2010  
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10.001 Ultra-vires-Kontrolle
 
  1. BVerfG,     B, 06.07.10,     – 2_BvR_2661/06 –

  2. www.BVerfG.de = JURION = BVerfGE_126,286 -18 = DVBl_10,1229 -35 = JZ_10,1177 -85 = DÖV_10,941 = NJW_10,3422 -28

  3. GG_Art.101 Abs.1 S.2; AEUV_Art.267,

  4. Verfassungsrecht

 

1) a) Eine Ultra-vires-Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht kommt nur in Betracht, wenn ein Kompetenzverstoß der europäischen Organe hinreichend qualifiziert ist. Das setzt voraus, dass das kompetenzwidrige Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung zulasten der Mitgliedstaaten führt.

b) Vor der Annahme eines Ultra-vires-Akts ist dem Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art.267 AEUV die Gelegenheit zur Vertragsauslegung sowie zur Entscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der fraglichen Handlungen zu geben, soweit er die aufgeworfenen Fragen noch nicht geklärt hat.

 

2) Zur Sicherung des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes ist zu erwägen, in Konstellationen der rückwirkenden Nichtanwendbarkeit eines Gesetzes infolge einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union innerstaatlich eine Entschädigung dafür zu gewähren, dass ein Betroffener auf die gesetzliche Regelung vertraut und in diesem Vertrauen Dispositionen getroffen hat.

 

3). Nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht stellt einen Verstoß gegen Art.101 Abs.1 Satz 2 GG dar. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind. Dieser Willkürmaßstab wird auch angelegt, wenn eine Verletzung von Art.267 Abs.3 AEUV in Rede steht (Bestätigung von BVerfGE 82, 159 <194>).

* * *

Beschluss

Entscheidungsformel:

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

§§§

10.002 Nicht auffindbare Miterben
 
  1. BVerfG,     B, 21.07.10,     – 1_BvL_8/07 –

  2. www.BVerfG.de = JURION = BVerfGE_126,331 -69 = DÖV_10,902 = JuS_11,93 -94 = NVwZ-RR_10,745 = WM_10,2139 -43

  3. GG_Art.14 Abs.1; EntschG_§_10 Abs.1 S.1 Nr.7 S.2

  4. Verfassungsrecht

 

§ 10 Abs.1 Satz 1 Nr.7 Satz 2 des Gesetzes über die Entschädigung nach dem Gesetz über die Regelung offener Vermögensfragen ist mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit nicht auffindbare Miterben von ihren Rechten hinsichtlich ehemals staatlich verwalteter Vermögenswerte auch dann ausgeschlossen werden können, wenn zumindest ein anderer Miterbe bekannt und aufgefunden ist.

§§§

10.003 Einvernehmensverweigerung I
 
  1. BGH,     U, 16.09.10,     – III_ZR_29/10 –

  2. www.BGH.de = BGHZ_187,51 -60 = NVwZ_11,249 -51 = MDR_10,1320 -21 = VersR_11,120 -22

  3. BGB_§_839; BauGB_§_36; (By) LBO_§_74 (aF) = LBO_§_67 (nF)

  4. Amtshaftung

 

Im Baugenehmigungsverfahren obliegen der Gemeinde bei der Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs.1 BauGB keine den Bauwilligen schützenden Amtspflichten, wenn die Baugenehmigungsbehörde nach § 36 Abs.2 Satz 3 BauGB i.V.m. landesrechtlichen Vorschriften das rechtswid-rig verweigerte Einvernehmen ersetzen kann.

Abs.14

LB 2) Obwohl § 74 Abs.1 BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. August 1997 (GVBl.1997,433) als Kann-Vorschriften ausgestaltet ist, sprichts vieles dafür, dass es sich bei diesen Vorschriften um eine bloße Befugnisnormen handelt, bei denen auf der Rechtsfolgenseite kein Ermessen besteht, sondern eine gebundene Entscheidung zu treffen ist.

Abs.16

LB 3) Der Gebrauch von Rechtsmitteln zur Durchsetzung rechtswidriger oder zur Verhinderung rechtmäßiger behördlicher oder gerichtlicher Beschlüsse oder Entscheidungen kann eine selbständige Amtspflichtverletzung der das Rechtsmittel einlegenden Körperschaft zum Nachteil des von dem Rechtsmittel nachteilig betroffenen Bürgers darstellen.

Abs.18

LB 4) In Art.67 Abs.1 Satz 2 BayBO wird ausdrücklich bestimmt, dass der Bauwillige keinen Rechtsanspruch auf die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens hat. Diese Regelung hat der Bayerische Gesetzgeber geschaffen, um der "Gefahr einer Verlagerung von Haftungsrisiken von der das Einvernehmen verweigernden Gemeinde auf den Freistaat Bayern" entgegenzutreten (LT-Drucks.15/7161 S.70 zu Art.71a BayBO-E). Entgegen den Intentionen des Gesetzgebers vermag indes die Neuregelung an der haftungsrechtlichen Alleinverantwortlichkeit der Baugenehmigungsbehörde nichts zu ändern.

Abs.22

LB 6) Die bundeseinheitliche Vorgabe des § 36 Abs.2 Satz 3 BauGB überlässt dem Landesgesetzgeber zwar die Ausgestaltung der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens. Dies ändert aber nichts daran, dass diese Norm des Bundesrechts (schon aus Kompetenzgründen; vgl. Roeser aaO) eine ureigene bauplanungsrechtliche Regelung enthält mit entsprechenden Befugnissen der Fachbehörde und daran anknüpfenden Haftungsfolgen. Dabei darf die auf den Bauwilligen gerichtete Schutzrichtung der Vorschrift nicht dadurch abgeschwächt oder ausgehebelt werden, dass sie durch die landesrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften zu einem bloßen Mittel der Kommunalaufsicht umgestaltet wird (Klinger BayVBl. 2002, 481, 484 zu Art.74 BayGO a.F.).

* * *

T-10-01Versagung des gemeindlichen Einvernehmens

10

"Die rechtswidrige Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs.1 Satz 1 BauGB stellt hier keine Amtspflichtverletzung des Beklagten gegenüber dem Kläger dar.

11

a) Nach der Rechtsprechung des Senats zu § 36 BauGB in der bis zum Inkrafttreten des Bau- und Raumordnungsgesetzes 1998 vom 18. August 1997 (BGBl.1997 I S. 2081) geltenden Fassung - durch dieses Gesetz ist in § 36 Abs.2 BauGB der neue Satz 3 eingefügt worden - kommt eine Amtspflichtverletzung der das Einvernehmen versagenden Gemeinde in Betracht, wenn dies Bindungswirkung für die Baugenehmigungsbehörde hat. Der auf der Planungs-hoheit beruhenden Beteiligung der Gemeinde am Baugenehmigungsverfahren kann nämlich im Falle der Versagung des Einvernehmens eine für den Bauwilligen ausschlaggebende Bedeutung zukommen, wenn die Baugenehmigungsbehörde nach der Rechtslage gehindert ist, eine Baugenehmigung auszusprechen, solange die Gemeinde ihr Einvernehmen nicht erklärt hat (übereinstimmende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofs; vgl. z.B. BVerwGE_22,342, 345 ff; BVerwG UPR 1992, 234, 235; Senatsurteile vom 29. September 1975 - III_ZR_40/73, BGHZ_65,182, 186; vom 18. Dezember 1986 - III_ZR_174/85, BGHZ_99,262, 273; vom 21. Mai 1992 - III_ZR_14/91, BGHZ_118,263, 265; vom 13. Oktober 2005 - III_ZR_234/04, NVwZ_06,1177 ). Vereitelt oder verzögert die Gemeinde durch eine unberechtigte Versagung des Einvernehmens ein planungsrechtlich zulässiges Bauvorhaben, so berührt dies - sei es auch nur mittelbar - notwendig und bestimmungsgemäß die Rechtsstellung des Bauwilligen. Dies genügt, um eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem Bauwilligen als einem geschützten "Dritten" im Sinne des § 839 Abs.1 Satz 1 BGB zu bejahen. Dessen Interessen werden durch die Amtspflicht, das Einvernehmen nicht zu verweigern, wenn das Bauvorhaben nach den §§ 31, 33, 34 oder 35 BauGB zulässig ist, in individualisierter und qualifizierter Weise geschützt (Senat aaO BGHZ_65,182, 184 ff; seither st. Rspr. aaO BGHZ_118,263, 265 f m.w.N.).

12

b) Im vorliegenden Fall besteht die bislang in der Senatsrechtsprechung noch nicht beurteilte Besonderheit, dass nach § 36 Abs.2 Satz 3 BauGB i.V.m. Art.74 Abs.1 BayBO a.F. das rechtswidrig versagte aber erforderliche Einver-nehmen durch die Baugenehmigungsbehörde, die nicht zugleich die Gemeinde ist, ersetzt werden konnte. Offengelassen hat der Senat bisher, ob in einem solchen Fall eine Amtshaftung der Gemeinde in Betracht kommt, wenn - wie hier - die Baugenehmigungsbehörde davon absieht, das verweigerte gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. März 2008 - III_ZR_49/07, NVwZ_08,815, 816). Diese nunmehr entscheidungserhebliche Frage ist zu verneinen (zustimmend für eine Amtshaftung allein der Baugeneh-migungsbehörde Staudinger/Wurm, BGB, Neubearbeitung 2007, § 839 Rn. 606; Desens, DÖV 2009, 197, 205; Klinger, BayVBl. 2002, 481, 484 f; Lasotta, Das Einvernehmen der Gemeinde nach § 36 BauGB, 1998, S.218 f; so wohl auch Groß BauR 1999, 560, 571; a.A. de Witt/Krohn, in Handbuch des öffentlichen Baurechts, [12. EL

13

aa) Soweit der Baugenehmigungsbehörde die Befugnis eingeräumt ist, das versagte gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen, wird ihre Prüfungs- und Entscheidungskompetenz erweitert. Sie umfasst nicht nur die Frage, ob ein gemeindliches Einvernehmen erforderlich ist, sondern auch, ob die Verweige-rung der Gemeinde rechtswidrig ist. Die Bindungswirkung der negativen Entscheidung der Gemeinde für die Baugenehmigungsbehörde ist aufgehoben. Die Behörde ist mithin nicht mehr unter Umständen gezwungen, den Antrag auf Genehmigung eines an sich genehmigungsfähigen Bauvorhabens sehenden Auges allein wegen des rechtswidrig verweigerten Einvernehmens abzulehnen. Der maßgebliche Grund für die Annahme einer drittgerichteten Amtspflicht seitens der Gemeinde bei der Entscheidung über die Erteilung des Einvernehmens und damit ihrer haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit zum Bauherren - die Bindungswirkung ihrer Versagung für die Baugenehmigungsbehörde, obschon es sich bei dem gemeindlichen Einvernehmen nur um ein Verwaltungsinternum handelt - ist entfallen (vgl. Staudinger/Wurm aaO).

14

bb) Ein Bedürfnis dafür, die der Gemeinde bei ihrer Entscheidung über die Erteilung des Einvernehmens obliegenden Amtspflichten trotz fehlender Bindungswirkung gleichwohl als drittgerichtet anzusehen und so auch weiterhin eine (Mit-)Haftung der Gemeinde für möglich zu halten, lässt sich auch nicht aus dem Umstand herleiten, dass § 36 Abs.2 Satz 3 BauGB und der vorliegend noch anwendbare § 74 Abs.1 BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. August 1997 (GVBl. 1997, 433) als Kann-Vorschriften ausgestaltet sind. Insoweit spricht bereits vieles dafür, dass es sich bei diesen Vorschriften um bloße Befugnisnormen handelt, bei denen auf der Rechtsfolgenseite kein Er-messen besteht, sondern eine gebundene Entscheidung zu treffen ist (in die-sem Sinne Roeser, in Berliner Kommentar zum BauGB, [September 2007

15

Es besteht daher nicht die Gefahr, dass der durch die rechtswidrige Versagung des gemeindlichen Einvernehmens entstandene Schaden deshalb nicht zu erstatten ist, weil die Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde, das Einver-nehmen nicht zu ersetzen, gleichwohl als ermessensfehlerfrei und damit als nicht amtspflichtwidrig einzustufen ist.

16

cc) Weiterhin besteht aus Sicht des geschädigten Bürgers auch keine Notwendigkeit, wegen etwaiger Verzögerungsschäden, die der Bauaufsichtsbe-hörde haftungsrechtlich nicht zugerechnet werden können, die Amtspflichten der Gemeinde als drittgerichtet zu qualifizieren. Nach § 36 Abs.2 Satz 2 BauGB gilt das Einvernehmen der Gemeinde als erteilt, wenn es nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde oder nach Einreichung des Bauantrags - sofern dieser nach Landesrecht bei der Gemeinde und nicht bei der Genehmigungsbehörde einzureichen ist - verweigert wird. Durch diese der Beschleunigung des Baugenehmigungsverfahrens dienende Vorschrift ist sichergestellt, dass die Entscheidung über die Verweigerung des Einvernehmens zeitnah nach Stellung des Baugesuchs getroffen wird. Verweigert die Gemeinde das Einvernehmen, kann die Rechtmäßigkeit der Verweigerung - und damit die Frage, ob das Einvernehmen zu ersetzen ist - im Rahmen der ohnehin von der Bauaufsichtsbehörde anzustellenden Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen mitgeprüft werden. Zu erheblichen zeitlichen Verzögerungen kann es eigentlich nur dann kommen, wenn die Gemeinde gegen die trotz der Verweigerung des Einvernehmens erteilte Baugenehmigung mit einem Rechtsbehelf vorgeht. Durch die Ergreifung eines sol-chen Rechtsbehelfs wird jedoch der Bereich des bloßen Verwaltungsinternums verlassen. Insoweit gilt der in der Rechtsprechung des Senats anerkannte Grundsatz, dass der Gebrauch von Rechtsmitteln zur Durchsetzung rechtswid-riger oder zur Verhinderung rechtmäßiger behördlicher oder gerichtlicher Beschlüsse oder Entscheidungen eine selbständige Amtspflichtverletzung der das Rechtsmittel einlegenden Körperschaft zum Nachteil des von dem Rechtsmittel nachteilig betroffenen Bürgers darstellen kann (siehe Staudinger/Wurm aaO Rn.607).

17

c) Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, ergeben sich für das vorliegende Verfahren für die Frage der Amtshaftung des beklagten Markts we-gen der rechtswidrigen Versagung des Einvernehmens nach § 36 Abs.2 Satz 1 BauGB keine relevanten Schlussfolgerungen daraus, dass Art.74 BayBO a.F. durch Art.67 BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. August 2007 (GVBl. 2007, 588) ersetzt worden ist.

18

In Art.67 Abs.1 Satz 2 BayBO wird nunmehr ausdrücklich bestimmt, dass der Bauwillige keinen Rechtsanspruch auf die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens hat. Diese Regelung hat der Bayerische Gesetzgeber geschaffen, um der "Gefahr einer Verlagerung von Haftungsrisiken von der das Einvernehmen verweigernden Gemeinde auf den Freistaat Bayern" entgegenzutreten (LT-Drucks. 15/7161 S.70 zu Art.71a BayBO-E).

19

Entgegen den Intentionen des Gesetzgebers vermag indes die Neuregelung an der haftungsrechtlichen Alleinverantwortlichkeit der Baugenehmigungs-behörde nichts zu ändern.

20

(1) Auch wenn der Bauwillige keinen eigenständigen Anspruch auf Ersetzung des rechtswidrig verweigerten gemeindlichen Einvernehmens hat, so bleibt es dabei, dass in diesem Fall bei Ablehnung der Baugenehmigung seine grundrechtlich geschützte Rechtsposition verletzt wird. Er hat einen grundrecht-lich geschützten Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung gegenüber der Baugenehmigungsbehörde. Das kann nicht durch die genannte landesrechtliche Regelung in Frage gestellt werden. Wegen der unverändert bestehenden Ersetzungsbefugnis und Ersetzungspflicht der Baugenehmigungsbehörde hat Art.67 Abs.1 Satz 2 BayBO auf die Haftungslage keine Auswirkungen. Es bleibt vielmehr bei dem vom erkennenden Senat aufgestellten Grundsatz, dass die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der Baugenehmigungsbehörde dann begründet ist, wenn sie in eigener Verantwortung über die Baugenehmigung zu befinden hat und die Prüfungskompetenz nicht hinter derjenigen der Gemeinde zurückbleibt (Senatsurteil aaO. BGHZ 99, 262, 273 f). Dies ist gegeben, wenn die Baugenehmigungsbehörde über die Frage der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens entscheiden muss und zwar unbeschadet der Frage, ob der Bauwillige einen eigenständigen Rechtsanspruch hierauf hat.

21

(2) Ohne Belang ist insoweit auch, dass nach der Vorstellung des Lan-desgesetzgebers die Ersetzungsbefugnis materiell eine kommunalaufsichts-rechtliche Regelung sein soll (LT-Drucks. 15/7161 aaO). Zwar beschränkt sich die Aufsicht gegenüber der Gemeinde in weisungsfreien Angelegenheiten darauf, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sicherzustellen (Art.109 Abs.1 BayGO). Sie dient damit grundsätzlich nur dem Interesse des allgemeinen Wohls, nicht aber dem Individualinteresse des Einzelnen. Durch die bloße Stellung eines Baugenehmigungsantrags wird zwischen dem Bauwilligen und der Kom-munalaufsichtsbehörde - anders als gegenüber der Baugenehmigungsbehörde - auch keine "besondere Beziehung" geschaffen, die ausnahmsweise eine Pflicht zum Einschreiten zugunsten des Bauwilligen hätte begründen können (Senatsurteil aaO BGHZ_118,263, 274). Jedoch hat es der Bayerische Landes-gesetzgeber trotz der bei der letzten Novellierung der Bauordnung geäußerten rechtlichen Bewertung dabei belassen, dass die Ersetzungsbefugnis der Bau-genehmigungsbehörde in das bauordnungsrechtliche Verfahren eingebettet bleibt, und diese nicht in das kommunalaufsichtsrechtliche eingefügt. Bei Schaffung des Art.81 BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. April 1994 (GVBl. 1994, 251), der Vorgängerregelung des Art.74 BayBO a.F., hat der Gesetzgeber jedoch eine Verbindung zwischen dem kommunalaufsichts-rechtlichen und dem bauaufsichtsrechtlichen Genehmigungsverfahren herstellen wollen (LT-Drucks. 12/13482 S.64 zu Art.74a BayBO-E). Damit aber wirken die im bauaufsichtrechtlichen Verfahren zu wahrenden Grundrechtspositionen des Bauwilligen auch auf das Verfahren zur Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens ein (vgl. Groß BauR 1999, 560, 570). Dies entsprach auch der Absicht des Landesgesetzgebers im damaligen Gesetzgebungsverfahren, der die Stärkung des Rechtsschutzes des Bürgers ausdrücklich als einen Zweck der Regelung angesehen hat, und zwar in der Erkenntnis, dass insoweit die - schon immer gegebenen - Möglichkeiten der Kommunalaufsicht nicht ausrei-chend sind (LT-Drucks. 12/13482 S.64 f).

22

(3) Im Übrigen darf bei der rechtlichen Würdigung des Art.67 BayBO n.F. der Zusammenhang dieser landesrechtlichen Vorschrift mit § 36 Abs.2 Satz 3 BauGB nicht übersehen werden. Die bundeseinheitliche Vorgabe des § 36 Abs.2 Satz 3 BauGB überlässt dem Landesgesetzgeber zwar die Ausgestaltung der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens. Dies ändert aber nichts daran, dass diese Norm des Bundesrechts (schon aus Kompetenzgründen; vgl. Roeser aaO) eine ureigene bauplanungsrechtliche Regelung enthält mit entsprechenden Befugnissen der Fachbehörde und daran anknüpfenden Haftungsfolgen. Dabei darf die auf den Bauwilligen gerichtete Schutzrichtung der Vorschrift nicht dadurch abgeschwächt oder ausgehebelt werden, dass sie durch die landesrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften zu einem bloßen Mittel der Kommunalaufsicht umgestaltet wird (Klinger BayVBl. 2002, 481, 484 zu Art.74 BayGO a.F.).

23

2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff gegen den Beklagten zu. Wie bereits ausgeführt, stellt sich die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens wegen der gesetzlich vorgesehenen Erset-zungsbefugnis der Baugenehmigungsbehörde als "behördeninterner" Vorgang ohne Bindungswirkung für die Baugenehmigungsbehörde dar. Das hat zur Konsequenz, dass der Eingriffstatbestand allein im außengerichteten Handeln der Baugenehmigungsbehörde, nämlich in der Ablehnung des Bauantrags und der unterlassenen Ersetzung des Einvernehmens, zu erblicken ist und diese auch im Hinblick auf das Institut des enteignungsgleichen Eingriffs alleinverantwort-lich ist (Staudinger/Wurm aaO § 839 Rn.452)."

 

Auszug aus BGH U, 16.09.10, - III_ZR_29/10 -, www.BVerwG.de,  Abs.10 ff

§§§

10.004 Rückgabeansprüchen
 
  1. BGH,     U, 04.11.10,     – III_ZR_275/09 –

  2. www.BGH.de = JURION = NJW_10,8 = MDR_11,30 -32

  3. BGB_§_839; (DDR) StHG_§_4 Abs.3, StHG_§_6; AnmVO_§_4 Abs.2

  4. Amtshaftung

 

1) Ist vor Beginn des Laufs der Verjährungsfrist ein Antrag auf Schadensersatz nach § 4 Abs.3 StHG gestellt, über den nach Grund und Höhe in einem Verwaltungsverfahren nach § 5 Abs.3 StHG zu befinden ist, tritt die mit der Antragstellung verbundene Unterbrechungswirkung mit dem Beginn des Laufs der Verjährungsfrist ein (im Anschluss an BGHZ_52,47 ).

 

2) Im Anwendungsbereich des Staatshaftungsgesetzes will die in § 5 Abs.2 vorgesehene Pflicht zur Weiterleitung eines Schadensersatzantrags an die zuständige Stelle sicherstellen, dass einem Geschädigten die mit der rechtzeitigen Stellung des Antrags verbundenen verjährungsrechtlichen Wirkungen zugute kommen.

 

3) Verzichtet ein vom Restitutionsantragsteller beauftragter Rechtsanwalt darauf, sich vom Amt zur Regelung offener Vermögensfragen eine Eingangsbestätigung für die Anmeldung von Rückgabeansprüchen erteilen zu lassen, ergibt sich hieraus keine anderweitige Ersatzmöglichkeit für Schadensersatzansprüche, die auf einer mangelhaften Registrierung des tatsächlich eingegangenen Antrags beruhen.

§§§

10.005 Richterspruchprivileg
 
  1. BGH,     U, 04.11.10,     – III_ZR_32/10 –

  2. www.BGH.de = openJur = BGHZ_187,286 = NJW_11,1072 = DÖV_11,372 = VersR_11,494

  3. BGB_§_839 Abs.2 S.1

  4. Amtshaftung

 

1) Das Richterspruchprivileg des § 839 Abs.2 Satz 1 BGB (Amtspflichtverletzung "bei dem Urteil in einer Rechtssache" erfasst auch alle prozessleitenden Maßnahmen, die objektiv darauf gerichtet sind, die Rechtssache durch Urteil zu entscheiden, also die Grundlagen für die Sachentscheidung zu gewinnen.

 

2) Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs.2 Satz 1 BGB ist der verfassungsrechtliche Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit zu berücksichtigen. Daraus folgt, dass das richterliche Verhalten bei der Prozessführung im Amtshaftungsprozess nur auf seine Vertretbarkeit hin zu überprüfen ist. Bei der Würdigung, ob dem Richter pflichtwidrige Verzögerungen anzulasten sind (§ 839 Abs.2 Satz 2 BGB), ist zu beachten, dass sich bei zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet. Der Zeitfaktor ist aber auch bei langer Verfahrensdauer nicht der allein entscheidende Maßstab.

§§§

10.006 Krankenhausbeh-/Rehabilitation
 
  1. BGH,     U, 18.11.10,     – III_ZR_239/09 –

  2. www.BGH.de = JURION = MDR_11,160 = VersR_11,348 -51

  3. BGB_§_280, BGB_§_839; SGB-V_§_39, SGB-V_§_40, SGB-V_§_107, SGB-V_§_111,

  4. Amtshaftung

 

Zur Abgrenzung der Krankenhausbehandlung von der medizinischen Rehabilitation für Neurologiepatienten, die nach den Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation der Phase B zuzuordnen sind.

§§§

10.007 Windkraftanlagen
 
  1. BGH,     U, 02.12.10,     – III_ZR_251/09 –

  2. www.BGH.de = JURION = BauR_11,814 -16 = DÖV§_11,456 = MDR_11,95

  3. BGB_§_839; BauGB_§_33 Abs.1, BauGB_§_35 Abs.3 S.1 Nr.1 + S.3ä,

  4. Baurecht

 

Zur Berücksichtigung von Darstellungen in einem in Aufstellung befindlichen Flächennutzungsplan als einem privilegierten Außenbereichsvorhaben (hier: Errichtung von Windkraftanlagen) entgegenstehender öffentlicher Belang.

 

LB 2) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, setzt eine Ausschlusswirkung nach § 35 Abs.3 Satz 3 BauGB jedoch voraus, dass der Flächennutzungsplan mit der dem Bauvorhaben entgegenstehenden Darstellung wirksam ist (BVerwG ZfBR 2010, 675, 676 f; BauR 2003, 1172, 1174; vgl. auch BVerwGE_122,364, 367 zum regionalen Raumordnungsplan).

§§§

10.008 Beseitigung von Baumängeln
 
  1. BGH,     U, 09.12.10,     – VII_ZR_206/09 –

  2. www.BGH.de = JURION = BGHZ_188,8 -19 = NJW_11,1347 -50 = MDR_11,154 -155 =VersR_11,809 -12

  3. BGB_§_320, BGB_§_641 Abs.1, BGB_§_765; MaBV_§_3, MaBV_§_7; BNotO_§_19/1

  4. Amtshaftung / Notarhaftung

 

Eine Bürgschaft nach § 7 MaBV, die als Sicherheit dafür vereinbart wird, dass der Bauträger nach Baufortschritt geschuldete Zahlungen entgegen nehmen darf, ohne dass die Voraussetzungen des § 3 Abs.1 Satz 1 Nr.2 - 4 MaBV vorliegen, sichert keine Ansprüche des Erwerbers auf Ersatz von Aufwendungen für die Beseitigung von Baumängeln.

§§§

  Amtshaftung - 2010 [ › ]

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§§§