gleichheit der Chancen beim Prozeß der Meinungsbildung. Sie widerspricht auch dem Sinn und dem Wesen des Grundrechts der freien Meinungsäußerung, das den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisten soll."

 

Auszug aus BVerfG B, 26.02.69, - 1_BvR_619/63 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.24 f

§§§

69.007 Verfolgungsverjährung

  1. BVerfG,     B, 26.02.69,     – 2_BvL_15/68 –

  2. BVerfGE_25,269 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.103 Abs.2, GG_Art.3 Abs.1

 

1) Art.103 Abs.2 GG bestimmt die Voraussetzungen, unter denen ein Verhalten für strafbar erklärt werden kann. Er verbietet sowohl die rückwirkende Strafbegründung wie die rückwirkende Strafverschärfung.

 

2) Verjährungsvorschriften regeln, wie lange eine für strafbar erklärte Tat verfolgt werden soll. Sie lassen die Strafbarkeit der Tat unberührt. Verjährungsvorschriften unterliegen daher nicht dem Rückwirkungsverbot des Art.103 Abs.2 GG.

 

3) Die Verlängerung oder Aufhebung noch nicht abgelaufener Verjährungsfristen verstößt jedenfalls bei Verbrechen, die mit lebenslangem Zuchthaus bedroht sind, weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen den Gleichheitssatz.

 

LB 4) § 1 I des Berechnungsgesetzes schiebt den Ablauf der Verjährungsfristen für die von dem Gesetz erfaßten Straftaten bis spätestens zum 31.Dezember 1969 hinaus und wirkt sich damit im Ergebnis als eine Verlängerung der laufenden Verjährungsfristen aus.

 

LB 5) Die durch das Berechnungsgesetz bewirkte Verlängerung der Verjährungsfristen für die Verfolgung von Verbrechen, die mit lebenslangem Zuchthaus bedroht sind, verstößt nicht gegen Art.103 II GG.

 

LB 6) Verjährungsvorschriften regeln, wie lange eine für strafbar erklärte Tat verfolgt werden soll. Da sie lediglich die Verfolgbarkeit betreffen, die Strafbarkeit hingegen unberührt lassen, fallen sie aus dem Geltungsbereich des Art.103 II GG heraus; eine Verlängerung oder Aufhebung von Verjährungsfristen kann deshalb nicht gegen diesen Verfassungssatz verstoßen (ebenso schon BVerfGE_1,418 <423>).

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 1 Absatz 1 des Gesetzes über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 13.April 1965 (Bundesgesetzbl.I S.315) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

§§§

69.008 Geib/Stern

  1. BVerfG,     B, 11.03.69,     – 1_BvR_665/62 –

  2. BVerfGE_25,296 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.5 Abs.1 S.2; StPO_§_70

T-69-02

Über die Grenzen der Pressefreiheit bei der Beschaffung von Informationen durch strafbare Handlungen.

Abs.25

LB 2) Die verhängte Ordnungsstrafe und die Auferlegung der Kosten sind ausschließlich Rechtsfolgen der damaligen Weigerung des Beschwerdeführers, die ihm gestellten Fragen zu beantworten. Daß der Beschwerdeführer in einem späteren Zeitpunkt möglicherweise dazu nicht mehr verpflichtet gewesen wäre, ist für seine Aussagepflicht im Jahre 1962 ohne Bedeutung.

Abs.27

LB 3) Bei dem klaren Wortlaut des Gesetzes ist es nicht möglich, im Wege verfassungskonformer Auslegung den § 53 Abs.1 Nr.5 StPO auch auf Fälle anzuwenden, in denen sich die verlangte Aussage auf Informanten nicht strafbarer Veröffentlichungen oder auf den Informationsweg und die dafür aufgewendeten Mittel beziehen soll.

 

LB 4) Da aber die Vorschrift, die als solche mit Art.5 Abs.1 1 Satz 2 GG vereinbar ist, keine erschöpfende Regelung enthält ( BVerfGE_20,162 <189>), könnte ein dem Umfang nach noch näher zu bestimmendes Zeugnisverweigerungsrecht für Presseangehörige unter Umständen unmittelbar aus Art.5 Abs.1 Satz 2 GG hergeleitet werden; es würde dann als "gesetzlicher Grund" im Sinne des § 70 StPO von der Pflicht zur Aussage befreien.

Abs.28

LB 5) Ob die Pressefreiheit eine derartige Ausnahme vom Aussagezwang rechtfertigt und ob das Bundesverfassungsgericht mit seiner Feststellung und Anwendung für den Einzelfall nicht in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eingreifen würde, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn die vom Beschwerdeführer verlangten Aussagen über die Zahlung von Vergütungen oder anderen Beträgen an die Beamten, welche die Zusammenkunft zwischen Reportern und Untersuchungshäftlingen vermittelt hatten, liegen außerhalb des Rahmens eines denkbaren verfassungsrechtlich gebotenen Aussageverweigerungsrechts.

* * *

T-69-02Zu den Grenzen der Pressefreiheit

25

Denn die verhängte Ordnungsstrafe und die Auferlegung der Kosten sind ausschließlich Rechtsfolgen der damaligen Weigerung des Beschwerdeführers, die ihm gestellten Fragen zu beantworten. Daß der Beschwerdeführer in einem späteren Zeitpunkt möglicherweise dazu nicht mehr verpflichtet gewesen wäre, ist für seine Aussagepflicht im Jahre 1962 ohne Bedeutung.

26

Die auf § 70 StPO gestützte Verurteilung könnte mit Rücksicht auf die Pressefreiheit beanstandet werden, wenn die angefochtenen Beschlüsse die Wirkungen dieses Grundrechts auf die Auslegung der allgemeinen Bestimmungen über Zeugnispflicht und Ausnahmen davon verkannt oder ein etwa unmittelbar aus Art.5 Abs.1 Satz 2 GG zu entnehmendes Aussageverweigerungsrecht nicht beachtet hätten.

27

In der Strafprozeßordnung ist ein Aussageverweigerungsrecht der Presseangehörigen für Fälle der vorliegenden Art nicht ausdrücklich vorgesehen. § 53 Abs.1 Nr.5 StPO gewährt nach seinem Wortlaut und nach seiner Entstehungsgeschichte ein solches Recht nur im Falle einer Presseveröffentlichung strafbaren Inhalts, dh eines sogenannten Presseinhaltsdelikts. Diese Voraussetzung liegt bei den Berichten über die Straftaten der Einbrecherbanden nicht vor. Bei dem klaren Wortlaut des Gesetzes ist es nicht möglich, im Wege verfassungskonformer Auslegung den § 53 Abs.1 Nr.5 StPO auch auf Fälle anzuwenden, in denen sich die verlangte Aussage auf Informanten nicht strafbarer Veröffentlichungen oder auf den Informationsweg und die dafür aufgewendeten Mittel beziehen soll. Da aber die Vorschrift, die als solche mit Art.5 Abs.1 Satz 2 GG vereinbar ist, keine erschöpfende Regelung enthält ( BVerfGE_20,162 <189>), könnte ein dem Umfang nach noch näher zu bestimmendes Zeugnisverweigerungsrecht für Presseangehörige unter Umständen unmittelbar aus Art.5 Abs.1 Satz 2 GG hergeleitet werden; es würde dann als "gesetzlicher Grund" im Sinne des § 70 StPO von der Pflicht zur Aussage befreien.

28

b) Ob die Pressefreiheit eine derartige Ausnahme vom Aussagezwang rechtfertigt und ob das Bundesverfassungsgericht mit seiner Feststellung und Anwendung für den Einzelfall nicht in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eingreifen würde, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn die vom Beschwerdeführer verlangten Aussagen über die Zahlung von Vergütungen oder anderen Beträgen an die Beamten, welche die Zusammenkunft zwischen Reportern und Untersuchungshäftlingen vermittelt hatten, liegen außerhalb des Rahmens eines denkbaren verfassungsrechtlich gebotenen Aussageverweigerungsrechts.

29

Der Beschwerdeführer stützt seine Verfassungsbeschwerde im wesentlichen auf die Notwendigkeit des Informantenschutzes, da nur dadurch eine wesentliche Aufgabe der Presse -- Hinweise auf Mißstände in der öffentlichen Verwaltung -- erfüllt werden könne. Dem mag insofern zuzustimmen sein, als in der Tat bei der Aufdeckung wirklicher Mißstände das Informationsinteresse der Öffentlichkeit in der Regel höher sein wird als das Interesse der Behörde, Informationen nicht nach außen dringen zu lassen. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber nicht um die Geheimhaltung einer Informationsquelle, sondern um die Aufklärung über die Mittel, mit deren Hilfe die Reporter möglicherweise die Beamten veranlaßt hatten, die Untersuchungsgefangenen vorübergehend, jedoch ohne einen sich aus dem Ermittlungsverfahren selbst ergebenden Anlaß, der Untersuchungshaft zu entziehen. Informanten waren nur die Untersuchungsgefangenen; sie waren bereits bekannt und legten offensichtlich keinen Wert auf Geheimhaltung ihrer Urheberschaft an den Artikeln. Auch die Namen und die Mitwirkung der die Zusammenkünfte vermittelnden Beamten waren bekannt; aufzuklären blieb nur die Frage, ob ihnen Vorteile gewährt worden waren. In diesem Fall bestand der Verdacht, daß die Geheimhaltung nicht einem höheren, die Sauberkeit des öffentlichen Lebens fördernden Interesse dienen sollte, sondern dem Gegenteil, nämlich der Korruption und Bestechlichkeit. Gerade wenn die Bedeutung der Pressefreiheit für das öffentliche Leben ernstgenommen wird, ist in diesem Fall vom Grundgesetz her ein besonderes Zeugnisverweigerungsrecht der Presse nicht geboten. Die Pressefreiheit darf nicht allein vom Blickpunkt der Presseverleger gesehen und nicht als Privilegierung für jegliche der Nachrichtensammlung und -verbreitung dienende Handlung verstanden werden; vielmehr findet sie, auch bei Berücksichtigung der geschäftlichen Interessen der Presseunternehmen, ihre Grenze dort, wo sie auf andere gewichtige Interessen des freiheitlichen demokratischen Staates stößt und die Erfüllung der publizistischen Aufgabe der Presse nicht den Vorrang der Pressefreiheit erfordert. Ein wichtiges allgemeines Interesse dieser Art besteht insbesondere an der gerechten Ahndung schwerer Straftaten des öffentlichen Dienstes (vgl BVerfGE_20,162 <176 f; 186 ff>).

30

c) Ob der Verdacht auf Bestechung berechtigt war, kann das Bundesverfassungsgericht nicht in vollem Umfange nachprüfen, da Feststellungen darüber in erster Linie Sache der ordentlichen Gerichte und der Ermittlungsbehörden sind ( BVerfGE_1,418 <420>; BVerfGE_18,85 <92 f>; ständige Rechtsprechung). Willkür hinsichtlich der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts ist nicht ersichtlich. Nach den den angefochtenen Beschlüssen zugrunde liegenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft stand fest, daß die die Zusammenkünfte vermittelnden Beamten sich von den Reportern hatten bewirten lassen. Die Untersuchungshäftlinge hatten für ihre Informationen Honorare zwischen 1000.- und 3000.- DM erhalten; sie hatten außerdem angegeben, daß die Beamten sie zu den Gesprächen mit den Reportern geradezu gedrängt und ihnen sofortige Zahlung von 500.- DM aus Mitteln versprochen hätten, über die die Beamten angeblich sofort verfügen konnten. Gegen zwei der Beamten bestand der später gegen einen von ihnen bestätigte Verdacht, sich auch in anderen Fällen der Begünstigung im Amt, Gefangenenbefreiung und schweren passiven Bestechung schuldig gemacht zu haben. Als die Staatsanwaltschaft erste Ermittlungen bei der Beschwerdeführerin führen wollte, war diese durch die Ehefrau des einen kurz vorher zu den Vorwürfen vernommenen Beamten schon unterrichtet und lehnte jede Auskunft über geleistete Zahlungen ab. Wenn die Ermittlungsbehörde aus all diesen Anhaltspunkten den Schluß zog, daß ein Verdacht auf Annahme von Vorteilen durch die beschuldigten Beamten bestehe, so ist das offensichtlich nicht willkürlich. Auch im übrigen kann nicht festgestellt werden, daß die Strafverfolgungsbehörden Verfassungsgrundsätze oder Grundrechte verkannt haben.

31

d) Die Vereinbarkeit des Aussagezwanges für den Beschwerdeführer mit dem Grundrecht aus Art.5 Abs.1 Satz 2 GG widerspricht auch nicht dem Grundsatz, daß die Pressefreiheit für alle Presseveröffentlichungen ohne Rücksicht auf deren Wert gewährt wird. Eine Ausnahme vom allgemeinen Aussagezwang ist im vorliegenden Fall deshalb nicht begründet, weil die hier angewandte Art der Nachrichtenbeschaffung jedenfalls durch die spezifische Aufgabe der Presse nicht gefordert wird."

 

Auszug aus BVerfG B, 11.03.69, - 1_BvR_665/62 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.25 ff

§§§

69.009 Bundeshaushaltsplan

  1. BVerfG,     B, 18.03.69,     – 2_BvF_1/66 –

  2. BVerfGE_25,308 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.5 Abs.1 S.2; StPO_§_70

T-69-03

Das Verfahren wurde eingestellt, da der das Verfahren einleitende Antrag zurückgenommen wurde.

* * *

T-69-03Einstellung des Verfahrens

1

"Die Antragsteller - 193 Mitglieder des Bundestages - haben den Antrag, durch den das vorliegende Verfahren eingeleitet wurde, mit Schriftsatz vom 27. Januar 1969 zurückgenommen.

2

Das Verfahren ist einzustellen, da Gründe des öffentlichen Interesses für seine Fortführung nicht gegeben sind (vgl BVerfGE_8,183 <184>).

 

Auszug aus BVerfG B, 18.03.69, - 2_BvF_1/66 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.1 f

§§§

69.010 Gnadengesuch

  1. BVerfG,     B, 23.04.69,     – 2_BvR_552/63 –

  2. BVerfGE_25,352 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.19 Abs.4; BVerfGG_§_15 Abs.2 S.4, BVerfGG_§_60 Abs.2

 

Zur Frage der Justitiabilität von Gnadenentscheidungen (Art.19 Abs.4 GG)

 

LB 2) Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, daß die Ablehnung eines Gnadenerweises nach Art.19 Abs.4 GG der gerichtlichen Nachprüfung unterliege. Bei der Entscheidung dieser Frage ergab sich im Senat Stimmengleichheit. Infolgedessen kann gemäß 15 Abs.2 Satz 4 BVerfGG nicht festgestellt werden, daß der angefochtene Beschluß gegen Art.19 Abs.4 GG verstößt.

 

LB 3) Art.60 Abs.2 GG begründet demnach eine dem Amte des Trägers des Begnadigungsrechts eigene Befugnis, da helfend und korrigierend einzugreifen, wo die Möglichkeiten des Gerichtsverfahrens nicht genügen. Das hat zur Folge, daß der Gnadenakt - wie immer man ihn rechtlich auch charakterisieren mag, etwa als Verzicht, Befehl oder Dispens - in jedem Fall einen Eingriff der Exekutive in die rechtsprechende Gewalt bedeutet, wie er sonst dem Grundsatz der Gewaltenteilung fremd ist.

 

LB 4) Nach Auffassung der vier dissentierenden Richter eröffnet Art.19 Abs.4 GG den Rechtsweg gegen willkürliche Gnadenentscheidungen.

§§§

69.011 Lex Rheinstahl

  1. BVerfG,     U, 07.05.69,     – 2_BvL_15/67 –

  2. BVerfGE_25,371 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.19 Abs.1 S.1

 

1) Der Begriff des Maßnahmegesetzes ist verfassungsrechtlich irrelevant.

 

2) Einzelfallgesetze sind als solche nach dem Grundgesetz nicht schlechthin unzulässig. Ein über Art.19 Abs.1 Satz 1 GG hinausgreifendes Verbot von Einzelfallgesetzen läßt sich insbesondere nicht aus dem Rechtsstaatsprinzip herleiten. Dem Grundgesetz kann nicht entnommen werden, daß es - von Art.19 Abs.1 Satz 1 GG abgesehen - von einem Gesetzesbegriff ausgeht, der als Inhalt der Gesetze lediglich generelle Regelungen zuläßt. Mit der Regelung eines einzelnen Falles greift der Gesetzgeber nicht notwendig in die Funktionen ein, die die Verfassung der vollziehenden Gewalt oder der Rechtsprechung vorbehalten hat.

 

LB 3) Maßnahmegesetze sind aber als solche weder unzulässig noch unterliegen sie einer strengeren verfassungsrechtlichen Prüfung als andere Gesetze ( BVerfGE_4,7 <18 f>; BVerfGE_10,89 <108>; BVerfGE_15,126 <146 f>; BVerfGE_24,33 <52>). (Abs.86)

 

LB 4) Art.3 Abs.2 MitbestErgG iVm Art.1 ÄndG ist in der Auslegung des BVerfG mit dem Grundgesetz vereinbar. (Abs.87)

 

LB 5) Eine Norm hat den Charakter eines für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen geltenden generellen Rechtssatzes - und ist also kein Einzelfallgesetz -, wenn sich wegen der abstrakten Fassung des gesetzlichen Tatbestandes nicht genau übersehen läßt, auf wieviele und welche Fälle das Gesetz Anwendung findet ( BVerfGE_10,234 <242>), wenn also nicht nur ein einmaliger Eintritt der vorgesehenen Rechtsfolge möglich ist ( BVerfGE_13,225 <229>). (Abs.89)

 

LB 6) Liegt ein genereller Rechtssatz vor, so ist ohne Belang, ob ein Einzelfall den Anlaß zu der gesetzlichen Regelung gegeben hat (BVerfGE_13,225 <229>; BVerfGE_24,33 <52>). (Abs.89)

 

LB 7) Die Verlängerung des Beurteilungszeitraums von zwei auf fünf Jahre gilt für alle Unternehmen, für die schon § 16 aF MitbestErgG bedeutsam war oder hätte werden können. Dabei ist irrelevant, daß es sich um eine bestimmbare Gruppe herrschender Unternehmen handelt, da diese Gruppe von Unternehmen sachlich abgegrenzt und in sich gleichartigen Regelungen unterworfen ist (vgl BVerfGE_8,332 <361>). Der neue Beurteilungszeitraum gilt sowohl für den Wechsel von der qualifizierten Mitbestimmung zu der Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz als auch für den umgekehrten Fall. (Abs.90)

 

LB 8) Einzelfallgesetze sind als solche nach dem Grundgesetz nicht schlechthin, sondern lediglich nach Art.19 Abs.1 Satz 1 GG unzulässig. Soweit nach dem Grundgesetz ein Grundrecht oder ein grundrechtsähnliches Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. (95)

 

LB 9) Nur für die Einschränkung von Grundrechten verbietet also das Grundgesetz Einzelfallgesetze; außerhalb dieses Bereiches sind sie als solche weder unzulässig noch unterliegen sie einer strengeren verfassungsrechtlichen Prüfung als andere Gesetze. (Abs.97)

 

LB 10) Nach dem Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18.Dezember 1968 ( 1_BvR_638/64 ua S.42) dient Art.19 Abs.1 GG der Sicherung derjenigen Grundrechte, die auf Grund eines speziellen im Grundgesetz enthaltenen Vorbehalts durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden können; soweit ein solcher Vorbehalt bestehe, dürfe das Gesetz nicht nur für den Einzelfall gelten. Unter einem speziellen Gesetzesvorbehalt iS dieser Auffassung stehen jedoch die Art.2 Abs.1, 3 Abs.1 und 14 GG, mit denen das Änderungsgesetz unvereinbar sein könnte, nicht. (Abs.99)

 

LB 11) Es ist mit dem Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG vereinbar, daß nach dem Änderungsgesetz die Verlängerung des Beurteilungszeitraums von zwei auf fünf Jahre auch für herrschende Unternehmen wirksam wird, bei denen am 7. Mai 1967 die Voraussetzungen des § 3 MitbestErgG für die qualifizierte Mitbestimmung der Arbeitnehmer in zwei aufeinanderfolgenden, bereits abgelaufenen Geschäftsjahren nicht mehr vorgelegen hatten. (Abs.101)

* * *

Urteil

Entscheidungsformel:

Artikel 3 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 27.April 1967 (Bundesgesetzbl.I S.505) ist, soweit Artikel 3 Absatz 2 die Anwendung der neuen Fassung des § 16 Satz 2 des Mitbestimmungs-Ergänzungsgesetzes regelt, mit dem Grundgesetz vereinbar.

§§§

69.012 Grober Unfug

  1. BVerfG,     B, 14.05.69,     – 2_BvR_238/68 –

  2. BVerfGE_26,41 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.103 Abs.2; StGB_§_360 Abs.1 Nr.11

 

Die Strafbestimmung über den groben Unfug (§ 360 Abs.1 Nr.11 StGB) ist mit Art.103 Abs.2 GG vereinbar.

 

LB 2) Art.103 Abs.2 GG versagt verfassungskräftig sowohl die rückwirkende Anwendung neu geschaffener Straftatbestände als auch die Strafbegründung im Wege der Analogie oder des Gewohnheitsrechts. (Abs.9)

 

LB 3) Art.103 Abs.2 GG fordert darüber hinaus, daß die Strafbarkeit "gesetzlich bestimmt" ist. Jedermann soll vorhersehen können, welches Handeln mit welcher Strafe bedroht ist, und sein Verhalten entsprechend einrichten können (BVerfG, Beschluß vom 26.Februar 1969 - 2_BvL_15/68 und 23/68 - S.23 f. = BVerfGE_25,269 <285>). (Abs.10)

 

LB 4) Welchen Grad an gesetzlicher Bestimmtheit der einzelne Straftatbestand haben muß, läßt sich nicht allgemein sagen. Die erforderliche Gesetzesbestimmtheit hängt von der Besonderheit des jeweiligen Straftatbestandes und von den Umständen ab, die zu der gesetzlichen Regelung führen. Jedenfalls muß das Gesetz die Strafbarkeitsvoraussetzungen um so präziser bestimmen, je schwerer die angedrohte Strafe ist ( BVerfGE_14,245 <251>). (Abs.12)

 

LB 5) Der einzelne Bürger kann im allgemeinen, voraussehen, in welchen Fällen die Gerichte den § 360 Abs.1 Nr.11 (zweite Alternative) StGB anwenden werden. Der Wortlaut dieser Vorschrift läßt zwar eine weite Auslegung zu. Ihre Besonderheit besteht jedoch darin, daß sie zum überlieferten Bestand an Strafrechtsnormen gehört und durch eine jahrzehntelange gefestigte Rechtsprechung hinreichend präzisiert worden ist. (Abs.14)

§§§

69.013 Besoldungsgesetz

  1. BVerfG,     B, 04.06.69,     – 2_BvR_173/66 –

  2. BVerfGE_26,116 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.31, GG_Art.33 Abs.5; (Hb) BesG Abs.1 S.1

 

1) Ein zunächst mit der Verfassung vereinbares Besoldungsgesetz kann durch eine spätere, den Status und den Aufgabenbereich einzelner Gruppen von Bediensteten ändernde gesetzliche Regelung verfassungswidrig werden.

 

2) Für die Anpassung des Besoldungsrechts an eine neue, den Gerichtsaufbau und die Gerichtsverfassung betreffende Rechtslage muß dem Gesetzgeber eine gewisse Zeit zugestanden werden.

 

3) Die Besonderheit, daß die Finanzgerichte als obere Landesgerichte eine ausschließlich erstinstanzliche Zuständigkeit besitzen und das Amt des Finanzgerichtsrats eine "Eingangsstelle" sein kann, ist ein sachlich vertretbarer Grund, die Richter am Finanzgericht in einem relativ geringen Ausmaß besoldungsrechtlich niedriger einzustufen als die Richter an den anderen oberen Gerichten des Landes.

 

LB 4) Die von den Beschwerdeführern angegriffenen landesrechtlichen Besoldungsvorschriften sind nicht gemäß Art.31 GG im Hinblick auf die Bestimmungen der Finanzgerichtsordnung über Stellung und Verfassung der Finanzgerichte (§ 2 ff FGO) nichtig. (Abs.88)

 

LB 5) Art.31 GG ist eine Kollisionsnorm; sie bestimmt, welches "Recht" im Falle kollidierender Normsetzung des Bundes- und des Landesgesetzgebers gilt. Der für diesen Fall verfassungskräftig festgesetzte Vorrang des Bundesrechts mit der Folge der Nichtigkeit der entsprechenden Normen des Landesrechts greift nur dort durch, wo beide Gesetzgeber denselben Gegenstand, dieselbe Rechtsfrage geregelt haben. An dieser Voraussetzung fehlt es hier. (Abs.89)

 

LB 6) Aus Art.31 GG ließe sich ein verfassungsrechtlicher Einwand gegen die angegriffene landesbesoldungsrechtliche Regelung nur begründen, wenn der Bundesgesetzgeber besoldungsrechtliche Rahmenvorschriften (Art.98 Abs.3 Satz 2, 75 Abs.1 Nr.1, Abs.2, 3 GG) erlassen hätte, mit denen jene Regelung unvereinbar wäre. (Abs.89)

 

LB 7) Die Länder waren auch nicht in Rücksicht auf ihre Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten genötigt, die besoldungsrechtlichen Vorstellungen und Wertungen des Bundesgesetzgebers zu verwirklichen, die dieser mit der Neuregelung der Gerichtsverfassung der Finanzgerichte verknüpft hat. (Abs.90)

 

LB 8) Von Willkür im Sinne des Art.3 Abs.1 GG aber kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das sich hier in Rücksicht auf die Freiheit des Gesetzgebers besondere Zurückhaltung auferlegen muß ( BVerfGE_12,326 <333>), nur dann gesprochen werden, wenn sich keine sachlich vertretbaren Gründe für die beanstandeten Regelungen finden lassen. (Abs.92)

 

LB 9) Es entspricht vielmehr alter Tradition, die Besoldung der Richter nach deren Tätigkeit bei einem erstinstanzlichen, zweitinstanzlichen oder letztinstanzlichen Gericht zu bemessen und die Richter der überwiegend erstinstanzlichen Gerichte besoldungsmäßig unter den Richtern an den Rechtsmittelgerichten einzustufen. (Abs.93)

 

LB 10) Daß die besoldungsrechtlichen Regelungen für die Richter am Finanzgericht nicht ihre Unabhängigkeit gefährden und deshalb nicht unvereinbar mit Art.97 Abs.1 GG sind, ist bereits im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 14.Mai 1968 ( BVerfGE_23,321 <325>) entschieden. (Abs.99)

 

LB 11) Die angegriffenen Regelungen sind aber auch nicht unvereinbar mit Art.33 Abs.5 GG. Sie geben den Beschwerdeführern "angemessenes" Gehalt im Sinne des hergebrachten Grundsatzes des richterlichen Amtsrechtes (vgl dazu die Entscheidung vom 4.Juni 1969 im Verfahren 2_BvR_343, 377, 333, 323/66, S.22 f).

§§§

69.014 Ehrengerichte

  1. BVerfG,     B, 11.06.69,     – 2_BvR_518/66 –

  2. BVerfGE_26,186 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.92, GG_Art.95 Abs.2, GG_Art.101 Abs.2

 

1) Die Ehrengerichtshöfe für Rechtsanwälte sind staatliche Gerichte. Ihre Errichtung beruht auf staatlichem Gesetz und ihre personelle Zusammensetzung wesentlich auf staatlicher Mitwirkung.

 

2) Die Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung über die Berufung der anwaltlichen Mitglieder des Senats für Anwaltssachen beim Bundesgerichtshof verstoßen nicht gegen Art.95 Abs.2 GG. Einer Mitwirkung des Richterwahlausschusses bei der Berufung der ehrenamtlichen Richter bei den obersten Gerichtshöfen des Bundes bedarf es nicht.

 

LB 3) Die Ehrengerichte und Ehrengerichtshöfe der Rechtsanwälte sind für ein bestimmtes Sachgebiet, nämlich für das anwaltliche Berufsrecht, abstrakt und generell zur Entscheidung berufen. Daß die Beschränkung dieser Gerichte auf das Sachgebiet des anwaltlichen Berufsrechts notwendigerweise zugleich eine Beschränkung auf einen bestimmten Personenkreis - nämlich auf Rechtsanwälte und auf Bewerber um die Zulassung als Anwalt - bedeutet, begründet keinen Verstoß gegen Art.101 Abs.2 GG. (Abs.21)

 

LB 4) Der Senat für Anwaltssachen ist in den Bundesgerichtshof eingegliedert und weist sich auch durch seine Zusammensetzung als Senat dieses Gerichts aus. Vorsitzender ist der Präsident des Bundesgerichtshofs oder in seiner Vertretung ein nach den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes bestimmter Senatspräsident; drei Beisitzer sind Berufsrichter des Bundesgerichtshofs (§ 106 Abs.2 BRAO). Daß außerdem drei Rechtsanwälte als ehrenamtliche Beisitzer mitwirken, macht den Senat nicht zu einem vom Bundesgerichtshof getrennten Sondergericht. (Abs.23)

 

LB 5) Die Gerichte der Länder brauchen zwar nicht in der Form einer unmittelbaren staatlichen Einrichtung geschaffen zu werden; auch ein von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts getragenes besonderes Gericht kann "staatlich" im Sinne des Art.92 GG sein (vgl BVerfGE_4,74 <92>; BVerfGE_10,200 <214 f>; BVerfGE_14,56 <66>; BVerfGE_18,241 <253>). (Abs.27)

 

LB 6) Ein von einer Standesorganisation getragenes besonderes Gericht kann vielmehr nur dann als staatliches Gericht angesehen werden, wenn seine Bindung an den Staat auch in personeller Hinsicht ausreichend gewährleistet ist; dazu gehört, daß der Staat bei der Berufung der Richter mitwirkt. (Abs.27)

 

LB 7) Die Mitwirkung des Staates ist bei der Berufung gerade der Mitglieder von Ehren- und Berufsgerichten vor allem um deswillen geboten, weil andernfalls die Gefahr einer - dem demokratischen Staat fremden - ständischen Gerichtsbarkeit bestünde. (Abs.27)

 

LB 8) Die Ehrengerichtshöfe aber sind staatliche Gerichte, so daß das Verfassungsgebot des Art.19 Abs.4 GG jedenfalls erfüllt ist. Ihre Errichtung beruht auf staatlichem Gesetz und ihre personelle Zusammensetzung wesentlich auf staatlicher Mitwirkung. (Abs.28)

 

LB 9) Art.20 Abs.2 GG gebietet, daß die Rechtsprechung durch besondere von den Organen der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt verschiedene Organe des Staates ausgeübt wird. Die Gerichte müssen daher organisatorisch hinreichend von den Verwaltungsbehörden getrennt sein; eine zu enge personelle Verzahnung zwischen den Organen der rechtsprechenden und der vollziehenden Gewalt ist unzulässig ( BVerfGE_14,56 <67 f>; BVerfGE_18,241 <254>). (Abs.32)

 

LB 10) Die Ehrengerichtshöfe entsprechen diesem Erfordernis. Sie sind organisatorisch und personell in genügendem Maße von den Organen der Rechtsanwaltskammer getrennt. (Abs.32)

 

LB 11) Art.103 Abs.2 GG bezieht sich nicht nur auf Kriminalstrafen, sondern - allerdings mit gewissen Einschränkungen, die sich aus der Natur des Rechtsgebiets ergeben - auch auf ehrengerichtliche und Disziplinarstrafen. (Abs.50)

 

LB 12) Besteht demnach kein Anlaß zu der Annahme, der Grundgesetzgeber habe die Geltung des Art.103 Abs.2 GG für Disziplinarstrafen ausgeschlossen, so gibt es andererseits aber auch keinerlei Anhalt dafür, daß er durch Art.103 Abs. 2 GG eine Änderung der herkömmlichen Struktur des Disziplinarrechts habe herbeiführen wollen. (Abs.51)

 

LB 13) In den Disziplinargesetzen finden sich seit jeher nicht wie im allgemeinen Strafrecht einzelne Straftatbestände mit entsprechenden Strafdrohungen, sondern Generalklauseln, wonach die schuldhafte Verletzung von Berufspflichten mit einer der gesetzlich vorgesehenen Disziplinarstrafen geahndet wird. Diese Generalklauseln sind deshalb gerechtfertigt, weil eine vollständige Aufzählung der mit einem Beruf verbundenen Pflichten nicht möglich ist. (Abs.51)

 

LB 14) Die in § 43 Satz 2 BRAO normierte Verpflichtung des Rechtsanwalts, sich innerhalb und außerhalb des Berufs der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen, ist auch mit Art.12 Abs.1 GG vereinbar. (Abs.52)

 

LB 15) § 43 BRAO verletzt auch nicht das Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art.5 Abs.1 GG). Der Bundesgerichtshof (BGHSt_21,206 <208>) hat bereits ausgesprochen, daß die Vorschrift zu den allgemeinen Gesetzen im Sinne des Art.5 Abs.2 GG gehört, die dem Grundrecht Schranken setzen. (Abs.53)

§§§

69.015 Schulzweckverband

  1. BVerfG,     B, 24.06.69,     – 2_BvR_446/64 –

  2. BVerfGE_26,228 = www.dfr/BVerfGE

  3. BVerfGG_§_91 S.1; GG_Art.28 Abs.2 S.1, GG_Art.93 Abs.1 Nr.4b, GG_Art.80 Abs.1 S.2

 

1) Der Begriff "Gesetz" in § 91 Satz 1 BVerfGG, Art.93 Abs.1 Nr.4b GG umfaßt nicht nur Gesetze im formellen Sinn, sondern auch Rechtsverordnungen.

 

2) Der Begriff "Gesetze" in Art.28 Abs.2 Satz 1 GG umfaßt nicht nur Gesetze im förmlichen Sinn, sondern auch Rechtsverordnungen, die auf einer dem Art.80 Abs.1 Satz 2 GG entsprechenden Ermächtigung beruhen.

 

3) Der zwangsweise Anschluß einer Gemeinde an einen Schulzweckverband ist mit der Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung (Art.28 Abs.2 Satz 1 GG) vereinbar.

§§§

69.016 Ingenieur

  1. BVerfG,     B, 25.06.69,     – 2_BvR_128/66 –

  2. BVerfGE_26,246 = www.dfr/BVerfGE

  3. BVerfGG_§_90 S.1; IngG_§_1, GG_Art.74 Nr.11, GG_Art.30 GG_Art.2 Abs.1

 

LB 1) Im Gegensatz zur Reichsverfassung von 1871 und zur Weimarer Verfassung verbietet die Systematik des Grundgesetzes eine extensive Interpretation der Zuständigkeitsvorschriften zugunsten des Bundes. (Abs.36)

 

LB 2) Art.30 GG geht von dem Primat der Länderzuständigkeit aus. Art.70 Abs.1 GG präzisiert diese Regel für den Bereich der Gesetzgebung dahin, daß die Länder das Recht der Gesetzgebung haben, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Hieraus ergibt sich eine allgemeine Schranke für die in Art.73 bis 75 GG aufgeführten Bundeskompetenzen. (Abs.36)

 

LB 3) Unter "Recht der Wirtschaft" im Sinne von Art.74 Nr.11 GG sind alle das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regelnden Normen zu begreifen und vor allem diejenigen Vorschriften dazuzurechnen, die sich in irgendeiner Form auf die Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Gütern des wirtschaftlichen Bedarfs beziehen ( BVerfGE_8,143 <148 f>). (Abs.37)

 

LB 4) Da dem Bundesgesetzgeber die Zuständigkeit zum Erlaß der in § 1 IngG vorgesehenen Regelung fehlt, gehört diese Bestimmung nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung. Sie verletzt deshalb das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art.2 Abs.1 GG und ist nichtig. (Abs.52)

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 1 des Gesetzes zum Schutze der Berufsbezeichnung "Ingenieur" (Ingenieurgesetz) vom 7. Juli 1965 (Bundesgesetzbl.I S.601) verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Gesetz zum Schutze der Berufsbezeichnung "Ingenieur" (Ingenieurgesetz) vom 7.Juli 1965 (Bundesgesetzbl.I S.601) ist nichtig.

§§§

69.017 Unterhalt II

  1. BVerfG,     B, 02.07.69,     – 1_BvR_669/64 –

  2. BVerfGE_26,265 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.6 Abs.5; BGB_§_1709, GBG_§_1606 Abs.3

 

Es ist mit Art.3 Abs.2 GG nicht vereinbar, in Fällen, in denen ein uneheliches Kind aus in seiner Person liegenden Gründen in einem Heim oder einer Anstalt untergebracht ist, den Vater im Verhältnis zur Mutter stets mit den gesamten Unterbringungskosten zu belasten.

 

LB 2) Wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt dargelegt hat, sind im Lichte des Art.3 Abs.2 GG auch die unmittelbaren Leistungen der Frau bei der Führung des Haushalts und der Pflege und Erziehung der Kinder als Unterhaltsleistungen zu werten, die gleichwertig neben der Unterhaltsleistung durch Bereitstellung der notwendigen Barmittel stehen (vgl BVerfGE_17,1 <12> mit weiteren Nachweisen; BVerfGE_22,93 <96 f>). Das Gleichberechtigungsgesetz vom 18.Juni 1957 (BGBl.I S.609) hat diesem Rechtsgedanken in den Vorschriften des § 1360 Satz 2, 1.Halbsatz, § 1360a Abs.2 BGB und § 1606 Abs.3 BGB (soweit darin auf § 1360 BGB verwiesen wird) ausdrücklich Rechnung getragen. (Abs.23)

 

LB 3) Wird das im wesentlichen in sich ausgewogene System dadurch gestört, daß das Kind nicht nur vorübergehend in einer Anstalt untergebracht werden muß, so daß die Mutter die Personensorge praktisch nicht ausüben kann, die persönliche Betreuung des Kindes vielmehr vom Anstaltspersonal wahrgenommen wird, so verlangt der Grundgedanke der Regelung im Lichte des Art.3 Abs.2 GG, daß dieser Abweichung vom Normalfall durch eine finanzielle Beteiligung der Mutter an den Kosten der Unterbringung Rechnung getragen wird. (Abs.25)

 

LB 4) Allerdings wird die Mutter auch bei einer dauernden Anstaltsunterbringung des Kindes oft nicht jeder Sorge für das Kind ledig. Neben den noch verbleibenden Sorgerechtsentscheidungen wird sie das Kind wenn möglich auch weiterhin in gewissem Umfang betreuen und betreuen müssen (vgl LG Hamburg, NJW 1968, S.1190 = DAVorm. XLI <1968>, Sp.82). Soweit sie damit ihrer Pflicht gemäß § 1707 Abs.1 Satz 2 BGB weiter nachkommt und dadurch eine entsprechende Unterhaltsleistung erbringt, ist diese bei der Bemessung eines etwaigen finanziellen Beitrages zu den Anstaltskosten zu berücksichtigen. (Abs.28)

 

LB 5) Demgemäß ist § 1708 Abs.1 Satz 1 BGB, der dem Kind bis zur Vollendung des 18.Lebensjahres ohne Rücksicht auf seine Bedürftigkeit und die Leistungsfähigkeit des Vaters einen umfassenden Unterhaltsanspruch gegen seinen Vater gewährt, mit dem Grundgesetz vereinbar ( BVerfGE_17,280 <283 ff>; Beschluß vom 3.Juni 1969 -- 1_BvL_1/63 ua -; siehe auch Beschluß vom 19.Juni 1969 -- 1_BvR_125/60 -). (Abs.30)

 

LB 6) Danach darf dem Kind nicht das Recht genommen werden, seinen Unterhaltsanspruch unter den erleichterten Voraussetzungen des § 1708 Abs.1 BGB in voller Höhe gegen den Vater geltend zu machen. Eine restriktive Auslegung dieser Vorschrift dahin, daß die Unterhaltspflicht des Vaters den ausschließlich der Mutter zugewiesenen Bereich des § 1707 Abs.1 BGB von vornherein nicht erfaßt (vgl oben A II), wäre mit Art.6 Abs.5 GG nicht vereinbar. (Abs.31)

 

LB 7) Dagegen läßt sich § 1709 Abs.1 BGB verfassungskonform dahin auslegen, daß der darin angeordnete Vorrang der Schuldnerschaft des Vaters auf den Normalfall bezogen wird, in dem die Mutter das Kind betreut und die Unterhaltspflicht des Vaters sich auf die Baraufwendungen beschränkt, die über die persönliche Betreuung des Kindes hinaus für seinen Unterhalt erforderlich sind. Daß der Vater in diesen Grenzen ohne Einschränkung Erstschuldner sein soll, ist, wie dargelegt, konsequent und sachgerecht. (Abs.32)

 

LB 8) Diese Rangfolge gilt jedoch nicht für den Teil des Unterhalts, den die Mutter im Rahmen des § 1707 Abs.1 Satz 2 BGB zu erbringen hat, und für den bei Ausfall dieser Leistungen von ihr geschuldeten finanziellen Beitrag. Diese Verpflichtung der Mutter tritt vielmehr neben die sich aus § 1708 Abs.1 BGB ergebende Unterhaltspflicht des Vaters. (Abs.32)

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Das Urteil des Landgerichts Kleve vom 28. Oktober 1964 -- 1 S 86/64 -- verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Kleve zurückverwiesen.

§§§

69.018 Gebührenpflicht DB DP

  1. BVerfG,     B, 09.07.69,     – 1_BvL_25/64 –

  2. BVerfGE_26,281 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.73 Nr.6, GG_Art.73 Nr.7, GG_Art.87 Abs.1; BBahnG_§_40, PVG_§_33; LGebG_§_6 Abs.4

 

Zur Frage, ob die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Bundespost nach Landesrecht gebührenpflichtig sind (§ 40 Bundesbahngesetz, § 33 Postverwaltunggesetz).

 

LB 2) Dem Bund stehen nach Art.70 Abs.1 GG Gesetzgebungskompetenzen nur zu, soweit das Grundgesetz sie ihm verleiht. Die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes sind im Grundgesetz einzeln und abschließend aufgezählt; die grundgesetzliche Ordnung geht vom Prinzip der Länderkompetenz aus ( BVerfGE_10,89 <101>); es streitet also eine Vermutung für die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. (Abs.74)

 

LB 3) § 40 BundesbahnG und § 33 PostverwG treffen Bestimmungen darüber, was gebührenrechtlich zu gelten hat, wenn Bundesbahn und Bundespost gebührenpflichtige Amtshandlungen der Landesbehörden veranlassen. Das Grundgesetz verleiht dem Bund nicht ausdrücklich das Recht, allgemein - oder auf Bundesbahn und Bundespost beschränkt - Vorschriften darüber zu erlassen, wann und unter welchen Voraussetzungen die Länder Verwaltungsgebühren erheben können. Es ist - von Ausnahmen wie der des Art.84 Abs.1 GG abgesehen - Sache der Länder, das Verfahren der Landesbehörden zu regeln; hierzu gehört die Befugnis, Verwaltungsgebührenrecht zu setzen.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 40 des Bundesbahngesetzes vom 13.Dezember 1951 (Bundesgesetzbl.I S.955) und § 33 des Gesetzes über die Verwaltung der Deutschen Bundespost (Postverwaltungsgesetz) vom 24.Juli 1953 (Bundesgesetzbl.I S.676) sind insoweit mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und deshalb nichtig, als diese Vorschriften bestimmen, daß auf die Verpflichtungen der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost, Gebühren an die Länder, die Gemeinden (Gemeindeverbände) und die auf Landesrecht beruhenden Körperschaften des öffentlichen Rechts zu entrichten, die allgemein für Bundesbehörden geltenden Vorschriften Anwendung finden.

§§§

69.019 Bilanzbündeltherorie

  1. BVerfG,     B, 15.07.69,     – 1_BvR_457/66 –

  2. BVerfGE_26,327 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1; EStG_§_15 Nr.2 GG_Art.14 Abs.1; LGebG_§_6 Abs.4

 

Die Zurechnung eines Grundstücks, das ein Gesellschafter seiner Personengesellschaft mietweise überläßt, zum Betriebsvermögen bei der Veranlagung zur Einkommensteuer ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

 

LB 2) Die Weiterführung der Verfassungsbeschwerde durch die Erben der während des Verfahrens verstorbenen ursprünglichen Beschwerdeführerin ist zulässig, weil es sich im Ausgangsverfahren um finanzielle Ansprüche handelt ( BVerfGE_23,288 <300>). (Abs.15)

 

LB 3) Die Personengesellschaft ist steuerlich kein selbständiges (Rechts-)Steuersubjekt; einkommensteuerpflichtig sind nach 1 Abs.1 EStG nur natürliche Personen. Aus diesem Wesen der Einkommensteuer als einer Besteuerung von natürlichen Personen und aus der Bestimmung des § 15 Nr.2 EStG, in der die einzelnen Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) bezeichnet werden, hat die Rechtsprechung die sogenannte Bilanzbündeltheorie entwickelt. (Abs.16)

 

LB 4) Danach bildet die Beteiligung eines Gesellschafters an einer Personengesellschaft einen selbständigen Gewerbebetrieb jedes einzelnen Gesellschafters (Mitunternehmer); die Personengesellschaft wird für die einkommensteuerrechtliche Betrachtung gedanklich in Einzelunternehmen der jeweiligen Gesellschafter aufgespalten. Die Bilanz der Personengesellschaft stellt somit nur eine rechnerische Zusammenfassung der an sich für jeden Gesellschafter aufzustellenden Einzelbilanz dar. (Abs.16)

 

LB 5) Die gedankliche Aufgliederung der Personengesellschaft in einzelne Betriebe führt dazu, daß schuldrechtliche Beziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern steuerlich unberücksichtigt bleiben. (Abs.16)

 

LB 6) Ein Wirtschaftsgut, das im Eigentum eines Gesellschafters steht, aber dem Betrieb der Personengesellschaft dient, gehört danach trotz des zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter bestehenden Mietvertrags nicht zum Privatvermögen des Gesellschafters, sondern zum (notwendigen oder gewillkürten) Betriebsvermögen der Gesellschaft und damit des Gesellschafters, weil es bei einem Einzelunternehmer ebenfalls als Betriebsvermögen zu betrachten wäre. (Abs.16)

 

LB 7) Der Gesellschafter stellt es mit der Überlassung an die Personengesellschaft gleichzeitig seinem eigenen Gewerbebetrieb in vollem Umfang zur Verfügung mit der Folge, daß die bei der Veräußerung dieses Wirtschaftsgutes aufgedeckten stillen Reserven als Einkünfte dieses Gesellschafters aus Gewerbebetrieb der Einkommensteuer unterliegen (BFH, BStBl.1965 III S.92; 1966 III S.365; 1967 III S.180 und 751). (Abs.16)

 

LB 8) Die gesetzliche Regelung der Einkommensteuerpflicht nur von natürlichen Personen (§ 1 EStG) und der Ermittlung des Gewinns eines Gesellschafters bei Personengesellschaften (§ 15 Nr.2 in Verbindung mit § 2 Abs.4 Nr.1 EStG) sowie die Auslegung dieser Bestimmungen durch den Bundesfinanzhof führen zu einer klaren Abweichung der steuerlichen Behandlung von der handelsrechtlichen Gestaltung.

 

LB 9) Es wird nicht berücksichtigt, daß nach handelsrechtlichen Grundsätzen nur das nach § 124 HGB in Verbindung mit § 719 BGB gesamthänderisch gebundene Sondervermögen als Vermögen der Personengesellschaft bilanzmäßig anzusetzen ist. Dies hat zur Folge, daß abweichend vom Zivilrecht Wirtschaftsgüter im Eigentum eines Gesellschafters, die dem Betrieb der Personengesellschaft dienen, als Betriebsvermögen gelten. Damit unterscheidet sich das in der Steuerbilanz auszuweisende Betriebsvermögen von dem nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung darzustellenden Gesamthandsvermögen.

 

LB 10) Diese Durchbrechung der Einheit der Rechtsordnung verstößt nicht gegen Art.3 Abs.1 GG.

§§§

69.020 Eisenbahnkreuzungsgesetz

  1. BVerfG,     B, 15.07.69,     – 2_BvF_41/64 –

  2. BVerfGE_26,338 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.73 Nr.6, GG_Art.86, GG_Art.87 Abs.1, GG_Art.106 Abs.4 S.2 Nr.1, GG_Art.84 Abs.2, GG_Art.85 Abs.2 S.1; EKreuzG_§_9 Abs.1, EKreuzG_§_9 Abs.3 EKreuzG_§_13 Abs.1 S.2, EKreuzG_§_5 S.3, EKreuzG_§_5 S.2 +3, EKreuzG_§_16 Abs.2

 

1) a) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Bundeseisenbahnen umfaßt die Befugnis, die Planfeststellung auch für den Bau und die Veränderung des an einer Kreuzung mit einem Schienenweg der Deutschen Bundesbahn beteiligten Stücks einer Straße sowie das Verwaltungsverfahren dieser Planfeststellung zu regeln (Art.73 Nr.6, Art.86 und 87 Abs.1 GG).

b) Der Bund hat nicht die Befugnis, bei Kreuzungen nichtbundeseigener Eisenbahnen mit Straßen die Planfeststellung für das kreuzungsbeteiligte Stück einer Straße zu regeln, die nicht Landstraße für den Fernverkehr ist.

 

2) Es widerspricht Art.106 Abs.4 Satz 2 Nr.1 GG, daß einem Land Ausgaben für die Wahrung einer Bundesaufgabe auferlegt werden. Die Beseitigung, Entlastung oder Veränderung eines Bahnübergangs der Deutschen Bundesbahn ist eine Aufgabe des Bundes.

 

3) Unter "Bundesregierung" im Sinne von Art.84 Abs.2 und 85 Abs.2 Satz 1 GG ist das aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern bestehende Kollegium zu verstehen. Durch ein mit Zustimmung des Bundesrats ergangenes Gesetz kann auch ein Bundesminister zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften für den Vollzug von Bundesgesetzen durch die Länder (Art.84, 85 GG) ermächtigt werden.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1) § 9 Absatz 1 des Gesetzes über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen (Eisenbahnkreuzungsgesetz) vom 14.August 1963 (Bundesgesetzbl.I S.681) ist insoweit mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und deshalb nichtig, als die Vorschrift hinsichtlich Kreuzungen, an denen ein Schienenweg der Deutschen Bundesbahn nicht beteiligt ist, Regelungen für Straßen trifft, die nicht Landstraßen für den Fernverkehr sind.

Im übrigen ist § 9 Absatz 1 Eisenbahnkreuzungsgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar.

§ 9 Absatz 3 Eisenbahnkreuzungsgesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

2) a) § 13 Absatz 1 Satz 2 Eisenbahnkreuzungsgesetz ist insoweit mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und deshalb nichtig, als die Vorschrift hinsichtlich Kreuzungen, an denen ein Schienenweg der Deutschen Bundesbahn beteiligt ist, dem Land Kosten auferlegt.

Im übrigen ist § 13 Absatz 1 Satz 2 Eisenbahnkreuzungsgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar.

b) § 5 Satz 3 Eisenbahnkreuzungsgesetz ist insoweit mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und deshalb nichtig, als der Bundesminister für Verkehr bei Kreuzungen, an denen ein Schienenweg der Deutschen Bundesbahn nicht beteiligt ist, Vereinbarungen zu genehmigen hat.

Im übrigen ist § 5 Satz 2 und 3 Eisenbahnkreuzungsgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar.

3) § 16 Absatz 2 Eisenbahnkreuzungsgesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

§§§

69.021 Ordnungswidrigkeiten

  1. BVerfG,     B, 16.07.69,     – 2_BvL_2/69 –

  2. BVerfGE_27,18 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.74 Nr.1

 

Die Gesetzgebungskompetenz "Strafrecht" (Art.74 Nr.1 GG) umfaßt heute nicht nur das Strafrecht im herkömmlichen Sinn, sondern auch das Ordnungswidrigkeitenrecht.

 

LB 2) Zum Kernbereich des Strafrechts, in dem die Richter durch Art.92 GG ausnahmslos und ausschließlich zur präventiven Rechtskontrolle berufen sind, gehören alle bedeutsamen Unrechtstatbestände ( BVerfGE_22,49 <81>, BVerfGE_22,125 <132>; BVerfGE_23,113 <126>).

 

LB 3) Der Bereich der Ordnungswidrigkeiten, in dem eine repressive Rechtskontrolle genügt (BVerfGE_22,125 <133>), umgreift Gesetzesübertretungen, die nach allgemeinen gesellschaftlichen Auffassungen nicht als (kriminell) strafwürdig gelten (BVerfGE_8,197 <207>), Fälle mit geringerem Unrechtsgehalt, die sich von den kriminellen Vergehen durch den Grad des ethischen Unwertgehaltes unterscheiden (BVerfGE_9,167 <172>). Die von dem vorlegenden Gericht gegen diese Abgrenzungskriterien erhobenen Einwände greifen nicht durch. >

 

LB 4) Aufgabe des Strafrechts ist es, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen. Was zweifellos in den Kernbereich des Strafrechts gehört, läßt sich an Hand der grundgesetzlichen Wertordnung (vgl dazu BVerfGE_5,85 <204 ff>; BVerfGE_6,32 <40 f>; BVerfGE_7,198 <204f>; BVerfGE_21,362 <372>) mit hinreichender Bestimmtheit ermitteln.

 

LB 5) Mit der gleichen Bestimmtheit läßt sich sagen, daß gewisse, minder gewichtige, überkommene strafrechtliche Tatbestände aus diesem Kernbereich herausfallen. Schwieriger ist es, die exakte Grenzlinie zwischen dem Kernbereich des Strafrechts und dem Bereich der bloßen Ordnungswidrigkeiten zu ziehen, zumal in diesem Grenzbereich die in der Rechtsgemeinschaft herrschenden Anschauungen über die Bewertung des Unrechtsgehaltes einzelner Verhaltensweisen in besonderem Maße dem Wechsel unterworfen sind.

 

LB 6) Diese Grenzlinie unter Berücksichtigung der jeweiligen konkreten historischen Situation im einzelnen verbindlich festzulegen, ist Sache des Gesetzgebers.

 

LB 7) Die Umwandlung der Übertretungen und weniger bedeutsamen Vergehenstatbestände des Straßenverkehrsrechtes in Ordnungswidrigkeiten durch Art.3 Nr.6 EGOWiG, auf der auch die Neufassung des § 24 StVG beruht, paßt sich in eine jahrzehntelange Entwicklung ein, die auf eine fortschreitende Herauslösung bloßen Ordnungsunrechts aus dem Kriminalstrafrecht abzielt.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:
§§ 24 und 26 Absatz 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes in der Fassung des Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24.Mai 1968 (Bundesgesetzbl.I S.503) und §§ 36 Absatz 1 Nummer 1, 68 Absatz 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten vom 24.Mai 1968 (Bundesgesetzbl.I S.481) sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

§§§

69.022 Mikrozensus

  1. BVerfG,     B, 16.07.69,     – 1_BvL_19/63 –

  2. BVerfGE_27,1 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.1 Abs.1, GG_Art.2

T-69-04

Zur Verfassungsmäßigkeit einer Repräsentativstatistik.

Abs.32

LB 2) Zum Begriff der Menschenwürde im Sinne des Grundgesetzes.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 1 und § 2 Nummer 3 des Gesetzes über die Durchführung einer Repräsentativstatistik der Bevölkerung und des Erwerbslebens (Mikrozensus) vom 16.März 1957 (Bundesgesetzbl.I S.213) in der Fassung des Gesetzes vom 5.Dezember 1960 (Bundesgesetzbl.I S.873) waren mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit bestimmt wurde, daß für die in § 1 des Gesetzes angeordnete Statistik auf repräsentativer Grundlage die Tatbestände Urlaubs- und Erholungsreisen erfaßt werden.

* * *

T-69-04Menschenwürde

32

"In der Wertordnung des Grundgesetzes ist die Menschenwürde der oberste Wert (BVerfGE_6,32 <41>). Wie alle Bestimmungen des Grundgesetzes beherrscht dieses Bekenntnis zu der Würde des Menschen auch den Art.2 Abs.1 GG. Der Staat darf durch keine Maßnahme, auch nicht durch ein Gesetz, die Würde des Menschen verletzen oder sonst über die in Art.2 Abs.1 GG gezogenen Schranken hinaus die Freiheit der Person in ihrem Wesensgehalt antasten. Damit gewährt das Grundgesetz dem einzelnen Bürger einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist (BVerfGE 6, 32 <41>, 389 <433>).

33

"Im Lichte dieses Menschenbildes kommt dem Menschen in der Gemeinschaft ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch zu. Es widerspricht der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu machen (vgl BVerfGE_5,85 <204>; BVerfGE_7,198 <205>). Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren, sei es auch in der Anonymität einer statistischen Erhebung, und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jederB eziehung zugänglich ist.

34

Ein solches Eindringen in den Persönlichkeitsbereich durch eine umfassende Einsichtnahme in die persönlichen Verhältnis se seiner Bürger ist dem Staat auch deshalb versagt, weil dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen ein "Innenraum" verbleiben muß, in dem er "sich selbst besitzt" und "in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt" (Wintrich, Die Problematik der Grundrechte, 1957, S.15 f; vgl auch Dürig in Maunz-Dürig, GG 2. Aufl, Rdnr.37 zu Art.1). In diesen Bereich kann der Staat unter Umständen bereits durch eine - wenn auch bewertungsneutrale - Einsichtnahme eingreifen, die die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme zu hemmen vermag."

35

c) Nicht jede statistische Erhebung über Persönlichkeits- und Lebensdaten verletzt jedoch die menschliche Persönlichkeit in ihrer Würde oder berührt ihr Selbstbestimmungsrecht im innersten Lebensbereich. Als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger (vgl BVerfGE_4,7 <15, 16>; BVerfGE_7,198 <205>; BVerfGE_24,119 <144>) muß jedermann die Notwendigkeit statistischer Erhebungen über seine Person in gewissem Umfang, wie z.B. bei einer Volkszählung, als Vorbedingung für die Planmäßigkeit staatlichen Handelns hinnehmen.

36

Eine statistische Befragung zur Person kann deshalb dort als entwürdigend und als Bedrohung des Selbstbestimmungsrechtes empfunden werden, wo sie den Bereich menschlichen Eigenlebens erfaßt, der von Natur aus Geheimnischarakter hat, und damit auch diesen inneren Bezirk zu statistisch erschließbarem und erschließungsbedürftigem Material erklärt. Insoweit gibt es auch für den Staat der modernen Industriegesellschaft Sperren vor der verwaltungstechnischen "Entpersönlichung". Wo dagegen die statistische Erhebung nur an das Verhalten des Menschen in der Außenwelt anknüpft, wird die menschliche Persönlichkeit von ihr in aller Regel noch nicht in ihrem unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung "erfaßt". Das gilt jedenfalls dann, wenn diese Angaben durch die Anonoymität hinreichend gesichert ist. Im vorliegenden Fall wird sie durch das Verbot zur Veröffentlichung von Einzelangaben (§ 12 Abs. 4 StatG) sowie dadurch gewährleistet, daß der Auskunftsberechtigte unter Strafandrohung zur Geheimhaltung der Angaben verpflichtet ist (§§ 12 Abs. 1 Satz 1, 13 StatG), daß für ihn die gesetzlichen Beistands- und Anzeigepflichten gegenüber den Finanzämtern nicht gelten (§ 12 Abs. 1 Satz 2 StatG) und daß die zuständigen Behörden und Stellen auch ihrer vorgesetzten Dienststelle keine Einzelangaben auf dem Dienstweg weiterleiten dürfen, wenn sie hierzu nicht gesetzlich ausdrücklich ermächtigt worden sind (§ 12 Abs.2 StatG).

37

d) Danach verstieß die Befragung über Urlaubs- und Erholungsreisen nicht gegen Art.1 Abs.1, Art.2 Abs.1 GG.

38

Diese Befragung betraf zwar einen Bereich privaten Lebens. Sie zwang den Befragten jedoch weder zu einer Offenlegung seiner Intimsphäre noch gewährte sie dem Staat Einsicht in einzelne Beziehungen, die der Außenwelt nicht zugänglich sind und deshalb von Natur aus "Geheimnischarakter" haben. Sämtliche Angaben über Ziel und Dauer der Reisen, Unterkunftsart und die benutzten Verkehrsmittel ließen sich, wenn auch unter erheblich größeren Schwierigkeiten, auch ohne eine Befragung ermitteln. Sie gehörten damit nicht jenem innersten (Intim-)Bereich an, in den der Staat auch nicht durch eine Befragung zu statistischen Zwecken ohne Verletzung der Menschenwürde und des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen eingreifen könnte.

39

2. Auch im Blick auf das Rechtsstaatsprinzip bestehen gegen die angeordnete Befragung keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere wurde weder das Erfordernis der Normenklarheit (vgl BVerfGE_20,150 <158 f>; BVerfGE_21,245 <261>) noch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl BVerfGE_17,306 <313>; BVerfGE_19,342 <348 f>) verletzt.

40

a) § 2 Nr.3 des Gesetzes ließ in seinem Tatbestand "Urlaubs- und Erholungsreisen" nicht die verfassungsrechtlich erforderliche Normenklarheit vermissen. In der Tatbestandsumschreibung und ihrem Zusammenhang mit den anderen Tatbeständen, die nach dem Gesetz von der statistischen Erhebung zu erfassen waren, ist hinreichend deutlich der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck gekommen, daß möglichst vollständige Angaben in ihrem vorgezeichneten Sozialbezug gefordert werden sollten. Die sich hieraus ergebende Fragestellung ließ sich damit aus den gesetzlichen Normen sowohl für den Bürger als auch für die mit der Durchführung befaßten Länderverwaltungen erkennen.

41

b) Nach der amtlichen Begründung sollten die Unterlagen über den Urlaubs- und Erholungsreiseverkehr Aufschluß über die wirtschaftliche und soziologische Bedeutung solcher Reisen und über die verwendeten Verkehrsmittel geben. Außerdem sollten dadurch Anhaltspunkte gewonnen werden, um die Daten der Zahlungsbilanz für den Reiseverkehr zu prüfen (BTDrucks III/1925 Anlage 1 zu B). Bei der zunehmenden Bedeutung des Tourismus ist der Staat zur Erfüllung seiner währungs-, wirtschafts-, sozial- und verkehrspolitischen Aufgaben auf Erkenntnisse über die dadurch ausgelöste Konsumverlagerung, die strukturelle Veränderung im Beherbergungswesen, die Unterschiede der Reisefrequenz im Staatsgebiet und im grenzüberschreitenden Verkehr angewiesen. Die Befragung zu dem Tatbestand "Urlaubs- und Erholungsreisen" stand im Dienst dieser Aufgaben und war jedenfalls kein eindeutig untaugliches Mittel, um diese Aufschlüsse zu erlangen.

42

Bei Berücksichtigung des Umstandes, daß bereits die Verweigerung der Angaben durch wenige Befragte das Ergebnis der Repräsentativumfrage in Frage stellen konnte, belastete es schließlich den Einzelnen nicht übermäßig, daß ihm das Gesetz in Verbindung mit § 10 Abs.1, § 14 StatG eine Verpflichtung zur Beantwortung der Fragen unter Sanktionsandrohung auferlegte. Es war auch nicht zu befürchten, daß die Angaben zu fremden Zwecken mißbraucht wurden, da die Anonymität ihrer Auswertung durch § 12 Abs.1, 2 und 4, § 13 StatG hinreichend gewährleistet wurde."

 

Auszug aus BVerfG B, 16.07.69, - 1_BvL_19/63 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.32 ff

§§§

69.023 Parlamentarisches Regierungssystem

  1. BVerfG,     U, 22.07.69,     – 2_BvK_1/67 –

  2. BVerfGE_27,44 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.28 Abs.1 S.1; GG_Art.69 Abs.2

 

Zu den Gemäß Art.28 Abs.1 Satz 1 GG für die Länder verbindlichen Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaats im Sinne des GG gehört nicht das Prinzip des Art.69 Abs.2 GG, wonach das Amt des Regierungschefs in jedem Fall mit dem Zusammentritt eines neuen Parlaments endet.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Der Antrag wird abgewiesen.

Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat dadurch, daß er zu Beginn seiner 6.Wahlperiode keine Neuwahl des Ministerpräsidenten vorgenommen hat, nicht gegen Artikel 21 Absatz 2 Satz 1 der Landessatzung für Schleswig-Holstein und gegen die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaats im Sinne des Artikels 28 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes verstoßen.

§§§

69.024 Leipziger Volkszeitung

  1. BVerfG,     B, 03.10.69,     – 1_BvR_46/65 –

  2. BVerfGE_27,71 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.5 Abs.1 S.1, GG_Art.5 Abs.2

 

1) Das in Art.5 Abs.1 Satz 1 GG gewährleistete Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten (Informationsfreiheit), steht als selbständiges Grundrecht gleichwertig neben der Meinungs- und Pressefreiheit.

 

2) Allgemein zugänglich ist eine Informationsquelle, wenn sie technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit Informationen zu verschaffen. Sie verliert diesen Charakter nicht durch rechtliche, gegen die Verbreitung gerichtete Maßnahmen.

 

3) Art.5 Abs.1 Satz 1 GG schützt nicht nur ein aktives Handeln zur Informationsverschaffung, sondern ebenso die schlichte Entgegennahme von Informationen.

 

4) Zur Güterabwägung zwischen der Informationsfreiheit und den eine Verfassungsgefährdung abwehrenden Strafvorschriften als allgemeinen Gesetzen im Sinne des Art.5 Abs.2 GG bei der Einziehung.

§§§

69.025 "Der Demokrat"

  1. BVerfG,     B, 14.10.69,     – 1_BvR_30/66 –

  2. BVerfGE_27,88 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.5 Abs.1 S.1, GG_Art.5 Abs.2

 

1) Ein Eingriff in die Informationsfreiheit (Art.5 Abs.1 Satz 1 GG) kann nicht nur durch endgültige Vorenthaltung einer Information, sondern auch durch die auf einer Kontrolle beruhende Verzögerung erfolgen.

 

2) Die Überwachung der aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland verbrachten Postsendungen nach dem Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24.Mai 1961 (BGBl.I S.607) verletzt bei einer die Informationsfreiheit berücksichtigenden Handhabung nicht Art.5 Abs.1 Satz 1 GG.

 

LB 3) Die Verfassungsbeschwerden sind nicht mangels Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs.2 BVerfGG) unzulässig. Zwar hat der Beschwerdeführer in beiden Fällen gegen die ihm durch kurze Mitteilungen der Staatsanwaltschaften bekanntgewordenen Briefkontrollen nur Beschwerden an den die Dienstaufsicht führenden Oberstaatsanwalt und den Generalstaatsanwalt gerichtet und kein Gericht angerufen. Bei der Unsicherheit der Rechtslage war ihm das aber auch nicht zuzumuten.

 

LB 4) Welcher Rechtsweg zulässig gewesen wäre, ist zweifelhaft. Hätte bereits die Zollbehörde die Sendungen nach Öffnung und Kontrolle an den Beschwerdeführer weitergeleitet, wäre nach allgemeiner Meinung der Verwaltungsrechtsweg gegen diese als Verwaltungsakt zu bewertenden Kontrollmaßnahmen eröffnet (vgl zB Verwaltungsgericht Karlsruhe, DVBl.1967 S.861 m Anm Bettermann).

 

LB 5) Die Zollämter hatten jedoch in beiden Fällen die Sendungen der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung vorgelegt. Ob dadurch die Maßnahmen der Zollbehörde ihren Charakter als selbständige und damit verwaltungsgerichtlich anfechtbare Hoheitsakte verloren und ob gegen die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft ein Rechtsweg nach der Strafprozeßordnung, nach §§ 23 ff EGGVG oder unmittelbar nach Art.19 Abs.4 GG eröffnet war, war für den Beschwerdeführer nicht zu übersehen. Die Erhebung der Verfassungsbeschwerde war deshalb ausnahmsweise vor Erschöpfung des Rechtswegs zulässig (vgl BVerfGE_17,252 <257>).

 

LB 6) Darüber hinaus ist die Verfassungsbeschwerde auch von allgemeiner Bedeutung (§ 90 Abs.2 Satz 2 BVerfGG). Die Kontrolle aus der DDR kommender Postsendungen auf Grund des Überwachungsgesetzes hatte zeitweilig erhebliches Ausmaß (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 3.Oktober 1969 -- 1_BvR_46/65 -- zu A I). Die Entscheidung über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit derartiger Kontrollen schafft deshalb über den Einzelfall hinaus Klarheit in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle ( BVerfGE_19,268 <273>).

§§§

69.026 Anerkannte Privatschulen

  1. BVerfG,     B, 14.11.69,     – 1_BvL_24/64 –

  2. BVerfGE_27,195 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.7 Abs.4; GG_Art.30, GG_Art.70 ff; (He) PrivSchG_§_11 Abs.1 + 2

 

Das Grundgesetz verbietet nicht die Heraushebung einer Gruppe der Ersatzschulen als anerkannte Privatschulen. Ihre Ausgestaltung obliegt dem Landesgesetzgeber.

 

LB 2) Da der Gesetzgeber aus sachlichen Gründen berechtigt ist, die anerkannten Privatschulen einerseits gegenüber den übrigen Ersatzschulen durch Verleihung der "Berechtigungen" zu bevorzugen, andererseits die Anerkennung von der Anpassung an die Zugangsvoraussetzungen der staatlichen Schulen abhängig zu machen, verletzt § 11 Abs.1 und 2 PSchG nicht den Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG.

 

LB 3) § 11 Abs.1 und 2 PSchG ist auch mit Art.12 Abs.1 GG vereinbar.

 

LB 4) Entgegen der Auffassung des Klägers ermöglicht § 11 Abs.1 und 2 PSchG eine entschädigungslose Enteignung unter Verletzung von Art.14 GG schon deshalb nicht, weil die Rechtsstellung der Träger anerkannter Privatschulen von vornherein nach Maßgabe der jeweils für die öffentlichen Schulen geltenden Anordnungen inhaltlich ausgestaltet und beschränkt ist.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 11 Absatz 1 und 2 des Hessischen Privatschulgesetzes vom 27.April 1953 (GVBl.S.57) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

§§§

69.027 Uranvorkommen

  1. BVerfG,     B, 14.11.69,     – 1_BvR_253/68 –

  2. BVerfGE_27,211 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.97, GG_Art.101 Abs.1 S.2; BVerfGG_§_92; StPO_§_81a

 

1) Zu den Anforderungen an die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde nach § 92 BVerfGG.

 

2) Zur Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Anordnungen nach § 81a StPO.

§§§

69.028 Kriegsfolgeschäden

  1. BVerfG,     B, 03.12.69,     – 1_BvR_624/56 –

  2. BVerfGE_27,253 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.14, GG_Art.20 Abs.1; BesatzSchG_§_21 Abs.3 + 4

 

1) Die Bundesrepublik Deutschland hatte für die von den alliierten Streitkräften bei der Besetzung deutschen Gebietes am Ende des 2.Weltkrieges und in der Nachkriegszeit verursachten Schäden (Besatzungsschäden) nicht in gleicher Weise einzustehen, wie wenn diese von deutschen Staatsorganen verursacht worden wären.

 

2) a) Die Wertordnung des GG verlangt besonders im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip (Art.20 Abs.1 GG), daß die staatliche Gemeinschaft Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden sind und nur zufällig einen bestimmten Personenkreis treffen. Hieraus folgt zunächst nur die Pflicht zu einem innerstaatlichen Ausgleich, dessen nähere Gestaltung weitgehend dem Gesetzgeber überlassen ist. Erst eine solche gesetzliche Regelung kann konkrete Ausgleichsansprüche der einzelnen Geschädigten begründen.

b) Besatzungsschäden gehören zu dem großen Komplex der Kriegs- und Kriegsfolgelasten; die für deren Regelung entwickelten verfassungsrechtlichen Grundsätze (vergleiche BVerfGE_15,126 <140 ff>; BVerfGE_23,153 <176 f>) gelten auch hier.

 

3) a) Es verstößt weder gegen Art.14 GG noch gegen Art.3 Abs.1 GG, daß das BesatzSchG die vor der Währungsreform verursachten Sachschäden nicht im Verhältnis 1 RM : 1 DM entschädigt.

b) Die Abgrenzung der Fälle, in denen für Sachschäden eine höhere Entschädigung als nach dem Verhältnis 10 RM : 1 DM vorgesehen ist (§§ 26 ff BesatzSchG), beruht auf sozialen Erwägungen, zu denen der Gesetzgeber im Rahmen einer innerstaatlichen Lastenverteilung sowohl berechtigt als verpflichtet ist. Dies gilt auch für die Staffelung der Entschädigung nach dem Prinzip der sozialen Degression.

 

LB 4) Alle Umstände sprechen dafür, daß die besatzungsrechtliche Umstellungsregelung für Sachschäden dem Grundsatz nach nicht nur mit den allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts, sondern im Hinblick auf Art.43 HLKO auch mit den speziellen Vorschriften zum Schutz des Privateigentums bei einer Besetzung fremden Gebiets in Einklang stand.

§§§

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