2011 | ||
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2010 2012 | [ ] |
11.001 | Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten |
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Die Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten wegen Erwerbsminderung nach § 77 Abs.2 Satz 1 Nr.3 SGB VI in der ab dem 1.Januar 2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.Dezember 2000 (BGBl I S.1827) ist mit dem Grundgesetz vereinbar, auch wenn der Rentenbezug vor der Vollendung des 60.Lebensjahres beginnt. | |
§§§ | |
11.002 | Lebenspartnerschaft von Transexuellen |
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Es verstößt gegen Art.2 Abs.1 und Abs.2 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG, dass ein Transsexueller, der die Voraussetzungen des § 1 Abs.1 Nr.1 bis 3 Transsexuellengesetz erfüllt, zur rechtlichen Absicherung seiner gleichgeschlechtlichen Partnerschaft nur dann eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründen kann, wenn er sich zuvor gemäß § 8 Abs.1 Nr.3 und 4 des Transsexuellengesetzes einem seine äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat sowie dauernd fortpflanzungsunfähig ist und aufgrund dessen personenstandsrechtlich im empfundenen und gelebten Geschlecht Anerkennung gefunden hat. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
11.003 | Arbeitgeberwechsel |
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Zum Erfordernis der Wahrung von Arbeitnehmerrechten beim gesetzlich vollzogenen Arbeitgeberwechsel im Rahmen einer Privatisierung (Universitätsklinikum Gießen und Marburg) | |
§§§ | |
11.004 | Dreiteilungsmethode |
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Die zur Auslegung des § 1578 Abs.1 Satz 1 BGB entwickelte Rechtsprechung zu den "wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen" unter Anwendung der Berechnungsmethode der sogenannten Dreiteilung löst sich von dem Konzept des Gesetzgebers zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts und ersetzt es durch ein eigenes Modell. Mit diesem Systemwechsel überschreitet sie die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und verletzt Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art.20 Abs.3 GG). | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
11.005 | Flughafen-Frankfurt-Demonstration |
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1) Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung. | |
2) Die besondere Störanfälligkeit eines Flughafens rechtfertigt nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit weitergehende Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, als sie im öffentlichen Straßenraum zulässig sind. | |
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Urteil: | Entscheidungsformel: |
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T-11-01 | Nutzung zivilrechtlicher Handlungsformen |
"Die Nutzung zivilrechtlicher Formen enthebt die staatliche Gewalt nicht von ihrer Bindung an die Grundrechte gemäß Art.1 Abs.3 GG. Dies gilt sowohl für die Verwendung von zivilrechtlichen Handlungsformen als auch für den Einsatz privatrechtlicher Organisations- und Gesellschaftsformen. Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung. | |
Gemäß Art.1 Abs.3 GG binden die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Sie gelten nicht nur für bestimmte Bereiche, Funktionen oder Handlungsformen staatlicher Aufgabenwahrnehmung, sondern binden die staatliche Gewalt umfassend und insgesamt. Der Begriff der staatlichen Gewalt ist dabei weit zu verstehen und erstreckt sich nicht nur auf imperative Maßnahmen. Entscheidungen, Äußerungen und Handlungen, die - auf den jeweiligen staatlichen Entscheidungsebenen - den Anspruch erheben können, autorisiert im Namen aller Bürger getroffen zu werden, sind von der Grundrechtsbindung erfasst. Grundrechtsgebundene staatliche Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG ist danach jedes Handeln staatlicher Organe oder Organisationen, weil es in Wahrnehmung ihres dem Gemeinwohl verpflichteten Auftrags erfolgt. | |
Art.1 Abs.3 GG liegt dabei eine elementare Unterscheidung zugrunde: Während der Bürger prinzipiell frei ist, ist der Staat prinzipiell gebunden. Der Bürger findet durch die Grundrechte Anerkennung als freie Person, die in der Entfaltung ihrer Individualität selbstverantwortlich ist. Er und die von ihm gegründeten Vereinigungen und Einrichtungen können ihr Handeln nach subjektiven Präferenzen in privater Freiheit gestalten, ohne hierfür grundsätzlich rechenschaftspflichtig zu sein. Ihre Inpflichtnahme durch die Rechtsordnung ist von vornherein relativ und - insbesondere nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit - prinzipiell begrenzt. Demgegenüber handelt der Staat in treuhänderischer Aufgabenwahrnehmung für die Bürger und ist ihnen rechenschaftspflichtig. Seine Aktivitäten verstehen sich nicht als Ausdruck freier subjektiver Überzeugungen in Verwirklichung persönlicher Individualität, sondern bleiben in distanziertem Respekt vor den verschiedenen Überzeugungen der Staatsbürger und werden dementsprechend von der Verfassung umfassend an die Grundrechte gebunden. Diese Bindung steht nicht unter einem Nützlichkeits- oder Funktionsvorbehalt. Sobald der Staat eine Aufgabe an sich zieht, ist er bei deren Wahrnehmung auch an die Grundrechte gebunden, unabhängig davon, in welcher Rechtsform er handelt. Dies gilt auch, wenn er für seine Aufgabenwahrnehmung auf das Zivilrecht zurückgreift. Eine Flucht aus der Grundrechtsbindung in das Privatrecht mit der Folge, dass der Staat unter Freistellung von Art.1 Abs.3 GG als Privatrechtssubjekt zu begreifen wäre, ist ihm verstellt..." | |
"a) Die Versammlungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleis tet. Vielmehr können Versammlungen unter freiem Himmel gemäß Art.8 Abs.2 GG du rch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Diesem Gesetzesvorbeh alt unterfallen auch Versammlungen im Innern des Frankfurter Flughafens. | |
Versammlungen an Orten allgemeinen kommunikativen Verkehrs sind Versammlungen unter freiem Himmel im Sinne des Art.8 Abs.2 GG und unterliegen dem Gesetzesvorbehalt. Dies gilt unabhängig davon, ob die der Allgemeinheit geöffneten Orte als solche in der freien Natur oder in geschlossenen Gebäuden liegen. Maßgeblich ist, dass Versammlungen an solchen Orten ihrerseits in einem öffentlichen Raum, das heißt inmitten eines allgemeinen Publikumsverkehrs stattfinden und von diesem nicht räumlich getrennt sind. | |
Der Begriff der "Versammlung unter freiem Himmel" des Art.8 Abs.2 GG darf nicht in einem engen Sinne als Verweis auf einen nicht überdachten Veranstaltungsort verstanden werden. Sein Sinn erschließt sich vielmehr zutreffend erst in der Gegenüberstellung der ihm unterliegenden versammlungsrechtlichen Leitbilder: Während "Versammlungen unter freiem Himmel" idealtypisch solche auf öffentlichen Straßen und Plätzen sind, steht dem als Gegenbild die Versammlung in von der Öffentlichkeit abgeschiedenen Räumen wie etwa in Hinterzimmern von Gaststätten gegenüber. Dort bleiben die Versammlungsteilnehmer unter sich und sind von der Allgemeinheit abgeschirmt, so dass Konflikte, die eine Regelung erforderten, weniger vorgezeichnet sind. Demgegenüber finden Versammlungen "unter freiem Himmel" in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit einer unbeteiligten Öffentlichkeit statt (vgl. Arbeitskreis Versammlungsrecht, Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes, Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz | |
aa) Der Gesetzesvorbehalt des Art.8 Abs.2 GG erlaubt es dem Gesetzgeber, Ermächtigungsgrundlagen zu schaffen, aufgrund derer die Versammlungsfreiheit beschränkt werden kann. Der Gesetzgeber kann staatlichen Behörden die Befugnis einräumen, Versammlungen unter bestimmten Bedingungen mit beschränkenden Verfügungen zu versehen oder sie erforderlichenfalls auch zu untersagen. Soweit in dieser Weise spezifische hoheitliche Entscheidungsbefugnisse geschaffen werden und entsprechende Entscheidungen einseitig durchsetzbar sind, verlangt Art. 8 Abs. 2 GG eine bewusste und ausdrücklich auf die Versammlungsfreiheit der Bürger bezogene Regelung durch den Gesetzgeber. Die Eingriffsvoraussetzungen müssen in hinreichend bestimmter und normenklarer Weise zumindest in den Grundzügen vom Gesetzgeber selbst festgelegt werden. Dem entspricht, dass für entsprechende Regelungen auch das Zitiergebot des Art.19 Abs.1 Satz 2 GG gilt und die in ihm liegende Warnfunktion entfaltet. | |
Durch das Versammlungsgesetz des Bundes, das im Land Hessen gemäß Art.125a Abs.1 Satz 1 GG bis zur Ablösung durch ein Versammlungsgesetz des Landes fortgilt, hat der Gesetzgeber von diesem Gesetzesvorbehalt Gebrauch gemacht. Das Versammlungsgesetz ist dabei nicht auf Versammlungen im öffentlichen Straßenraum beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle öffentlichen Versammlungen, unabhängig davon, ob sie auf privatem oder öffentlichem Grund stattfinden. Es findet damit auf Versammlungen im Frankfurter Flughafen Anwendung. | |
bb) Dies lässt unberührt, dass die öffentliche Hand, wenn sie in den Formen des Privatrechts handelt, Beschränkungen der Versammlungsfreiheit zusätzlich auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, hier § 903 Satz 1, § 1004 BGB, stützen kann. Auch diese Vorschriften füllen in diesem Fall Art.8 Abs.2 GG aus. Dem steht nicht entgegen, dass es sich insoweit nicht um versammlungsbezogene Vorschriften handelt und damit deren Reichweite für Versammlungen durch den Gesetzgeber inhaltlich nicht näher präzisiert ist. Da die öffentliche Hand hier wie jeder Private auf die allgemeinen Vorschriften des Zivilrechts zurückgreift, ihr also keine spezifisch hoheitlichen Befugnisse eingeräumt werden und sie ihre Entscheidungen grundsätzlich auch nicht einseitig durchsetzen kann, sind die sonst an Eingriffsgesetze zu stellenden Anforderungen zurückgenommen. Auch das Zitiergebot des Art.19 Abs.1 Satz 2 GG kann gegenüber solchen unspezifischen Bestimmungen eine Warnfunktion nicht erfüllen und findet keine Anwendung. Grundrechtseingriffe in Art.8 Abs.1 GG, die sich allein auf die allgemeinen Befugnisse des Privatrechts stützen, sind damit nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil es an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage fehlt. Dies ist die Konsequenz dessen, dass der Staat überhaupt in den Formen des Privatrechts handeln darf. | |
cc) Versammlungsbeschränkende Entscheidungen, die ein öffentliches beziehungsweise öffentlich beherrschtes Unternehmen allein auf das Privatrecht stützt, vermögen die Eingriffsbefugnisse staatlicher Behörden gegenüber Versammlungen allerdings nicht zu erweitern oder gar zu begründen. Soweit die Versammlungsbehörde in Bezug auf eine Versammlung im Flughafenbereich Entscheidungen trifft oder die Vollzugspolizei zur Rechtsdurchsetzung einschreitet, haben diese zwar die Flughafenbetreiberin als Betroffene grundsätzlich einzubeziehen und gegebenenfalls deren Einschätzungen - wie sie insbesondere in der Flughafenbenutzungsordnung zum Ausdruck kommen - zu berücksichtigen, sind aber sachlich allein an die Vorgaben der für sie selbst geltenden Ermächtigungsgrundlagen - und damit vorrangig an das Versammlungsgesetz - gebunden. ..." | |
Auszug aus BVerfG U, 22.02.11, - 1_BvR_699/06 -, www.BVerfG.de, Abs.46 ff | |
§§§ | |
11.006 | Zwangsbehandlung |
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1) Der schwerwiegende Eingriff in das Grundrecht aus Art.2 Abs.2 GG, der in der medizinischen Behandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten gegen dessen natürlichen Willen liegt, kann auch zur Erreichung des Vollzugsziels gerechtfertigt sein. | |
2) Eine Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziels ist nur zulässig, wenn der Untergebrachte krankheitsbedingt zur Einsicht in die Behandlungsbedürftigkeit oder zum Handeln gemäß dieser Einsicht nicht fähig ist. Maßnahmen der Zwangsbehandlung dürfen nur als letztes Mittel und nur dann eingesetzt werden, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg versprechen und für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden sind, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen. Zum Schutz der Grundrechte des Untergebrachten sind besondere verfahrensmäßige Sicherungen geboten. | |
3) Die wesentlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung bedürfen klarer und bestimmter gesetzlicher Regelung. Dies gilt auch für die Anforderungen an das Verfahren. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
11.007 | Entscheidungen des EGMR |
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1) Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die neue Aspekte für die Auslegung des Grundgesetzes enthalten, stehen rechtserheblichen Änderungen gleich, die zu einer Überwindung der Rechtskraft einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führen können. | |
2) a) Die Europäische Menschenrechtskonvention steht zwar innerstaatlich im Rang unter dem Grundgesetz. Die Bestimmungen des Grundgesetzes sind jedoch völkerrechtsfreundlich auszulegen. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes (BVerfGE_74,358 <370>; stRspr). | |
3) a) Der in der Sicherungsverwahrung liegende, schwerwiegende Eingriff in das Freiheitsgrundrecht (Art.2 Abs.2 Satz 2 GG) ist nur nach Maßgabe strikter Verhältnismäßigkeitsprüfung und unter Wahrung strenger Anforderungen an die zugrundeliegenden Entscheidungen und die Ausgestaltung des Vollzugs zu rechtfertigen. Dabei sind auch die Wertungen des Art.7 Abs.1 EMRK zu berücksichtigen. | |
4) Der in der nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung über die frühere Zehnjahreshöchstfrist hinaus und in der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung liegende, schwerwiegende Eingriff in das Vertrauen des betroffenen Personenkreises ist angesichts des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht (Art.2 Abs.2 Satz 2 GG) verfassungsrechtlich nur nach Maßgabe strikter Verhältnismäßigkeitsprüfung und zum Schutz höchster Verfassungsgüter zulässig. Das Gewicht der berührten Vertrauensschutzbelange wird durch die Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in Art.5 Abs.1 und Art.7 Abs.1 EMRK verstärkt. | |
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Urteil: | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
11.008 | Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe |
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1) a) Es beeinträchtigt weder die Gesetzesbindung der Gerichte noch den Anspruch des Einzelnen auf wirksame gerichtliche Kontrolle nach Art.19 Abs.4 GG, wenn die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch gesetzliche Verweisung auf bestimmte Verwaltungsvorschriften oder sonstige untergesetzliche Regelwerke erfolgt oder wenn die konkretisierende Heranziehung solcher Vorschriften oder Regelwerke in vergleichbarer Weise auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht. | |
2) Von Gerichten nicht oder nur eingeschränkt überprüfbare Letztentscheidungsbefugnisse über Rechte des Einzelnen dürfen der vollziehenden Gewalt nur aufgrund eines Gesetzes eingeräumt werden. Dabei hat es der Gesetzgeber in der Hand, den Umfang und Gehalt der subjektiven Rechte der Bürger zu definieren und damit mit entsprechenden Folgen für den Umfang der gerichtlichen Kontrolle auch deren Rechtsstellung gegenüber der Verwaltung differenziert auszugestalten. | |
3) Will der Gesetzgeber gegenüber von ihm anerkannten subjektiven Rechten die gerichtliche Kontrolle zurücknehmen, hat er zu berücksichtigen, dass die letztverbindliche Normauslegung und die Kontrolle der Rechtsanwendung im Einzelfall grundsätzlich den Gerichten vorbehalten ist. Die in Art.19 Abs.4 GG garantierte Wirksamkeit gerichtlichen Rechtsschutzes darf der Gesetzgeber nicht durch die Gewährung behördlicher Letztentscheidungsbefugnisse für ganze Rechtsgebiete oder Sachbereiche aufgeben. Die Freistellung der Rechtsanwendung von gerichtlicher Kontrolle bedarf stets eines hinreichend gewichtigen, am Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes ausgerichteten Sachgrundes. | |
4) Nehmen Gerichte eine gesetzlich nicht vorgesehene Bindung an behördliche Entscheidungen an, verstößt dies gegen Art.19 Abs.4 GG. | |
5) Mit Art.19 Abs.4 GG vereinbar sind Verfahrensstufungen in Form bindender Vorentscheidungen, die durch den Angriff gegen die Endentscheidung nicht mehr oder nur eingeschränkt einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden können, nur, sofern - erstens - die Bindung einer Behörde an vorangehende Feststellungen oder Entscheidungen einer anderen Behörde sich hinreichend klar aus dem Gesetz ergibt, - zweitens - gegen die mit Bindungswirkung ausgestattete Teil- oder Vorentscheidung ihrerseits effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht und - drittens - die Aufspaltung des Rechtsschutzes mit einer etwaigen Anfechtungslast gegenüber der Vorentscheidung für den Bürger deutlich erkennbar und nicht mit unzumutbaren Risiken und Lasten verbunden ist. | |
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Beschluss | Entscheidungsformel: |
§§§ | |
11.009 | Mindeststudienzeit |
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1) Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die stufenlos von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen reichen können. | |
2) § 18b Abs.3 Satz 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz ist mit Art.3 Abs.1 GG unvereinbar, soweit es Studierenden wegen Rechtsvorschriften zu einer Mindeststudienzeit einerseits und zur Förderungshöchstdauer andererseits objektiv unmöglich ist, einen sogenannten großen Teilerlass zu erhalten. | |
§§§ | |
11.010 | Anwendungserweiterung-Grundrechtsschutz |
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1) Die Erstreckung der Grundrechtsberechtigung auf juristische Personen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union stellt eine aufgrund des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten im Binnenmarkt (Art.26 Abs.2 AEUV) und des allgemeinen Diskriminierungsverbots wegen der Staatsangehörigkeit (Art.18 AEUV) vertraglich veranlasste Anwendungserweiterung des deutschen Grundrechtsschutzes dar. | |
2) Durch die Annahme, das Recht der Europäischen Union lasse keinen Umsetzungsspielraum, kann ein Fachgericht Bedeutung und Tragweite der Grundrechte des Grundgesetzes verkennen. | |
§§§ | |
11.011 | Bund-Länder-Streit |
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Im Verfahren des Bund-Länder-Streits kann Antragsteller oder Antragsgegner für den Bund nur die Bundesregierung, für ein Land nur die Landesregierung sein. | |
§§§ | |
11.012 | Budgetverantwortung - EFS |
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1) Art.38 GG schützt die wahlberechtigten Bürger vor einem Substanzverlust ihrer verfassungsstaatlich gefügten Herrschaftsgewalt durch weitreichende oder gar umfassende Übertragungen von Aufgaben und Befugnissen des Bundestages, vor allem auf supranationale Einrichtungen (BVerfGE_89,155 <172>; BVerfGE_123,267 <330>). Die abwehrrechtliche Dimension des Art.38 Abs.1 GG kommt in Konstellationen zum Tragen, in denen offensichtlich die Gefahr besteht, dass die Kompetenzen des gegenwärtigen oder künftigen Bundestages auf eine Art und Weise ausgehöhlt werden, die eine parlamentarische Repräsentation des Volkswillens, gerichtet auf die Verwirklichung des politischen Willens der Bürger, rechtlich oder praktisch unmöglich macht. | |
2) a) Die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand ist grundlegender Teil der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit im Verfassungsstaat (vgl BVerfGE_123,267 <359>). Der Deutsche Bundestag muss dem Volk gegenüber verantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entscheiden. Das Budgetrecht stellt insofern ein zentrales Element der demokratischen Willensbildung dar (vgl BVerfGE_70,324 <355 f.>; BVerfGE_79,311 <329>). | |
b) Als Repräsentanten des Volkes müssen die gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages auch in einem System intergouvernementalen Regierens die Kontrolle über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen behalten. | |
3) a) Der Deutsche Bundestag darf seine Budgetverantwortung nicht durch unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere Akteure übertragen. Insbesondere darf er sich, auch durch Gesetz, keinen finanzwirksamen Mechanismen ausliefern, die - sei es aufgrund ihrer Gesamtkonzeption, sei es aufgrund einer Gesamtwürdigung der Einzelmaßnahmen - zu nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne vorherige konstitutive Zustimmung führen können. | |
b) Es dürfen keine dauerhaften völkervertragsrechtlichen Mechanismen begründet werden, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen, vor allem wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind. Jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs im internationalen oder unionalen Bereich muss vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden. | |
c) Darüber hinaus muss gesichert sein, dass hinreichender parlamentarischer Einfluss auf die Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten Mitteln besteht. | |
4) Die Bestimmungen der europäischen Verträge stehen dem Verständnis der nationalen Haushaltsautonomie als einer wesentlichen, nicht entäußerbaren Kompetenz der unmittelbar demokratisch legitimierten Parlamente der Mitgliedstaaten nicht entgegen, sondern setzen sie voraus. Ihre strikte Beachtung gewährleistet, dass die Handlungen der Organe der Europäischen Union in und für Deutschland über eine hinreichende demokratische Legitimation verfügen (BVerfGE_89,155 <199 ff.>; BVerfGE_97,350 <373>). Die vertragliche Konzeption der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft ist Grundlage und Gegenstand des deutschen Zustimmungsgesetzes (BVerfGE_89,155 <205>). | |
5) Hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, für Gewährleistungen einstehen zu müssen, kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zu, der vom Bundesverfassungsgericht zu respektieren ist. Entsprechendes gilt auch für die Abschätzung der künftigen Tragfähigkeit des Bundeshaushalts und des wirtschaftlichen Leistungsvermögens der Bundesrepublik Deutschland. | |
§§§ | |
11.013 | Vorabentscheidungsverfahren |
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1) Die Vorlage eines Gesetzes, das Recht der Europäischen Union umsetzt, nach Art.100 Abs.1 Satz 1 GG an das Bundesverfassungsgericht ist unzulässig, wenn das vorlegende Gericht nicht geklärt hat, ob das von ihm als verfassungswidrig beurteilte Gesetz in Umsetzung eines dem nationalen Gesetzgeber durch das Unionsrecht verbleibenden Gestaltungsspielraums ergangen ist. | |
2) Das vorlegende Gericht muss hierfür gegebenenfalls ein Vorabentscheidungsverfahren zum Europäischen Gerichtshof nach Art.267 Abs.1 AEUV einleiten, unabhängig davon, ob es ein letztinstanzliches Gericht ist. | |
§§§ | |
11.014 | Telekommunikationsüberwachung |
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Zur Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21.Dezember 2007 (§ 100a Abs.2 und 4, § 101 Abs.4 bis 6 und § 160a StPO). | |
LB 2) Zum Datenverwendungsverbot bei Berufsgeheimnisträgern. | |
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T-11-02 | Telekommunikationsüberwachung gemäß § 100a StPO |
1. § 100a StPO ermächtigt zur Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation und ermöglicht damit einen schwerwiegenden Eingriff in das durch Art.10 Abs.1 GG geschützte Fernmeldegeheimnis (vgl BVerfGE_113,348 <382>). | |
Vom Schutz des Fernmeldegeheimnisses nach Art.10 Abs.1 GG sind nicht nur die Kommunikationsinhalte, sondern auch die näheren Umstände der Telekommunikation erfasst. Das Fernmeldegeheimnis schützt zwar in erster Linie den Kommunikationsinhalt, umfasst aber ebenso die Kommunikationsumstände. Dazu gehört insbesondere, ob, wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Endeinrichtungen Telekommunikationsverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist (vgl. BVerfGE 67, 157 <172>; 85, 386 <396>; 107, 299 <312 f.>). Auch insoweit darf der Staat grundsätzlich keine Kenntnis nehmen. Das Grundrecht will die Bedingungen einer freien Telekommunikation aufrechterhalten. Die Nutzung des Kommunikationsmediums soll in allem vertraulich möglich sein (vgl. BVerfGE 100, 313 <358>). Mit der grundrechtlichen Verbürgung der Unverletzlichkeit des Fernmeldegeheimnisses soll vermieden werden, dass der Meinungs- und Informationsaustausch mittels Telekommunikationsanlagen deswegen unterbleibt oder nach Form und Inhalt verändert verläuft, weil die Beteiligten damit rechnen müssen, dass staatliche Stellen sich in die Kommunikation einschalten und Kenntnisse über die Kommunikationsbeziehungen oder Kommunikationsinhalte gewinnen (vgl. BVerfGE 100, 313 <359>). Dabei erfasst Art. 10 Abs. 1 GG sämtliche, mit Hilfe der Telekommunikationstechniken erfolgenden Übermittlungen von Informationen, unabhängig davon, wer Betreiber der Übertragungs- und Vermittlungseinrichtungen ist (vgl. BVerfGE 107, 299 <322>). | |
Ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis liegt vor, wenn staatliche Stellen sich ohne Zustimmung der Beteiligten Kenntnis von dem Inhalt oder den Umständen eines fernmeldetechnisch vermittelten Kommunikationsvorgangs verschaffen (vgl. BVerfGE 100, 313 <366>; 107, 299 <313>). | |
2. Mit der Neufassung des Straftatenkatalogs des § 100a Abs.2 StPO durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung wurden 19 Straftatbestände gestrichen und mehr als 30 Straftatbestände neu aufgenommen. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Klassifizierung der neu aufgenommenen Delikte als Katalogtaten für Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung, deren legitimen Zweck der Gesetzgeber darin sieht, den Strafverfolgungsbehörden die notwendigen Mittel zur Verfolgung schwerer und schwer ermittelbarer Kriminalität an die Hand zu geben (BTDrucks 16/5846, S. 40), bestehen mit Blick auf Art. 10 GG nicht. Insbesondere sind Verstöße gegen das Bestimmtheitsgebot und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht auszumachen. | |
a) Das Gesetz erstreckt sich nach der Intention des Gesetzgebers auf alle neu aufgenommenen Straftatbestände, die sämtlich schwere und schwer ermittelbare Kriminalität betreffen (siehe zu den einzelnen, neu durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung in § 100a Abs. 2 StPO aufgenommenen Straftatbeständen BTDrucks 16/5846, S. 41 ff.; nach Erhebung der Verfassungsbeschwerden im Jahr 2008 hat der Gesetzgeber den Straftatenkatalog des § 100a Abs. 2 StPO noch um § 89a StGB - durch Art. 3 Nr. 1 des Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vom 30. Juli 2009, BGBl I S. 2437, um § 184c Abs. 3 StGB - durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie vom 31. Oktober 2008, BGBl I S. 2149 und um § 19 Abs. 3 Satz 2 Grundstoffüberwachungsgesetz | |
b) Dem Bestimmtheitsgebot hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass er den Einsatz der Telekommunikationsüberwachung streng auf den Ermittlungszweck - insbesondere die Aufklärung der Straftat und die Feststellung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten - begrenzt. Zudem werden die Anlasstaten, bei denen die Telekommunikationsüberwachung als Ermittlungsmaßnahme in Betracht kommt, nicht lediglich mittels abstrakter Kriterien definiert, sondern in einem Katalog einzeln benannt. Ferner bedarf es einer gesicherten Tatsachenbasis ("bestimmte Tatsachen") sowohl für die Annahme eines Tatverdachts als auch für die Erstreckung der Maßnahme auf Dritte als Nachrichtenmittler (vgl. BVerfGE 107, 299 <321 ff.>; 109, 279 <350 f.>; 113, 348 <373, 385 f.> zu § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO). Damit hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen der Überwachungsmaßnahme in grundsätzlich nachvollziehbarer Weise umschrieben (vgl. BVerfGE 110, 33 <54>). | |
c) Darüber hinaus wahrt der erweiterte Straftatenkatalog des § 100a Abs.2 StPO den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Gesetzgeber verfügt über einen Beurteilungsspielraum bei der Bestimmung des Unrechtsgehalts eines Delikts und bei der Entscheidung darüber, welche Straftaten er zum Anlass für bestimmte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen machen will (vgl. BVerfGE 109, 279 <347>). Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis setzen jedoch die Qualifizierung einer Straftat als schwer voraus, was aber in der Strafnorm - insbesondere etwa durch den Strafrahmen - einen objektivierten Ausdruck finden muss (vgl. BVerfGE 125, 260 <329>). Für diese Qualifizierung können auch das geschützte Rechtsgut und dessen Bedeutung für die Rechtsgemeinschaft von Bedeutung sein. | |
Der Gesetzgeber hat in den Katalog des § 100a Abs.2 StPO nur Delikte neu aufgenommen, deren Begehung mit einer Höchststrafe von mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist. Dies allein qualifiziert die Delikte allerdings noch nicht als schwere Straftaten, bei denen ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG erst verhältnismäßig ist (vgl. BVerfGE 124, 43 <63>; 125, 260 <328>). Eine Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe ist im Strafgesetzbuch der Regelfall. Mit ihr sind auch Straftaten bedroht, die angesichts des jeweils geschützten Rechtsguts und bei teilweise nicht erhöhter Mindeststrafe allenfalls dem mittleren Kriminalitätsbereich zuzuordnen sind (vgl. BVerfGE 109, 279 <348>). | |
Gleichwohl ist die gesetzgeberische Einstufung der in § 100a Abs.2 StPO aufgenommenen Straftatbestände als "schwer" bei einer Gesamtschau vertretbar, die insbesondere die jeweils geschützten Rechtsgüter in den Blick nimmt. | |
Die in den Katalog des § 100a Abs.2 StPO aufgenommenen, lediglich mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedrohten Delikte greifen entweder - wie die Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB), wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen (§ 298 StGB), gewerbs- oder bandenmäßige Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen (§ 275 Abs. 2 StGB), sowie das gewerbs- oder bandenmäßige Sich-Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen (§ 276 Abs. 2 StGB) - erheblich in die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen ein, oder sie beeinträchtigen in einschneidender Weise die Rechtsgüter Privater - wie die Verbreitung, der Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften (§ 184b Abs. 1 StGB) sowie die Förderung des Menschenhandels (§ 233a Abs. 1 StGB). Daher ist die Zuordnung dieser Delikte zu den schweren Straftaten in qualitativer Hinsicht vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst. | |
Ferner hat der Gesetzgeber die Überwachung der Telekommunikation nicht allein an den Verdacht geknüpft, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Katalogtat im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO begangen hat. § 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO verlangt vielmehr, dass die zur Überwachung der Telekommunikation Anlass gebende Katalogtat auch im Einzelfall schwer wiegt. Hinzu kommt das Erfordernis, dass die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten - ohne die Überwachung der Telekommunikation - wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre (§ 100a Abs. 1 Nr. 3 StPO). Damit hat der Gesetzgeber ein Schutzkonzept geschaffen, das dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. | |
d) Die tatbestandliche Voraussetzung des § 100a Abs.1 Nr.2 StPO, dass "die Tat auch im Einzelfall schwer wiegt", genügt entgegen dem Beschwerdevorbringen schließlich dem Bestimmtheitsgebot. Indizien hierfür können, wie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits mehrfach angesprochen, die Schutzwürdigkeit der verletzten Rechtsgüter (vgl. BVerfGE 109, 279 <346>), der Grad der Bedrohung der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 107, 299 <322>; 113, 348 <388>), die Art der Begehung der Straftat (vgl. BVerfGE 107, 299 <324>; 109, 279 <346>), die Anzahl der Geschädigten (vgl. BVerfGE 107, 299 <324>) und/oder das Ausmaß des Schadens (vgl. BVerfGE 107, 299 <324>) sein. Da es bei dem Tatbestandsmerkmal entscheidend auf die Würdigung der Umstände des Einzelfalls ankommt (vgl. zur Bedeutung dieser zusätzlichen, über die abstrakte Festlegung eines Straftatenkatalogs hinausgehenden Freiheitssicherung BVerfGE 125, 260 <329>; m.w.N.), bedarf es von Verfassungs wegen keiner weiteren Ausdifferenzierung auf gesetzlicher Ebene. | |
3. Die durch § 100a Abs.4 StPO geschaffenen Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung bei der Telekommunikationsüberwachung genügen sowohl auf der Erhebungsebene als auch in der Auswertungsphase den verfassungsrechtlichen Anforderungen. | |
a) Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die konkrete Ausgestaltung des Kernbereichsschutzes können je nach der Art der Informationserhebung und der durch sie erfassten Informationen unterschiedlich sein (vgl. BVerfGE 120, 274 <337>). Eine gesetzliche Ermächtigung zu einer Überwachungsmaßnahme, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung berühren kann, hat so weitgehend wie möglich sicherzustellen, dass Daten mit Kernbereichsbezug nicht erhoben werden (vgl. BVerfGE 120, 274 <337>; Durner, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 10 Rn. 157 | |
In vielen Fällen ist es allerdings praktisch unvermeidbar, dass die Ermittlungsbehörden Informationen zur Kenntnis nehmen, bevor sie deren Kernbereichsbezug erkennen. In derartigen Fällen ist es verfassungsrechtlich nicht gefordert, den Zugriff wegen des Risikos einer Kernbereichsverletzung auf der Erhebungsebene von vornherein zu unterlassen (vgl. BVerfGE 80, 367 <375, 381>; 120, 274 <338>). Ermittlungsmaßnahmen dürfen daher auch dann vorgenommen werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, jemand habe als Täter oder Teilnehmer eine auch im Einzelfall schwer wiegende Straftat begangen, in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht oder durch eine Straftat vorbereitet, wenn die Aufklärung ansonsten wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre (vgl. BVerfGE 120, 274 <337 f.>). | |
In Fällen dieser Art ist es geboten, für hinreichenden Schutz in der Auswertungsphase zu sorgen (vgl. BVerfGE 120, 274 <337 f.>; Durner, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 10 Rn. 157 | |
b) Die in § 100a Abs.4 Satz 1 StPO getroffene Regelung, nach der eine Maßnahme zur Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation unzulässig ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, dass durch die Maßnahme allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden, erfüllt die Anforderungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung auf der Ebene der Informationserhebung. | |
aa) Der Gesetzgeber hat mit der Neuregelung des § 100a Abs.4 StPO ein zweistufiges Schutzkonzept entwickelt, um den Betroffenen vor Eingriffen in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung zu bewahren. § 100a Abs. 4 Satz 1 StPO ordnet an, dass eine zielgerichtete Erhebung kernbereichsrelevanter Daten unterbleibt. Kommt es dennoch - ohne dass dies im Vorfeld zu erwarten war - zu einer Berührung des Kernbereichs, ist in § 100a Abs. 4 Sätze 2 bis 4 StPO eine Dokumentations- und Löschungspflicht sowie ein Verwertungsverbot vorgesehen. | |
bb) Ein ausschließlicher Kernbereichsbezug kann vor allem dann angenommen werden, wenn der Betroffene mit Personen kommuniziert, zu denen er in einem besonderen, den Kernbereich betreffenden Vertrauensverhältnis - wie zum Beispiel engsten Familienangehörigen, Geistlichen, Telefonseelsorgern, Strafverteidigern oder im Einzelfall auch Ärzten - steht (vgl. BVerfGE 109, 279 <321 ff.>). Soweit ein derartiges Vertrauensverhältnis für Ermittlungsbehörden erkennbar ist, dürfen Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung nicht durchgeführt werden. | |
cc) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer müssen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen aber nicht schon deshalb von vornherein unterlassen werden, weil auch Tatsachen mit erfasst werden, die auch den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts berühren. Ein entsprechendes umfassendes Erhebungsverbot würde die Telekommunikationsüberwachung in einem Maße einschränken, dass eine wirksame Strafverfolgung gerade im Bereich schwerer und schwerster Kriminalität nicht mehr gewährleistet wäre. Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist in diesen Fällen durch einen hinreichenden Grundrechtsschutz in der Auswertungsphase sicherzustellen. | |
Ein umfassender Kernbereichsschutz schon auf der Ebene der Informationserhebung würde bei der Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO - ebenso wie beim heimlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme (vgl. BVerfGE 120, 274 <337>) - auf erhebliche praktische Schwierigkeiten stoßen, die überdies verschiedene Ursachen haben. Im Voraus lässt sich häufig kaum bestimmen, wann, wo und mit wem Telekommunikation stattfinden wird. Dementsprechend fehlt es in aller Regel an operationalisierbaren Kriterien, um eine Erhebung von Kommunikationsinhalten mit Kernbereichsbezug vorausschauend zu vermeiden (Käß, BayVBl. 2010, S. 1 <10>). | |
Schwierigkeiten für einen umfassenden Kernbereichsschutz schon auf der Erhebungsebene ergeben sich insbesondere daraus, dass Telekommunikationsüberwachung mittels automatisierter Aufzeichnung der Kommunikationsinhalte durchgeführt wird (vgl. Bär, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, 60. Lieferung | |
Hinzu kommt, dass selbst bei persönlicher Überwachung der Telekommunikation durch ein Mithören in Echtzeit die Schwierigkeiten für einen wirkungsvollen Kernbereichsschutz auf der Erhebungsebene vielfach nicht zu beseitigen wären. So wird ein Großteil der zu Zwecken der Strafverfolgung überwachten Telekommunikation in fremden, zum Teil nicht ohne Weiteres identifizierbaren Sprachen und Dialekten und darüber hinaus unter Benutzung von Geheimcodes geführt (vgl. BTDrucks 16/5846, S. 44). Dies führt dazu, dass selbst bei ständigem Mithören in Echtzeit durch einen Beamten der Strafverfolgungsbehörde und einen Dolmetscher - oder gegebenenfalls mehrere Dolmetscher, falls die Gesprächsteilnehmer ihr(e) Telefongespräch(e) in wechselnden Sprachen oder Dialekten führen - der Inhalt der Gespräche und somit auch eine etwaige Kernbereichsrelevanz derselben nicht stets sofort zutreffend erfasst und beurteilt werden könnten (vgl. BVerfGE 120, 274 <338>; BTDrucks 16/5846, S. 44). Vielmehr ist hierfür oftmals das wiederholte Abspielen und Anhören der aufgezeichneten Kommunikation unabdingbar. Darüber hinaus sind Gespräche auch aus sonstigen, der Nutzung des Mediums geschuldeten Gründen wie zum Beispiel Hintergrundrauschen oder schlechter Empfang kaum ohne technische Aufbereitung beim ersten Hören zu verstehen (vgl. BTDrucks 16/5846, S. 44). Selbst in Fällen, in denen diese technisch bedingten Widrigkeiten nicht bestehen und das Telefongespräch in klarem, unverklausuliertem Deutsch geführt wird, gelingt die Zuordnung einer Stimme zu einer Person beim Mithören in Echtzeit nicht immer (vgl. Käß, BayVBl. 2008, S. 225 <232 f.>), so dass die Strafverfolgungsbehörden auch unter günstigsten Voraussetzungen vielfach nicht in der Lage wären, durch simultanes Mithören zu erschließen, in welchen persönlichen Beziehungen die Gesprächspartner zueinander stehen, und eine (etwaige) - echte und nicht lediglich zur Täuschung der Behörden vorgeschützte - Kernbereichsrelevanz geführter Gespräche zu erkennen. | |
dd) Für den Fall, dass bei einer Überwachungsmaßnahme Daten erfasst werden, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung berühren, bietet das in § 100a Abs. 4 Satz 2 StPO normierte Verwertungsverbot einen hinreichenden Schutz in der Auswertungsphase (vgl. Löffelmann, in: Krekeler/Löffelmann/Sommer, AnwaltKommentar StPO, 2. Aufl. 2010, § 100a Rn. 11). Es ist umfassend und verbietet jedwede Verwendung, auch als Ermittlungs- oder Spurenansatz (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. 2011, § 100a Rn. 25; Nöding, StraFo 2007, S. 456 <459>). Mit dem absoluten Verwertungsverbot, dem unverzüglichen Löschungsgebot und der dazugehörigen Dokumentationsverpflichtung entspricht das Gesetz den Anforderungen an einen effektiven Kernbereichsschutz. | |
Die Regelung über den Schutz der Zeugnisverweigerungsberechtigten in § 160a Abs.1 und Abs.2 StPO verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet gewesen, den Anwendungsbereich des in § 160a Abs.1 StPO normierten absoluten Beweiserhebungs- und Verwendungsverbotes auch auf die in Abs.2 der Vorschrift genannten Personengruppen zu erstrecken. | |
1. a) § 160a StPO enthält ein abgestuftes System von Beweiserhebungs- und Verwendungsverboten bei Berufsgeheimnisträgern, das - mit Ausnahme der Maßnahmen nach § 97 und § 100c StPO und soweit auf die §§ 97 und 100c StPO verwiesen wird (vgl. § 160a Abs.5 StPO) - für sämtliche offenen und verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gilt. | |
§ 160a Abs.1 Satz 1 StPO ordnet für Geistliche in ihrer Eigenschaft als Seelsorger (§ 53 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 StPO), Verteidiger (§ 53 Abs.1 Satz 1 Nr.2 StPO) und Abgeordnete (§ 53 Abs.1 Satz 1 Nr.4 StPO) ein absolutes Beweiserhebungs- und -verwendungsverbot an; dieses Verbot hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. Februar 2011 durch Artikel 1 des Gesetzes zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Rechtsanwälten im Strafprozessrecht vom 22. Dezember 2010 (BGBl I S.2261) auf Rechtsanwälte, auf nach § 206 BRAO in eine Rechtsanwaltskammer aufgenommene Personen sowie auf Kammerrechtsbeistände ausgedehnt. | |
Demgegenüber sieht § 160a Abs.2 StPO hinsichtlich der übrigen in § 53 Abs.1 Satz 1 StPO genannten Berufsgeheimnisträger ein von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall abhängiges und damit relatives Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot vor. | |
Die Regelung in § 160a Abs.1 und Abs.2 StPO bezweckt in Anlehnung an die in § 53 Abs.1 StPO normierten Zeugnisverweigerungsrechte der Berufsgeheimnisträger den Schutz des zu diesen bestehenden Vertrauensverhältnisses. Mit der Differenzierung zwischen bestimmten Gruppen von Berufsgeheimnisträgern trägt der Gesetzgeber der Tatsache Rechnung, dass das Grundgesetz dem einzelnen Bürger einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung zuerkennt, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt und damit auch strafprozessualen Ermittlungen von vornherein entzogen ist: Soweit der Gesetzgeber annimmt, dass der Kontakt zwischen einem Bürger und einem Berufsgeheimnisträger typischerweise den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung berührt, gewährt er absoluten Schutz vor einer Erhebung, Verwendung oder Verwertung von Informationen (§ 160a Abs.1 StPO). In allen anderen Fällen, in denen zwar ebenfalls eine besondere Vertrauensbeziehung zwischen Bürger und Berufsgeheimnisträger besteht, der Kernbereich privater Lebensführung zwar berührt sein kann, aus Sicht des Gesetzgebers bei typisierender Betrachtung jedoch nicht notwendig berührt ist, wird nur ein relativer Schutz gewährt (§ 160a Abs.2 StPO). Soweit bei dieser Personengruppe im Einzelfall der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung tangiert wird, ist auch im Bereich des § 160a Abs.2 StPO von einer Unzulässigkeit der Ermittlungsmaßnahme auszugehen (vgl BTDrucks 16/5846, S.36 f.). | |
b) Indem der Gesetzgeber das absolute Beweiserhebungs- und -verwendungsverbot des § 160a Abs.1 StPO auf wenige Ausnahmefälle begrenzt, trägt er dem Umstand Rechnung, dass die Verfolgung von Straftaten hohe Bedeutung hat (vgl. BVerfGE 107, 299 <332>), denn der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (BVerfGE_122,248 <272, 273>). | |
Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt das verfassungsrechtliche Gebot einer effektiven Strafverfolgung hervorgehoben, das Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet (vgl. BVerfGE_29,183 <194>; BVerfGE_77,65 <76>; BVerfGE_80,367 <375>; BVerfGE_100,313 <388 f.>; BVerfGE_107,299 <316>; BVerfGE_122,248 <272, 273>). Die durch Strafverfolgungsmaßnahmen bezweckte Aufklärung von Straftaten und ihr Beitrag zur Durchsetzung der Strafgesetze können durch Zeugnisverweigerungsrechte oder vergleichbare verfahrensrechtliche Beschränkungen der Strafverfolgung empfindlich berührt werden (vgl BVerfGE_77,65 <76>; BVerfGE_107,299 <332>). Solche Beeinträchtigungen bedürfen - auch vor dem Hintergrund des im Rechtsstaatsprinzip begründeten Anspruchs des Beschuldigten auf ein faires Strafverfahren - der verfassungsrechtlichen Legitimation (vgl BVerfGE_77,65 <76>). Diese kann sich im Einzelfall aus Grundrechten ergeben, in die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen regelmäßig eingreifen. Grundrechtseingriffe bedürfen der Rechtfertigung und sind regelmäßig im Rahmen einer Interessenabwägung dem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse gegenüberzustellen. | |
Dieser verfassungsrechtlich gebotenen Interessenabwägung trägt das Gesetz Rechnung, wenn es in § 160a Abs.2 StPO für die ganz überwiegende Zahl der zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträger strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall unterwirft. Damit trägt es zugleich zu einer Gleichbehandlung der Berufsgruppen bei, denen nach § 53 Abs.1 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zugesteht und die - von wenigen Ausnahmen abgesehen - in § 160a Abs.2 StPO einem abwägungsgebundenen Beweisverbot unterstellt werden. | |
2. Die Beschwerdeführer sehen sich in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt, weil § 160a Abs.1 StPO einzelne Gruppen von Zeugnisverweigerungsberechtigten privilegiert und gegen sie gerichtete Ermittlungsmaßnahmen mittels eines absoluten Beweiserhebungs- und -verwendungsverbotes für unzulässig erklärt. Das Begehren der Beschwerdeführer geht dahin, im Hinblick auf ihre Berufstätigkeit in den Schutzbereich des § 160a Abs.1 StPO aufgenommen zu werden. Die Beschwerdeführer zu 2. und 3. in dem Verfahren 2_BvR_236/08 sind der Auffassung, dem Vertrauensverhältnis zwischen ihnen als Ärzten und ihren Patienten, das nicht weniger wiege als das zwischen Abgeordnetem und Bürger, komme eine überragende Wichtigkeit zu. Es müsse ohne staatliche Beeinflussung und ohne Furcht vor Abhörmaßnahmen aufgebaut werden können. Eine Überwachung der Telekommunikation mit Ärzten verletze den Kernbereich von Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG. Auch seien sie in ihrem Grundrecht aus Art.12 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt. Die als Publizistin tätige Beschwerdeführerin zu 11. im Verfahren 2 BvR 422/08 rügt § 160a Abs.2 StPO als zu unbestimmt, wobei sie sich auf die für die journalistische Arbeit entscheidende Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zum Informanten beruft und einen Verstoß gegen Art.5 Abs.1 Satz 2 GG geltend macht. | |
3. Die Beschwerdeführer begehren eine Erstreckung der Regelung des § 160a Abs.1 StPO auf ihre berufliche Tätigkeit und machen insoweit geltend, die Differenzierung zwischen Berufsgruppen in § 160a Abs.1 und Abs.2 StPO sei mit Art.3 Abs.1 GG unvereinbar. | |
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl BVerfGE_112,268 <279>; BVerfGE_116,164 <180>; BVerfGE_122,210 <230>; stRspr). Da der allgemeine Gleichheitssatz in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung (vgl. BVerfGE 55, 72 <88>; 88, 87 <96>; 89, 365 <375>; 95, 267 <316>). Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind dabei umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl BVerfGE_60,123 <134>; BVerfGE_88,87 <96>; BVerfGE_89,15 <22 f.>; BVerfGE_90,46 <56>; BVerfGE_95,267 <316 f.>; BVerfGE_97,271 <290 f.>; BVerfGE_103,172 <193>; BVerfGE_105,73 <110 f.>; BVerfGE_107,27 <46>; BVerfGE_121,317 <370>; stRspr). Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie hier durch die Anknüpfung an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe - der Schutzbereich der durch Art.12 Abs.1 GG geschützten freien Berufsausübung beeinträchtigt ist (vgl BVerfGE_121,317 <370>). Der allgemeine Gleichheitssatz ist in diesen Fällen verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl BVerfGE_55,72 <88>; BVerfGE_93,386 <397>; BVerfGE_105,73 <110>; BVerfGE_107,27 <46>; BVerfGE_121,317 <369>; stRspr). | |
Bei Regelungen, die Personengruppen verschieden behandeln oder sich auf die Wahrnehmung von Grundrechten nachteilig auswirken, prüft das Bundesverfassungsgericht im Einzelnen nach, ob für die vorgesehene Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können (vgl BVerfGE_88,87 <97>; BVerfGE_95,267 <317>). | |
4. Unter Anlegung dieser Maßstäbe verletzt die Differenzierung zwischen den Berufsgruppen in § 160a Abs.1 und Abs.2 StPO den allgemeinen Gleichheitssatz nicht. | |
a) Bei den von § 160a Abs.1 StPO erfassten Berufsgruppen rechtfertigen jeweils besondere Gründe eine Privilegierung in Form eines absoluten Beweiserhebungs- und -verwendungsverbotes. | |
aa) Die Normierung eines absoluten Beweiserhebungs- und -verwendungsverbotes in § 160a Abs.1 StPO beschränkt die Strafverfolgung in erheblichem Maße, weil sie in Anknüpfung an die Zugehörigkeit zu bestimmten Berufsgruppen Ermittlungsmaßnahmen von vornherein untersagt und jede Verwendung dennoch erlangter Erkenntnisse unterbindet. Derartige absolute Verbote können nur in engen Ausnahmefällen zum Tragen kommen, insbesondere wenn eine Ermittlungsmaßnahme mit einem Eingriff in den Schutzbereich der Menschenwürde verbunden wäre, die jeder Abwägung von vornherein unzugänglich ist. Nur in solchen Fällen ist es zulässig - und unter Umständen auch verfassungsrechtlich geboten -, bereits eine Beweiserhebung generell zu untersagen und jede Verwendung gleichwohl erlangter Erkenntnisse auszuschließen. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht bei der akustischen Wohnraumüberwachung die Notwendigkeit eines absoluten Schutzes unter dem Aspekt des Menschenwürdegehalts der jeweiligen Beziehung zwischen den Gesprächspartnern lediglich für das seelsorgerliche Gespräch mit einem Geistlichen sowie für das Gespräch mit dem Strafverteidiger angenommen (BVerfGE_109,279 <318 f., 322>). | |
bb) Bei den von § 160a Abs.1 StPO erfassten Berufsgruppen ist ein absolutes Beweiserhebungs- und -verwendungsverbot jeweils durch besonders gewichtige Gründe gerechtfertigt. | |
(1) Für Geistliche in ihrer Eigenschaft als Seelsorger sowie für Strafverteidiger ergibt sich die Rechtfertigung für den absoluten Schutz daraus, dass ihre Kommunikation mit dem Beschuldigten eines Strafverfahrens typischerweise einen Bezug zu Art.1 Abs.1 GG aufweist: So gehört das seelsorgerische Gespräch mit einem Geistlichen zu dem verfassungsrechtlichen Menschenwürdegehalt der Religionsausübung im Sinne von Art.4 Abs.1 und Abs.2 GG. Dem Verteidigergespräch kommt die zur Wahrung der Menschenwürde wichtige Funktion zu, darauf hinwirken zu können, dass der Beschuldigte nicht zum bloßen Objekt im Strafverfahren wird (BVerfGE_109,279 <322>). Auf diesen typischerweise vorhandenen Menschenwürdebezug hat auch der Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschrift abgestellt (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG, BTDrucks 16/5846, S.25, zu der zunächst als § 53b Abs.1 StPO-E vorgesehenen Regelung). Er rechtfertigt es, die Genannten von Ermittlungsmaßnahmen generell freizustellen. | |
(2) Auch die gesetzgeberische Entscheidung, den absoluten Schutz des § 160a Abs.1 StPO auf Rechtsanwälte, auf nach § 206 BRAO in eine Rechtsanwaltskammer aufgenommene Personen sowie auf Kammerrechtsbeistände auszudehnen, ist vor Art.3 Abs.1 GG noch zu rechtfertigen. | |
Die genannten Personengruppen waren nach früherer Rechtslage nur dann von dem absoluten Schutz erfasst, wenn sie als Verteidiger im Sinne des § 138 Abs.1 StPO aufgetreten sind. In diesem Fall kam die Erwägung zum Tragen, dass das Verhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem typischerweise Bezüge zur Menschenwürdegarantie aufweist, was für die mit Wirkung vom 1. Februar 2011 in § 160a Abs. 1 StPO aufgenommenen Berufsgeheimnisträger nicht ohne Weiteres der Fall ist. Allein die Stellung der Rechtsanwälte als unabhängige Organe der Rechtspflege und ihre Teilnahme an der Verwirklichung des Rechtsstaats (vgl BTDrucks 17/2637, S.6) heben sie noch nicht in einer Weise aus dem Kreis der lediglich von dem relativen Schutz des § 160a Abs.2 StPO erfassten Berufsgeheimnisträger heraus, die einen Verzicht auf Ermittlungsmaßnahmen rechtfertigen könnte. | |
Eine hinreichende Rechtfertigung kann jedoch in dem Umstand gesehen werden, dass eine Differenzierung zwischen Anwälten und Verteidigern aufgrund der Nähe der Tätigkeitsfelder faktisch kaum möglich ist (vgl. auch BTDrucks 17/2637, S.6 f.). Bei der Kontaktaufnahme eines von einer Ermittlungsmaßnahme Betroffenen mit einem Rechtsanwalt wird sich aus der Außenperspektive vielfach nicht feststellen lassen, ob der Betroffene allgemeinen rechtlichen Rat oder die Beratung durch einen Strafverteidiger sucht. Auch bei einem bereits bestehenden nicht strafrechtlichen Mandat ist der Übergang zur Strafverteidigung mitunter fließend. Einem anwaltlichen Beratungsverhältnis ist - anders als dies etwa bei Steuerberatern der Fall ist - bei generalisierender Betrachtung die Option der Strafverteidigung immanent. Daher ist es mit Blick auf den Menschenwürdebezug der Strafverteidigung vertretbar, auch die nunmehr neu von § 160a Abs. 1 StPO erfassten Berufsgruppen an dem dort normierten absoluten Schutz teilhaben zu lassen. | |
(3) Die Einbeziehung der Abgeordneten in § 160a Abs.1 StPO kann sich hingegen auf eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Rechtfertigung stützen. Der Schutz der Abgeordneten dient zwar nicht dem Persönlichkeitsrecht der Beschuldigten, sondern wird den Abgeordneten um der Institution des Parlaments und seiner Funktionsfähigkeit willen gewährt (BVerfGE_109,279 <323>). Deshalb ordnet das Grundgesetz für Bundestagsabgeordnete ein Zeugnisverweigerungsrecht und ein Beschlagnahmeverbot an (Art.47 GG). Diese unmittelbar in der Verfassung normierten ausdrücklichen Verbote selbst offen durchgeführter Ermittlungsmaßnahmen heben die Abgeordneten aus dem Kreis der anderen Zeugnisverweigerungsberechtigten heraus und rechtfertigen insoweit auch einen besonderen, weitergehenden Schutz. Im Hinblick darauf durfte der Gesetzgeber Ermittlungsmaßnahmen - insbesondere auch von § 160a Abs.1 StPO ebenfalls umfasste verdeckte Maßnahmen - gegenüber Abgeordneten innerhalb der Reichweite ihres Zeugnisverweigerungsrechts generell untersagen (vgl auch BTDrucks 16/5846, S.25). | |
cc) Von diesen privilegierten Berufsgruppen unterscheiden sich die von § 160a Abs.2 StPO erfassten anderen Berufsgeheimnisträger in einer Weise, die einen der Abwägung zugänglichen Schutz gegenüber Ermittlungsmaßnahmen rechtfertigt. | |
(1) Für die Berufsgruppe der Ärzte hat das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt, dass zwar bestimmte Inhalte, wie etwa Arztgespräche, im Einzelfall dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen sein können (vgl BVerfGE_32,373 <379>; BVerfGE_109,279 <323>). Soweit dies der Fall ist, unterliegen die Inhalte nach dem Willen des Gesetzgebers auch im Rahmen des § 160a Abs.2 StPO nicht dem Zugriff der öffentlichen Gewalt, weil dann im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein Überwiegen der schutzwürdigen Individualinteressen anzunehmen und die Ermittlungsmaßnahme deshalb unzulässig ist (vgl BTDrucks 16/5846, S.36 f.). | |
Anders als für die Strafverteidigung, die ihrem Zweck nach insgesamt Kernbereichsbezug aufweist, ist für den ärztlichen Bereich allerdings nur unter besonderen Bedingungen des Einzelfalls der Kernbereich der privaten Lebensführung berührt. Demgegenüber sind etwa ärztliche Aufzeichnungen über Anamnese, Diagnose oder therapeutische Maßnahmen nicht ohne Weiteres dem unantastbaren Intimbereich, sondern grundsätzlich lediglich der Privatsphäre des Patienten zuzuordnen, in die bei zwingenden überwiegenden Belangen des Gemeinwohls eingegriffen werden darf (BVerfGE_32,373 <379 f.>). Es begegnet daher keinen Bedenken, wenn auf solche Informationen bei einem Überwiegen des staatlichen Strafverfolgungsinteresses zugegriffen werden darf. | |
(2) Der Gesetzgeber war auch nicht verpflichtet, Presse- beziehungsweise Medienvertreter in den absoluten Schutz nach § 160a Abs.1 StPO einzubeziehen. | |
Für Presse- und Medienvertreter hat das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach betont, dass ein genereller und keiner Abwägung unterliegender Schutz gegenüber strafprozessualen Maßnahmen nicht in Betracht kommt, weil bei der Gewichtung der Medienfreiheit im Verhältnis zu dem Gebot funktionstüchtiger Strafrechtspflege keinem der verfolgten Interessen abstrakt ein eindeutiger Vorrang gebührt. Der Gesetzgeber ist weder gehalten, noch steht es ihm frei, der Presse- und Rundfunkfreiheit den absoluten Vorrang vor anderen wichtigen Rechtsgütern einzuräumen, wie etwa dem hier in Rede stehenden Gebot der Wahrheitserforschung im Strafprozess (vgl BVerfGE_77,65 <75 f.>; BVerfGE_107,299 <332 f.>). | |
b) Auch aus Art.12 Abs.1 GG selbst folgt keine Verpflichtung des Gesetzgebers, weitere Gruppen von Berufsgeheimnisträgern im Sinne des § 53 Abs.1 Satz 1, Nr.3 bis 3b und Nr.5 StPO in den Anwendungsbereich des § 160a Abs.1 StPO einzubeziehen. | |
Art.12 Abs.1 GG entfaltet seine Schutzwirkung nur gegenüber solchen Normen oder Akten, die sich entweder unmittelbar auf die Berufstätigkeit beziehen oder die zumindest eine objektiv berufsregelnde Tendenz haben (vgl BVerfGE_95,267 <302>; 97, 228 <253 f.>; BVerfGE_113,29 <48>). Dies ist bei den Ermittlungsmaßnahmen ermöglichenden Eingriffsnormen der Strafprozessordnung genauso wenig der Fall wie bei Normen, die die grundsätzliche Pflicht des Bürgers zur Mitwirkung im Strafverfahren gegen eine andere Person einschränken (vgl BVerfGE_33,367 <387>; BVerfGE_38,312 <324>; BVerfGE_113,29 <48>). Derartige Regelungen richten sich an jedermann, ohne zu fragen, ob und gegebenenfalls welchen Beruf er ausübt. | |
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer Zusammenschau strafprozessualer Vorschriften, die das Vertrauensverhältnis zu bestimmten Berufsgeheimnisträgern aufgreifen. § 53 Abs.1 Satz 1 Nr.3 bis 3b und Nr.5, § 97 Abs.1 und § 148 StPO begrenzen relevante Eingriffsbefugnisse, vermögen aber - als Ausnahmevorschriften zum Schutz bestimmter Vertrauensverhältnisse zwischen Berufsgeheimnisträgern und Mandanten, Patienten, Informanten, Klienten oder Kunden - keinen spezifischen Zusammenhang zwischen den Eingriffsbefugnissen und einer Berufstätigkeit zu begründen (vgl. BVerfGE 113, 29 <48>). Gewährt Art. 12 Abs. 1 GG mithin keinen Schutz gegenüber den Ermittlungsmaßnahmen ermöglichenden Eingriffsnormen der Strafprozessordnung, vermag dieses Grundrecht den Gesetzgeber auch nicht zu verpflichten, Berufsgeheimnisträger von ihrer Anwendung und deren Folgen durch Schaffung von Beweiserhebungs-, Beweisverwendungs- und Beweisverwertungsverboten auszunehmen. | |
c) Im Hinblick auf die Regelung des § 160a Abs.4 StPO, nach der die in Absatz 1 und 2 enthaltenen Erhebungs-, Verwendungs- und Verwertungsverbote entfallen, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat oder an einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen einem Berufsgeheimnisträger und einem bei ihm Rat und Hilfe Suchenden nicht darauf gerichtet ist, den Berufsgeheimnisträger im Falle des Verdachts, sich selbst strafbar gemacht zu haben, vor staatlichen Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen (vgl. BTDrucks 16/5846, S. 37; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Mai 2000 - 2_BvR_291/92 -, NJW 2000, S.3557 <3558> zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient und vom 27. Februar 2002 - 2_BvR_1979/01 -, NJW 2002, S.2090 <2091> zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant). | |
Da § 160a Abs.4 StPO einen auf bestimmte Tatsachen gegründeten Verdacht fordert, genießen Berufsgeheimnisträger einen ausreichenden Schutz vor ungerechtfertigten strafrechtlichen Ermittlungen. Der durch "bestimmte Tatsachen" begründete Verdacht unterliegt höheren Anforderungen als der bloße Anfangsverdacht, wenn er auch nicht den Grad eines "hinreichenden" oder gar "dringenden" Tatverdachts erreicht, den andere Normen der Strafprozessordnung vorsehen. Er erfordert eine konkretisierte Verdachtslage (vgl BVerfGE_109,279 <350>). Eine Anhebung der in § 160a Abs.4 StPO enthaltenen Verdachtsstufe ist von Verfassungs wegen nicht geboten, zumal auch bei Vorliegen eines durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdachts der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist, also insbesondere die Schwere der Tat mitentscheidend dafür ist, ob eine strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung steht (vgl BVerfGE_107,299 <322>; BVerfGE_109,279 <351>). | |
Auszug aus BVerfG B, 12.10.11, - 2_BvR_236/08 -, www.BVerfG.de, Abs.197 ff | |
§§§ | |
11.015 | Fünf-Prozent-Sperrklausel |
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Der mit der Fünf-Prozent-Sperrklausel in § 2 Abs.7 EuWG verbundene schwerwiegende Eingriff in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der politischen Parteien ist unter den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen nicht zu rechtfertigen. | |
§§§ | |
11.016 | Rechtswidrige Informationen |
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Zur Verwertbarkeit rechtswidrig erhobener personenbezogener Informationen im Strafprozess. | |
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T-11-03 | Recht auf ein faires Strafverfahren |
1. Die Verwertung von Erkenntnissen aus der Wohnraumüberwachung verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht auf ein faires Strafverfahren (Art.2 Abs.2 Satz 2 iVm Art.20 Abs.3 GG). | |
a) Das Recht auf ein faires Verfahren hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art.1 Abs.1 GG (vgl BVerfGE_57,250 <274 f.>; BVerfGE_86,288 <317>; BVerfGE_118,212 <231>; BVerfGE_122,248 <271>) und gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens (vgl BVerfGE_38,105 <111>; BVerfGE_46,202 <210>). Am Recht auf ein faires Verfahren ist die Ausgestaltung des Strafprozesses zu messen, wenn und soweit keine spezielle verfassungsrechtliche Gewährleistung existiert (vgl BVerfGE_57,250 <274 f.>; BVerfGE_109,13 <34>; BVerfGE_122,248 <271>). | |
Das Recht auf ein faires Verfahren enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote; vielmehr bedarf es der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben worden ist (vgl BVerfGE_57,250 <275 f.>; BVerfGE_63,45 <61>; BVerfGE_64,135 <145 f.>; BVerfGE_70,297 <308 f.>; BVerfGE_86,288 <317 f.>; BVerfGE_122,248 <272>). | |
Im Rahmen dieser Gesamtschau sind nicht nur die Rechte des Beschuldigten, insbesondere prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können, sondern auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl BVerfGE_122,248 <272 f.>). Das Rechtsstaatsprinzip gestattet und verlangt die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl BVerfGE_33,367 <383>; BVerfGE_46,214 <222>; BVerfGE_122,248 <272>). Es besteht daher die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten (vgl. BVerfGE_33,367 <383>; BVerfGE_51,324 <343 f.>; BVerfGE_77,65 <76>; BVerfGE_107,104 <118 f.>; BVerfGE_122,248 <272 f.>). Diese muss dem Schuldgrundsatz Rechnung tragen, der sich aus der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art.1 Abs.1 und Art.2 Abs.1 GG) sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art.20 Abs.3 GG) ergibt. Danach ist jede strafende Ahndung einer Tat ohne Schuld des Täters ausgeschlossen (vgl BVerfGE_20,323 <331>; BVerfGE_95,96 <140>; BVerfGE_109,133 <171>; BVerfGE_110,1 <13>; BVerfGE_122,248 <270>; BVerfGE_123,267 <413>). Außerdem muss bei der Festsetzung der Strafe das gerechte Verhältnis zwischen Tatschwere und Verschulden des Täters unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des einzelnen Falls beachtet werden (vgl BVerfGE_45,187 <259 f.>; BVerfGE_54,100 <108 f.>; BVerfGE_86,288 <313>; BVerfGE_95,96 <140>; BVerfGE_105,135 <154 f.>; BVerfGE_120,224 <253 f.>). Aus diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben folgt, dass ein zentrales Anliegen des Strafprozesses die bestmögliche Ermittlung des wahren Sachverhalts sein muss (vgl BVerfGE_57,250 <275>; BVerfGE_63,45 <61>; BVerfGE_80,367 <375>; BVerfGE_86,288 <317>; BVerfGE_107,104 <118 f.>; BVerfGE_115,166 <192>; BVerfGE_118,212 <230 f., 233>; BVerfGE_122,248 <270>). | |
Bei der Konkretisierung des Rechts auf ein faires Verfahren muss zudem der Beschleunigungsgrundsatz berücksichtigt werden, der zwar in erster Linie den Interessen des Beschuldigten dient, aber auch eng mit dem rechtsstaatlichen Erfordernis einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege verknüpft ist (vgl BVerfGE_41,246 <250>; BVerfGE_63,45 <68 f.>; BVerfGE_122,248 <273>). Denn eine funktionstüchtige Strafrechtspflege erfordert die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs innerhalb so kurzer Zeit, dass die Rechtsgemeinschaft die Strafe noch als Reaktion auf geschehenes Unrecht wahrnehmen kann. Unnötige Verfahrensverzögerungen stellen nicht nur die Zwecke der Kriminalstrafe in Frage; sie beeinträchtigen auch das verfassungsrechtlich abgesicherte öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozess, da die Beweisgrundlage durch Zeitablauf verfälscht werden kann (vgl BVerfGE_57,250 <280>; BVerfGE_122,248 <273>). | |
b) Die Verwertbarkeit rechtswidrig erhobener oder erlangter Informationen ist am Recht auf ein faires Verfahren zu messen. | |
aa) Es existiert keine andere verfassungsrechtliche Gewährleistung, aus der sich ein vollständiger Maßstab für die Verwertbarkeit von rechtswidrig erhobenen oder verwendeten Informationen ergibt. Soweit es um die Verwertung personenbezogener Informationen geht, ist zwar auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht berührt (siehe unten D.II.2.a). Die Frage eines Verwertungsverbots kann sich aber auch in Bezug auf Informationen stellen, deren Gewinnung oder Verwertung nicht oder nicht nur das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten berührt. Insbesondere müssen dem Angeklagten - unabhängig von der Frage, ob die Verwertung einer Information sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berührt - hinreichende Möglichkeiten verbleiben, auf Gang und Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl BVerfGE_26,66 <71>; BVerfGE_41,246 <249>; BVerfGE_46,202 <210>; BVerfGE_54,100 <116>; BVerfGE_63,332 <337 f.>; BVerfGE_64,135 <144>; BVerfGE_65,171 <174 f.>; BVerfGE_66,313 <318>; BVerfGE_110,226 <253>). Außerdem sind Mindesterfordernisse an eine zuverlässige Wahrheitserforschung zu wahren (vgl BVerfGE_57,250 <274 ff.>; BVerfGE_70,297 <308>; BVerfGE_77,65 <76>; BVerfGE_86,288 <317>; BVerfGE_118,212 <230 f.>). Wegen der umfassenderen Schutzwirkung des Rechts auf ein faires Verfahren sind die Auswirkungen eines Rechtsverstoßes bei der Informationserhebung oder -verwendung daher in erster Linie an dieser Gewährleistung zu messen (vgl BVerfGE_13,290 <296>; BVerfGE_64,229 <238 f.>; BVerfGE_65,104 <112>; BVerfGE_75,348 <357>). | |
bb) Ein Beweisverwertungsverbot stellt von Verfassungs wegen eine begründungsbedürftige Ausnahme dar, weil es die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung oder Widerlegung des Verdachts strafbarer Handlungen einschränkt und so die Findung einer materiell richtigen und gerechten Entscheidung beeinträchtigt. Grundrechtsverletzungen, zu denen es außerhalb der Hauptverhandlung gekommen ist, führen daher nicht zwingend dazu, dass auch das auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhende Strafurteil gegen Verfassungsrecht verstößt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist ein Beweisverwertungsverbot geboten, wenn die Auswirkungen des Rechtsverstoßes dazu führen, dass dem Angeklagten keine hinreichenden Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Gang und Ergebnis des Verfahrens verbleiben, die Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung nicht mehr gewahrt sind oder die Informationsverwertung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht führen würde. Zudem darf eine Verwertbarkeit von Informationen, die unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften gewonnen würden, nicht bejaht werden, wo dies zu einer Begünstigung rechtswidriger Beweiserhebungen führen würde. Ein Beweisverwertungsverbot kann daher insbesondere nach schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten sein (vgl BVerfGE_113,29 <61>; BVerfGE_125,260 <339 f.>). | |
Auszug aus BVerfG B, 07.12.11, - 2_BvR_2500/09 -, www.BVerfG.de, Abs.110 ff | |
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2010 | RS-BVerfG - 2011 | 2012 [ ] |
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