BVerwG, U, 13.03.03, - 7_C_1/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
EWGVO_Nr_259/93_Art.2 i+k, EWGVO_Nr_259/93_Art.7 Abs.2, EWGVO_Nr_259/93_Art.2 Abs.4a, EWGVO_Nr_259/93_Art.30 Abs.1 S.1; Richtline 75/422/EWG_Art.1 e+f, 75/422/EWG_Art.3 Abs.1 b
Grenzüberschreitende Abfallverbringung / Abfall zur Verwertung / Einwand falsches Verfahren / Abfallverbund / Entsorgungsvorgang, mehraktiger / Ökologie-Einwand / Ermittlungsdefizit / Ermessen.
1) Gegen den innergemeinschaftlichen Export eines zur Verwertung notifizierten Abfallverbunds der Gelben Liste, von dem im Bestimmungsland vor der Beseitigung des Restabfalls ein Teil verwertet werden soll, darf die Behörde nicht den Einwand des falschen Verfahrens erheben.
2) Das bei Erhebung des Ökologie-Einwands (Art.7 Abs.4 Buchst.a, 5.Gedankenstrich EG-AbfVerbrVO) eingeräumte Ermessen wird fehlerhaft ausgeübt, wenn die Behörde davon ausgeht, dass das falsche Notifizierungsverfahren gewählt worden sei.
§§§
03.062 Laserbehandlungsräume |
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BVerwG, U, 18.03.03, - 3_C_23/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
GG_Art.12 Abs.1; BerufsO (NW) Ärzte Kap.D AbschnI Nr.2 Abs.14
Arztwerbung / Praxisschild / Hinweisschild / ausgelagerte Praxisräume / Hinweis auf Apparateausstattung.
Es ist mit dem Grundrecht der freien Berufsausübung nicht vereinbar, Augenärzten, die in räumlicher Entfernung voneinander jeweils eine eigene Praxis betreiben und die Laserbehandlungen mittels gemeinsam angeschaffter Geräte in ausschließlich dafür bestimmten gemeinsamen Behandlungsräumen durchführen, die Anbringung eines Schildes zu untersagen, auf dem neben den Namen der beteiligten Ärzte deren jeweilige Telefonnummer und der Hinweis "Laserbehandlungsräume" angegeben ist.
§§§
BVerwG, B, 18.03.03, - 4_B_7/03 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
BauGB_§_35 Abs.3 S.1 Nr.5; VwGO_§_133 Abs.3 S.3
Verunstaltung / Orts- und Landschaftsbild / optische Gewöhnungsbedürftigkeit
LB 2) Die technische Neuartigkeit einer Anlage und die dadurch bedingte optische Gewöhnungsbedürftigkeit allein ist nicht geeignet ist, das Orts- oder Landschaftsbild zu beeinträchtigen
Z-347 Verunstaltung des Landschaftsbild
"...b) Ob die in der Beschwerdebegründung formulierten Fragen zur Verunstaltung des Landschaftsbildes den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs.3 Satz 3 VwGO genügen, kann offen bleiben. Sie rechtfertigen jedenfalls deshalb die Zulassung der Revision nicht, weil sie keinen grundsätzlichen Charakter haben, sondern die konkrete Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht betreffen. (Abs.4)
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist rechtsgrundsätzlich geklärt, dass eine Verunstaltung im Sinne von § 35 Abs.3 Satz 1 Nr.5 BauGB voraussetzt, dass das Bauvorhaben dem Orts- oder Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird (BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1990 - BVerwG 4 C 6.87 - (NVwZ 1991, 64 = ZfBR 1990, 293); Urteil vom 15.Mai 1997 - BVerwG 4 C 23.95 ZfBR 1997, 322). Dieser Grundsatz gilt auch gegenüber im Außenbereich privilegierten Vorhaben; er gilt auch für Windkraftanlagen. Zwar sind diese Anlagen durch § 35 Abs.1 Nr.6 BauGB grundsätzlich dem Außenbereich zugewiesen. Eine Entscheidung über den konkreten Standort hat der Gesetzgeber jedoch nicht getroffen. Ihre Zulässigkeit steht deshalb unter dem Vorbehalt, dass die jeweilige Anlage das Orts- und Landschaftsbild im Einzelfall nicht verunstaltet. Ob die Schwelle zur Verunstaltung überschritten ist, hängt von den konkreten Umständen der jeweiligen Situation ab (BVerwG, Beschluss vom 15.Oktober 2001 - BVerwG 4 B
69.01 BRS 64 Nr.100). (Abs.5)
In Übereinstimmung mit dem OVG Bautzen (Urteil vom 18.Mai 2000 - 1 B 29/98 NuR 2002,162) hat das Berufungsgericht darüber hinaus angenommen, dass eine Verunstaltung des Landschaftsbildes nur in Ausnahmefällen anzunehmen sei, nämlich wenn es sich um eine wegen ihrer Schönheit und Funktion besonders schutzwürdige Umgebung oder um einen besonders groben Eingriff in das Landschaftsbild handelt. Weitergehende allgemeine Rechtssätze dürften sich kaum formulieren lassen. Zumindest die in der Beschwerde angesprochenen Fragen lassen sich nicht verallgemeinernd klären. So ist zwar nicht zweifelhaft, dass auch ein nicht unter förmlichen Naturschutz gestelltes Gebiet durch Windenergieanlagen verunstaltet werden kann; wann dies der Fall ist, hängt jedoch von einer wertenden Betrachtung des jeweiligen Gebiets ab. Ob eine Landschaft durch technische Einrichtungen und Bauten bereits so vorbelastet ist, dass eine Windkraftanlage sie nicht mehr verunstalten kann, ist ebenfalls eine Frage des jeweiligen Einzelfalls. Die Beschwerde weist ferner zwar zutreffend darauf hin, dass die technische Neuartigkeit einer Anlage und die dadurch bedingte optische Gewöhnungsbedürftigkeit allein nicht geeignet ist, das Orts- oder Landschaftsbild zu beeinträchtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.Februar 1983 - BVerwG 4 C 18.81 BVerwGE 67,23 ). Dies hat aber auch das Berufungsgericht
angenommen. Zu Recht hat es die Verunstaltung auch nicht allein daraus abgeleitet, dass Windkraftanlagen angesichts ihrer Größe markant in Erscheinung treten. In welcher Entfernung eine Windkraftanlage nicht mehr verunstaltend wirken kann, lässt sich ebenfalls nicht abstrakt festlegen." (Abs.6)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.4 ff
§§§
BVerwG, U, 19.03.03, - 9_A_33/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
(02) BNatSchG_§_19 Abs.2; BNatSchG_§_61 Abs.2 Nr.1; (aF) BNatSchG_§_8 Abs.2 BNatSchG_§_29 Abs.1; FStrG_§_17 Abs.1 S.2, FStrG_§_17 Abs.6c; FStrAbG_§_1 Abs.2; (SA) LNG_§_9, LNG_§_12 Abs.1; (SA) VwVfG_§_73 Abs.9
Straßenplanung / Planfeststellung / anerkannter Naturschutzverein / Klagebefugnis / Anhörungsrecht bei Planänderung / Verfahrensfehler / Fehlerfolge / Umweltverträglichkeitsprüfung / Planrechtfertigung / Bindung des Bedarfsplans / Verkehrsprognose / Modellprognose/Trendprognose / Straßengestaltung / Trassierungsparameter / Gradientenführung / Richtlinien für die Anlage von Straßen RAS Q, RAS L / Bindungswirkung / naturschutzrechtliches Vermeidungsgebot / striktes Recht / Verhältnismäßigkeitsvorbehalt / Übermaßverbot / Abgrenzung zur Planungsalternative / Gradientenabsenkung als Vermeidungsmaßnahme / naturschutzrechtliche Abwägung.
1) Die Verletzung des Beteiligungsrechts eines anerkannten Naturschutzvereins im Planfeststellungsverfahren führt in der Regel dann nicht zum Erfolg der Klage, wenn dem Verein die Vereinsklage mit einer materiellrechtlichen Prüfung des Planfeststellungsbeschlusses eröffnet ist und der Beteiligungsmangel die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst haben kann (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 31.Januar 2002 BVerwG 4 A 15.01 DVBl 2002,990 = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr.168, S.93 f).
2) Die Klagebefugnis eines anerkannten Naturschutzvereins nach § 61 Abs.1 Satz 1 Nr.2 BNatSchG 2002 deckt auch Rügen gegen die Tauglichkeit der Verkehrsprognose, sofern diese von Bedeutung für den Planfeststellungsbeschluss in Bezug auf die mit dem Vorhaben verbundenen Eingriffe in Natur und Landschaft ist.
3) Die in den Richtlinien für die Anlage von Straßen vorgegebenen technischen Ausbauparameter sind für die gerichtliche Abwägungskontrolle nicht bindend; da sie jedoch die anerkannten Regeln für die Anlage von Straßen zum Ausdruck bringen, wird eine Straßenplanung, die sich an deren Vorgaben orientiert, insoweit nur unter besonderen Umständen gegen das fachplanerische Abwägungsgebot verstoßen.
4) Gradientenabsenkungen, die zur Verringerung der Dammlage einer Straße führen, können Maßnahmen der naturschutzrechtlichen Vermeidung sein, sofern sie nicht eine Veränderung des beantragten Vorhabens in wesentlichen Punkten
§§§
BVerwG, U, 20.03.03, - 2_C_23/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
GG_Art.33 Abs.2; BGB_§_133, BGB_§_814; VwGO_§_137 Abs.2; VwVfG_§_54, VwVfG_§_56 Abs.1, VwVfG_§_59 Abs.2
Austauschvertrag / Ernennung / Gewährleistung der Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen / Koppelungsverbot / nicht revisible Vertragsauslegung / öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch / öffentlich-rechtlicher Vertrag / revisible Grundsätze der Vertragsauslegung / Treu und Glauben / Übernahme in das Beamtenverhältnis / Zusage.
1) Eine Vereinbarung, durch die sich das Land von einem Angestellten eine monatliche Zahlung als Gegenleistung für die Zusage der späteren Ernennung des Angestellten zum Beamten versprechen lässt, ist nichtig.
2) Eine solche Vereinbarung ist auch dann öffentlich-rechtlicher Natur, wenn sie als Nebenabrede zu einem zivilrechtlichen Arbeitsvertrag getroffen worden ist.
§§§
BVerwG, U, 20.03.03, - 3_C_10/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
Zitiergebot bei Verordnungen / Milchquote / Anlieferungs-Referenzmenge / Abtretung des Herausgabeanspruchs / Übertragung der Referenzmenge / Übernahmerecht des Pächters / Adressat der Übernahmeerklärung.
GG_Art.80 Abs.1 S.3; ZAV_§_17 Abs.1 Nr.2 iVm § 12 Abs.3, ZAV_§_12 Abs.4; MGV_§_7 Abs.2a; VOEWG Nr.3950/92 Art.7 + 8.
1) Die in einer Rechtsverordnung gemäß Art.80 Abs.1 Satz 3 GG anzugebenden Rechtsgrundlagen erstrecken sich nicht auf das Gemeinschaftsrecht, das durch die Verordnung umgesetzt wird.
3) Das dem Pächter nach § 12 Abs.3 ZAV zustehende Übernahmerecht ist gegenüber dem Verpächter auszuüben; die Abgabe der Übernahmeerklärung allein gegenüber der Landwirtschaftsbehörde ist unwirksam.
§§§
BVerwG, B, 20.03.03, - 4_B_59/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
BauNVO_§_3, BauNVO_§_12, BauNVO_§_15 Abs.1 S.2
reines Wohngebiet / Stellplätze / Emissionen /
LB 2) Die Nachbarn haben die von den Stellplätzen einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Emissionen im Regelfall hinzunehmen.
LB 3) Besondere örtliche Verhältnisse können auch zu dem Ergebnis führen können, dass die Errichtung von Stellplätzen auf dem Baugrundstück nicht oder nur mit Einschränkungen genehmigt werden kann.
Z-348 Zulässigkeit von Stellplätze
"... Nach § 12 Abs.2 BauNVO sind Stellplätze mit den dort genannten Einschränkungen - auch in reinen Wohngebieten gemäß § 3 BauNVO zulässig. Allerdings sind, wie der Senat bereits in seinem vom Oberverwaltungsgericht wörtlich wiedergegebenen Urteil vom 7.Dezember 2000 BVerwG 4 C 3.00 (NVwZ 2001,813 = BRS 63 Nr. 160) ausgeführt hat, nach § 15 Abs.1 Satz 2 BauNVO die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Die Vorschrift gilt auch für die in § 12 BauNVO genannten Stellplätze und Garagen. Sie sind vor allem dann unzulässig, wenn ihre Nutzung zu unzumutbaren Beeinträchtigungen für die Nachbarschaft führt. Dabei kommt der Zufahrt eine besondere Bedeutung zu, weil jedenfalls bei Wohnbebauung der Zu- und Abgangsverkehr die Nachbarschaft regelmäßig am stärksten belastet. Demgemäß begegnen Garagen und Stellplätze in ruhigen rückwärtigen Gartenbereichen hinter Wohnhäusern oft rechtlichen Bedenken. Ob sie im Sinne des § 15 Abs.1 Satz 2 BauNVO unzumutbar sind, richtet sich gleichwohl nach der Eigenart des Baugebiets. Eine generelle, für alle Standorte von Stellplätzen im rückwärtigen (Wohn-)Bereich geltende Beurteilung ist nicht möglich; sie hängt immer von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. (Abs.6)
Daraus folgt, dass die Nachbarn die von den Stellplätzen einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Emissionen im Regelfall hinzunehmen haben, dass aber besondere örtliche Verhältnisse auch zu dem Ergebnis führen können, dass die Errichtung von Stellplätzen auf dem Baugrundstück nicht oder nur mit Einschränkungen genehmigt werden kann. Dabei ist der in § 12 Abs.2 BauNVO enthaltenen Grundentscheidung Rechnung zu tragen. Dies entbindet das Tatsachengericht jedoch nicht von der Prüfung, ob im Einzelfall unzumutbare Beeinträchtigungen zu erwarten sind. Die besonderen Umstände des Einzelfalls können es, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend hervorhebt, erforderlich machen, die Beeinträchtigung der Nachbarschaft auf das ihr entsprechend der Eigenart des Gebiets zumutbare Maß zu mindern. Hierfür kommen beispielsweise die bauliche Gestaltung der Stellplätze und ihrer Zufahrt, eine Anordnung, die eine Massierung vermeidet, der Verzicht auf Stellplätze zugunsten einer Tiefgarage oder Lärmschutzmaßnahmen an der Grundstücksgrenze in Betracht. Im Übrigen müssen selbst notwendige Stellplätze nach allgemeinen bauordnungsrechtlichen Grundsätzen nicht auf dem Baugrundstück selbst errichtet werden (vgl. das Senatsurteil vom 16.September 1993 BVerwG 4 C 28.91 BVerwGE 94, 151 = BRS 55 Nr.110)." (Abs.7)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.6 f
Z-349 Stellplatzlärm
"... Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits in seinem vom Berufungsgericht zitierten Urteil vom 19.Januar 1989 BVerwG 7 C 77.87 (BVerwGE 81,197) darauf hingewiesen, dass die schematische Mittelung von Geräuschen je nach ihrer Eigenart (dort handelte es sich um Sportlärm) der Sachlage nicht gerecht wird. Es hat ferner in seinem ebenfalls bereits vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen Urteil vom 27.August 1998 - BVerwG 4 C 5.98 (NVwZ 1999,523 = BRS 60 Nr.83) betont, dass Parkplatzlärm sich durch spezifische Merkmale auszeichnet; es überwiegen unregelmäßige Geräusche, die zum Teil einen hohen Informationsgehalt aufweisen. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe und bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass auch bei der Beurteilung des Lärms, der von den zu einem Wohngebäude gehörenden Stellplätzen ausgeht, die Besonderheiten zu berücksichtigen sind, die aus Rangiervorgängen, Türenschlagen und anderen impulshaltigen Geräuschen ausgehen. Der Senat hat ferner im genannten Urteil ausgeführt, für die Bemessung der
Auszug aus: Originalurteil, Abs.11 f
§§§
BVerwG, B, 25.03.03, - 6_B_8/03 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
VwGO_§_42 Abs.1; VwVfG_§_35
Diplomvorprüfung / Einzelnote / Teilprüfung / Verwaltungsakt / abgeschichtete Fachprüfung.
Wird ein Prüfungsverfahren bei Bestehen einer Teilprüfung mit den anderen Teilprüfungen fortgesetzt, ohne dass nach der einschlägigen Prüfungsordnung über das Bestehen und das (Teil-)Ergebnis ein Bescheid zu ergehen hat, kann die positive Bewertung der Teilprüfungsleistung nicht gleichwohl deshalb als Verwaltungsakt qualifiziert werden, weil die Prüfung als "abgeschichtete Fachprüfung" ausgestaltet ist.
§§§
03.069 Banknotenentwendung |
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BVerwG, U, 26.03.03, - 1_D_23/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
BBG_§_54 S.2, BBG_§_55 S.2, BBG_§_77 Abs.1 S.1
Bundesbankhauptsekretär / Entwendung von Banknoten / Zugriffsdelikt / "Midlifecrisis" keine psychische Ausnahmesituation / nachträgliches Geständnis des mehr als 20-fachen Deliktumfangs bei Zugriffsdelikt kein Milderungsgrund / keine Kumulation von nicht zureichenden Ausnahmegründen zu einem neuen Milderungsgrund / Disziplinarmaß: Entfernung aus dem Dienst.
LB 1) Zum Milderungsgrund "einmalige persönlichkeitsfremde Gelegenheitstat bei Zugriffsdelikt auf amtlich anvertrautes Geld.
Z-350 einmalige persönlichkeitsfremde Gelegenheitstat
"... Die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses ist bei einem Zugriff auf dienstlich erlangtes oder anvertrautes Geld nur möglich, wenn ein in der Rechtsprechung anerkannter Milderungsgrund vorliegt. Das ist hier nicht der Fall. (Abs.20)
a) Der Beamte macht im Berufungsverfahren geltend, es habe sich um eine einmalige, persönlichkeitsfremde Gelegenheitstat gehandelt. Dem kann nicht gefolgt werden. Im Hinblick auf die Vielzahl der Unterschlagungshandlungen kommt eine unbedachte einmalige Augenblickstat im Sinne der Rechtsprechung nicht in Betracht. Der aus dem Strafrecht stammende Begriff der fortgesetzten Handlung oder des Fortsetzungszusammenhangs ist dem Disziplinarrecht fremd. Einzeltaten, die nach strafrechtlichen Grundsätzen im Fortsetzungszusammenhang begangen werden, können disziplinar einen Beamten im Hinblick auf das zum Dienstherrn bestehende Vertrauensverhältnis nicht entlasten, weil dieses durch wiederholte Eingriffe in das betroffene Rechtsgut immer wieder neu beeinträchtigt wird (stRspr, Urteile vom 8.Juni 1994 BVerwG 1 D 72.93 und vom 16.Juni 1999 BVerwG 1 D 67.98 ). Darüber hinaus wäre hier auch aus rein tatsächlichen Gründen ein Gesamtvorsatz zu verneinen. Es liegt lediglich eine sich vielfach wiederholende gleichartige Begehungsweise vor, wobei nach den Feststellungen im Strafverfahren die einzelnen Handlungen "aufgrund jeweils neu gefassten Willensentschlusses"
zustande kamen. (Abs.21)
b) Auch der Vortrag des Beamten, er habe sich angesichts seines damaligen Alters (Überschreiten des 50.Lebensjahres; "Midlifecrisis") in einer psychischen Ausnahmesituation befunden, erfüllt nicht die Voraussetzungen des genannten Milderungsgrunds. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass das einen jeden Menschen betreffende Älterwerden den Beamten wie ein Schock getroffen und ihn schockbedingt veranlasst hätte, diese Erkenntnis mehr als ein Jahr lang mit kriminellen Handlungen zu kompensieren. (Abs.22)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.20 ff
Z-351 freiwillige Wiedergutmachung vor Tatentdeckung
"... c) Schließlich liegt auch der Milderungsgrund der freiwilligen Wiedergutmachung vor Tatentdeckung nicht vor. Richtig ist zwar, dass der Beamte bei seiner Festnahme am 24.August 1999 die von der Videokamera festgehaltenen Tathandlungen mit einem Schaden von 290 DM sofort eingeräumt und außerdem zugegeben hat, bereits seit Mitte 1998 auf ähnliche Weise in etwa 80 Fällen ungefähr 7 000 DM an sich gebracht zu haben. Es mag sein, dass es schwierig gewesen wäre, die nicht beobachteten Geldentnahmen dem Beamten nachzuweisen. Allerdings konnte später gegen ihn ein wesentlich höherer Schadensersatzanspruch (ca 26 000 DM) gerichtlich durchgesetzt werden. Die Mitwirkung bei der Schadensermittlung durch ein erweitertes Geständnis nach Aufdeckung seiner Täterschaft kann aber nicht dazu führen, dass nunmehr eine freiwillige Wiedergutmachung v o r Tatendeckung anzunehmen wäre. Es spricht für den Beamten, dass er die nicht beobachteten Geldentnahmen ohne weiteres eingeräumt hat; dies aber lässt die beobachteten Tathandlungen nicht in einem milderen Licht erscheinen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist ein wie hier erweitertes Geständnis des Beamten bei einem Zugriffsdelikt oder anderen schwerwiegenden Kernpflichtverletzungen nicht geeignet, von der Entfernung aus dem Dienst abzusehen (vgl. Urteile vom 28.März 2000 BVerwG 1 D 6.99 , vom 23.Mai 2001 BVerwG 1 D 12.00 und vom 9.Mai 2001 BVerwG 1 D 17.00 ). (Abs.23)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.23
Z-352 kein neuer Milderungsgrund durch Kumulation
"... d) Entgegen der von dem Verteidiger des Beamten vertretenen Auffassung ist es auch nicht möglich, aus einzelnen Umständen, die für den Beamten sprechen, jedoch keinen anerkannten Milderungsgrund begründen, durch Kumulation einen neuen Ausnahmegrund zu schaffen. Die Feststellung der weiteren Tragbarkeit eines Beamten unter Hinweis auf ein Zusammenwirken von je für sich als Milderungsgrund nicht zureichenden Umständen, die je für sich genommen auch ein Verbleiben im Dienst nicht rechtfertigen könnten, wird vom Senat bei Dienstvergehen, die grundsätzlich zur Höchstmaßnahme führen, abgelehnt (vgl zB Urteile vom 12.April 1995 BVerwG 1 D 62.94 und vom 30.September 1998 BVerwG 1 D 97.97 jeweils mwN). Der Senat sieht keinen Anlass, diese Rechtsprechung aufzugeben oder zu modifizieren. (Abs.24)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.24
Z-353 Unterhaltsbeitrag
"... 2. Der Senat hat dem Beamten einen Unterhaltsbeitrag mit dem nach § 77 Abs.1 Satz 2 BDO zulässigen Höchstsatz von 75 vom Hundert bewilligt. Damit hat er den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beamten Rechnung getragen, die dieser angesichts veränderter Verhältnisse in der Hauptverhandlung vor dem Senat dargelegt hat. Weist der Beamte nach, dass er sich während des gesamten Bewilligungszeitraums nachdrücklich, aber letztlich erfolglos um eine andere Erwerbstätigkeit bemüht hat, so kann ihm vom Bundesdisziplinargericht auf seinen Antrag bei fortbestehender Bedürftigkeit ein Unterhaltsbeitrag neu bewilligt werden." (Abs.25)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.25
§§§
03.070 verhinderter Vorsitzender |
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BVerwG, B, 26.03.03, - 4_B_19/03 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
Vorsitzenden-Vakanz / verhinderter Vorsitzender / Ermessensausübung / Willkürverbot.
GG_Art.3 Abs.1; (96) LBO_§_88 Abs.1; VwGO_§_173; GVG_§_21f Abs.1, GVG_§_21f Abs.2 S.1
LB 1) Vorsitzenden-Vakanz und die entsprechende Anwendung der Regelung für den verhinderten Richter iSd § 21f Abs.2 S.1 GVG.
Z-354 zum Begriff des verhinderten Vorsitzenden
"... Der 2.Senat des Oberverwaltungsgerichts, gegen dessen Entscheidung vom 12.November 2002 sich der Kläger wendet, hatte im Zeitpunkt des Urteilserlasses keinen Vorsitzenden. Die Entscheidung wurde von den drei Richtern am Oberverwaltungsgericht J, S und B getroffen. Dies entsprach der allgemeinen Vertretungsregelung des Geschäftsverteilungsplans, nachdem der Präsident des Oberverwaltungsgerichts F, der sich dem 2.Senat angeschlossen hatte, mit Ablauf des 31.Oktober 2002 wegen Vollendung des 65.Lebensjahres in den Ruhestand getreten war. Das Gesetz schließt eine solche Vertretung nicht aus. Zwar führen nach § 9 Abs.1 und 2 VwGO iVm § 21f Abs.1 GVG und § 173 VwGO den Vorsitz in den beim Oberverwaltungsgericht gebildeten Senaten der Präsident und die Vorsitzenden Richter. § 21 f Abs.2 Satz 1 GVG lässt eine Vertretung indes zu, wenn der Vorsitzende verhindert ist. Von einer Verhinderung im Sinne dieser Vorschrift kann zwar an sich nur dann die Rede sein, wenn der ordentliche Vorsitzende für eine vorübergehende Zeit nicht zur Verfügung steht. Dies ist der Fall, wenn er durch Krankheit, Urlaub, anderweitige dienstliche Tätigkeit oder aus ähnlichen Gründen an der Wahrnehmung der Geschäfte als Vorsitzender gehindert ist. Als Verhinderung, die eine entsprechende Anwendung des § 21f Abs.2 Satz 1 GVG rechtfertigt, ist indes auch die Vakanz im Vorsitz anzusehen, die durch Eintritt oder Versetzung in den Ruhestand, durch Abordnung oder durch Tod des Stelleninhabers ausgelöst wird (vgl BVerwG, Urteil vom 25.Juli 1985 BVerwG 3 C 4.85 NJW 1986,1366; Beschluss vom 11.Juli 2001 BVerwG 1 DB 20.01 NJW 2001,3493; BFH, Beschluss vom 21.Oktober 1999 VII R 15/99 BFHE 190,47). Die Gleichstellung mit der vorübergehenden Verhinderung begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, weil sich Vakanzen im Vorsitz in der Praxis schlechthin nicht vermeiden lassen. Insbesondere im Falle des Eintritts eines Vorsitzenden Richters in den Ruhestand bei Erreichen der Altersgrenze ist die Vakanz freilich vorhersehbar. Die Verwaltung kann und muss sich auf die veränderte Situation beizeiten einstellen und die Stelle unverzüglich wieder besetzen. Auch wenn ein nahtloser Übergang nicht stets gelingt, darf die Nachfolge nicht ungebührlich verzögert werden. Der Zustand bis zur Wiederbesetzung der Stelle kann nur für eine kurze Übergangszeit hingenommen werden (vgl BVerwG, Urteil vom 25.Juli 1985 BVerwG 3 C 4.85 aaO; Beschluss vom 11.Juli 2001 BVerwG 1 DB 20.01 aaO; BFH, Beschluss vom 21.Oktober 1999 VII R 15/99 aaO). Welcher Zeitraum angemessen ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen (vgl BVerfG, Beschluss vom 30.März 1965 2 BvR 341/60 BVerfGE 18,423 ). Entsprechend anwendbar ist § 21f Abs.2 Satz 1 GVG nach dem endgültigen Ausscheiden eines Vorsitzenden aus dem Spruchkörper jedenfalls solange, wie durch die Vakanz im Vorsitz keine wesentlich gewichtigere Beeinträchtigung der bei ordnungsgemäßer Besetzung des Spruchkörpers zu erwartenden Arbeitsweise zu erwarten ist als bei einem längeren Urlaub oder einer längerdauernden Krankheit
(vgl BFH, Beschluss vom 21.Oktober 1999 VII R 15/99 aaO). Bei einer Vakanz von knapp drei Monaten im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertretungsfalls kann grundsätzlich noch nicht davon ausgegangen werden, dass die Wiederbesetzung in verfassungswidriger Weise hinausgezögert worden ist (vgl BVerfG, Beschluss vom 3.März 1983 2 BvR 265/83 NJW 1983,1541). Selbst ein noch längerer Zeitraum kann, je nach den konkreten Gegebenheiten, im Einzelfall vertretbar sein (vgl BayVerfGH, Entscheidung vom 8.August 1985 Vf.24 VII/84 NJW 1986,1326). (Abs.3)
Gemessen an diesen Grundsätzen lässt es sich rechtlich nicht beanstanden, dass die angefochtene Entscheidung in Anwendung der nach dem Geschäftsverteilungsplan maßgeblichen Vertretungsregeln von den Richtern J, S und B auf der Grundlage einer mündlichen Verhandlung getroffen wurde, die knapp zwei Wochen nach dem Ausscheiden des Senatsvorsitzenden stattfand. Dahinstehen kann, ob eine andere Beurteilung angebracht wäre, wenn sich im Zeitpunkt des Urteilserlasses durch die nachfolgende Entwicklung bestätigt eine langdauernde Vakanz abgezeichnet hätte. Dafür ist indes nichts ersichtlich. Der weitere Gang der Ereignisse belegt vielmehr, dass das Oberverwaltungsgericht von den Abhilfemöglichkeiten, die das Gerichtsverfassungsgesetz bereitstellt, um den Anforderungen des gesetzlichen Richters zu genügen, zeitnahen Gebrauch gemacht hat. Gestützt auf § 21e Abs.3 Satz 1 GVG übertrug das Präsidium dem Vorsitzenden Richter am
Oberverwaltungsgericht Böhmer am 18.Dezember 2002 mit Wirkung ab 1.Januar 2003 zusätzlich den Vorsitz des 2.Senats (vgl die dem Nichtabhilfebeschluss des Oberverwaltungsgerichts beigefügte dienstliche Äußerung vom 7.Februar 2003). In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es keinen grundsätzlichen rechtlichen Bedenken begegnet, einen Vorsitzenden Richter mit dem Vorsitz in mehreren Spruchkörpern zu betrauen (vgl BVerfG, Beschluss vom 30.März 1965 2 BvR 341/60 aaO ; BVerwG, Urteil vom 25.Juli 1985 BVerwG 3 C 4.85 aaO)."
Auszug aus: Originalurteil, Abs.3 ff
Z-355 Ermessensausübung und Willkürverbot
"... Der Senat hat wiederholt darauf hingewiesen, dass das Willkürverbot bei jeder Ermessensausübung zu beachten ist. Auch beim Erlass einer bauordnungsrechtlichen Beseitigungsverfügung darf die Behörde nicht ohne einleuchtenden Grund unterschiedlich, systemwidrig oder planlos vorgehen. Sieht sie sich mit einer Mehrzahl von baulichen Anlagen konfrontiert, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet wurden, so handelt sie den Vorgaben des Gleichheitssatzes indes nicht schon dann zuwider, wenn sie nicht auf einen Schlag tätig wird, sondern Schritt für Schritt vorgeht (vgl. BVerwG, Urteil vom 2.März 1973 BVerwG 4 C 40.71 BVerwGE 42,30 = Buchholz 406.11 § 9 BBauG Nr.11; Beschluss vom 22.April 1995 BVerwG 4 B 55.95 BRS 57 Nr.248). Sie darf Einzelfälle, deren Regelung ihr besonders dringlich erscheint, herausgreifen und ihr Vorgehen gegen weitere Störer vom Fortgang dieser Musterfälle abhängig machen. Eine allgemein gültige zeitliche Grenze für ein unterschiedliches Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände gibt es nicht (vgl BVerwG, Beschlüsse vom 18. April 1996 BVerwG 4 B 38.96 und vom 23.November 1998 BVerwG 4 B 99.98 Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr.55 und 68). Erlangt die Baurechtsbehörde erst nachträglich Kenntnis von Vergleichsfällen, so genügt es, wenn sie diesen neuen Erkenntnissen Rechnung trägt und ihr Vorgehenskonzept entsprechend anpasst. Dies kann gegebenenfalls ohne Verstoß gegen Art.3 Abs.1 GG noch im Verwaltungsstreitverfahren geschehen (vgl BVerwG, Beschluss vom 19.Juli 1976 BVerwG 4 B 22.76 Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr.5)."
Auszug aus: Originalurteil, Abs.8
§§§
03.071 Isoliertes Vorverfahren |
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BVerwG, B, 26.03.03, - 6_C_24/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
VwGO_§_72, VwGO_§_73 Abs.3 S.2; VwVfG_§_43, VwVfG_§_48, VwVfG_§_50, VwVfG_§_80 Abs.1 S.1; VwZG_§_4 Abs.1; WPflG_§_29 Abs.1 Nr.7, WPflG_§_33; KDVG_§_3 Abs.2, 4, 5, 9; BGB_§_162, BGB_§_242
Isoliertes Vorverfahren / erfolgreicher Widerspruch / Abhilfe / Rücknahme / Kostenentscheidung / Erledigung / Ermessen / faires Verfahren / Treu und Glauben / Einberufungsbescheid / fiktiver Zugang.
Die Entscheidung einer Wehrersatzbehörde, einen Einberufungsbescheid nach § 48 VwVfG aufzuheben, anstatt dem gegen ihn eingelegten Widerspruch nach § 72 VwGO unter Beifügung einer Kostenentscheidung abzuhelfen, ist nicht treuwidrig, wenn sie damit auf einen Kriegsdienstverweigerungsantrag reagiert, der zwischen Absendung und vermutetem Zugang (§ 4 Abs.1 VwZG) des Einberufungsbescheides gestellt worden ist.
Z-356 zum Formenmißbrauch bei der Aufhebung eines VA
"... b) Der Kläger ist jedoch nicht so zu stellen, als wäre eine Abhilfeentscheidung ergangen, weil die an ihrer Stelle von der Beklagten getroffene Entscheidung für einen Rücknahmebescheid gemäß § 48 VwVfG nicht treuwidrig war. (Abs.18)
aa) Erkennt die Behörde nach eingelegtem Widerspruch, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig und zugleich deswegen der Widerspruch Erfolg versprechend ist, so stehen ihr grundsätzlich zwei Verfahrensarten zu Gebote: Sie kann dem Widerspruch unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach § 72 VwGO abhelfen und damit das Widerspruchsverfahren zugunsten des Widerspruchsführers formell abschließen. Sie kann aber auch in einem eigenständigen Verwaltungsverfahren außerhalb des Widerspruchsverfahrens den als rechtswidrig erkannten Verwaltungsakt nach § 48 Abs.1 Satz 1 VwVfG zurücknehmen; auch damit ist der Verwaltungsakt aufgehoben (vgl § 43 Abs.2 VwVfG). Beide Verfahrensweisen tragen dem Anliegen des Widerspruchsführers in der Sache Rechnung. Sie unterscheiden sich der Form nach sowie hinsichtlich der kostenrechtlichen Nebenfolgen. Während § 72 VwGO für die Abhilfeentscheidung einen Kostenausspruch vorschreibt, der in der Regel nach Maßgabe von § 80 Abs.1 Satz 1 VwVfG zugunsten des Widerspruchsführers auszufallen hat, ist Vergleichbares für die Rücknahme eines belastenden Verwaltungsakts nach § 48
Abs.1 Satz 1 VwVfG nicht vorgesehen. (Abs.19)
bb) Die Wahlfreiheit der Behörde zwischen beiden Verfahrensweisen steht unter dem Vorbehalt, dass der auch im öffentlichen Recht geltende Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) einzuhalten ist. Wählt die Behörde den Weg der Rücknahme nach § 48 VwVfG ausschließlich deswegen, weil sie bei erkannter Erfolgsaussicht des Widerspruchs den Widerspruchsführer um den zu erwartenden Kostenanspruch bringen will, so fällt ihr ein Formenmissbrauch zur Last mit der Folge, dass die behördliche Formenwahl nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unbeachtlich ist. In dieselbe Richtung weist der in § 162 Abs.1 BGB angelegte Rechtsgedanke, wonach niemand aus einem von ihm treuwidrig verhinderten Ereignis Vorteile soll ziehen dürfen (vgl Beschluss vom 18.Mai 1993 BVerwG 4 B 65.93 Buchholz 406.11 § 30 BauGB Nr.33; Urteil vom 25.Oktober 1996 BVerwG 8 C 24.96 BVerwGE 102,194, 199). Unterlässt die Behörde daher treuwidrig die Abhilfeentscheidung nach § 72 VwGO, ohne die der Kostenerstattungsanspruch des Widerspruchsführers nach § 80 Abs.1 Satz 1 VwVfG ausscheidet, dann ist sie im Hinblick auf die Kosten so zu stellen, als wäre die Abhilfeentscheidung ergangen (vgl Urteil vom 18.April 1996 BVerwG 4 C 6.95 BVerwGE 101,64, 72). (Abs.20)
cc) Entscheidet sich die Behörde trotz von ihr erkannter Zulässigkeit und
Begründetheit des Widerspruchs für den Weg der Rücknahme nach § 48 VwVfG, so handelt sie nur dann im Sinne der vorangegangenen Ausführungen rechtsmissbräuchlich, wenn ihr gute Gründe für diese Verfahrensweise nicht zur Seite stehen. Solche Gründe liegen hier vor: (Abs.21)
Wie die Beklagte zu Recht hervorhebt, ist das die Rechtswidrigkeit der Einberufung bewirkende Ereignis der Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erst eingetreten, nachdem das Kreiswehrersatzamt sich des Einberufungsbescheides mit dessen Absendung bereits entäußert hatte. Die Beklagte ist mithin durch den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erst zu diesem Zeitpunkt und kurz vor der Zustellung des Einberufungsbescheides und dem dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers ins Unrecht gesetzt worden. Es war daher von vornherein zu erwarten, dass das Kreiswehrersatzamt den schon abgesandten Einberufungsbescheid unabhängig von einem Rechtsbehelf des Klägers aufheben würde. Ein solcher Vorgang kommt einem Ereignis nahe, welches nach eingelegtem Widerspruch zur Erledigung des angefochtenen Verwaltungsakts und damit zugleich des Widerspruchsverfahrens führt. Erledigt sich aber der Widerspruch, so war dieser nicht erfolgreich im Sinne von § 80 Abs.1 Satz 1 VwVfG mit der Folge, dass es an der wesentlichen Voraussetzung für den Kostenerstattungsanspruch des Widerspruchsführers fehlt
(vgl Urteil vom 18.April 1996 aaO S.68). (Abs.22)
Das die Rechtswidrigkeit der Einberufung auslösende Ereignis lag hier auch nicht im behördlichen Verantwortungsbereich, sondern in demjenigen des Widerspruchsführers, so dass auch insoweit §§ 162, 242 BGB keine Wertung zugunsten des Klägers gebieten. Zwar trägt grundsätzlich die Behörde die Verantwortung dafür, dass die von ihr erlassenen Bescheide der Rechtsordnung entsprechen; dies gilt auch im Hinblick auf etwaige Rechtswidrigkeitsgründe, die unmittelbar vor dem Wirksamwerden des Bescheides ohne die Möglichkeit einer rechtzeitigen Reaktion der Behörde eintreten. Doch darf im vorliegenden Fall nicht außer Acht bleiben, dass der Kläger seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erst im Zeitraum zwischen Absendung des Einberufungsbescheides und Eintritt der Zustellungsfiktion beantragt hat. Der Kläger hat mithin den Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, der ihn vor der Heranziehung zum Wehrdienst bewahren sollte, sehr spät gestellt. Der Antrag eines ungedienten Wehrpflichtigen soll vierzehn Tage vor der Musterung eingereicht werden (§ 2 Abs.4 Satz 1 KDVG). Eine spätere Antragstellung ist zwar nicht ausgeschlossen, dies schon gar nicht, wenn die Gründe dafür erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten. Wie sich aus § 3 Abs.2 Satz 2 KDVG ergibt, mutet der Gesetzgeber aber demjenigen Wehrpflichtigen eine Verschlechterung seiner
Rechtsstellung zu, der mit seinem Antrag erst auf eine Einberufung reagiert. Ein solcher Kriegsdienstverweigerer hat der Einberufung zunächst Folge zu leisten. Er kann auch nicht im vereinfachten Verfahren vor dem Bundesamt anerkannt werden (§ 4 Abs.1, § 5 Abs.1 KDVG). Er muss sich vielmehr dem Verfahren vor dem Ausschuss stellen (§ 9 Abs.1 Satz 1 KDVG), dessen Prüfung sich ua dem Umstand der späten Antragstellung widmen wird. Aus alledem wird die Vorstellung des Gesetzgebers ersichtlich, wonach der Wehrpflichtige sich in der regelmäßig nicht knapp bemessenen Zeit zwischen Musterung und Einberufung Gewissheit darüber verschaffen soll, ob ihm sein Gewissen die Ableistung des Wehrdienstes verbietet. Dem hat der Kläger mit seiner Antragstellung nach Absendung, aber vor Zustellung des Einberufungsbescheides nur noch "so gerade eben" Rechnung getragen. Anhaltspunkte dafür, dass die Gewissensgründe für seine Kriegsdienstverweigerung erst zwischen Absendung des Einberufungsbescheides und der Zustellung eingetreten sind, können seinem Vorbringen nicht entnommen werden. Die späte Antragstellung, die im Hinblick auf die gesetzliche Regelfolge des § 3 Abs.2 KDVG in buchstäblich letzter Sekunde erfolgte, liegt in seinem Verantwortungsbereich. Er hätte den Zeitraum zwischen Musterung (27.Januar 1999) und Absendung des Einberufungsbescheides schon länger für eine Antragstellung nutzen können. Dann wäre er nicht einberufen worden, so dass das kostenträchtige Widerspruchsverfahren unterblieben wäre." (Abs.23)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.18 ff
§§§
BVerwG, B, 26.03.03, - 6_C_26/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
NÄG_§_3, NÄG_§_11; BGB_§_1757 Abs.4
Namen / Vornamen / Änderung / Namensänderung / Vornamensänderung / religiöse Gründe.
Das öffentliche Interesse an der Vornamenskontinuität muss regelmäßig zurücktreten, wenn ein Kind aus religiöser Überzeugung seinem Vornamen einen ihm als "Taufnamen" beigegebenen Vornamen voranstellen will.
§§§
BVerwG, B, 26.03.03, - 9_C_4/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
AO_§_233 S.2; BGB_§_134, BGB_§_817 S.2; VwGO_§ 137_Abs.1 Nr.2; (BW) VwVfG_§_59 Abs.1, VwVfG_§_62 S.2;
Gewerbesteuer / Aussetzungszinsen / Stundungszinsen / Leistungsbescheid / öffentlich-rechtlicher Vertrag / Nichtigkeit / Rechtsmissbrauch / Treu und Glauben / öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch.
1) § 817 Satz 2 BGB findet in öffentlich-rechtlichen Rückabwicklungsverhältnissen keine entsprechende Anwendung.
2) Ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig, weil die darin vereinbarte Leistung des Bürgers gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, handelt der Bürger, wenn er sich gegenüber dem Zahlungsanspruch der Behörde hierauf beruft, nicht allein deshalb rechtsmissbräuchlich, weil der Vertrag auf seinen Wunsch abgeschlossen wurde und die Behörde ihre Leistung bereits erbracht hat (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 16.Mai 2000 BVerwG 4 C 4.99 BVerwGE 111,162).
§§§
03.074 Vergleichswertverfahren |
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BVerwG, U, 26.03.03, - 9_C_5/02 -
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GG Art.14 Abs.1; LwAnpG_§_63 Abs.2; SachenRBerG_§_19 Abs.2, 3+5, SachRBerG_§_43 Abs.1, SachRBerG_§_68 Abs.1; BauGB_§_194, § 196 Abs.1 S.1 WertV_§ 3_Abs.3 S.1, WertV_§_4 f, WertV_§_7 Abs.2, WertV_§_13 f.
Bodenneuordnung nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz / Wertermittlung / Grundeigentum / Gebäudeeigentum / Verkehrswert / Bodenrichtwert / Bodenwert / Gebäudewert / Abfindungswert / Vergleichswertverfahren / Ermittlung von Vergleichsgrundstücken / gewöhnlicher Geschäftsverkehr / Bereinigungsfälle / Grundsatz der genügenden Anzahl der Verkaufsfälle / Teilungsmodell / Halbteilungsgrundsatz / Qualitätsstufen der Grundstücke / baureifes Land / Abzüge für Baureifmachung / Sperrgrundstücke / Gefälle.
1) Im Rahmen des Vergleichswertverfahrens sind im Bodenordnungsverfahren vorrangig unbebaute, aber baureife Grundstücke als Vergleichsgrundstücke auszuwählen. Es ist unzulässig, die Ermittlung von vornherein auf "Bereinigungsfälle" zu beschränken.
2) Wenn mangels geeigneter Vergleichsgrundstücke ausnahmsweise "Bereinigungsfälle" herangezogen werden dürfen, sind die erzielten Kaufpreise im Hinblick auf den sich in ihnen niederschlagenden Halbteilungsgrundsatz zu korrigieren.
3) Der Halbteilungsgrundsatz, der im Sachenrechtsbereinigungsgesetz Ausdruck gefunden hat, ist auch bei der Wertermittlung im Rahmen des Bodenordnungsverfahrens anzuwenden. Dies betrifft auch die Abzüge für die Baureifmachung.
§§§
03.075 Telekommunikationslinie |
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BVerwG, B, 28.03.03, - 6_B_22/03 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
TKG_§ 52 Abs.3 S.1, TKG_§_53 Abs.3; BGB_§_677 ff.
Änderung an einer Telekommunikationslinie / Rechte des Verkehrswegeunterhaltungspflichtigen und des Nutzungsberechtigten / Geschäftsführung ohne Auftrag / analoge Anwendung.
§ 53 Abs.3 TKG lässt es nicht zu, dass der Verkehrswegeunterhaltungspflichtige in entsprechender Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff BGB) anstelle des Nutzungsberechtigten die gebotenen Arbeiten an der Telekommunikationslinie bewirkt.
Z-357 grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache
"... Die Beschwerde, mit der sich die Beklagte allein auf den Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs.2 Nr.1 VwGO beruft, hat keinen Erfolg.
1. Die Beklagte hält es sinngemäß für eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob die in dem Telekommunikationsgesetz (TKG) vom 25.Juli 1996 (BGBl I S.1120), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.Juni 2002 (BGBl I S.2010), getroffenen Regelungen über die Benutzung der Verkehrswege mit der Folge abschließend sind, dass ein Verkehrswegeunterhaltungspflichtiger gehindert ist, in entsprechender Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag eine nach § 53 Abs.3 TKG gebotene Maßnahme an einer Telekommunikationslinie anstelle des Nutzungsberechtigten durchzuführen und von dem Nutzungsberechtigten den Ersatz der dafür erbrachten Aufwendungen zu verlangen. Dieser Frage fehlt die für eine Zulassung erforderliche Klärungsbedürftigkeit in einem Revisionsverfahren. (Abs.2)
Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs.2 Nr.1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus
Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation und auf dieser Grundlage ohne weiteres beantworten lässt (stRspr, vgl zB Beschluss vom 11.Oktober 2000 BVerwG 6 B 47.00 Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr.10 mwN). So liegt es hier. (Abs.3)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.1 ff
Z-358 Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Recht
"... Die von der Beklagten aufgeworfene Frage ist zu bejahen, ohne dass es dazu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die bürgerlich rechtlichen Bestimmungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff BGB) grundsätzlich auch im öffentlichen Recht Anwendung finden können (vgl Urteil vom 6.September 1988 BVerwG 4 C 5.86 BVerwGE 80,170 ; Urteil vom 11.Juni 1991 BVerwG 7 C 1.91 DVBl 1991,1156 ; Urteil vom 9.Mai 1960 BVerwG 1 C 55.59 BVerwGE 10,282 ). Eine entsprechende Anwendung der §§ 677 ff. BGB kommt aber nur in Betracht, wenn das öffentliche Recht insoweit eine "planwidrige Lücke" aufweist. Das ist dann nicht anzunehmen, wenn die einschlägigen Bestimmungen des öffentlichen Rechts die Frage, wer ein bestimmtes Geschäft vorzunehmen hat, abschließend beantworten. In einem solchen Fall fehlt es an einer der Regelungsabsicht des Gesetzgebers zuwiderlaufenden Lücke, die durch eine Analogie zu den bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag geschlossen werden müsste. Das ist hier der Fall. § 53 Abs.3 TKG regelt abschließend, dass derjenige, der nach § 50 Abs.1 Satz 1 in Verbindung mit Abs.2 Satz 1 TKG zur Benutzung der Verkehrswege durch eine Telekommunikationslinie berechtigt ist (Nutzungsberechtigter), die hier in Rede stehende Maßnahme durchzuführen hat. (Abs.4)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.4
Z-359 Keine GOA im Rahmen des § 53 Abs.3 TKG
"... Nach § 53 Abs.3 TKG hat der Nutzungsberechtigte in den Fällen der Absätze 1 und 2 die gebotenen Maßnahmen an der Telekommunikationslinie auf seine Kosten zu bewirken. Diese Bestimmung ist hier anwendbar, weil sich nach Errichtung einer Telekommunikationslinie ergeben hat, dass sie der Ausführung einer von dem Wegeunterhaltungspflichtigen beabsichtigten Änderung einer Straße entgegensteht (§ 53 Abs.1 3.Altern TKG). § 53 Abs.3 TKG verpflichtet allein den Nutzungsberechtigten, die gebotenen Maßnahmen zu ergreifen. Dementsprechend ist nur dieser befugt, die erforderlichen Arbeiten auszuführen. Die Bestimmung schließt es aus, dass die Behörde, die hinsichtlich des Verkehrsweges unterhaltungspflichtig ist, die gebotenen Arbeiten an der Telekommunikationslinie selbst vornimmt (so auch: Schütz in: Büchner/Ehmer/Geppert/Kerkhoff/Piepenbrock/Schütz/Schuster, Beck'scher TKG Kommentar, 2.Aufl, § 53 Rn.21; Ulmen in: Scheurle/Mayen, TKG, 2002, § 53 Rn.8; Demmel in: Manssen, Telekommunikations- und Multimediarecht, C § 53 Rn.12). Der Wortlaut der Bestimmung lässt eine andere Auslegung nicht zu. Der Unterhaltungspflichtige ist auch nicht als Geschäftsführer ohne Auftrag in entsprechender Anwendung von §§ 677 ff BGB berechtigt, die gebotenen Maßnahmen zu bewirken, da § 53 Abs.1 TKG den zur Durchführung der Maßnahme Berechtigten abschließend benennt. (Abs.5)
Die Gesetzessystematik spricht für den insoweit abschließenden Charakter des § 53 Abs.3 TKG. Sie erhellt, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Bestimmungen über die Benutzung der Verkehrswege (§§ 50 bis 58 TKG) nicht aus dem Blick verloren hat, dass es Fallgestaltungen gibt, bei denen zwar dem Nutzungsberechtigten in erster Linie die Pflicht obliegt, bestimmte Arbeiten durchzuführen, diese aber auch von dem Verkehrswegeunterhaltungspflichtigen bewirkt werden können. Einen solchen Fall hat er in § 52 Abs.3 Satz 1 TKG geregelt. Die Bestimmung betrifft die Instandsetzung der Verkehrswege nach Beendigung der Arbeiten an Telekommunikationslinien. Sie sieht vor, dass die Instandsetzungspflicht den Nutzungsberechtigten trifft, sofern nicht der Unterhaltungspflichtige erklärt hat, die Instandsetzung selbst vornehmen zu wollen. Die Vorschrift rechtfertigt die Annahme, dass der Gesetzgeber in den Fällen, in denen er zulassen wollte, dass eine bestimmte Pflicht im Zusammenhang mit der Benutzung der Verkehrswege durch Telekommunikationslinien nicht nur von dem Nutzungsberechtigten, sondern auch von dem Unterhaltungspflichtigen erfüllt werden kann, dies ausdrücklich geregelt hat. Hiernach erweist sich das Fehlen einer solchen Regelung in § 53 Abs.3 TKG als deutlicher Hinweis darauf, dass dies Ausdruck einer bewussten gesetzgeberischen Entscheidung ist. (Abs.6)
Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes streitet ebenfalls dafür, § 53 Abs.3 TKG
als abschließende Regelung anzusehen. Den Materialien zum Telekommunikationsgesetz ist zu entnehmen, dass sich die Vorschriften über die Rechtsbeziehungen zwischen den Nutzungsberechtigten und Wegeunterhaltungspflichtigen an den entsprechenden Bestimmungen des Telegraphenwege-Gesetzes (TWG) vom 18. Dezember 1899 (RGBl S.705) in der Fassung der Bekanntmachung vom 24.April 1991 (BGBl I S.1053) ausrichten. Sie sind "dem Telegraphenwegegesetz entnommen", dessen Bestimmungen nach dem Willen des Gesetzgebers insoweit "unverändert fortgelten" sollen (vgl BTDrucks 13/3609 S.50). § 53 Abs.3 TKG deckt sich vor diesem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund hinsichtlich seines Regelungsgehaltes mit dem im Wesentlichen wortgleichen § 3 Abs.3 TWG. Es liegt insoweit nicht anders als für das Verhältnis von § 53 Abs.1 TKG zu § 3 Abs.1 TWG (vgl dazu Urteil vom 1.Juli 1999 BVerwG 4 A 27.98 BVerwGE 109,192). Nach § 3 Abs.3 TWG oblag es der Deutschen Bundespost TELEKOM, die gebotenen Änderungen an der Fernmeldelinie auf ihre Kosten zu bewirken. Der Verkehrswegeunterhaltungspflichtige war dazu nicht berechtigt (vgl Eidenmüller, Post- und Fernmeldewesen, § 3 TWG Anm.10; vgl auch Hotz, Telegraphenwege-Gesetz, 1910, § 3 Anm.15; Schelcher, Das Telegraphenwege-Gesetz, 1900, § 3 Anm.3). Genauso wie bei § 53 Abs.3 TKG ließ es die Bestimmung nicht zu, auch den Verkehrswegeunterhaltungspflichtigen als berechtigt anzusehen, Arbeiten an der Fernmeldelinie zu veranlassen. Es handelte sich insoweit nicht um eine den
Absichten des Gesetzgebers zuwiderlaufende planwidrige Lücke. Die Rechtslage berücksichtigte nämlich die Interessen des Wegeunterhaltungspflichtigen an der Durchsetzung der Verpflichtung nach § 3 Abs.3 TWG gegenüber dem Nutzungsberechtigten. So wurde in dem die Ursprungsfassung des Gesetzes betreffenden Schrifttum darauf hingewiesen, die "Telegraphenwegeverwaltung" sei gegebenenfalls durch polizeiliche Verfügung anzuhalten, die ihr nach § 3 Abs.3 TWG obliegende Pflicht zur Beseitigung oder Änderung der "Telegraphenlinie" zu erfüllen (vgl. v. Rohr, Das Telegraphenwege Gesetz, 1900, § 3 Anm.2 ). Die Möglichkeit des Erlasses einer polizeilichen Verfügung gegenüber der "Telegraphenwegeverwaltung" war auch im Gesetzgebungsverfahren erörtert worden (vgl Bericht der XIV.Kommission über den Entwurf eines Telegraphenwege-Gesetzes, 10.Legislatur-Periode, I.Session 1898/1900, Drucksache Nr.498 S.33 f). Im Schrifttum wurde auch darauf hingewiesen, der Wegeunterhaltungspflichtige könne die in Rede stehende Pflicht gegenüber der "Telegraphenwegeverwaltung" gerichtlich durchsetzen (vgl Hotz, aaO, § 3 Anm.15 in Verbindung mit Anm.9). Die Möglichkeit einer gerichtlichen Durchsetzung war ebenfalls bereits im Gesetzgebungsverfahren angesprochen worden (vgl Bericht der XIV.Kommission, aaO, S.6). Dies verdeutlicht, dass dem Gesetzgeber bewusst war, dass der Wegeunterhaltungspflichtige die Pflicht des § 3 Abs.3 TWG durchzusetzen in der Lage sein muss. Wenn er sich gleichwohl nicht dafür entschieden hat, dem
Unterhaltungspflichtigen im Rahme des Telegraphenwegegesetzes kein eigenes Recht zur Ausführung der Arbeiten zu verleihen, verbietet sich auch aus Gründen der Entstehungsgeschichte die Annahme, das Fehlen eines solchen Rechts habe eine planwidrige Lücke dargestellt. Weil der Gesetzgeber in § 53 Abs.3 TKG den Regelungsgehalt des 3 Abs.3 TWG übernehmen wollte, gilt dies auch für § 53 Abs.3 TKG. (Abs.7)
Aus Sinn und Zweck des § 53 Abs.3 TKG ergeben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass das Fehlen eines eigenen Rechts des Verkehrswegeunterhaltungspflichtigen der Absicht des Gesetzgebers zuwiderläuft. Die Bestimmung ergänzt die Regelung des § 52 TKG über das Gebot der Rücksichtnahme des Nutzungsberechtigten auf die Unterhaltung und den Widmungszweck des von einer Telekommunikationslinie in Anspruch genommenen Verkehrsweges. Den Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes über die Benutzung der Verkehrswege ist ebenso wie den Vorgängerbestimmungen des Telegraphenwegegesetzes der Grundsatz zu entnehmen, dass im Fall eines Konflikts zwischen den Interessen an der Nutzung des Verkehrsweges durch eine Telekommunikationslinie und den von dem Wegeunterhaltungspflichtigen repräsentierten Interessen an einer der Widmung entsprechenden Nutzung des Verkehrsweges den zuletzt genannten Belangen der Vorrang einzuräumen ist (vgl
Urteil vom 20.Mai 1987 BVerwG 7 C 78.85 BVerwGE 77,276 ). § 53 Abs.3 TKG setzt diesen Grundsatz in seinem Anwendungsbereich in der Weise um, dass er im Interesse der Allgemeinheit an dem Weg als Verkehrsvermittler eine Pflicht begründet, die Telekommunikationslinie anzupassen. Damit geht das Interesse einher, dass die insoweit gebotenen Arbeiten sachgerecht ausgeführt werden. Indem § 53 Abs.3 TKG ausschließlich den zur Nutzung des Verkehrsweges mit einer Telekommunikationslinie Berechtigten verpflichtet und berechtigt, die gebotenen Maßnahmen ins Werk zu setzen, verfolgt er auch den Zweck, dass die gebotenen Arbeiten sachgerecht durchgeführt werden. Der Nutzungsberechtigte verfügt im Vergleich zum Verkehrswegeunterhaltungspflichtigen über größere Erfahrung und Sachkunde im Zusammenhang mit Arbeiten an Telekommunikationslinien. Auch dieser Gesichtspunkt streitet dafür, die Regelung als abschließend anzusehen. Soweit § 53 Abs.1 TKG als Rechtsfolge neben der Änderung der Telekommunikationslinie auch deren Beseitigung vorsieht, liegt das vorrangige Interesse des Nutzungsberechtigten an der Abwehr eigenmächtiger Eingriffe des Unterhaltungspflichtigen in die Anlage ohnehin auf der Hand. (Abs.8)
Dem Oberverwaltungsgericht ist nicht darin zu folgen, gegen den abschließenden Charakter des § 53 Abs.3 TKG spreche, dass anderenfalls dem Unterhaltungspflichtigen nur die Möglichkeit bliebe, die Erfüllung der Pflicht
aus § 53 Abs.3 TKG gegenüber dem Nutzungsberechtigten gerichtlich durchzusetzen; aus diesem Grund sei anzunehmen, der Gesetzgeber habe die damit verbundene unabsehbare zeitliche Verzögerung nicht in Kauf nehmen wollen. Selbst wenn die dieser Erwägung zugrunde liegende Annahme zutreffen sollte, dass der Erlass eines Verwaltungsakts zur Durchsetzung der in Rede stehenden Pflicht mangels ausreichender Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht kommt, ist der Hinweis auf den mit gerichtlichem Rechtsschutz verbundenen Zeitverzug nicht geeignet, das Vorliegen einer planwidrigen Lücke zu begründen. Bereits im Zusammenhang mit der Vorgängervorschrift des § 3 Abs.3 TWG war auf die Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes hingewiesen worden. Der Zeitraum, den ein solches Verfahren notwendig beansprucht, hat weder den Gesetzgeber des Telegraphenwegegesetzes noch denjenigen des Telekommunikationsgesetzes veranlasst, ein eigenes Recht des Wegeunterhaltungspflichtigen vorzusehen. Davon abgesehen sind die Verwaltungsgerichte mit Blick auf das Gebot der Gewährung des effektiven Rechtsschutzes (Art.19 Abs.4 GG) gehalten, Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit zu gewähren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.Dezember 1980 2 BvR 419/80 BVerfGE 55,349). Dem hat das Verwaltungsgericht Rechnung zu tragen, wenn es von einem Verkehrswegeunterhaltungspflichtigen mit der Klage oder mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs.1 VwGO mit dem Ziel angerufen wird, die Erfüllung der dem Nutzungsberechtigten nach § 53 Abs.3 TKG
obliegenden Pflicht durchzusetzen." (Abs.9)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.5 ff
§§§
03.076 unbefugtes Kopieren |
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BVerwG, U, 02.04.03, - 2_WD_21/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
GG_Art.1 Abs.3, GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.17a; SG_§_6 S.1+ 2, SG_§_10 Abs.1, SG_§_10 Abs.4, SG_§_7, SG_§_11 Abs.1 S.1 +2, SG_§_12, SG_§_17 Abs.1, SG_§_17 Abs.2 S.1, SG_§_29; BDSG_§ 1 Abs.3 S.1; ZDv_20/6
Innendienstbearbeiter B / Kompaniefeldwebel / unbefugtes Kopieren von Personalunterlagen / allgemeines Persönlichkeitsrecht / Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Zur Maßnahmebemessung bei unbefugtem Fotokopieren von Personalneben-akten durch einen Kompaniefeldwebel, dem Personalunterlagen anvertraut sind.
LB 2) § 29 SG regelt bereichsspezifisches Datenschutzrecht, das den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes vorgeht.
Z-360 unbefugtes Kopieren von Personalakten
"... a) Wie die Truppendienstkammer zutreffend festgestellt hat, liegt der Schwerpunkt des Dienstvergehens in dem unbefugten Fotokopieren der Personalnebenakten. Eigenart und Schwere des Dienstvergehens ergeben sich aus dem gesetzwidrigen Umgang des Soldaten mit Daten. Der Soldat hat im Kernbereich seiner Pflichten als Innendienstbearbeiter B versagt, da ihm die Personalakten anvertraut waren. Wiederholt hat er in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eingegriffen (Art.2 Abs.1 iVm Art.1 Abs.1 GG), indem er unbefugt personenbezogene Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, verwendet hat. Das durch Art.2 Abs.1 iVm Art.1 Abs.1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte preisgegeben und verwendet werden (BVerfG, Urteil vom 15.Dezember 1983 1 BvR 209/83 ). (Abs.2)
Soldaten haben gemäß Art.1 Abs.3 GG iVm § 6 Satz 1 SG vorbehaltlich von Einschränkungen nach Art.17a GG und § 6 Satz 2 SG die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger, sodass auch ihnen das durch Art.1 Abs.1 iVm Art.2 Abs.1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung zusteht. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann nur durch Gesetz eingeschränkt
werden (BVerfG aaO). Für den Bereich der Soldaten ist § 29 SG insoweit einschlägig. Es handelt sich um bereichsspezifisches Datenschutzrecht, das den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes vorgeht (§ 1 Abs.3 Satz 1). Nach § 29 Abs.1 Satz 1 SG ist eine Personalakte vertraulich zu behandeln und vor unbefugter Einsicht zu schützen. Nach § 29 Abs.1 Satz 4 dürfen Personalaktendaten ohne Einwilligung des Soldaten nur für die in der Vorschrift aufgeführten Zwecke verwendet werden. Die dienstlichen Zwecke sind im Gesetz abschließend aufgeführt. Die Verwendung personenbezogener Daten für die Erstellung einer Staffelchronik ist in § 29 SG nicht zugelassen. Das Kopieren und die Aufbewahrung der Kopien in dem dem Dienstherrn nicht bekannten "Spießkeller" entsprach nicht der gesetzlichen Zweckbestimmung. Für die Staffelchronik waren jedenfalls Kopien von Beurteilungen und anderen personenbezogenen Daten nicht erforderlich. (Abs.3)
Ein Soldat, dem Personalunterlagen anvertraut sind, und der unter Missachtung der in § 29 SG, in der Soldatenpersonalaktenverordnung und in der ZDv 20/6 aufgestellten Regeln, die dem Schutz des Persönlichkeitsrechts dienen, ohne Wissen seiner Vorgesetzten Personalnebenakten vollständig kopiert bzw kopieren lässt und diese Kopien an einer Stelle lagert, wo sie der Dienstaufsicht seiner Vorgesetzten weitestgehend entzogen sind, lässt einen nicht unerheblichen Mangel
an Rechts und Pflichtbewusstsein sowie an Zuverlässigkeit erkennen. Außerdem stellt die Nr.1304 ZDv 20/6 für ihn einen Befehl dar. Auch wenn die vorgenannten Bestimmungen an keiner Stelle "expressis verbis" das Kopieren von Personalnebenakten verbieten, ergibt sich dieses Verbot ohne weiteres aus dem Gebot der vertraulichen Behandlung und dem Verbot der Verwendung zu anderen als den gesetzlich vorgesehenen dienstlichen Zwecken. (Abs.4)
... (Abs.5)
b) Das Dienstvergehen hatte nicht unerhebliche Auswirkungen: (Abs.6)
c) Das Maß der Schuld als Richtlinie für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme bestimmt sich vorliegend nach der vorsätzlichen Verhaltensweise des Soldaten und der Dauer des Tatzeitraumes von ca zweieinhalb Jahren. Wie bereits die Truppendienstkammer hervorgehoben hat, wusste der Soldat als Innendienstbearbeiter B, dass man zur Erstellung einer Staffelchronik weder dienstliche Beurteilungen noch ärztliche Eignungsfeststellungen und schon gar keine Disziplinarmaßnahmen negativer Art benötigt. Gerade hinsichtlich der Unterlagen über die gegen einen weiblichen Stabsunteroffizier verhängte einfache Disziplinarmaßnahme war ihm bewusst, dass er durch das Anfertigen einer "wilden"
Kopie und deren Aufbewahrung die Tilgungsregeln, deren offizielle Überwachung zu seinen ureigensten Dienstpflichten als Verwalter des Disziplinarbuchs gehört, unterlief. (Abs.7)
d) Soweit sich der Soldat dahingehend eingelassen hat, er habe die Kopiensammlung angelegt, um die Staffelchronik fortzuführen, lässt dieser Beweggrund das Dienstvergehen nicht in einem milderen Licht erscheinen, da das Kopieren offenkundig außerhalb eines dienstlichen Zwecks lag, denn zur Erstellung einer Staffelchronik werden weder dienstliche Beurteilungen noch Unterlagen über ärztliche Eignungsfeststellungen oder gar Disziplinarmaßnahmen benötigt. (Abs.8)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.2
§§§
BVerwG, U, 03.04.03, - 2_WD_46/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
GG_Art.33 Abs.4; SG_§_10 Abs.1, SG_§ 17 Abs.2 S.2, SG_§_23 Abs.1, SG_§_48 S.1 Nr.2, SG_§_53 Abs.1 S.1; WDO_§_16 Abs.1 Nr.2, WDO_§_58 Abs.2, WDO_§_58 Abs.7 iVm WDO_§_38 Abs.1, WDO_§_61, WDO_§_84 Abs.1 S.2, WDO_§_108 Abs.3 S.1; BBG_§_77 Abs.1 S.2; StGB_§_154 Abs.1, StGB_§_154 Abs.2; ZPO_§ 162 Abs.1 S.2
Disziplinarrechtliche Einstufung / tatmildernde Umstände / Einstellung des Verfahrens.
Zur disziplinarrechtlichen Einstufung eines Dienstvergehens bei sachgleicher strafgerichtlicher Verurteilung eines Soldaten wegen Meineids nach § 154 StGB.
Z-361 zur disziplinarischen Bedeutung eines Meineides
"... Meineid stellt nach ständiger Rechtsprechung des Senats für einen Soldaten regelmäßig ein die schwerste gerichtliche Disziplinarmaßnahme erforderndes Dienstvergehen dar, von der nur ausnahmsweise wegen besonderer Milderungsgründe in der Tat abgesehen werden kann (Urteile vom 13.Dezember 1972 BVerwG 2 WD 30.72 mwN, vom 26.Februar 1980 BVerwG 2 WD 30.79 , vom 15.Mai 1984 BVerwG 2 WD 49.83 und vom 16.Oktober 2002 BVerwG 2 WD 23.01, 32.02 ). Wer vorsätzlich falsch schwört, erschwert die Wahrheitsfindung durch das Gericht oder macht sie gar unmöglich und nimmt dabei bewusst in Kauf, dass dadurch eine Fehlentscheidung zustande kommen kann, die geeignet ist, das Vertrauen in die staatliche Rechtspflege zumindest bei Betroffenen zu erschüttern. Ein Soldat, zumal ein Stabsoffizier, der die Wahrheitsfindung durch ein Gericht zu vereiteln versucht und nicht einmal unter Eid zu einer wahrheitsgemäßen Aussage bereit ist, untergräbt grundsätzlich auch seine Glaubwürdigkeit im dienstlichen Bereich, weil der Dienstherr sich nicht mehr auf Aussagen dieses Soldaten verlassen kann. Die Art und Weise, wie ein Soldat am außerdienstlichen gesellschaftlichen Leben teilnimmt und die dort geltenden Gesetze beachtet oder missachtet, lässt auch Rückschlüsse auf seinen Charakter und damit auf seine weitere Verwendbarkeit zu. (Abs.2)
Der Umstand, dass das Strafgericht vorliegend einen minderschweren Fall des
Meineids angenommen hat, ändert nichts an der disziplinarrechtlichen Einstufung, nämlich regelmäßig der Höchstmaßnahme, denn im Hinblick auf § 48 Satz 1 Nr.2 SG und die Mindeststrafandrohung in § 154 Abs.1 StGB können den Wehrdienstgerichten ohnedies nur minderschwere Fälle des Meineids iS des § 154 Abs.2 StGB unter dem Gesichtspunkt des Dienstvergehens zur Entscheidung und Verurteilung unterbreitet werden. (Abs.3)
Ferner ist zu berücksichtigen, dass es dem früheren Soldaten in seiner damaligen misslichen Situation als Zeuge vor dem Amtsgericht einerseits die Rechtsordnung mit ihrem Anspruch auf eine wahrheitsgemäße Aussage, andererseits die Erwartung der Freundin auf Unterstützung durchaus möglich gewesen wäre, die Beantwortung der entscheidenden Fragen unter Hinweis auf eine nicht auszuschließende disziplinare Verfolgung wegen seiner Beziehung zu Frau S zu verweigern. Der Familienrichter hätte in diesem Fall aus dem Verhalten des Soldaten zwar seine Schlüsse ziehen können und wahrscheinlich auch tatsächlich gezogen, die Gefahr einer Falschaussage hätte sich jedoch dann nicht ergeben. Ausweislich der Strafakten ist der frühere Soldat insoweit belehrt worden. (Abs.4)
Weiter ist von Bedeutung, dass das Ansehen und die Autorität eines Vorgesetzten iS des § 10 Abs.1 SG, der in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben
soll, in hohem Maße Schaden nimmt, wenn er einen Meineid leistet. (Abs.5)
Je höher ein Soldat in den Dienstgradgruppen steigt, umso mehr Achtung und Vertrauen genießt er, umso größer sind daher die Anforderungen, die an seine Zuverlässigkeit, sein Pflichtgefühl und sein Verantwortungsbewusstsein zu stellen sind, und umso schwerer wiegt demgemäß eine Pflichtverletzung, die er sich zuschulden kommen lässt (stRsp: Urteil vom 2.Juli 1987 BVerwG 2 WD 19.87 mwN). (Abs.6)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.2 ff
Z-362 zu Milderungsgründen
"... Andererseits ist im vorliegenden Falle die Eigenart des Dienstvergehens durch eine ganze Reihe von Umständen, die für den früheren Soldaten entlastenden Charakter haben, in einem milderen Lichte zu sehen: Der frühere Soldat hat ungeachtet der strafrechtlichen Würdigung als Meineid (§ 154 StGB) vor dem Amtsgericht R nicht aktiv in der Weise falsch ausgesagt, dass er eine Frage falsch beantwortet hat, sondern seine Aussage war unvollständig. Die unvollständige Aussage hat zu keinem Fehlurteil geführt. Das familiengerichtliche Verfahren wäre nicht anders entschieden worden, wenn der frühere Soldat vollständig ausgesagt hätte. Ob der Richter ihn ausdrücklich belehrte, vollständig aussagen zu müssen, steht nach dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts E vom 10.Mai 2000 jedoch nicht fest. Weiterhin ist durch das Amtsgericht R kein förmlicher Beweisbeschluss ergangen, das Beweisthema blieb unscharf, ferner ist der frühere Soldat nicht über die Eidesformel aufgeklärt worden, die auch zum Gegenstand hat, dass bei der Aussage nichts verschwiegen werden darf. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das Amtsgericht R keine ordnungsgemäße Protokollführung vorgenommen hat. Zwar ist es zulässig, die Bekundungen eines vernommenen Zeugen auf einen Tonträger zu diktieren. Dies setzt aber, worauf das Landgericht B hingewiesen hat, voraus, dass dem Vernehmenden am Ende der Vernehmung das Diktierte noch einmal zur Genehmigung vorgespielt wird (§ 162 Abs.1 Satz 2 ZPO), sofern er hierauf nicht verzichtet.
Ein Verzicht des früheren Soldaten auf ein solches Abspielen des Tonbandes ist im Protokoll nicht vermerkt. Eine solche Handhabung der Protokollführung ist insbesondere dann bedenklich, wenn, wie hier, ein Nacheid geleistet wird und später die Unvollständigkeit der Aussage strafrechtliche Bedeutung erlangt. Nur bei einem nochmaligen Vorspielen der Tonbandaufnahme erhält der Zeuge die Denkpause, die er benötigt, um sich von dem Vorsatz, unvollständig auszusagen, zu distanzieren. (Abs.7)
b) Hinsichtlich der Auswirkungen ist zugunsten des früheren Soldaten zu berücksichtigen, dass das Dienstvergehen außerhalb der Beschäftigungsdienststelle nicht bekannt geworden ist, und er kurz vor seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr stand, sodass der dienstliche Bereich ohnehin nur in eingeschränktem Maße betroffen sein konnte. Außerdem ist nicht zu übersehen, dass selbst bei den zuständigen Strafrechtsorganen bis August 1999 keine einheitliche Auffassung darüber bestand, ob überhaupt ein Strafverfahren wegen Meineides durchzuführen war. Denn das durch die Strafanzeige des Rechtsanwalts B vom 5.Februar 1997 eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen den früheren Soldaten wegen Meineides wurde zunächst durch Bescheid der Staatsanwaltschaft B vom 30.April 1997 gemäß § 170 Abs.2 StPO eingestellt, da die Staatsanwaltschaft einen zur Anklageerhebung hinreichenden Tatverdacht nicht für gegeben hielt.
Ferner hat das Amtsgericht E am 19.Januar 1999 beschlossen, die Eröffnung des Hauptverfahrens im Anschluss an die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft B vom 28.Oktober 1997 aus tatsächlichen Gründen abzulehnen. In den Gründen wurde ua ausgeführt, die Einlassung des früheren Soldaten, der nach wie vor im Sinne seiner richterlichen Aussage vor dem Amtsgericht R am 23.Januar 1997 bestreite, intime Beziehungen zu Frau S vor deren Auszug aus der ehelichen Wohnung aufgenommen zu haben, sei nicht zu widerlegen; zwischenzeitlich bestünden sogar beachtliche Anhaltspunkte für die Richtigkeit seiner Einlassung, sodass kein ausreichend hinreichender Tatverdacht mehr im Sinne der Anklageschrift bestehe. Erst auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Amtsgerichts E vom 19.Januar 1999 hat dann die 2.große Strafkammer des Landgerichts B am 3.August 1999 beschlossen, die Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen, weil sie eine Verurteilung des früheren Soldaten wegen Meineides bei vorläufiger Tatbewertung für wahrscheinlich hielt. (Abs.8)
c) Das Maß der Schuld als Richtlinie für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme wird durch das vorsätzliche Fehlverhalten des früheren Soldaten mit ernsthafter Beeinträchtigung seiner Achtungs und Vertrauenswürdigkeit bestimmt. (Abs.9)
Andererseits liegen im vorliegenden Fall gewichtige tatmildernde Umstände
zugunsten des früheren Soldaten vor. (Abs.10)
...(Abs.11)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.7
Z-363 zur persönlichkeitsfremden Augenblickstat
"... Der Senat sah die Voraussetzungen für das Vorliegen einer unbedachten persönlichkeitsfremden Augenblickstat des früheren Soldaten zur Tatzeit als erfüllt an. Nach der Rechtsprechung des Senats beurteilt sich das Vorliegen einer Augenblickstat nicht in erster Linie nach der Frage, in welchen zeitlichen Grenzen der Handlungsablauf erfolgt ist, sie ist vielmehr dann gegeben, wenn der Entschluss zum Tun oder Unterlassen nicht geplant oder wohl überlegt, sondern spontan und aus den Umständen eines Augenblicks heraus zustande gekommen ist. Wie der frühere Soldat vor dem Senat glaubhaft ausgesagt hat, war er durch den auf Antrag des aggressiv auftretenden Rechtsvertreters des Nochehemanns seiner Freundin vom Familiengericht gefassten Beschluss über seine Vereidigung völlig überrascht worden, weil der Familienrichter sich diesbezüglich zunächst sehr zögerlich verhalten habe. Dieser Umstand, wie auch die durch den Rechtsvertreter geschaffene für den früheren Soldaten bedrängende Situation, sprachen dafür, dass die unvollständige Zeugenaussage des früheren Soldaten nicht als geplant oder vorbereitet, sondern dass sein damaliges Verhalten als spontan und in der angespannten Situation als kopflos anzusehen ist. Waren die vom Familienrichter, insbesondere aber vom Prozessvertreter des Ehemannes seiner Freundin gestellten Fragen aus der Natur der Sache heraus wegen ihrer Zugehörigkeit zum Intimbereich des früheren Soldaten diesem schon unangenehm genug, so kam hier hinzu, dass ein gewisser Zwang, sich der Freundin
gegenüber in einer prekären Lage hilfsbereit zeigen zu müssen, nicht von der Hand zu weisen ist. Von daher ist der Senat der Überzeugung, dass die Falschaussage des früheren Soldaten nur aus der außergewöhnlich schwierigen Drucksituation heraus zu erklären ist und sich so oder auch nur so ähnlich nach menschlichem Ermessen nicht wiederholen dürfte. Dass es sich bei dem früheren Soldaten im Übrigen um einen untadeligen und im Dienst bewährten Soldaten handelte, steht außer Zweifel, sodass insgesamt die Voraussetzungen des Tatmilderungsgrundes der unbedachten persönlichkeitsfremden Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten gegeben sind. (Abs.12)
Darüber hinaus wird die besondere Druck und Konfliktsituation, in welcher sich der frühere Soldat als Zeuge befunden hat, zusätzlich durch folgende Umstände belegt: Aus der Rückschau lässt sich, worauf schon das Landgericht B. in seinem Urteil vom 20.September 2000 hingewiesen hat, jedenfalls nicht ausschließen, dass die ohne Einhaltung der Jahresfrist nach § 1565 Abs.2 BGB erhobene Scheidungsklage des Herrn S dazu instrumentalisiert worden war, Informationen über die vermuteten ehelichen Verfehlungen seiner Ehefrau zu erlangen. Im Zivilrecht ist der Ausforschungsbeweis unzulässig. In der Beweisaufnahme vor dem Familiengericht wurde aber zumindest teilweise eine solche Ausforschung betrieben. Dafür spricht nicht nur, dass das Beweisthema unscharf blieb und
Vorhalte nicht ausreichend protokolliert wurden. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts steht auch fest, dass ein wesentlicher Teil der Vernehmung von dem Prozessvertreter des Ehemannes betrieben wurde. Bei einem solchen Verlauf der Beweisaufnahme, bei der der als Zeuge vernommene frühere Soldat quasi in die Rolle eines "Beschuldigten" geriet, erscheint die Verfehlung des früheren Soldaten in einem günstigeren Licht. Er war in seiner Zeugenrolle angesichts der ausufernden Befragung offenkundig überfordert. Dies gilt umso mehr, als er in Gefahr stand, der Frau, mit der er inzwischen eng befreundet war, mit Aussagen zu intimen Details in den Rücken zu fallen. (Abs.13)
In der Zusammenschau fallen die entlastenden Gesichtspunkte derart ins Gewicht, dass vorliegend von einer erheblich geminderten Schuld des früheren Soldaten auszugehen ist. (Abs.14)
d) Zugunsten des früheren Soldaten spricht in seiner Person, dass er weder vorbestraft noch disziplinar negativ in Erscheinung getreten ist. Weiterhin ist ihm zugute zu halten, dass er die Tat erkennbar bereut. Abgesehen von der hier infrage stehenden Verfehlung hat er sich während seiner gesamten aktiven Dienstzeit in und außer Dienst gut geführt, was auch durch die zwei ihm erteilten förmlichen Anerkennungen, das verliehene Ehrenkreuz der Bundeswehr in
"Gold", sowie das ihm am Ende seiner Dienstzeit erteilte Dienstzeugnis zum Ausdruck gekommen ist. Der frühere Soldat war ein stets loyaler und bewährter Stabsoffizier. In seinen dienstlichen Beurteilungen, die eine stetig steigende Tendenz erkennen ließen, ist er überaus positiv bewertet worden. (Abs.15)
e) Unter Abwägung aller für und gegen den früheren Soldaten sprechenden Gesichtspunkte, insbesondere im Hinblick darauf, dass die Zumessungskriterien "Eigenart", "Auswirkungen" und "Maß der Schuld" das Dienstvergehen in einem milderen Lichte erscheinen lassen, hielt der Senat eine Dienstgradherabsetzung zum Major der Reserve mit der Folge einer Zurückstufung um zwei Besoldungsgruppen für unverhältnismäßig und nicht erforderlich. Als ausreichende und angemessene Ahndung des Dienstvergehens sah der Senat hier der Maßnahmeart nach eine Herabsetzung in der Besoldungsgruppe (§ 61 WDO) an. (Abs.16)
Da der Gesetzgeber eine Herabsetzung in der Besoldungsgruppe bei einem Soldaten im Ruhestand nicht vorgesehen hat (§ 58 Abs.2 WDO, wobei dies aus Gründen der Gleichbehandlung zwischen einem aktiven und einem im Ruhestand befindlichen Soldaten schwer nachvollziehbar ist), kam nur die nächstmildere gerichtliche Disziplinarmaßnahme, nämlich die Kürzung des Ruhegehalts, in Betracht. Hierbei war aber das Verhängungsverbot des § 16 Abs.1 Nr.2 WDO zu beachten. Danach kann
eine Kürzung der Dienstbezüge neben der durch ein Strafgericht verhängten Strafe nur verhängt werden, wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um die militärische Ordnung aufrecht zu erhalten oder wenn durch das Fehlverhalten das Ansehen der Bundeswehr ernsthaft beeinträchtigt worden ist. Diese Voraussetzungen liegen aber nicht vor. Eine "Störung der militärischen Ordnung" durch das Ausbleiben der Disziplinarmaßnahme scheidet schon deshalb aus, weil der frühere Soldat bereits mit Ablauf des Jahres 1997 in den Ruhestand getreten ist. Dem früheren Soldaten kann aber auch nicht zur Last gelegt werden, dass durch sein Fehlverhalten das Ansehen der Bundeswehr ernsthaft beeinträchtigt wurde. Denn zum einen ist festgestellt, dass eine Ansehensschädigung tatsächlich nicht eingetreten ist, zum anderen kann eine konkrete Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr, wie sie § 16 Abs.1 Nr.2 WDO voraussetzt (vgl Dau, WDO, 4.Aufl, § 16 RNr.18), nur vorliegen, wenn das Fehlverhalten des Soldaten und sein Soldatenstatus anderen Personen als seinen Vorgesetzten und den dienstlich mit der Sache befassten Personen bekannt geworden ist. Ein solcher Nachweis konnte nicht geführt werden." (Abs.18)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.12 f
§§§
BVerwG, B, 08.04.03, - 2_BN_2/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
GG_Art.33 Abs.5; BRRG_§_44
Arbeitszeitkonto / Typisierung / Teilzeitarbeit
Z-364 zur Zulässigkeit von Typisierungen
"... Die Frage, (Abs.7)
ob die Gleichbehandlung unterschiedlicher Sachverhalte bereits gerechtfertigt ist, wenn eine gesetzgeberische Maßnahme ohne den Gleichheitsverstoß ihr Ziel nicht erreichen würde, (Abs.8)
wäre in dieser allgemeinen Form nicht zu beantworten. Die sich allein stellende Frage, ob die gleich hohe Aufstockung des Stundendeputats bei voll- und bei teilzeitbeschäftigten Lehrern gerechtfertigt ist, wenn nur so der gegenwärtige, länger andauernde, aber vorübergehende Bedarf an zusätzlichen Lehrerarbeitsstunden gedeckt werden kann, ist ebenfalls durch das Urteil vom 28.November 2002 BVerwG 2 CN 1.01 geklärt. Der Senat hat hierzu ausgeführt, die gleich hohe Zusatzbelastung von voll- und von teilzeitbeschäftigten Lehrern sei gerechtfertigt, weil andernfalls entweder die vollzeitbeschäftigten Lehrer unzumutbar höher hätten belastet werden müssen oder der Erfolg des "Arbeitszeitkonten-Modells" insgesamt in Frage gestellt worden wäre. (Abs.9)
Diese dem erstinstanzlichen Urteil ebenso wie dem Urteil des Senats vom 28.November 2002 BVerwG 2 CN 1.01 zu Grunde liegende Rechtsauffassung weicht nicht von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab. Nach dieser ist
bei der rechtlichen Ordnung von massenhaft vorkommenden Vorgängen eine Typisierung zulässig, die nicht jede gebotene Differenzierung aufgreift, sofern die aus ihr resultierende Ungerechtigkeit sich nur unter Schwierigkeiten vermeiden lässt und der in ihr liegende Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (BVerfGE 45,376 mwN). Danach ist die gleich hohe zeitweise Zusatzbelastung bei Vollzeit- und Teilzeitlehrern zulässig. Bei einer Zusatzbelastung, die proportional zur jeweiligen Wochenstundenzahl ausgestaltet wäre, müssten entweder die Vollzeitlehrer unzumutbar höher belastet werden oder die Aufstockung bei den Teilzeitlehrern müsste so gering gehalten werden, dass die für das Gesamtprojekt notwendige Stundenzahl nicht erreicht würde. Die Benachteiligung der Teilzeitlehrer durch ihre unproportionale Zusatzbelastung in der "Ansparphase" des Arbeitszeitkontos ist geringfügig, weil sie durch die gleichfalls unproportionale Entlastung in der "Ausgleichsphase" kompensiert werden wird. (Abs.10)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.7 ff
Z-365 zur Zulässigkeit von Arbeitszeitkonten
"... Rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig ist nicht die Frage, (Abs.11)
ob der Antragsgegner an der Einführung eines verpflichtenden Arbeitszeitkontos dadurch gehindert war, dass das Beamtenrechtsrahmengesetz ein solches Institut nicht vorsieht, vielmehr die Voraussetzungen für die Leistung zusätzlicher (Abs.12)
Arbeit... in § 44 BRRG abschließend geregelt sind. (Abs.13)
Das verpflichtende Arbeitszeitkonto ist keine Form von Mehrarbeit im Sinne des § 44 BRRG, sondern eine unregelmäßige Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit durch die Festlegung von Phasen unterschiedlich langer Wochenarbeitszeit (vgl. Urteil vom 28.November 2002 BVerwG 2 CN 1.01 - UA S.9). Das Rahmenrecht des Bundes enthält keine Vorgaben für den Umfang der durch Landesrecht zu regelnden regelmäßigen Arbeitszeit. Deshalb kann die Vorschrift des Bayerischen Landesrechts über die zeitweise Geltung einer variablen regelmäßigen Arbeitszeit auch nicht von den in der Beschwerde genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts über die Verbindlichkeit der rahmenrechtlichen Grenzen für die Regelungsmacht des
Landesgesetzgebers abweichen." (Abs.14)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.11 ff
§§§
BVerwG, U, 08.04.03, - 8_C_14/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
GG Art.28 Abs.1; (He) LVerf_Art.78 Abs.2; (He) KWG_§_50 Nr.2
Kommunalwahl / OB-Wahl / Oberbürgermeister / Ungültigerklärung / Wahlverfahren / Unregelmäßigkeiten / Einfluss / Wahlfehler / Wahlfehlertatbestand, allgemeiner / Neutralitätspflicht / Organe, kommunale / Wahlgrundsatz / Wahlbeeinflussung, unzulässige / Gemeindeverwaltung / Gemeindevertretung / Erheblichkeitsgrundsatz / Gewicht / Homogenitätsgebot / Bestandsschutz / Freiheit der Wahl / Täuschung / Information, wahlkampfrelevante / Willensbildung / Wählerwillen / Integrität / Entscheidungsfreiheit / Wahrheit / Wahrheitsgebot / Chancengleichheit.
1) Die Auslegung des Begriffs der "Unregelmäßigkeiten beim Wahlverfahren" in § 50 Nr.2 Hess.KWG als allgemeiner Wahlfehlertatbestand verstößt nicht gegen Bundesrecht.
2) Es gibt keinen auch für Kommunalwahlen geltenden bundesrechtlichen Wahlgrundsatz, dass die Ungültigerklärung einer Wahl nur in Betracht kommt, wenn ein Wahlfehler von solchem Gewicht vorliegt, dass der Fortbestand des/der in dieser Weise Gewählten unerträglich erscheint. Auch das Homogenitätsgebot des Art.28 Abs.1 Satz 2 GG fordert nicht, dass der für eine Landtagswahl geltende "Erheblichkeitsgrundsatz" auf die Direktwahl eines (Ober-)Bürgermeisters angewendet werden muss.
3) Der Bestandsschutz der Wahl eines in seiner Funktion durch einen Vertreter ersetzbaren Bürgermeisters kann vom Landesgesetzgeber gegenüber dem Bestandsschutz eines gewählten Parlamentes differenziert geregelt werden.
4) Der Grundsatz der Freiheit der Wahl schützt den Wähler vor Beeinflussungen, die geeignet sind, seine Entscheidungsfreiheit ernstlich zu beeinträchtigen. Die Integrität der Wählerwillensbildung ist betroffen, wenn amtliche Stellen das ihnen obliegende Wahrheitsgebot nicht einhalten.
Z-366 Unregelmäßigkeiten beim Wahlverfahren
"... Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass in dem Verhalten mehrerer hauptamtlicher Mitglieder des Magistrats im Zusammenhang mit dem Grundstücksprojekt "F.Straße" Unregelmäßigkeiten beim Wahlverfahren zu sehen sind, die auf das Ergebnis der Wahl von Einfluss gewesen sein können, so dass gemäß § 50 Nr.2 Hessisches Kommunalwahlgesetz (KWG) die Wahl für ungültig zu erklären und die Wiederholung der Wahl im ganzen Wahlkreis anzuordnen ist. Damit hat es den Begriff der "Unregelmäßigkeiten beim Wahlverfahren" im Sinne des § 50 Nr.2 KWG nicht auf Wahlfehler im formal-technischen Ablauf der Wahl beschränkt, sondern als allgemeinen Wahlfehlertatbestand angesehen und ihn auch für die Fälle bejaht, dass gemeindliche Organe unter Verletzung der ihnen im Kommunalwahlkampf auferlegten Neutralitätspflicht zugunsten bestimmter Bewerber durch öffentliche Auftritte, Anzeigen, Wahlaufrufe, gemeindliche Öffentlichkeitsarbeit oder sonstige amtliche Verhaltensweisen unzulässige Wahlbeeinflussung begehen. Diese Annahme beruht auf der Auslegung und Anwendung irrevisiblen Landesrechts, die für das Revisionsverfahren bindend ist und lediglich darauf überprüft werden kann, ob Bundesrecht insbesondere Bundesverfassungsrecht eine andere Auslegung des Begriffes gebietet (stRspr; vgl ua Beschluss vom 19.April 2001 BVerwG 8 B 33.01 - Buchholz 160 Wahlrecht Nr.47 = NVwZ 2001, 928; Urteil vom 18.April 1997 BVerwG 8 C 5.96 BVerwGE 104, 323 = Buchholz 160 Wahlrecht Nr.44 mwN und Beschluss vom
30.März 1992 BVerwG 7 B 29.92 Buchholz 160 Wahlrecht Nr.37). Das ist nicht der Fall. Insbesondere verletzt die Auslegung des Landesrechtes durch den Verwaltungsgerichtshof keine bundesrechtlichen Wahlgrundsätze. (Abs.15)
Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Gültigkeit der Wahlprüfungsvorschriften der Hessischen Verfassung für die Landtagswahl (vom 8.Februar 2001 2 BvF 1/00 BVerfGE 103, 111 = NJW 2001,1048 ) den Begriff der "Unregelmäßigkeiten im Wahlverfahren" in Art.78 Abs.2 HV auf die Verletzung von Wahlvorschriften, die die Wahlvorbereitung, den Wahlakt und die Feststellung des Wahlergebnisses betreffen, beschränkt. Dies erfolgte aber in Verbindung und unter Bezugnahme auf die in Art.78 Abs.2 HV angeführte weitere Möglichkeit der unzulässigen Wahlbeeinflussung durch sittenwidrige Handlungen. Beide sieht das Bundesverfassungsgericht gleichgestellt. Wenn das Berufungsgericht unter Hinweis auf den unterschiedlichen Wortlaut eine Übertragung dieser Auslegung auf § 50 Nr.2 KWG ablehnt und den dort allein verwendeten Begriff der "Unregelmäßigkeiten beim Wahlverfahren" als allgemeinen Wahlfehlertatbestand ansieht, der alle Formen unzulässiger Wahlbeeinflussung umfasst, ist dies mit Bundesrecht vereinbar, denn diese Auslegung dient gerade dem Schutz der (bundesrechtlichen) Grundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl. Sie sind verletzt, wenn Organe der Gemeinde die Wahl zu einer Gemeindevertretung in erheblicher Weise
beeinflussen (vgl die Hinweise des BVerfG, aaO, S.130 bzw 1050)." (Abs.16)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.15 ff
Z-367 Zum Begriff des "erheblichen Wahlfehlers"
"... Auch die Annahme des Berufungsgerichts, auf § 50 Nr.2 KWG sei die weitere vom Bundesverfassungsgericht zu Art.78 Abs.2 HV aufgestellte Voraussetzung nicht übertragbar, dass für die Ungültigerklärung einer Wahl ein erheblicher Wahlfehler von solchem Gewicht erforderlich sei, dass ein Fortbestand der in dieser Weise gewählten Volksvertretung unerträglich erscheine, verletzt keine bundesrechtlichen Wahlgrundsätze. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 8.Februar 2001 (aaO) die Hessische Verfassung ausgelegt, aber keinen allgemeinen bundesrechtlichen Wahlgrundsatz aufgestellt, dass die Ungültigerklärung einer Wahl generell nur in Betracht kommt, wenn ein Fortbestand der/des in dieser Weise Gewählten unerträglich erscheint. Einen solchen für alle Wahlen geltenden bundesrechtlichen Grundsatz gibt es nicht. Auch das Homogenitätsgebot des Art.28 Abs.1 GG, dessen Satz 2 zufolge in den Ländern, Kreisen und Gemeinden das Volk eine Vertretung haben muss, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist, fordert nicht, dass dieser "Erheblichkeitsgrundsatz" auf die Direktwahl eines Oberbürgermeisters angewendet werden muss. (Abs.17)
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung besonders auf die Bedeutung und Funktion des Parlamentes abgestellt (aaO S.134 bzw 1051).
Rechtsfehlerfrei konnte das Berufungsgericht demgegenüber die Wahl eines (Ober-)Bürgermeisters als Exekutivorgan einer Kommune differenziert betrachten. Da Bundesverfassungsrecht, auch Art.28 Abs.1 GG, nicht fordert, dass der Bürgermeister überhaupt direkt vom Volk gewählt werden muss, hat der Landesgesetzgeber, wenn er wie im Hessischen Kommunalwahlgesetz die Direktwahl der kommunalen Exekutivspitze vorsieht, auch einen gewissen Gestaltungsbereich, nach welchem Maßstab eine solche Wahl im Wahlprüfungsverfahren gerichtlich überprüft werden kann. Die bundesrechtlichen Vorgaben sind hier deutlich geringer als bei der Wahl eines Parlamentes. (Abs.18)
Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des Senats (vgl Urteil vom 18.April 1997 BVerwG 8 C 5.96 aaO S.329 f mwN), in der es offen gelassen wurde, ob der vom Bundesverfassungsgericht für die Wahlprüfung bei Parlamentswahlen entwickelte Erheblichkeitsgrundsatz (vgl BVerfGE 29,154 ) dem kommunalen Wahlprüfungsverfahren bundesverfassungsrechtlich zwingend vorgegeben ist. Das Grundgesetz fordert danach lediglich, dass das Wahlrecht in den Ländern, Kreisen und Gemeinden den in Art.28 Abs.1 Satz 2 GG niedergelegten Wahlgrundsätzen entspricht. Innerhalb dieses Regelungsrahmens sind die Länder bei der Gestaltung ihres Wahlrechts grundsätzlich frei (vgl BVerfGE 4,31); die Übernahme der Wahlrechtsgrundsätze des Art.38 Abs.1 Satz 1 GG durch Art.28 Abs.1 Satz 2 GG
auch für die Wahlen zu den Volksvertretungen in den Ländern, Kreisen und Gemeinden soll freilich sicherstellen, dass die Grundentscheidungen der Verfassung für die Prinzipien der Volkssouveränität und Demokratie sowie für ein demokratisches Wahlverfahren in den Gemeinden und Gemeindeverbänden ebenfalls gelten (vgl BVerfGE 52,95 ; 83,37; Urteil vom 27.März 1992 BVerwG 7 C 20.91 BVerwGE 90,104 ). Diesen Maßstäben unterliegt das Land auch dann, wenn es autonom die Direktwahl des (Ober )Bürgermeisters vorschreibt. Der Erheblichkeitsgrundsatz findet seine sachliche Rechtfertigung letztlich in dem zu den fundamentalen Prinzipien der Demokratie gehörenden Mehrheitsprinzip (vgl BVerfGE 29,154 ). Ein Wahlfehler kann den in einer Wahl zum Ausdruck gebrachten Volkswillen nur verletzen, wenn sich ohne ihn eine andere, über das maßgebliche Wahlergebnis entscheidende Mehrheit ergeben würde (vgl BVerfGE 29,154). Daraus folgt aber nicht, dass der Erheblichkeitsgrundsatz von Verfassungs wegen für das landesrechtlich geregelte kommunale Wahlprüfungsverfahren übernommen werden muss." (Abs.19)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.17 ff
Z-368 Zu den Differenzierungsmöglichkeiten im Wahlprüfungsrecht
"... Entgegen der Auffassung der Revision, die in der Differenzierung zwischen Landtags- und Bürgermeisterwahlen eine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art.3 GG sieht, ist nicht allein auf den Wahlakt als solchen abzustellen. Dem Gesetzgeber ist im Wahlprüfungsrecht nicht jede Differenzierung verwehrt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht zur Hessischen Landtagswahl entschieden, dass das Erfordernis des Bestandsschutzes einer gewählten Volksvertretung, das seine rechtliche Grundlage im Demokratiegebot findet, es ausschließt, Wahlbeeinflussungen einfacher Art und jeden Gewichts schlechthin zum Wahlungültigkeitsgrund zu erheben. Der Eingriff in die Zusammensetzung einer gewählten Volksvertretung durch eine wahlprüfungsrechtliche Entscheidung müsse vor diesem Bestandserhaltungsinteresse gerechtfertigt werden (BVerfG, Urteil vom 8.Februar 2001, aaO, S.135 bzw 1051). Dabei hat es aber auch ausgeführt, dass je tiefer und weiter die Wirkungen eines solchen Eingriffs reichen, desto schwerer der Wahlfehler wiegen müsse, auf den dieser Eingriff gestützt wird. Damit hat das Bundesverfassungsgericht eine Differenzierung vorgegeben, von der der hessische Landesgesetzgeber im Kommunalwahlgesetz hinsichtlich des Ergebniserhalts einer Bürgermeisterwahl Gebrauch gemacht hat. Die bundesrechtlichen Wahlgrundsätze der allgemeinen, freien und gleichen Wahl stellen die Rechte der Wähler und der miteinander konkurrierenden Wahlbewerber in den Vordergrund. Die Schutzbedürftigkeit beider ist gleich zu beurteilen,
auch wenn diese Rechte in Widerspruch zueinander treten können. Deshalb ist eine Differenzierung nur über eine Betrachtung der Folgen möglich. Dabei ist der Bestandsschutz eines gewählten Parlamentes anders zu bewerten als der einer Wahl eines in seiner Funktion auch durch einen Vertreter ersetzbaren Bürgermeisters." (Abs.20)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.20
Z-369 Ungültigkeitserklärung einer Wahl und Art.12 Abs.1 GG
"... Soweit die Revision rügt, dass die Ungültigerklärung der Wahl den Beigeladenen in seinem Grundrecht auf freie Berufswahl gemäß Art.12 Abs.1 GG verletze, verkennt sie, dass das Recht, den Beruf eines (kommunalen) Wahlbeamten frei zu wählen, von einer gültigen Wahl abhängt." (Abs.21)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.21
Z-370 zum Begriff der "freien Wahl"
"... Schließlich verstößt das Berufungsgericht nicht gegen Bundesrecht mit der Annahme, dass eine unzulässige amtliche Wahlbeeinflussung auch in einer bewussten Täuschung durch Vorenthalten von wahlkampfrelevanten Informationen liegen kann, wie sie nach den Feststellungen im Berufungsurteil ua im Verhalten einiger Magistratsmitglieder gegenüber dem Bauausschuss zu sehen ist, die auf Nachfrage zum Komplex "F.-Straße" wider besseres Wissen behaupteten, dass noch Beratungsbedarf bestehe bzw dass, wenn Ergebnisse vorlägen, diese in den Gremien beraten würden. Der Grundsatz der Freiheit der Wahl, wie er in Art.28 Abs.1 Satz 2 GG auch für Kommunalwahlen verbindlich normiert ist, setzt auch voraus, dass sich der Wähler über Ziele und Verhalten der Wahlbewerber frei von Manipulationen informieren kann. Er schützt deshalb den Wähler vor Beeinflussungen, die geeignet sind, seine Entscheidungsfreiheit trotz des bestehenden Wahlgeheimnisses ernstlich zu beeinträchtigen (BVerfG, Urteil vom 28.Februar 2001, aaO, S.132 bzw 1051; BVerfGE 66,369). Zu diesen Beeinflussungen gehören auch Täuschungen und Desinformation, weil zu diesen Formen des Vorenthaltens von Wahrheit keine hinlängliche Möglichkeit der Abwehr, zB mit Hilfe der Gerichte, oder des Ausgleichs, etwa mit Mitteln des Wahlwettbewerbs, besteht (BVerfG, Urteil vom 28.Februar 2001, aaO S.132 bzw 1051). Sie stellen eine erhebliche Verletzung der Freiheit und Gleichheit der Wahlen dar. Die Integrität der Wählerwillensbildung ist betroffen, wenn amtliche
Stellen das ihnen obliegende Wahrheitsgebot nicht einhalten. (Abs.22)
Nur solche Wahlen verleihen demokratische Legitimation im Sinne von Art.20 Abs.2 Satz 1 GG, die ohne Verletzung der Integrität der Willensbildung des Volkes bzw der Wahlbürger erfolgt sind (vgl Beschluss vom 30.März 1992 BVerwG 7 B 29.92). Jede Form des Vorenthalts von Wahrheit beeinträchtigt die Autonomie des Menschen bei seiner (Wahl-)Entscheidung darüber, wie viel Wahrheit er sich zumuten kann und will. Die Wahrheit ist als Rahmenbedingung individueller Autonomie unentbehrlich. So sehr vom Verhalten der Staatsorgane Wirkungen auf die Meinungs- und Willensbildung des Bürgers ausgehen und dieses Verhalten selbst mit Gegenstand des Urteils des Wählers ist, so sehr ist es den Staatsorganen in amtlicher Funktion verwehrt, durch besondere Maßnahmen darüber hinaus auf die Willensbildung des Volkes bei Wahlen einzuwirken, um dadurch Herrschaftsmacht in Staatsorganen zu erhalten oder zu verändern (BVerfGE 44,125). Der Schutz der Wählerwillensbildung durch den Grundsatz der Freiheit der Wahl erfüllt damit auch wenn die Unverletzlichkeit der Willensbildung im Wahlanfechtungsverfahren nicht unbegrenzt geschützt wird eine freiheitssichernde Funktion im Sinne von Art.2 Abs.1 GG." (Abs.23)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.22 ff
Z-371 Zur Wahrheitspflicht im Wahlkampf
"... Die Wahrheit ist auch im Wahlkampf als Rahmenbedingung sozialer Kommunikation unentbehrlich. Der Grundgesetzgeber hat sich dadurch, dass er die freiheitlich demokratische Grundordnung geschaffen hat, für einen freien und offenen Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes entschieden (BVerfGE 20,56 ). Dazu hat der Senat in Anknüpfung an die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits in seinem Urteil vom 18.April 1997 (BVerwG 8 C 5.96 aaO S.327) ausgeführt, dass das Gebot der freien Wahl es gemeindlichen Organen untersagt, sich in amtlicher Funktion vor Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie als Amtsträger zu unterstützen oder zu bekämpfen. Nur Wahlen, die ohne Verstoß gegen das Gebot strikter staatlicher und gemeindlicher Neutralität und ohne Verletzung der Integrität der Willensbildung des Volkes und der Wahlbürger erfolgt sind, könnten demokratische Legitimation verleihen. Der Senat sah die sich daraus ergebenden Grenzen für die zulässige Betätigung kommunaler Organe im Wahlkampf als überschritten an, wenn sie kraft des Amtes gegebene Einflussmöglichkeiten in einer Weise nutzen, die mit ihrer der Allgemeinheit verpflichteten Aufgabe unvereinbar ist. Diese (bundes )verfassungsrechtlichen Vorgaben hat der Verwaltungsgerichtshof nicht verkannt. (Abs.24)
Die Unverletzlichkeit der Willensbildung des zu Wahlen aufgerufenen Bürgers wird
im Wahlanfechtungsverfahren nicht unbegrenzt geschützt. Nach der wahlprüfungsrechtlichen Praxis (vgl BVerfG, Urteil vom 8.Februar 2001 aaO S.127 bzw 1049) wird zwischen privater Parteinahme und amtsseitiger Beeinflussung unterschieden. Einwirkungen auf den Wähler wie Entlassungs- oder Ausschlussdrohungen privater Arbeitgeber oder von Vereinen sowie "Wahlmanöver" der im Wahlkampf stehenden Parteien oder einzelner Wahlbewerber, einschließlich der Verbreitung von Täuschungen und Lügen, sind danach grundsätzlich auch dann nicht zu beanstanden, wenn sie sittlich zu missbilligen sind. Hingegen werden amtliche Wahlbeeinflussungen als Wahlungültigkeitsgrund generell anerkannt, wie sie auch von Organen der Gemeindeverwaltung ausgehen können, welche auf die Wahl zu einer Gemeindevertretung in erheblicher Weise einwirken. Die grundsätzliche Anerkennung der amtlichen Wahlbeeinflussung als Wahlfehler bei gleichzeitiger Zurückhaltung, Einwirkungen Dritter auf die Willensbildung des Wählers als Wahlungültigkeitsgrund anzusehen, beruht maßgebend darauf, dass die vollziehende Gewalt dem Gebot der Freiheit der Wahl unterworfen ist (Art.20 Abs.3 GG), also zu ihrer Gewährleistung verpflichtet ist, während die Wahlbeeinflussung aus dem nichtstaatlichen bzw. nichtkommunalen Bereich unter den Bedingungen des Wahlwettbewerbs grundsätzlich hingenommen wird. Der zur Wahl aufgerufene Bürger als Subjekt und der Mandatsträger als Objekt der demokratischen Legitimation stehen hingegen in einem Legitimationsverhältnis. Das bedeutet, dass der
Mandatsträger (etwa im kommunalen Bereich) den (potentiellen) Wähler nicht erheblich in seiner freien Entschließung über die Ausübung und die inhaltliche Festlegung seines Stimmrechts behindern darf. Aus dem Prinzip der demokratischen Repräsentation folgt die generelle Pflicht staatlicher Stellen zur Achtung der Integrität der Wählerwillensbildung. (Abs.25)
Der Einwand der Beklagten, eine Offenlegung der Vorgänge um den Komplex "F.-Straße" hätte dem Neutralitätsgebot (Art.28 Abs.1 GG) widersprochen, verkennt, dass der Wähler nur vor solchen Beeinflussungen bewahrt sein soll, die seine Entscheidungsfreiheit (manipulativ) beeinträchtigen könnten. Das Recht, die Wahrheit zu erfahren, kann eine solche Beeinträchtigung nicht ergeben. Das (kommunale) Wahlrecht stellt eines der wichtigsten Mitgestaltungsrechte des Bürgers (hier) an den Aufgaben und Zielen der (örtlichen) Gemeinschaft dar. Es ist ein entscheidendes Element der demokratischen Willensäußerung und wird verletzt, wenn (kommunal-) politische Themenstellungen von erheblichem Gewicht der Abstimmung vorenthalten werden. So war es in dieser Angelegenheit bereits im Jahre 1996 zu einer Missbilligung hauptamtlicher Wahlbeamter der Stadt durch die Beklagte wegen Missachtung des Parlaments gekommen. Der Vorgang konnte als ein solcher von nicht geringem öffentlichen Interesse und als geeignet angesehen werden, auf die Wählerwillensbildung Einfluss zu nehmen. (Abs.26)
Dass eine Beeinträchtigung der freien Bildung des Wählerwillens und der Chancengleichheit der Wahlbewerber durch das Verhalten eines Teils der hauptamtlichen Magistratsmitglieder im Zusammenhang mit dem Komplex "F.-Straße" vorliegt und dass diese auf das Ergebnis der Wahl von Einfluss sein konnte, hat das Berufungsgericht in Würdigung der von ihm zugrunde gelegten Tatsachen festgestellt. An diese Feststellungen ist der Senat gebunden (§ 137 Abs.2 VwGO). (Abs.27)
Die von der Revision dagegen erhobenen Aufklärungsrügen greifen nicht durch. Der Beigeladene muss sich entgegenhalten lassen, dass er im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren weder sich zum Verfahren geäußert hat noch zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Die Aufklärungsrüge im Revisionsverfahren ist aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kein Mittel, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren (vgl zB BVerwG, Urteil vom 23.Mai 1986 BVerwG 8 C 10.84 BVerwGE 74,222 = Buchholz 448.0 § 17 WpflG Nr.7; Beschlüsse vom 6.März 1995 BVerwG 6 B 81.94 Buchholz 310 § 86 Abs.1 VwGO Nr.265; vom 17.August 1998 BVerwG 8 B 81.98 nv). (Abs.28)
Im Übrigen liegen die gerügten Verfahrensfehler auch nicht vor, weil sich die
aus der Sicht der Revision unterlassenen Aufklärungen dem Berufungsgericht nicht aufdrängen mussten. So brauchte die an den Beigeladenen in der Bauausschusssitzung vom 4. März 1998 gerichtete Anfrage nicht weiter aufgeklärt zu werden, weil der Beigeladene in seiner Revisionsbegründung selbst eingeräumt hat, die vom Verwaltungsgerichtshof angenommene Antwort gegeben zu haben. Dem Verwaltungsgerichtshof musste sich auch nicht aufdrängen, die Umstände aufzuklären, die zum Entfernen der Aktennotiz aus den Akten des Liegenschaftsamtes geführt haben. Insbesondere musste er nicht auf den jetzigen Einwand der Revision kommen, dass der Aktenvermerk des Leiters des Liegenschaftsamtes unwahr sei. Soweit die Revision die Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs bemängelt, das Verhalten der Magistratsmitglieder sei bestimmt gewesen, die Wahl zu beeinflussen, wendet sie sich gegen eine Wertung durch das Berufungsgericht. Die von der Revision geforderte Zeugeneinvernahme zu Nachbareinwendungen gegen das Bauvorhaben musste sich der Vorinstanz nicht aufdrängen, weil es für die Entscheidung nicht von Relevanz war. Auch eine Zeugenbefragung der hauptamtlichen Magistratsmitglieder über ihre Absicht, die Optionsfrist verstreichen zu lassen, hätte keine neuen Tatsachen, sondern allenfalls andere Wertungen ergeben. Schließlich bestand im Hinblick auf die eindeutige schriftliche Erklärung des Kandidaten K keine Veranlassung, ihn dahin gehend zu vernehmen, ob seine Wahlempfehlung anders ergangen wäre, wenn er den
vollen Sachverhalt gekannt hätte. Den Abdruck eines Tonbandmitschnitts hat der Beigeladene erst im Revisionsverfahren vorgelegt. Es mussten auch keine Ermittlungen des Wählerverhaltens für die Feststellung der Kausalität der Unregelmäßigkeiten beim Wahlverfahren für den Ausgang der Wahl durchgeführt werden, weil nach § 50 Nr.2 KWG ausreichend ist, dass der Wahlfehler für das Ergebnis von Einfluss gewesen sein "kann". Eine rückwirkende Wahrscheinlichkeitsprognose genügte." (Abs.29)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.24
§§§
03.080 Erstattungsverfahren |
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BVerwG, U, 10.04.03, - 5_C_18/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
BVG_§_25, BVG_§_27d; OEG_§_1; SGB-X_§_104, SGB-X_§_107, SGB-X_§_111, SGB-X_§_120 Abs.2 SGB-VIII_§_34, SGB-VIII_§_41;
Ausschluss des Anspruchs auf Kostenerstattung, Fristlauf / Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs bei zuständigem Leistungsträger / Kostenerstattungsanspruch unter Sozialleistungsträgern, Zeitpunkt der Entstehung / Leistungsgewährung / zeitabschnittsweise.
1) § 111 Satz 2 SGB X in seiner vom 1.Januar 2001 an geltenden Fassung ist nur dann auf nicht abgeschlossene Erstattungsverfahren aus der Zeit vor dem 1.Januar 2001 anzuwenden, wenn bei In-Kraft-Treten der Neuregelung die Ausschlussfrist nicht bereits unter Geltung des § 111 SGB X aF abgelaufen war.
2) Zu den Voraussetzungen, unter denen ein Erstattungsanspruch zur Vermeidung seines Ausschlusses geltend zu machen ist.
§§§
BVerwG, B, 11.04.03, - 7_B_141/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
VwGO_§_108 Abs.2, VwGO_§_133 Abs.3 S.3, VwGO_§_138 Nr.3;
Nichtzulassungsbeschwerde / rechtliches Gehör / Doppelbegründung Urteil / Rechtskraftwirkung, unterschiedliche / Zulassungsgrund Bezeichnung.
Bei einem auf mehrere selbständig tragende Begründungen von verschiedener Rechtskraftwirkung gestützten Urteil kann die Revision auch dann zuzulassen sein, wenn nur hinsichtlich einer der Begründungen ein Zulassungsgrund besteht.
§§§
03.082 WasserschutzgebietsVO |
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BVerwG, B, 15.04.03, - 7_BN_4/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
GG Art.14 Abs.1; WHG_§_19; (By) WG_§_87 Abs.2; VwGO_§_86 Abs.2
Wasserschutzgebietsverordnung / Inhaltsbestimmung des Eigentums / Nutzungsbeschränkung / Ausnahmen / Befreiungen / finanzieller Ausgleich / nachgelassener Schriftsatz / Beweisantrag / Vorabentscheidung.
1) Art.14 Abs.1 GG gebietet keine gesetzlichen Vorkehrungen dafür, dass Wasserschutzgebietsverordnungen nur unter gleichzeitiger Festsetzung erforderlicher kompensatorischer Maßnahmen für die betroffenen Grundstücke erlassen werden (vgl Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 31.Januar 2001 BVerwG 6 CN 2.00 BVerwGE 112, 373 <378 f>).
2) Wird in einem nachgelassenen Schriftsatz ein Beweisantrag gestellt, ist das Gericht nicht zur Wahrung rechtlichen Gehörs verpflichtet, über diesen Antrag vorab zu entscheiden. Ein dort gestellter Beweisantrag kann nur Anlass geben, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, nämlich dann, wenn sich aus ihm die Notwendigkeit weiterer Aufklärung des Sachverhalts ergibt.
§§§
BVerwG, B, 17.04.03, - 5_B_7/03 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
(86) SchwbG_§_5 Abs.1; SGB-IX_§_71
Arbeitgeberbegriff, Auslegung des -s bei Unternehmen mit mehreren Filialbetrieben / Berechnung der Pflichtplätze für Schwerbehinderte nach dem Zusammenfassungsprinzip.
1) Bei der Berechnung der Zahl der Pflichtplätze für Schwerbehinderte sind gemäß § 5 Abs.1 SchwbG 1986 alle Arbeitsplätze im Direktionsbereich ein und desselben Arbeitgebers zusammenzufassen, unabhängig davon, ob die Arbeitsplätze über mehrere Betriebe bzw. Filialen verteilt sind oder nicht (Bestätigung von BVerwG, Urteile vom 20.Oktober 1987 BVerwG 5 C 42.86 , und vom 6.Juli 1989 5 C 64.84 ).
2) An der Verfassungsmäßigkeit des § 5 Abs.1 SchwbG bestehen auch bei dieser Auslegung keine ernsthaften Zweifel unter den Gesichtspunkten des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Übermaßverbots sowie des allgemeinen Gleichheitssatzes.
§§§
BVerwG, B, 22.04.03, - 3_A_5/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
VwGO_§_40 Abs.1 S.1, VwGO_§_40 Abs.2 S.1; ZPO_§_32
Schadensersatz / Verwaltungsgerichtsweg / Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung.
LB 1) Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten setzt voraus, dass der jeweils geltend gemachte Schadensersatzanspruch in sachlichem Zusammenhang mit Anbahnung, Abschluss oder Abwicklung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages steht.
LB 2) Das nach § 32 ZPO zuständige Gericht (Besonderer Gerichtstand der unerlaubten Handlung) hat auch über einen konkurrierenden quasi-vertraglichen Anspruch mit zu entscheiden.
Z-372 Schadensersatz aus öffentlich-rechtlichem Vertrag
"... Der Rechtsstreit ist nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 83 VwGO in Verbindung mit § 17 a GVG von Amts wegen (vgl. Beschluss vom 17.April 2002 BVerwG 3 B 137.01 Buchholz 310 § 60 VwGO Nr.244 S.40) an das örtlich zuständige Landgericht zu verweisen. Es kann offen bleiben, ob das Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung in diesem Verfahren nach § 50 Abs.1 Nr.1 VwGO zuständig wäre, sofern der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs.1 Satz 1 iVm Abs.2 Satz 1 VwGO gegeben wäre. Denn das Verfahren zielt auf einen Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung von (öffentlich-rechtlichen) Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, so dass gemäß § 40 Abs.2 Satz 1 (1.Halbsatz, 3.Alt) VwGO der ordentliche Rechtsweg gegeben ist. (Abs.1)
§ 40 Abs.2 Satz 1 VwGO begründet den Rechtsweg zu den Zivilgerichten ua für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten und nimmt davon ausschließlich solche Schadensersatzansprüche aus, die auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen; für sie ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Zwar dehnt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl etwa Urteil vom 29.Mai 1973 BVerwG VII C 2.72 DÖV 1974, 133 f und Beschluss vom 30.April 2002 BVerwG 4 B 72.01 Buchholz 310 § 40 VwGO Nr.288) den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten aus auf Schadensersatzansprüche wegen Verschuldens bei
Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages. Doch setzt der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten jedenfalls voraus, dass der jeweils geltend gemachte Schadensersatzanspruch in sachlichem Zusammenhang mit Anbahnung, Abschluss oder Abwicklung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages steht. Daran fehlt es hier.
Zutreffend geht die Klägerin davon aus, der von ihr geltend gemachte Schadensersatzanspruch resultiere aus der Zuweisungsverfügung des Bundesministeriums des Innern vom 24.Juni 1993, mit der der Bund nach Abstimmung mit dem Sächsischen Staatsministerium des Innern dem Land Sachsen gemäß § 1 Abs.2 Satz 1 des Gesetzes über den Zivilschutz ab 1.Juli 1993 einen Hubschrauber zur Verfügung gestellt hat; der Anspruch stütze sich auf eine Verletzung von durch diese Zuweisungsverfügung begründeten öffentlich-rechtlichen Pflichten. Bei dieser Zuweisungsverfügung handelt es sich jedoch entgegen der Ansicht der Klägerin zweifelsfrei nicht um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, sondern um einen Verwaltungsakt. Darauf weist bereits der verwandte Begriff "Verfügung" hin. Bestätigt wird diese Annahme namentlich durch die in der Zuweisungsverfügung dem Bund eröffnete Möglichkeit, sie bei Vorliegen bestimmter Gründe nicht kündigen, sondern "widerrufen" zu können. Das Land Sachsen soll sich ebenfalls von der Zuweisung nicht durch eine Kündigung lösen können, sondern bei Vorliegen der entsprechenden Gründe einen Antrag auf Widerruf stellen können. (Abs.2)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.1 ff
Z-373 Besonderer Gerichtstand der unerlaubten Handlung
"... Ist hiernach die ordentliche Gerichtsbarkeit dazu berufen, über das Begehren des klagenden Bundes zu befinden, welches sich der Sache nach aus einer Verletzung von durch die Zuweisungsverfügung begründeten Pflichten ergeben soll, so hält es der beschließende Senat aber gleichwohl für gerechtfertigt, den Ort einer zugleich in Betracht zu ziehenden unerlaubten Handlung im Sinne des § 32 ZPO (Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung) für maßgeblich anzusehen; denn das Klagevorbringen führt auch schlüssig auf eine unerlaubte Handlung iS der §§ 823 ff BGB, so dass das zuständige Gericht sich voraussichtlich ferner mit diesen Anspruchsgrundlagen wird befassen müssen. (Abs.3)
In der zivilrechtlichen Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass das nach § 32 ZPO zuständige Gericht auch über einen konkurrierenden quasi-vertraglichen Anspruch mit zu entscheiden hat (vgl KG, Beschluss vom 2.September 1999 28 AR 90/99 NJW-RR 2001, 62 mwN; vgl auch Thomas/Putzo, ZPO, 24.Auflage, § 32 Rn.6 mwN); der beschließende Senat folgt dem jedenfalls für den Fall, dass wie hier beide Klagegründe auf dem selben Lebenssachverhalt beruhen." (Abs.4)
Auszug aus: Originalurteil, Abs.3 f
§§§
03.085 Subventionsbewilligung |
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BVerwG, U, 23.04.03, - 3_C_25/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.20, GG_Art.28; VwVfG_§_48 Abs.1;
Subventionsbewilligung / Rücknahme / Zuwendungsbescheid / Rücknahme eines Zuwendungsbescheides / Verstoß gegen Subventionsrichtlinien / Verstoß gegen Verwaltungsvorschriften.
1) Allein der Verstoß gegen Subventionsrichtlinien macht einen Bewilligungsbescheid nicht rechtswidrig iS § 48 Abs.1 Satz 1 VwVfG.
2) Weicht die Behörde zugunsten eines einzelnen Subventionsbewerbers von einer ansonsten geübten Vergabepraxis ab, ohne aus sachgerechten Gründen ihre Praxis insgesamt zu ändern, so ist ihre Entscheidung wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgebots (Art.3 Abs.1 GG) rechtswidrig.
§§§
BVerwG, B, 30.04.03, - 6_C_3/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
EG_Art.234 Abs.1a, Abs.3; Richtlinie 97/13/EG Art.11; TKG_§_43 Abs.1 S.4 TKG_§_43 Abs.3 S.1, S.2, S.4, TKG_§_43 Abs.4; TKG_§_97; TNGebV_§_1; TNGebV_§_3; VwKostG_§_15 Abs.2
Gebühr für Rufnummernzuteilung im Ortsnetzbereich / Verfassungsmäßigkeit einer Verordnungsermächtigung / Kostendeckungszweck / Vorteilsabschöpfungszweck / Lenkungszweck / Begriff "knappe Ressourcen" im Sinne von Art.11 Abs.2 Satz 1 der Lizenzierungsrichtlinie / Äquivalenzprinzip / Aussetzung des Rechtsstreits und Einholung einer Vorabentscheidung.
1) Rufnummern im Ortsnetzbereich sind "knappe Ressourcen" im Sinne von Art.11 Abs.2 Satz 1 der Richtlinie 97/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10.April 1997 über einen gemeinsamen Rahmen für Allgemein- und Einzelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste.
2) Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass für die Zuteilung von Rufnummern im Ortsnetzbereich eine Gebühr erhoben wird, deren Höhe auch den wirtschaftlichen Wert der zugeteilten Nummern berücksichtigt.
3) Es wird eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu folgenden Fragen eingeholt:
a) Ist die Richtlinie 97/13/EG dahin zu verstehen, dass für die Zuteilung von Rufnummern durch die nationale Regulierungsbehörde eine den wirtschaftlichen Wert der zugeteilten Nummern berücksichtigende Gebühr erhoben werden darf, obwohl ein auf demselben Markt tätiges und dort eine marktbeherrschende Stellung innehabendes Telekommunikationsunternehmen von seinem Rechtsvorgänger, dem ehemaligen staatlichen Monopolunternehmen, kostenlos Rufnummern in sehr großem Umfang übernommen hat und eine nachträgliche Heranziehung zu Gebühren für diesen Altbestand aus Gründen des nationalen Rechts ausscheidet?
Bei Bejahung von Frage 1:
b) Dürfen bei einer solchen Fallgestaltung die in den Markt neu eintretenden Unternehmen unabhängig von der Höhe ihrer sonstigen Markteintrittskosten und ohne eine hieran anknüpfende Analyse ihrer Wettbewerbschancen gegenüber dem marktbeherrschenden Unternehmen für die Zuteilung einer Rufnummer mit einer einmaligen Gebühr in Höhe eines be- stimmten Prozentsatzes (hier 0,1 %) des geschätzten Jahresumsatzes belastet werden, der im Fall der Weitergabe der Rufnummer an einen Endkunden erzielt werden kann?
§§§
BVerwG, U, 30.04.03, - 6_C_4_02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
TKG_§_43 Abs.3 S.4; VwKostG_§_3; TNGebV_§_1 iVm B.4 der Anlage zu § 1 Richtlinie 97/13/EG Art.11 Abs.1 S.1
Gebühren für Rufnummernzuteilung / Äquivalenzprinzip / Kostendeckungsprinzip.
Eine Verwaltungsgebühr verletzt das bundesverfassungsrechtliche Äquivalenzprinzip, wenn ihre Höhe die Kosten des Verwaltungsaufwandes um etwa das 4 444 fache übersteigt.
§§§
03.088 Gehorsamkeitspflicht |
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BVerwG, U, 06.05.03, - 2_WD_29/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
SG_§_7, SG_§_17 Abs.2 S.1, SG_§_11 Abs.1 S.1; WDO_§_38 Abs.1, WDO_§_58 Abs.7; WDO_§_107 Abs.1; StGB_§_266;
Gehorsamspflicht / Anschuldigungsschrift / Konkretisierung der Anschuldigungsschrift / Bestimmtheit / Höchstmaßnahme / Milderungsgründe / objektiver Maßstab / Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Dienstverhältnisses.
1) Ungehorsam eines Soldaten gegen einen erteilten Befehl darf im gerichtlichen Disziplinarverfahren nur dann geahndet werden, wenn der missachtete Befehl in der Anschuldigungsschrift konkret bezeichnet worden ist.
2) Ob dem Dienstherrn die Fortsetzung des Dienstverhältnisses eines Soldaten, der als Zahlstellenverwalter durch Zugriff auf das Vermögen des Dienstherrn seine dienstlichen Kernpflichten verletzt hat, zugemutet werden kann, ist nach einem objektiven Maßstab zu beurteilen, nicht aber nach der Einschätzung der unmittelbaren Vorgesetzten.
3) Bei einer schwerwiegenden Verletzung dienstlicher Kernpflichten können Milderungsgründe in der Person kein Absehen von der disziplinaren Höchstmaßnahme rechtfertigen (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des Senats).
§§§
03.089 Rücktritt eines Personalrats |
---|
BVerwG, B, 07.05.03, - 6_P_17/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
(BW) PersVG_§_12, PersVG_§_19, PersVG_§_25, PersVG_§_28 Abs.2
Ausschluss aus dem Personalrat / Personalratswahl / Rücktritt des Personalrats / Wahlanfechtung.
Für die Beurteilung der Wirksamkeit des Rücktritts eines Personalrats nach dem Ausschluss eines seiner Mitglieder ist die Vorschrift des § 28 Abs.2 BaWüPersVG ohne Bedeutung, derzufolge dann, wenn über den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Personalrat bis zum Ablauf der Amtszeit noch nicht rechtskräftig entschieden ist, das gerichtliche Verfahren mit Wirkung für die folgende Amtszeit fortzusetzen ist, wenn das Mitglied für die folgende Amtszeit wieder gewählt worden ist.
§§§
BVerwG, U, 08.05.03, - 7_C_15/02 -
Originalurteil = www.BVerwG.de
AbfG_§_1 Abs.2, AbfG_§_3 Abs.1, AbfG_§_3 Abs.2, AbfG_§_3 Abs.33, AbfG_§_3 Abs.4 KrW-/AbfG_§_3 Abs.6; WaStrG_§_1 Abs.4, WaStrG_§_5 S.1; WHG_§_23; (Ns) AbfG_§_10 Abs.1, AbfG_§_11 Abs.2; (Ns) WG_§_73
Abfall / Abfallbesitzer / tatsächliche Sachherrschaft / Zusammentragen von Abfall / Überlassungspflicht / Bundeswasserstraße / Ufergrundstück / Schiffsanlegestelle / Schleuse / Schifffahrtsanlagen / Widmungszweck / allgemeines Betretungsrecht / Ersatzvornahme.
Die Bundesrepublik Deutschland ist Besitzerin von Abfällen, die auf dem Gelände ihrer Schifffahrtsanlagen an den Bundeswasserstraßen abgelegt werden.
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§§§