Motive | zu § 311 Neufassung | BGB |
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Begründung des Entwurfs SchuldR-ModG (14/6040) |
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Der neue § 311 fasst den Inhalt des bisherigen § 305 (jetzt Absatz 1) und die neuen Vorschriften über die culpa in contrahendo zu einer Vorschrift zusammen. Die bisherigen Inhalte werden wörtlich übernommen und nicht geändert.
Bereits vor Vertragsschluss kann eine Beziehung zwischen den Beteiligten entstehen, die es nahe legt, diese wie Vertragspartner einer vertragsähnlichen Haftung zu unterwerfen. Dem trägt das Institut der „culpa in contrahendo“ Rechnung. Angesichts der Vielfalt der im vorvertraglichen Stadium entstehenden Pflichten und der großen Unterschiede in den durch diese Pflichten geschützten Interessen stellt sich zunächst die Frage, ob eine Kodifikation des Instituts der „culpa in contrahendo“ möglich und sinnvoll ist. Weiter ist zu entscheiden, wo im Falle einer Normierung eine entsprechende Vorschrift eingestellt werden sollte. Schließlich muss für ihren Inhalt entschieden werden, ob man eine generalklauselartige Fassung als solche formulieren oder die wichtigsten Anwendungsfälle der culpa in contrahendo normieren oder eine Generalklausel durch Einzelbeispiele konkretisieren sollte.
Im geltenden Recht gibt es eine Reihe von Einzelvorschriften, die auf den Grundgedanken vorvertraglicher Pflichten, deren Verletzung Schadensersatzansprüche auslösen kann, zurückgeführt werden können, doch fehlt eine umfassende Regelung. Gleichwohl ist das Verschulden bei Vertragsanbahnung als Rechtsinstitut anerkannt. So setzt zB der bisherige § 11 Nr.7 AGBG die Haftung für culpa in contrahendo voraus, ohne allerdings den Inhalt dieses Rechtsinstituts zu regeln. Literatur und Rechtsprechung sind bemüht, durch Qualifizierung bestimmter Pflichten im vorvertraglichen Stadium und (oder) Konkretisierung von Fallgruppen die culpa in contrahendo in der Anwendung sicherer zu machen. Freilich hat sich ein gesicherter und abgeschlossener Kanon von Einzelregeln noch nicht herausgebildet, so dass hier allenfalls generalklauselartige Umschreibungen der Haftung für vorvertragliches Verschulden oder Lösungen bestimmter Einzelfälle als generell akzeptiert angesehen werden könnten.
Die culpa in contrahendo ist in ihrer über Jahrzehnte fortentwickelten Ausgestaltung gekennzeichnet durch eine große Flexibilität, die es verhindert, dass das Institut als solches erkennbare und reformbedürftige Mängel hat; zweifelhaft und vielleicht kritikwürdig sind stets nur konkrete Anwendungsfälle des Prinzips. Schwierigkeiten bereiten die generalklauselartigen Voraussetzungen der Haftung aus culpa in contrahendo vor allem in ihrer Konkurrenz zu anderen Rechtsbehelfen, etwa zu Gewährleistungsregeln oder zur Täuschungsanfechtung, wobei (auch) die Unterschiede in der Verjährung und im Verhältnis zu § 124 stören können. Auch kann unterlassene Aufklärung oder falsche Information durch Prospekte unter bestimmten weiteren Voraussetzungen zur allgemeinen Haftung aus culpa in contrahendo, aber auch zu einer – kürzer verjährenden – Haftung in Analogie zu Vorschriften des Börsengesetzes führen. Schließlich kann eine Haftung für Verletzung der in § 823 Abs. 1 geschützten Rechtsgüter, wenn sie im vorvertraglichen Raum geschehen ist, ebenfalls auf culpa in contrahendo gestützt werden und zu groben Divergenzen bei der Verjährung führen.
Das Preußische Allgemeine Landrecht enthielt in §§ 284 ff. I 5 eine Regelung der Haftung wegen Verletzung der „bei Abschließung des Vertrags ihm (dh einer Partei) obliegenden Pflichten“. Nach der (Wieder-)Entdeckung der culpa in contrahendo durch Ihering wurde das Institut auch in der französischen Theorie durch Salleilles bekannt (De la responsabilité précontractuelle, Rev.trim.dr.civ.1907, 697 ff; zum heutigen Stand s Viney, Traité de droit civil, Paris 1982, S.196 bis 200). Beeinflusst vom deutschen Recht, aber auch von der französischen Doktrin hat der italienische Gesetzgeber in der Neufassung des Codice civile im Jahre 1942 die vorvertragliche Verantwortlichkeit „nach Treu und Glauben“ in Artikel 1337 geregelt. Als begriffliche Umschreibung bestimmter Sachfragen findet sich die „Precontractual Liability“ auch in der amerikanischen Literatur (vgl. Kessler, Festschrift von Caemmerer 1978, S. 873 ff).
Aber diese weit gehende Verbreitung der culpa in contrahendo bietet nur geringe Hilfe bei der Beantwortung der Frage, welche Sachfragen im Einzelnen mit einem solchen Institut befriedigend gelöst werden können. Denn die Bedeutung des Instituts weicht vielfach von der im deutschen Recht ab: Zumeist ist sie nur ein theoretisches Konzept, während die Lösung praktischer Fälle mit anderen rechtstechnischen Instrumenten bewältigt wird, etwa deliktischen Haftungsnormen, wo eine deliktische Generalklausel grundsätzlich auch die Verletzung von Vermögensinteressen erfasst, oder durch eine Haftung wegen „misrepresentation“ usw. Bezeichnend ist deshalb die Feststellung von Bucher (S. 279), dass die culpa in contrahendo eine seltsame Eigendynamik in dem Sinne entfaltet habe, dass eine Berufung auf culpa in contrahendo sogar dann noch erfolge, wenn dazu im Bereich gesetzlicher Sondernormen kein Anlass bestehe. Im Übrigen gleichen die Lösungen und Sachargumente im Schweizer Recht weitgehend denen des deutschen Rechts (vgl. Bucher, S. 281 ff.), während über die begrifflich- systematische Einordnung (ebenso) Unsicherheit besteht.
Integration in das Bürgerliche GesetzbuchDie culpa in contrahendo hat sich zu einem der zentralen Rechtsinstitute des deutschen Zivilrechts entwickelt. Die Grundsätze dieses Rechtsinstituts sollen deshalb auch im Bürgerlichen Gesetzbuch als der zentralen deutschen Zivilrechtskodifikation ihren textlichen Ausdruck finden. Damit soll das Bürgerliche Gesetzbuch selbst auch wieder über den wirklichen Bestand des deutschen allgemeinen Schuldrechts Auskunft geben. Dass dies derzeit nicht möglich ist, erweist sich auch in der praktischen Abwicklung des Europäischen Übereinkommens über Auskünfte über ausländisches Recht vom 7. Juni 1968 (BGBl. 1974 II S. 937) als nachteilig. In diesem Zusammenhang muss ausländischen Gerichten auf Anfrage mitgeteilt werden, dass das Bürgerliche Gesetzbuch keine Regelungen zur culpa in contrahendo enthält, diese aber dennoch als Rechtsinstitut durch die Rechtsprechung entwickelt worden ist. Dies macht es auch nicht leicht, zukunftsweisende Entwicklungen des deutschen Rechts interessierten ausländischen Staaten zur Nachahmung zu empfehlen oder in die Europäische Rechtsentwicklung einzuführen.
Der Entwurf will das Institut der culpa in contrahendo nicht in allen Einzelheiten regeln. Dies wäre angesichts der großen Bandbreite und Vielfalt der zu berücksichtigenden Pflichten und die Unterschiede in den durch diese Pflichten geschützten Interessen nicht zu leisten, aber auch nicht erstrebenswert. erstrebenswert.
Es soll vielmehr – der Regelungstradition des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend – eine abstrakte Regelung vorgesehen werden, die der Ausdifferenzierung und Fortentwicklung durch die Rechtsprechung zugänglich ist. Allerdings soll der Regelung die Konturenschärfe erhalten bleiben, die verschiedentlich angemahnt worden ist (Dauner-Lieb in: Ernst/Zimmermann, S.305 ff. 313; Köndgen in: Schulze/Schulte-Nölke, S.244 f, 255 f.; Krebs, DB Beilage 14/2000 S.9).
Für die Einordnung der Regelung in § 311 RE ist maßgebend, dass das für diese Haftungskategorie vorausgesetzte gesetzliche Schuldverhältnis im Vorfeld eines Vertrags entsteht. Deshalb wurde der Standort der vorgeschlagenen Vorschrift unmittelbar im Anschluss an das in § 311 RE angesprochene Vertragsprinzip gewählt. Für die möglichen Inhalte der Pflichten aus einem vor Vertragsschluss entstehenden gesetzlichen Schuldverhältnis kann dagegen auf § 241 Abs.2 RE verwiesen werden.
Absatz 1 entspricht – wie bereits erwähnt – dem bisherigen § 305.
Absatz 2 regelt – aufbauend auf einer gefestigten Rechtsprechung – die Voraussetzungen für das Entstehen eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses. Über den Inhalt und die Reichweite der hierdurch begründeten Pflichten enthält die Vorschrift keine Aussage. Das führt dazu, dass z. B. die Frage, unter welchen Umständen der Abbruch von Vertragsverhandlungen oder das Zustandekommen eines inhaltlich nachteiligen Vertrags zur Haftung führen, bewusst ausgeklammert bleiben. Dass allerdings eine Haftung greift, wenn die dafür erforderlichen Umstände vorliegen, folgt aus dem Verweis auf § 241 Abs. 2 RE. Dieser wiederum bildet einen der Fälle, in denen der Schuldner nach § 280 RE auf Schadensersatz haftet.
Im geltenden Recht ist das Verhältnis von Ansprüchen aus culpa in contrahendo zu Ansprüchen auf Erfüllung des Vertrags oder wegen Verletzung von vertraglichen Hauptpflichten sehr differenziert und auch nicht vollständig geklärt. Culpa in contrahendo wird oft Fälle erfassen, in denen es später nicht zu dem (in Aussicht genommenen) Vertragsschluss kommt. Anders liegt es im Fall der Verletzung von Verhaltens-, insbesondere von Informationspflichten im vorvertraglichen Stadium, die zu einem für den späteren Vertragspartner nachteiligen Vertragsinhalt führt. Auch hier kann man von einer haftungsbegründenden Funktion der Aufnahme von Vertragsverhandlungen sprechen. Der Schaden realisiert sich aber gerade im formal gültigen Vertragsabschluss. Es ist erwogen worden, diese Bereiche gesetzestechnisch zu trennen. Dies erwies sich als unzweckmäßig. Die Haftung folgt in allen Fällen stets aus § 280 RE. Danach besteht in jedem Fall eine Haftung auf Schadensersatz. Ob es genügt, wenn der Geschädigte auf dieser Grundlage unter Anwendung von § 249 die Lösung von dem Vertrag als Naturalrestitution zu verlangen, oder ob auch eine Modi- fikation der eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen in Betracht kommt, soll offen und der Rechtsprechung überlassen bleiben.
Culpa in contrahendo setzt ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis voraus (BGH, NJW 1981, 1035). Das erste und klassische Vertrauensverhältnis dieser Art ist das „Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen“ (Stoll), das dem Rechtsinstitut seinen Namen gegeben hat und das deshalb auch in Nummer 1 angesprochen wird. Das Schuldverhältnis entsteht durch den Beginn der Vertragsverhandlungen. Es endet, wenn es zur Beendigung der Verhandlungen kommt oder wenn der Vertrag, über den verhandelt worden ist, zustande kommt. Dann bestehen vertragliche Pflichten. Das durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen entstehende Schuldverhältnis ist – wie bisher – dadurch gekennzeichnet, dass es keine primären Leistungspflichten begründet. Es bestehen lediglich Pflichten zur Rücksicht, Fürsorge und Loyalität. Wie weit diese Pflichten reichen, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Diese entziehen sich ebenso wie ihre nähere Ausprägung einer gesetzlichen Regelung; dies muss auch weiterhin der Rechtsprechung überlassen bleiben. Dabei kann und sollte auf die Ergebnisse der bisherigen Rechtsprechung zurückgegriffen werden, die auch für die jetzt getroffene Regelung zutreffen. Dies gilt auch für die Rechtsfolgen, deren Grundlage jetzt allerdings § 241 Abs.2 in Verbindung mit § 280 RE sind. Danach ist Schadenersatz zu leisten, wenn dem anderen Teil durch die Verletzung vorvertraglicher Pflichten bei den Vertragsverhandlungen ein Schaden entstanden ist und der Schuldner dies zu vertreten hat. Eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung zu den denkbaren Fallgruppen, etwa zum grundlosen Abbruch der Vertragsverhandlungen, ist nicht beabsichtigt.
Der zweite klassische Fall der culpa in contrahendo ist die Anbahnung des Vertrags. Sie wird in Nummer 2 angesprochen. Hier bestehen keine Verhandlungen. Vielmehr geht es um Fälle wie den Linoleumrollenfall des RG (RZG, 78, 239) oder den Salatblattfall des BGH (BGHZ 66, 4). In diesen Fällen öffnet ein Unternehmer sein Geschäftslokal dem Verkehr, um potenziellen Kunden die Möglichkeit der Kontaktaufnahme und zum Vertragsschluss zu geben. Es geht also um eine potenzielle rechtsgeschäftliche Beziehung. Wenn der eine Teil dem anderen Teil im Hinblick auf eine solche rechtsgeschäftliche Beziehung die Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen ermöglicht, entstehen ähnliche Obhutspflichten wie in der Fallgruppe 1. Rechte und Rechtsgüter sind die in § 823 Abs. 1 angesprochenen. Interessen sind insbesondere die Vermögensinteressen des anderen Teils, aber auch zum Beispiel die Entscheidungsfreiheit. Auch in den Fällen der Nummer 2 ergeben sich die Rechtsfolgen aus § 280 RE.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Ansprüche aus culpa in contrahendo nicht nur bei Vertragsverhandlungen oder bei der Anbahnung von Verträgen entstehen, sondern auch bei ähnlichen geschäftlichen Kontakten. Dies sind Kontakte, bei denen zB noch kein Vertrag angebahnt, ein solcher aber vorbereitet werden soll. Voraussetzung für eine Haftung ist, dass es sich um die an dem potenziellen Vertrag Beteiligten handelt. Nicht ohne weiteres erfasst werden Dritte, die in einem Näheverhältnis zu einer der Vertragsparteien stehen. Diese werden allerdings geschützt, wenn sie in den Schutzbereich des Schuldverhältnisses einbezogen sind. Das ist nach den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu entscheiden, die auch weiterhin auf vorvertragliche Schuldverhältnisses anzuwenden sind.
Absatz 3 Satz 1 bestimmt, dass ein vertragsähnliches Schuldverhältnis auch mit Personen entstehen kann, die gar nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Das sind insbesondere die Fälle der Eigenhaftung des Vertreters oder Verhandlungsgehilfen. Gerade in diesem Bereich der Haftung aus culpa in contrahendo ist die Entwicklung derzeit noch nicht abgeschlossen. Deshalb gilt auch für Absatz 3, dass im Gesetz zwar die Möglichkeit einer Haftung auch von Dritten angesprochen, aber in einer Weise geregelt werden soll, die eine Weiterentwicklung dieses Rechtsinstituts durch Praxis und Wissenschaft erlaubt.
Die wichtigste Fallgruppe sind Fälle, in denen jemand besonderes Vertrauen für sich selbst in Anspruch nimmt. Diese Fallgruppe spricht Satz 2 exemplarisch an. Das besondere Vertrauen muss über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehen (BGH, NJW-RR 1991, 1242). Dafür genügt es nicht, wenn jemand auf eigene Sachkunde verweist oder der Wortführer ist. Ausreichen kann aber zB die Erklärung, man verbürge sich für den Vertragspartner oder Ähnliches.
Angesprochen ist damit auch die Sachwalterhaftung. Es handelt sich um die Haftung von Sachverständigen oder anderer „Auskunftspersonen“, die nicht selbst ein Eigeninteresse an einem Abschluss des Vertrags haben, dennoch aber durch ihre Äußerungen entscheidend zum Vertragsabschluss beitragen, weil sich ein Verhandlungspartner auf ihre Objektivität und NeutraIität verlässt. Hierfür hat sich der Begriff Sachwalter eingebürgert. Solche Fälle werden derzeit nicht durchgängig als Anwendungsfälle des Rechtsinstituts der culpa in contrahendo begriffen. Teilweise wird eine Haftung nur angenommen, wenn zwischen dem Sachverständigen oder der Auskunftsperson und einem der Verhandlungspartner (oder beiden) ein Auskunfts- oder Beratungsvertrag zustande gekommen ist, was auch durch schlüssiges Verhalten geschehen sein kann (dazu Sutschet, Der Schutzanspruch zugunsten Dritter, 1999, S.134 f und 137 f). Teilweise werden diese Fälle aber auch als Anwendungsfälle der culpa in contrahendo angesehen. Diese setzt eine vertragliche Bindung gerade nicht voraus, die in diesen Fällen oft nicht einfach zu bejahen ist. Bei Anwendung der culpa in contrahendo kommt es entscheidend darauf an, ob Vertrauen in Anspruch genommen worden ist oder nicht. Die Vorschrift soll der Rechtsprechung aufzeigen, dass diese Fälle auch auf diesem Wege zu lösen sind.
(Siehe BGB-E, BT-Drucksache Nr.14/6040, S.161 f)
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