1990 | ||
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1989 1991 | [ ] |
90.001 | Arbeitsförderungsgesetz |
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1) a) Die Kompetenz des Bundesgesetzgebers zur Regelung der Erstattung von Sozialleistungen ergibt sich aus Art.74 Nrn.7 und 12 GG. | |
2) a) In Anbetracht der gesetzgeberischen Zielsetzung, sozial unzuträgliche Frühverrentungen zu verhindern, verstößt es grundsätzlich nicht gegen Art.12 Abs.1 GG, wenn einem Arbeitgeber, der an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines langjährig bei ihm beschäftigten älteren Arbeitnehmers mitgewirkt hat, die sich daraus ergebenden sozialen Folgekosten auferlegt werden. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
90.002 | Handelsvertreter |
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1) Art.12 Abs.1 GG kann gebieten, daß der Gesetzgeber im Zivilrecht Vorkehrungen zum Schutz der Berufsfreiheit gegen vertragliche Beschränkungen schafft, namentlich wenn es an einem annähernden Kräftegleichgewicht der Beteiligten fehlt. | |
2) Der generelle Ausschluß einer Karenzentschädigung bei Wettbewerbsverboten für Handelsvertreter in den Fällen des § 90a Abs.2 Satz 2 HGB war jedenfalls bis zur Novellierung des Handelsvertreterrechts durch Gesetz vom 23.Oktober 1989 mit Art.12 Abs.1 GG unvereinbar. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
90.003 | Bundesflagge |
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1) Die Freiheit der Kunst findet ihre Grenzen nicht nur in den Grundrechten Dritter. Sie kann auch mit anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern in Widerstreit treten. | |
2) Art.5 Abs.3 Satz 1 GG schließt eine Bestrafung nach § 90a Abs.1 Nr.2 StGB wegen Verunglimpfung der Bundesflagge durch eine künstlerische Darstellung nicht generell aus. | |
§§§ | |
90.004 | Nationalhymne |
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1) Art.5 Abs.3 Satz 1 GG schließt eine Bestrafung nach § 90a Abs.1 Nr.2 StGB wegen Verunglimpfung der Hymne der Bundesrepublik Deutschland nicht generell aus. | |
2) Als staatliches Symbol geschützt ist nur die dritte Strophe des Deutschlandliedes. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ | |
90.005 | Sachlichkeitsgebot |
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1) Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an das aus der berufsordnenden Generalklausel von BRAO § 43 hergeleitete standesrechtliche Sachlichkeitsgebot vgl Grundsatzentscheidung des BVerfG, 14.07.87, 1_BvR_537/81, BVerfGE_76,171 <190>. | |
2) Zur Beurteilung von Äußerungen eines Rechtsanwalts durch Ehrengerichte vgl auch Parallelentscheidung BVerfG, 12.03.90, 1_BvR_838/88 | |
§§§ | |
90.006 | Rechtsschutzgleichheit |
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1) Das Grundgesetz gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Art.3 Abs.1 stellt die Beachtung dieses Gebots der Rechtsschutzgleichheit unter grundrechtlichen Schutz. | |
2) Ein Fachgericht, das § 114 S.1 ZPO dahin auslegt, daß auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozeßkostenhilfeverfahren durchentschieden werden können, verkennt die Bedeutung der Rechtschutzgleichheit. | |
3) Zur Reichweite der verfassungsgerichtlichen Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen bei der Anwendung dieses Maßstabes. | |
§§§ | |
90.007 | Beamtenbaby |
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1. a) Art.33 Abs.5 GG, der auch im Zusammenhang mit Art.6 GG und dem Sozialstaatsprinzip der Verfassung auszulegen ist, verlangt, daß in der Lebenswirklichkeit die Beamten sich für ihre Familie ohne Rücksicht auf deren Größe "annähernd das gleiche leisten" können (Bestätigung von BVerfGE_44,249). | |
2) Die Alimentation des Beamten ist der Sache nach die Befriedigung eines gegenwärtigen Bedarfs aus gegenwärtig zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln. Eine verfassungsrechtlich gebotene Besoldungskorrektur braucht sich daher grundsätzlich nur auf denjenigen Zeitraum zu erstrecken, der mit dem Haushaltsjahr beginnt, in dem die Verfassungswidrigkeit der bisherigen Regelung verfassungsgerichtlich festgestellt worden ist. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ | |
90.008 | Analoge Rechtsanwendung |
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Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit analoger Rechtsanwendung. | |
LB 2) Die analoge Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften ist von Verfassungs wegen grundsätzlich nicht zu beanstanden (vgl BVerfGE_25,167 <183>). | |
LB 3) Verfassungsrechtliche Schranken ergeben sich allerdings aus dem in Art.20 Abs.3 angeordneten Vorrang des Gesetzes, der hier in Verbindung mit Art.14 Abs.1 Satz 1 GG den Prüfungsmaßstab bildet. | |
LB 4) Er geährleistet als Element des Rechtsstaatsprinzips zugleich das Maß an Rechtssicherheit, das im Interesse der Freiheitsrechte unerläßlich ist (vgl BVerfGE_7,89 <97>; BVerfGE_7,194 <196>; BVerfGE_13,261 <271>; BVerfGE_49,304 <318>). | |
LB 5) Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (vgl BVerfGE_69,315 <372>) | |
LB 6) Die tatsächliche oder rechtliche Entwicklung kann jedoch eine bis dahin eindeutig und vollständige Regelung lückenhaft, ergänzungsbedürtig und zugleich ergänzungsfähig werden lassen. | |
LB 7) Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Lückensuche und -schließung findet ihre Rechtfertigung unter anderem darin, daß Gesetze einem Alterungsprozeß unterworfen sind. Sie stehen in einem Umfeld sozialer Verhältnisse und gesellschaftspolitischer Anschuungen, mit deren Wandel sich auch der Norminhalt ändern kann (vgl BVerfG_34,269 <288>). | |
LB 8) In dem Maße, in dem sich aufgrund solcher Wandlungen Regelungslücken bilden, verliert das Gesetz seine Fähigkeit, für alle Fälle, auf die seine Regelung abzielt, eine gerechte Lösung bereit zu halten. Die Gerichte sind daher befugt und verpflichtet zu prüfen, was unter den veränderten Umständen "Recht" im Sinne des Art.20 Abs.3 GG ist. | |
§§§ | |
90.009 | Hitler-T-Shirt |
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Satirische Darstellungen dürfen nicht deshalb vom Schutz des Art.5 Abs.3 Satz 1 GG ausgenommen werden, weil ihr Gegenstand Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation (§ 86 Abs.1 Nr.4 StGB) ist. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ | |
90.010 | KKW Kalkar-II |
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1) Im Bereich der Auftragsverwaltung nach Artikel 85 GG sind die Kompetenzen dergestalt verteilt, daß dem Land unentziehbar die Wahrnehmungskompetenz zusteht, die Sachkompetenz hingegen von vornherein nur unter dem Vorbehalt ihrer Inanspruchnahme durch den Bund. | |
2) a) Das Land kann durch eine Weisung des Bundes nach Artikel 85 Abs.3 GG nur dann in seinen Rechten verletzt sein, wenn gerade die Inanspruchnahme der Weisungsbefugnis gegen die Verfassung verstößt. | |
3) Die Weisung unterliegt dem Gebot der Weisungsklarheit: Die angewiesene Behörde muß unter Zuhilfenahme der ihr zur Gebot stehenden Erkenntnismöglichkeiten ihren objektiven Sinn ermitteln können. | |
4) Bei Ausübung einer Weisungskompetenz unterliegt der Bund der Pflicht zu bundesfreudlichem Verhalten. Er muß grundsätzlich - dh außer bei Eilbedüftigkeit - vor Weisungserlaß dem Land Gelegenheit zur Stellungsnahme geben, dessen Standpunkt erwägen und dem Land zu erkennen geben, daß der Erlaß einer Weisung in Betracht gezogen werde. | |
5) Aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Schranken für Einwirkungen des Staates in den Rechtskreis des Einzelnen sind im kompetenzrechtlichen Bund-Länder-Verhältnis nicht anwendbar. Dies gilt insbesondere für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. | |
§§§ | |
90.011 | Existenzminimum |
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1) Eine für verfassungswidrig erachtete Rechtslage, die sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Einzelregelungen ergibt, kann grundsätzlich anhand jeder der betroffenen Normen zu verfassungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden. | |
2) Bei der Einkommensbesteuerung muß ein Betrag in Höhe des Existensminimums der Familie steuerfrei bleiben; nur das darüber hinausgehende Einkommen darf der Besteuerung unterworfen werden (Abweichung von BVerfGE_43,108). Trägt der Gesetzgeber der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit durch Sozialleistungen Rechnung, müssen diese so bemessen werden, daß eine vergleichbare Entlastung eintritt. | |
3) Der in § 11 Abs.1 Bundeskindergeldgesetzes enthaltene Ausschluß eines Verlustausgleichs bei der Berechnung des für die Kindergeldbemessung maßgeblichen Einkommens ist verfassungsrechtlich unbedenklich. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
90.012 | Kündigungsfrist-Arbeiter |
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§ 622 Abs.2 BGB ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG) unvereinbar, soweit hiernach die Kündigungsfristen für Arbeiter kürzer sind als für Angestellte. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
90.013 | Absatzfondsgesetz |
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1) Die Sonderabgabe ist nur zulässig, wenn und solange die zu finanzierende Aufgabe auf eine Sachverantwortung der belasteten Gruppe trifft. Der Gesetzgeber ist gehalten, in angemessenen Zeitabständen zu überprüfen, ob seine ursprüngliche Entscheidung für den Einsatz des gesetzgeberischen Mittels "Sonderabgabe" aufrechtzuerhalten ist. | |
2) Die Sonderabgabe bildet keinen Ausschlußtatbestand, der jede weitere Abgabe neben den Steuern und den aufwandabhängigen Gebühren und Beiträgen schlechthin unzulässig macht. | |
3) Die Nichteinleitung eines Vorlageverfahrens nach Art.177 EWGV verletzt die Garantie des gesetzlichen Richters (Art.101 Abs.1 Satz 2 GG), wenn ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der seiner Auffassung nach bestehenden Entscheidungserheblichkeit einer zweifelhaften gemeinschaftsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, es in seiner Entscheidung bewußt von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht oder wenn das Gericht trotz Fehlens oder nicht abschließender Aussagen einer Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen seine Entscheidung auf eine europarechtliche Auffassung stützt, obwohl mögliche Gegenauffassungen eindeutig vorzuziehen sind. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
90.014 | Startbahn West |
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Zur verfassungsgerichtlichen Prüfung einer Verurteilung wegen Landfriedensbruchs aufgrund eines Demonstrationsaufrufs. | |
§§§ | |
90.015 | Zwangsdemokrat |
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1) Der Schutz von Meinungsäußerungen, die sich als Schmähung Dritter darstellen, tritt regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsschutz zurück. | |
2) Eine Meinungsäußerung ist dann als Schmähung anzusehen, wenn sie jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person besteht. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ | |
90.016 | Aschendorf |
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LB 1) Erfolgreicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen eines Gemeindegebiet-Neugliederungsverfahrens. | |
LB 2) Zur örtlichen Gemeinschaft und mehrfacher Umgliederung. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
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T-90-01 | Einstweilige Anordnung |
" Die Anträge sind zulässig und begründet. | |
1. a) Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung nach § 32 Abs.1 BVerfGG auslöst, ist bei der Prüfung ihrer Voraussetzungen ein strenger Maßstab anzulegen (vgl BVerfGE_3,41 <44>; BVerfGE_3,52 <55>; stRspr; zuletzt Urteil vom 12.Oktober 1989, NJW 1989, S.3147). Bei der Entscheidung haben die Gründe, welche der jeweilige Antragsteller für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Vorschrift anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl BVerfGE_7,367 <371>; BVerfGE_71,350 <351 f>; stRspr). Für die Entscheidung kommt es vielmehr auf eine Abwägung der Folgen an, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (BVerfGE_80,360 <364> mwN; stRspr). | |
b) Geht es um die Aussetzung des Vollzugs von Gesetzen, so ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen (vgl zuletzt BVerfG, NJW 1989, S.3147). Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwerwiegend sein, daß sie den Erlaß einer einstweiligen Anordnung unabweisbar machen, so darf das Bundesverfassungsgericht in Sonderheit von seiner Befugnis, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen (BVerfGE_46,337 <340> m.w.N.). Bei kommunalen Neugliederungsgesetzen ist hierbei besonderer Bedacht auf die vom Grundgesetz gewollte gemeindliche Selbstverwaltung zu nehmen, deren Funktionsfähigkeit im Sinne des Aufbaus der Demokratie von unten her nicht beeinträchtigt werden darf (vgl BVerfGE_79,127 <149>). Diesem Gesichtspunkt kommt bei Gesetzen, die eine grundlegende und landesweit erfolgte Gebietsneugliederung der kommunalen Selbstverwaltung in einzelnen Fällen korrigieren (sog. . Rück-Neugliederungsgesetze), eine gesteigerte Bedeutung zu | |
2. Die Verfassungsbeschwerden der Antragstellerinnen sind weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet, weshalb die Entscheidung anhand einer Folgenabwägung zu treffen ist. Diese aber führt dazu, die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen. | |
a) Träte das Gesetz wie vorgesehen in Kraft, stellte sich jedoch später seine Verfassungswidrigkeit heraus, so entstünde dem gemeinen Wohl ein schwerer Nachteil. | |
Der Gesetzgeber hat ausweislich der gegebenen Begründung mit der angegriffenen Rück-Neugliederung ausschließlich den Zweck einer nachhaltigen Befriedung in den betroffenen Räumen angestrebt; andere Ziele verfolgt das Gesetz nicht. Der Gesetzgeber geht vom Fortbestehen erheblicher "Akzeptanzdefizite" der 1973/74 erfolgten Eingemeindungen aus; eine Integration der Bevölkerung der zuvor selbständigen Gemeinden in die neuen, größeren Gemeinden sei nicht oder doch nicht zufriedenstellend gelungen. Dies haben auch die Vertreter aus Vörden, Langförden und Aschendorf bestätigt, die der Senat in der mündlichen Verhandlung gehört hat. Es stimmt mit dem Vortrag der Antragstellerinnen jedenfalls darin überein, daß in ihren Gebieten die Integration der 1973/74 eingegliederten neuen Bevölkerungsteile heikel gewesen sei. | |
Ist dem aber so, dann steht zu besorgen, daß infolge einer mehrfachen Umgliederung eine -- erneute oder erneuerte -- Integration der hin- und hergeschobenen Bevölkerung in die kommunale "örtliche Gemeinschaft" (vgl Art.28 Abs.2 Satz 1 GG) auf zumindest erhebliche Dauer mißlingen wird. Die Gemeinden bilden nach dem Willen des Gesetzgebers nicht beliebige dezentrale Verwaltungsuntergliederungen, sondern selbständige Gemeinwesen, die gerade in ihrer Selbstverwaltung auch Selbstgestaltung leisten und darin ihren Bürgern Gegenstand lokaler politischer Identifikation sein wollen und sollen (vgl BVerfGE_79,127 <150>). In der gegebenen offenbar prekären Lage die fraglichen Gemeindeteile heute auszugliedern und zu verselbständigen, sie jedoch nach ein, zwei Jahren infolge Nichtigerklärung des Gesetzes unter Aufhebung ihrer soeben gewonnenen Selbständigkeit den Antragstellerinnen wieder einzuverleiben, könnte in der betroffenen Bevölkerung verbreitet zu einer Haltung führen, die den -- erforderlichen -- Willen, sich wieder der Zentralgemeinde zugehörig zu fühlen und in ihr verantwortlich mitzuwirken, auf eine erhebliche Zeit nachhaltig beeinträchtigen würde. | |
Außerdem ist der auch von Landtag und Landesregierung gesehene, durch eine Hin- und Hergliederung verursachte Verhaltungs- und Kostenaufwand beträchtlich. Erweist er sich im Nach hinein als nutzlos, so kann dies bei Rück-Neugliederungsgesetzen nicht als ein unerheblicher Nachteil abgetan werden. Er wäre überdies der betroffenen Bevölkerung nicht verständlich zu machen. | |
In beiden Umständen liegt insgesamt ein besonders schwerer Nachteil für das gemeine Wohl. | |
b) Dahinter treten die Nachteile, die mit einem verzögerten Inkrafttreten des Gesetzes, sollte es Bestand haben, verbunden sind, an Bedeutung erheblich zurück. Kommunale Neugliederungen greifen in gewachsene selbständige Gemeinwesen ein und müssen mithin den Anspruch der Dauerhaftigkeit erheben und erfüllen. Im Hinblick darauf kommt bei dem angegriffenen Rück-Neugliederungsgesetz einem begrenzten Aufschub der Verwirklichung des Willens des Gesetzgebers nicht die Bedeutung eines besonderen Nachteils zu. | |
Nichts anderes gilt bezüglich der von der Niedersächsischen Landesregierung vorgebrachten Sorge, ein bei Zurückweisung der Verfassungsbeschwerden unvermitteltes Inkrafttreten des Gesetzes nehme den beteiligten Behörden die unerläßliche Vorbereitungszeit. Dieser Sorge, sollte sie begründet sein, ließe sich -- etwa durch Maßnahmen der Kommunalaufsicht -- begegnen. | |
Schließlich steht der getroffenen Entscheidung auch nicht die von den Vertretern Vördens, Langfördens und Aschendorfs geäußerte Befürchtung entgegen, ihre Gebiete würden während der weiteren Dauer des verfassungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens von den Antragstellerinnen nicht angemessen gefördert. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, daß diese Befürchtung unbegründet ist; es ist selbstverständliche Pflicht der Antragstellerinnen, auf die gleichmäßige Entwicklung aller ihrer Teile Bedacht zu nehmen, auch wenn eine Ausgliederung einzelner dieser Teile in naher Zukunft für möglich oder gar wahrscheinlich gehalten wird." | |
Auszug aus BVerfG U, 10.07.90, - 2_BvR_470/90 -, www.BVerfG.de, Abs.7 ff | |
§§§ | |
90.017 | Verfassungsrichter |
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Antragsteller in einem abstrakten Normenkontrollverfahren nach Landesverfassungsrecht können eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art.101 I 2 GG) rügen. | |
LB 2) Der Vertrauensmann eines Volksbegehrens ist gesetzlicher Prozeßstandschafter; er ist nicht nur Ansprechpartner für die Zulassungsbehörde des Volksbegehrens ( vgl § 2 Abs.3, § 3 Abs.2 und § 5 Abs.2 VAbstG), vielmehr ist es ihm erlaubt, die Nichtzulassung des Volksbegehrens gerichtlich anzufechten (§ 50 Abs.1 VGHG). | |
LB 3) Damit kann der Vertrauensmann die Einhaltung der Verfahrensgrundrechte verlangen. Zwar mag sein Mandat mit Abschluß des landesverfassungsrechtlichen Verfahren geendet haben. Das beseitigt aber nicht seinen Anspruch auf Bescheidung seiner Klage durch den gesetzlichen Richter gemäß Art.101 abs.1 S.2 GG. | |
LB 4) Dieses Verfahrensgrundrecht soll der Gefahr vorbeugen, daß die Rechtsprechung durch eine Manipulierung der Spruchkörper -- sei es durch andere Staatsgewalten, sei es durch die Rechtsprechung selbst -- sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird; es soll insbesondere verhindern, daß im Einzelfall durch eine gezielte Auswahl von Richtern das Ergebnis der Entscheidung beeinflußt wird (vgl BVerfGE_17,294 <299>; BVerfGE_20,336 <344>; BVerfGE_48,246 <254>). | |
LB 5) Mit diesem objektiv-rechtlichen Gebot korrespondiert ein subjektives Verfassungsrecht der Beschwerdeführer als Antragsteller des abstrakten Normenkontrollverfahrens. Auch wenn Gegenstand eines solchen Prozesses nicht ein materielles Recht des jeweiligen Antragstellers ist, sondern um die Verfassungsmäßigkeit von Normen gestritten wird, so setzt er doch durch seinen Antrag das Verfahren in Gang. Damit hat er Anspruch auf den gesetzlichen Richter. | |
LB 6) Der Verfassungsbeschwerde fehlt es auch nicht am Rechtsschutzinteresse, obwohl der Landtag, dessen Mitglieder die Beschwerdeführer waren, nach der Neuwahl nicht mehr besteht. Der Ablauf der Legislaturperiode hat grundsätzlich keinen Einfluß auf das Fortbestehen wirksam vorgenommener Rechtshandlungen des Landtages oder eines seiner Mitglieder. War der Normenkontrollantrag ursprünglich zulässig, so bleibt er es weiterhin, selbst wenn die Antragsteller ihre Stellung als Landtagsmitglieder verlieren (vgl BVerfGE_79,311 <327>). | |
LB 7) Jedes Gericht hat die ordnungsgemäße Besetzung seiner Richterbank von Amts wegen zu prüfen, soweit es Anlaß zu Zweifeln hat (vgl BVerfGE_40,356 <360 ff>; BVerfGE_65,152 <154>). | |
LB 8) Dabei ist ohne Mitwirkung des Richters zu entscheiden, dessen Berechtigung zweifelhaft ist (vgl BVerfGE_46,34 <35 f>). | |
LB 9) Das gilt auch bei Streit um die Kompetenz von Landtag und Verfassungsgericht für die Bestimmung des gesetzlichen Richters. Denn auch in einem solchen Fall würde der von der Mitwirkung möglicherweise ausgeschlossene Richter in eigener Sache befinden. | |
LB 10) Die Verfahrensgarantie des Art.101 Abs.1 Satz 2 GG sichert nicht nur die Freiheit vor Eingriffen durch Organe der Legislative und Exekutive; ihre Schutzfunktion richtet sich auch nach "innen", also darauf, daß niemand durch Maßnahmen der Gerichtsorganisation dem in seiner Sache gesetzlich berufenen Richter entzogen wird (vgl BVerfGE_4,412 <416>). | |
LB 11) Das BVerfG hat die Gewährleistung des gesetzlichen Richters als verletzt angesehen, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm willkürlich (grundlegend BVerfGE_3,359 <364 f<) oder offensichtlich unhaltbar ist (vgl BVerfGE_29,45 <49<; BVerfGE_58,1 <45>; ähnlich bereits BVerfGE_6,45 <53>). ° ° ° °§ ̃ ? ? ? ? º Ü ì Ç s f Y ? L 2 % R P RJ gesetzlichen Richters als verletzt angesehen, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm willkürlich (grundlegend BVerfGE_3,359 <364 f<) oder offensichtlich unhaltbar ist (vgl BVerfGE_29,45 <49<; BVerfGE_58,1 <45>; ähnlich bereits BVerfGE_6,45 <53>). | |
LB 12) Nach diesem Prüfungsmaßstab ist der Ausschluß des Richters R von der Urteilsfällung nicht zu beanstanden. | |
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T-90-02 | Amtszeit |
"Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. I. | |
1_BvR_984/87 | |
1. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I 1 und I 3 wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß diese im Ausgangsverfahren vor dem Saarländischen Verfassungsgerichtshof nicht parteifähig waren, weil die Entscheidung der LanBVerfGE 82, 286 (294)BVerfGE 82, 286 (295)desregierung nach § 9 Nr. 9 und § 50 VGHG nur von dem Vertrauensmann, also der Beschwerdeführerin zu I 2, angefochten werden kann. Maßgebend für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist -- jedenfalls für den hier vorliegenden Fall --, daß die Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren als Partei aufgetreten sind. Sie waren insoweit Prozeßsubjekte, denen gegenüber eine Entscheidung, wenn auch nur ein Prozeßurteil, ergangen ist. Wenn sie meinen, dabei in einem Verfahrensgrundrecht verletzt worden zu sein, so können sie sich dagegen mit den rechtlich vorgesehenen Mitteln wehren (vgl. BVerfGE 6, 45 [49 | |
Das gilt auch für die Beschwerdeführerin zu I 1, die weder juristische Person noch eine sonst nach bürgerlichem Recht rechtsfähige Vereinigung ist. Es kann offenbleiben, ob solche Personenmehrheiten immer beschwerdefähig sind, also auch dann, wenn von vorneherein eine Rechtsträgerschaft offenkundig undenkbar ist. Durch das saarländische Volksabstimmungsgesetz werden der Beschwerdeführerin insoweit Rechte zugeordnet, als sie ab einer Mindestzahl von Mitgliedern Antragstellerin eines Volksbegehrens sein kann. Das reicht hin, auch in einem Verfassungsrechtsstreit den Anspruch auf Entscheidung durch den gesetzlichen Richter geltend zu machen. | |
2. Ebenfalls zu Unrecht bezweifelt der Saarländische Justizminister die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, soweit sie von der Beschwerdeführerin zu I 2 erhoben worden ist. | |
Der Vertrauensmann ist gesetzlicher Prozeßstandschafter; er ist nicht nur Ansprechpartner für die Zulassungsbehörde des Volksbegehrens (vgl § 2 Abs.3, § 3 Abs.2 und § 5 Abs.2 VAbstG), vielmehr ist es allein ihm erlaubt, die Nichtzulassung des Volksbegehrens gerichtlich anzufechten (§ 50 Abs.1 VGHG). Die Tatsache, daß er vor dem Landesverfassungsgericht im fremden Interesse streitet, nimmt ihm nicht die jedem Beteiligten eines Gerichtsverfahrens zustehenden Verfahrensgrundrechte. Mit ihm ist das Prozeßrechtsverhältnis begründet; er nimmt die jeder Prozeßpartei zustehenden Rechte wahr. | |
Damit kann die Beschwerdeführerin zu I 2 die Einhaltung der Verfahrensgrundrechte verlangen. Zwar mag ihr Mandat mit Abschluß des landesverfassungsrechtlichen Verfahrens geendet haben. Das beseitigt aber nicht ihren Anspruch auf Bescheidung ihrer Klage durch den gesetzlichen Richter gemäß Art.101 Abs.1 Satz 2 GG. | |
3. Unzulässig ist allerdings die Rüge eines Verstoßes gegen Art.101 Abs.1 Satz 1 GG. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde einer Prüfung in der Sache nicht zugänglich. Ihr läßt sich nicht entnehmen, inwiefern der Verfassungsgerichtshof in der beanstandeten Besetzung ein Ausnahmegericht sein soll (vgl BVerfGE_3,213 <223>). Diese Rüge genügt nicht den Anforderungen von § 23 Abs.1 und § 92 BVerfGG. II. | |
1 BvR 985/87 | |
1. Auch die Beschwerdeführer zu II können zulässigerweise rügen, in ihrem Recht aus Art.101 Abs.1 Satz 2 GG verletzt zu sein. | |
Dieses Verfahrensgrundrecht soll der Gefahr vorbeugen, daß die Rechtsprechung durch eine Manipulierung der Spruchkörper -- sei es durch andere Staatsgewalten, sei es durch die Rechtsprechung selbst -- sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird; es soll insbesondere verhindern, daß im Einzelfall durch eine gezielte Auswahl von Richtern das Ergebnis der Entscheidung beeinflußt wird (vgl BVerfGE_17,294 <299>; BVerfGE_20,336 <344>; BVerfGE_48,246 <254>). Dieses Gebot gilt für alle gerichtlichen Verfahren, also auch für Prozesse vor Verfassungsgerichten. Streitigkeiten zwischen Staatsorganen sind davon nicht ausgenommen. | |
Mit diesem objektiv-rechtlichen Gebot korrespondiert ein subjektives Verfassungsrecht der Beschwerdeführer als Antragsteller des abstrakten Normenkontrollverfahrens. Auch wenn Gegenstand eines solchen Prozesses nicht ein materielles Recht des jeweiligen Antragstellers ist, sondern um die Verfassungsmäßigkeit von Normen gestritten wird, so setzt er doch durch seinen Antrag das Verfahren in Gang. Damit hat er Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Es ist ohne Belang, ob er eigene oder fremde Rechte verfolgt oder verteidigt, ob subjektive Rechte den Streitgegenstand bilden oder ob es um die Verletzung, Auslegung oder Qualifikation objektiven Rechts geht (vgl. Bettermann, Der gesetzliche Richter in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 94, S.263 <276>). Ausschlaggebend vom Zweck der Verfahrensgarantie her ist seine Beteiligung am Verfahren als Antragsteller. | |
2. Der Verfassungsbeschwerde fehlt es auch nicht am Rechtsschutzinteresse, obwohl der Landtag, dessen Mitglieder die Beschwerdeführer waren, nach der Neuwahl nicht mehr besteht. Der Ablauf der Legislaturperiode hat grundsätzlich keinen Einfluß auf das Fortbestehen wirksam vorgenommener Rechtshandlungen des Landtages oder eines seiner Mitglieder. War der Normenkontrollantrag ursprünglich zulässig, so bleibt er es weiterhin, selbst wenn die Antragsteller ihre Stellung als Landtagsmitglieder verlieren (vgl BVerfGE_79,311 <327>). Abweichendes Landesrecht ist nicht ersichtlich. Würde auf die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer hin das angegriffene Urteil aufgehoben werden, so könnten sie das abstrakte Normenkontrollverfahren fortführen. Das begründet ihr Rechtsschutzinteresse an der Verfassungsbeschwerde. | |
Die Verfassungsbeschwerden sind jedoch unbegründet; die angegriffenen Urteile verletzen nicht Art.101 Abs.1 Satz 2 GG. I. | |
In die verfassungsrechtliche Prüfung müßten die Beschlüsse vom 19.Mai 1987 selbständig einbezogen werden, wenn sie nach dem Verfahrensrecht des Verfassungsgerichtshofs für das weitere Verfahren die Besetzung des Gerichts bindend festlegten. Ob dies der Fall ist, kann offenbleiben, weil diese Entscheidungen jedenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wären. Hinsichtlich der Würdigung ihres Inhalts wird auf die Ausführungen zu den angegriffenen Urteilen (nachstehend II) verwiesen. Die Besetzung des Verfassungsgerichtshofs beim Erlaß der Beschlüsse ist ebenfalls verfassungsrechtlich unbedenklich. Daß an ihnen der Richter R, der Stellvertreter des verstorbenen Richters G war und dessen Amtszeit ebenfalls am 30. Juni 1986 abgelaufen war, nicht mitgewirkt hat, ist nicht zu beanstanden. Jedes Gericht hat die ordnungsgemäße Besetzung seiner Richterbank von Amts wegen zu prüfen, soweit es Anlaß zu Zweifeln hat (vgl BVerfGE_40,356 <360 ff>; BVerfGE_65,152 <154>). Dabei ist ohne Mitwirkung des Richters zu entscheiden, dessen Berechtigung zweifelhaft ist (vgl BVerfGE_46,34 <35 f>). Das gilt auch bei Streit um die Kompetenz von Landtag und Verfassungsgericht für die Bestimmung des gesetzlichen Richters. Denn auch in einem solchen Fall würde der von der Mitwirkung möglicherweise ausgeschlossene Richter in eigener Sache befinden. II. | |
1. Der rechtsstaatliche Grundsatz vom gesetzlichen Richter ist bereits im 19.Jahrhundert unter der Geltung des § 16 GVG dahin verstanden worden, daß er die willkürliche Auswahl des im Einzelfall zur Entscheidung berufenen Richters untersagt (vgl Kern, Der gesetzliche Richter, 1927, S.185 ff). "Willkürlich" meint hier also schon eine Zuständigkeitsbestimmung von Fall zu Fall im Gegensatz zu einer normativen, abstrakt-generellen Vorherbestimmung des Richters. Daran hat sich durch Art.101 Abs.1 Satz 2 GG nichts geändert. Allerdings wird damit der Anwendungsbereich des Art.101 Abs.1 Satz 2 GG nicht erschöpft. "Ungesetzlich" ist auch das Gericht, das nicht den Anforderungen des Grundgesetzes entspricht, sowie der Richter, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet erscheint (vgl BVerfGE_10,200 <213>; BVerfGE_23,321 <325>; sowie Bettermann, aaO, S.263 f.). | |
2. Die Verfahrensgarantie des Art.101 Abs.1 Satz 2 GG sichert nicht nur die Freiheit vor Eingriffen durch Organe der Legislative und Exekutive; ihre Schutzfunktion richtet sich auch nach "innen", also darauf, daß niemand durch Maßnahmen der Gerichtsorganisation dem in seiner Sache gesetzlich berufenen Richter entzogen wird (vgl BVerfGE_4,412 <416>). | |
Mag bei gezielten Einmischungen der Legislative oder der Exekutive eine Verletzung der Gewährleistung des gesetzlichen Richters auf der Hand liegen, so ist das bei Entscheidungen der rechtsprechenden Gewalt, in denen normative Zuständigkeitsregeln angewandt werden, nicht ohne weiteres der Fall. Nicht jede fehlerhafte Anwendung solcher Regeln durch die Gerichte ist zugleich eine Verfassungsverletzung; andernfalls würde die Anwendung einfachen Rechts auf die Ebene des Verfassungsrechts gehoben werden. Wo die Grenzen zu einem Verfassungsverstoß zu ziehen sind, hat das Bundesverfassungsgericht bislang nicht abschließend bestimmt. Es hat sie dann als überschritten angesehen, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm willkürlich (grundlegend BVerfGE 3, 359 [364 f. | |
3. Nach diesem Prüfungsmaßstab ist der Ausschluß des Richters R. von der Urteilsfällung nicht zu beanstanden. | |
a) Der Wortlaut des § 2 Abs.6 VGHG ist nicht eindeutig. Der Begriff "Mitglieder" kann sowohl im engeren als auch im weiteren, also die Stellvertreter einschließenden Sinne verstanden werden. Das verdeutlicht das Gesetz selbst. So wird der Begriff im engeren Sinne in § 2 Abs.1, § 2 Abs.2, § 2 Abs.3, § 3 Abs.1, § 3 Abs.2, § 3 Abs.3 Erster Halbsatz und § 4 Abs. 3 benutzt, im weiteren Sinne hingegen in der Überschrift zu § 3, in § 3 Abs.3 Zweiter Halbsatz, § 4 Abs.1, § 4 Abs.2 und § 7. Schließlich verwendet das Gesetz das Wort "Mitglied" noch im Sinne von Zugehörigkeit zu dem aktuell zur Entscheidung berufenen Spruchkörper, vgl §§ 13, 14 Abs.3, 18 Satz 2 und 22 Abs.1 Satz 1 VGHG. | |
Nach der Systematik des Gesetzes wird der engere Begriff im wesentlichen bei den die Wahl und die Zusammensetzung regelnden Vorschriften verwendet, der weitere dagegen bei dienst- und statusrechtlichen Bestimmungen. Ausnahmen bilden die Überschrift zu § 3 auf der einen sowie § 2 Abs.3 auf der anderen Seite. Dennoch läßt sich nicht von der Hand weisen, daß die Systematik eher dafür spricht, den in § 2 Abs.6 verwendeten Begriff im engeren Sinne zu verstehen. Zwingend ist dies jedoch nicht. Die Gesetzesgeschichte trägt nicht zu einer weiteren Klärung der Streitfrage bei. § 2 Abs. 7 in der Erstfassung der Vorschrift vom 17.Juni 1958 (Amtsblatt S.735) war wortgleich mit dem heutigen § 2 Abs.6. | |
Schließlich zwingt auch der Zweck des Gesetzes nicht zu einem bestimmten Begriffsverständnis. Einerseits genügt zwar regelmäßig die Amtsfortführung durch die Mitglieder im engeren Sinne, um die Funktionsfähigkeit des Gerichts sicherzustellen; andererseits ist aber zu berücksichtigen, daß jedem Mitglied grundsätzlich "sein" Stellvertreter zugeordnet ist und dieses Konzept gestört wird, wenn ein anderer Stellvertreter anstelle des Richters amtiert, dessen Amtszeit abgelaufen ist. 67 | |
Beide Auffassungen -- sowohl ein weites als auch ein enges Begriffsverständnis -- sind danach vertretbar, weshalb das vom Verfassungsgerichtshof angenommene weite Begriffsverständnis jedenfalls nicht willkürlich ist. | |
b) Auch die Entscheidung, daß eine unbegrenzte Amtsfortführung bei fehlender Neuwahl nicht in Betracht komme, verletzt Art.101 Abs.1 Satz 2 GG nicht. Zwar äußert sich das Gesetz dazu präziser, als zu der Frage, wer Mitglied des Verfassungsgerichtshofs im Sinne des § 2 Abs. 6 VGHG ist: Das Amt ist bis zur Ernennung des Nachfolgers fortzuführen. Dennoch hat der Verfassungsgerichtshof durch die zeitliche Begrenzung der Amtsfortführung die Schranken richterlicher Rechtsfindung nicht überschritten. Er hat aus dem Umstand, daß die Richter für eine begrenzte Zeit zu wählen sind und die Neuwahl nach § 3 Abs.2 Satz 1 VGHG spätestens einen Monat vor Ablauf der Amtszeit stattfinden soll, den Schluß gezogen, daß eine Amtsfortführung bei fehlender Neuwahl nicht zeitlich unbegrenzt in Betracht kommt, sondern nur, solange sachgerechte und billigenswerte Gründe die Neuwahl verhindern. Dies ist plausibel, insbesondere im Hinblick auf die Gefahr, daß anderenfalls sogar eine Minderheit des Wahlorgans in der Lage wäre, die Amtszeit eines Richters auf unabsehbare Zeit zu verlängern. Ob diese einschränkende Auslegung des § 2 Abs. 6 VGHG sogar von der Landesverfassung gefordert ist, wie der Verfassungsgerichtshof meint, kann offenbleiben. Denn die Normkorrektur ist nicht ausschließlich mit verfassungsrechtlichen Erfordernissen begründet worden, sondern auch mit der Notwendigkeit, den in anderen Vorschriften zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers zu verwirklichen. Die Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich deshalb darauf, ob dieser Wille vertretbar ermittelt worden ist. Dies ist der Fall; die Gedankenführung des Verfassungsgerichtshofs ist nachvollziehbar, seine Argumente sind einsichtig. Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeit seiner fehlerhaften Besetzung für den Fall in Erwägung gezogen, daß eine Ersatzwahl aus sachfremden -- etwa parteipolitischen -- Gründen ungebührlich verzögert oder bewußt unterlassen wird (vgl BVerfGE_2,1 <9>). | |
Die einschränkende Auslegung des § 2 Abs.6 VGHG verstößt auch nicht gegen das Gebot der normativen Vorausbestimmung des gesetzlichen Richters. Zwar trifft es zu, daß der Zeitpunkt, von dem an ein "geschäftsführender" Richter infolge einer sachwidrigen Verzögerung der Neuwahl von der weiteren Amtsausübung ausgeschlossen ist, nicht exakt vorhersehbar ist; denn dieser wird unter Anwendung der vom Verfassungsgerichtshof geprägten unbestimmten Rechtsbegriffe ermittelt. Damit wird den Richtern aber nicht der Weg zum beliebigen Zugriff auf die Besetzung des Gerichts eröffnet. Sie haben vielmehr den Sachverhalt unter die von ihnen entwickelten Tatbestandsmerkmale zu subsumieren, also zu entscheiden, ob sachgerechte und billigenswerte Gründe für die Verzögerung der Neuwahl vorliegen. | |
Damit ist der gesetzliche Richter in hinreichendem Maße vorausbestimmt; denn die Konkretisierung solcher unbestimmter Rechtsbegriffe ist eine herkömmliche richterliche Tätigkeit, die in jedem Rechtsbereich und somit auch bei der Anwendung richterlicher Zuständigkeitsregelungen unvermeidbar ist. Dem Art.101 Abs.1 Satz 2 GG ist genügt, wenn die gesetzlichen und richterrechtlich entwickelten Tatbestandsmerkmale den willkürlichen Zugriff auf die Richterbank ausschließen. Das ist der Fall. | |
c) Bei der weiteren Prüfung, ob Umstände vorlagen, die es rechtfertigten, eine sachwidrige Verzögerung der Neuwahl anzunehmen, sind der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht enge Grenzen gezogen. Das berücksichtigen die Beschwerdeführer nicht hinreichend. So sind nicht nur die tatsächlichen Feststellungen, aus denen der Verfassungsgerichtshof die Mißbräuchlichkeit der Verzögerung ableitet, bis zur Willkürgrenze der Nachprüfung entzogen (vgl BVerfGE_18,85 <92>). Auch die Schlußfolgerung selbst, die Verzögerung sei mißbräuchlich, ist vorrangig einfachrechtlicher Natur. Sie ist vom Bundesverfassungsgericht hinzunehmen, solange nicht Bedeutung und Tragweite verfassungsrechtlicher Gewährleistungen verletzt wurden. | |
Der Verfassungsgerichtshof hat festgestellt, daß | |
-- der Zeitpunkt der Neuwahl zu einem gesonderten Verhandlungsgegenstand zwischen den Fraktionen gemacht worden sei und | |
-- die Weigerung, "schon" am 8.April 1987 die Neuwahl vorzunehmen, dadurch motiviert gewesen sei, daß eine sofortige Neuwahl die personelle Kontinuität der Richterbank stören würde und den Abschluß laufender Verfahren verzögern könnte. | |
Dieses Verhalten hat er als sachwidrig beurteilt, weil der Zeitpunkt der Wahl der Wahlkörperschaft nicht freistehe und es deshalb unzulässig sei, über ihn so zu verhandeln, als könne er nach Gutdünken verschoben werden. | |
Demgegenüber haben sich die Beschwerdeführer zu II darauf berufen, daß | |
-- der Richter R Berichterstatter des Verfahrens gewesen sei, | |
-- der Präsident des Verfassungsgerichtshofs erklärt habe, daß eine Neuwahl von Richtern vor der für die zweite Maihälfte beabsichtigten mündlichen Verhandlung dazu führen werde, daß die bisherige Terminplanung nicht eingehalten werden könne, weil die neuen Mitglieder sich dann erst einarbeiten müßten, und | |
-- ein Fraktionsvorsitzender, der angesichts dessen erklärt habe, er wolle diese Vorbereitungen nicht (durch eine Neuwahl) stören, nicht sachwidrig und willkürlich, sondern plausibel und respektabel gehandelt und sich innerhalb seines politischen Ermessensspielraums bewegt habe. | |
Aus diesen Einwänden ergibt sich weder, daß die Feststellungen des Verfassungsgerichtshofs willkürlich noch daß die aus ihnen gezogenen Schlußfolgerungen unvertretbar wären. Soweit es um die tatsächlichen Feststellungen des Verfassungsgerichtshofs geht, werden diese sogar durch den Vortrag der Beschwerdeführer untermauert. Hinsichtlich ihrer rechtlichen Würdigung werden keine Umstände aufgezeigt, welche die Einschätzung des Verfassungsgerichtshofs als nicht haltbar erscheinen ließen. Die Erwägung der Beschwerdeführer zu II, die Verzögerung der Wahl fördere ein entscheidungsreifes Verfahren, reicht hierzu nicht aus. | |
Auch die Einwände der Beschwerdeführer zu I wecken in dieser Hinsicht keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Urteile. Sie halten die Kritik des Verfassungsgerichtshofs am Verhalten des Wahlorgans für fehlerhaft und die Entscheidungen für korrekturbedürftig, weil | |
-- der Vorsitzende der SPD-Fraktion eine "faire und übliche" Kompromißlösung der beiden anderen Fraktionsvorsitzenden, wonach der siebte Richter zwar von der SPD hätte vorgeschlagen werden, jedoch kein Mitglied dieser Partei hätte sein dürfen, noch am Tage vor der mündlichen Verhandlung kommentarlos abgelehnt habe, und | |
-- die Auswahl und Benennung von parteilosen Bundesverfassungsrichtern aufgrund von Vorschlagsrechten der beiden großen Parteien ein lang geübtes Verfahren bei der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts sei. | |
Es kommt nicht darauf an, welche Fraktionen innerhalb des Wahlorgans das Scheitern der Neuwahlen zu verantworten haben. Die Kritik des Verfassungsgerichtshofs richtet sich gegen das Wahlorgan insgesamt. Auch sind die Gründe, auf welche die Beschwerdeführer die Verzögerung der Wahl zurückführen, nicht Gegenstand der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs. Die Beschwerdeführer bewegen sich damit im Bereich der Tatsachenermittlung durch den Verfassungsgerichtshof, deren Kontrolle dem Bundesverfassungsgericht verwehrt ist (vgl BVerfGE_18,85 <92 f>). Sie tun nicht dar, warum die Feststellungen des Verfassungsgerichtshofs willkürlich getroffen sein sollen. | |
d) Es ist schließlich nicht zu beanstanden, daß der Verfassungsgerichtshof anstelle des ausgeschlossenen Richters R. mit Hilfe analoger Anwendung von § 2 Abs.2 Zweiter Halbsatz und § 4 Abs.3 Satz 3 VGHG einen noch amtierenden Stellvertreter, nämlich den Richter D., herangezogen und in dieser Besetzung entschieden hat. | |
Die Auslegung des § 2 Abs.6 VGHG führte zu einem Regelungsdefizit hinsichtlich der Nachfolge des ausgeschiedenen Richters. Das Schließen solcher Lücken im Wege der Analogie ist anerkannte richterliche Aufgabe (vgl BVerfGE_13,153 <164>; stRspr). | |
Die analoge Anwendung der erwähnten Vertretungsregelungen durch den Verfassungsgerichtshof läßt keinen Verstoß gegen Art.101 Abs.1 Satz 2 GG erkennen. Zwar meinen Wilms und Jäger (JuS 1988, S.268 <273>), das Gericht habe allenfalls seine Funktionsunfähigkeit feststellen dürfen, weil kein gesetzlicher Verhinderungsgrund vorgelegen habe; es habe nicht anstelle des Wahlorgans die Nachfolge regeln dürfen. Doehring steht auf dem Standpunkt, daß eine Lückenfüllung nicht zulässig sei, weil dadurch das Gericht eine Zusammensetzung bekomme, die nicht mehr dem Willen des Parlaments entspreche (NJW 1987, S.3234). Dem kann nicht gefolgt werden. | |
Läge ein gesetzlich ausdrücklich normierter Hinderungsgrund für den "geschäftsführenden" Richter vor, wäre eine Lückenschließung durch Analogie nicht erforderlich, weil dann der Gesetzgeber sich des Problems angenommen hätte. Ein generelles Analogieverbot im Bereich richterlicher Zuständigkeitsregelungen gibt es aber nicht. Derartiges hat das Bundesverfassungsgericht auch nicht entschieden. Vielmehr ist nur klargestellt worden, daß das Recht, die Befangenheit eines Richters zu rügen, auf den gesetzlich bestimmten Personenkreis beschränkt ist und nicht auf andere Personen ausgedehnt werden darf (vgl BVerfGE_46,34 <40>). Die -- niemals auszuschließende -- Lückenhaftigkeit solcher Bestimmungen darf im Gegenteil nicht zur Rechtsschutzverweigerung führen, solange die Lücken durch anerkannte Methoden richterlicher Rechtsfindung geschlossen werden können. | |
Dem läßt sich ferner nicht die fehlende richterliche Kompetenz zu einer solchen Nachfolgeregelung entgegenhalten, zu der nur das Parlament berechtigt sei. Einleuchtend wäre ein solches Argument nur, wenn es in der Tat um die Berufung in das Amt des Verfassungsrichters ginge, die vorzunehmen den Richtern nicht zusteht. Darum geht es jedoch nicht. Der Verfassungsgerichtshof hat keinen Richter ernannt. Er hat nur im Wege der Analogie bestimmt, daß ein Vertretungsfall eingetreten war mit der sich aus dem Gesetz ergebenden Konsequenz, daß der vom Parlament gewählte Vertreter heranzuziehen war. Es bleibt dem Landtag unbenommen, sein Wahlrecht auszuüben. Er ist dazu sogar nach wie vor verpflichtet, um gesetzmäßige Verhältnisse herzustellen. | |
Ob sich der Verfassungsgerichtshof möglicherweise auch darauf hätte beschränken dürfen, sich bis zur Neuwahl eines Mitglieds für nicht funktionsfähig zu erklären, kann offenbleiben. Verfassungsrechtlich verpflichtet war er dazu nicht, solange es verfügbare gewählte Vertreter gab. Insofern lag es sogar näher, die Normen über die Vertretung verhinderter Richter heranzuziehen, weil sie vergleichbare Fälle betreffen. Eine Rechtsschutzverweigerung wäre demgegenüber die rechtsstaatlich bedenklichere Lösung gewesen." | |
Auszug aus BVerfG B, 10.07.90, - 1_BvR_984/87 -, www.dfr/BVerfGE, Abs.46 ff | |
§§§ | |
90.018 | Beitrittsbedingte-GG-Änderung |
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1) Die Beurteilung, ein Antrag im Sinne des § 24 Satz 1 BVerfGG sei offensichtlich unbegründet, setzt nicht voraus, daß seine Unbegründetheit auf der Hand liegt; sie kann auch das Ergebnis vorgängiger gründlicher Prüfung sein. | |
2) Das von der Bundesregierung eingeschlagene Verfahren, "beitrittsbedingte Änderungen des Grundgesetzes" im Einigungsvertrag zu vereinbaren mit der Folge, daß der Bundestag hierüber nur in der Form eines Zustimmungsgesetzes nach Art.59 Abs.2 GG befinden kann, hat seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art.23 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes. | |
§§§ | |
90.019 | Mikroverfilmung |
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1) Die Vorschrift von KHG BY Art.26 Abs.4 S.5, nach der zur Mikroverfilmung sogenannter medizinischer Patientendaten nur noch Krankenhäuser und übergangsweise bis zum 01.01.1992 solche datenverarbeitenden Unternehmen herangezogen werden dürfen, die damit bereits am 01.01.1987 betraut waren (KHG BY Art.27 Abs.3), stellt für die nicht zu diesem Kreis gehörenden Unternehmen keine Verletzung von GG Art.3 Abs.1 dar. Die gesetzliche Differenzierung ermöglicht es den Krankenhäusern, bestehende Vertragsverhältnisse mit datenverarbeitenden Unternehmen störungsfrei abzuwickeln, zugleich werden auch die nach Ablauf der Übergangszeit entstehenden Schwierigkeiten der datenverarbeitenden Unternehmen selbst (Umstellungs- und Anpassungsprobleme) gemildert. | |
2) KHG BY Art.26 Abs.4 S.5 verletzt auch nicht die in GG Art.12 Abs.1 geschützte Berufsfreiheit. Es handelt sich dabei um eine Regelung der Berufsausübung, durch die allenfalls ein Teilbereich des Betätigungsfeldes datenverarbeitender Unternehmen erfaßt wird, sie betrifft lediglich Tätigkeiten, die als Bestandteil eines umfassenderen Berufes ausgeübt werden und deren Regelung die eigentliche Berufstätigkeit unberührt läßt (vgl BVerfG, 05.05.87, 1_BvR_724/81, BVerfGE_75,246 <274>). Wichtige Gemeinwohlgründe, nämlich die besondere Schutzbedürftigkeit von Patientendaten und die Bedeutung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vermögen die Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit zu rechtfertigen. Die angefochtene Regelung ist auch verhältnismäßig, denn sie ist unzweifelhaft geeignet, das gesetzgeberische Ziel zu erreichen, die mißbräuchliche Verwendung medizinischer Patientendaten soweit wie möglich auszuschließen, wobei nicht zu beanstanden ist, daß sie nicht der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen. | |
3) Gesetzgeber die in anderen Bereichen des Datenschutzes bestehenden Sicherungsvorkehrungen, wie etwa Geheimhaltungsverpflichtungen oder Kontrollen durch Datenschutzbeauftragte, hier nicht als ausreichend angesehen haben | |
§§§ | |
90.020 | Gesamtdeutsche Wahl |
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1) Aus den Grundsätzen der formalen Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien folgt, daß dem Gesetzgeber bei der Ordnung des Wahlrechts zu politischen Körperschaften nur ein eng bemessener Spielraum für Differenzierungen verbleibt. Sie bedürfen zu ihrer Rechtfertigung stets eines zwingenden Grundes. | |
2) a) Die Vereinbarkeit einer Sperrklausel mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl kann nicht ein für allemal abstrakt beurteilt werden. Bei ihrem Erlaß sind die Verhältnisse des Landes, für das sie gelten soll, zu berücksichtigen. | |
3) Ein Wahlgesetz, das es Parteien ermöglicht, ihre Landeslisten zu verbinden, um als bloße Zählgemeinschaft die 5 vH-Klausel zu überwinden (Listenverbindung), gewichtet - anders als eine Regelung, die es Parteien erlaubt, eine gemeinsame Liste aufzustellen (Listenvereinigung) -, den Erfolg von Wählerstimmen ohne zwingenden Grund ungleich und verstößt daher gegen den Grundsatz der Wahl- und Chancengleichheit. | |
4) a) Die erste gesamtdeutsche Wahl des Deutschen Bundestages findet unter besonderen Umständen statt, die eine unveränderte Aufrechterhaltung der herkömmlichen, wahlgebietsbezogenen Sperrklausel von 5 vH nicht erlauben. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
90.021 | Betragsrahmengebühren |
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1) Die Begrenzung der Betragsrahmengebühren durch § 116 Abs.1 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte in der Fassung vom 18.August 1980, die einer Kostenbegrenzung im sozialgerichtlichen Verfahren diente, verletzt die Rechtsanwälte nicht in ihrer Berufsfreiheit (Art.12 Abs.1 GG). | |
2) Ändern sich die Verhältnisse so stark, daß eine Regelung der Berufsausübung nicht mehr dem Gebot der Verhältnismäßigkeit genügt, so folgt daraus noch nicht ohne weiteres ihre Verfassungswidrigkeit, weil dem Gesetzgeber bei komplexen, in der Entwicklung begriffenen Sachverhalten ein zeitlicher Anpassungsspielraum gebührt. | |
§§§ | |
90.022 | Polizeigewahrsam |
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1) Das gerichtliche Verfahren bei Entscheidungen über die Zulässigkeit oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung (Art.104 Abs.2 Satz 1 GG) muß darauf angelegt sein, dem Betroffenen vor dem Freiheitsentzug alle diejenigen rechtsstaatlichen Sicherungen zu gewähren, die mit einem justizförmigen Verfahren verbunden sind. Die Eilbedürftigkeit einer solchen Entscheidung kann eine Vereinfachung und Verkürzung des gerichtlichen Verfahrens rechtfertigen, darf aber die unabhängige, aufgrund der Justizförmigkeit des Verfahrens besonders verläßliche Entscheidungsfindung nicht gefährden. | |
2) Art.103 Abs.1 GG gewährt einen Anspruch auf Gehör gerade vor Gericht. Ein Dritter kann Gehör nur vermitteln, wenn er das Vertrauen des Berechtigten genießt oder einer besonderen rechtsstaatlichen Objektivitätspflicht unterworfen ist. Der Berechtigte muß außerdem von der stellvertretenden Entgegennahme von Informationen und der Abgabe von Erklärungen in seinem Namen wissen. 2) Art.103 Abs.1 " Ô GG gewährt einen Anspruch auf Gehör gerade vor Gericht. Ein Dritter kann Gehör nur vermitteln, wenn er das Vertrauen des Berechtigten genießt oder einer besonderen rechtsstaatlichen Objektivitätspflicht unterworfen ist. Der Berechtigte muß außerdem von der stellvertretenden Entgegennahme von Informationen und der Abgabe von Erklärungen in seinem Namen wissen. | |
* * * | |
Beschluss | Entscheidungsformel:
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§§§ | |
90.023 | Ausländerwahlrecht (SH) |
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1) Eine Landesregierung kann im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle grundsätzlich auch das Recht eines anderen Landes zur Prüfung stellen. | |
2) Art.20 Abs.2 Satz 1 GG bestimmt, daß das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland Träger und Subjekt der Staatsgewalt ist. | |
3) a) Das Staatsvolk, von dem die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, wird nach dem Grundgesetz von den Deutschen, also den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art.116 Abs.1 gleichgestellten Personen, gebildet. | |
b) Damit wird für das Wahlrecht, durch dessen Ausübung das Volk in erster Linie die ihm zukommende Staatsgewalt wahrnimmt, nach der Konzeption des Grundgesetzes die Eigenschaft als Deutscher vorausgesetzt. | |
4) Die den Bundesländern zukommende Staatsgewalt kann gemäß Art.20 Abs.2, Art.28 Abs.1 Satz 1 GG ebenfalls nur von denjenigen getragen werden, die Deutsche im Sinne des Art.116 Abs.1 GG sind. | |
5) Auch soweit Art.28 Abs.1 Satz 2 GG eine Vertretung des Volkes für die Kreise und Gemeinden vorschreibt, bilden ausschließlich Deutsche das Volk und wählen dessen Vertretung. Die Vorschrift gewährleistet für alle Gebietskörperschaften auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland die Einheitlichkeit der demokratischen Legitimationsgrundlage und trägt damit der besonderen Stellung der kommunalen Gebietskörperschaften im Aufbau des demokratischen Staates Rechnung. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
90.024 | Ausländerwahlrecht (Hamb) |
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1) Gemäß Art.28 Abs.1 Satz 1 GG sind die Grundentscheidung des Art.20 Abs.2 GG für die Volkssouveränität und die daraus folgenden Grundsätze der demokratischen Organisation und Legitimation von Staatsgewalt auch für die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern verbindlich. | |
2) Der Grundsatz der Volkssouveränität fordert, daß das Volk einen effektiven Einfluß auf die Ausübung von Staatsgewalt durch die Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung hat. Für die Beurteilung, ob dabei ein hinreichender Gehalt an demokratischer Legitimation erreicht wird, haben die verschiedenen Formen dieser Legitimation staatlichen Handelns Bedeutung nicht je für sich, sondern nur in ihrem Zusammenwirken; entscheidend ist ein bestimmtes Legitimationsniveau. | |
3) Das demokratische Prinzip läßt es nicht beliebig zu, anstelle des Gesamtstaatsvolkes jeweils einer durch örtlichen Bezug verbundenen, gesetzlich gebildeten kleineren Gesamtheit von Staatsbürgern Legitimationskraft zuzuerkennen. In Stadtstaaten sind die Einrichtung von Bezirksversammlungen, die vom Volk in den Bezirken gewählt werden, und deren Ausstattung mit Entscheidungsbefugnissen grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich. | |
4) Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen sich die Wahrnehmung von Entscheidungskompetenzen durch staatliche Organe als Ausübung von Staatsgewalt darstellt, die demokratischer Legitimation bedarf. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
90.025 | Beihilfe 100%-Grenze |
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1) Kraft seiner Fürsorgepflicht muß der Dienstherr Vorkehrungen treffen, daß der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten bei Eintritt besonderer finanzieller Belastungen durch Krankheits-, Geburts- und Todesfälle nicht gefährdet wird. Ob er dieser Pflicht über eine entsprechende Bemessung der Dienstbezüge, über Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonstiger geeigneter Weise Genüge tut, bleibt von Verfassungs wegen seiner Entscheidung überlassen. | |
2) a) Entscheidet sicher der Dienstherr, seiner Fürsorgepflicht durch die Eigenvorsorge des Beamten ergänzende Beihilfen nachzukommen, wie es geltendem Recht entspricht, so muß er sicherstellen, daß der Beamte nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleibt. b) Eine in Ergänzung der zumutbaren Eigenvorsorge lückenlose Erstattung jeglicher Aufwendungen verlangt die Fürsorgepflicht nicht. | |
3) Das Beihilferecht ist nach seiner Konzeption, die dem verfassungsverbürgten Fürsorgeprinzip genügt, nur eine Ergänzung der mit eigenen Mitteln zu betreibenden Eigenvorsorge. Die Einführung der 100-%-Erstattungsgrenze im Beihilferecht mit der sich daraus ergebenden Konsequenz des Ausschlusses von Übererstattungen bringt das Subsidiaritätsprinzip im Beihilferecht folgerichtig zur Geltung. | |
* * * | |
Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
90.026 | Josephine Mutzenbacher |
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1) Ein pornographischer Roman kann Kunst im Sinne von Art.5 Abs.3 Satz 1 GG sein. | |
2) Die Indizierung einer als Kunstwerk anzusehenden Schrift, setzt auch dann eine Abwägung mit der Kunstfreiheit voraus, wenn die Schrift offensichtlich geeignet ist, Kinder oder Jugendliche sittlich schwer zu gefährden (§ 6 Nr.3 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften - GjS -). | |
3) Die Vorschrift des § 9 Abs.2 GjS ist verfassungsrechtlich unzulänglich, weil die Auswahl der Beisitzer für die Bundesprüfstelle nicht ausreichend geregelt ist. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
90.027 | Einigungsvertrag |
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1) Wird Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz erhoben, so müssen die Tatsachen, aus denen sich die Betroffenheit des Beschwerdeführers ergibt, im Verfassungsbeschwerdeverfahren hinreichend belegt werden. | |
2) An die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung sind besonders strenge Anforderungen zu stellen, wenn eine Regelung mit völkerrechtlichen oder außenpolitischen Auswirkungen betroffen ist. | |
§§§ |
1989 | RS-BVerfG - 1990 | 1991 [ ] |
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§§§