1965 | ||
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1964 1966 | [ ] |
65.001 | Wiedergutmachung |
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Es widerspricht dem Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes, daß das Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes Beginn und Umfang der Wiedergutmachung für geprüfte Kandidaten und für entlassene Referendare verschieden geregelt hat. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
65.002 | Marktordnung |
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1) Die Einführung einer Marktordnung für bestimmte Produkte ist zulässig, soweit überwiegende Gründe des Gemeinwohls sie rechtfertigen. | |
2) Die Ausgleichsabgabe nach § 12 Abs.3 MFG (BGBl.I 811) ist keine Steuer, sondern eine wirtschaftslenkende Maßnahme besonderer Art. Die Kompetenz des Bundesgesetzgebers dafür ergibt sich aus Art.74 Nr.17 GG. | |
3) Dem Gesetzgeber kann nicht schon Willkür vorgeworfen werden, wenn die einer sachlich motivierten Einzelregelung innerhalb einer Marktordnung zugrunde gelegte wirtschaftliche Prognose sich als falsch erweist. | |
§§§ | |
65.003 | Devisenbewirtschaftungsgesetz |
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Art.1 des Gesetzes Nr.53 der amerikanischen und britischen Militärregierung (Devisenbewirtschaftungsgesetz) gilt für den Interzonenhandel weiter. | |
LB 2) Die Beibehaltung des Systems des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt ist nicht zu beanstanden. LB 3) Zur Rechtfertigung einer Berufsausübungsregelung genügen "vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls", in deren Rahmen weithin auch Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden dürfen. Der Eingriff in die Freiheit muß nur im rechten Verhältnis zu den zu schützenden öffentlichen Interessen stehen, er darf nicht übermäßig belastend und unzumutbar sein ( BVerfGE_7,377 <405 f>; BVerfGE_11,30 <42 f>; BVerfGE_13,97 <104 f>; BVerfGE_15,226 <234>). | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
65.004 | Teilung-Kirchengemeinde |
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Öffentliche Gewalt im Sinne des § 90 Abs.1 BVerfGG umfaßt nicht rein innerkirchliche Maßnahmen. | |
LB 2) Nach dem kirchenpolitischen System des Grundgesetzes besteht keine Staatskirche. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde (Art.140 GG iVm Art.137 Abs.1 und 3 WRV). Damit erkennt der Staat die Kirchen als Institutionen mit dem Recht der Selbstbestimmung an, die ihrem Wesen nach unabhängig vom Staat sind und ihre Gewalt nicht von ihm herleiten. Die Folge ist, daß der Staat in ihre inneren Verhältnisse nicht eingreifen darf. | |
LB 3) Die Frage, ob eine kirchliche Maßnahme dem innerkirchlichen Bereich zuzurechnen ist oder sich auf vom Staat verliehene Befugnisse gründet oder den staatlichen Bereich berührt, entscheidet sich - soweit nicht eine Vereinbarung zwischen Kirche und Staat erfolgt ist - danach, was materiell, der Natur der Sache oder Zweckbeziehung nach als eigene Angelegenheit der Kirche anzusehen ist. Ist die Kirche nur im Bereich ihrer innerkirchlichen Angelegenheiten tätig geworden, dann liegt kein Akt der öffentlichen Gewalt vor, gegen den der Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde gegeben sein könnte. | |
§§§ | |
65.005 | Parkverbot |
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Die zuständigen Straßenverkehrsbehörden können durch Aufstellen einer Parkuhr ein modifiziertes Parkverbot erlassen, ohne dabei eine Rechtsnorm zu setzen. Die Aufstellung von Parkuhren und die darin liegenden Parkverbotszeichen sind Verwaltungsakte in Form einer Allgemeinverfügung. | |
§§§ | |
65.006 | Beurkundungsbefugnis |
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Die in Art.12 § 2 prAGBGB eingeräumte Beurkundungsbefugnis stellt kein subjektives öffentliches Recht, insbesondere kein Eigentum im Sinne des Art.14 Abs.1 GG dar. | |
§§§ | |
65.007 | Verordnung als Landesrecht |
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Rechtsverordnungen von Landesorganen, die auf einer bundesgesetzlichen Ermächtigung gemäß Art.80 Abs.1 Satz 1 GG beruhen, sind Landesrecht. | |
LB 2) Im Bundesstaat, in dem die Ausübung der staatlichen Befugnisse zwischen Bund und Ländern aufgeteilt ist, wird dem Bund nur zugerechnet, was die Bundesorgane tun, einem Land nur, was die Landesorgane tun. Dementsprechend üben die Bundesorgane Bundesstaatsgewalt, die Landesorgane Landesstaatsgewalt aus. Also ist das von einem Bundesorgan gesetzte Recht Bundesrecht, das von einem Landesorgan gesetzte Recht Landesrecht (so auch Maunz-Dürig, a.a.O., Rdnr.8 zu Art.31 GG). | |
LB 3) Wann ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung allein als vorliegend erachtet wird, sagt Art.72 Abs.2 GG. Die dort aufgestellten Voraussetzungen laufen im Ergebnis ebenfalls darauf hinaus, daß "Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung" mit "Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung" gleichzusetzen ist. | |
LB 4) Auch auf dem Gebiet seiner ausschließlichen Zuständigkeit kann der Bundesgesetzgeber, wie Art.71 GG zeigt, durch Bundesgesetz die Länder zur Gesetzgebung ermächtigen. | |
LB 5) Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben nach Art.72 Abs.1 GG die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht. Regelt der Bund in Ausübung seiner konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis nur einen Teil einer Materie, so bleibt der Rest für die Regelung durch den Landesgesetzgeber frei. Vorschriften, die der Landesgesetzgeber insoweit erläßt, sind Landesrecht. | |
§§§ | |
65.008 | Verschollenheitsrente |
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Der Gesetzgeber darf ein von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zutreffend angewandtes Gesetz nicht rückwirkend ändern, um die Rechtsprechung für die Vergangenheit ins Unrecht zu setzen und zu korrigieren. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
65.009 | AG in Zürich |
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LB 1) Jemand kann seinem gesetzlichen Richter auch dadurch entzogen werden, daß ein Gericht die Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht außer acht läßt. Das gilt auch dann, wenn das Gericht, dem vorzulegen ist, nur über eine bestimmte Rechtsfrage zu entscheiden hat ( BVerfGE_3,359 (363); BVerfGE_9,213 (215 f); BVerfGE_13,132 (143)). | |
LB 2) Nach Art.25 GG werden allgemeine Völkerrechtsregeln Bestandteil des Bundesrechts nur mit ihrem jeweiligen Inhalt und in ihrer jeweiligen Tragweite (vgl BVerfGE_15,25 (31 f); BVerfGE_16,27 (32 f)). Art.25 GG öffnet ihnen die deutsche Rechtsordnung nur im Bestand ihrer völkerrechtlichen Geltung (vgl Mosler, Das Völkerrecht in der Praxis der deutschen Gerichte, S.40, 44), der sich auch danach bemißt, inwieweit sie im Verhältnis zu einzelnen Staaten durch vertragliche Regelungen verdrängt worden sind. Art.25 GG hindert danach nicht, daß völkerrechtlich zulässige vertragliche Abmachungen, die den allgemeinen Völkerrechtsregeln nicht voll entsprechen, durch Gesetz die Kraft innerstaatlichen deutschen Rechts erlangen (vgl BVerfGE_16,276 (281 f). | |
LB 3) Das Völkergewohnheitsrecht ist durchweg nachgiebiges Recht. Ein Satz, demzufolge die allgemeinen gewohnheitsrechtlichen Regeln des Völkerrechts grundsätzlich den Vorrang vor vertraglichen Abmachungen hätten, ist dem allgemeinen Völkerrecht fremd. Das Völkervertragsrecht geht, soweit es die Vertragspartner betrifft, dem Völkergewohnheitsrecht in aller Regel als das spätere und speziellere Recht vor. | |
LB 4) Nur einige elementare Rechtsgebote werden als vertraglich unabdingbare Regeln des Völkergewohnheitsrechts anzusehen sein. Die Qualität solcher zwingenden Normen wird nur jenen in der Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft fest verwurzelten Rechtssätzen zuerkannt werden können, die für den Bestand des Völkerrechts als einer internationalen Rechtsordnung unerläßlich sind und deren Beachtung alle Mitglieder der Staatengemeinschaft verlangen können. | |
LB 5) Für die verfassungsgerichtliche Nachprüfung der Auslegung und Anwendung vertraglicher Abmachungen, die durch Gesetz die Kraft innerstaatlichen deutschen Rechts erhalten haben, gelten dieselben Grundsätze, die auch sonst die Befugnis des Bundesverfassungsgerichts, Gerichtsentscheidungen zu überprüfen, begrenzen: auch die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen völkerrechtlicher Abkommen kann nur daraufhin geprüft werden, ob sie Verfassungsrecht verletzen, also willkürlich sind (Art.3 Abs.1 GG) oder auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen ( BVerfGE_13,132 (150); BVerfGE_18,85 <92 f>) oder mit anderen verfassungsrechtlichen Vorschriften unvereinbar sind. | |
§§§ | |
65.010 | Neuapostolische Kirche |
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Art.3 Abs.1 GG gebietet, den § 8 Abs.1 Nr.4 PrGKG dahin auszulegen, daß die Neuapostolische Kirche des Landes Nordrhein-Westfalen als Körperschaft des öffentlichen Rechts Gebührenfreiheit genießt. | |
§§§ | |
65.011 | S-Urteil des BFH |
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Die beim Bundesfinanzhof bestehende Praxis, nach der der erkennende Senat den Großen Senat nur dann anruft, wenn die Rechtsauffassung des anderen Senats, von der er abweichen will, in einer sogenannten "S-Entscheidung" enthalten ist, verstößt nicht gegen Art.101 Abs.1 Satz 2 GG. | |
LB 2) Ob eine Entscheidung grundsätzliche Bedeutung hat, bestimmt der Bundesfinanzhof, und zwar der erkennende Senat. 10 Abs.4 der Geschäftsordnung des Bundesfinanzhofs idF der Bekanntmachung vom 22.November 1957, BAnz.1957 Nr.229 S.1, lautet: | |
§§§ | |
65.012 | Überbesetzung |
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Art.101 Abs.1 Satz 2 GG gebietet nur, daß die Personen der zur Entscheidung im Einzelfall berufenen Richter auf Grund von allgemeinen Regeln im voraus so eindeutig wie möglich feststeht. Die Vorschrift fordert hingegen nicht, daß auch die Zahl der erkennenden Richter stets unverändert beibt. | |
§§§ | |
65.013 | Ausschuß |
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1) Gegen die Beschlüsse des Ausschusses nach § 93a Abs.2 und 3 BVerfGG ist weder eine Verfassungsbeschwerde noch ein sonstiger Rechtsbehelf an den Senat gegeben. | |
2) § 93a Abs.2 und 3 BVerfGG ist mit dem Grundgesetz vereinbar. | |
LB 3) Die Entscheidungen der Senate des Bundesverfassungsgerichts gehören nicht zu den Akten der öffentlichen Gewalt, die § 90 Abs.1 BVerfGG meint; ihre Überprüfung unter dem Gesichtspunkt einer Grundrechtsverletzung würde dem Wesen dieser Entscheidungen widersprechen ( BVerfGE_1,89 <90>). | |
LB 4) Dasselbe muß aber auch für die Entscheidungen der Ausschüsse nach § 93a Abs.2 und 3 BVerfGG gelten. Diese stellen im Rahmen ihrer Zuständigkeit ebenso das Bundesverfassungsgericht dar wie die Senate ( BVerfGE_7,239 <243 | |
LB 5) Zudem wäre zur Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde, die auf die Verletzung von Art.101 und 103 GG gestützt ist, der Zweite Senat zuständig; niemals kann aber ein Senat des Bundesverfassungsgerichts eine Entscheidung des anderen Senats nachprüfen oder gar aufheben ( BVerfGE_1,89; BVerfGE_7,17). | |
LB 6) Die Bestimmung, daß die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt werden müssen (Art.94 Abs.1 Satz 2 GG), besagt nicht, daß diese paritätische Zusammensetzung auch für den einzelnen, jeweils tätig werdenden Spruchkörper gewahrt sein müsse; für eine so weitgehende Auslegung des § 5 Abs.1 Satz 1 BVerfGG, der als einfaches Recht vom Gesetzgeber geändert werden kann, gibt der Wortlaut der Bestimmung keinen Anhalt. | |
§§§ | |
65.014 | Zweigstellensteuer |
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Die Zweigstellensteuer für Wareneinzelhandelsunternehmen (§ 17 Abs.1 GewStG) verstößt gegen den Gleichheitssatz. | |
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Urteil | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
65.015 | Couponsteuer |
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Das sogenannte Kuponsteuergesetz vom 25.März 1965 verstößt auch insoweit nicht gegen das Grundgesetz, als es das Steuerprivileg auch des Altbesitzes und der Altemissionen beseitigt. | |
LB 2) Das Gesetz verstößt weder durch die Beschränkung der Steuerpflicht auf nicht im Inland ansässige Gläubiger der Kapitalerträge noch durch die Gleichbehandlung der Alt- und Neuemissionen und des Alt- und Neubesitzes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. | |
LB 3) Soweit das Kuponsteuergesetz auf den Wohnsitz der Gläubiger der Zinserträge abstellt, liegt darin auch keine Verletzung des Art.3 Abs.3 GG. | |
LB 4) Das Kuponsteuergesetz verstößt auch nicht aus dem besonderen Blickpunkt des Vertrauensschutzes gegen das Rechtsstaatsprinzip. | |
§§§ | |
65.016 | Ersatzdienstverweigerer |
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Die Pflicht des Kriegsdienstverweigerers, einen Ersatzdienst zu leisten, verletzt nicht das Grundrecht der Gewissensfreiheit ( Art.4 Abs.1 und 3, Art.12 Abs.2 GG). | |
LB 2) Art.12 Abs.2 Satz 4 GG bestimmt, daß das Gesetz, das hinsichtlich des Ersatzdienstes "das Nähere regelt", die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf. Der Vorbehalt der freien Gewissensentscheidung bezieht sich also nicht auf die Ersatzdienstpflicht als solche, sondern lediglich auf die nähere vom Beschwerdeführer nicht angegriffene Regelung. Er soll sicherstellen, daß diese nähere Regelung nicht so gestaltet wird, daß sie den Kriegsdienstverweigerer abschreckt und damit auf seine Entscheidung, den Wehrdienst zu leisten oder zu verweigern, einen unzulässigen Druck ausübt. | |
LB 3) Gegenüber der in Art.12 Abs.2 GG ausdrücklich für zulässig erklärten Ersatzdienstpflicht kann sich der Beschwerdeführer auch nicht unmittelbar auf Art.4 Abs.1 GG berufen. Art.4 Abs.3 GG regelt die Wirkungen der Gewissensfreiheit im Bereich der Wehrpflicht abschließend (vgl BVerfGE_12,45 <53 f>). | |
§§§ | |
65.017 | Umsatzsteuer |
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1) Die Frist für die Einlegung von Verfassungsbeschwerden gegen Urteile von Finanzgerichten beginnt mit der Zustellung der in vollständiger Form abgefaßten Entscheidung. | |
2) Religionsgesellschaften und andere juristische Personen, deren Zweck die Pflege oder Förderung eines religiösen Bekenntnisses oder die Verkündigung des Glaubens ihrer Mitglieder ist, können Träger des Grundrechts aus Art.4 GG sein. | |
3) Art.4 Abs.2 GG verbietet die Besteuerung gewerblicher oder beruflicher Unternehmertätigkeit auch dann nicht, wenn diese mit der Religionsausübung in Verbindung steht. | |
4) Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, die Befreiung von der Umsatzsteuer nach § 2 Abs.3 UStG auf Religionsgesellschaften zu beschränken, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. | |
§§§ | |
65.018 | Allg-Kriegsfolgengesetz |
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Die Regelung des § 2 Nr.4 AKG für sogenannte reichsbezogene Verbindlichkeiten der Gemeindeverbände findet ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art.134 Abs.4 GG (vgl BVerfGE_15,126). | |
LB 2) Hiernach ist es gerechtfertigt, die Verbindlichkeiten, die in der genannten Übergangszeit aus Maßnahmen der Kommunalbehörden zur Erfüllung von dem Reich obliegenden oder von ihm übertragenen Aufgaben entstanden sind, dem Reich zuzurechnen und sie jedenfalls im Sinne des Art.134 Abs.4 GG wie Reichsverbindlichkeiten zu behandeln. | |
LB 3) Der Gesetzgeber darf die Forderungen gegen das Reich, die ihm als dem Grunde nach existent zur Berücksichtigung nach Maßgabe des Möglichen überwiesen sind, kürzen oder ihre Befriedigung auch ganz verweigern. Dies verstößt, weder gegen Art.14 GG noch gegen das Rechtsstaatsprinzip, noch gegen eine andere Verfassungsvorschrift. Die Regelung des § 1 AKG, soweit sie die Nichterfüllung von Forderungen gegen das Reich anordnet, überschreitet nicht diese dem Gesetzgeber von der Verfassung gewährte Befugnis und verletzt keine Grundrechte verletzt. | |
§§§ | |
65.019 | Werbung vor Personalratswahlen |
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1) Art.9 Abs.3 GG sichert den Mitgliedern einer Koalition das Recht, an der verfassungsrechtlich geschützten Tätigkeit ihrer Koalition teilzunehmen. | |
2) Art.9 Abs.3 GG schützt einen Kernbereich der Koalitionsbetätigung im Personalvertretungswesen. | |
3) Gewerkschaftliche Werbung vor Personalratswahlen ist in Grenzen auch in der Dienststelle und während der Dienstzeit verfassungsrechtlich geschützt. | |
LB 4) Zur historischen Entwicklung des Personalvertretungswesens Abs.28 ff. | |
LB 5) Das für jedermann und für alle Berufe gewährleistete Grundrecht der Koalitionsfreiheit steht auch den Beamten zu (vgl § 91 BBG). | |
LB 6) Ein generelles Betätigungsverbot der Beamten für eine Koalition gehört jedoch nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums und wird auch nicht durch Sinn und Zweck des Beamtenverhältnisses gefordert. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
65.020 | Kirchensteuergesetze |
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Eine beim Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung vorhandene allgemeine staatliche Anerkennung des Besteuerungsrechts einer Religionsgesellschaft kann eine landesrechtliche Bestimmung im Sinne des Art.140 GG in Verbindung mit Art.137 Abs.6 WRV auch dann sein, wenn sie nicht ein Gesetz im formellen Sinne oder eine rechtsetzende Vereinbarung ist. | |
LB 2) Eine unmittelbare Anwendung des Art.80 Abs.1 GG scheidet hier schon deshalb aus, weil er sich nur auf den Bereich der Bundesgesetzgebung bezieht. Abgesehen davon lassen sich die Grundsätze, die für die Übertragung rechtsetzender Gewalt an die Exekutive gelten, nicht auf die Verleihung autonomer Satzungsgewalt an Körperschaften des öffentlichen Rechts anwenden (vgl BVerfGE_12,319 <325>). | |
LB 3) Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips im Bereich des Abgabenwesens fordert, daß steuerbegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, daß der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuerlast vorausberechnen kann. Die Ermächtigung, die der hamburgische Staat der dortigen Evangelisch-lutherischen Kirche zur Erhebung von Kirchensteuern gewährt hat, steht mit diesem Grundsatz nicht in Widerspruch. Denn die Kirchensteuererhebung beruht seit dem Jahre 1888 auf den die Steuertatbestände im einzelnen regelnden Kirchensteuerordnungen der Evangelisch-lutherischen Kirche. Da diese die Voraussetzungen der Steuerpflicht sowie Bemessungsgrundlage, Höhe und Erhebung der Kirchensteuer im einzelnen festlegen, kann jeder Kirchensteuerpflichtige sich über Grund und Umfang seiner Steuerpflicht im voraus vergewissern. | |
§§§ | |
65.021 | Kirchenlohnsteuer |
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Ein Arbeitnehmer, der keiner steuerberechtigten Kirche angehört, darf durch staatliches Gesetz nicht verpflichtet werden, Kirchensteuern nur deshalb zu zahlen, weil sein Ehegatte einer Kirche angehört. | |
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Urteil | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
65.022 | Kirchenbausteuer |
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1) Die Heranziehung zur Kirchenbausteuer auf Grund des Badischen Ortskirchensteuergesetzes verletzt die juristischen Personen in ihrem Grundrecht aus Art.2 Abs.1 GG. | |
2) Die Besonderen Grundrechtsnormen schließen für ihren Bereich die Anwendung des Art.2 Abs.1 GG nur aus, soweit eine Verletzung dieses Grundrechts und einer besonderen Grundrechtsnorm unter demselben sachlichen Gesichtspunkt in Betracht kommt (Ergänzung BVerfGE_6,32 <37>; BVerfGE_10,55 <58>). | |
3) Das Grundgesetz verbietet dem Staat einer Religionsgesellschaft hoheitliche Befugnisse gegenüber Personen zu verleihen, die keiner Religionsgesellschaft angehören. | |
4) Der durch Art.140 GG in das Grundgesetz inkorporierte Art.137 Abs.6 WRV gewährt den Kirchen und Religionsgesellschaften kein Grundrecht im Sinne des Grundgesetzes. Das Besteuerungsrecht nach Art.137 Abs.6 WRV ist eine hoheitliche Befugnis des Staates gegenüber den Bürgern, die dieser in dem gesetzlich bestimmten Umfang den Religionsgesellschaften verleiht. | |
LB 5) Die Grundrechte aus Art.2 Abs.1 und Art.3 Abs.1 GG stehen auch juristischen Personen zu (BVerfGE_4,7 <12>; BVerfGE_10,89 <99>, 221 <225>; BVerfGE_15,235 <239>). | |
LB 6) Die Freiheit der Entfaltung der Persönlichkeit erschöpft sich nicht in der allgemeinen Handlungsfreiheit (vgl BVerfGE_6,32 <36 f>), sondern umfaßt in der grundgesetzlichen Ordnung auch den grundrechtlichen Anspruch, nicht durch staatlichen Zwang mit einem Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet ist. Das Grundrecht verbietet Eingriffe der Staatsgewalt, die nicht rechtsstaatlich sind (BVerfGE_9,83 <88>; BVerfGE_17,306 <313 f>). Insbesondere gehört zur Handlungsfreiheit auch das Grundrecht des Bürgers, nur auf Grund solcher Rechtsvorschriften zu Steuern herangezogen zu werden, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind und deshalb zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören. Denn in die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen greift die öffentliche Gewalt nicht durch Gebote und Verbote, sondern auch durch Auferlegung von Steuern ein (BVerfGE_9,3 <11>). | |
LB 7) Das Grundgesetz legt durch Art.4 Abs.1, Art.3 Abs.3, Art.33 Abs.3 GG sowie durch Art.136 Abs.1 und 4 und Art.137 Abs.1 WRV in Verbindung mit Art.140 GG dem Staat als Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person weltanschaulich-religiöse Neutralität auf. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt auch die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse (vgl auch BVerfGE_12,1 <4>; BVerfGE_18,385 <386>; BVerfG NJW_65,1427 f). | |
LB 8) Der Staat ist durch Art.137 Abs.6 WRV nicht gehindert, das überkommene Besteuerungsrecht zu ändern, insbesondere auch einzuschränken; verwehrt ist ihm lediglich, es abzuschaffen oder auszuhöhlen. | |
LB 9) Durch die Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel in das Grundgesetz sind diese damit vollgültiges Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland geworden und stehen gegenüber den anderen Artikeln des Grundgesetzes nicht etwa auf einer Stufe minderen Ranges. Wenn das Grundgesetz auch nur als Einheit begriffen werden kann, so hat dies jedoch nichts mit der Bedeutung und dem inneren Gewicht der einzelnen Normen zu tun (BVerfGE_3,225 <232>). Das Verhältnis zwischen den inkorporierten Kirchenartikeln und anderen, im Grundgesetz unmittelbar getroffenen Regelungen ist aus dem Zusammenhang der grundgesetzlichen Ordnung selbst zu bestimmen, wobei von Bedeutung ist, daß das Grundgesetz nicht alle Bestimmungen der Weimarer Verfassung über die Beziehung von Kirche und Staat, insbesondere nicht den Art.135 WRV, übernommen hat. | |
LB 10) Nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sind die einzelnen Artikel des Grundgesetzes so auszugelegen, daß sie mit den elementaren Grundsätzen des Grundgesetzes, insbesondere den Grundrechten, und seiner Werteordnung vereinbar sind (vgl BVerfGE_1,14 <32>; BVerfGE_7,198 <205>). | |
LB 11) Vornehmstes Interpretationsprinzip ist die Einheit der Verfassung als eines logisch-teleologischen Sinngebildes, weil das Wesen der Verfassung darin besteht, eine einheitliche Ordnung des politischen und gesellschaftlichen Lebens der staatlichen Gemeinschaft zu sein. | |
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Urteil | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
65.023 | Sachkundenachweis |
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Es ist mit Art.12 Abs.1 GG unvereinbar, für die Aufnahme des Einzelhandels mit Waren aller Art (mit Ausnahme der im § 3 Abs.3 Satz 2 EzHdlG genannten Waren) den Nachweis der Sachkunde zu fordern. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
65.024 | Haftverschonung |
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Nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist auch bei einem auf § 112 Abs.4 StPO gestützten Haftbefehl eine Haftverschonung in entsprechender Anwendung des § 116 StPO möglich. | |
LB 2) Dies ergibt sich auch aus der grundsätzlichen Unschuldsvermutung, die es ausschließt, auch bei noch so dringendem Tatverdacht gegen den Beschuldigten im Vorgriff auf die Strafe Maßregeln zu verhängen, die in ihrer Wirkung der Freiheitsstrafe gleichkommen. Diese Unschuldsvermutung ist zwar im Grundgesetz nicht ausdrücklich statuiert, entspricht aber allgemeiner rechtsstaatlicher Überzeugung und ist durch Art.6 Abs.2 der Europäischen Menschenrechtskonvention auch in das positive Recht der Bundesrepublik eingeführt worden. | |
LB 3) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, daß der Richter auch bei Anwendung des § 112 Abs.4 StPO den Zweck der Untersuchungshaft nie aus dem Auge verliert. Weder die Schwere der Verbrechen wider das Leben noch die Schwere der (noch nicht festgestellten) Schuld rechtfertigen für sich allein die Verhaftung des Beschuldigten; noch weniger ist die Rücksicht auf eine mehr oder minder deutlich feststellbare "Erregung der Bevölkerung" ausreichend, die es unerträglich finde, wenn ein "Mörder" frei umhergehe. | |
LB 4) Eine besondere Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit stellt § 116 StPO dar. Er legt dem Richter die Pflicht auf, bei jeder Verhaftung wegen Flucht-, Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr zu prüfen, ob der Zweck der Untersuchungshaft nicht auch durch weniger einschneidende Freiheitsbeschränkungen erreicht werden kann. Ist das der Fall, so ist der Vollzug des Haftbefehls auszusetzen. | |
LB 5) Die vorstehenden Darlegungen über die allgemeine Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Haftrecht führen zu dem Ergebnis, daß eine Haftverschonung auch möglich sein muß, wenn der Haftbefehl auf § 112 Abs.4 StPO gestützt wird. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
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[ 1964 ] | RS-BVerfG - 1965 | [ 1966 ] [ ] |
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