Motive zu § 275   Neufassung BGB
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Begründung des Entwurfs – SchuldR-ModG (14/6040)
Zu § 275 – Ausschluss der Leistungspflicht (Nr.6)
Vorbemerkung

§§§

Zu Absatz 1

Nach Absatz 1 ist der Anspruch auf die Leistung ausgeschlossen, wenn die Leistung dem Schuldner oder jedermann unmöglich ist. Unmöglich meint, wie sich aus Absatz 2 ergibt, nur die objektive oder subjektive „wirkliche“ Unmöglichkeit, nicht dagegen die faktische Unmöglichkeit, die Regelungsgegenstand des § 275 Abs.2 RE ist. Eine Leistung ist in diesem Sinne objektiv unmöglich, wenn sie von niemandem erbracht werden kann. Dies kann auf Grund von tatsächlichen Umständen der Fall sein. Möglich ist aber auch die rechtliche Unmöglichkeit, etwa bei einem Arbeitsverbot (BAG, NJW 1995,1774, 1775). Ist die Durchführbarkeit der Leistung theoretisch, aber nur mit einem völlig unverhältnismäßigen Aufwand möglich, liegt kein Fall des Absatzes 1, sondern ein Fall des Absatzes 2 vor. Entsprechendes gilt für das Unvermögen. Dem Schuldner ist die Leistung nur unmöglich, wenn er die Leistung auch durch Beschaffung oder Wiederbeschaffung nicht erbringen kann. Ist er nicht leistungsfähig, könnte er seine Leistungsfähigkeit aber durch Wiederbeschaffung wiederherstellen, liegt kein Unvermögen vor (vgl BGH, NJW 1988,699, 700). Ist dem Schuldner die Wiederbeschaffung der Leistung zwar theoretisch möglich, aber nur mit völlig indiskutablem Aufwand, liegt kein Fall des Absatzes 1, sondern ein Fall des Absatzes 2 vor. Der Unterschied liegt lediglich darin, dass der Schuldner im ersten Fall kraft Gesetzes von der Leistung befreit ist, im zweiten dagegen eine Einrede erheben muss. Weitere Unterschiede ergeben sich nicht.

Zu Absatz 2

Der Regelung von § 275 Abs.1 RE, die als Einwendung ausgestaltet ist, wird in Absatz 2 ein Leistungsverweigerungsrecht, das seiner Rechtsnatur nach eine bloße Einrede darstellt, an die Seite gestellt.

Zu Satz 1

Tatbestandlich und funktionell werden mit Absatz 2 zwei unterschiedliche Fallgruppen erfasst. Zunächst bezieht sich die Vorschrift auf die so genannte faktische oder auch praktische Unmöglichkeit. Mit diesem Begriff bezeichnet man Fälle, in denen die Behebung des Leistungshindernisses zwar theoretisch möglich wäre, die aber kein vernünftiger Gläubiger ernsthaft erwarten kann. Das immer wieder zitierte Schulbeispiel ist der geschuldete Ring auf dem Grund des Sees (Beispiel nach Heck, Grundriss des Schuldrechts, § 28).

Nicht erfasst werden von Absatz 2 Satz 1 dagegen die Fälle der so genannten „wirtschaftlichen“ oder „sittlichen“ Unmöglichkeit oder der „Unerschwinglichkeit“ im Sinne der bloßen Leistungserschwerung für den Schuldner. Diese Fallgruppen sind im geltenden Recht nicht gesetzlich geregelt und nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (vgl jetzt § 313 RE) zu behandeln. Das ist zwar nicht immer so gesehen worden (anders zB RGZ 100,129; 100,134; 101,74; 101,79), aber seit den zwanziger Jahren herrschende Meinung (RGZ 103,3; 168,65, 73; MünchKomm/Emmerich, § 275 Rdnr.33; Palandt/ Heinrichs, § 275 Rdnr.12; U. Huber, Leistungsstörungen, Bd.I, 1999, § 3 III 4 S.118). Daran ändert Absatz 2 Satz 1 nichts. Dies folgt daraus, dass Absatz 2 Satz 1 allein auf das Leistungsinteresse des Gläubigers abstellt und die eigenen Interessen des Schuldners, um deren Berücksichtigung es in diesen Fällen typischerweise geht, nicht in den Blick nimmt. Das ist auch nicht Zweck des § 275 Abs.2 Satz 1 RE, der das Entfallen der Primärleistungspflicht zum Gegenstand hat. Dies ist vielmehr Gegenstand des § 313 RE über den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Auch Fälle der Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen lassen sich nicht mit § 275 Abs.2 Satz 1 RE, sondern nur über § 313 RE oder über die Anwendung von Treu und Glauben lösen.

Nach Absatz 2 Satz 1 darf der Schuldner die Primärleistung verweigern, wenn deren Erbringung einen unverhältnismäßigen Aufwand verlangt. Mit Aufwand werden sowohl Aufwendungen in Geld als auch Tätigkeiten und ähnliche persönliche Anstrengungen erfasst. Dies folgt daraus, dass Absatz 2 Satz 3, der für den Fall des Vertretenmüssens eine Verschärfung des Maßstabs bestimmt, bewusst, um gerade dies deutlich zu machen, von „Anstrengungen“ spricht. Der Aufwand ist allein an dem Leistungsinteresse des Gläubigers zu messen, nicht am Verhältnis dieses Aufwands zu den eigenen Interessen des Schuldners, also etwa zu dem Vertragspreis oder eben auch zu persönlichen Belangen wie Gewissensbedenken, familiären Belastungen usw. Die eigenen Interessen des Schuldners bleiben allerdings, vorbehaltlich des Absatzes 2 Satz 2, nicht immer völlig unberücksichtigt. Sie können vielmehr, wie dargelegt, nach anderen Vorschriften, insbesondere nach § 313 RE, zu berücksichtigen sein.

Die Regelung des § 275 Abs.2 Satz 1 RE findet eine gewisse Parallele in den Vorschriften der geltenden §§ 251 Abs.2, 633 Abs.2 Satz 3, 651c Abs.2 Satz 2. Diese Vorschriften stellen Ausprägungen eines allgemeinen Rechtsgedankens dar (BGHZ 62,388, 393 f; NJW 1988,699, 700), den § 275 Abs.2 Satz 1 RE hier zur Geltung bringt. Von den genannten Vorschriften unterscheidet sich § 275 Abs.2 Satz 1 RE indes dadurch, dass er die beiden Kriterien bezeichnet, die bei jeder Verhältnismäßigkeitsprüfung von ausschlaggebender Bedeutung sind: Die Bezugsgröße zum ersten, die hier im Interesse des Gläubigers an der Leistung besteht, und den Grad des Missverhältnisses zum zweiten, das „grob“ sein muss. Dass es auf das Gläubigerinteresse ankommt, entspricht auch der Rechtsprechung des BGH und der herrschenden Lehre (BGH NJW 1995, 1836 f; NJW 1996,3269 f; NJW-RR 1997,1450,1451; Lange, Schadensersatz, 2.Aufl.1990, § 5 VII 1; MünchKomm/ Grunsky, § 251 Rdnr.15). Das Missverhältnis muss also ein besonders krasses, nach Treu und Glauben untragbares Ausmaß erreichen. Das legitimiert sich vor allem daraus, dass der Gläubiger bei vom Schuldner nicht zu vertretender Unmöglichkeit seinen Anspruch ersatzlos verliert. Demgegenüber muss er im Falle des § 251 Abs.2 grundsätzlich, dh abgesehen von den Fällen des § 253, lediglich hinnehmen, dass er statt Naturalersatz eine – den Wertverlust voll ausgleichende – Entschädigung in Geld erhält. In den Fällen des bisherigen § 633 Abs.2 Satz 3 verliert er nur den Anspruch auf Beseitigung des Mangels, nicht aber die Ansprüche auf Wandelung und Minderung nach dem bisherigen § 634, mit deren Hilfe er sein finanzielles Interesse an einer ordnungsgemäßen Vertragserfüllung regelmäßig im Wesentlichen wahren kann. Bei vom Schuldner zu vertretender Unmöglichkeit erhält der Gläubiger zwar einen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 280, 283 RE, doch wäre es paradox, wenn er deshalb leichter von seinem Primäranspruch auf Erfüllung befreit würde.

Zu Satz 2

Absatz 2 Satz 2 trifft eine Sonderregelung für den Fall einer Leistung, die in der Person des Schuldners zu erbringen ist. Dies betrifft vor allem Arbeits- und Dienstverträge. Hierzu können aber auch Werkverträge oder Geschäftsbesorgungsverträge gehören. In diesen Fällen sollen nicht nur objektive, sondern auch auf die Leistung bezogenene persönliche Umstände des Schuldners berücksichtigt werden und zur Unmöglichkeit führen können. Dies ist geboten, weil die Leistung selbst auf die Person des Schuldners ausgerichtet ist. Solche Umstände sind also, anders als in den Fällen des Absatz 2 Satz 1, nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu berücksichtigen, sondern schon unter dem Gesichtspunkt eines Wegfalls der Primärleistungspflicht nach § 275 RE.

Schulbeispiel ist der Fall der Sängerin, die sich weigert aufzutreten, weil ihr Kind lebensgefährlich erkrankt ist. In diesem Fall geht es um die Rücksichtnahme auf das Schuldnerinteresse, das in Absatz 2 Satz 2 in bewusster Abgrenzung zu Absatz 1 Satz 1 und zu § 313 RE gerade auch maßgeblich sein soll. In diesem Fall liegt kein Wegfall der Geschäftsgrundlage, sondern Unmöglichkeit vor (für diesen Fall auch: MünchKomm/Emmerich, § 275 Rdnr. 39). Ebenfalls nach Absatz 2 Satz 2 zu lösen ist schließlich auch der Fall des Arbeitnehmers, der seine Arbeit nicht verrichten möchte, weil er in der Türkei zum Wehrdienst einberufen ist und bei Nichtbefolgung des Einberufungsbefehls mit der Todesstrafe rechnen muss. Das BAG hat diesen Fall „analog § 323 BGB“ behandelt und der subjektiven Unmöglichkeit „gleichgestellt“ (NJW 1983, 2782, 2784). Nach Absatz 2 Satz 2 ist das weiterhin möglich, weil es hier um die Berücksichtigung des Schuldnerinteresses bei einer in der Person des Schuldners zu erbringenden Leistung geht. Genauso liegt es in anderen Fällen, in denen dem Schuldner die Leistungspflicht unter Beachtung des Leistungsinteresses des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Beispiele sind während der Arbeitszeit notwendige Arztbesuche, notwendige Versorgung schwerwiegend erkrankter Angehöriger, Ladung zu Behörden und Gerichtsterminen.

Zu Satz 3

Absatz 2 Satz 3 bestimmt, dass bei der Konkretisierung des Missverhältnisses zu berücksichtigen ist, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat. Daraus folgt, dass von ihm erhöhte Anstrengungen zu dessen Überwindung zu erwarten sind, wenn er es zu vertreten hat. Hat der Schuldner also zB auf Grund eines schuldhaften Irrtums oder gar in Kenntnis der Rechtslage den Vertragsgegenstand an einen Dritten übereignet, so muss er diesem für dessen Rückerwerb in aller Regel wesentlich mehr als den Marktpreis bieten, um in den Genuss der Befreiung von seiner primären Leistungspflicht zu gelangen. Ähnlich liegt es im geltenden Recht bei der Auslegung von § 633 Abs.2 Satz 3 (BGH, NJW 1995,1836, 1837; 1996,3269, 3270) und zu dem von dem BGH aus den §§ 251 Abs.2, 633 Abs.2 Satz 3 entwickelten allgemeinen Rechtsgedanken (NJW 1988,699, 700; vgl auch BGHZ 62,388, 393 f).

Den Umkehrschluss, dass der Schuldner überhaupt keine Anstrengungen zur Überwindung des Leistungshindernisses zu unternehmen braucht, wenn er dieses nicht zu vertreten hat – wie das von manchen Autoren für den geltenden § 275 postuliert wird (zB U.Huber, Leistungsstörungen Bd.I, § 3 I 6 S.74, 75) – erlaubt § 275 Abs.2 Satz 3 RE dagegen nicht. Vielmehr ist diese Frage, wie es in der Vorschrift heißt, nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses zu beantworten. So muss der Schuldner sich in dem erwähnten Beispiel auch dann, wenn ihn kein Verschulden trifft, immerhin bemühen, den Vertragsgegenstand von dem Dritten zurückzuerwerben, und diesem zumindest den Marktpreis, uU aber auch einen darüber liegenden Preis bieten. Denn auch wenn er sich in einem unverschuldeten Irrtum befunden und daher die verkehrserforderliche Sorgfalt nicht außer Acht gelassen hat, hat er doch objektiv seine Pflicht aus dem Schuldverhältnis nicht erfüllt, so dass das Leistungshindernis auf einem in seiner Sphäre liegenden Mangel beruht. Indes sind die Bemühungen und Aufwendungen, die von ihm zu erwarten sind, grundsätzlich geringer, als wenn er das Leistungshindernis zu vertreten hat, so dass die Unterscheidung jedenfalls sinnvoll ist.

Die Grundsätze gelten sowohl in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 als auch in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2.

Zu Absatz 3

§ 275 RE bestimmt in beiden Varianten, also sowohl bei der Befreiung kraft Gesetzes nach Absatz 1 als auch bei der Einrede nach Absatz 2, nur die Folge der Unmöglichkeit für die Primärleistung. Dies kann und soll aber nicht bedeuten, dass der Fortfall der Primärleistungspflicht die einzige Rechtsfolge ist. Wenn der Umstand, der zur Leistungsbefreiung führt, vom Schuldner zu vertreten ist, so ist dieser zum Schadensersatz verpflichtet. Dies regeln die §§ 280, 283 bis 285 und 311a RE. Auf diesen Zusammenhang weist Absatz 3 zur Klarstellung hin, ohne dies aber selbst unmittelbar zu regeln.

(Siehe Entwurf Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucksache 14/6040, S.126 ff)

§§§

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