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14.001 Fehlender Aufsichtsratsbericht

  1. BVerfG,     B, 09.01.14,     – 1_BvR_299/13 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.103 Abs.2, GG_Art.19 Abs.3; HGB_§_335

  4. Kapitalgesellschaft / Aufsichtsratsbildung / Ordnungsgeld / Veröffentlichung Jahresabschluss

 

Verstößt eine Kapitalgesellschaft gegen ihre Pflicht, einen Aufsichtsrat zu bilden, darf gegen sie nicht deswegen ein Ordnungsgeld verhängt werden, weil sie aufgrund des fehlenden Aufsichtsratsberichts ihre Pflicht zur Veröffentlichung des Jahresabschlusses verletzt habe.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1) Der Beschluss des Landgerichts Bonn vom 25. Oktober 2012 - 32 T 892/12 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Bonn zurückverwiesen.

2) Damit wird der Beschluss des Landgerichts Bonn vom 20. Dezember 2012 - 32 T 892/12 - gegenstandslos.

3) Das Land Nordrhein-Westfalen hat die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin zu erstatten.

4) Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

§§§

14.002 Rechts-+ Patentanwaltsgesellschaft

  1. BVerfG,     B, 14.01.14,     – 1_BvR_2998/11 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.12 Abs.1; BRAO_§_59e Abs.2, BRAO_§_59f Abs.2; PAO_§_52e Abs.2, PAO_§_52f Abs.1

  4. GmbH / Berufsausübung / Rechts- + Patentanwälten / Stimmrechtsmehrheit / Leitungsmacht / Geschäftsführermehrheit / Vorgesellschaft.

 

1) Bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zum Zweck der gemeinsamen Berufsausübung von Rechts- und Patentanwälten verletzen Regelungen das Grundrecht der Berufsfreiheit, soweit sie zugunsten einer der beteiligten Berufsgruppen deren Anteils- und Stimmrechtsmehrheit (hier: § 59e Abs.2 Satz 1 BRAO und § 52e Abs.2 Satz 1 PAO) sowie deren Leitungsmacht (hier: § 59f Abs.1 Satz 1 BRAO und § 52f Abs.1 Satz 1 PAO) und Geschäftsführermehrheit (hier: § 59f Abs.1 Satz 2 BRAO) vorschreiben und bei einer Missachtung eine Zulassung als Rechtsanwalts- oder Patentanwaltsgesellschaft ausschließen.

 

2) Eine Vorgesellschaft kann den Schutz der Berufsfreiheit für sich jedenfalls insoweit in Anspruch nehmen, als ihre Funktion als notwendige Vorstufe für die erstrebte Kapitalgesellschaft dies erfordert.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1) a) § 59e Absatz 2 Satz 1 und § 59f Absatz 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 303-8 veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.Oktober 2013 (Bundesgesetzblatt I Seite 3786), sind mit Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig, soweit sie der Zulassung einer Berufsausübungsgesellschaft von Rechts- und Patentanwälten als Rechtsanwaltsgesellschaft entgegenstehen, wenn nicht die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte sowie die verantwortliche Führung der Gesellschaft und die Mehrheit der Geschäftsführer den Rechtsanwälten überlassen sind.

b) Der Bescheid der Rechtsanwaltskammer München vom 14. September 2009 - Zul. 50151 -, das Endurteil des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs vom 25. Februar 2010 - BayAGH I - 25/2009 - und das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Oktober 2011 - AnwZ (Brfg) 1/10 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Oktober 2011 - AnwZ (Brfg) 1/10 - wird aufgehoben. Das Verfahren wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

2) a) § 52e Absatz 2 Satz 1 und § 52f Absatz 1 Satz 1 der Patentanwaltsordnung (PAO) vom 7. September 1966 (Bundesgesetzblatt I Seite 557), zuletzt geändert durch Artikel 5 Absatz 13 des Gesetzes zur Modernisierung des Geschmacksmustergesetzes sowie zur Änderung der Regelungen über die Bekanntmachungen zum Ausstellungsschutz vom 10. Oktober 2013 (Bundesgesetzblatt I Seite 3799), sind mit Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig, soweit sie der Zulassung einer Berufsausübungsgesellschaft von Rechts- und Patentanwälten als Patentanwaltsgesellschaft entgegenstehen, wenn nicht die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte sowie die verantwortliche Führung der Gesellschaft den Patentanwälten überlassen sind.

b) Das Gutachten der Patentanwaltskammer vom 20.Juli 2009 - IV/06/09 - und der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14. Dezember 2011 - PatAnwZ 1/10 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit diese Entscheidungen die unter Nummer 4 und Nummer 5 des Gutachtens festgestellten Gründe für die Versagung der Zulassung als Patentanwaltsgesellschaft betreffen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 22. Februar 2010 - PatA - Z - 2/09 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit diese Entscheidung den unter Nummer 4 des Gutachtens der Patentanwaltskammer festgestellten Grund für die Versagung der Zulassung als Patentanwaltsgesellschaft betrifft. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14.Dezember 2011 - PatAnwZ 1/10 - wird aufgehoben, soweit er das Vorliegen der unter Nummer 4 und Nummer 5 des Gutachtens der Patentanwaltskammer aufgeführten Versagungsgründe feststellt. Im Umfang der Aufhebung wird das Verfahren an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

c) Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 236/12 verworfen.

3) Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin die ihr im Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 2998/11 entstandenen und zwei Drittel der ihr im Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 236/12 entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

4) Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für die Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf jeweils 30.000 (in Worten: dreißigtausend Euro) festgesetzt.

§§§

14.003 Zweitwohnungsteuer

  1. BVerfG,     B, 15.01.14,     – 1_BvR_1656/09 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.3 Abs.1

  4. Zweitwohnungssteuertarif - degressiver / Gleichbehandlungsgrundsatz / wirtschaftliche Leistungsfähigkeit / Verfassungsbeschwerde - Einlegung / Sorgfaltspflicht.

 

1) Ein degressiver Zweitwohnungsteuertarif verletzt das Grundrecht auf Gleichbehandlung des Art.3 Abs.1 GG in seiner Ausprägung als Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, wenn dies nicht durch hinreichend gewichtige sachliche Gründe gerechtfertigt ist.

 

2) Bei Einlegung von Verfassungsbeschwerden hat regelmäßig die erforderliche Sorgfalt erfüllt, wer einen über die zu erwartende Übermittlungsdauer der zu faxenden Schriftsätze samt Anlagen hinausgehenden Sicherheitszuschlag von 20 Minuten einkalkuliert. Dieser Sicherheitszuschlag gilt auch für die Faxübersendung nach Wochenenden oder gesetzlichen Feiertagen.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1) Dem Beschwerdeführer wird wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

2) § 4 Absatz 1 der Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer in der Stadt Konstanz vom 22. März 1984 in der Fassung der Änderungssatzung vom 23. Februar 1989 und in der Fassung der Änderungssatzungen vom 23. Februar 1989 und 26. September 2002 sowie § 4 Absatz 1 der Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer in der Stadt Konstanz vom 26. Oktober 2006 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes und sind nichtig.

3) Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 12. Mai 2009 - 2 S 3342/08 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11. November 2008 - 3 K 1622/07 -, der Widerspruchsbescheid der Stadt Konstanz vom 3. Juli 2007 - 5.02229.002887.1 ZwWIRöß 27K Rie/hz -, der Zweitwohnungsteuer-Änderungsbescheid der Stadt Konstanz vom 20. März 2007 - 5.0229.002887.1 -, der Zweitwohnungsteuer-Änderungsbescheid der Stadt Konstanz vom 12. Februar 2007 - 5.0229.002887.1 - und der Zweitwohnungsteuerbescheid der Stadt Konstanz vom 18. Dezember 2006 - 5.0229.002887.1 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zur Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.

4) Die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers haben die Stadt Konstanz zu zwei Dritteln und das Land Baden-Württemberg zu einem Drittel zu erstatten.

5) Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 30.000 (in Worten: dreißigtausend Euro) festgesetzt.

§§§

14.004 Unterbringungsanordnung

  1. BVerfG,     B, 22.01.14,     – 2_BvR_1100/12 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.2 Abs.2 S.2, GG_Art.20 Abs.3

  4. Therapieunterbringungsgesetz / Vereinbarkeit-GG / verfassungskonforme Auslegung.

 

LB 1) Mit Beschluss vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2301/11 und 2 BvR 1279/12 - hatte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass das Therapieunterbringungsgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist, jedoch verfassungskonform ausgelegt werden muss.

 

LB 2) Die Unterbringung darf nur dann angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist.

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Beschluss

Entscheidungsformel:

1) Der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 26. März 2011 - 15 W 407/12 Th - und die Beschlüsse des Landgerichts Regensburg vom 18. Februar 2012 und vom 3. Februar 2012 - 7 AR 4/11 ThUG - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers an das Oberlandesgericht Nürnberg zurückverwiesen.

2) Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

3) Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer zwei Drittel seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.

4) Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 120.000,00 (in Worten: einhundertzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

§§§

14.005 Recht der Wirtschaft

  1. BVerfG,     U, 28.01.14,     – 2_BvR_1561/12 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.74 Abs.1 Nr.11

  4. Gesetzgebungskompetenz-Bund / Recht der Wirtschaft / kulturelle Zwecke.

 

1) Der Inanspruchnahme der Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art.74 Abs.1 Nr.11 GG (Recht der Wirtschaft) steht es nicht entgegen, wenn der Gesetzgeber mit wirtschaftsbezogenen Regelungen zugleich kulturelle Zwecke verfolgt.

 

2) Der Gesetzgeber ist grundsätzlich gehalten, von der Belastung mit einer Sonderabgabe nicht Gruppen auszuschließen, obwohl diese zum Sachzweck der Abgabe in gleicher oder noch größerer Nähe stehen als die Abgabebelasteten. Daraus folgt jedoch nicht ohne Weiteres eine Pflicht, bei mehrstufigen Marktverhältnissen mit der Belastung durch eine Sonderabgabe auf jeder einzelnen Marktstufe zuzugreifen.

* * *

Urteil

Entscheidungsformel:

1) Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2) Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.

§§§

14.006 Äußerungsbefugnis des Bundespräsidenten

  1. BVerfG,     U, 10.02.14,     – 2_BvE_4/13 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.21 Abs.1 S.1, GG_§_38 Abs.1 S.1

  4. Bundespräsident / Äußerungsbefugnis / politische Parteien

 

Zur Äußerungsbefugnis des Bundespräsidenten in Bezug auf politische Parteien.

§§§

14.007 Vergnügnungssteuergesetz

  1. BVerfG,     B, 12.02.14,     – 1_BvL_11/10 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.3 Abs.1; (Br) VgnStG_§_3 Abs.1, (SL) VgnStG_§_14 Abs.1;

  4. Vergnügungssteuergesetz / Spiele mit Gewinnmöglichkeit / Vereinbarkeit / Gleichheitsgrundsatz.

 

LB 1) § 3 Abs.1 Bremisches Vergnügungsteuergesetzes ist soweit es sich auf Spiel- und Unterhaltungsautomaten mit Gewinnmöglichkeit bezieht mit Artikel 3 Absatz 1 GG unvereinbar.

 

LB 2) § 14 Absatz 1 Saarländisches Vergnügungsteuergesetzes ist - soweit er sich auf Apparate mit Gewinnmöglichkeit bezieht - mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar.

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Beschluss

Entscheidungsformel:

1) § 3 Absatz 1 Bremisches Vergnügungsteuergesetz vom 14. Dezember 1990 (Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen Seite 467) in der Fassung der Änderung durch das Gesetz zur Änderung des Vergnügungsteuergesetzes vom 21. November 2006 (Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen Seite 470) ist - soweit er sich auf Spiel- und Unterhaltungsautomaten mit Gewinnmöglichkeit bezieht - mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar. Die Vorschrift bleibt bis zum 31. Dezember 2005 weiter anwendbar.

2) § 14 Absatz 1 Saarländisches Vergnügungsteuergesetz vom 19. Juni 1984 in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. April 1993 (Amtsblatt des Saarlandes Seite 496) und der Änderung durch Artikel 4 Absatz 56 des Gesetzes Nummer 1484 zur Anpassung des Landesrechts an die Einführung des Euro und zur Änderung von Rechtsvorschriften vom 7. November 2001 (Amtsblatt des Saarlandes Seite 2158) ist - soweit er sich auf Apparate mit Gewinnmöglichkeit bezieht - mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar. Die Vorschrift bleibt bis zum 31. Dezember 2005 weiter anwendbar.

3) Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfahren 1 BvL 11/10 auf 50.000 (in Worten: fünfzigtausend Euro) festgesetzt.

§§§

14.008 Drei-Prozent-Sperrklausel

  1. BVerfG,     U, 26.02.14,     – 2_BvR_2/13 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.21 Abs.1; EuWG_§_2 Abs.7

  4. Europawahlrecht / Drei-Prozent-Sperrklausel / Wahlrechtsgleichheit / politische Parteien / tatsächliche Verhältnisse / wesentiche Änderung / abweichende Meinung.

 

1) Der mit der Drei-Prozent-Sperrklausel im Europawahlrecht verbundene schwerwiegende Eingriff in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der politischen Parteien ist unter den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen nicht zu rechtfertigen (im Anschluss an BVerfGE_129,300 ).

 

2) Eine abweichende verfassungsrechtliche Beurteilung kann sich ergeben, wenn sich die Verhältnisse wesentlich ändern. Der Gesetzgeber ist nicht daran gehindert, auch konkret absehbare künftige Entwicklungen bereits im Rahmen der ihm aufgegebenen Beobachtung und Bewertung der aktuellen Verhältnisse zu berücksichtigen; maßgebliches Gewicht kann diesen jedoch nur dann zukommen, wenn die weitere Entwicklung aufgrund hinreichend belastbarer tatsächlicher Anhaltspunkte schon gegenwärtig verlässlich zu prognostizieren ist.

* * *

Urteil

Entscheidungsformel:

1) Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2) § 2 Absatz 7 des Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europawahlgesetz - EuWG) in seiner am 10. Oktober 2013 in Kraft getretenen Fassung (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 3749) verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes und ist daher nichtig.

3) Der Antrag der Antragstellerinnen zu 2., 3., 4., 5., 6., 7. und 9. im Organstreitverfahren 2 BvE 6/13 wird als unzulässig verworfen. Die Anträge im Verfahren 2 BvE 8/13 und 2 BvE 12/13 werden als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen den Bundesrat und den Bundespräsidenten richten.

Der Deutsche Bundestag hat durch den Beschluss von Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe d des Fünften Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes, in Kraft getreten am 10. Oktober 2013 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 3749), die Antragstellerinnen der Verfahren 2 BvE 2/13, 2 BvE 5/13, 2 BvE 7/13, 2 BvE 8/13, 2 BvE 9/13, 2 BvE 10/13, 2 BvE 12/13, die Beigetretene im Verfahren 2 BvE 7/13 sowie die Antragstellerinnen zu 1., 8. und 10. im Verfahren 2 BvE 6/13 in ihren Rechten auf Chancengleichheit nach Artikel 21 Absatz 1 des Grundgesetzes verletzt.

4) Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.

§§§

14.009 Nichtanonymisierte Veröffentlichung

  1. BVerfG,     B, 03.03.14,     – 1_BvR_1128/13 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.1 Abs.1, GG_Art.2 Abs.1, GG_Art.103 Abs.2; (NRW) HeilBerG_§_60 Abs.3

  4. Berufsgerichtliche Entscheidungen / Verfehlungen / Veröffentlichung / Ärzteblatt / nichtanonymisiert / Rechtsgrundlage / Heilberufegesetz NRW.

 

LB 1) Eine berufsgerichtliche Entscheidung, mit der besonders schwerwiegende berufsrechtliche Verfehlungen sanktioniert werden, darf auf entsprechender gesetzlicher Grundlage kraft richterlicher Anordnung auch nichtanonymisiert im Ärzteblatt veröffentlicht werden.

 

LB 2) Die maßgebliche Vorschrift des nordrhein-westfälischen Heilberufsgesetzes enthält eine verfassungskonforme Rechtsgrundlage für die Urteilsveröffentlichung; die Berufsgerichte haben sie zudem im konkreten Fall nach verfassungsrechtlichen Maßstäben zutreffend angewendet.

 

LB 3) Eine solche Maßnahme findet ihre Rechtfertigung in einem berechtigten Interesse an einer Information der Allgemeinheit, insbesondere der Gemeinschaft der Versicherten, wie auch der Kammerangehörigen, die sodann ihr Verhalten nach Kenntnis einer solchen Verfehlung steuern können. Neben dieser im Grundsatz generalpräventiven Wirkung dient die Veröffentlichung auch der weiteren Sanktionierung eines beträchtlichen individuellen Fehlverhaltens, das auch die Gefahr einer höheren Kostenlast für die Gemeinschaft der Versicherten in sich trägt.

§§§

14.010 Beiziehung Ermittlungsakten

  1. BVerfG,     B, 06.03.14,     – 1_BvR_3541/13 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.12 Abs.1; StPO_§_474, StPO_§_477; ZPO_§_273 Abs.2 Nr.2

  4. Akteneinsicht - Staatsanwaltschaft / Zuständigkeitsprüfung / Akteneinsicht - Landgericht / Güterabwägung.

 

LB 1) Die um Akteneinsicht ersuchte Staatsanwaltschaft hat nur eine abstrakte Zuständigkeitsprüfung vorzunehmen.

 

LB 2) Das um Akteneinsicht ersuchende Landgericht entscheidet über die Verwertung der beigezogenen Akten auf Grundlage einer Abwägung, die auch den Grundrechten der Beschwerdeführerinnen hinreichend Rechnung tragen muss.

§§§

14.011 Energiewirtschaftsgesetz

  1. BVerfG,     B, 13.03.14,     – 1_BvR_3570/13 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.14 Abs.1, GG_Art.3 Abs.1; EnWG_§_13

  4. S 13 EnWG / Verfassungsbeschwerde / Nichtannahme.

 

Eine Verfassungsbeschwerde gegen § 13 EnWG wurde nicht zur Entscheidung angenommen.

§§§

14.012 Durchsuchung Privatwohnung

  1. BVerfG,     B, 13.03.14,     – 2_BvR_974/12 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.13 Abs.1, GG_Atz.13 Abs.2

  4. Unverletzlichkeit der Wohnung / Durchsuchung / Verdacht einer Straftat / Vorbereitung Verteidigungsvorbringen.

 

LB 1) Angesichts des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung setzt die Durchsuchung den Verdacht einer Straftat voraus, der auf konkreten Tatsachen beruht; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht.

 

LB 2) Ein Tatverdacht ergibt sich nicht ohne Weiteres daraus, dass der Leiter einer Rechtsabteilung sich, nachdem staatsanwaltliche Ermittlungen im Umfeld des Unternehmens durch einen Presseartikel bekannt geworden sind, zur Aufarbeitung des Sachverhalts und zur Vorbereitung des Verteidigungsvorbringens des Unternehmens veranlasst sieht.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 29. März 2012 - 17 Qs 14/12 - und der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 7. November 2011 - 28 Gs 1251/11 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1 und Absatz 2 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Landgerichts Stuttgart wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Stuttgart zurückverwiesen.

Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

§§§

14.013 Europäischer Stabilitätsmechanismus

  1. BVerfG,     U, 18.03.14,     – 2_BvR_1390/12 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.38, GG_Art.110, GG_Art.112, GG_Art.143d; AEUV_Art.125, AEUV_Art.136, ESM-V_Art.8 Abs.5

  4. Europäischer Stasbilitätsmechanismus / Haftungsbegrenzung / unbegrenzte Zahlungsverpflichtung / haushaltsrechtliche Vorgaben für den Gesetzgeber / hauspolitische Gesamtverantwortung der Bundestages.

 

1) Durch die Haftungsbegrenzung nach Artikel 8 Absatz 5 des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus in Verbindung mit Anhang II des Vertrages sowie durch die gemeinsame Auslegungserklärung der Vertragsparteien des ESM-Vertrages vom 27. September 2012 (BGBl II S.1086) und die gleichlautende einseitige Erklärung der Bundesrepublik Deutschland (BGBl II S.1087) ist hinreichend sichergestellt, dass durch den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus keine unbegrenzten Zahlungsverpflichtungen begründet werden.

 

2) Der Gesetzgeber ist mit Blick auf die Zustimmung zu Artikel 4 Absatz 8 des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus verpflichtet, haushaltsrechtlich durchgehend sicherzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland Kapitalabrufen nach dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus fristgerecht und vollständig nachkommen kann.

 

3) Artikel 32 Absatz 5, Artikel 34 und Artikel 35 Absatz 1 des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus stehen in der Auslegung der Erklärungen vom 27. September 2012 einer hinreichenden parlamentarischen Kontrolle des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch den Deutschen Bundestag und seiner umfassenden Unterrichtung nicht entgegen.

 

4) Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages setzt voraus, dass der Legitimationszusammenhang zwischen dem Europäischen Stabilitätsmechanismus und dem Parlament unter keinen Umständen unterbrochen wird. Da der Beitritt neuer Mitglieder zum Europäischen Stabilitätsmechanismus nach Artikel 44 in Verbindung mit Artikel 5 Absatz 6 Buchstabe k des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus einen einstimmigen Gouverneursratsbeschluss erfordert, besteht die Möglichkeit sicherzustellen, dass die gegenwärtig gegebene und verfassungsrechtlich geforderte Vetoposition der Bundesrepublik Deutschland auch unter veränderten Umständen erhalten bleibt.

* * *

Urteil

Entscheidungsformel:

1) Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2) Die Verfassungsbeschwerden werden in dem unter B.II. genannten Umfang verworfen. Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.

3) Der Antrag im Organstreitverfahren der Antragstellerin zu VII. wird verworfen, soweit die Feststellung begehrt wird, dass das Gesetz zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, vom 13. September 2012 (Bundesgesetzblatt II Seite 978) Rechte der Antragstellerin zu VII. verletze, weil der Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im vereinfachten Vertragsänderungsverfahren beschlossen worden sei, und dass das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 13. September 2012 (Bundesgesetzblatt I Seite 1918) Rechte der Antragstellerin zu VII. verletze, weil es dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages Zuständigkeiten zuweise, die vom Plenum des Deutschen Bundestages wahrzunehmen seien sowie einfache Mehrheiten für Entscheidungen ausreichen lasse, bei denen eine verfassungsändernde Mehrheit erforderlich sei.

§§§

14.014 ZDF-Staatsvertrag-Vielfaltsicherung

  1. BVerfG,     U, 25.03.14,     – 1_BvF_1/11 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.5 Abs.1 S.2; RundfunkStV_§_21; ZDF-StV_§_21

  4. öffentliche-rechtliche Rundfunksanstalten / Zusammensetzung Aufsichtsgremien Vielfaltsicherung / Vorgaben für den Gesetzgeber / abweichende Meinung.

 

1) Die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist gemäß Art.5 Abs.1 Satz 2 GG am Gebot der Vielfaltsicherung auszurichten. Danach sind Personen mit möglichst unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungshorizonten aus allen Bereichen des Gemeinwesens einzubeziehen.

a) Der Gesetzgeber hat dafür zu sorgen, dass bei der Bestellung der Mitglieder dieser Gremien möglichst unterschiedliche Gruppen und dabei neben großen, das öffentliche Leben bestimmenden Verbänden untereinander wechselnd auch kleinere Gruppierungen Berücksichtigung finden und auch nicht kohärent organisierte Perspektiven abgebildet werden.

b) Zur Vielfaltsicherung kann der Gesetzgeber neben Mitgliedern, die von gesellschaftlichen Gruppen entsandt werden, auch Angehörige der verschiedenen staatlichen Ebenen einbeziehen.

 

2) Die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss als Ausdruck des Gebots der Vielfaltsicherung dem Gebot der Staatsferne genügen. Danach ist der Einfluss der staatlichen und staatsnahen Mitglieder in den Aufsichtsgremien konsequent zu begrenzen.

a) Der Anteil der staatlichen und staatsnahen Mitglieder darf insgesamt ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums nicht übersteigen.

b) Für die weiteren Mitglieder ist die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konsequent staatsfern auszugestalten. Vertreter der Exekutive dürfen auf die Auswahl der staatsfernen Mitglieder keinen bestimmenden Einfluss haben; der Gesetzgeber hat für sie Inkompatibilitätsregelungen zu schaffen, die ihre Staatsferne in persönlicher Hinsicht gewährleisten.

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Urteil

Entscheidungsformel:

1) Die Zustimmungsgesetze und Zustimmungsbeschlüsse der Länder zu dem Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31. August 1991 sind, soweit sie § 21 Absatz 1, Absatz 4, Absatz 10 Satz 2, § 24 Absatz 1, Absatz 3 Satz 2 Alternative 1 ZDF-Staatsvertrag als Artikel 3 des Staatsvertrags über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31. August 1991 in der Fassung des Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags vom 15./17./21. Dezember 2010 in Landesrecht überführen, mit Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes unvereinbar.

2) Soweit sie § 21 Absatz 8 Satz 2, § 22 Absatz 1, § 25 Absatz 2, § 26 Absatz 1 Satz 2, Absatz 3 Satz 1 Halbsatz 2 ZDF-Staatsvertrag als Artikel 3 des Staatsvertrags über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31. August 1991 in der Fassung des Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags vom 15./17./21. Dezember 2010 in Landesrecht überführen, sind sie mit dem Grundgesetz vereinbar.

3) Soweit sie § 21 Absatz 3 Satz 1 und 2, Absatz 6 ZDF-Staatsvertrag als Artikel 3 des Staatsvertrags über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31. August 1991 in der Fassung des Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags vom 15./17./21. Dezember 2010 in Landesrecht überführen, sind sie nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung mit dem Grundgesetz vereinbar.

4) Soweit die vorgenannten Gesetze und Beschlüsse mit dem Grundgesetz unvereinbar sind, sind die Länder verpflichtet, bis spätestens zum 30. Juni 2015 eine verfassungsgemäße Neuregelung nach Maßgabe der Gründe zu treffen. Bis zu einer Neuregelung dürfen sie auch insoweit weiter angewendet werden.

§§§

14.015 Flashmob-Aktion

  1. BVerfG,     B, 26.03.14,     – 1_BvR_3185/09 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.9 Abs.3

  4. Verfassungsbeschwerde / Arbeitgeberverband / Flashmob-Aktion / Nichtannahme.

 

PM 1) Des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde eines Arbeitgeberverbandes gegen gewerkschaftlich organisierte, streikbegleitende Flashmob-Aktionen im Einzelhandel nicht zur Entscheidung angenommen.

 

PM 2) Gegenstand des Verfahrens sind arbeitsgerichtliche Entscheidungen, die einen solchen Aufruf im konkreten Fall für zulässig hielten. Die fachgerichtliche Auslegung des Arbeitskampfrechts berücksichtigt die durch Art.9 Abs.3 GG geschützte Koalitionsfreiheit des Beschwerdeführers hinreichend; daher ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.

 

LB 3) So muss der Flashmob als gewerkschaftlich getragene Arbeitskampfmaßnahme erkennbar sein, also deutlich werden, dass es sich nicht um eine "wilde", nicht gewerkschaftlich getragene Aktion handelt, was auch für Schadensersatzforderungen der Arbeitgeber bei rechtswidrigen Aktionen von Bedeutung ist.

§§§

14.016 Häusliche Pflege

  1. BVerfG,     B, 26.03.14,     – 1_BvR_1133/12 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art6, GG_Art.14; SGB-XI_§_36, SGB-XI_§_37, SGB-XI_§_4 Abs.2 S.1;

  4. Pflegegeld / Pflegesachleistungen / Gleichbehandlungsgrundsatz / Gestaltungsfreiheit - Gesetzgeber.

 

LB 1) Die §§ 36, 37 SGB XI verstoßen aufgrund der unterschiedlichen Höhe von Pflegesachleistung einerseits und Pflegegeld anderseits nicht gegen Art.3 Abs.1 in Verbindung mit Art.6 Abs.1 GG.

 

LB 2) Sich für ein System zu entscheiden, das den Pflegebedürftigen die Wahl lässt zwischen der Pflege in häuslicher Umgebung durch externe Pflegehilfen oder durch selbst ausgewählte Pflegepersonen, liegt in der sozialpolitischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers.

 

LB 3) Der Gesetzgeber verfolgt das Ziel, bei Sicherstellung einer sachgerechten Pflege die Möglichkeit der häuslichen Pflege zu fördern und ihr Vorrang vor stationärer Unterbringung zu geben (vgl BTDrucks 12/5262, S.111 zu § 32).

 

LB 4) Das Pflegegeld ist daher einfachgesetzlich nicht als Entgelt ausgestaltet. Es soll vielmehr im Sinne einer materiellen Anerkennung einen Anreiz darstellen und zugleich die Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen stärken, indem diese das Pflegegeld zur freien Gestaltung ihrer Pflege einsetzen können (vgl BTDrucks 12/5262, S.112 zu § 33).

 

LB 5) Die finanziellen Leistungen der Pflegeversicherung im häuslichen Bereich dienen ausweislich des § 4 Abs.2 Satz 1 SGB XI dazu, die familiäre, nachbarschaftliche oder ehrenamtliche Pflege und Betreuung zu ergänzen.

 

LB 6) Im Fall der Sachleistung durch Dritte kann eine sachgerechte Pflege aber nur bei ordnungsgemäßer Vergütung der Pflegekräfte sichergestellt werden. Im Fall des Pflegegeldes muss dagegen nicht eine sonst fehlende Pflege durch bezahlte, professionelle Kräfte erst eingekauft werden.

§§§

14.017 Gigaliner

  1. BVerfG,     B, 01.04.14,     – 2_BvF_1/12 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.93 Abs.1 Nr.2

 

LB 1) Die Verordnung über Ausnahmen von straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften für Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen mit Überlänge (LKWÜberlStVAusnV) vom 19.Dezember 2011 (elektronischer Bundesanzeiger AT144 2011 V2, veröffentlicht am 21.Dezember 2011) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

LB 2) Maßstab der Prüfung von Bundesrecht, hier der Verordnung, im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle ist allein das Grundgesetz (Art.93 Abs.1 Nr.2 GG, § 78 Satz 1 BVerfGG). Ein möglicher Verstoß gegen Unionsrecht stellt die Gültigkeit einer innerstaatlichen Norm nicht in Frage (vgl BVerfGE_126,286 <301 f>).

 

LB 3) Für die Prüfung, ob eine innerstaatliche Norm des einfachen Rechts mit einer Bestimmung des Unionsrechts unvereinbar ist, ist das Bundesverfassungsgericht daher nicht zuständig (vgl. BVerfGE_31,145 <174 f.>; BVerfGE_82,159 <191>; BVerfGE_110,141 <155>; BVerfGE_114,196 <220>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12 ua -, juris).

§§§

14.018 Erloschene Fraktion

  1. BVerfG,     B, 06.05.14,     – 2_BvE_3/12 –

  2. www.BVerfG.de

  3. AbgG_§_54 Abs.1 Nr.3, AbgG_§_54 Abs.2-6, AbgG_§_54 Abs.7, AbgG_§_54 Abs.1; GG_Art.21 Abs.1

 

LB 1) Der Antragstellerin fehlt nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Deutschen Bundestag mit Ende der 17. Wahlperiode und der damit verbundenen Liquidation der Antragsgegnerin zu 1. (vgl § 54 Abs.1 Nr.3, Abs.7 AbgG) jedenfalls das im Organstreitverfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (vgl BVerfGE_62,1 <33>; BVerfGE_67,100 <127>; BVerfGE_68,1 <77>), so dass es auf Fragen eines Verlusts der Parteifähigkeit auf Antragsgegnerseite nicht ankommt.

 

LB 2) Eine - ausschließlich retrospektive - Feststellung der Verletzung organschaftlicher Rechte, wie sie die Antragstellerin in Anlehnung an die Rechtsprechung zum Feststellungsinteresse bei schwerwiegenden Grundrechtsverletzungen (vgl BVerfGE_104,220 <233 ff.> mwN) für geboten hält, entspräche nicht der den Organstreit prägenden Zielsetzung, die Kompetenzen von Organen und ihren Teilen abzugrenzen. Vielmehr bedarf es eines über ein bloßes "Rehabilitationsinteresse" hinausgehenden Interesses an der Klärung der aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Auslegungsfrage.

 

LB 3) Soweit die Antragstellerin die Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit der Bundestagsfraktionen abstrakt für klärungsbedürftig erachtet, mag dies zutreffen, weil sich dazu bislang lediglich ein Vorprüfungsausschuss des Bundesverfassungsgerichts geäußert hat (vgl Beschluss vom 19. Mai 1982 - 2_BvR_630/81 -, NVwZ 1982, S.613). Indes lassen sich diese Grenzen im vorliegenden Organstreitverfahren nicht ohne eine kontradiktorische, anders als bei anderen Rechtsfragen notwendig tatsächliche Umstände einbeziehende Erörterung bestimmen, die gemäß § 25 Abs.1 BVerfGG grundsätzlich der mündlichen Verhandlung vorbehalten ist. Eine sachgerechte abschließende Erörterung in mündlicher Verhandlung ist hier jedoch nicht mehr gewährleistet.

 

LB 4) Die mit dem Ende der Wahlperiode erloschene Fraktion (§ 54 Abs.1 Nr.3 AbgG) gilt gemäß § 54 Abs.2 Satz 2 AbgG als fortbestehend, soweit der Zweck der Liquidation dies erfordert. Zweck der Liquidation ist die Abwicklung des Fraktionsvermögens (vgl § 54 Abs.2 bis 6 AbgG; BTDrucks 12/4756, S.9 f). Die weitere Rechtsverteidigung im vorliegenden Verfahren ist für die Antragsgegner praktisch ohne Belang.

§§§

14.019 Weinabgabe

  1. BVerfG,     B, 06.05.14,     – 2_BvR_1139/12 –

  2. www.BVerfG.de

  3. WeinG_§_43; (RP) AbföG_Wein_§_1

  4. Sonderabgabe zur Finanzierung des Deutschen Weinfonds

 

Zur Verfassungsmäßigkeit der Weinabgaben nach § 43 WeinG und § 1 AbföG Wein Rh.-Pf.

§§§

14.020 Spinner-Urteil

  1. BVerfG,     U, 10.06.14,     – 2_BvE_4/13 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.21 Abs.1, GG_Art.38 Abs.1

 

1) Zur Äußerungsbefugnis des Bundespräsidenten.

T-14_01

LB 2) Zu den Aufgaben des Bundespräsidenten.

T-14_02

LB 3) Abgrenzung zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung von einem (unzulässigen) parteiergreifenden Einwirken auf den Wahlkampf.

 

LB 4) In Erfüllung seiner Repräsentations- und Integrationsaufgabe obliegt es dem Bundespräsidenten, im Interesse der Wahrung und Förderung des Gemeinwesens das Wort zu ergreifen und die Öffentlichkeit durch seine Beiträge auf von ihm identifizierte Missstände und Fehlentwicklungen - insbesondere solche, die den Zusammenhalt der Bürger und das friedliche Zusammenleben aller Einwohner gefährden - aufmerksam zu machen sowie um Engagement bei deren Beseitigung zu werben.

 

LB 5) Äußerungen des Bundespräsidenten sind dabei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, solange sie erkennbar einem Gemeinwohlziel verpflichtet und nicht auf die Ausgrenzung oder Begünstigung einer Partei um ihrer selbst willen angelegt sind.

T-14-03

LB 5) Zur verfassungsrechtlich Einschätzung der Verwendung des Wortes "Spinner" gegenüber der NPD im einem konkreten Zusammenhang.

* * *

T-14-01Zur Aufgabe des Bundespräsidenten

21

"Der Bundespräsident hat neben der Wahrnehmung der ihm durch die Verfassung ausdrücklich zugewiesenen Befugnisse kraft seines Amtes insbesondere die Aufgabe, im Sinne der Integration des Gemeinwesens zu wirken. Wie der Bundespräsident diese Aufgabe wahrnimmt, entscheidet er grundsätzlich autonom; ihm kommt diesbezüglich ein weiter Gestaltungsspielraum zu (1.). Das Handeln des Bundespräsidenten findet seine Grenzen in der Bindung an die Verfassung und die Gesetze (2.). Der Bundespräsident hat demgemäß das Recht der Parteien auf freie und gleiche Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes gemäß Art.21 GG zu achten, jedoch können Äußerungen des Bundespräsidenten, die die Chancengleichheit der Parteien berühren, gerichtlich nur dann beanstandet werden, wenn er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsaufgabe und damit willkürlich Partei ergreift (3.).

22

1. Der Bundespräsident repräsentiert Staat und Volk der Bundesrepublik Deutschland nach außen und innen und soll die Einheit des Staates verkörpern (vgl. Senatsurteil vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 2/10 -, Rn. 91 ff.). Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst. Besteht eine wesentliche Aufgabe des Bundespräsidenten darin, durch sein öffentliches Auftreten die Einheit des Gemeinwesens sichtbar zu machen und diese Einheit mittels der Autorität des Amtes zu fördern, muss ihm insoweit ein weiter Gestaltungsspielraum zukommen. Der Bundespräsident kann - wie der Antragsgegner überzeugend dargelegt hat - den mit dem Amt verbundenen Erwartungen nur gerecht werden, wenn er auf gesellschaftliche Entwicklungen und allgemeinpolitische Herausforderungen entsprechend seiner Einschätzung eingehen kann und dabei in der Wahl der Themen ebenso frei ist wie in der Entscheidung über die jeweils angemessene Kommunikationsform. Der Bundespräsident bedarf daher, auch soweit er auf Fehlentwicklungen hinweist oder vor Gefahren warnt und dabei die von ihm als Verursacher ausgemachten Kreise oder Personen benennt, über die seinem Amt immanente Befugnis zu öffentlicher Äußerung hinaus keiner gesetzlichen Ermächtigung.

23

Den verfassungsrechtlichen Erwartungen an das Amt des Bundespräsidenten und der gefestigten Verfassungstradition seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland entspricht es, dass der Bundespräsident eine gewisse Distanz zu Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wahrt (vgl. Senatsurteil vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 2/10 -, Rn. 95 m.w.N.). Daraus allein folgen indes keine justiziablen Vorgaben für die Amtsausübung. Insbesondere ist der Bundespräsident nicht etwa, wie die Antragstellerin meint, von Rechts wegen gehalten, seinen Äußerungen stets eine umfassende und nachvollziehbare Abwägung zugrunde zu legen und darüber in seinen Verlautbarungen Rechenschaft zu geben.

24

2. Der Bundespräsident übt Staatsgewalt im Sinne von Art.20 Abs.2 GG aus und ist gemäß Art.1 Abs.3 und Art.20 Abs.3 GG an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden, was in der Eidesformel (Art. 56 GG), mittelbar in den Immunitätsregeln (Art.60 Abs.4 iVm Art.46 Abs.2 GG) sowie in den Voraussetzungen einer Anklage gemäß Art. 61 Abs. 1 Satz 1 GG wiederholten Ausdruck findet. Der Bundespräsident steht in keinerlei Hinsicht "über dem Gesetz".

25

3. Zu den vom Bundespräsidenten zu achtenden Rechten gehört das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit aus Art.21 Abs.1 GG, soweit es um die Chancengleichheit bei Wahlen geht, in Verbindung mit Art.38 Abs.1 GG oder Art. 28 Abs. 1 GG. Dieses Recht kann dadurch verletzt werden, dass Staatsorgane zugunsten oder zulasten einer politischen Partei in den Wahlkampf einwirken (vgl BVerfGE_44,125 <146>). Eine die Gleichheit ihrer Wettbewerbschancen beeinträchtigende Wirkung kann für eine Partei auch von der Kundgabe negativer Werturteile über ihre Ziele und Betätigungen ausgehen (vgl BVerfGE_40,287 <293>). Wann dies der Fall ist, hängt von der jeweiligen Fallgestaltung ab. ..."

 

Auszug aus BVerfG U, 10.06.14, - 2_BvE_4/13 -, www.BVerfG.de,  Abs.21 ff

* * *

T-14-02Zur zulässigen Öffentlichkeitsarbeit der BReg

26

"a) So hat der Senat für die Abgrenzung zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung von einem (unzulässigen) parteiergreifenden Einwirken auf den Wahlkampf Kriterien entwickelt, mit denen verhindert werden soll, dass die Öffentlichkeitsarbeit durch Einsatz öffentlicher Mittel den die Regierung tragenden Parteien zu Hilfe kommt und die Oppositionsparteien bekämpft (vgl. BVerfGE 44, 125 <148 ff.>). Geht es bei dieser Fallgestaltung in erster Linie darum, den Prozess der freien und offenen Meinungs- und Willensbildung des Volkes gegenüber vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht gedeckten Einflussnahmen der Bundesregierung zugunsten der sie tragenden Parteien abzuschirmen, sind die verfassungsrechtlichen Grenzen negativer Werturteile in den Verfassungsschutzberichten des Bundesministeriums des Innern von einem anderen Ausgangspunkt her zu bestimmen. Derartige Werturteile sind im Rahmen der verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung grundsätzlich zulässig; die betroffene Partei kann sich im Kampf um die öffentliche Meinung dagegen zur Wehr setzen (vgl. BVerfGE 40, 287 <291 ff.>). Sie werden erst dann unzulässig, wenn sie auf sachfremden Erwägungen beruhen und damit den Anspruch der betroffenen Partei auf gleiche Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>). Diesen Ansatz hat der Senat auch für die Beteiligung staatlicher Stellen an der öffentlichen Auseinandersetzung über die Einleitung eines gegen die Antragstellerin gerichteten Verbotsverfahrens aufgegriffen und ausgesprochen, dass das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit als ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Grundordnung es staatlichen Stellen verwehrt, eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn ein solches Vorgehen bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 20. Februar 2013 - 2_BvE_11/12 -, NVwZ 2013, S.568 <569>, Rn.22; zu Abwägungen bei negativen Werturteilen in Verfassungsschutzberichten über Presseerzeugnisse vgl. BVerfGE_113,63 <75 ff.>). ..."

* * *

T-14-03Zur Verwendung des Wortes Spinner

33

"2. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Verwendung des Wortes "Spinner" im konkreten Zusammenhang. Der Antragsgegner hat damit über die Antragstellerin und ihre Anhänger und Unterstützer ein negatives Werturteil abgegeben, das isoliert betrachtet durchaus als diffamierend empfunden werden und auf eine unsachliche Ausgrenzung der so Bezeichneten hindeuten kann. Hier indes dient, wie sich aus dem Duktus der Äußerungen des Antragsgegners ergibt, die Bezeichnung als "Spinner" - neben derjenigen als "Ideologen" und "Fanatiker" - als Sammelbegriff für Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben und, unbeeindruckt von den verheerenden Folgen des Nationalsozialismus, rechtsradikale - nationalistische und antidemokratische - Überzeugungen vertreten (zur grundgesetzlichen Ordnung als Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft vgl BVerfGE_124,300 <327 ff.>). Die mit der Bezeichnung als "Spinner" vorgenommene Zuspitzung sollte den Teilnehmern an der Veranstaltung nicht nur die Unbelehrbarkeit der so Angesprochenen verdeutlichen, sondern auch hervorheben, dass sie ihre Ideologie vergeblich durchzusetzen hofften, wenn die Bürger ihnen "ihre Grenzen aufweisen". Indem der Antragsgegner, anknüpfend an die aus der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus zu ziehenden Lehren, zu bürgerschaftlichem Engagement gegenüber politischen Ansichten, von denen seiner Auffassung nach Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen und die er von der Antragstellerin vertreten sieht, aufgerufen hat, hat er für die dem Grundgesetz entsprechende Form der Auseinandersetzung mit solchen Ansichten (vgl insoweit BVerfGE_124,300 <330 f.>) geworben und damit die ihm von Verfassungs wegen gesetzten Grenzen negativer öffentlicher Äußerungen über politische Parteien nicht überschritten."

 

Auszug aus BVerfG U, 10.06.14, - 2_BvE_4/13 -, ,  Abs.33

§§§

14.021 Bundesversammlung

  1. BVerfG,     U, 10.06.14,     – 2_BvE_2/09 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.38 Abs.1, GG_Art.54 Abs.1

 

1) Die Bundesversammlung hat nach Art.54 Abs.1 GG ausschließlich die Aufgabe, den Bundespräsidenten zu wählen; sie soll in ihren Abläufen die besondere Würde des Amtes unterstreichen.

 

2) Den Mitgliedern der Bundesversammlung sind durch Art.54 GG außer dem Recht zur Teilnahme an der Wahl nur begrenzte Rechte zugewiesen. Ihre Rechtsstellung entspricht nicht der der Mitglieder des Bundestages.

* * *

Urteil

Entscheidungsformel:

1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2. Die Anträge zu 1. d) und e) sowie zu 2. h) und i) werden als unzulässig verworfen.

3. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen. 4. Damit erledigen sich die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen.

§§§

14.022 Wiederkehrende Straßenausbaubeiträge

  1. BVerfG,     B, 25.06.14,     – 1:BvR668/10 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.3 Abs.1; (RP) KAG_§_10a

  4. Kommunalrecht

Abs.36

1) Wiederkehrende Straßenausbaubeiträge nach § 10a KAG RP sind verfassungsrechtlich zulässig.

Abs.46

2) Werden Beiträge erhoben, verlangt der Grundsatz der abgabenrechtlichen Belastungsgleichheit nach Art.3 Abs.1 GG, dass die Differenzierung zwischen Beitragspflichtigen und nicht Beitragspflichtigen nach Maßgabe des konkret-zurechenbaren Vorteils vorgenommen wird, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Beitrag abgegolten werden soll.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1) Die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. Januar 2010 - 6 A 11036/09.OVG - und vom 14. Juni 2010 - 6 A 10082/10.OVG - verletzen die Beschwerdeführerinnen in ihren Grundrechten aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben und die Sachen an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zurückverwiesen.

2) Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.

3) Das Land Rheinland-Pfalz hat den Beschwerdeführerinnen ihre notwendigen Auslagen zur Hälfte zu erstatten.

4) Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für die Verfassungsbeschwerdeverfahren wird jeweils auf 50.000 (in Worten: fünfzigtausend) Euro festgesetzt.

* * *

T-14-04Wiederkehrende Straßenausbaubeiträge

35

""Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind teilweise begründet. Sie sind unbegründet, soweit sie sich gegen die Möglichkeit der Auferlegung wiederkehrender Beiträge für Verkehrsanlagen wenden. § 10a KAG RP verstößt in verfassungskonformer Auslegung weder gegen Freiheitsrechte der Beschwerdeführerinnen in Verbindung mit der Schutz- und Begrenzungsfunktion der Finanzverfassung (I.) noch gegen den aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden Grundsatz der Belastungsgleichheit (II.). Begründet sind die Verfassungsbeschwerden dagegen insoweit, als sie sich gegen die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen wenden, da deren Auslegung und Anwendung des § 10a KAG RP den Anforderungen des Grundsatzes der Belastungsgleichheit nicht in vollem Umfang gerecht werden (III.).

I.

36

Freiheitsrechte der Beschwerdeführerinnen werden durch die gesetzliche Auferlegung wiederkehrender Straßenausbaubeiträge nicht verletzt.

37

1. Als Auferlegung einer Geldleistungspflicht stellt die Erhebung wiederkehrender Beiträge einen Eingriff in die persönliche Freiheitsentfaltung im vermögensrechtlichen Bereich dar (vgl BVerfGE_87,153 <169>; BVerfGE_93,121 <137> ; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 15. Januar 2014 - 1_BvR_1656/09 -, juris, Rn.44).

38

2. Der wiederkehrende Beitrag beruht auf einer gesetzlichen Grundlage, welche die Kompetenzordnung des Grundgesetzes wahrt. Er ist als nichtsteuerliche Abgabe mit Gegenleistungscharakter gerechtfertigt, die den Anforderungen genügt, welche die Schutz- und Begrenzungsfunktion der Finanzverfassung an solche Abgaben stellt, (a) und für die das Land mangels Bundeskompetenz zur Gesetzgebung befugt war (b).

39

a) Wiederkehrende Beiträge nach § 10a KAG RP sind keine Steuern, sondern nichtsteuerliche Abgaben.

40

aa) (1) Maßgeblich für die Qualifizierung einer Abgabe als Steuer oder nichtsteuerliche Abgabe ist die Ausgestaltung des betreffenden Gesetzes (vgl BVerfGE_7,244 <256>; BVerfGE_49,343 <352>; BVerfGE_92,91 <114>; BVerfGE_123,1 <17>). Die Einordnung der Abgabe richtet sich nicht nach ihrer gesetzlichen Bezeichnung, sondern nach ihrem tatbestandlich bestimmten, materiellen Gehalt ( BVerfGE_108,1 <13>; BVerfGE_108,186 <212>; BVerfGE_110,370 <384>; BVerfGE_113,128 <145 f.>; BVerfGE_122,316 <333>; BVerfGE_124,348 <364> ).

41

Steuern sind öffentliche Abgaben, die als Gemeinlast (vgl BVerfGE_110,274 <294>; BVerfGE_123,132 <140> ) ohne individuelle Gegenleistung ("voraussetzungslos") zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben werden (vgl BVerfGE_49,343 <353>; BVerfGE_110,274 <294>; BVerfGE_124,235 <243>; BVerfGE_124,348 <364>).

42

(2) Erweist sich eine Abgabe wegen ihres Gegenleistungscharakters als nichtsteuerliche Abgabe, stehen die finanzverfassungsrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes ihrer Erhebung nicht entgegen (vgl BVerfGE_124,235 <244>; BVerfGE_132,334 <349, Rn.47>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 - 2_BvR_1561/12 u.a. -, NVwZ 2014, S.646 <650 f, Rn.121 ff.>; stRspr). Das Grundgesetz enthält keinen abschließenden Kanon zulässiger Abgabetypen ( BVerfGE_113,128 <146 f>; BVerfGE_122,316 <333>; BVerfGE_123,132 <141> ). Abgaben, die einen Sondervorteil ausgleichen sollen, sind als Vorzugslasten zulässig. Darunter fallen Gebühren und Beiträge (vgl BVerfGE_110,370 <388> mwN).

43

Es gibt zwar keinen eigenständigen vollständigen verfassungsrechtlichen Beitrags- oder Gebührenbegriff (vgl BVerfGE_50,217 <225 f> ); diese Vorzugslasten weisen jedoch Merkmale auf, die sie verfassungsrechtlich notwendig von der Steuer unterscheiden. Gebühren sind öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken (vgl BVerfGE_50,217 <226>; BVerfGE_92,91 <115>; BVerfGE_110,370 <388>; BVerfGE_132,334 <349, Rn.49> mwN; stRspr). Das gilt entsprechend für Beiträge, die im Unterschied zu Gebühren schon für die potentielle Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung oder Leistung erhoben werden (vgl BVerfGE_9,291 <297 f>; BVerfGE_92,91 <115>; BVerfGE_110,370 <388>; BVerfGE_113,128 <148> mwN). Durch Beiträge sollen die Interessenten an den Kosten einer öffentlichen Einrichtung beteiligt werden, von der sie potentiell einen Nutzen haben (vgl. BVerfGE 38, 281 <311> m.w.N.). Der Gedanke der Gegenleistung, also des Ausgleichs von Vorteilen und Lasten, ist der den Beitrag im abgabenrechtlichen Sinn legitimierende Gesichtspunkt ( BVerfGE 9, 291 <298> ). Während bei den Zwecksteuern die Ausgaben- und die Einnahmenseite voneinander abgekoppelt sind, werden bei den nichtsteuerlichen Abgaben in Form von Beiträgen die Rechtfertigung und die Höhe der Abgabe gerade durch den öffentlichen Aufwand vorgegeben (vgl BVerfGE_108,186 <212>; BVerfGE_110,370 <384>; BVerfGE_124,34 <364> ; Birk/Eckhoff, in: Sacksofsky/Wieland, Vom Steuerstaat zum Gebührenstaat, 2000, S.54 <57>; P. Kirchhof, Nichtsteuerliche Abgaben, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl.2007, § 119 Rn.64).

44

bb) Der Straßenausbaubeitrag gemäß § 10a KAG RP ist danach keine Steuer, sondern eine nichtsteuerliche Abgabe (vgl VG Koblenz, Beschluss vom 1. August 2011 - 4 K 1392/10.KO -, juris, Rn.147; Halter, Der wiederkehrende Straßenausbaubeitrag, 2006, S.116 ff.; Beuscher, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 2307 ff. ; a.A. Kraft-Zörcher, ThürVBl 1999, S.55 <58 f.>; vgl auch Driehaus, KStZ 2011, S.21 <22>; Brenner, Gesetzmäßigkeitsprinzip und Reformfrage im Straßenausbaubeitragsrecht, 2010, S.83). Die Abgabe für Verkehrsanlagen wird nicht zur Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben erhoben, sondern speziell zur Finanzierung des Straßenausbaus, also für einen besonderen Finanzbedarf (vgl BVerfGE_110,370 <384>). Dieser Zusammenhang ist in der gesetzlichen Regelung des Abgabentatbestandes hinreichend verankert. § 10a Abs.1 Satz 2 KAG RP ermächtigt ausdrücklich zur Erhebung vorteilsbezogener Beiträge und gestaltet die Abgabenerhebung gegenleistungsbezogen aus, indem die jeweils auferlegte Abgabe vom Gesetzgeber dem Grunde und der Höhe nach mit dem Anfall der Kosten konkreter Investitionsaufwendungen für Verkehrsanlagen für die Erledigung der Aufgabe des Straßenausbaus tatbestandlich verknüpft ist.

45

b) Für öffentlich-rechtliche Abgaben, die keine Steuern sind (nichtsteuerliche Abgaben), richtet sich die Gesetzgebungskompetenz nach den allgemeinen Regeln über die Sachgesetzgebungskompetenzen (Art.70 ff GG; vgl BVerfGE_4,7 <1

I.

, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 - 2_BvR_1561/12 u.a. -, NVwZ 2014, S.646 <650, Rn. 121>; stRspr). Für das Straßenausbaubeitragsrecht steht den Ländern nach den allgemeinen Regeln die erforderliche Sachgesetzgebungskompetenz zu (Art.30, 70 ff GG; vgl BVerfGE_4,7 <13>; BVerfGE_110,370 <384> ; stRspr). Nach Art. 74 Abs.1 Nr.22 GG ist der Bund auf den Erlass von n Vorschriften für den Bau und die Unterhaltung der Landstraße des Fernverkehrs beschränkt. Im Übrigen liegt die n Gesetzgebungsbefugnis für die Materie "Straßenbau" bei de Ländern (BVerfGE_26,338 <370, 384>; BVerfGE_34,139 <152>)

II.

46

Die Heranziehung zu wiederkehrenden Beiträgen nach Maßgabe des § 10a KAG RP verstößt bei verfassungskonformer Auslegung nicht gegen das Grundrecht auf Gleichbehandlung des Art.3 Abs.1 GG in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsgleichheit.

47

1. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 <385>; 130, 240 <252> ; stRspr). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl BVerfGE_79,1 <17>; BVerfGE_126,400 <416>; BVerfGE_130,240 <252 f.>). Art.3 Abs.1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht alle Differenzierungen. Diese bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl BVerfGE_75,108 <157>; BVerfGE_93,319 <348 f.>; BVerfGE_107,27 <46>; BVerfGE_126,400 <416>; BVerfGE_129,49 <69>; BVerfGE_132,179 <188, Rn.30>).

49

Bei der Auswahl des Abgabengegenstands sowie bei der Bestimmung von Beitragsmaßstäben und Abgabensatz hat der Gesetzgeber einen weitreichenden Gestaltungsspielraum (vgl BVerfGE_50,217 <226>; BVerfGE_91,207 <223> ). Wer eine nichtsteuerliche Abgabe schuldet, ist allerdings regelmäßig zugleich steuerpflichtig und wird insofern zur Finanzierung der die Gemeinschaft treffenden Lasten herangezogen. Neben dieser steuerlichen Inanspruchnahme bedürfen nichtsteuerliche Abgaben, die den Einzelnen zu einer weiteren Finanzleistung heranziehen, zur Wahrung der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen (Art.3 Abs.1 GG) einer über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden besonderen sachlichen Rechtfertigung (vgl BVerfGE_75,108 <158>; BVerfGE_93,319 <343>; BVerfGE_108,1 <16 f.>; BVerfGE_124,235 <244>; BVerfGE_132,334 <349, Rn.47 f.>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 - 2_BvR_1561/12 u.a. -, NVwZ 2014, S. 646 <650, Rn. 121>). Als sachliche Gründe, die die Bemessung einer Gebühr oder eines Beitrags rechtfertigen können, sind neben dem Zweck der Kostendeckung auch Zwecke des Vorteilsausgleichs, der Verhaltenslenkung sowie soziale Zwecke anerkannt ( BVerfGE_132,334 <349, Rn.49> m.w.N.).

50

Dabei ist zu berücksichtigen, dass Abgabengesetze in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens betreffen. Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben abgabenrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und können dabei die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen. Es ist auch ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers, die Erhebung von Abgaben - insbesondere sofern sie auf der Grundlage von kommunalen Satzungen erfolgt - so auszugestalten, dass sie praktikabel bleibt, und sie von übermäßigen, mit Rechtsunsicherheit verbundenen Differenzierungsanforderungen zu entlasten. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Abgabepflichtigen darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit ihr notwendig verbundenen Ungleichheit der Belastung stehen (vgl. für das Steuerrecht BVerfGE_96,1 <6>; BVerfGE_99,280 <290>; BVerfGE_105,73 <127>; BVerfGE_110,274 <292>; BVerfGE_116,164 <182 f.>; BVerfGE_117,1 <31>; BVerfGE_120,1 <30>; BVerfGE_123,1 <19>; BVerfGE_127,224 <246> ). Außerdem darf eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (vgl. BVerfGE_112,268 <280 f.>; BVerfGE_117,1 <31>; BVerfGE_120,1 <30>; BVerfGE_123,1 <19>; BVerfGE_127,224 <246> ).

51

3. Werden Beiträge erhoben, verlangt Art.3 Abs.1 GG, dass die Differenzierung zwischen Beitragspflichtigen und nicht Beitragspflichtigen nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen wird, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Beitrag abgegolten werden soll. Erfolgt die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen grundstücksbezogen, können nach dem Grundsatz der abgabenrechtlichen Belastungsgleichheit nur solche Grundstücke herangezogen werden, deren Eigentümer aus der Möglichkeit, die ausgebauten Straßen in Anspruch zu nehmen, einen Sondervorteil schöpfen können, der sich von dem der Allgemeinheit der Straßennutzer unterscheidet.

52

Die Erhebung von Beiträgen erfordert hiernach hinreichende sachliche Gründe, welche eine individuelle Zurechnung des mit dem Beitrag belasteten Vorteils (siehe oben B. I.) zum Kreis der Belasteten rechtfertigen. Wesentlich für den Begriff des Beitrags ist der Gedanke der angebotenen Gegenleistung, des Ausgleichs von Vorteilen und Lasten: Wenn das Gemeinwesen in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe eine besondere Einrichtung zur Verfügung stellt, so sollen diejenigen, die daraus besonderen wirtschaftlichen Nutzen ziehen oder ziehen können, zu den Kosten ihrer Errichtung und Unterhaltung beitragen (vgl BVerfGE_14,312 <317> ). Die für die Kostentragungspflicht erforderliche individuelle Zurechenbarkeit lässt sich insbesondere aus der rechtlichen oder tatsächlichen Sachherrschaft oder -nähe und der damit verbundenen Möglichkeit herleiten, aus der Sache konkrete wirtschaftliche Vorteile oder Nutzen zu ziehen (vgl. BVerfGE 91, 207 <223> ). Das schließt allerdings nicht aus, dass eine unbestimmte Vielzahl von Bürgern zu Beiträgen herangezogen wird, sofern ihnen jeweils ein Sondervorteil individuell-konkret zugerechnet werden kann (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 13. Mai 2014 - VGH B 35/12 -, juris, Rn.103).

53

Soweit die Beitragserhebung grundstücksbezogen erfolgt, muss auch der Sondervorteil grundstücksbezogen definiert werden (vgl. Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 272 ; Beuscher, ebd. Rn. 2314); er kann zum Beispiel in einer Erhöhung des Gebrauchswertes des Grundstücks durch die Belegenheit in einem verkehrsmäßig erschlossenen Gebiet oder in der Möglichkeit der Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung oder Anlage bestehen, welche ihrerseits den Gebrauchswert des Grundstücks steigert. Eine Steigerung des Verkehrswertes ist nicht erforderlich (vgl. Arndt, in: Henneke/Pünder/Waldhoff, Recht der Kommunalfinanzen, 2006, § 16 Rn. 130; Driehaus, a.a.O.; Schneider, Driehaus-Festschrift, 2005, S.179 <184>).

54

Weitergehende verpflichtende Anforderungen, wie zum Beispiel die Existenz eines "funktionalen Zusammenhangs" zwischen Verkehrsanlagen und den mit einem Ausbaubeitrag belasteten Grundstücken sind verfassungsrechtlich nicht geboten. Allerdings darf sich aus Gründen der Belastungsgleichheit (Art.3 Abs.1 GG) der Sondervorteil, dessen Inanspruchnahme durch die Erhebung eines Beitrags ausgeglichen werden soll, nicht in der Weise auflösen, dass Beitragspflichtige keinen größeren Vorteil aus der potentiellen Inanspruchnahme der Gegenleistung ziehen können als die nichtbeitragspflichtige Allgemeinheit. Damit bleibt Raum für eine Ausgestaltung der Beitragsverpflichtung durch den Gesetz- oder Satzungsgeber. Der danach eröffnete Spielraum ist erst dann überschritten, wenn kein konkreter Bezug zwischen dem gesetzlich definierten Vorteil und den Abgabepflichtigen mehr erkennbar ist (vgl. Wilke, Gebührenrecht und Grundgesetz, 1973, S.88).

55

4. Nach diesen Maßgaben verstößt die Heranziehung zu wiederkehrenden Beiträgen nach § 10a KAG RP in verfassungskonformer Auslegung nicht gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen. Der für die Beitragserhebung erforderliche Sondervorteil der Beitragspflichtigen liegt in der Möglichkeit des Zugangs von ihren Grundstücken zu den öffentlichen Verkehrsanlagen (a). Bei verfassungskonformer Auslegung von § 10a KAG RP und einer entsprechenden Umsetzung durch den jeweils zuständigen Satzungsgeber ist ein durch den Ausbau von Verkehrsanlagen bedingter Sondervorteil sämtlichen Abgabepflichtigen hinreichend individuell zurechenbar (b). Die Erhebung wiederkehrender Beiträge durch Satzung nach § 10a KAG RP führt bei verfassungskonformer Auslegung auch nicht zu einer Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem, weil sämtliche Grundstücke innerhalb einer einheitlichen öffentlichen Einrichtung abgabepflichtig wären, obwohl sie durch die Ausbaumaßnahmen wesentlich unterschiedlich begünstigt sind, sofern mit der Anlage ein Vorteil für das Grundstück, an das der Beitrag anknüpft, verbunden ist (c).

56

a) Der durch den Beitrag ausgeglichene Sondervorteil besteht nach dem Wortlaut des § 10a KAG RP und der Begründung des Gesetzentwurfs in der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeit der Zufahrt oder des Zugangs zu einer öffentlichen Verkehrsanlage, die Teil einer einheitlichen öffentlichen Einrichtung ist. Dem steht die wiederkehrende Erhebung des Beitrags nicht entgegen (vgl. BVerfGE 42, 223 <228 f.> ).

57

Der Gesetzgeber sieht den Sondervorteil in der Möglichkeit der Zufahrt oder des Zugangs zu einem Gesamtsystem der Verkehrsanlagen, das nach Maßgabe der Satzung grundsätzlich auch aus sämtlichen zum Ausbau bestimmten Verkehrsanlagen einer Gemeinde bestehen kann und damit eine einheitliche öffentliche Einrichtung bildet. Bereits nach der Vorgängerregelung des § 10 Abs.6 KAG RP aus dem Jahre 1995 war die "rechtliche und tatsächliche Möglichkeit einer Zufahrt oder eines Zugangs zu einer in der Abrechnungseinheit gelegenen Verkehrsanlage" der gesetzliche Anknüpfungspunkt für den Sondervorteil. Mit der Neuregelung wurde der Begriff der "Abrechnungseinheit" durch den der "einheitlichen öffentlichen Einrichtung" ersetzt. Während nach Auffassung des Landesgesetzgebers beim einmaligen Beitrag nach § 10 Abs.5 KAG RP der Sondervorteil in der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeit einer Zufahrt oder eines Zugangs "zu der hergestellten oder ausgebauten Verkehrsanlage" besteht, soll beim (wiederkehrenden) Beitrag nach § 10a KAG RP die Möglichkeit der Zufahrt oder des Zugangs zu "einer der Verkehrsanlagen" - also nicht nur zu einer bestimmten, gerade hergestellten oder ausgebauten Verkehrsanlage - genügen. Die einheitliche öffentliche Einrichtung bilde in ihrer Gesamtheit das einheitliche Straßensystem, welches den durch die einzelnen Verkehrsanlagen "erschlossenen", qualifiziert nutzbaren Grundstücken die erforderliche Anbindung an das gesamte übrige innerörtliche und damit zugleich auch überörtliche Straßennetz ermögliche. In der Erhaltung, Verbesserung oder Erweiterung dieses Straßensystems seitens der Gemeinde durch entsprechende Ausbaumaßnahmen an den einzelnen Verkehrsanlagen liege der verfassungsrechtlich erforderliche, aber auch ausreichende Sondervorteil, der durch den wiederkehrenden Beitrag abgegolten werde (LTDrucks 15/318, S.7 f.).

58

Der beitragspflichtige Vorteil liegt danach in der Möglichkeit der besseren Erreichbarkeit der beitragspflichtigen Grundstücke und der besseren Nutzbarkeit des Gesamtverkehrssystems sowie dessen Aufrechterhaltung und Verbesserung als solchem; er ist geeignet, den Gebrauchswert der Grundstücke positiv zu beeinflussen. Damit bewegt sich der Landesgesetzgeber innerhalb der durch den Gleichheitssatz gezogenen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit, indem er den Vorteil des einzelnen Grundstücks mit Rücksicht auf die straßenausbaubedingte Steigerung und den Erhalt der Funktionsfähigkeit des Gesamtverkehrssystems einer vom Satzungsgeber festzulegenden Einheit bestimmt. Mit dem Ausbaubeitrag wird folglich nicht die schlichte - auch der Allgemeinheit zustehende - Straßenbenutzungsmöglichkeit entgolten, sondern die einem Grundstück mit Baulandqualität zugutekommende Erhaltung der wegemäßigen Erschließung als Anbindung an das inner- und überörtliche Verkehrsnetz. Durch den Straßenausbau wird die Zugänglichkeit des Grundstücks gesichert und damit der Fortbestand der qualifizierten Nutzbarkeit (so auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. November 2007 - 6 C 10601/07.OVG -, AS RP-SL 35, S. 209 <217>; Beschluss vom 24. Februar 2012 - 6 A 11492/11.OVG -, AS RP-SL 41, S.69 <70 f.>; Beschluss vom 21. August 2012 - 6 C 10085/12.OVG -, AS RP-SL 41, S.218 <221 f.>). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass zur wegemäßigen Erschließung eines bestimmten Grundstücks allein die Straße, an der es gelegen ist, regelmäßig nicht ausreicht. Vielmehr wird der Anschluss an das übrige Straßennetz meist erst über mehrere Verkehrsanlagen vermittelt (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. November 2007 - 6 C 10601/07.OVG -, AS RP-SL 35, S. 209 <214>; Urteil vom 25. August 2010 - 6 A 10505/10.OVG -, AS RP-SL 39, S.331 <335>; Urteil vom 15. März 2011 - 6 C 11187/10.OVG -, AS RP-SL 40, S.4 <12>; Beschluss vom 24. Februar 2012 - 6 A 11492/11.OVG -, AS RP-SL 41, S. 69 <71>). Zwischen welchen Verkehrsanlagen eine ausreichend enge "Vermittlungsbeziehung" hinsichtlich des Anschlusses an das übrige Straßennetz besteht, ist dagegen keine Frage des Vorliegens eines Vorteils, sondern dessen individueller Zurechenbarkeit zu einem einzelnen Grundstück.

59

b) Der Vorteil ist bei Ausschöpfung der Möglichkeit zur Bildung einheitlicher öffentlicher Einrichtungen in abgrenzbaren Gebietsteilen der Gemeinden gemäß § 10a KAG RP individuell hinreichend zurechenbar.

60

§ 10a KAG RP eröffnet dem Satzungsgeber die Möglichkeit, einheitliche öffentliche Einrichtungen zu bilden, die nicht notwendig das gesamte Gemeindegebiet umfassen, sondern auch nur einzelne, abgrenzbare Gebietsteile. Dabei kann in der Satzung geregelt werden, dass sämtliche zum Anbau bestimmten Verkehrsanlagen des gesamten Gebiets oder einzelner voneinander abgrenzbarer Gebietsteile der Gemeinde eine oder mehrere einheitliche öffentliche Einrichtungen bilden, für deren Ausbau vorteilsbezogene Beiträge von Grundstücken erhoben werden können, welche die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit einer Zufahrt oder eines Zugangs zu diesen Verkehrsanlagen haben. Die Gemeinde hat dabei gemäß § 10a Abs.1 Satz 3 KAG RP die örtlichen Gegebenheiten zu beachten. Wie aus der Pflicht zur weitergehenden Begründung für die Bestimmung von Verkehrsanlagen einzelner, voneinander abgrenzbarer Gebietsteile als einheitliche öffentliche Einrichtung gemäß § 10a Abs.1 Satz 4 KAG RP sowie aus der Gesetzesbegründung (LTDrucks 15/318, S.7) hervorgeht, sah der Gesetzgeber die Ausübung des Satzungsermessens dahingehend, dass sämtliche zum Anbau bestimmte Verkehrsanlagen einer Gemeinde eine einheitliche öffentliche Einrichtung bilden, als Regelfall an, was auch vor dem Hintergrund zu sehen ist, dass es in Rheinland-Pfalz besonders viele kleinere Gemeinden gibt (vgl. Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Statistisches Jahrbuch 2012, S.34).

61

c) Die Bildung einer einzigen Abrechnungseinheit im gesamten Gemeindegebiet durch Satzung ist dann gerechtfertigt, wenn mit den Verkehrsanlagen ein Vorteil für das beitragsbelastete Grundstück verbunden ist. Besteht ein solcher Vorteil wie in Großstädten oder Gemeinden ohne zusammenhängendes Gebiet nicht, läge in der Heranziehung aller Grundstücke zur Beitragspflicht eine Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte.

62

aa) Der Wortlaut des § 10a KAG RP steht einer solchen verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen, da § 10a Abs.1 Satz 4 KAG RP dem Satzungsgeber ausdrücklich vorschreibt, die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. In Großstädten oder Gemeinden ohne zusammenhängendes Gebiet ist das eröffnete Satzungsermessen zur Bildung einer einzigen Verkehrsanlage im gesamten Gemeindegebiet insoweit von Verfassungs wegen auf Null reduziert, als nur so dem Gebot eines zurechenbaren Sondervorteils auch bei Berücksichtigung des Typisierungs- und Vereinfachungsspielraums des Satzungsgebers Rechnung getragen werden kann. In dieser Auslegung ist § 10a KAG RP mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Beitragserhebung (siehe oben B. I. 2.) in Einklang zu bringen.

63

bb) Bei der Ausübung seines Gestaltungsermessens muss der Satzungsgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen einer Bestimmung der Verkehrsanlagen des gesamten Gemeindegebiets als einheitliche öffentliche Einrichtung in den Blick nehmen. Ein Beitrag für den Ausbau einer Straße als Teil einer öffentlichen Verkehrsanlage kommt nur für diejenigen Grundstücke in Betracht, die von der Verkehrsanlage einen jedenfalls potentiellen Gebrauchsvorteil haben, bei denen sich also der Vorteil der Möglichkeit der Nutzung der ausgebauten Straßen als Lagevorteil auf den Gebrauchswert des Grundstücks auswirkt. Nur in diesem Fall erscheint es nach dem Maßstab des Gleichheitssatzes gerechtfertigt, gerade den oder die Eigentümer dieses Grundstücks zu einem Beitrag für die Nutzung der ausgebauten Straße heranzuziehen.

64

Ob die herangezogenen Grundstücke einen konkret zurechenbaren Vorteil von dem Ausbau und der Erhaltung einer Verkehrsanlage haben, hängt dabei nicht von der politischen Zuordnung eines Gebiets, sondern vor allem von den tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten ab, etwa der Größe, der Existenz eines zusammenhängenden bebauten Gebiets, der Topographie wie der Lage von Bahnanlagen, Flüssen und größeren Straßen oder der typischen tatsächlichen Straßennutzung. Dabei dürfte in Großstädten die Aufteilung der Verkehrsanlagen in mehrere abgrenzbare Gebietsteile regelmäßig erforderlich und unbeschadet des ansonsten bestehenden Satzungsermessens die Annahme einer einheitlichen öffentlichen Einrichtung ausgeschlossen sein; in kleinen Gemeinden - insbesondere solchen, die aus nur einem kleinen, zusammenhängend bebauten Ort bestehen - werden sich einheitliche öffentliche Einrichtung und Gemeindegebiet dagegen häufig decken. Ein "funktionaler Zusammenhang", wie er früher vom Landesgesetzgeber und den Verwaltungsgerichten gefordert wurde, ist für die Bildung einer Abrechnungseinheit von Verkehrsanlagen durch den Gleichheitssatz jedoch nicht vorgegeben (vgl zB OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. Oktober 1993 - 10 C 10237/93.OVG -, AS RP-SL 24, S. 261 <265>; Urteil vom 18. März 2003 - 6 C 10580/02.OVG -, NVwZ-RR 2003, S.591 <593>). Aus verfassungsrechtlicher Sicht kommt es allein darauf an, dass eine hinreichende individuelle Zurechnung von Vorteil und Beitragspflicht hergestellt werden kann.

65

cc) Die Gemeinden werden zudem bei der Bildung der Abrechnungseinheiten zu berücksichtigen haben, ob dabei Gebiete mit strukturell gravierend unterschiedlichem Straßenausbauaufwand zusammengeschlossen werden, falls dies zu einer auch bei großzügiger Pauschalierungsbefugnis mit Rücksicht auf das Gebot der Belastungsgleichheit nicht mehr zu rechtfertigenden Umverteilung von Ausbaulasten führen würde.

III.

66

Dem sind die angegriffenen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts nicht in jeder Hinsicht gerecht geworden. Das Oberverwaltungsgericht hat bei der Anwendung von § 10a KAG RP nicht geprüft, ob die Beitragsatzungen der beklagten Städte die verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllen, insbesondere, ob ein individuell-konkret zurechenbarer, grundstücksbezogener Vorteil der beitragspflichtigen Grundstücke vom Anschluss an die jeweilige Beitragseinheit vorhanden ist." ....

 

Auszug aus BVerfG B, 25.06.14, - 1:BvR668/10 -, www.BVerfG.de,  Abs.35 ff

§§§

14.023 Verwerfung der Revision

  1. BVerfG,     B, 30.06.14,     – 2_BvR_792/11 –

  2. www.BVerfG.de

  3. StPO_§_349 Abs.2 + 3 S.2; EMRK_Art.6

  4. Revision - offensichtlich ungebgründete / Verwerfung durch einstimmigen Beschluss / Vereinbarkeit-GG / Begründung / faires Verfahren.

 

LB 1) Die in der Strafprozessordnung eröffnete Möglichkeit, eine offensichtlich unbegründete Revision ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zu verwerfen, ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

LB 2) Es ist von Verfassungs wegen auch nicht geboten, dass eine solche Entscheidung mit einer Begründung versehen wird.

 

LB 3) Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat sich dabei auch mit dem Recht auf ein faires Verfahren auseinandergesetzt, das in Art.6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgt ist.

§§§

14.024 Menschenwürdiges Existenzminimum

  1. BVerfG,     B, 23.07.14,     – 1_BvL_10/12 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.1 Abs.1, GG_Art.20 Abs.1

  4. Existenzminimun / statistische Berechnung / Warenkorbmodell / Änderung

 

1) Zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art.1 Abs.1 in Verbindung mit Art.20 Abs.1 GG) dürfen die Anforderungen des Grundgesetzes, tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge zu tragen, im Ergebnis nicht verfehlt werden und muss die Höhe existenzsichernder Leistungen insgesamt tragfähig begründbar sein.

 

2) Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht gehindert, aus der grundsätzlich zulässigen statistischen Berechnung der Höhe existenzsichernder Leistungen nachträglich in Orientierung am Warenkorbmodell einzelne Positionen herauszunehmen. Der existenzsichernde Regelbedarf muss jedoch entweder insgesamt so bemessen sein, dass Unterdeckungen intern ausgeglichen oder durch Ansparen gedeckt werden können, oder ist durch zusätzliche Leistungsansprüche zu sichern.

* * *

Entscheidungsformel:

2) § 20 Absatz 2 Satz 1 und 2 Nummer 1, Absatz 4, Absatz 5, § 23 Nummer 1, § 77 Absatz 4 Nummer 1 und 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch, jeweils in der Fassung von Artikel 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 453), und § 8 Absatz 1 Nummer 1, 2, 4 und 6, Absatz 2 Nummer 1 und 3 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz in der Fassung von Artikel 1 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 453), jeweils in Verbindung mit § 20 Absatz 1 Satz 1 und 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch in der Fassung von Artikel 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 453) und § 28a Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch in der Fassung von Artikel 3 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 453), sowie die Anlage zu § 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch in der Fassung von Artikel 3 Ziffer 42 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 453) sowie § 2 der Verordnung zur Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach § 138 Nummer 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch für das Jahr 2012 vom 17. Oktober 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 2090) sind nach Maßgabe der Gründe mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikels 20 Absatz 1 des Grundgesetzes vereinbar.

2) Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

§§§

14.025 Grundsicherung für Arbeitsuchende

  1. BVerfG,     U, 07.10.14,     – 2_BvR_1641/11 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.28 Abs.2, GG_Art.91e Abs.2 + 3, GG_Art.83 ff, GG_Art.104a

  4. Art.91e GG / Sonderregelung / Finanzkontrolle / Kommunen / kommunale Selbstverwaltung / Gesetzgebungsauftrag / Gesetzgebungskompetenz

 

1) Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat mit Art.91e GG für das Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine umfassende Sonderregelung geschaffen. In seinem Anwendungsbereich verdrängt Art.91e GG sowohl die Art.83 ff GG als auch Art.104a GG.

 

2) Art.91e GG begründet eine unmittelbare Finanzbeziehung zwischen dem Bund und den Optionskommunen und ermöglicht eine Finanzkontrolle, die sich von der staatlichen Aufsicht wie auch von der Finanzkontrolle durch den Bundesrechnungshof unterscheidet.

 

3) Art.91e Abs.2 GG räumt den Gemeinden und Gemeindeverbänden eine Chance ein, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als kommunale Träger alleinverantwortlich wahrzunehmen. Die gesetzliche Ausgestaltung dieser Chance muss willkürfrei erfolgen. Ihre Wahrnehmung fällt in den Schutzbereich der Garantie kommunaler Selbstverwaltung.

 

4) Art.91e Abs.3 GG enthält einen umfassenden und weit zu verstehenden Gesetzgebungsauftrag zugunsten des Bundes. Der Bund verfügt insoweit über die Gesetzgebungskompetenz, die mit der Zulassung als kommunaler Träger zusammenhängenden Rechtsverhältnisse zu regeln. Auf die Art und Weise der internen Willensbildung der Kommunen erstreckt sich seine Regelungskompetenz jedoch nicht.

* * *

Urteil

Entscheidungsformel:

1) § 6a Absatz 2 Satz 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch in der Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3. August 2010 ist mit Artikel 28 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 70 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit er anordnet, dass der Antrag in den dafür zuständigen Vertretungskörperschaften der kommunalen Träger einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder bedarf. Die Vorschrift gilt für bestehende Zulassungen fort. Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.

2) Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer zu 1. die notwendigen Auslagen zu erstatten.

§§§

14.026 Rüstungsexportkontrolle

  1. BVerfG,     U, 21.10.14,     – 2_BvE_5/11 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.38 Abs.1 S.2, GG_Art.20 Abs.2 S.2, GG_Art.26 Abs.2 S.1

  4. Deutscher Bundestag / Frage + Informationsrecht / Antwortpflicht der Bundesregierung / Grenzen / Bundessicherheitsrat / Gründe des Staatswohles

 

1) Aus Art.38 Abs.1 Satz 2 und Art.20 Abs.2 Satz 2 GG folgt ein Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung, dem grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung korrespondiert. Die Rüstungsexportkontrolle ist nicht wegen der außenpolitischen Bedeutung dieses Teilbereichs des Regierungshandelns von vornherein jeglicher parlamentarischen Kontrolle entzogen. Auch die Zuständigkeitszuweisung des Art.26 Abs.2 Satz 1 GG schafft für sich genommen keinen der parlamentarischen Verantwortung grundsätzlich entzogenen Raum gubernativen Entscheidens.

 

2) Der Informationsanspruch des Bundestages und der einzelnen Abgeordneten besteht gleichwohl nicht grenzenlos. Er wird begrenzt durch das Gewaltenteilungsprinzip, das Staatswohl und Grundrechte Dritter.

 

a) Die Beratung und Beschlussfassung im Bundessicherheitsrat unterfallen dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Die Bundesregierung ist daher nur verpflichtet, Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf entsprechende Anfragen hin mitzuteilen, dass der Bundessicherheitsrat ein bestimmtes, das heißt hinsichtlich des Rüstungsguts, des Auftragsvolumens und des Empfängerlandes konkretisiertes Kriegswaffenexportgeschäft genehmigt hat oder dass eine Genehmigung für ein wie in der Anfrage beschriebenes Geschäft nicht erteilt worden ist. Darüber hinaus gehende Angaben sind verfassungsrechtlich nicht geboten.

 

b) Die Antwort auf Fragen zu noch nicht beschiedenen Anträgen auf Erteilung einer Genehmigung für die Ausfuhr von Kriegswaffen kann die Bundesregierung ebenso wie die Auskunft über Voranfragen von Rüstungsunternehmen auch aus Gründen des Staatswohls verweigern. Entsprechendes gilt für die Tatsache, dass ein Genehmigungsantrag abgelehnt wurde. Auch bei durch den Bundessicherheitsrat bereits gebilligten Anträgen auf Erteilung einer Genehmigung kann die Verweigerung der Antwort aus diesen Gründen gerechtfertigt sein.

 

c) Der mit einer Offenlegung von Informationen zu beabsichtigten Rüstungsexportgeschäften verbundene Eingriff in die Berufsfreiheit der Unternehmen der deutschen Rüstungsindustrie ist generell insoweit gerechtfertigt, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort Auskunft darüber gibt, dass der Bundessicherheitsrat die Genehmigung für ein konkretes Kriegswaffenausfuhrgeschäft erteilt hat und in diesem Rahmen Angaben über Art und Anzahl der Kriegswaffen, über das Empfängerland, über die beteiligten deutschen Unternehmen und über das Gesamtvolumen des Geschäfts macht. Darüber hinaus gehende Angaben würden grundsätzlich in unverhältnismäßiger Weise in die Berufsfreiheit der Unternehmen eingreifen.

 

d) Eine Begründungspflicht besteht insoweit, wie die Bundesregierung die Auskunft über eine erteilte Genehmigung oder über die in diesem Rahmen mitzuteilenden Generalia des Exportgeschäfts verweigern will.

* * *

Urteil

Entscheidungsformel:

1) Die Antragsgegnerin hat

a) den Antragsteller zu 1. durch die Antworten auf die in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 6. Juli 2011 gestellte Frage PlenProt 17/119, S. 13802 D, soweit sich diese auf die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien bezieht, und auf die schriftliche Frage 7/193 vom 14. Juli 2011 (BTDrucks 17/6658, S. 28) soweit sich diese darauf bezieht, ob eine positive Genehmigungsentscheidung des Bundessicherheitsrates vorliegt,

b) die Antragstellerin zu 2. durch die Antwort auf die schriftliche Frage 7/132 von Juli 2011 (BTDrucks 17/6658, S. 24) soweit sich die Frage darauf bezieht, ob eine positive Genehmigungsentscheidung des Bundessicherheitsrates vorliegt,

nach Maßgabe der Gründe in deren Rechten aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 und Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt.

2) In dem unter B.II.2. genannten Umfang werden die Anträge verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.

§§§

14.027 Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften

  1. BVerfG,     B, 22.10.14,     – 2_BvR_661/12 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art4 Abs.1 + 2, GG_Art.140; WRV_Art.137 Abs.3

  4. Schutzbereich der Glaubensfreiheit / Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften / Gewicht / kirchiches Selbstverständnis / Plausibilitätskontrolle / Loyalitätsobliegnheit / Gesamtabwägung

 

1) Soweit sich die Schutzbereiche der Glaubensfreiheit und der inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung überlagern, geht Art.140 GG in Verbindung mit Art.137 Abs.3 WRV als speziellere Norm Art.4 Abs.1 und 2 GG insoweit vor, als er das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften der Schranke des für alle geltenden Gesetzes unterwirft (sog Schrankenspezialität). Bei der Anwendung des für alle geltenden Gesetzes durch die staatlichen Gerichte ist bei Ausgleich gegenläufiger Interessen aber dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Art.4 Abs.1 und 2 GG die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht und dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften besonderes Gewicht zuzumessen ist.

 

2) Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen. Die Formulierung des kirchlichen Proprium obliegt allein den Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art.4 Abs.1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt.

 

3) Die staatlichen Gerichte haben im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses der verfassten Kirche zu überprüfen, ob eine Organisation oder Einrichtung an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhat, ob eine bestimmte Loyalitätsobliegenheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist und welches Gewicht dieser Loyalitätsobliegenheit und einem Verstoß hiergegen nach dem kirchlichen Selbstverständnis zukommt. Sie haben sodann unter dem Gesichtspunkt der Schranken des "für alle geltenden Gesetzes" eine Gesamtabwägung vorzunehmen, in der die - im Lichte des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen verstandenen - kirchlichen Belange und die korporative Religionsfreiheit mit den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer und deren in den allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen enthaltenen Interessen auszugleichen sind. Die widerstreitenden Rechtspositionen sind dabei jeweils in möglichst hohem Maße zu verwirklichen.

 

LB 4) Vertraglich vereinbarte Loyalitätsobliegenheiten in kirchlichen Arbeitsverhältnissen unterliegen weiterhin nur eingeschränkter Überprüfung durch die staatlichen Gerichte.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

1) Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2011 - 2 AZR 543/10 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 4 Absatz 1 und Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 140 des Grundgesetzes und Artikel 137 Absatz 3 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung). Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen.

2) Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.

3) Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin ein Drittel ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.

§§§

14.028 Luftverkehrssteuer

  1. BVerfG,     U, 05.11.14,     – 1_BvF_3/11 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.106 Abs.1 Nr.3

  4. Luftverkehrssteuer / Verkehrsteuer / Gleichheitssatz / Belastung / Einbeziehung

 

1) Die Luftverkehrsteuer ist eine sonstige auf motorisierte Verkehrsmittel bezogene Verkehrsteuer nach Art.106 Abs.1 Nr.3 GG.

 

2) Bei der Auswahl des Steuergegenstandes wird der Gleichheitssatz bereits eingehalten, wenn der Gesetzgeber einen Sachgrund für seine Wahl des Steuergegenstandes vorbringen kann, die Berücksichtigung sachwidriger, willkürlicher Erwägungen ausgeschlossen ist und die konkrete Belastungsentscheidung nicht mit anderen Verfassungsnormen in Konflikt gerät.

 

3) Wegen seines weitgehenden Spielraums bei der Auswahl von Steuergegenständen wird der Gesetzgeber vom Gleichheitssatz nicht gezwungen, nach einer einmal getroffenen Entscheidung für ein bestimmtes Steuerobjekt zugleich auch alle ähnlichen, für den Steuerzweck ebenfalls geeigneten Steuerobjekte in die Belastung einzubeziehen.

* * *

Urteil

Entscheidungsformel:

§ 1, § 2 Nummern 4 und 5, § 4, § 5 Nummern 2, 4c und 5, §§ 10 und 11 sowie die Anlagen 1 und 2 des Luftverkehrsteuergesetzes vom 9. Dezember 2010 (Bundesgesetzblatt I Seite 1885) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes sowie zur Änderung des Luftverkehrsteuergesetzes vom 5. Dezember 2012 (Bundesgesetzblatt I Seite 2436) sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

§§§

14.029 Abstammungsgutachten

  1. BVerfG,     B, 19.11.14,     – 1_BvR_2843/14 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.6 Abs.1; BGB_§_1686a; FamFG_§_167a

  4. Abstammungsgutachten / Einholung / familiäre Auswirkungen / Verhältnismäßigkeit

 

PM 1) Der Zeitpunkt der Einholung eines Abstammungsgutachtens unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

 

PM 2) Wegen der familiären Auswirkungen der Abstammungsklärung kann es zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geboten sein, diese erst dann herbeizuführen, wenn das Gericht festgestellt hat, dass die sonstigen Voraussetzungen eines Umgangs- oder Auskunftsanpruchs vorliegen.

 

PM 3) Der Schutz der bestehenden Familie (Art.6 Abs.1 GG) findet im verfassungsrechtlich grundsätzlich anzuerkennenden Wunsch des leiblichen Vaters nach Umgang und Auskunft über das Kind eine verfassungsimmanente Schranke. In deren gesetzlicher Konkretisierung ermächtigt § 167a des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) die Gerichte zur Anordnung einer Abstammungsuntersuchung, sofern dies in Verfahren nach § 1686a BGB zur Klärung der leiblichen Vaterschaft erforderlich ist.

§§§

14.030 Trägerschaft von Grund- + Hauptschulen

  1. BVerfG,     B, 19.11.14,     – 2_BvL_2/13 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.28 Abs.2 S.1

  4. Trägerschaft von Grund- + Hauptschulen / Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft / Schließung / Schulnetzplanung auf Kreisebene / Miteintscheidungsrecht der Gemeinde.

 

1) Die Trägerschaft für Grund- und Hauptschulen, die in der Vergangenheit regelmäßig als eigenständige "Volksschulen" organisiert waren, ist als historisch gewachsene Gemeindeaufgabe eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft.

 

2) Zu den mit der Schulträgerschaft verbundenen Aufgaben gehört namentlich die - in der Regel unter Mitwirkung des Staates zu treffende - Entscheidung, ob eine Schule eingerichtet oder geschlossen werden soll.

 

Eine Schulnetzplanung auf Kreisebene für die Grund- und Hauptschulen erfordert nach Art.28 Abs.2 Satz 1 GG ein wirksames Mitentscheidungsrecht der kreisangehörigen Gemeinden.

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

§ 23a Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 Satz 1 des Schulgesetzes für den Freistaat Sachsen in der Fassung der Bekanntmachung vom 16.Juli 2004 (GVBl S.298), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes zur Regelung des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungszustellungsrechts für den Freistaat Sachsen und zur Änderung anderer Gesetze vom 19.Mai 2010 (GVBl S.142), ist mit Artikel 28 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz unvereinbar und nichtig, soweit er die Schulnetzplanung für Grund- und Mittelschulen betrifft.

§§§

14.031 Sorgerechtsentziehung

  1. BVerfG,     B, 19.11.14,     – 1_BvR_1178/14 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.6 Abs.2 S.1

  4. Kind / Trennung von den Eltern / Gutachten / Verwertung durch das Gericht / elterliches Fehlverhalten

 

PM 1) Um eine Trennung des Kindes von den Eltern zu rechtfertigen, müssen die Fachgerichte im Einzelfall feststellen, dass das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre.

 

PM 2) Stützen sich die Gerichte dabei auf Feststellungen in einem Sachverständigengutachten, dessen Verwertbarkeit verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt, können diese auf die gerichtliche Entscheidung durchschlagen, wenn die Gerichte die Zweifel nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise beseitigen.

 

PM 3) Art.6 Abs.3 GG erlaubt es nur dann, ein Kind von seinen Eltern gegen deren Willen zu trennen, wenn die Eltern versagen oder wenn das Kind aus anderen Gründen zu verwahrlosen droht. Das elterliche Fehlverhalten muss ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre. Dies setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder sich eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind, unterliegt einer strengen verfassungsgerichtlichen Überprüfung.

§§§

14.032 Regierungsamt: Neutralitätsgebot

  1. BVerfG,     U, 16.12.14,     – 2_BvE_2/14 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.21 Abs.1 S.1 iVm GG_Art.28 Abs.1 S.2

  4. Mitglieder der Bundesregierung / Teilnahme am politischen Meinungskampf / Autorität des Amtes / Neutralitätsgebot / Einzelfallbeurteilung

 

1) Die Maßstäbe, die für Äußerungen des Bundespräsidenten in Bezug auf politische Parteien und die Überprüfung dieser Äußerungen durch das Bundesverfassungsgericht gelten (vgl BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10.Juni 2014 2_BvE_4/13 , juris), sind auf die Mitglieder der Bundesregierung nicht übertragbar.

 

2) Soweit der Inhaber eines Regierungsamtes am politischen Meinungskampf teilnimmt, muss sichergestellt sein, dass ein Rückgriff auf die mit dem Regierungsamt verbundenen Mittel und Möglichkeiten unterbleibt. Nimmt das Regierungsmitglied für sein Handeln die Autorität des Amtes oder die damit verbundenen Ressourcen in spezifischer Weise in Anspruch, ist es dem Neutralitätsgebot unterworfen.

 

LB 3) Ob die Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität des Regierungsamtes oder der mit ihm verbundenen Ressourcen stattgefunden hat, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen.

 

LB 4) Im konkreten Fall ist ein solcher Bezug weder den äußeren Umständen noch dem Interview selbst zu entnehmen. Daher ist die von der NPD angegriffene Äußerung dem politischen Meinungskampf zuzuordnen, der nicht dem Neutralitätsgebot unterliegt.

§§§

14.033 Erbschaftssteuer: betriebliches Vermögen

  1. BVerfG,     U, 17.12.14,     – 1_BvL_21/12 –

  2. www.BVerfG.de

  3. GG_Art.3 Abs.1, GG_Art.72 Abs.2; ErbStG_§_13a, ErbStG_§_13b

  4. Anspruch auf verfassungsrechtliche Kontrolle / Steuervergünstigung / gleichheitsgerechte Belastung / gesamtstaatliche Interessen / problematische Entwicklung / Rechts- + Wirtschaftseinheit / Einschätzungsprärogative / Gleichheitssatz / Abweichungen von den Belastungsentscheidungen / Übergang betrieblichen Vermögens / Verschonung von Erbschaftssteuer / kleine und mittelständige Unternehmen / Bestandssicherung / Bedürfnisprüfung / Unverhältnismäßigkeit / Lohnsummenregelung / Freiststellung von der Mindestlohnsumme / Verwaltungsvermögen / tragfähiger Rechtfertigungsgrund.

 

1) Art.3 Abs.1 GG verleiht Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf verfassungsrechtliche Kontrolle steuerrechtlicher Regelungen, die Dritte gleichheitswidrig begünstigen, das eigene Steuerrechtsverhältnis aber nicht betreffen. Anderes gilt jedoch, wenn Steuervergünstigungen die gleichheitsgerechte Belastung durch die Steuer insgesamt in Frage stellen.

 

2) Im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich im Sinne des Art.72 Abs.2 GG ist eine bundesgesetzliche Regelung nicht erst dann, wenn sie unerlässlich für die Rechts- oder Wirtschaftseinheit ist. Es genügt vielmehr, dass der Bundesgesetzgeber problematische Entwicklungen für die Rechts- und Wirtschaftseinheit erwarten darf. Ob die Voraussetzungen des Art.72 Abs.2 GG gegeben sind, prüft das Bundesverfassungsgericht, wobei dem Gesetzgeber im Hinblick auf die zulässigen Zwecke einer bundesgesetzlichen Regelung und deren Erforderlichkeit im gesamtstaatlichen Interesse eine Einschätzungsprärogative zusteht.

 

3) Der Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber im Steuerrecht einen weit reichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstands als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes. Abweichungen von der einmal getroffenen Belastungsentscheidung müssen sich ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands). Sie bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes. Dabei steigen die Anforderungen an die Rechtfertigung mit Umfang und Ausmaß der Abweichung.

 

4) Die Verschonung von Erbschaftsteuer beim Übergang betrieblichen Vermögens in §§ 13a und 13b ErbStG ist angesichts ihres Ausmaßes und der eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten mit Art.3 Abs.1 GG unvereinbar.

a) Es liegt allerdings im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, kleine und mittelständische Unternehmen, die in personaler Verantwortung geführt werden, zur Sicherung ihres Bestands und damit auch zur Erhaltung der Arbeitsplätze von der Erbschaftsteuer weitgehend oder vollständig freizustellen. Für jedes Maß der Steuerverschonung benötigt der Gesetzgeber allerdings tragfähige Rechtfertigungsgründe.

b) Die Privilegierung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens ist jedoch unverhältnismäßig, soweit die Verschonung über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen.

c) Die Lohnsummenregelung ist im Grundsatz verfassungsgemäß; die Freistellung von der Mindestlohnsumme privilegiert aber den Erwerb von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten unverhältnismäßig.

d) Die Regelung über das Verwaltungsvermögen ist nicht mit Art.3 Abs.1 GG vereinbar, weil sie den Erwerb von begünstigtem Vermögen selbst dann uneingeschränkt verschont, wenn es bis zu 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht, ohne dass hierfür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund vorliegt.

 

5) Ein Steuergesetz ist verfassungswidrig, wenn es Gestaltungen zulässt, mit denen Steuerentlastungen erzielt werden können, die es nicht bezweckt und die gleichheitsrechtlich nicht zu rechtfertigen sind.

* * *

Urteil

Entscheidungsformel:

Mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes sind seit dem Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes zum 1. Januar 2009 unvereinbar § 13a des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz) vom 22. Dezember 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 3950) und § 13b des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (Erbschaftsteuerreformgesetz) vom 24. Dezember 2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 3018) jeweils in Verbindung mit § 19 Absatz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 1997 (Bundesgesetzblatt I Seite 378), auch in den seither geltenden Fassungen.

§§§

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