1967  
  1966                   1968 [ ‹ ]
67.001 Grundstücksverkehrsgesetz

  1. BVerfG,     B, 12.01.67,     – 1_BvR_169/63 –

  2. BVerfGE_21,73 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.14 Abs.1 S.2; GrStVG_§_9 Abs.1 Nr.1

 

1) Zu den Grenzen der Befugnis des Gesetzgebers, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen (Art.14 Abs.1 Satz 2 GG).

 

2) § 9 Abs.1 Nr.1 des Grundstücksverkehrsgesetzes ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

3) Die Genehmigung darf nach dieser Vorschrift nicht schon deshalb versagt werden, weil das Rechtsgeschäft für den Erwerber eine Kapitalanlage darstellt.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Der Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 12. Februar 1963 - V BLw 29/62 - verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluß wird aufgehoben; die Sache wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

§§§

67.002 Kommunale Baudarlehnen

  1. BVerfG,     B, 17.01.67,     – 2_BvL_28/63 –

  2. BVerfGE_21,117 = www.dfr/BVerfGE

  3. 2.WoBauG_§_69 Abs.1, 2.WoBauG_§_109 Abs.3

 

LB 1) § 69 Abs.1 II.WBG ist mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit er sich gemäß § 109 Abs.3 II.WBG auf vor Inkrafttreten des Gesetzes gewährte kommunale Baudarlehen bezieht.

 

LB 2) Die Ablösungsregelung verstößt nicht gegen die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art.28 Abs.2 GG).

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 69 Absatz 1 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes vom 27.Juni 1956 (BGBl.I S.523) ist mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit er sich gemäß § 109 Absatz 3 des genannten Gesetzes auf vor Inkrafttreten dieses Gesetzes gewährte kommunale Baudarlehen bezieht.

Die Vorlage ist unzulässig, soweit sie § 70 Absatz 1 des genannten Gesetzes betrifft.

§§§

67.003 Freiwillige Gerichtsbarkeit

  1. BVerfG,     B, 08.02.67,     – 2_BvR_235/64 –

  2. BVerfGE_21,139 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.101 Abs.1 S.2

 

1) Art.101 Abs.1 Satz 2 GG gilt auch für die freiwillige Gerichtsbarkeit.

 

2) Nach Art.101 Abs.1 Satz 2 GG muß im System der normativen Vorausbestimmung des gesetzlichen Richters Vorsorge dafür getroffen werden, daß im Einzelfall ein Richter, der nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen ist oder abgelehnt werden kann.

 

LB 3) Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die Vorschrift des § 6 Abs.2 Satz 2 FGG verstößt gegen Art.101 Abs.1 Satz 2 GG. Der Beschwerdeführer hat die Verletzung dieser Norm zwar nicht ausdrücklich gerügt; die Rüge läßt sich aber der Begründung der Verfassungsbeschwerde entnehmen.

 

LB 4) Wie das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach ausgesprochen hat, ist der richterlichen Tätigkeit nicht nur die in Art.97 Abs.1 GG garantierte Weisungsfreiheit und die in Art.97 Abs.2 GG institutionell gesicherte persönliche Unabhängigkeit wesentlich. Wesentlich ist, "daß sie von einem nichtbeteiligten Dritten ausgeübt wird" (BVerfGE_3,377 <381

 

LB 5) § 6 Abs.2 FGG gewährleistet den durch Art.101 Abs.1 Satz 2 GG garantierten Schutz des Rechtsuchenden nicht in einem solchen Maß, daß von dem in allen übrigen Prozeßordnungen vorgesehenen Recht eines Verfahrensbeteiligten, einen Richter abzulehnen, völlig abgesehen werden könnte. Die Möglichkeit der Selbstablehnung des Richters (§ 6 Abs.2 Satz 1 FGG) genügt nicht.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Die Verfügung des Amtsgerichts Westerland/Sylt vom 12. Februar 1964 (2 VI 52/63), der Beschluß des Landgerichts Flensburg vom 20. Februar 1964 (6 T 56/64) und der Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 10. März 1964 (2 W 30/64) verletzen Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes; sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht zurückverwiesen.

§ 6 Absatz 2 Satz 2 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.Mai 1898 (RGBl.S.189) ist mit Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes unvereinbar und daher nichtig.

§§§

67.004 Weinwirtschaftsgesetz

  1. BVerfG,     B, 14.02.67,     – 1_BvL_17/63 –

  2. BVerfGE_21,150 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.101 Abs.1 S.2

 

Zu den Grenzen der Befugnis des Gesetzgebers, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen (Art.14 Abs.1 Satz 2 GG).

 

LB 2) Eine Regelung nach Art.14 Abs.1 Satz 2 GG steht, Worten, unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ( BVerfGE_8,71 <80>); die Einschränkung der Eigentümerbefugnisse muß zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und notwendig, sie darf nicht übermäßig belastend und deshalb unzumutbar sein.

 

LB 3) Die Abwägung der vorbezeichneten Gesichtspunkte führt zu dem Ergebnis, daß der Gesetzgeber mit der hier zu prüfenden Regelung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt hat, so daß die Bestimmung als mit Art.14 GG vereinbar betrachtet werden muß.

 

LB 4) Auch Art.12 Abs.1 GG ist nicht verletzt. Die Anbaubeschränkung hat den Charakter einer dem Gebiete der Weinwirtschaft (Weinwirtschaftsgesetz) vom 29.August 1961 -- Bundesgesetzblatt I Seite 1622 -- sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 1 Absatz 1 Sätze 1 und 2 des Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete der Weinwirtschaft (Weinwirtschaftsgesetz) vom 29. August 1961 -- Bundesgesetzblatt I Seite 1622 -- sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

§§§

67.005 Breifwahl I

  1. BVerfG,     B, 15.02.67,     – 2_BvC_2/66 –

  2. BVerfGE_21,200 = www.dfr/BVerfGE

  3. BWahlG_§_36; BWahlO_§_62; GG_Art.38 Abs.1

T-67-01

Zur Verfassungsmäßigkeit der Briefwahl.

Abs.17

LB 2) Die Briefwahl, die im Bund und in einer Reihe von Ländern in den letzten zwei Jahrzehnten eingeführt worden ist, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch die besonderen Vorschriften des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung über die Briefwahl und die Wahl mit Vertrauenspersonen sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

Abs.18

LB 3) Die Briefwahl setzt voraus, daß der Wähler einen Wahlschein besitzt (§ 36 BWahlG). Einen Wahlschein erhält er nur, wenn er sich entweder am Wahltage während der Wahlzeit aus wichtigem Grunde außerhalb seines Wahlbezirks aufhält oder nach Beginn der Frist für die Auslegung des Wählerverzeichnisses seine Wohnung in einen anderen Wahlbezirk verlegt oder aus beruflichen Gründen, infolge Krankheit, hohen Alters, eines körperlichen Gebrechens oder sonst seines körperlichen Zustandes wegen den Wahlraum nicht oder nur unter nicht zumutbaren Schwierigkeiten aufsuchen kann (§ 22 Abs.1 BWahlO). Diese Gründe sind glaubhaft zu machen (§ 24 Abs.2 BWahlO).

Abs.21

LB 4) Mit Hilfe einer Vertrauensperson kann nur ein Stimmberechtigter wählen, der des Lesens unkundig oder durch körperliche Gebrechen behindert ist, den Stimmzettel zu kennzeichnen oder in den Wahlumschlag zu legen und diesen dem Wahlvorsteher zu übergeben (§ 34 Abs.2 BWahlG). Der Wähler muß die Vertrauensperson bestimmen und dem Wahlvorstand bekanntgeben (§ 53 Abs.1 BWahlO). Die Hilfeleistung der Vertrauensperson muß sich auf die Erfüllung der Wünsche des Wählers beschränken. Die Vertrauensperson darf gemeinsam mit dem Wähler die Wahlzelle aufsuchen, soweit das zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 53 Abs.2 BWahlO). Sie ist zur Geheimhaltung der Kenntnisse verpflichtet, die sie bei Hilfeleistung von der Wahl eines anderen erlangt hat (§ 53 Abs.3 BWahlO). Für die Briefwahl gilt diese Regelung entsprechend (§ 62 Abs.2 Satz 3 BWahlO).

* * *

T-67-01Verfassungsmäßigkeit- Briefwahl

15

"1. Die Beschwerde ist zulässig. Der Beschwerdeführer stützt sie auf die Anwendung angeblich verfassungswidriger Vorschriften des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung. Im Wahlprüfungsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht findet eine solche Prüfung statt. Von der Verfassungsmäßigkeit wahlgesetzlicher Vorschriften hängt möglicherweise die Entscheidung über die Gültigkeit der Wahl ab (BVerfGE_16,130 <135 f>).

16

2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

17

a) Die Briefwahl, die im Bund und in einer Reihe von Ländern in den letzten zwei Jahrzehnten eingeführt worden ist, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch die besonderen Vorschriften des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung über die Briefwahl und die Wahl mit Vertrauenspersonen sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

18

Die Briefwahl setzt voraus, daß der Wähler einen Wahlschein besitzt (§ 36 BWahlG). Einen Wahlschein erhält er nur, wenn er sich entweder am Wahltage während der Wahlzeit aus wichtigem Grunde außerhalb seines Wahlbezirks aufhält oder nach Beginn der Frist für die Auslegung des Wählerverzeichnisses seine Wohnung in einen anderen Wahlbezirk verlegt oder aus beruflichen Gründen, infolge Krankheit, hohen Alters, eines körperlichen Gebrechens oder sonst seines körperlichen Zustandes wegen den Wahlraum nicht oder nur unter nicht zumutbaren Schwierigkeiten aufsuchen kann (§ 22 Abs.1 BWahlO). Diese Gründe sind glaubhaft zu machen (§ 24 Abs.2 BWahlO). Wer den Antrag auf Erteilung eines Wahlscheines für einen anderen stellt, muß nachweisen, daß er dazu berechtigt ist (§ 24 Abs.3 BWahlO). Entsprechendes gilt für die Aushändigung der Briefwahlunterlagen (§ 25 Abs.4 Satz 1 BWahlO). Der Wahlschein muß von dem damit beauftragten Bediensteten eigenhändig unterschrieben sein (§ 25 Abs.2 BWahlO). Über die ausgestellten Wahlscheine führt die Gemeindebehörde ein besonderes Wahlscheinverzeichnis (§ 25 Abs.5 Satz 1 BWahlO). Wer einen Wahlschein erhalten hat, wird im allgemeinen Wählerverzeichnis gesperrt (§ 27 BWahlO). Verlorene Wahlscheine werden nicht ersetzt (§ 25 Abs.8 BWahlO). Der Wähler hat dem Kreiswahlleiter des Wahlkreises, in dem der Wahlschein ausgestellt ist, in einem verschlossenen Wahlbriefumschlag seinen Wahlschein und in einem besonderen verschlossenen Umschlag seinen Stimmzettel zu übersenden (§ 36 Abs.1 BWahlG). Der Stimmzettel ist unbeobachtet zu kennzeichnen und in den Wahlumschlag zu legen (§ 62 Abs.2 Satz 1 BWahlO). Auf dem Wahlschein hat der Wähler eidesstattlich zu versichern, daß er den Stimmzettel persönlich gekennzeichnet hat (§ 36 Abs.2 BWahlG). Der Kreiswahlleiter sammelt die Wahlbriefe ungeöffnet und legt sie unter Verschluß (§ 71 Abs.1 BWahlO).

19

Diese Regelung verletzt weder die Wahlfreiheit noch das Wahlgeheimnis. Den staatlichen Bediensteten ist vorgeschrieben, wie sie zu verfahren haben. Die Sorge für die Wahrung des Wahlgeheimnisses ist dem Kreiswahlleiter übertragen. Was die Beförderung der Briefe durch die Post betrifft, so steht diese unter der Garantie des Postgeheimnisses.

20

Dem Wahlberechtigten ist es bei der Briefwahl allerdings weitgehend selbst überlassen, für das Wahlgeheimnis und die Wahlfreiheit Sorge zu tragen. Der Gesetzgeber ist sich jedoch der besonderen Gefahren, die sich daraus ergeben, bewußt gewesen. Er hat die Briefwahl nicht unbeschränkt und unbedingt zugelassen, sondern nur in den Fällen gestattet, in denen der Stimmberechtigte glaubhaft macht, daß er sein Wahlrecht nicht durch persönliche Stimmabgabe ausüben kann. Auch muß der Stimmberechtigte die Initiative ergreifen, um sich die Briefwahlunterlagen zu beschaffen. Er ist zudem verpflichtet, den Stimmzettel selber unbeobachtet zu kennzeichnen und in den Wahlumschlag zu legen und hat eidesstattlich zu versichern, daß er den Stimmzettel persönlich gekennzeichnet hat. Diese Beschränkungen sind auch wirksam gewesen und haben zur Folge gehabt, daß bei der Bundestagswahl 1957 nur 5,4% der Wähler, bei der Bundestagswahl 1961 nur 5,9% und bei der Bundestagswahl 1965 nur 7,1% aller Wahlberechtigten mit Hilfe eines Wahlscheines gewählt haben (Statistisches Bundesamt, "Bevölkerung und Kultur", Reihe 8, Wahl zum 5.Deutschen Bundestag am 19.September 1965, Heft 6, Allgemeine Wahlergebnisse nach Wahlkreisen, Sitzverteilung und Abgeordnete, S.11). Daß von den Briefwählern ein höherer Prozentsatz anders als die übrigen Wähler gewählt hat, läßt nicht den Schluß zu, daß bei der Briefwahl in einem größeren Ausmaß der verfassungsrechtliche Grundsatz des Wahlgeheimnisses und damit der Freiheit der Wahl verletzt worden ist. Dieser Unterschied kann beispielsweise schon in der verschiedenen sozialen Struktur der Brief Wähler begründet sein.

21

b) Mit Hilfe einer Vertrauensperson kann nur ein Stimmberechtigter wählen, der des Lesens unkundig oder durch körperliche Gebrechen behindert ist, den Stimmzettel zu kennzeichnen oder in den Wahlumschlag zu legen und diesen dem Wahlvorsteher zu übergeben (§ 34 Abs.2 BWahlG). Der Wähler muß die Vertrauensperson bestimmen und dem Wahlvorstand bekanntgeben (§ 53 Abs.1 BWahlO). Die Hilfeleistung der Vertrauensperson muß sich auf die Erfüllung der Wünsche des Wählers beschränken. Die Vertrauensperson darf gemeinsam mit dem Wähler die Wahlzelle aufsuchen, soweit das zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 53 Abs.2 BWahlO). Sie ist zur Geheimhaltung der Kenntnisse verpflichtet, die sie bei Hilfeleistung von der Wahl eines anderen erlangt hat (§ 53 Abs.3 BWahlO). Für die Briefwahl gilt diese Regelung entsprechend (§ 62 Abs.2 Satz 3 BWahlO).

22

Auch diese Regelung ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Ohne Zuziehung einer Vertrauensperson würde der Wahlberechtigte nicht in der Lage sein, sein Wahlrecht auszuüben. Wenn das Grundgesetz dem Gesetzgeber gestattet, dafür zu sorgen, daß nach Möglichkeit alle Wahlberechtigten ihr Wahlrecht ausüben, muß demgegenüber die Wahrung des Wahlgeheimnisses zurücktreten.

23

Im einzelnen hat der Gesetzgeber mit der heutigen Regelung die ihm durch das Grundgesetz bei der Ausübung seines Ermessens gezogenen Grenzen nicht überschritten. Der Gefahr, daß die Hilfe bei der Stimmabgabe zu Unrecht in Anspruch genommen wird, ist dadurch vorgebeugt, daß der Wähler in der Regel persönlich im Wahllokal erscheinen muß und der örtliche Wahlvorstand die Hilfsbedürftigkeit in jedem Einzelfall feststellen kann. Zudem liefert das Gesetz den Hilfsbedürftigen nicht der Hilfsperson aus. Bei geistigen Gebrechen ist keine Hilfe zulässig. Der Wähler, der des Lesens unkundig ist, muß daher im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und imstande sein, die Vertrauensperson sinnvoll auszuwählen. Der Hilfsbedürftige kann die Vertrauensperson auch kontrollieren. Soweit die Hilfsbedürftigkeit nur auf körperlichen Gebrechen beruht, kann sich der Wähler durch Augenschein davon überzeugen, daß die Vertrauensperson den Stimmzettel seinem Willen gemäß ausfüllt. Im übrigen hat jeder Hilfsbedürftige die Möglichkeit, sich den Stimmzettel vor oder nach der Wahl erläutern zu lassen und so zu überprüfen, ob ihn die Vertrauensperson an der richtigen Stelle angekreuzt hat.

24

Auch gegen die Inanspruchnahme einer Vertrauensperson bei der Briefwahl bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Gründe, aus denen sich ergeben könnte, daß die Kombination von Briefwahl und Wahl durch eine Vertrauensperson unzulässig ist, sind nicht erkennbar."

 

Auszug aus BVerfG B, 15.02.67, - 2_BvC_2/66 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.15 ff

§§§

67.006 Flächentransistor

  1. BVerfG,     B, 01.03.67,     – 1_BvR_46/66 –

  2. BVerfGE_21,207 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.19 Abs.3; GG_Art.2, GG_Art.3, GG_Art.14

 

LB 1) Nach Art.19 Abs.3 stehen die den natürlichen Personen eingeräumten Grundrechte auch juristischen Personen zu, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

 

LB 2) Diese Erweiterung der Grundrechte erstreckt sich jedoch kraft ausdrücklicher Verfassungsvorschrift nur auf inländische juristische Personen. Wortlaut und Sinn verbieten eine ausdehnende Auslegung auf ausländisch juristische Personen.

 

LB 3) Die Beschwerdeführerin, die ihren Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika hat, kann nicht die Verletzung der Art.2, 3 und 14 GG durch die angefochtenen Gerichtsentscheidungen geltend machen. Sie ist auch nicht befugt, zur Wahrung etwaiger Rechte ihrer Mitarbeiter Verfassungsbeschwerde einzulegen (vgl BVerfGE_16,147 <158>).

§§§

67.007 Südkurier

  1. BVerfG,     U, 04.04.67,     – 1_BvR_414/64 –

  2. BVerfGE_21,271 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.5 Abs.1 S.2, GG_Art.5 Abs.2, GG_Art.19 Abs.3; AVAVG_§_37 Abs.2 S.3

 

1) Die Frist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit beginnt mit der Zustellung der in vollständiger Form abgefaßten Entscheidung.

 

2) Das Grundrecht der Pressefreiheit kann einer inländischen juristischen Person zustehen.

 

3) Die Pressefreiheit umfaßt auch den Anzeigenteil.

 

4) Das Verbot der Veröffentlichung von Stellenangeboten für eine Beschäftigung von Arbeitnehmern im Ausland (§ 37 Abs.2 Satz 3 AVAVG) verstößt gegen das Grundrecht der Pressefreiheit.

§§§

67.008 Arbeitsvermittlungsmonopol

  1. BVerfG,     U, 04.04.67,     – 1_BvR_84/65 –

  2. BVerfGE_21,261 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.12 Abs.1, GG_Art.19 Abs.3; AVAVG_§_37 Abs.3

 

1) Inländischen juristischen Personen des Privatrechts kann für ihre Erwerbstätigkeit das Grundrecht des Art.12 Abs.1 GG zustehen.

 

2) Die Ausdehnung des Arbeitsvermittlungsmonopols auf Arbeitnehmer Überlassungsverträge durch § 37 Abs.3 AVAVG ist mit dem Grundrecht der freien Berufswahl nicht vereinbar.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1) Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 1964 - IV ARBf 4/64 - verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landessozialgericht Hamburg zurückverwiesen.

2) § 37 Absatz 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 3.April 1957 (Bundesgesetzbl.I Seite 321) ist nichtig.

§§§

67.009 Führungskräfte-Wirtschaft

  1. BVerfG,     U, 04.04.67,     – 1_BvR_126/65 –

  2. BVerfGE_21,245 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.12 Abs.1; AVAVG_§_35

 

1) Die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen ein in Abwesenheit des Angeklagten verkündetes Strafurteil beginnt mit dessen Zustellung.

 

2) Der Ausschluß der freien Wahl des Berufs des selbständigen Arbeitsvermittlers durch das Arbeitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (§ 35 AVAVG) ist mit Art.12 Abs.1 GG vereinbar.

 

3) Die Einbeziehung des Berufs des selbständigen Vermittlers von "Führungskräften der Wirtschaft" in das Arbeitsvermittlungsmonopol ist mit Art.12 Abs.1 GG vereinbar.

§§§

67.010 Wasser-+ Schiffahrtsverwaltung

  1. BVerfG,     B, 11.04.67,     – 2_BvG_1/62 –

  2. BVerfGE_21,312 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.30; GG_Art.83, GG_Art.89 Abs.2 S.1, GG_Art.89 Abs.3; BVerfGG_§_64

 

1) Daraus, daß eine Bundeswasserstraße zugleich Verkehrsweg und Wasserspender ist, läßt sich weder eine Erweiterung der Kompetenz der Bundeswasserstraßenverwaltung noch eine Erweiterung der Kompetenz der Landeswasserstraßenbehörden ableiten.

 

2) Das Wasserhaushaltgesetz des Bundes und das Hessische Wassergesetz bilden zusammen erst die "gesetzliche Regelung", die im Sinn vom Art.83 GG ausgeführt werden kann. Die beiden Gesetzes regeln die Materie "Wasser" in ihrer Bedeutung für den menschlichen Gebrauch und Vergleich, also unter dem Gesichtspunkt der "Wasserwirtschaft und Landeskultur", nicht auch in ihrer Bedeutung als "Wasserstraße und Verkehrsweg". Eine Zuständigkeit des Bundes zur Ausführung dieser Gesetze kann also nicht in Abweichung von Art.83 GG aus Art.89 Abs.2 Satz 1 GG hergeleitet werden.

 

Die verfassungsrechtliche Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten des Bundes kommt nur in Betracht, wenn zwischen dem Bund und dem Land ein konkretes verfassungsrechtliches Verhältnis besteht, aus dem sich ein Recht des Bundes ergibt.

 

4) Der Verwaltungsakt einer unteren Bundesbehörde, der wegen Verkennung der Verfassungslage rechtswidrig ist, kann nicht Gegenstand einer Verfassungsstreitigkeit zwischen einem Land und dem Bund sein.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Der Bund hat dadurch Artikel 30 und Artikel 83 des Grundgesetzes verletzt, daß Behörden der Bundeswasserstraßenverwaltung über Erlaubnisse und Genehmigungen auf Grund des Hessischen Wassergesetzes entschieden und dafür Gebühren nach dem Hessischen Verwaltungsgebührengesetz erhoben haben.

§§§

67.011 Beamtinnenwitwer

  1. BVerfG,     B, 11.04.67,     – 2_BvL_3/62 –

  2. BVerfGE_21,329 = www.dfr/BVerfGE

  3. (Hb) LBG_§_125, LBG_§_126, LBG_§_134 S.1, GG_Art.3 Abs.2; GG_Art.6 Abs.1 GG_Art.100

 

1) Die Vorlage eines Gerichts im Normenkontrollverfahren, das eine landesrechtliche Vorschrift betrifft, deren Inhalt durch eine Bestimmung in einem Bundesrahmengesetz vorgeschrieben ist, ist nicht deshalb unzulässig, weil in diesem Verfahren nicht über die Gültigkeit oder Nichtigkeit der inhaltsgleichen bundesrechtlichen Vorschrift entschieden werden kann, deren Übernahme dem Landesgesetzgeber zur Pflicht gemacht ist.

 

2) Eine Verknüpfung der "amtsgemäßen" Versorgung der Hinterbliebenen eines Beamten mit ihren bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüchen gegen den Beamten ist mit einem hergebrachten und zu beachtenden Grundsatz des Berufsbeamtentums ebensowenig vereinbar wie die Bemessung der Besoldung und des Ruhegehalts des Beamten nach den konkreten Bedürfnissen und Vermögensverhältnissen seiner Familie, die die privatrechtliche Unterhaltsverpflichtung beeinflussen.

 

3) Art.3 Abs.2 und 3 GG gebietet, daß die Beamtin auch hinsichtlich der Versorgung ihrer nächsten Familienangehörigen dem Beamten gleichzustellen ist.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 134 des Hamburgischen Beamtengesetzes vom 13.März 1961 (GVBl.S.49) in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Hamburgischen Beamtengesetzes vom 22.Juni 1962 (GVBl.S.139) verletzt Artikel 3 Absatz 2 und 3 des Grundgesetzes und ist deshalb nichtig, soweit er den Anspruch des beim Tode der Beamtin in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Witwers auf Witwergeld dem Grunde und der Höhe nach vom Bestehen eines gesetzlichen Unterhaltsanspruchs des Witwers gegen seine verstorbene Ehefrau abhängig macht.

§§§

67.012 Ausgleichsanspruch

  1. BVerfG,     B, 02.05.67,     – 1_BvR_578/63 –

  2. BVerfGE_21,362 = www.dfr/BVerfGE

  3. RVO_§_1542; GG_Art.19 Abs.3; BVerfGG_§_90 Abs.1

 

1) Die Grundrechte gelten grundsätzlich nicht für juristische Personen des öffentlichen Rechts, soweit die öffentliche Aufgaben wahrnehmen; insoweit steht ihnen der Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde nicht zu.

 

2) Eine zivilgerichtliche Entscheidung, die einem Rentenversicherungsträger einen Ausgleichsanspruch gemäß § 1542 RVO versagt, betrifft diesen als Träger öffentlicher Aufgaben und kann daher von ihm nicht mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden. Ein Rentenversicherungsträger ist eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts, die zum Bereich der sogenannten mittelbaren Staatsverwaltung gehört.

§§§

67.013 Wehrdisziplin

  1. BVerfG,     B, 02.05.67,     – 2_BvR_391/64 –

  2. BVerfGE_21,378 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.103 Abs.3; GG_Art.20 Abs.3

 

1) Art.103 Abs.3 GG findet im Verhältnis von disziplinaren Arreststrafen nach der Wehrdisziplinarordnung und Kriminalstrafen keine Anwendung.

 

2) Es ist mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar, daß wegen derselben Tat eine strafgerichtliche Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Berücksichtigung einer bereits verhängten disziplinaren Arreststrafe erfolgt. LB 3) In § 6 Abs.1 WDO kommt zwar zum Ausdruck, daß die Verhängung von Disziplinarstrafen neben strafgerichtlichen Strafen zulässig sein soll (vgl Beschluß vom 2.Mai 1967 -- 2_BvL_1/66 -), nicht aber, daß die Strafgerichte sich einer Anrechung von Arreststrafen auf Kriminalstrafen zu enthalten hätten. Die Strafgerichte hätten die verhängten Arreststrafen daher anrechnen können und müssen.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1) Das Urteil des Amtsgerichts -- Schöffengericht -- Koblenz vom 14. Mai 1962 -- 21 Ms 82/62 --, das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 20. Dezember 1963 -- 21 Ms 82/62 -- und das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 4.Mai 1964 -- 1 Ss 96/64 -- verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers zu 1) aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes; sie werden aufgehoben.

Die Sache wird an das Amtsgericht Koblenz zurückverwiesen.

2) Das Urteil des Amtsgerichts -- Schöffengericht -- Stade vom 27. August 1965 -- 9 Ms 38/65 --, das Urteil des Landgerichts Stade vom 1. November 1965 -- Ns 9 Ms 38/65 -- und der Beschluß des Oberlandesgerichts Celle vom 16. März 1966 -- 2 Ss 37/66 -- verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers zu 2) aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes; sie werden aufgehoben.

Die Sache wird an das Amtsgericht Stade zurückverwiesen.

§§§

67.014 Verwaltungsstrafverfahren

  1. BVerfG,     U, 06.06.67,     – 2_BvR_375/60 –

  2. BVerfGE_22,49 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.92 Hs.1; AO_§_421 Abs.2, AO_§_445, AO_§_447 Abs.1

 

1) Kriminalstrafen können nach Art.92 Halbs.1 GG nur durch die Richter verhängt werden. Sie dürfen deshalb auch bei minder gewichtigen strafrechtlichen Unrechtstatbeständen nicht in einem Verwaltungsverfahren ausgesprochen werden.

 

2) §§ 421 Abs.2, 445 und 447 Abs.1 AO vom 13.Dezember 1919 in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.Mai 1931 (RGBl.I 161, 218), nach denen die FA Kriminalstrafen verhängen können, sind deshalb mit dem GG unvereinbar und daher nichtig.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1) Der Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 12.Februar 1960 - 1 StR 54/60 -, das Urteil der III.großen Strafkammer des Landgerichts Heilbronn vom 26. Oktober 1959 - III KMs 12/57 -, das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21.April 1959 - 1 StR 504/58 -, das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 17. März 1958 - III KMs 12/57 -, das Urteil des Finanzgerichts Stuttgart vom 30.April 1957 - II 135/57 - FG 21 -, der Beschwerdebescheid der Oberfinanzdirektion Stuttgart vom 10. Januar 1957 - S 1266 B - 465 - St 54 - und der Strafbescheid des Finanzamts Heilbronn vom 20. März 1956 - Strafliste Nr.76/1955 - verletzen das Recht des Beschwerdeführers Dr. G. aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 92 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.

2) Das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 12. Oktober 1961 - 2 Ss 131/61 -, das Urteil des Amtsgerichts Konstanz vom 7. März 1961 - Ds 120/60 -, der Beschwerdebescheid der Oberfinanzdirektion Freiburg vom 1. September 1958 - S 1266 B - 5/57 - St 17 b - und der Strafbescheid der Gemeinsamen Strafsachenstelle beim Finanzamt Konstanz vom 16. August 1957 - Strafliste Nr. 10/1957 - verletzen das Recht der Beschwerdeführerin M. aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 92 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.

3) Das Urteil des Oberlandesgerichtes Oldenburg vom 23. Oktober 1964 - 3 Ss 149/64 -, das Urteil der 1. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg vom 13.Juli 1962 - 13 Ns 8/61 -, das Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 23. Februar 1961 - 13 Ds 491/59 - und die Unterwerfungsverhandlung des Finanzamts Wilhelmshaven vom 21. Dezember 1953 - Strafliste Nr.70/53 - verletzen das Recht des Beschwerdeführers Dr P aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 92 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.

4) § 421 Absatz 2, § 445 und § 447 Absatz 1 der Abgabenordnung vom 13.Dezember 1919 in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.Mai 1931 (RGBl.I S.161 [218

§§§

67.015 Unterhalt I

  1. BVerfG,     B, 07.06.67,     – 1_BvR_76/62 –

  2. BVerfGE_22,93 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.3 Abs.2, GG_Art.6 Abs.1; BGB_§_1361 Abs.2

T-67-02

LB 1) Zur Verfassungsmäßigkeit des § 1361 Abs.2 BGB.

Abs.7

LB 2) Gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 1361 Abs.2 BGB, der durch das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts vom 18.Juni 1957 (BGBl.I S.609) neu gefaßt worden ist, bestehen weder im Hinblick auf den durch Art.6 Abs.1 GG geforderten Schutz von Ehe und Familie noch im Hinblick auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau nach Art.3 Abs.2 GG Bedenken.

* * *

T-67-02Zur Verfassungsmäßigkeit des § 1361 Abs.2 BGB

5

"1. Leben Ehegatten getrennt, so kann nach § 1361 Abs.1 BGB jeder Ehegatte von dem anderen Unterhalt nur verlangen, wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht. Eine Sonderregelung für die nichterwerbstätige Frau trifft § 1361 Abs.2 BGB für den Fall, daß der Mann die Trennung allein oder in erheblich überwiegendem Maße verschuldet hat.

6

Dann kann die Ehefrau nur darauf verwiesen werden, ihren Unterhalt selbst zu verdienen, wenn sie auch bei Fortbestehen der häuslichen Gemeinschaft zu einer Erwerbstätigkeit verpflichtet gewesen wäre oder -- was hier in Frage kommt -- die Inanspruchnahme des Mannes nach den besonderen Umständen des Einzelfalles, insbesondere mit Rücksicht auf eine frühere Erwerbstätigkeit der Frau oder die kurze Dauer der Ehe grob unbillig wäre.

7

2. Gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 1361 Abs.2 BGB, der durch das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts vom 18.Juni 1957 (BGBl.I S.609) neu gefaßt worden ist, bestehen weder im Hinblick auf den durch Art.6 Abs.1 GG geforderten Schutz von Ehe und Familie noch im Hinblick auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau nach Art.3 Abs.2 GG Bedenken. Diese Unterhaltsregelung trägt beiden Verfassungsgeboten Rechnung, indem sie in den dort geregelten Fällen einen besonderen Schutz der nichterwerbstätigen Ehefrau vorsieht (vgl den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht -- 16.Ausschuß -- zu BT-Drucks.II/3409 S.39). Sie geht davon aus, daß die Frau ihre Verpflichtung zum Unterhalt der Familie in der Regel durch die Führung des Haushalts erfüllt (§ 1360 Satz 2 BGB) und häufig im Vertrauen auf die Dauerhaftigkeit der Ehe von einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit Abstand nimmt, um sich ausschließlich dem häuslichen Bereich der Familie zu widmen. Hieraus ergeben sich im Falle einer Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft zwangsläufig erhebliche Nachteile für die erwerbswirtschaftliche Situation der Frau, und zwar auch dann, wenn sie keine Kinder zu betreuen hat (vgl BVerfGE_17,1 <21 f>). Die Hausfrau ohne andere Berufsausbildung wird in den meisten Fällen zu alt sein, um eine solche nachzuholen, und ist daher auf die Übernahme einer ungelernten, dh entsprechend niedrig entlohnten Arbeit angewiesen. Auch die Frau, die einen anderen Beruf erlernt, aber wegen der Ehe aufgegeben hat, wird oft schon nach kurzer Unterbrechung, sicher aber nach Jahren der Berufsentfremdung, Schwierigkeiten haben, in diesen Beruf zurückzukehren, und regelmäßig nicht mehr die Position erreichen können, die sie bei ununterbrochener beruflicher Tätigkeit voraussichtlich einnehmen würde. Deswegen verlangt § 1361 Abs.2 BGB, daß die regelmäßig auf der übereinstimmenden Entscheidung der Ehegatten beruhende Arbeitsteilung in der Ehe bei nicht von der Frau -- allein oder überwiegend -- verschuldeten Störungen der Ehe zu ihren Gunsten berücksichtigt wird. Der Partner, der schuldhaft die Fortsetzung des ehelichen Zusammenlebens in der bisherigen Weise vereitelt, soll die Frau in der Regel nicht darauf verweisen können, ihren Unterhalt nunmehr durch eine außerhäusliche Erwerbsarbeit zu verdienen. Etwas anderes soll nur gelten, wenn nach den Umständen des Einzelfalles die unveränderte Fortdauer der vollen Unterhaltspflicht des Mannes eine grobe Unbilligkeit darstellen würde. So gesehen bildet die Regelung eine Ausprägung des richtig verstandenen Grundsatzes der Gleichberechtigung der Frau in der Ehe."

 

Auszug aus BVerfG B, 07.06.67, - 1_BvR_76/62 -, www.dfr/BVerfGE,  Abs.5 ff

§§§

67.016 Steuerausschüsse

  1. BVerfG,     B, 20.06.67,     – 2_BvL_10/64 –

  2. BVerfGE_22,106 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.19 Abs.4, GG_Art.20 Abs.3; AO_§_263 Abs.2 S.1

 

Die Befugnis von Verwaltungsbehörden, eine richterliche Nachprüfung von Entscheidungen weisungsfreier Verwaltungsausschüsse herbeizuführen (In-sich-Prozeß), verstößt weder gegen Art.19 Abs.4 GG noch gegen das Prinzip der Gewaltenteilung.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 263 Absatz 2 Satz 1 der Reichsabgabenordnung vom 22. Mai 1931 (RGBl.I S.161) in der Fassung des Gesetzes über die Finanzverwaltung vom 6.September 1950 (BGBl.S.448) war mit dem Grundgesetz vereinbar.

§§§

67.017 Verteidigungsbefugnis-Entziehung

  1. BVerfG,     B, 28.06.67,     – 2_BvR_143/61 –

  2. BVerfGE_22,114 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.12 Abs.1, GG_Art.101 Abs.1 S.2, GG_Art.103 Abs.1; AO_§_263 Abs.2 S.1

 

Zur Entziehung der Verteidigungsbefugnis (Art.12 Abs.1 GG).

§§§

67.018 EWG-Recht

  1. BVerfG,     B, 05.07.67,     – 2_BvL_29/63 –

  2. BVerfGE_22,134 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.100 Abs.1;

 

Zur Zulässigkeit einer Vorlage nach Art.100 Abs.1 GG in einem Fall, bei dem die Entscheidungserheblichkeit des zur Prüfung gestellten Gesetzes von der Auslegung von Recht der EWG abhängt.

 

LB 2) Die Vorlage ist unzulässig, und zwar sowohl hinsichtlich des Art.1 Vertragsgesetz zum EWGV in Verbindung mit Art.189 des Vertrags als auch hinsichtlich des Abschöpfungserhebungsgesetzes und des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr.19.

 

LB 3) Das Finanzgericht hat dem Bundesverfassungsgericht ferner die Frage vorgelegt, ob das Abschöpfungserhebungsgesetz und das Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr.19 mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Auch insoweit ist die Vorlage unzulässig. Das Finanzgericht hat in der Begründung seines Vorlagebeschlusses nicht hinreichend deutlich dargelegt, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit dieser beiden Gesetze abhängig ist (§ 80 Abs.2 BVerfGG).

 

LB 4) Diese Entscheidung ist mit 4 gegen 3 Stimmen ergangen.

§§§

67.019 Normenkontrolle III

  1. BVerfG,     B, 11.07.67,     – 1_BvL_11/67 –

  2. BVerfGE_22,175 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.100 Abs.1;

 

Zu den Anforderungen an eine Vorlage nach Art.100 Abs.1 GG.

 

LB 2) Die Mindesterfordernisse einer zulässigen Vorlage im Verfahren der konkreten Normenkontrolle nach Art.100 Abs.1 GG in Verbindung mit § 80 Abs.2 Satz 1 BVerfGG sind nicht erfüllt.

 

LB 3) Danach ist in der Begründung des Vorlagebeschlusses anzugeben, inwiefern die Entscheidung des Gerichts von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Rechtsvorschrift abhängt. Entscheidungserheblich in diesem Sinne ist die Norm nur dann, wenn das Gericht im Ausgangsverfahren bei Ungültigkeit der Norm anders entscheiden müßte als bei deren Gültigkeit ( BVerfGE_7,171 <173 f>; BVerfGE_11,294 <296 ff>, 330 <334 ff>).

 

LB 4) Das Gericht hat daher in den Gründen des Vorlagebeschlusses den Sachverhalt darzustellen, soweit er für die rechtliche Beurteilung wesentlich ist, und die rechtlichen Erwägungen darzulegen, nach denen es für die von ihm zu treffende Entscheidung auf die Gültigkeit der gesetzlichen Vorschrift ankommt. An alledem fehlt es hier.

 

LB 5) Zwar kann aus dem Vorlagebeschluß im Zusammenhang mit den vorgelegten Akten allenfalls geschlossen werden, daß das Gericht bei Ungültigkeit des § 1747 Abs.3 BGB die Beschwerden zurückweisen will; jedoch ist nicht ersichtlich, ob und aus welchem Grunde das Gericht bei Gültigkeit der Norm zu einem anderen Ergebnis gelangen wird.

§§§

67.020 Jugendhilfe

  1. BVerfG,     U, 18.07.67,     – 2_BvF_3/62 –

  2. BVerfGE_22,180 = www.dfr/BVerfGE

  3. GG_Art.20 Abs.1, GG_Art.30, GG_Art.83, GG_Art.80 Abs.1 S.2, GG_Art.84 Abs.1

 

1) Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Staat, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Es besagt jedoch nicht, daß der Gesetzgeber für die Verwirklichung dieses Zieles nur behördliche Maßnahmen vorsehen darf; es steht ihm frei, dafür auch die Mithilfe privater Wohlfahrtsorganisationen vorzusehen.

 

2) Der Bund kann nach Art.84 Abs.1 GG im Rahmen seiner materiellen Gesetzgebungszuständigkeit die Einrichtung und das Verfahren kommunaler Behörden regeln, sofern dies für die Gewährleistung eines wirksamen Gesetzesvollzugs notwendig ist.

 

3) Eine vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes erlassene Vorschrift, die zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt, muß den Erfordernissen des Art.80 Abs.1 Satz 2 GG entsprechen, wenn das materielle Recht, zu dessen Durchführung die zu erlassenden Verordnungen dienen sollen, nach Inkrafttreten des Grundgesetzes wesentlich geändert worden ist.

 

4) Die Wahrnehmung von Förderungsaufgaben durch den Bund fällt unter Art.30, 83 GG. Sie ist, sofern dem Bund dafür vom Grundgesetz nicht ausdrücklich eine Verwaltungszuständigkeit eingeräumt ist, nur bei Aufgaben eindeutig überregionalen Charakters zulässig.

 

5) Die zwangsweise Anstalts- oder Heimunterbringung eines Erwachsenen, die weder dem Schutz der Allgemeinheit noch dem Schutz des Betroffenen selbst, sondern ausschließlich seiner "Besserung" dient, ist verfassungswidrig.

* * *

Urteil

Entscheidungsformel: 1) § 12 Absatz 1 und § 24 des Gesetzes für Jugendwohlfahrt in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1961 (BGBl.I S.1205) sind nichtig.

§ 2 Absatz 2, § 5 Absatz 1 bis 3, § 7, § 8 Absatz 3, § 9 Absatz 2, § 12 Absatz 2 und 3, §§ 13 bis 16, § 18, § 25 Absatz 1 und § 37 Satz 4 des Gesetzes für Jugendwohlfahrt in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.August 1961 (BGBl.I S.1205) sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

2) § 73 Absatz 2 und 3 und § 96 Absatz 1 Satz 2 des Bundessozialhilfegesetzes vom 30. Juni 1961 (BGBl. I S. 815) sind nichtig.

§ 8 Absatz 2 Satz 2, § 10 Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4, § 93 Absatz 1 Satz 2, § 96 Absatz 1 Satz 3 und Absatz 2 Satz 2 des Bundessozialhilfegesetzes vom 30.Juni 1961 (BGBl.I S.815) sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

3) Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.

§§§

67.021 Einheitliches Grundrecht

  1. BVerfG,     B, 19.07.67,     – 2_BvR_639/66 –

  2. BVerfGE_22,267 = www.dfr/BVerfGE

  3. BVerfGG_§_90 Abs.1; GG_Art.1 ff, GG_Art.142

 

1) Zum Verhältnis der Verfassungsbeschwerde nach Bundesrecht und nach bayerischem Recht.

 

2) Art.142 GG gilt auch für diejenigen in den Landesverfassungen enthaltenen "Grundrechte", die sich im GG nicht im 1.Abschnitt, sondern an anderer Stelle finden.

 

3) Die Grundrechtsvorschriften des GG und die gemäß Art.142 GG in Kraft gebliebenen Grundrechtsbestimmungen der Landesverfassungen schützen je ein und dasselbe Grundrecht.

§§§

67.022 2.Rentenanpassungsgesetz

  1. BVerfG,     B, 19.07.67,     – 2_BvR_1/65 –

  2. BVerfGE_22,241 = www.dfr/BVerfGE

  3. 2.RentAnpG_§_8 Abs.3 S.1; GG_Art.3, GG_Art.14

 

Die durch § 8 Abs.3 Satz 1 des Zweiten Rentenanpassungsgesetzes vom 21.12.59 bewirkte Änderung der Altersgrenze für das Altersruhegeld aus der saarländischen Angestelltenversicherung (Art.2 § 17 des Gesetzes zur Einführung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz im Saarland vom 13.07.57) ist mir dem Grundgesetz vereinbar.

 

LB 2) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind belastende Gesetze, die sich echte Rückwirkung beilegen, regelmäßig wegen Verstoßes gegen das im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verfassungswidrig. Echte Rückwirkung ist gegeben, "wenn das Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift" ( BVerfGE_11,139 <145 f>).

 

LB 3) Das Zweite Rentenanpassungsgesetz greift nicht in abgeschlossene Tatbestände ein. Soweit bei seinem Inkrafttreten der hier in Betracht kommende Tatbestand vollendet -- dh der Versicherungsfall bereits eingetreten -- war, ist die Regelung des alten, im Saarland geltenden Rechts nicht zum Nachteil der Versicherten geändert worden. Nur für zukünftige Versicherungsfälle wurden die Voraussetzungen der Rentengewährung durch die Aufhebung des Art.2 17 G Nr.590 umgestaltet.

 

LB 4) Aus dem rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ergeben sich jedoch verfassungsrechtliche Grenzen auch bei der sogenannten "unechten Rückwirkung", die darin besteht, daß ein Gesetz "nur auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt" ( BVerfGE_11,139 <146>).

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 8 Absatz 3 Satz 1 des Zweiten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage öür das Jahr 1959 (Zweites Rentenanpassungsgesetz) vom 21. Dezember 1959 (Bundesgesetzblatt I Seite 765) ist mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit er Artikel 2 § 17 des saarländischen Gesetzes Nr.590 zur Einführung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Saarland vom 13.Juli 1957 (Amtsblatt Seite 789) betrifft.

§§§

67.023 Betheldiener

  1. BVerfG,     B, 17.10.67,     – 1_BvR_760/64 –

  2. BVerfGE_22,287 = www.dfr/BVerfGE

  3. BVerfGG_§_90 Abs.2 S.1;

 

Zur Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (§ 90 Abs.2 Satz 1 BVerfGG).

 

LB 2) Gleichwohl steht der in § 90 Abs.2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde entgegen. Danach muß ein Beschwerdeführer die Beseitigung des Hoheitsaktes, dessen Grundrechtswidrigkeit er geltend macht, zunächst mit den ihm durch das Gesetz zur Verfügung gestellten anderen Rechtsbehelfen zu erreichen suchen (vgl BVerfGE_5,9 <10>; BVerfGE_8,222 <225 f>; BVerfGE_10,274 <281>; BVerfGE_16,1 <2>).

 

LB 3) Die Verfassungsbeschwerde ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der nur zulässig ist, wenn die gerügte Grundrechtsverletzung auf andere Weise nicht hätte beseitigt werden können.

 

LB 4) Ihre Begründung findet diese Zulässigkeitsbegrenzung darin, daß aus Gründen der Rechtssicherheit nur ausnahmsweise formell rechtskräftige oder unanfechtbare Entscheidungen anderer Gerichte oder Behörden in Frage gestellt werden sollen und das Bundesverfassungsgericht nicht durch vermeidbare Verfassungsbeschwerden seinen sonstigen Aufgaben entzogen werden darf.

 

LB 5) Die Rechtsschutzmöglichkeiten nach §§ 32 ff WPflG iVm §§ 68 ff und §§ 40 ff VwGO hat der Beschwerdeführer nicht genutzt. Er kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß er mangels finanzieller Mittel hierzu nicht imstande gewesen sei. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hätte er notfalls die Bewilligung des Armenrechts beantragen können. Wäre sein Gesuch wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung endgültig abgewiesen worden, hätte er damit den Rechtsweg erschöpft und unmittelbar das Bundesverfassungsgericht anrufen können. Die Erschöpfung der dem Beschwerdeführer zur Verfügung stehenden Rechtsmittel war ihm demnach auch zumutbar.

§§§

67.024 EWG-Verordnungen

  1. BVerfG,     B, 18.10.67,     – 1_BvR_248/63 –

  2. BVerfGE_22,293 = www.dfr/BVerfGE

  3. BVerfGG_§_90 Abs.1; EWGV_Art.189 Abs.2

 

Verordnungen des Rates und der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Art.189 Abs.2 EWGV) können mit der Verfassungsbeschwerde nicht unmittelbar angegriffen werden.

 

LB 2) Das Bundesverfassungsgericht kann auf Verfassungsbeschwerde nur Akte der "öffentlichen Gewalt" nachprüfen (§ 90 BVerfGG). Nach ständiger Rechtsprechung sind dies nur Akte der staatlichen, deutschen, an das Grundgesetz gebundenen öffentlichen Gewalt ( BVerfGE_1,10; BVerfGE_6,15 <18>; BVerfGE_18,385 <387 f>; BVerfGE_22,91 ).

 

LB 3) Verordnungen des Rates und der Kommission der EWG sind keine Akte der deutschen öffentlichen Gewalt.

 

LB 4) Der Rat und die Kommission können nach näherer Maßgabe des Vertrages unter anderem Verordnungen erlassen. Diese haben allgemeine Geltung; sie sind in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat (Art.189 Abs.1 und 2 EWGV).

 

LB 5) Die Verordnungen des Rates und der Kommission sind Akte einer besonderen, durch den Vertrag geschaffenen, von der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten deutlich geschiedenen "supranationalen" öffentlichen Gewalt.

 

LB 6) Die Organe der EWG üben Hoheitsrechte aus, deren sich die Mitgliedstaaten zugunsten der von ihnen gegründeten Gemeinschaft entäußert haben.

 

LB 7) Sie ist eine im Prozeß fortschreitender Integration stehende Gemeinschaft eigener Art, eine "zwischenstaatliche Einrichtung" im Sinne des Art.24 Abs.1 GG, auf die die Bundesrepublik Deutschland - wie die übrigen Mitgliedstaaten - bestimmte Hoheitsrechte "übertragen" hat.

 

LB 8) Damit ist eine neue öffentliche Gewalt entstanden, die gegenüber der Staatsgewalt der einzelnen Mitgliedstaaten selbständig und unabhängig ist; ihre Akte brauchen daher von den Mitgliedstaaten weder bestätigt ("ratifiziert") zu werden noch können sie von ihnen aufgehoben werden.

 

LB 9) Der EWG-Vertrag stellt gewissermaßen die Verfassung dieser Gemeinschaft dar. Die von den Gemeinschaftsorganen im Rahmen ihrer vertragsgemäßen Kompetenzen erlassenen Rechtsvorschriften, das "sekundäre Gemeinschaftsrecht", bilden eine eigene Rechtsordnung, deren Normen weder Völkerrecht noch nationales Recht der Mitgliedstaaten sind.

 

LB 10) Das Gemeinschaftsrecht und das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten sind "zwei selbständige, voneinander verschiedene Rechtsordnungen"; das vom EWG-Vertrag geschaffene Recht fließt aus einer "autonomen Rechtsquelle" (Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Bd.VIII S.97 <110>; Bd.X S.1251 <1270>).

 

LB 11) Innerhalb dieser Rechtsordnung besteht ein eigenes Rechtsschutzsystem. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften "sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung" des EWG-Vertrages (Art.164). Er überwacht insbesondere die Rechtmäßigkeit des Handelns des Rates und der Kommission (Art.173).

 

LB 12) Er kann vom Rat, von der Kommission und von den einzelnen Mitgliedstaaten angerufen werden; aber auch jede natürliche oder juristische Person innerhalb der Gemeinschaft, die von einer Entscheidung der Gemeinschaftsorgane unmittelbar und individuell betroffen ist, kann vor dem Gerichtshof klagen (Art.173 Abs.2). Auch eine "Untätigkeitsklage" ist zulässig (Art.175).

§§§

67.025 Waisenrente + Wartezeit

  1. BVerfG,     B, 28.11.67,     – 1_BvR_515/63 –

  2. BVerfGE_22,349 = www.dfr/BVerfGE

  3. BVerfGG_§_90 Abs.2 S.1; SGG_§_166 Abs.1; GG_Art.3 Abs.1; AVG_§_82 Abs.3

 

1) Die Versagung des Armenrechts wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung rechtfertigt keine Ausnahme von dem Gebot des § 90 Abs.2 Satz 1 BVerfGG, wenn der betroffenen Partei trotzdem die Erschöpfung des Rechtswegs tatsächlich möglich und zumutbar ist. Diese Voraussetzungen sind für das Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht gegeben, wenn die arme Partei durch eine Behörde vertreten ist (§ 166 Abs.1 SGG).

 

2) a) Hat der Gesetzgeber in einer begünstigenden Regelung unter Verstoß gegen Art.3 Abs.1 GG eine bestimmte Personengruppe nicht berücksichtigt, kommt aber eine Nichtigerklärung nicht in Betracht, weil sie gesetzestechnisch nicht möglich ist oder dem Anliegen des Beschwerdeführers nicht entsprechen würde oder einen Eingriff in die Gesetzesfreiheit des Gesetzgebers enthielte, so steht § 95 Abs.3 BVerfGG der Feststellung, daß die bestehende gesetzliche Regelung verfassungswidrig ist, nicht entgegen.

b) Richtet sich die Verfassungsbeschwerde nur mittelbar gegen das Gesetz, unmittelbar aber gegen gerichtliche Entscheidungen, die eine Einbeziehung des Beschwerdeführers in die begünstigende Regelung ablehnen, so ist mit der Feststellung des Verfassungsverstoßes die Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung zu verbinden; die zuständigen Gerichte müssen das Verfahren aussetzen, bis der Gesetzgeber tätig geworden ist.

c) Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Verfassungsbeschwerde gegen eine, den Beschwerdeführer nicht berücksichtigende, begünstigende gesetzliche Regelung ist zu bejahen, wenn eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach II.1.oder 2. möglich ist.

 

3) Es verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG), daß § 82 Abs.3 AVG nur der Witwe, nicht auch den Waisen eines Versicherten einen Anspruch auf Erstattung von Versicherungsbeiträgen gewährt.

§§§

67.026 Dienstleistungspflichten

  1. BVerfG,     B, 29.11.67,     – 1_BvR_175/66 –

  2. BVerfGE_22,380 = www.dfr/BVerfGE

  3. BVerfGG_§_12 Abs.1; GG_Art.12 Abs.2 S.1

 

Die Verpflichtung der Banken zur Einbehaltung und Abführung der Kuponsteuer ist nicht an Art.12 Abs.2 Satz 1 GG, sondern an Art.12 Abs.1 GG zu messen. Sie ist eine zulässige Regelung der Berufsausübung.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Die Verfassungsbeschwerde wird, soweit sie sich gegen § 45 Absatz 6 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes richtet, verworfen; im übrigen wird sie zurückgewiesen.

§§§

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§§§