60-69 | ||
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[ 50-59 ] [ 70-79 ] | [ ] |
60.001 | Fehlerhafte Urteilsausfertigung | |
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Wenn ein Rechtsanwalt auf einer Ausfertigung des vollständigen Berufungsurteils bescheinigt, "beglaubigte Abschrift des vorstehenden Schriftstücks ... zugestellt erhalten" zu haben, während er in Wirklichkeit lediglich eine von der Urteilsausfertigung gefertigte beglaubigte Abschrift ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe zugestellt erhalten hat, dann liegt eine nach § 198 ZPO wirksame Zustellung eines in vollständiger Form abgefaßten Berufungsurteils, die allein die Revisionsfrist in Lauf setzen könnte, nicht vor. | ||
§§§ |
61.001 | Fahruntüchtiger Fahrer | |
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1) Wer sich als Fahrgast einem als fahruntüchtig erkannten Fahrer eines Kraftfahrzeugs anvertraut, erklärt damit noch nicht eine rechtfertigende Einwilligung in Körperverletzungen, die der Fahrer verursacht. | ||
2) In der Regel ist nach § 254 BGB darüber zu entscheiden, welchen Einfluß es auf die Schadenshaftung hat, daß sich der Geschädigte ohne triftigen Grund einer erkannten Gefahrenlage aussetzte. Das widersprüchliche Verhalten des Geschädigten (venire contra factum proprium) kann dazu führen, ihm einen Schadensersatz zu versagen. Nach den Umständen des Einzelfalles kann aber auch eine Minderung des Ersatzanspruchs in Betracht kommen. | ||
3) Haben sich Minderjährige bewußt einer Gefahr ausgesetzt, so ist - wie sonst im Rahmen des § 254 BGB - § 828 BGB entsprechend anwendbar. Bei der Entscheidung, ob es angemessen ist, den Schadensersatz voll zu versagen, ist auch die Eigenart jugendlichen Verhaltens zu berücksichtigen. (Abweichung zu BGHZ_2,159 ) | ||
§§§ |
62.001 | Flugunfallbericht | |
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1) Der Bericht des Luftfahrt-Bundesamtes über die Untersuchung eines Luftunfalls ist kein anfechtbarer Verwaltungsakt. | ||
2) Durch schlichte Amtshandlung kann eine öffentlich-rechtliche Beziehung hergestellt und hieraus die Leistungs-(Unterlassungs)-Klage oder die Feststellungsklage zulässig sein. | ||
§§§ |
63.001 | Prüfingenieur-Baustatik | |
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1) Die Haftung für Fehler eines - auf den Bezug von Gebühren angewiesenen, im übrigen freiberuflich tätigen - Prüfingenieur für Baustatik den die Baugenehmigungsbehörde mit der Prüfung der statischen Berechnungen eines Baugesuchs beauftragt hat, trifft im Verhältnis zu dem geschädigten Dritten den Träger der Baugenehmigungsbehörde. | ||
2) Die Pflicht der Baugenehmigungsbehörde, die statische Berechnung eines Bauvorhabens ordnungsgemäß zu prüfen, ist entsprechend ihrem Schutzzweck - den Gefahren vorzubeugen, die der Allgemeinheit oder ihren Gliedern durch den Einsturz standunsicherer Bauwerke drohen - grundsätzlich eine einem Dritten gegenüber obliegende und gegebenenfalls Schadensersatzansprüche Dritter begründende Amtspflicht; das gilt jedoch nicht nach der Richtung, daß der Bauherr davor bewahrt werden soll, durch einen statisch falsch berechneten Bau nutzlose finanzielle Aufwendungen zu machen. | ||
§§§ |
64.001 | Dienstunfall | |
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1) Verursacht ein Beamter durch Verletzung seiner Dienstpflicht dem Dienstherrn unmittelbar einen Vermögensschaden, so kann dieser ihn durch Verwaltungsakt zum Schadensersatz heranziehen (im Anschluß an BVerwGE_18,283 ). | ||
2) Verletzt der Beamte seine Amtspflicht in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes und hat er deshalb dem Dienstherrn den Schaden nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit zu ersetzen, so finden die im bürgerlichen Recht entwickelten Grundsätze über die Haftungsminderung bei "schadengeneigter Arbeit" keine entsprechende Anwendung. | ||
LB 4) Zur Haftungsminderung durch "schadensgeneigte Arbeit". | ||
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T-64-01 | Schadensersatzpflicht gegenüber Dienstherrn | |
"...Wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, wären die angefochtenen Bescheide aufzuheben, wenn der Kläger seine Pflicht, den Dienstwagen schadenfrei zu führen, nicht grob fahrlässig, sondern nur (leicht) fahrlässig verletzt hätte. Nach § 89 Abs.1 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1954 (GV NW S.237) -- LBG -- hatte zwar der Beamte dem Dienstherrn den Eigenschaden zu ersetzen, den er ihm durch "schuldhafte", also auch durch leicht fahrlässige Verletzung der Amtspflicht verursachte. § 84 Abs.1 Satz 2 LBG in der Fassung vom 1.Juni 1962 (GV NW S. 272) beschränkt aber -- in Anpassung an § 46 Abs.1 Satz 2 BRRG -- die Schadensersatzpflicht des Beamten, der seine Amtspflicht in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes verletzt hat, auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Durch diese Vorschrift ist dem Beamten wegen des Schadens, den er in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit unmittelbar dem Dienstherrn zufügt, nunmehr die gleiche Haftungserleichterung zuerkannt worden, wie sie ihm bei hoheitlicher Tätigkeit schon vorher gegenüber dem Rückgriff des Dienstherrn wegen Ersatzes des Drittschadens zukam (§ 89 Abs.2 LBG Fassung 1954). Diese Neuregelung ist zwar erst mit Wirkung vom 1. Juni 1962 in Kraft getreten; sie ist aber auf die vorher eingetretenen, am 1.Juni 1962 noch nicht abgewickelten Schadensfälle anzuwenden (vgl BVerwG, Urteil vom 20. September 1962 -- BVerwG II
C 152.59 -- | ||
Das Berufungsgericht hat den Rechtsbegriff "grobe Fahrlässigkeit" nicht verkannt. Wie die Revision zutreffend vorträgt, handelt grob fahrlässig, "wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muß oder wer die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt" (vgl Plog-Wiedow, Bundesbeamtengesetz, RandNr.10 zu § 78; Reichsgerichtsräte-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 10. Aufl, Anm.1 zu § 277). Das Berufungsgericht ist, wie seine Darlegungen zeigen, hiervon ausgegangen. Nach seinen Feststellungen verstieß der Kläger gegen die "einfachste, jedermann bekannte und ohne weiteres einleuchtende Regel" des Straßenverkehrs, daß jeder Kraftfahrer einem ihm entgegenkommenden anderen Kraftwagen eine genügend breite Fahrbahn lassen und deswegen die Fahrbahn während der Fahrt hinreichend im Auge behalten muß. Das Berufungsgericht hat weiter geprüft, ob gleichwohl keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt, weil der Kläger -- in der konkreten Verkehrssituation -- zu seiner verkehrswidrigen Fahrweise einen beachtenswerten Anlaß gehabt habe. Es hat also in einer dem Begriff "grobe Fahrlässigkeit" Rechnung tragenden Weise auch die besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles berücksichtigt. Es hat hierzu aber festgestellt, der Kläger habe keinen beachtenswerten Anlaß für sein verkehrswidriges Verhalten gehabt, weil er, selbst wenn sich die rechte Tür des Wagens gelockert haben sollte, den Wagen hätte anhalten und jedenfalls so hätte steuern müssen, daß er auf der äußersten rechten Seite der Fahrbahn blieb; es gebe keine Entschuldigung dafür, daß er den Wagen auf die linke Fahrbahn abweichen ließ; entgegen seiner Einlassung habe er auf dieser Straße auch jederzeit mit einem entgegenkommenden Fahrzeug rechnen müssen. Es ist nicht ersichtlich, daß das Berufungsgericht hierbei Besonderheiten in der Individualität des Klägers unberücksichtigt gelassen hat, die der Annahme grober Fahrlässigkeit entgegenständen. Die Revision hat nicht dargetan und wohl auch nicht dartun können, welche individuellen Umstände die Tatsache in milderem Lichte erscheinen lassen könnten, daß der Kläger unangemessen lange Zeit von der Fahrbahn fortsah, dabei aber gleichwohl mit dem Wagen in einer Weise weiterfuhr, daß es zu dem Zusammenstoß mit dem ihm begegnenden, bereits stehenden Mercedes-Wagen kam. Subsumtionsfehler etwa in der Richtung, daß die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten überspannt wären, sind dem Berufungsgericht nicht vorzuwerfen. Die im tatsächlichen Bereiche von ihm gezogenen Schlüsse lassen keinen rechtlichen Mangel erkennen; sie sind denkgesetzlich möglich und verstoßen nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze. Sie tragen daher ohne Rechtsfehler die rechtliche Folgerung, daß der Kläger den Schaden "grob fahrlässig" verursacht hat. Das Revisionsvorbringen zur "groben Fahrlässigkeit" erweist sich nach allem als ein Angriff gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Tatsachen- und Beweiswürdigung; solche Angriffe sind aber im Revisionsverfahren unzulässig (vgl § 137 Abs.2 VwGO)." | ||
Zutreffend ist im Ergebnis auch die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Haftung des Klägers sich nicht nach den zur "gefahren-" oder "schadengeneigten Arbeit" entwickelten Rechtsgrundsätzen mindere. | ||
Diese Grundsätze sind durch die Rechtsprechung der Zivil- und der Arbeitsgerichte für das bürgerliche Recht, besonders für das Arbeitsrecht,BVerwGE_19,243 (249) entwickelt worden (vgl BGHZ_16,111 ff.; BAGE_5,1 ff; BAG, Urteil vom 19.März 1959 -- 2_AZR_402.55 -- | ||
Es besteht kein Bedürfnis, die beamtenrechtlichen Haftungsvorschriften durch die dargelegten Rechtsgrundsätze zur "schadengeneigten Arbeit" zu ergänzen. Die beamtenrechtliche Schadensersatzregelung weicht, soweit der Beamte "in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes", also in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit, seinem Dienstherrn einen Schaden verursacht, von der bürgerlich-rechtlichen Gesetzesregelung ab. Fügt der Beamte in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit einem Dritten einen Schaden zu, so hat der Dienstherr dem Dritten den Schaden zu ersetzen und kann gegen den Beamten Rückgriff nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit nehmen (vgl § 23 Abs.2 des Deutschen Beamtengesetzes vom 26. Januar 1937 [RGBl.I S.39 | ||
Ob im Bereich der schlichten Verwaltung und der fiskalischen Tätigkeit, in dem der Beamte dem Dienstherrn bei jedem Verschuldensgrad zum Schadensersatz verpflichtet ist, die bürgerlich-rechtlichen Grundsätze zur "schadengeneigten Arbeit" sinngemäß heranzuziehen sind, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn der Kläger hat den Unfall vom 13. Februar auf einer polizeilichen Dienstfahrt, also "in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes", verursacht. | ||
Es mögen allerdings Fälle denkbar sein, in denen ein Beamter in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit grob fahrlässig einen so hohen Schaden verursacht, daß es selbst bei Berücksichtigung seines verhältnismäßig schweren Verschuldens unbillig oder sogar unzumutbar erscheint, den vollen Ersatz des Schadens von ihm zu verlangen. Solche Fälle, in denen sich nach den Grundsätzen zur "schadengeneigten Arbeit" seine Schadensersatzpflicht vielleicht mindern würde, sind aber Ausnahmefälle und nicht typisch für die hoheitliche Beamtentätigkeit. Ihre Möglichkeit rechtfertigt es nicht, von der abschließenden beamtengesetzlichen Haftungsregelung abzuweichen. In solchen Fällen kann sich allenfalls für den Dienstherrn die Frage stellen, ob nicht das beiderseitige Treueverhältnis und die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht es angemessen erscheinen lassen, den Schadensersatzanspruch nach Maßgabe des Haushaltsrechts (vgl § 54 der Reichshaushaltsordnung) nur soweit durchzusetzen, daß die Lebenshaltung und die Dienstfreude des Beamten nicht in unerträglicher Weise beeinträchtigt werden. Dabei würde es sich aber um eine vom Ermessen des Dienstherrn bestimmte Hilfeleistung handeln, die nicht den rechtlichen Bestand des Schadensersatzanspruchs berührt, sondern daran anknüpft, daß gegen den Beamten ein nach Grund und Höhe bestimmter voller Schadensersatzanspruch besteht (vgl. Fischer in ZBR_60,148 ). -- Auf diese Frage ist hier nicht näher einzugehen; denn hier ist der Schadensbetrag von 672,92 DM nicht so hoch, daß seine Zahlung den Kläger unzumutbar hart treffen würde. Deshalb würde hier übrigens auch die Anwendung der Grundsätze zur "schadengeneigten Arbeit" die durch grobe Fahrlässigkeit begründete Schadensersatzpflicht des Klägers nicht mindern, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat." | ||
Auszug aus BVerwG U, 17.09.64, - II_C_147.61 -, www.dfr/BVerfGE, Abs.8 ff | ||
§§§ |
65.001 | Dienstanweisung für Straßenwärter | |
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JURION-LS 1) Auch der Schutz vor Gefahren durch Straßenbäume ist in der Straßenverkehrssicherungspflicht enthalten. Die Straßenwärter brauchen keine jedoch forsttechnischen Spezialkenntnisse zu besitzen. Aus ihrer Dienstanweisung muß sich jedoch ergeben, worauf sie besonders zu achten haben. | ||
JURION-LS 2) In der Dienstanweisung muß z.B. enthalten sein, daß eine grüne Baumkrone kein sicheres Zeichen für Gesundheit und Standfestigkeit des Baumes ist. In diesen Fällen müssen die Straßenwärter jedenfalls hin und wieder den Stammfuß des Baumes bis zum Erdboden genau zu besichtigen und dazu nötigenfalls Straßenkehricht, Unkraut, Gras und ähnliche Sichtbehinderungen zurückdrängen oder entfernen. | ||
§§§ |
66.001 | Tollwut | |
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Der gesetzliche Ausschluß einer Entschädigung für die rechtmäßige Tötung von Hunden, von denen anzunehmen ist, daß sie mit tollwutkranken Tieren in Berührung gekommen sind, verstößt nicht gegen das Grundgesetz. | ||
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Beschschluss | Entscheidungsformel | |
§§§ |
67.001 | Öffentliche Straße | |
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Der Senat hält an der Auffassung fest ( BGHZ_9,373 = NJW_53,1297 ua ), daß die Verletzung der Verkehrsicherungspflicht für öffentliche Straßen nach § 823 BGB und nicht nach Art.34 GG iVm § 839 BGB zu beurteilen ist. | ||
§§§ |
67.002 | TÜV-Sachverständiger I | |
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1) Der amtlich anerkannte Sachverständige für den Kraftfahrzeugverkehr übt bei der ihm durch die StVZO übertragenen Tätigkeit hoheitliche Befugnisse aus. | ||
2) Für Amtspflichtverletzungen, die er bei Ausübung dieser Tätigkeit begeht, haftet nicht der Technische Überwachungsverein, der ihn angestellt das hat, sondern Land, das ihm die amtliche Anerkennung als Sachverständiger erteilt hat. | ||
§§§ |
76.002 | Bad Pyrmont |
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LB 2) Auch staatsvertraglich vereinbarte Bestandsgarantien unterliegen der "clausula rebus sic stantibus. | |
LB 3) Die Rechtsfolge des Eintritts der clausula rebus sic stantibus ist zunächst nicht der Wegfall der vertraglichen Verpflichtung, sondern die Pflicht der Beteiligten, nach einer Anpassung der vertraglichen Vereinbarung an die veränderten Verhältnisse zu suchen. | |
LB 4) Daraus hat das BVerfG die Folgerung gezogen, daß der sich auf die clausula rebus sic stantibus Berufende grundsätzlich verpflichtet ist, mit dem aus dem Vertrag Berechtigten in ernsthafte Verhandlungen einzutreten, die die Anpassung der Vereinbarung an die neuen Verhältnisse zum Ziel haben ( BVerfGE_34,216 <236 f>). | |
LB 5) Ist eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse - wie hier - nicht möglich, so kommt zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen den vertraglichen Leistungen und Gegenleistungen nur ein angemessener Ausgleich in Gestalt einer Geldleistung in Betracht, der weder einen Schadensersatz noch eine Entschädigung darstellt (vgl BVerfGE_34,216 <237>). | |
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Beschuss | Entscheidungsformel: |
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T-76-01 | Staatsvertrag + clausula rebus sic stantibus |
"1. Art.1 Abs.e des Schlußprotokolls enthält eine Bestandsgarantie für das Amtsgericht Bad Pyrmont. Die Existenz eines Amtsgerichts in Bad Pyrmont ist jedenfalls über den hier in Frage stehenden Zeitpunkt seiner Auflösung (1974) hinaus garantiert worden. Wenn eine unbeschränkte Bestandsgarantie hinsichtlich der staatlichen Behördenorganisation innerhalb eines Staatsvertrages auch etwas Außergewöhnliches darstellt, so kann sie im Einzelfall doch gewollt sein, wenn sich dies aus besonders gewichtigen Umständen ergibt. So liegen die Dinge hier: Dem Wortlaut nach ist Art.1 Abs.e Satz 1 weder befristet noch in sonstiger Weise beschränkt. Mit diesem Wortlaut wäre eine Auslegung der Klausel nicht vereinbar, die dahin ginge, daß das Amtsgericht Bad Pyrmont nur im Zusammenhang mit der Eingliederung Pyrmonts nach Preußen nicht aufgehoben werden durfte, und es danach lediglich bis zu einer sachlich begründeten Neuordnung, die alle Gerichte in gleicher Weise träfe, zu erhalten sei. Eine solche Auslegung würde auch dem Zweck der Klausel widersprechen: Das Amtsgericht sollte als Ausgleich für die durch die Eingliederung des Landesteils Pyrmont bedingte Einbuße an Gewicht der Stadt Pyrmont erhalten bleiben; die Bedeutung Pyrmonts innerhalb des kleinen Landes war relativ größer als sie nun innerhalb Preußens wurde. Um dieses Ausgleichs willen verzichtete Preußen insoweit sogar auf die ihm durch die vorausgegangenen Staatsverträge eingeräumte und in sein Ermessen gestellte Befugnis zur anderweitigen Organisation der Justizbehörden. Eine zeitliche Einschränkung der Garantie läßt sich auch nicht aus dem Gesamtinhalt des Vertrages herleiten. Im Gegenteil zeigt besonders § 9 Abs. 1 des Staatsvertrages, wonach einer noch zu gründenden Gesellschaft der Nießbrauch am Bade Pyrmont für 60 Jahre übertragen werden sollte, daß die Parteien mit längerfristigen Verpflichtungen, die über das Jahr 1980 hinausgehen, rechneten. Die Existenz so weitgehender ausdrücklicher Verpflichtungen verbietet eine diesen Zeitpunkt unterschreitende Auslegung anderer Vertragsklauseln mit der Begründung, daß die Vertragspartner eine Bindung bis in das Jahr 1974 nicht gewollt haben konnten. | |
2. Eine vertraglich unbeschränkt und vorbehaltlos gegebene Garantie steht jedoch unter dem Vorbehalt der clausula rebus sic stantibus, die ungeschriebener Bestandteil des Bundesverfassungsrechts ist (vgl BVerfGE_34,216 <231>). Ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall führt dazu, daß die Aufhebung des Amtsgerichts Bad Pyrmont nicht in Widerspruch mit Art.1 Abs.e des Schlußprotokolls steht. | |
Nach den vom Senat in der Entscheidung zum Coburger Staatsvertrag (BVerfGE_34,216 ff) entwickelten Grundsätzen, an denen festzuhalten ist, findet die clausula rebus sic stantibus Anwendung, "wenn sich die Verhältnisse, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestanden haben, mittlerweile grundlegend geändert haben und angesichts dieser Veränderung das Festhalten am Vertrag oder an einer Einzelvereinbarung innerhalb des Vertrags für den Verpflichteten unzumutbar geworden ist" (BVerfGE_34,216 <232>). | |
a) Die für die Gerichtsorganisation eines Landes erheblichen Verhältnisse haben sich seit Abschluß des Staatsvertrages grundlegend geändert. Mit dem Ausbau des Rechtsstaates und der fortschreitenden Verrechtlichung aller Lebensbereiche sind die Anforderungen an die Qualität der Rechtsprechung gestiegen. Die richterliche Entscheidung bedarf heute mehr denn je der sachlichen Überzeugungskraft. Zugleich haben die Zahl der Gesetze, die Kompliziertheit der Regelungen und der Umfang der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugenommen. Den unter diesen Umständen heute an eine leistungsfähige Rechtsprechung zu stellenden Anforderungen vermögen kleine Amtsgerichte mit nur ein oder zwei Richterplanstellen schwerlich zu genügen. Die Erhaltung und Steigerung der Qualität der Rechtsprechung verlangt im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit eine weitgehende Spezialisierung des Richters. Spezialisierung setzt eine Arbeitsteilung unter den Richtern eines Gerichts voraus; sie ist nur möglich an einem größeren Amtsgericht mit mehreren Richtern. Hinzu kommt, daß eine den modernen Bedürfnissen entsprechende Ausstattung der Gerichte mit Literatur und erst recht der Einsatz moderner bürotechnischer Hilfsmittel - einschließlich elektronischer Datenverarbeitungsanlagen - wirtschaftlich sinnvoll nur an größeren Gerichten möglich ist. | |
Die Zentralisierung des Gerichtswesens in größeren Gerichtseinheiten wird - heute anders als vor 50 Jahren - ermöglicht und erleichtert durch die Verbesserung der Verkehrs- und Postwege, die Einrichtung eines dichten Fernsprechnetzes und die zunehmende Motorisierung der Bevölkerung; der rechtssuchende Bürger überwindet heute die weiteren Entfernungen zum größeren Gericht leichter und rascher als 1922 den Weg zum ortsnahen Gericht. Schließlich sind die tatsächlichen Verhältnisse auch durch die kommunale Neugliederung teilweise einschneidend verändert worden. Das grundsätzlich anzuerkennende Prinzip der Einräumigkeit der Verwaltung (vgl BVerfGE_34,216 <233>) fordert aber wegen der häufig erforderlichen Zusammenarbeit und des erstrebenswerten Informationsaustausches besonders auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach Möglichkeit eine Anpassung der Bezirke der Gerichte erster Instanz an die Bezirke der Unterstufe der inneren Verwaltung (BVerfGE_34,216 <233 f>). | |
b) Angesichts dieser grundlegenden Veränderungen ist das Festhalten an der Pflicht des Art.1 Abs.e für das Land Niedersachsen auch unzumutbar geworden. Schon eine Ausnahme vom Prinzip der Einräumigkeit der Verwaltung würde - selbst wenn zwei Amtsgerichte innerhalb der Grenzen eines Kreises errichtet würden - auf Grund unterschiedlicher örtlicher Zuständigkeiten und der Dislozierung der Amtssitze die Zusammenarbeit zwischen Amtsgerichten und den verschiedenen Verwaltungsbehörden erschweren. | |
Vor allem aber: Wenn sich das Land Niedersachsen aus schwerwiegenden politischen Erwägungen, denen das Bundesverfassungsgericht nicht mit eigenen politischen Erwägungen entgegentreten kann, entschlossen hat, die kleinen Amtsgerichte mit nur ein oder zwei Richterplanstellen aufzulösen, so ist grundsätzlich auch das Interesse an der vollständigen Durchführung dieses Konzepts anzuerkennen. Ebenso wie die Neugliederung der Staatsverwaltung (BVerfGE_34,216 <234>) verträgt auch eine Neugliederung der Bezirke der erstinstanzlichen Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit vernünftigerweise keine Ausnahme, die erkennbar dem mit der Reform verfolgten Zweck zuwiderläuft. Demgegenüber kann nicht eingewandt werden, daß das Land selbst sein Konzept noch nicht "lupenrein" verwirklicht habe, weil noch Amtsgerichte mit ein oder zwei Richterplanstellen existieren. Das Land hat versichert, daß auch diese Gerichte aufgehoben werden sollen. Es liegt auf der Hand, daß ein umfassendes Reformkonzept nur schrittweise verwirklicht werden kann. Das Land ist auf Grund des Staatsvertrages auch nicht verpflichtet, mit der Auflösung des Amtsgerichts Bad Pyrmont bis zum "letzten Akt" der Reform zuzuwarten und das Amtsgericht Bad Pyrmont als letztes aufzulösen. | |
Eine mit dem Reformkonzept Niedersachsens vereinbare Möglichkeit, das Amtsgericht Bad Pyrmont aufrechtzuerhalten, ist nicht ersichtlich. | |
Die ständige Einrichtung einer Nebenstelle des Amtsgerichts Hameln in Bad Pyrmont, sei es auch nur beschränkt auf einige wenige Rechtsgebiete, steht unter Berücksichtigung der für die Bildung größerer Gerichtseinheiten maßgeblichen Gesichtspunkte der Erhaltung eines kleinen Amtsgerichts gleich, und kommt daher als zumutbare Alternative nicht in Betracht. | |
Die regelmäßige Abhaltung von Gerichtstagen in Bad Pyrmont könnte zwar die mit der Aufhebung des Amtsgerichts für die Bevölkerung von Bad Pyrmont uU verbundenen Schwierigkeiten mildern, stellt aber ebenfalls keine ausreichende Alternative zur Aufhebung des Amtsgerichts dar. | |
Die Verlegung des Amtsgerichts Hameln nach Bad Pyrmont ist ausgeschlossen, weil damit der Sitz des Gerichts an den Rand seines Sprengels verlegt würde, - ein bei den ungünstigen Verkehrsverbindungen gänzlich unzumutbares Ergebnis für die große Mehrheit der Gerichtseingesessenen. ]A2) 52 ]A2[ Auch die Vergrößerung des Sprengels des Amtsgerichts Bad Pyrmont um die nördlich angrenzenden Teile des Kreises, die Gemeinden Aerzen und Emmertal, kommt nicht in Betracht. Zunächst würde durch die Zuschlagung der Gemeinden Aerzen und Emmertal zum Sprengel des Amtsgerichts Bad Pyrmont noch nicht der vom Land angestrebte Richtwert von 60.000 Einwohnern für jedes Amtsgericht erreicht, da in diesen Gebieten nur je etwa 11.000 Einwohner leben. Die in Frage stehenden Gebiete sind seit je entsprechend den geographischen Verhältnissen raumordnerisch, insbesondere auch verkehrsmäßig eng der Stadt Hameln zugeordnet - sie sind insbesondere dem städtischen Verkehrsnetz angeschlossen -, so daß eine Zuschlagung dieser Gebiete zum Amtsgerichtsbezirk Bad Pyrmont in Widerspruch zur sonstigen Orientierung der dort ansässigen Bevöl | |
Auch die Vergrößerung des Sprengels des Amtsgerichts Bad Pyrmont um die nördlich angrenzenden Teile des Kreises, die Gemeinden Aerzen und Emmertal, kommt nicht in Betracht. Zunächst würde durch die Zuschlagung der Gemeinden Aerzen und Emmertal zum Sprengel des Amtsgerichts Bad Pyrmont noch nicht der vom Land angestrebte Richtwert von 60.000 Einwohnern für jedes Amtsgericht erreicht, da in diesen Gebieten nur je etwa 11.000 Einwohner leben. Die in Frage stehenden Gebiete sind seit je entsprechend den geographischen Verhältnissen raumordnerisch, insbesondere auch verkehrsmäßig eng der Stadt Hameln zugeordnet - sie sind insbesondere dem städtischen Verkehrsnetz angeschlossen -, so daß eine Zuschlagung dieser Gebiete zum Amtsgerichtsbezirk Bad Pyrmont in Widerspruch zur sonstigen Orientierung der dort ansässigen Bevölkerung nach Hameln stünde. Eine Lösung, die zwar den Interessen der Bevölkerung Bad Pyrmonts entgegenkäme, dafür aber zu erheblichen Nachteilen für die benachbarten Bevölkerungsteile führen würde, stellt keine Alternative zur Auflösung des Amtsgerichts dar; der Sinn der staatsvertraglichen Garantie ist die Erhaltung des Amtsgerichts zum Vorteil der Stadt und ihrer Bevölkerung, - aber nicht auf Kosten der Nachbarbevölkerung, dh nicht unter Inkaufnahme ganz erheblicher Nachteile für die fast gleichgroße Zahl von Bürgern zweier angrenzender Gemeinden. | |
In Ermangelung einer sinnvollen Alternative zur Aufhebung des Amtsgerichts Bad Pyrmont ist die Garantie des Art.1 Abs. e des Schlußprotokolls infolge der grundlegenden Änderung der Verhältnisse heute für das Land Niedersachsen unzumutbar geworden. Unter diesen Umständen ist das Land Niedersachsen nicht mehr durch Art.1 Abs.e des Schlußprotokolls gehindert, im Zuge der Neugliederung der Gerichte auch das Amtsgericht Bad Pyrmont aufzulösen. | |
3. Die Rechtsfolge des Eintritts der clausula rebus sic stantibus ist zunächst nicht der Wegfall der vertraglichen Verpflichtung, sondern die Pflicht der Beteiligten, nach einer Anpassung der vertraglichen Vereinbarung an die veränderten Verhältnisse zu suchen. Daraus hat das Bundesverfassungsgericht die Folgerung gezogen, daß der sich auf die clausula rebus sic stantibus Berufende grundsätzlich verpflichtet ist, mit dem aus dem Vertrag Berechtigten in ernsthafte Verhandlungen einzutreten, die die Anpassung der Vereinbarung an die neuen Verhältnisse zum Ziel haben (BVerfGE_34,216 <236 f>). Diese Pflicht hat das Land verletzt. Die Stadt hat sich zwar wiederholt unter Darlegung ihrer Auffassung schriftlich gegen die geplante Aufhebung des Amtsgerichts an die Landesregierung und die Landtagsabgeordneten gewandt, ihre Vertreter wurden auch einmal zu einer Aussprache im Ministerium empfangen, zu keiner Zeit ließ das Land jedoch ernsthaft über die Belassung des Amtsgerichts in Bad Pyrmont, über mögliche Alternativen zur geplanten Aufhebung und über die Folgen einer Aufhebung mit sich reden. Daraus läßt sich indessen hier keine die Auflösung des Gerichts in Frage stellende Folgerung ziehen, weil, wie dargelegt, auch das verfassungsrechtlich geforderte, aber unterbliebene Prozedere zu keinem anderen Ergebnis als der Aufhebung des Amtsgerichts Bad Pyrmont hätte führen können. | |
Ist eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse - wie hier - nicht möglich, so kommt zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen den vertraglichen Leistungen und Gegenleistungen nur ein angemessener Ausgleich in Gestalt einer Geldleistung in Betracht, der weder einen Schadensersatz noch eine Entschädigung darstellt (vgl BVerfGE_34,216 <237>). Der Senat hält hier die Zuerkennung eines Ausgleichs in Geld für geboten, weil die staatsvertragliche Bestandsgarantie für das Amtsgericht Bad Pyrmont gerade dem durch die Eingliederung nach Preußen bedingten Bedeutungsverlust, den die Stadt Bad Pyrmont erlitten hat, entgegenwirken sollte. | |
Für die Höhe der Geldleistung waren folgende Gesichtspunkte von Bedeutung: Die Antragstellerin wird durch die Auflösung des Amtsgerichts finanzielle Einbußen hinzunehmen haben. Zum einen werden die bisher am Gericht Beschäftigten ihren Wohnsitz an den neuen Beschäftigungsort verlegen. Zum anderen ist ein Rückgang an Besuchern der Stadt, die bisher zu den Gerichtsterminen angereist sind, zu erwarten. Die Bürger der Stadt müssen nunmehr zur Wahrnehmung ihrer Gerichtstermine nach Hameln reisen. Schließlich verliert die Stadt ihre besondere Bedeutung als "Gerichtsstätte". Der damit verbundene "Verlust an Zentralität" kann nicht nur die weitere Entwicklung der Stadt beeinträchtigen, sondern auch zur Folge haben, daß die Stadt bei zukünftigen, von der Bedeutung der Gemeinde abhängig gemachten Förderungsmaßnahmen des Bundes oder des Landes weniger berücksichtigt wird oder unberücksichtigt bleibt. Darnach erscheint als Ausgleich für den Wegfall der Verpflichtung aus Art. 1 Abs. e des Schlußprotokolls eine Geldleistung in Höhe von einer Million Deutsche Mark angemessen. Eine solche Ablösung der vertraglichen Garantie ist andererseits auch unter den gegenwärtigen finanziellen Verhältnissen dem Lande Niedersachsen zumutbar." | |
Auszug aus BVerfG U, 22.09.76, - 2_BvH_1/74 -, www.dfr/BVerfGE, Abs.41 ff | |
§§§ |
Amtshaftung - 60-69 | [ ] |
Saar-Daten-Bank (SaDaBa) - I n f o S y s t e m R e c h t - © H-G Schmolke 1998-2015
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