2013  
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13.001 Adoptionsrecht des Lebenspartners

  1. BVerfG,     U, 10.02.13,     – 1_BvL_1/11 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.6 Abs.2 S.1; GWB_§_81 Abs.6; LParG_§_9 Abs.7

 

1) Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.6 Abs.2 Satz 1 GG verleiht dem Kind ein Recht auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Adoption des angenommenen Kindes eines eingetragenen Lebenspartners durch den anderen Lebenspartner (Sukzessivadoption) zu ermöglichen, lässt sich daraus nicht ableiten.

 

2) Zwei Personen gleichen Geschlechts, die gesetzlich als Elternteile eines Kindes anerkannt sind, sind auch im verfassungsrechtlichen Sinne Eltern (Art.6 Abs.2 Satz 1 GG). Eine Person, die bislang weder in einer biologischen noch in einer einfachrechtlichen Elternbeziehung zu einem Kind steht, ist grundsätzlich nicht allein deshalb nach Art.6 Abs.2 Satz 1 GG Elternteil im verfassungsrechtlichen Sinne, weil sie in sozial-familiärer Beziehung mit dem Kind lebt.

 

3) Leben eingetragene Lebenspartner mit dem leiblichen oder angenommenen Kind eines Lebenspartners in sozial-familiärer Gemeinschaft, bilden sie mit diesem eine durch Art.6 Abs.1 GG geschützte Familie im Sinne des Grundgesetzes.

Bei der rechtlichen Ausgestaltung der Familie ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht ohne Weiteres verpflichtet, denjenigen, die tatsächlich soziale Elternfunktion wahrnehmen, allein deswegen eine Adoptionsmöglichkeit zu schaffen.

 

4) Indem § 9 Abs.7 des Lebenspartnerschaftsgesetzes die Möglichkeit der Annahme eines adoptierten Kindes des eingetragenen Lebenspartners durch den anderen Lebenspartner (Sukzessivadoption) verwehrt, wohingegen die Möglichkeit der Annahme eines adoptierten Kindes des Ehepartners und die Möglichkeit der Annahme eines leiblichen Kindes des eingetragenen Lebenspartners (Stiefkindadoption) eröffnet sind, werden sowohl die betroffenen Kinder als auch die betroffenen Lebenspartner in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzt (Art.3 Abs.1 GG).

* * *

Entscheidungsformel:

1) § 9 Absatz 7 des Lebenspartnerschaftsgesetzes ist mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit die Annahme eines adoptierten Kindes des eingetragenen Lebenspartners durch den anderen Lebenspartner danach nicht möglich ist.

2) Dem Gesetzgeber wird aufgegeben, bis zum 30.Juni 2014 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. Bis zur gesetzlichen Neuregelung ist § 9 Absatz 7 des Lebenspartnerschaftsgesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Adoption des angenommenen Kindes des eingetragenen Lebenspartners möglich ist.

3) Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 1.Dezember 2009 - I-15 Wx 236/09 -, der Beschluss des Landgerichts Münster vom 16.März 2009 - 05 T 775/08 - und der Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 30.September 2008 - 105 XVI 5/08 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Münster zurückverwiesen.

4) Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

§§§

13.002 Bayerisches Kommunalabgabengesetz

  1. BVerfG,     B, 05.03.13,     – 1_BvR_2457/08 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.20 Abs.3; (By) KAG_§_13 Abs.1 Nr.4 Buchst.b

 

Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlangt Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.

* * *

Entscheidungsformel:

1) Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 775) ist mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) unvereinbar. Ersetzt der Gesetzgeber Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes nicht bis zum 1. April 2014 durch eine verfassungsgemäße Neuregelung, tritt Nichtigkeit der Vorschrift ein.

2) Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2008 - 20 ZB 08.903 - und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 28. Februar 2008 - M 10 K 06.2850 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird aufgehoben und die Sache an ihn zurückverwiesen.

3) Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

§§§

13.003 Festsetzung einer Missbrauchsgebühr

  1. BVerfG,     B, 19.03.13,     – 1_BvR_2635/12 –

  2. www.BVerfG.de

  3. BVerfGG_§_18 Abs.1 Nr.1, BVerfGG_§_18 Abs.1 Nr.2, BVerfGG_§_34 Abs.2, BVerfGG_§_93b, BVerfGG_§_93c, BVerfGG_§_93d Abs.1 S.2

 

1) Die Mitwirkung an einer unanfechtbaren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (hier: Festsetzung einer Missbrauchsgebühr) führt nicht zu einem gesetzlichen Mitwirkungsausschluss wegen richterlicher Vorbefassung, wenn die Entscheidung folglich unzulässig vor einem Fachgericht angefochten worden ist und gegen dessen Prozessentscheidung anschließend Verfassungsbeschwerde erhoben wird.

 

LB 2) Für stattgebende oder nichtannehmende Entscheidungen der Kammer statuiert das Gesetz deren Unanfechtbarkeit (§ 93d Abs.1 Satz 2 BVerfGG) und stellt damit klar, dass richterlicher Rechtsschutz gegen eine solche Entscheidung im Rahmen der nationalen Rechtsordnung nicht mehr gegeben ist.

 

LB 3) Die Regelung zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung der Kammer in § 93d Abs.1 Satz 2 BVerfGG bezieht sich ausdrücklich zwar nur auf ihre Nichtannahme- und Stattgabebefugnis nach §§ 93b, 93c BVerfGG. Da den Kammern aber auch die Missbrauchsgebührenkompetenz zukommt, die nach dem Wortlaut des § 34 Abs.2 BVerfGG uneingeschränkt für die Verfassungsbeschwerde gilt, erfasst die Unanfechtbarkeit auch den Ausspruch über die Missbrauchsgebühr.

* * *

Entscheidungsformel:

1) Die Richter Gaier und Paulus sowie die Richterin Britz sind von der Ausübung ihres Richteramtes in dieser Sache nicht ausgeschlossen.

2) Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

§§§

13.004 Verständigungsgesetz

  1. BVerfG,     U, 19.03.13,     – 1_BvR_2628/10 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.1 Abs.1, GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.20 Abs.3; StPO_§_244 Abs.2, StPO_§_257c, StPO_§_257c Abs.5

 

1) Das im Grundgesetz verankerte Schuldprinzip und die mit ihm verbundene Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit sowie der Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, die Unschuldsvermutung und die Neutralitätspflicht des Gerichts schließen es aus, die Handhabung der Wahrheitserforschung, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafzumessung zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen.

 

2) Verständigungen zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Hauptverhandlung, die dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine Strafobergrenze zusagen und eine Strafuntergrenze ankündigen, tragen das Risiko in sich, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in vollem Umfang beachtet werden. Gleichwohl ist es dem Gesetzgeber nicht schlechthin verwehrt, zur Verfahrensvereinfachung Verständigungen zuzulassen. Er muss jedoch zugleich durch hinreichende Vorkehrungen sicherstellen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen gewahrt bleiben. Die Wirksamkeit der vorgesehenen Schutzmechanismen hat der Gesetzgeber fortwährend zu überprüfen. Ergibt sich, dass sie unvollständig oder ungeeignet sind, hat er insoweit nachzubessern und erforderlichenfalls seine Entscheidung für die Zulässigkeit strafprozessualer Absprachen zu revidieren.

 

3) Das Verständigungsgesetz sichert die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in ausreichender Weise. Der in erheblichem Maße defizitäre Vollzug des Verständigungsgesetzes führt derzeit nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung.

 

4) Mit den Vorschriften des Verständigungsgesetzes hat die Zulassung von Verständigungen im Strafverfahren eine abschließende Regelung erfahren. Außerhalb des gesetzlichen Regelungskonzepts erfolgende sogenannte informelle Absprachen sind unzulässig.

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Entscheidungsformel:

I. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

II. 1. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8. Oktober 2010 - StR 443/10 - und das Urteil des Landgerichts München II vom 9. März 2010 - W5 KLs 70 Js 40038/07 - verletzen den Beschwerdeführer zu I. in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8. Oktober 2010 - 1 StR 443/10 - wird aufgehoben, soweit er den Beschwerdeführer zu I. betrifft. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu I. zurückgewiesen.

3. Die Bundesrepublik Deutschland und der Freistaat Bayern haben dem Beschwerdeführer zu I. seine notwendigen Auslagen jeweils zur Hälfte zu erstatten.

III. 1. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. November 2010 - 1 StR 469/10 - und das Urteil des Landgerichts München II vom 27. April 2010 - W5 KLs 63 Js 20750/08 - verletzen die Beschwerdeführer zu II. in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. November 2010 - 1 StR 469/10 - wird aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu II. zurückgewiesen.

3. Die Bundesrepublik Deutschland und der Freistaat Bayern haben den Beschwerdeführern zu II. ihre notwendigen Auslagen jeweils zur Hälfte zu erstatten.

IV. 1. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29. August 2011 - 5 StR 287/11 - und das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. März 2011 - (503) 2 St Js 1194/10 KLs (37/10) - verletzen den Beschwerdeführer zu III. in seinen Grundrechten aus Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben, soweit sie den Beschwerdeführer zu III. betreffen. In diesem Umfang wird die Sache an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.

2. Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Berlin haben dem Beschwerdeführer zu III. seine notwendigen Auslagen jeweils zur Hälfte zu erstatten.


§§§

13.005 Eingangskontrolle

  1. BVerfG,     B, 11.04.13,     – 2_BvR_722/13 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.2 Abs.1; BVerfGG_§_32 Abs.1

 

LB 1) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der sich dagegen richtet, dass Kopien von den bei der Eingangskontrolle (NSU-Verfahren) vorzulegenden Ausweispapieren gefertigt und vorübergehend aufbewahrt werden sollen, wird abgelehnt.

 

LB 2) Sofern die Verfassungsbeschwerde nicht bereits unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist, ergibt jedenfalls die anderenfalls vorzunehmende Abwägung (vgl BVerfGE_105,365 <370 f.> ; stRspr) eindeutig nicht das erforderliche deutliche Überwiegen der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Belange (vgl BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Februar 2012 - 2_BvR_228/12 -, juris, Rn.3), da der Eingriff, den die Beschwerdeführerin hinzunehmen hat, nicht von einem Gewicht ist, die die Belange des geordneten Sitzungsablaufs, von denen die gebotene hypothetische Betrachtung auszugehen hat (vgl BVerfG, a.a.O., Rn.4), deutlich überwiegt.

§§§

13.006 Akkreditierungsverfahren

  1. BVerfG,     B, 12.04.13,     – 1_BvR_990/13 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.5 Abs.1 S.2; BVerfGG_§_32 Abs.1

 

LB 1) die Entscheidung über die Zugänglichkeit zu Gerichtsverhandlungen, die Reservierung einer bestimmten Anzahl von Plätzen für Medienberichterstatter und auch die Verteilung knapper Sitzplätze an dieselben grundsätzlich eine Frage, die sich unter dem verfassungsrechtlichen Schutz der Unabhängigkeit der Gerichte zunächst nach einfachem Recht entscheidet und die der Prozessleitung des Vorsitzenden in dem jeweiligen Gerichtsverfahren obliegt (vgl.BVerfGE 103, 44 <61 ff.>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 30.Oktober 2002 - 1 BvR 1932/02 -, NJW 2003, S. 500).

 

LB 2) Dabei hat der Vorsitende einen weiten Entscheidungsspielraum.

 

LB 3) Das Bundesverfassungsgericht überprüft dessen Anordnungen nur dahingehend, ob sie Verfassungsrecht verletzen und insbesondere, ob sie auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen (vgl BVerfGE_18,85 <97 f.> ; stRspr). Sie müssen jedoch jedenfalls in Berücksichtigung des grundsätzlichen Anspruchs der Presse auf Zugang für eine freie Berichterstattung sachlich ausgestaltet sein und dem subjektiven Recht der Medienvertreter auf gleiche Teilhabe an den Berichterstattungsmöglichkeiten Rechnung tragen (vgl BVerfGE_80,124 <133 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. März 2008 - 1_BvR_282/01 -, NJW-RR 2008, S. 1069 <1071>).

 

LB 4) Danach ist zwar grundsätzlich auch der Rückgriff auf das Prioritätsprinzip möglich (vgl Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 30.Oktober 2002 - 1_BvR_1932/02 -, NJW 2003, S. 500). Allerdings bedarf auch dieses Prinzip einer Ausgestaltung, die die Chancengleichheit realitätsnah gewährleistet. Bei der verfahrensrechtlichen Umsetzung ist insoweit die tatsächliche Situation der vorhersehbar Interessierten hinreichend zu berücksichtigen.

 

LB 5) Nicht geklärt, aber auch nicht ausgeschlossen ist, ob in bestimmten Situationen eine Differenzierung zwischen verschiedenen Medienvertretern verfassungsrechtlich zulässig oder geboten ist (vgl Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 30.Oktober 2002 - 1_BvR_1932/02 -, NJW 2003, S.500 <501>).

 

LB 6) Ob die Beschwerdeführer danach durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren Grundrechten verletzt sind, bedarf einer näheren Prüfung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände und Bedingungen des in Frage stehenden Akkreditierungsverfahrens, die im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nicht möglich ist, sondern dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.

 

LB 7) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde weder als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl BVerfGE_71,158 <161>; BVerfGE_96,120 <128 f.>; BVerfGE_117,126 <135>; stRspr).

* * *

Entscheidungsformel:

1) Dem Vorsitzenden Richter des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts München wird im Strafverfahren gegen Beate Z. u.a. wegen § 129 StGB u.a., Az.: 6 St 3/12, aufgegeben, nach einem von ihm im Rahmen seiner Prozessleitungsbefugnis festzulegenden Verfahren eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten zu vergeben.

2) Der weitergehende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

3) Der Freistaat Bayern hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

§§§

13.007 Stuttgart 21

  1. BVerfG,     B, 17.04.13,     – 1_BvR_2614/12 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.14; BVerfGG_§_90, BVerfGG_§_32 Abs.1

 

LB 1) Der verfassungsrechtlich garantierte Schutz des Eigentums verbietet es trotz Rechtskraft eines Urteils über die Klage gegen einen Planfeststellungsbeschluss, der enteignungsrechtliche Vorwirkung entfaltet, eine Enteignung zur Verwirklichung des mit dem Planfeststellungsbeschluss zugelassenen Vorhabens anzuordnen, wenn feststeht, dass diese Enteignung aufgrund nachträglich eingetretener Änderungen der Sach- oder Rechtslage nicht mehr dem Gemeinwohl dienen würde.

 

LB 2) Von Verfassungs wegen ist nicht zu beanstanden, dass der Verwaltungsgerichtshof die begehrte Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses nur nach Maßgabe der in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Überwindung rechtskräftig bestätigter Planfeststellungsbeschlüsse zulässt.

 

LB 3) Ob die Voraussetzungen für eine solche Aufhebung im konkreten Fall vorlagen, ist in erster Linie eine Frage der Würdigung des Sachverhalts und der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts, die nur in engen Grenzen verfassungsgerichtlicher Kontrolle zugänglich sind.

 

LB 4) Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Hiermit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

§§§

13.008 Zypern-Hilfe

  1. BVerfG,     B, 17.04.13,     – 2_BvQ_17/13 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.23 Abs.2 S.2, GG_Art.38 Abs.1 S.1, GG_Art.20 Abs.1, GG_Art.79 Abs.3; BVerfGG_§_93d BVerfGG_§_32 Abs.1, Abs.2

 

LB 1) Die Prüfung, ob der Deutsche Bundestag auf einer vollständigen und zutreffenden Tatsachengrundlage entscheidet, oder welche Qualität die ihm von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten Informationen haben, liefe dagegen auf eine inhaltliche Kontrolle des demokratischen Prozesses hinaus, die Art.38 Abs.1 Satz 1 GG gerade nicht ermöglicht.

 

LB 2) Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung in und über Angelegenheiten der Europäischen Union ist vor allem Art.23 Abs.2 Satz 2 GG (vgl BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 19.Juni 2012 - 2_BvE_4/11 -, NVwZ 2012, S.954 <956>, Rn. 90). Dessen Verletzung kann indes nicht mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden, was schon daraus folgt, dass die Vorschrift nicht in Art.93 Abs.1 Nr.4a GG, § 13 Nr.8a, § 90 Abs.1 BVerfGG aufgeführt ist (vgl Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Bd.6, Art.23 Rn.228 ).

 

PM_3) Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat heute einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit dem die Antragsteller im Wesentlichen die für den 18. April 2013 vorgesehene Beschlussfassung des Deutschen Bundestages über die "Zypern-Hilfe" verhindern wollen.

§§§

13.008 Zypern-Hilfe

  1. BVerfG,     B, 17.04.13,     – 2_BvQ_17/13 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.23 Abs.2 S.2, GG_Art.38 Abs.1 S.1, GG_Art.20 Abs.1, GG_Art.79 Abs.3; BVerfGG_§_93d BVerfGG_§_32 Abs.1, Abs.2

 

LB 2) Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung in und über Angelegenheiten der Europäischen Union ist vor allem Art.23 Abs.2 Satz 2 GG (vgl BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 19.Juni 2012 - 2_BvE_4/11 -, NVwZ 2012, S.954 <956>, Rn. 90). Dessen Verletzung kann indes nicht mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden, was schon daraus folgt, dass die Vorschrift nicht in Art.93 Abs.1 Nr.4a GG, § 13 Nr.8a, § 90 Abs.1 BVerfGG aufgeführt ist (vgl Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Bd.6, Art.23 Rn.228 ).

§§§

13.009 Videoübertragung

  1. BVerfG,     B, 24.04.13,     – 2_BvR_872/13 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.20; BVerfGE_§_23 Abs.1, BVerfGG_§_92

 

LB 1) § 23 Abs.1 Satz 2, § 92 BVerfGG enthalten Mindestanforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde. Der Beschwerdeführer muss eine Grundrechtsverletzung durch Bezeichnung des angeblich verletzten Rechts und des die Verletzung enthaltenden Vorgangs substantiiert und schlüssig vortragen. Dabei hat er darzulegen, inwieweit er sich durch die angegriffene Maßnahme in dem bezeichneten Grundrecht selbst, unmittelbar und gegenwärtig verletzt sieht (vgl BVerfGE_89,155 <171>; BVerfGE_99,84 <87>; BVerfGE_123,267 <329>).

 

LB 2) Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht. Die Beschwerdeführer berufen sich allein auf Art.20 GG (Rechtsstaats- und Demokratieprinzip), ohne eine Verletzung in eigenen Grundrechten darzulegen. Sie machen nicht geltend, selbst an einer Teilnahme an der Hauptverhandlung gehindert zu sein, sondern argumentieren ausschließlich mit dem öffentlichen Informationsinteresse und machen sich damit zu Sachwaltern der Allgemeinheit. Eine Beschwerdebefugnis im Sinne des § 90 Abs.1 BVerfGG ist weder dargetan noch ersichtlich.

 

LB 3) Mit der beantragte Videoübertragung in einen zusätzlichen Sitzungssaal macht der Antragsteller sich zum Sachwalter der Allgemeinheit, was ihm nicht zusteht.

§§§

13.010 Antiterrordatei

  1. BVerfG,     U, 24.04.13,     – 1_BvR_1215/07 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.10 Abs.1, GG_Art.13 Abs.1, GG_Art.20 Abs.3; ATDG_§_1 Abs.2, ATDG_§_2 Buchst.b, ATDGNr.1 _§_2 Nr.3, ATDG_§_3 Abs.1 Nr.1b, ATDG_§_5 Abs.1 Nr.1a, ATDG_§_10 Abs.1

 

1) Die Errichtung der Antiterrordatei als Verbunddatei verschiedener Sicherheitsbehörden zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, die im Kern auf die Informationsanbahnung beschränkt ist und eine Nutzung der Daten zur operativen Aufgabenwahrnehmung nur in dringenden Ausnahmefällen vorsieht, ist in ihren Grundstrukturen mit der Verfassung vereinbar.

 

2) Regelungen, die den Austausch von Daten der Polizeibehörden und Nachrichtendienste ermöglichen, unterliegen hinsichtlich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung gesteigerten verfassungsrechtlichen Anforderungen. Aus den Grundrechten folgt ein informationelles Trennungsprinzip, das diesen Austausch nur ausnahmsweise zulässt.

 

3) Eine Verbunddatei zwischen Sicherheitsbehörden wie die Antiterrordatei bedarf hinsichtlich der zu erfassenden Daten und ihrer Nutzungsmöglichkeiten einer hinreichend bestimmten und dem Übermaßverbot entsprechenden gesetzlichen Ausgestaltung. Das Antiterrordateigesetz genügt dem nicht vollständig, nämlich hinsichtlich der Bestimmung der beteiligten Behörden, der Reichweite der als terrorismusnah erfassten Personen, der Einbeziehung von Kontaktpersonen, der Nutzung von verdeckt bereitgestellten erweiterten Grunddaten, der Konkretisierungsbefugnis der Sicherheitsbehörden für die zu speichernden Daten und der Gewährleistung einer wirksamen Aufsicht.

 

4) Die uneingeschränkte Einbeziehung von Daten in die Antiterrordatei, die durch Eingriffe in das Brief- und Fernmeldegeheimnis und das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung erhoben wurden, verletzt Art.10 Abs.1 und Art.13 Abs.1 GG.

* * *

Entscheidungsformel:

1) a) § 1 Absatz 2 und § 2 Satz 1 Nummer 3 des Gesetzes zur Errichtung einer standardisierten zentralen Antiterrordatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern (Antiterrordateigesetz) vom 22. Dezember 2006 (Bundesgesetzblatt l Seite 3409) sind mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar.

b) § 2 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b hinsichtlich des Unterstützens einer unterstützenden Gruppierung und § 2 Satz 1 Nummer 2 des Antiterrordateigesetzes hinsichtlich des Merkmals "Befürworten" sind mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar.

c) § 5 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 a des Antiterrordateigesetzes ist mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes insoweit unvereinbar, als bei Recherchen in den erweiterten Grunddaten im Trefferfall Zugriff auf Informationen gemäß § 3 Absatz 1 Nummer 1 a des Antiterrordateigesetzes eröffnet wird.

d) § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 b und § 10 Absatz 1 des Antiterrordateigesetzes sind, soweit es an ergänzenden Regelungen nach Maßgabe der Gründe fehlt, mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar.

e) § 2 Satz 1 Nummer 2 und § 10 Absatz 1 des Antiterrordateigesetzes sind im Übrigen nach Maßgabe der Gründe verfassungskonform auszulegen.

2) § 2 Satz 1 Nummern 1 bis 3, § 3 Absatz 1 Nummer 1, § 5 Absatz 1 und 2 sowie § 6 Absatz 1 und 2 des Antiterrordateigesetzes sind mit Artikel 10 Absatz 1 und Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit sie sich auf nicht gemäß § 4 des Antiterrordateigesetzes verdeckt gespeicherte Daten erstrecken, die aus Eingriffen in das Telekommunikationsgeheimnis und das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung herrühren.

3) Bis zu einer Neuregelung, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2014 gelten die für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärten Vorschriften mit der Maßgabe fort, dass außerhalb des Eilfalls gemäß § 5 Absatz 2 des Antiterrordateigesetzes eine Nutzung der Antiterrordatei nur zulässig ist, sofern der Zugriff auf die Daten von Kontaktpersonen (§ 2 Satz 1 Nummer 3 des Antiterrordateigesetzes) und auf Daten, die aus Eingriffen in das Telekommunikationsgeheimnis und das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung herrühren, ausgeschlossen und gewährleistet ist, dass bei Recherchen in den erweiterten Grunddaten im Trefferfall allein ein Zugang zu Informationen gemäß § 3 Absatz 1 Nummer 3 des Antiterrordateigesetzes gewährt wird; sobald danach die Möglichkeit des Zugriffs auf die Daten von Kontaktpersonen und auf Daten, die aus Eingriffen in das Telekommunikationsgeheimnis und das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung herrühren, ausgeschlossen ist, dürfen diese auch für die Nutzung der Datei im Eilfall gemäß § 5 Absatz 2 des Antiterrordateigesetzes nicht mehr genutzt werden.

4) Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

5) Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen aus dem Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

§§§

13.011 Ehegattensplitting-Lebenspartner

  1. BVerfG,     B, 07.05.13,     – 2_BvR_909/06 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.3 Abs.1; EStG_§_26, EStG_§_26b, EStG_§_32a Abs.5

 

Die Ungleichbehandlung von Verheirateten und eingetragenen Lebenspartnern in den Vorschriften der §§ 26, 26b, 32a Abs.5 EStG zum Ehegattensplitting ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG nicht vereinbar. EF1> Entscheidungsformel:

§§§

13.012 Bremisches Studienkontengesetz

  1. BVerfG,     B, 08.05.13,     – 1_BvL_1/08 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.12 Abs.1, GG_Art.20 Abs.1, GG_Art.28 Abs.1 S.1

 

1) Allgemeine Studiengebühren sind mit dem Teilhaberecht auf Zulassung zum Hochschulstudium aus Art.12 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG und dem Sozialstaatsprinzip der Art.20 Abs.1, Art.28 Abs.1 Satz 1 GG vereinbar, solange sie nicht prohibitiv wirken und sozial verträglich ausgestaltet sind.

 

2) Die Bremische Landesregelung, die bei der Auferlegung von Studiengebühren nach der Wohnung zugunsten von Landeskindern unterscheidet, verstößt gegen Art.12 Abs.1 GG in Verbindung mit Art.3 Abs.1 GG, weil sie den danach notwendigen freien und gleichen Hochschulzugang in einem bundesweit zusammenhängenden System ohne hinreichenden Sachgrund beeinträchtigt.

* * *

Entscheidungsformel:

§ 6 Satz 1 des Bremischen Studienkontengesetzes vom 18. Oktober 2005 - BremStKG - (Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen Seite 550) in Verbindung mit § 3 Absatz 1 und § 2 Absatz 1 BremStKG, soweit Studierende mit Wohnung außerhalb der Freien Hansestadt Bremen vom dritten bis zum 14. Semester zu einer Studiengebühr in Höhe von 500 pro Semester herangezogen wurden, ist mit Artikel 12 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

§§§

13.013 Therapieunterbringungsgesetz

  1. BVerfG,     B, 11.07.13,     – 2_BvR_2302/11 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.2 Abs.2 S.2, GG_Art.20 Abs.3; ThUG_§_1 Abs.1

 

Zur Verfassungsmäßigkeit des Therapieunterbringungsgesetzes.

* * *

Entscheidungsformel:

1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2. a) Der Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 30. September 2011 - 5 W 212/11-94 - und der Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 2. September 2011 - 5 O 59/11 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.

3. b) Der Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 14. Mai 2012 - 5 W 44/12-22 - und der Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Februar 2012 - 5 O 59/11 Th - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. § 1 Absatz 1 des Therapieunterbringungsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (Bundesgesetzblatt I Seite 2300) ist mit der Maßgabe mit dem Grundgesetz vereinbar, dass die Unterbringung oder deren Fortdauer nur angeordnet werden darf, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist.

4. Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.

5. Das Saarland hat dem Beschwerdeführer zwei Drittel seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.

§§§

13.014 Rüge einer Gehörsverletzung

  1. BVerfG,     B, 16.07.13,     – 1_BvR_3057/11 –

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  3. GG_Art.19 Abs.4, GG_Art.103 Abs.1

 

1) Wird die Rüge einer Gehörsverletzung weder ausdrücklich noch der Sache nach zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde gemacht oder wird die zunächst wirksam im Verfassungsbeschwerdeverfahren erhobene Rüge einer Gehörsverletzung wieder zurückgenommen, hängt die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Rechtswegerschöpfung nicht von der vorherigen Durchführung eines fachgerichtlichen Anhörungsrügeverfahrens ab.

 

2) Aus Gründen der Subsidiarität müssen Beschwerdeführer allerdings zur Vermeidung der Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde, bei der sie sich nicht auf eine Verletzung des Art.103 Abs.1 GG berufen, eine Anhörungsrüge oder den sonst gegen eine Gehörsverletzung gegebenen Rechtsbehelf ergreifen, wenn den Umständen nach ein Gehörsverstoß durch die Fachgerichte nahe liegt und zu erwarten wäre, dass vernünftige Verfahrensbeteiligte mit Rücksicht auf die geltend gemachte Beschwer bereits im gerichtlichen Verfahren einen entsprechenden Rechtsbehelf ergreifen würden.

* * *

Entscheidungsformel:

Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. November 2011 - 13 LA 81/11 - verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Das Land Niedersachsen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 30.000 (in Worten: dreißigtausend Euro) festgesetzt.

§§§

13.015 Beobachtung eines Abgeordneten

  1. BVerfG,     B, 17.09.13,     – 2_BvR_2436/10 –

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  3. GG_Art.38 Abs.1 S.2; BVerfSchG_§_8 Abs.1 S.1, BVerfSchG_§_3 Abs.1 Nr.1, BVerfSchG_§_4 Abs.1 S.1 Buchst.c

 

1) Art.38 Abs.1 Satz 2 GG gewährleistet eine von staatlicher Beeinflussung freie Kommunikationsbeziehung zwischen dem Abgeordneten und den Wählerinnen und Wählern sowie die Freiheit des Abgeordneten von exekutiver Beobachtung, Beaufsichtigung und Kontrolle.

 

2) In der Beobachtung eines Abgeordneten durch Behörden des Verfassungsschutzes liegt ein Eingriff in das freie Mandat gemäß Art.38 Abs.1 Satz 2 GG, der im Einzelfall zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerechtfertigt sein kann. Dieser Eingriff unterliegt strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen und bedarf einer Rechtsgrundlage, die den Grundsätzen des Gesetzesvorbehalts genügt.

 

3) Die im Jahr 1990 mit dem Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) (BGBl I S.2954 <2970>) geschaffenen § 8 Abs.1 Satz 1 und § 3 Abs.1 Nr.1 in Verbindung mit § 4 Abs.1 Satz 1 Buchstabe c BVerfSchG stellen eine dem Vorbehalt des Gesetzes genügende Rechtsgrundlage für die Beobachtung von Mitgliedern des Deutschen Bundestages dar, auch wenn darin nicht ausdrücklich auf die Rechte der Abgeordneten aus Art.38 Abs.1 Satz 2 GG Bezug genommen wird.

* * *

Entscheidungsformel:

1) Die Verfahren werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

2) Die Anträge im Organstreitverfahren werden verworfen.

3) Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juli 2010 - BVerwG 6 C 22.09 - verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 und Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 28 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen.

4) Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die im Verfassungsbeschwerdeverfahren notwendigen Auslagen zu erstatten.

§§§

13.016 Werknutzung

  1. BVerfG,     B, 23.10.13,     – 1_BvR_1842/11 –

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  3. GG_Art.12 Abs.1

 

1) Der Gesetzgeber darf die durch Art.12 Abs.1 GG geschützte Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen einzelvertraglich zu vereinbaren, durch zwingendes Gesetzesrecht begrenzen, um sozialen oder wirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwirken.

 

2) Eine Regelung im Urheberrecht, die einen Anspruch auf gerichtliche Kontrolle der Angemessenheit vertraglich vereinbarter Vergütungen für die Werknutzung gewährt, ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

§§§

13.017 Durchgeknallte Frau

  1. BVerfG,     B, 11.12.13,     – 1_BvR_194/13 –

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  3. GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.1 Abs.1

 

LB 1) Die Bezeichnung als "durchgeknallte Frau" kann eine ehrverletzende Äußerung sein, die nicht mehr vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist.

 

LB 2) Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen.

 

LB 3) Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht und von den erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt.

 

LB 4) Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine tragfähige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12.Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 -, NJW 2009, S.3016 m.w.N.).

* * *

Entscheidungsformel:

Das Endurteil des Oberlandesgerichts München vom 23. Oktober 2012 - 18 U 2334/12 Pre - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit das Oberlandesgericht die Klage der Beschwerdeführerin auf Unterlassung der Äußerung, die Beschwerdeführerin sei eine "durchgeknallte Frau", abwies.

Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ein Drittel ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

§§§

13.018 Behördliche Vaterschaftsanfechtung

  1. BVerfG,     B, 17.12.13,     – 1_BvL_6/10 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.6 Abs.2 S.1, GG_Art.16 Abs.1 S.1, GG_Art.16 Abs.1 S.2; BGB_§_1600 Abs.1 Nr.5

 

1) Die Regelung der behördlichen Vaterschaftsanfechtung (§ 1600 Abs.1 Nr.5 BGB) ist als absolut verbotene Entziehung der Staatsangehörigkeit anzusehen (Art.16 Abs.1 Satz 1 GG), weil der mit der Behördenanfechtung verbundene Wegfall der Staatsangehörigkeit durch die Betroffenen teils gar nicht, teils nicht in zumutbarer Weise beeinflussbar ist.

 

2) Die Regelung genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen sonstigen Verlust der Staatsangehörigkeit (Art.16 Abs.1 Satz 2 GG), weil sie keine Möglichkeit bietet, zu berücksichtigen, ob das Kind staatenlos wird, und weil es an einer dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts genügenden Regelung des Staatsangehörigkeitsverlusts sowie an einer angemessenen Fristen- und Altersregelung fehlt.

 

3) Verfassungsrechtliche Elternschaft (Art.6 Abs.2 Satz 1 GG) besteht bei einer durch Anerkennung begründeten rechtlichen Vaterschaft auch dann, wenn der Anerkennende weder der biologische Vater des Kindes ist noch eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind begründet hat. Allerdings hängt die Intensität des verfassungsrechtlichen Schutzes davon ab, ob die rechtliche Vaterschaft auch sozial gelebt wird.

* * *

Entscheidungsformel:

§ 1600 Absatz 1 Nummer 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 13. März 2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 313) und Artikel 229 § 16 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 13. März 2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 313) verstoßen gegen Artikel 16 Absatz 1, gegen Artikel 6 Absatz 2 Satz 1, gegen Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 und gegen Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes und sind nichtig.

§§§

13.019 Gemeinwohlziel

  1. BVerfG,     U, 17.12.13,     – 1_BvR_3139/08 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.14 Abs.3, GG_Art.19 Abs.4

 

1) Nach Art.14 Abs.3 GG kann eine Enteignung nur durch ein hinreichend gewichtiges Gemeinwohlziel gerechtfertigt werden, dessen Bestimmung dem parlamentarischen Gesetzgeber aufgegeben ist. Das Gesetz muss hinreichend bestimmt regeln, zu welchem Zweck, unter welchen Voraussetzungen und für welche Vorhaben enteignet werden darf. Allein die Ermächtigung zur Enteignung für "ein dem Wohl der Allgemeinheit dienendes Vorhaben" genügt dem nicht.

 

2) Dient eine Enteignung einem Vorhaben, das ein Gemeinwohlziel im Sinne des Art.14 Abs.3 Satz 1 GG fördern soll, muss das enteignete Gut unverzichtbar für die Verwirklichung dieses Vorhabens sein. Das Vorhaben ist erforderlich im Sinne des Art.14 Abs.3 GG, wenn es zum Wohl der Allgemeinheit vernünftigerweise geboten ist, indem es einen substantiellen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohlziels leistet.

 

3) Eine Enteignung erfordert eine Gesamtabwägung zwischen den für das konkrete Vorhaben sprechenden Gemeinwohlbelangen einerseits und den durch seine Verwirklichung beeinträchtigten öffentlichen und privaten Belangen andererseits.

 

4) Der Garantie effektiven Rechtsschutzes gegen Verletzungen der Eigentumsgarantie wird nur genügt, wenn Rechtsschutz gegen einen Eigentumsentzug so rechtzeitig eröffnet wird, dass im Hinblick auf Vorfestlegungen oder den tatsächlichen Vollzug des die Enteignung erfordernden Vorhabens eine grundsätzlich ergebnisoffene Überprüfung aller Enteignungsvoraussetzungen realistisch erwartet werden kann.

 

5) Das Grundrecht auf Freizügigkeit berechtigt nicht dazu, an Orten im Bundesgebiet Aufenthalt zu nehmen und zu verbleiben, an denen Regelungen zur Bodenordnung oder Bodennutzung einem Daueraufenthalt entgegenstehen, sofern sie allgemein gelten und nicht gezielt die Freizügigkeit bestimmter Personen oder Personengruppen einschränken sollen.

 

6) Art.14 GG schützt den Bestand des konkreten (Wohn-)Eigentums auch in dessen gewachsenen Bezügen in sozialer Hinsicht, soweit sie an örtlich verfestigten Eigentumspositionen anknüpfen. Art.14 GG vermittelt den von großflächigen Umsiedlungsmaßnahmen in ihrem Eigentum Betroffenen einen Anspruch darauf, dass bei der Gesamtabwägung das konkrete Ausmaß der Umsiedlungen und die mit ihnen für die verschiedenen Betroffenen verbundenen Belastungen berücksichtigt werden.

* * *

Entscheidungsformel:

1) Die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 3139/08 wird zurückgewiesen.

2) Der Grundabtretungsbeschluss der Bezirksregierung Arnsberg vom 9.Juni 2005 - 81.04.2 r 204-1-1 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 6. Juni 2006 - 3 K 3061/05 -, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21.Dezember 2007 - 11 A 3051/06 - und der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Oktober 2008 - BVerwG 7 B 21.08 - verletzen den Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 3386/08 in seinen Grundrechten aus Artikel 14 Absatz 1 Satz 1 und Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.

3) Dem Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 3386/08 haben das Land Nordrhein-Westfalen drei Viertel und die Bundesrepublik Deutschland ein Viertel seiner notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

§§§

13.020 Rückwirkende Rechtsetzung

  1. BVerfG,     B, 17.12.13,     – 1_BvL_5/08 –

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  3. GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.1 Abs.1; KAGG_§_43 Abs.18

 

1) Den Inhalt geltenden Rechts kann der Gesetzgeber mit Wirkung für die Vergangenheit nur in den verfassungsrechtlichen Grenzen für eine rückwirkende Rechtsetzung feststellen oder klarstellend präzisieren.

 

2) Eine nachträgliche, klärende Feststellung des geltenden Rechts durch den Gesetzgeber ist grundsätzlich als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn dadurch eine in der Fachgerichtsbarkeit offene Auslegungsfrage entschieden wird oder eine davon abweichende Auslegung ausgeschlossen werden soll.

* * *

Entscheidungsformel:

§ 43 Absatz 18 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften verstößt gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes aus Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes und ist nichtig, soweit danach § 40a Absatz 1 Satz 2 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften auf Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, rückwirkend bereits in den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 anzuwenden ist.

§§§

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§§§

















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